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FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG
9. JANUAR 2011, NR. 1
SEITE R 1
Rhein-Main
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FRANKFURTER ZEITUNG
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enn er von der Arbeit
kam, Frühschicht, acht
Stunden
schweres
Schleppen am Flughafen, wollte er
seine Ruhe. Einen Kuss für die
Frau, dann Tür zu. „Papa“, sagte
sein Sohn Sidar, „spielst du mit
mir?“ „Nein, ich bin müde.“
„Bringst du ihn zum Basketball?“,
fragte seine Frau Yildiz. „Nein, wieso muss er denn jeden Nachmittag
irgendwo hin? Basketball, Schwimmen, Flöten. Wenn du das organisiert, kannst du dich auch darum
kümmern.“ Dann ging er ins Bett,
sein Sohn ging ins Kinderzimmer.
Der Junge, dachte Sinan Demir,
käme schon zurecht. Er sprach besser Deutsch als er, besser Deutsch
als Türkisch, er hatte viele Freunde und gute Noten. Das erwähnte
zumindest seine Frau vor einigen
Wochen. Als Demir, 32 Jahre alt,
sich einen Vater nannte, sich aber
nur an wenigen Tagen wie ein Vater verhielt. Als er sich noch nicht
mit anderen Männern traf, um Baklava zu essen und über Bildung zu
diskutieren. Und irgendwann sagte
seine Frau auch: Auf den Spielplatz
hier im Berliner Ring gehe ich
nicht mehr mit den Kindern, einmal und nie wieder. Zu viele
Schimpfwörter. Arschloch. Nutte.
So was.
Berliner Ring in DreieichSprendlingen. Eine kreisrunde
Straße, um die sich mehrstöckige
Hochhäuser reihen. Verwaschenes
Grau, abblätternde Farbe, bis zu
zwölf Etagen. Schon von der elften
aus, sagt die Familie Mebrahtu aus
Eritrea, kann man Frankfurt sehen. Von ihrem Wohnzimmer blicken die Mebrahtus heute auf ihren alten Balkon. Vor zwei Jahren
zogen sie um, in ein Haus mit weniger Etagen und einem weiteren
Zimmer, damit Meron, die 17 Jahre alte Tochter, ihr eigenes hat und
sich nur noch die beiden Jungs, 16
und 14 Jahre alt, das andere teilen.
Auf dem Tisch steht eine Schale
Erdnüsse, Kerzen leuchten, und
als Weldemichael Mebrahtu seine
drei Kinder vorstellt, leuchten seine Augen. Neunzehn Jahre hat er
als Portier in einem Frankfurter
Hotel gearbeitet, seit einigen Monaten lebt er vom Staat. Wie fast
alle hier. So spotten die, die von außen kommen. In seiner Klasse,
sagt einer der Söhne, sei er der Einzige vom Berliner Ring, die anderen wollten da nicht hin. Zu viele
Ausländer, sagen sie. Zu viele Probleme.
Die Bewohner kommen aus Dutzenden Nationen. 48 meint einer,
54 ein anderer, so genau kann es
niemand sagen. Die Mebrahtus
sind glücklich in ihrem Viertel. Sie
kennen die Nachbarn, haben viele
Freunde, feiern mit ihnen Weihnachten und Silvester, Streit gab es
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noch nie. Wenn den Kindern langweilig war, fanden sie draußen
schnell jemanden zum Spielen.
Seitdem sie älter sind, treffen sie
Der Gewandelte: Sinan Demir
Der Initiator: Rifki Kestem
Der Fürsorgliche: Weldemichael Mebrahtu
Vater
sein
Sie wollen raus aus der
Rolle als Migrant und
Macho. Sie treffen sich,
um zu reden, über die
Kinder und das Leben,
über die Feindseligkeit, die
sie spüren. Ein Besuch in
Dreieich, bei den Vätern
vom Berliner Ring.
Von Sonja Hartwig
Der Ideengeber: Cengiz Deniz
Der Alleinerziehende: Ibrahim Cavli
sich im Jugendzentrum des Nachbarschaftstreffs. Ein Kicker steht
dort, es gibt eine Küchenzeile, an
der Wand hängen Buntkartonmäuse und gefaltete Papierboote.
Seit ein paar Wochen kommen
auch Erwachsene ins Jugendzentrum. Männer wie Weldemichael
Mebrahtu und Sinan Demir. Die
Väter vom Berliner Ring. Sie trinken Tee, essen selbstgemachten
Couscoussalat und selbstgebackenes Maisbrot. Die Eritreer mit der
Hand, die Türken nehmen Messer
und Gabel. „Warum brauchst du
das Besteck?“, fragte einmal ein Vater aus Eritrea Sinan Demir. Da
sagte er: „Meine Hand ist nicht
sauber. Und sowieso: Ich kann das
nicht.“ Dann zeigte ihm der Eritreer, wie man das macht, und lud
ihn ein, zum Urlaub in sein Land.
So lernen sie sich kennen, die verschiedenen Kulturen, die unterschiedlichen Väter mit ihren ähnlichen Problemen.
An diesem Tag türmt sich draußen der Schnee, bis auf 30 Zentimeter, drinnen spricht ein Vater von
40 Grad in Afrika. Schnee, sagt er,
mache ihm Angst. Der Deutschtürke Cengiz Deniz hat soeben davon
erzählt, wie schön es ist, mit seinen
Kindern einen Schneemann zu
bauen, schön auch für die Väter.
Deniz ist Gastarbeiterkind. Als er
nach Deutschland kam, war er
zehn. Der Vater schlug nach der
Schule eine Schlosserlehre vor,
doch Deniz schrieb sich erst für Sozialarbeit, dann für Soziologie und
Pädagogik ein. Deniz hat keine
Kinder, aber er kennt die Probleme vieler Väter.
Mehrere Jahre arbeitete Deniz
in der Beratungsstelle des Internationalen Familienzentrums in
Frankfurt. Er saß in seinem Büro
und erschrak, wenn Männer dort
mit ihrer ganzen Kraft die Faust
auf den Tisch knallten. Beim nächs-
ten Treffen wischten diese Männer
sich die Tränen weg. Sie erzählten
von ihren Kindern: Die schwänzten den Unterricht, sollten die
Klasse wiederholen oder hatten
eine Anzeige am Hals. Immer ging
es um die Probleme der Kinder,
und oft sahen die Väter dann, wie
es dazu kommen konnte: Sie sahen, dass es ein Kreislauf war, der
sich nur zusammen durchbrechen
lässt. Und nur, wenn der Vater diesen Satz nicht sagt: „Wenn ich von
der Arbeit komme, habe ich keine
Kraft mehr.“
Das war auch die Ausrede von
Sinan Demir, früher, als er noch
nicht so viel von seinen Gefühlen
redete. Nun erzählt er davon, als
seien sie schnell zu Grundsätzen
geworden, zu Gesetzen. Als könne
er selbst nicht mehr verstehen, wieso er sich nicht vorher an sie gehalten hat. Wenn er davon spricht,
wie wichtig es ist, mindestens eine
Stunde am Tag mit dem Sohn zu
reden, fällt immer wieder die Formulierung: „Cengiz hat gesagt.“
Für Sinan Demir ist Cengiz Deniz ein Mentor, ein Lehrer, einer,
der ihn wachgerüttelt hat. Deniz
sagt Sätze wie: „Wir wollen die
Männer da abholen, wo sie stehen.“ Bringen will er sie aber zu
mehr. Er will, dass sie sich anschauen und sagen, dass es ihnen ähnlich geht: Dass sie zusammen hier
wohnen, in Sprendlingen Nord,
wo es am Wochenende keine Busse gibt, wo sich zwischen den Häusern oft der Müll stapelt und wo in
vielen Wohnungen der Schimmel
keimt. Er will, dass sie darüber reden, wenn sie Probleme mit den
Behörden haben, die Sprache der
Angestellten und Formulare nicht
verstehen oder wenn die Sätze der
Lehrer hart klingen, wenn die Lehrer zu den Kindern sagen: Du
schaffst es doch eh nicht. Er will,
KULISSEN Im Staatsheater Wiesbaden, Seite 3
Fotos Nora Klein
dass die Männer keine Angst haben vor dem Außergewöhnlichen,
dass sie einen Schneemann bauen.
Mindestens drei Meter groß soll er
sein. Sie sollen daran wachsen,
wenn ihre Kinder in der Schule erzählen: Boah ey, das kann ich mit
Papa auch machen.
„Das ist es, was wir erreichen
wollen“, sagt Deniz und schaut in
die Runde. 20 Männer sitzen dort
auf einfachen Stühlen um einen
Tisch herum. Einige nicken, andere schauen auf den Boden oder aus
dem Fenster. Es ist schwer zu sagen, wie das, was er sagt, in ihren
Ohren klingt. Doch alle wollen sie,
dass sie weitermachen, mit dem
Treffen der Väter, zu dem beim ersten Mal nur sieben kamen. Damals
wussten sie nicht, was das sein sollte: „Aktive Väter in Bildung, Erziehung und Partnerschaft.“ So hatte
es auf den Zetteln gestanden, die
in den Hausfluren hingen. Auf der
einen Seite in Deutsch, auf der anderen in Türkisch. „Baba olmak güzel şey“ – „Vater sein ist etwas
Schönes“, hatten sie gelesen und
gedacht: Na und?
Dann saßen sie da und hörten
zu, was Deniz sich darunter vorstellte. Im Nachbarschaftstreff am
Berliner Ring erzählte er ihnen
von seinen Erlebnissen aus der
Hauptstadt. Wie er über männliche Jugendliche geforscht hatte
und ihn die Rolle der Väter immer
faszinierte. Als er drei Jahre Gastprofessor in Berlin war, traf er auf
Kazim Erdogan, einen anatolischen Deutschen, der 2007 die erste türkische Vätergruppe gegründet hatte - weil bis dahin immer
nur über die Männer gesprochen
worden war, selten mit ihnen.
Immer wieder ging Deniz zu solchen Treffen. Er hörte zu und sah,
wie die Väter weinten, wie sie zweifelten und sich fragten, warum sie
es nicht schafften, mit Traditionen
zu brechen. Wieso sie ihren Sohn
geschlagen und wieso sie das Geschirr nicht abgewaschen hatten.
Manchmal kamen sie auch zu ihm
und fragten: „Sie sind doch Professor, wie können Sie da selbst putzen?“
Kazim Erdogan brachte die Väter dazu, Fragen zu stellen, über
Fehler zu sprechen. Sie diskutierten, fluchten, stritten und machten
nebenbei Politik: Sie lehnten öffentlich ein Betreuungsgeld für
Kinder ab, die nicht in den Kindergarten gehen, lasen Sarrazins Buch
und sprachen eine Einladung aus,
sie wollten mit ihm diskutieren. Im
Dezember wurde Erdogan mit
dem Deutschen Engagementpreis
ausgezeichnet. Seitdem ist er, den
sie den „Kalifen von Neukölln“
nennen, über den Berliner Kiez
hinaus bekannt. Und auch die Vätergruppen sollen es werden. In
mehreren Städten in Deutschland
entstehen sie. Auch im Frankfurter
Gallus soll es bald eine geben, in
Dreieich fingen sie im Herbst an.
Deniz zeigte den Vätern vom
Berliner Ring dort Videos der
Männer aus der deutschen Hauptstadt und aus Istanbul, und sie sahen, wie aus seinen Worten Bilder
wurden: Ein Alleinerziehender erzählte, dass er nicht viel Bildung
und nicht viel Geld habe, aber ein
großes Herz, mit dem er seine Kinder unterstützen könne. Er sprach
davon, dass seine Kinder selbstbewusster seien, seitdem er mit ihnen
spielt, dass sie sich näherkämen.
Dass das viel Zeit braucht, wissen Ibrahim Cavli, 39 Jahre alt,
und Boran, zehn Jahre alt. Sie sind
Vater und Sohn. Fragt man sie, sagen sie aber, sie seien Freunde. Es
war vor vier Jahren, als auf einmal
Cavlis Exfrau anrief, die das Sorgerecht für Tochter und Sohn hatte,
und sagte: „Boran will zu dir.“ Er:
„Warum?“ Sie: „Das weiß ich
nicht. Er meint, dass er dich vermisst.“ Ibrahim Cavli, der zu Hause nicht mehr als einen Computer
und eine Couch hatte und immer
in der Kantine aß, schmiss die alten Möbel weg, kaufte neue, füllte
den Kühlschrank und sprach mit
seinem Arbeitgeber. Dann holte er
Boran zu sich, den kleinen Wilden, der nicht still sitzen konnte,
Schüler anspuckte und Lehrer anschrie. Er ging mit ihm zum Psychologen und machte mit ihm eine
Kur. Als sie wiederkamen, stellten
sie zusammen Regeln auf. Seitdem
ist der Junge ruhiger, meistens.
Manchmal, wie an diesem Tag,
kommt es zu Streit. Einer habe ihn
Fettsack genannt, sagt Boran. „Biste selber“, schrie er zurück. Dann
gingen sie aufeinander los, traten
Fortsetzung auf der folgenden Seite
PAPIER Bei einer Tapetenmalerin, Seite 5
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