Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Urs Kindhäuser Skript zur Vorlesung Strafrecht AT § 37: Echte Unterlassungsdelikte Fall 1: A zieht den schwerverletzten B aus dem Unfallwagen, legt ihn ins Gras und rennt dann zur nächsten Notrufsäule; währenddessen erstickt B, weil ihn A nicht auf die Seite gelegt hat. § 323c StGB ? 1. Zum oTb gehören auch die folgenden, ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale: Nichtvornahme einer objektiv gebotenen Handlung: Der Erfolg muss nach dem ex ante-Urteil eines objektiven Beobachters effektiv (rasch und sicher) verhindert werden können. Die Handlung muss eine Gebotserfüllungstendenz aufweisen, braucht aber nicht erfolgreich zu sein. In Fall 1 hat A mit der Benachrichtigung der Rettungskräfte eine objektiv geeignete und gebotene Maßnahme in Angriff genommen; daher ist der Tatbestand des § 323c StGB bereits objektiv nicht verwirklicht. Möglichkeit der Ausführung durch den Täter: Maßgeblich ist das aktuelle, individuelle Leistungsvermögen des konkreten Täters. Exemplarisch: Keine Strafbarkeit des Nichtschwimmers, der die Rettung eines Ertrinkenden unterlässt, sofern andere, dem Täter mögliche Maßnahmen (etwa Benachrichtigung Dritter) keinen Erfolg versprechen. Zumutbarkeit (Pawlik GA 1995, 360 [372]; NK-Wohlers/Gaede § 323c Rn. 11): Bei § 323c ist z.B. ein Handeln bei eigener (erheblicher) Gefährdung oder bei Vernachlässigung wichtiger anderer Pflichten (z.B. Garantenpflichten) nicht zumutbar. Bei den echten Unterlassungsdelikten bedarf es weder der Garantenstellung noch der Modalitätenäquivalenz. 2. Konkurrenzen: In der Regel weisen die echten Unterlassungsdelikte eine geringere Strafdrohung auf als die begehungsgleichen unechten Unterlassungsdelikte und sind im Verhältnis zu diesen daher subsidiär, wenn die Taten auf dasselbe Objekt gerichtet sind (vgl. BGHSt 3, 65 [67 f.]; 14, 282 [285]). 1
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