Forderungspapier der TLS

Forderungspapier: Crystal Meth ist eine große Herausforderung
Landesweiter Maßnahmenplan nötig
Methamphetamin (besser bekannt als Crystal Meth) hat in Thüringen einen rasanten Zuwachs
an Konsumierenden. Es ist unter den illegalen Rauschdrogen unserer Zeit der „Aufsteiger“ und
rangiert inzwischen vor Heroin und Kokain.
Eine enge Zusammenarbeit von Politik, Justiz, Verwaltung, Suchtkrankenhilfe, Psychiatrie und
Kinder-, Jugend- und Familienhilfe ist unabdingbar. Denn die Droge stellt eine immer größere
Herausforderung dar: Die Zahl der NutzerInnen steigt rasant, die Auswirkungen des Konsums
sind gravierend und die Folgen für das soziale Umfeld werden immer belastender.
Dem hohen Informationsbedarf zur Droge und den Auswirkungen des Konsums wird zwar durch
umfangreiche Veröffentlichungen und Diskussionen entsprochen. Das führt jedoch nicht zu
einem zielorientierten bereichsübergreifenden Handeln der Akteure in Thüringen.
Die in der Thüringer Landesstelle für Suchtfragen zusammengeschlossenen Akteure der
Suchtkrankenhilfe fordern deshalb die Entwicklung eines Maßnahmeplans.
Zentrale Inhalte müssen aus unserer Sicht sein:
1. Prävention passiert an vielen Stellen und ist unverzichtbar – Investition ausschließlich in Prävention ist ein Irrweg
Sowohl auf Bundesebene wie auch auf Landesebene werden Mittel für Suchtmittelprävention bereitgestellt. Es gibt vielfältige Maßnahmen und Veröffentlichungen für Schule,
Eltern, Betroffene, Partyszene etc. Gerade die Auswirkungen des Konsums von Crystal
Meth erfordern eine Abkehr von gängigen Präventionsansätzen. Hier muss weiter intensiv nach neuen Wegen gesucht werden, um den Willen der Konsumenten nach einem
Ausstieg zu stärken und ihnen glaubwürdig die erheblichen Gefahren der Droge bewusst
zu machen.
Viele junge Menschen sind mittlerweile schon abhängig. Hier greift nicht Prävention,
sondern – vielleicht noch – Frühintervention sowie Beratung und Behandlung. In diesem
Bereich kommt es bisher aber nicht zu einer Ressourcenaufstockung.
2. Das bestehende Suchtberatungsangebot hat eine gute Qualität – die Zielgruppe
braucht besondere Zugangsmöglichkeiten
Das Thüringer Suchthilfesystem hat eine lange Tradition und wurde mit hohem qualitativem Anspruch aufgebaut. Es bietet im Bereich der Beratungsstellen Betroffenen und ihren Angehörigen in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt kostenfrei Beratung
bzw. Behandlung. Wegen der Finanznot der Kommunen kam es aber zu keinem Stellenausbau, trotz Zunahme der gefährdeten Personen und immer neuer Erkenntnisse
über die Gefahren der verschiedenen Suchtmittel (Spielsucht, Internetsucht, Glücksspielsucht …).
Aufgrund der psychischen und körperlichen Auswirkung des Konsums der Droge Crystal
Meth braucht es andere Beratungsangebote: aufsuchende Hilfe, flexible Erreichbarkeit,
neue Formen der Beratung und Gruppenangebote. Dies ist mit den bestehenden finanziellen und personellen Ressourcen nicht leistbar.
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3. Niedrigschwellige Angebote für Hilfesuchende und Krisendienste sind bereits völlig ausgelastet oder – gerade im ländlichen Bereich – kaum vorhanden oder überfordert – es braucht zeitnah alternative Angebote.
Crystal Meth-Konsumierende haben oft nächtelang nicht geschlafen, treten reizbar und
enthemmt auf, scheitern an einfachen Aufgaben, sind isoliert. Bei aggressiven Ausfällen
muss oft die Polizei eingreifen. Notaufnahmen in Kliniken folgt häufig eine schnelle Entlassung.
Niedrigschwellige Anlaufstellen mit Fachpersonal – 24 Stunden und 7 Tage die Woche –
sind eine Chance, einen anderen, vielleicht ersten Zugang zu den Betroffenen zu bekommen. Hier ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen den Kriseneinrichtungen
und den medizinischen Versorgungsangeboten vor Ort zu optimieren, damit Entgiftungsmaßnahmen möglichst schnell eingeleitet werden können. Insbesondere die psychiatrischen Störungsbilder stellen das Personal vor große Herausforderungen und bedürfen einer entsprechenden Weiter- und Fortbildung der Beschäftigten vor Ort.
4. Crystal Meth-Konsumierende brauchen zusätzliche Zugänge zur Arbeit
Durch die Arbeitsmarktreform kam es zu einem Verlust von Beschäftigungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Suchtkranke. Crystal Meth-Konsumierende haben z. T. noch keinen Ausbildungsabschluss oder sie haben ihre Beschäftigung durch den Konsum verloren. Sie leiden häufig unter Langzeitschäden, die sich durch reduzierte Aufnahme- bzw.
Belastungsfähigkeit zeigen.
Es bedarf einer engen Zusammenarbeit mit Schulen, Rentenversicherungsträgern, der
Bundesagentur für Arbeit, Jobcentern und Anbietern alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, um den beruflichen (Wieder-)Einstieg der Betroffenen begleitend zur medizinischen und therapeutischen Hilfe zu ermöglichen.
Beschäftigung und sinnvolle Tätigkeiten, verbunden mit einer Regenerierung der kognitiven Fähigkeiten sind ein häufig geäußerter Wunsch in den Beratungsgesprächen. Ein
entsprechendes Angebot kann sich erheblich festigend auf die Therapie- und Abstinenzmotivation auswirken.
5. Konsumierende Mütter und Väter wollen gute Eltern sein – Herausnahme der Kinder muss letzte Möglichkeit bleiben, nicht 1. Wahl
Der Bedarf an Hilfen für drogenkonsumierende Mütter/Väter und deren Kinder nimmt
stetig zu. Die öffentliche Meinung gibt suchtmittelkonsumierenden Müttern/Vätern kaum
eine Chance.
Die Angebote im ambulanten und stationären Bereich scheitern an einem teilweise undurchlässigen System unterschiedlicher Zuständigkeiten („Versäulung“). Beispiele: Leistungen SGB XII für Mütter, Leistungen SGB VIII für Kinder, Betriebserlaubnis nur für eine Zielgruppe, getrennte Hilfeplangespräche je nach finanzieller Zuständigkeit. Hier
müssen sich die Aktivitäten aller Beteiligten darauf konzentrieren, Müttern/Vätern und
Kindern schnelle und bedarfsgerechte Hilfe anzubieten. Das kann nur durch eine enge
Zusammenarbeit der Leistungsträger mit Kinder- und Jugendhilfe, Kindergarten, Schule,
Suchtkrankenhilfe und Psychiatrie erfolgen. Unverzichtbar ist die Erprobung neuer Modelle, die zum einen das gesamte System der Familie berücksichtigen und zum anderen
das Kindeswohl bzw. die Kindeswohlgefährdung fest im Blick haben.
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6. Kein Handeln mit gefühltem Wissen – Nachbesserung der Datenlage unerlässlich
Die vorhandenen Datenbanken im Bereich Suchtkrankenhilfe, Krankenhäuser, Jugendhilfe … sind häufig zu wenig verknüpft bzw. systematisch ausgewertet und mit Maßnahmeempfehlungen unterlegt. Crystal Meth hat bisher noch keine eigene Betrachtung
in der bundesweiten Suchthilfestatistik.
Es wird in und für Thüringen zeitnah vernetzte statistische Erhebungen und eine gemeinsame Bewertung der Ergebnisse benötigt.
7. Crystal Meth-Konsumierende – Hilfesystem „hinkt“ hinterher: ein Problem der
Suchtkrankenhilfe und der Psychiatrie und der Reha-Maßnahmen
Die ambulante und stationäre psychiatrische und suchtspezifische Versorgung in Thüringen stößt seit langem an ihre Grenzen. Bei Crystal Meth-Konsumierenden ist häufig
eine Begleiterkrankung (Komorbidität) im Bereich der psychiatrischen Krankheitsbilder
zu beobachten, die nur unzureichend mitbehandelt wird. In den Reha-Kliniken sind Wartezeiten zu lang, eine bedarfsgerechte, spezifische Behandlung wird benötigt.
Diese Forderungen/Aufgaben stellen keine abschließende Aufzählung dar. Sowohl im Bereich
Öffentlichkeitsarbeit wie auch in der Ausbildung, innerhalb der länderübergreifenden Zusammenarbeit und anderen Bereichen warten weitere Themen auf ihre Bearbeitung.
Wir erwarten als Resultat eines gemeinsamen Diskurses mehr gemeinsames Wissen, aber
keine fertigen Lösungen. Wir erwarten den Beginn einer kritischen Auseinandersetzung der
handlungsfeldübergreifenden Herausforderung, benötigen Ideen, Strategien, Handlungsvorschläge, finanzielle und personelle Ressourcen und eine eng verzahnte Zusammenarbeit. Ein
Runder Tisch soll möglichst schnell Entscheidungen zu all diesen Themen auf den Weg bringen.
Stand: 09.03.2015
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