© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de Wider den Hokuspokus Der Mensch ist keine Knetmasse: Axel Meyer klärt über erbliche Intelligenz und Gender auf Christoph Keller Seit 150 Jahren stehen sich in der geistigen Welt zwei Kulturen gegenüber. Hier die „literarische, humanistische“ Kultur der Geisteswissenschaft, dort die „szientistische“ der Natur- und Technikwissenschaften. Dieser „Kampf der Kulturen“ schlug nicht immer so hohe Wellen wie 1959, als der Physiker und zeitweilige Staatssekretär im britischen TechnologieMinisterium Charles P. Snow eine über Jahre hinweg andauernde internationale Debatte über den Antagonismus im „Überbau“ der Industriegesellschaft auslöste. Trotzdem ist diese von Sir Charles mit der Befürchtung getroffene Unterscheidung, Großbritannien werde wirtschaftlich absteigen, wenn es den geistes- mehr als den naturwissenschaftlichen Nachwuchs fördere, bis heute in jedem, zumal jedem deutschen Streit um die Prioritäten der Hochschul- und Bildungspolitik präsent. Er gibt auch den Hintergrund des neuesten Buches von Axel Meyer ab. Der Konstanzer Evolutionsbiologe und Genomforscher erklärt darin, „wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer“. Was Meyers Thema mit Snows „zwei Kulturen“ verbindet, stellt eingangs das Vorwort des Publizisten Harald Martenstein klar, das aufmerksam macht auf eine zunehmende, in der „ersten“, die öffentliche Meinung dominierenden Kultur der politisch korrekten „Ideologen“ geschürte Feindseligkeit gegen die Biologie, weil sie Einspruch erhebt gegen ein sozialutopisches, auf „Gleichheit und Gerechtigkeit“ fixiertes Weltbild, das den Menschen als beliebig zu formende Knetmasse behandelt. Meyer selbst, seit langem FAZ, Zeit und NZZ nutzend, um biologisches Fachwissen zu popularisieren, glaubt ungeachtet seiner didaktischen Erfolge in einem Klima der Wissenschaftsfeindlichkeit zu operieren. Er meint dies vor allem auf drei der „biopolitisch“ am heftigsten umkämpften Felder registrieren zu können: den Kontroversen um die Erblichkeit von Intelligenz und Homosexualität sowie der unter dem Etikett „Gender Mainstreaming“ erörterten Frage, ob der Unterschied zwischen Mann und Frau genetisch oder kulturell bedingt ist. Gender Mainstreaming ist wissenschaftsfeindlich Diese politisch „heißen Eisen“ hebt sich Meyer jedoch für die letzten hundert Seiten seines Buches auf. Zuvor erteilt er dem naturwissenschaftlichen Laienpublikum, an das er sich wendet, einige anspruchsvolle Lektionen zur Einführung in die Grundlagen der Genetik. Die mag vielen Lesern vielleicht zu ausführlich geraten sein. Aber sie ist ein unentbehrliches Fundament, um in den sich anschließenden Kapiteln die Argumentation zu Intelligenz, Homosexualität immunisieren. und Gender gegen die üblichen „Biologismus“-Schmähungen zu Nachdem er sich in diesem Teil seines Werkes bereits einige provozierende Schlenker gestattet, etwa zu den Fortpflanzungsraten von Afrikanern und „mitteleuropäischen Akademikern“, beginnt Meyer die brisanteren Kapitel mit einem Paukenschlag. Zuletzt, so erinnert er an den Sommer 2010, habe das Thema „Erblichkeit der Intelligenz“ für öffentliche Aufwallungen gesorgt, als sich ihm Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ widmete. Die politisch-mediale Klasse, naturwissenschaftlich unbeleckt ihre „Inkompetenzkompetenz“ (Hermann Lübbe) ausspielend, reagierte mit „Ausgrenzung und Verunglimpfung“. Die – freilich im Technologieentwicklungsland DDR promovierte – Physikerin Angela Merkel tat das Buch ungelesen als „nicht hilfreich“ ab, Exponenten der „literarischen“ Kultur wie Andrea Nahles und Sigmar Gabriel befanden, er stimme mit den „Werten der SPD“ nicht überein. Dabei habe, wie Meyer ihm nun attestiert, Sarrazin den Kenntnisstand zur genetischen Basis von Intelligenz „wissenschaftlich weitgehend korrekt dargestellt“. Nur geholfen habe es ihm nicht, was „nichts Gutes über die Debattenkultur in diesem Land“ verrate. Sarrazin sei das Opfer einer für die Nation eines Max Planck und Otto Hahn heute „überraschenden Wissenschaftsfeindlichkeit“, die deutsche Zukunftsfragen wie Biotechnologie oder Kernkraft vornehmlich „emotional und irrational“ angehe. Langfristig werde diese Haltung in einem ressourcenarmen Land, das von der Innovationskraft kluger Köpfe lebe, ins wirtschaftliche Abseits führen. Ebenso trüge dazu die „Ignoranz fundamentalster biologischer Kenntnisse“ bei, die dem „antiwissenschaftlichen Hokuspokus“ der Gender-Aktivisten wie den Gegnern der Intelligenzforschung eigen sei, die jederzeit bereit seien, „die Rassismuskeule zu schwingen“. Tatsächlich habe Intelligenz eine erbliche Komponente – „und zwar eine recht große!“ Denn Erblichkeitsberechnungen der Variation von Intelligenz reichen von 30 bis zu 80 Prozent. Viele Zwillingsstudien belegen einen genetischen Einfluß auf die Intelligenz von meist etwas über 50 Prozent. Weitgehend unbekannt sei lediglich, wie und welche einzelnen Gene Intelligenz beeinflussen. Erblichkeit spreche nicht für einen unausweichlichen Determinismus, da die Statistik der Wirkung von Umweltfaktoren eine Spannbreite zwischen 20 und 70 Prozent konzediere. Es bedeute aber noch viel Forschungsarbeit, um die Interaktion von Gen und Umwelt in der individuellen Entwicklung eines Menschen aufzuhellen. Daß dabei auch Intelligenzunterschiede innerhalb einer Population und zwischen Ethnien kein Tabu sein dürfen, werde ausgerechnet in den USA, dem Ursprungsland der Political Correctness, akzeptiert, wo man seit Jahrzehnten die kognitive Kompetenz der Bevölkerung erforsche, weil man sie um der Wirtschaftsleistung willen zu optimieren versuche. Auch an der mindestens „relativ hohen“ Erblichkeit der in einer Population jeweils nur in einer niedrigen Drei-Prozent-Rate auftretenden Homosexualität ist wissenschaftlich kein Zweifel zulässig. Nur den Grad der Erblichkeit müsse man mit methodisch exakteren Studien noch ermitteln. Mit umfangreichen Listen, die Verhaltensunterschiede zwischen Mann und Frau benennen – zu denen auch die geringere Neigung junger Frauen, naturwissenschaftlich-technische Fächer zu studieren gehört –, gewonnen aus einer Unmasse von gegenwärtigen Studien zur Geschlechterforschung, erschüttert Meyer schließlich auch das Paradedogma der Genderisten, demzufolge das Geschlecht nicht genetisch, sondern durch „Erziehung und Kultur“ bestimmt werde. Dies sei schlicht „weltfremder Unsinn“. Angesichts tatsächlicher Probleme der Menschheit, wie der Umweltzerstörung oder der afrikanischen Bevölkerungsexplosion, sei es daher unverantwortlich, wenn eine ohnehin vielfach mit den Realitäten kollidierende Politik ihre Handlungen an Wissenschaftsfeinden wie den Gender-Ideologen orientiere. Axel Meyer: Adams Apfel, Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer. Verlag C. Bertelsmann, Gütersloh 2015, gebunden, 410 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro
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