PDF: Logistik-Management

LOG ISTIK-MA NAGEM E NT
Weniger Automatisierung –
mehr Gestaltungsfreiheit
„Lean Logistik“ ein Schritt zu mehr Flexibilität im innerbetrieblichen Materialfluss
Stetige und automatisierte Abläufe optimieren die Leistungsfähigkeit
logistischer Systeme − so lautet die Theorie. Wenn allerdings die
Umschlagsmengen über den Tag stark schwanken, kann ein gut geplanter
und strukturierter Prozess mit geringerem Auto­matisierungsgrad
effi­zienter sein. Auf der Basis dieser Erkenntnis hat Hellmann Worldwide
Logistics die Fördertechnik respektive die Materialflussprozesse in seinen
Niederlassungen optimiert.
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A
utomatisierung – da soll es keinen
Zweifel geben – ist der Königsweg zur
Optimierung des innerbetrieblichen Materialflusses. Das belegen nicht zuletzt zahlreiche Fachbeiträge und Anwenderbeispiele.
Allerdings findet die Automatisierung dort
ihre Grenzen, wo ein hohes Maß an Flexibilität verlangt wird. Das gilt u. a. für die Niederlassungen der global tätigen Logistikdienstleister. Hier ist das Aufkommen der
ein- und ausgehenden Sendungen sehr ungleichmäßig, und in Zeiten mit Auftragsspitzen müssen große Mengen an heterogenen Packstücken bewältigt werden, ohne
dass es zu Fehllieferungen oder zu Verspätungen der Linienverkehre kommt.
Hellmann Worldwide Logistics, Osnabrück, ein international führender Logistikdienstleister mit 244 eigenen Niederlassungen weltweit, hat gemeinsam mit der
Managementberatung Porsche Consulting die ­Abläufe in den Niederlassungen
genau untersucht und dabei u. a. auch
die „Hardware“, d. h. die Fördertechnik,
einer Prüfung unterzogen. Die Ergebnisse sind insofern verblüffend, weil sie zu
einer Verringerung des Automationsgrads führten.
Flurförderzeuge ­
statt ­Fördertechnik
Der Ist-Zustand in den zuerst untersuchten
Pilot-Niederlassungen sah folgendermaßen aus: Im Warenausgang gab es drei Entladezonen, die über einen Schleppkettenförderer verbunden waren. In die Kette
wurden Hubwagen eingehängt und mannlos transportiert. Das sorgt – so die Theorie
– für definierte Wege, transparente Abläufe
und effizienten Personaleinsatz. In der
Praxis aber führte dieser Prozess zu Engpässen in
Zeiten mit Auf-
tragsspitzen. Zudem musste immer wieder Ware manuell gegen den Kettenlauf
transportiert werden.
Nach eingehender Analyse schlugen
die Berater die Einführung eines neuen
Prinzips vor: die sichere Direktverladung
mit einer speziellen Art von Flurförderzeugen (Schnelllifter). Zudem wurde eine
vierte Entladezone in Betrieb genommen.
Der Verkehr zwischen diesen Entlade­
zonen fließt auf „Staplerautobahnen“ die
jeweils als Einbahnstraße fungieren mit
zusätz­lichen Abkürzungsmöglichkeiten.
Der Materialfluss bleibt also strukturiert,
er wird aber flexibler. In der ersten Niederlassung (Bild 01), die nach diesem
Prinzip optimiert wurde, erhöhte sich die
Produktivität in mehr­
facher Hinsicht.
„Die Nettokapazität der Niederlassung
konnte gesteigert werden, zugleich wird
weniger Fläche für die Umschlagprozesse
benötigt“, so Andreas Baier, Partner bei der
Porsche Consulting GmbH.
Bei allen Kennzahlen wie Colli-Durchlaufzeit und Rampenbelegung ergaben
sich Verbesserungen, und auch bei der
Schadenquote und den Sonderfahrten
war die Entwicklung positiv. In der Folge
wurden weitere Niederlassungen nach
diesem Prinzip optimiert.
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Mitarbeiter-Know-how richtig
einsetzen
Die Verbesserungen, die das Personal von
Hellmann gemeinsam mit Porsche Consulting erarbeitete und umsetzte, bezogen sich
nicht nur auf das Layout der Niederlassungen und die eingesetzte Technik. Auch die
Auch die Qualifizierung leistet einen Beitrag zur Optimierung der Prozesse in den
Niederlassungen. Hellmann legt generell
großen Wert auf die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Diese wird von der
Hellmann academy verantwortet, die ihre
Dienstleistungen auch externen Interessenten zur Verfügung stellt.
Mit der Umsetzung eines ganzheitlichen Maßnahmenbündels
befindet sich Hellmann auf dem Weg zur „schlanken Spedition“
„soft facts“ und die Arbeitsorganisation wurden optimiert. Baier: „Vorher gab es feste Verantwortlichkeiten für die Entladung und die
Verladung. Jetzt organisieren sich die Mit­
arbeiter in Teams und sind je nach
­Arbeitsanfall in einem der beiden Bereiche
tätig.“ Diese höhere Flexibilität trage ebenfalls zur Verkürzung der Colli-Durchlauf­
zeiten bei.
01
Zur Vermittlung des kontinuierlichen
Verbesserungsprozesses (KVP) hat die
­academy gemeinsam mit Porsche Consulting ein umfassendes Weiterbildungsangebot geplant und ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt steht dabei das „Modell Logistikcenter“ (MLC), für das Hellmann den Deutschen Internationalen Trainingspreis in
­Silber erhalten hat.
Die Abläufe in den
Niederlassungen wurden in
einem Modellprojekt optimiert
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Lernen aus der Praxis
Im MLC werden die Abläufe in einem
­L ogistikzentrum oder in einer der
­H ellmann-Niederlassungen simuliert
(Bild 02). Bärbel Krehenbrink, Leiterin der
KVP-Entwicklung: „Nach dem Motto ‚learning by doing‘ werden die Teilnehmer in
die logistischen Prozesse eingebunden
und erhalten zum Beispiel eine definierte
Anzahl an Packstücken mitsamt Sendungsinformationen, die in vorgegebener Zeit auf
die Destinationen zu verteilen sind. Der
unmittelbare Lerneffekt besteht darin,
dass diese Aufgabe nicht einfach zu lösen
ist. Im ersten Durchlauf wurden die
Planzahlen noch nie erreicht.“ Durch
­gezielte Optimierung gelinge es aber im
Laufe eines Tages, die Durchlaufzeiten deutlich zu verkürzen. Der Lerneffekt sei viel
größer, weil die Verbesserungen selbst erarbeitet wurden.
Dieses Grundprinzip, das die Hellmann
academy nutzt, stammt von Porsche Con-
L OG IS T IK -M AN AG E ME N T
sulting. Ursprünglich für produzierende
Unternehmen entwickelt, die ihre Prozesse
optimieren wollen, kommt das Konzept inzwischen auch bei Dienstleistern wie eben
Hellmann Worldwide Logistics zum Einsatz. „Wir haben schon mehr als 2 800 Mitarbeiter im ‚Modell Logistikcenter‘ geschult
und auch viele Mitarbeiter unserer Kunden.
Außerdem bilden wir Mitarbeiter zu KVPManagern aus, die mit Expertenteams kontinuierlich Verbesserungen erarbeiten und
umsetzen“, so Krehenbrink.
Die „schlanke“ Logistik als
Zielsetzung
Optimierung des Niederlassungs-Layouts,
Abschied von unflexibler Fördertechnik,
weltweiter KVP und praxisgerechte Weiterbildung: Hellmann hat – mit Unterstützung
von Porsche Consulting – ein ganzes Maßnahmenbündel umgesetzt, um die Prozesse
zu optimieren und dem Ziel der „lean logistics“, der „schlanken Spedition“ mit stan-
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Im „Modell Logistikcenter“ der Hellmann academy wird die Optimierung von Material- und
Informationsflussprozessen praxisnah gelehrt
dardisierten und schnellen Abläufen näher
zu kommen. Krehenbrink: „Trotz hetero­
gener Sendungsstruktur und Verpackungseinheiten können wir in jeder einzelnen
Niederlassung einen durchgängigen und
strikt reproduzierbaren Informations- und
Materialfluss sicherstellen. Dies verkürzt
nicht nur die Durchlaufzeiten, sondern
­minimiert auch die Fehlerquote und erspart
dem Kunden und uns Sonderfahrten.“
Fotos: Hellmann
www.hellmann.net