70 m ru Fo Das Magazin der 14. August 2015 Ungleichheit Georgios Vichas von der Sozialklinik Athen beim Forum Alpbach Ungleichheit, Gesundheit, Lebenserwartung e h r ac h Ja Alpb Wiener Journal ERFOLGSMOTOR. DAS GUTE LIEGT SO NAH. Unser Flughafen – mein ganz besonderer Arbeitsplatz. Wo andere verreisen, sind 4.200 Flughafen-Mitarbeiter 365 Tage für unsere Passagiere und Kunden da. Natürlich bedeutet es große Verantwortung und verlangt viel Herzblut, täglich für eine verlässliche und sichere Abwicklung zu sorgen. Aber es macht auch ganz schön stolz, Teil dieses starken Erfolgsmotors für Österreich zu sein. viennaairport.com Foto: Philipp Naderer „ W Liebe Leserinnen, liebe Leser! iener Zeitung“ und Europäisches Forum Alpbach verbindet eine lange Gemeinsamkeit. Unser Motto „Zusammenhänge verstehen“ ist auch Auftrag und Ansporn in Alpbach. Mit dem SchwerpunktHeft unserer wöchentlichen Farbbeilage „Wiener Journal“ untermauern wir diese enge Verbindung. Ungleichheit ist eines der zentralen Themen unserer Tage, und wird heftig diskutiert, da sie einige Paradoxien aufweist. Im globalen Vergleich mag die Ungleichheit abnehmen, doch innerhalb von Nationen und Wirtschaftsblöcken (wie die EU) steigt sie rasant. Reicht Chancengleichheit? Wenn immer weniger immer mehr besitzen, wird das unteilbare Wissen zu einem ganz besonders kostbaren Besitz. In Alpbach wird dieses Wissen vermittelt, vertieft und in die Welt hinaus getragen. Österreich fungiert hier durchaus als Pionier. So startet mit dem Wintersemester 2015 an der Wirtschaftsuniversität Wien das „Forschungsinstitut für Verteilungsfragen“, denn gerade in Fragen von Gleichheit und Ungleichheit gibt es viele statistische Lücken. Diese Lücken werden oft mit Ideologie gefüllt, doch Fakten sprechen eine entspanntere Sprache als Dogmen (auch wenn sie es meist schwerer haben sich durchzusetzen). Zum 70jährigen Jubiläum dieses Thema auf die Agenda zu setzen, wird ebenso mithelfen, unversöhnliche Standpunkte mit Hilfe von Fakten sowie die – das Forum Alpbach auszeichnende - Lust am Diskurs anzunähern. Mit diesem Sonderheft will die Redaktion der „Wiener Zeitung“ mithelfen, den Fakten zu ihrem entspannenden Recht zu verhelfen. Ich darf Ihnen für die Lektüre Erbauung und Erkenntnis wünschen. Da Alpbach aber seit jeher nicht nur vom intellektuellen Anspruch lebt, sondern ein „Weltdorf“ im besten Sinn ist, darf auch ein bisschen „WeltdorfTratsch“ nicht fehlen. Alpbach-Gründer Otto Molden bezeichnete das Europäische Forum 1948 als „Vorhut Europas“, und dieser Geist herrscht immer noch – im Kongresszentrum, auf den Almhütten, unter – im Sinne Karl Poppers – „Bäumen der Erkenntnis“. Dieses „Wiener Journal“ möge seinen Teil beitragen, diesen Geist weiterzutragen. Ihr Reinhard Göweil (Chefredakteur) 4 Das Sozialklinikum von Georgios Vichas in Athen 10 Bildung und Einkommen als Gesundheitsfaktoren 14 Soziale Ungleichheit und Pen‘s Parade 20 Martha Nussbaum und das gute Leben 24 70 Jahre Forum Alpbach 30 Franz Fischler und die Tiroler Küche 34 Alpbach als Tourismusdestination 40 Vivienne Westwood und die Ungleichheit 42 Spiele: Suchbild & Schach, Rätsel 45 Freizeit: Kurz & Gut 46 Kolumne: „Übrigens“ von Peter Krobath 14. 8. 2015 Wiener Journal 3 Der gute Mensch von Athen Das Sozialklinikum von Georgios Vichas in Athen ist überfüllt: „Hier ist das Besucherbuch. Sehen Sie, wir haben bis jetzt 41.668 Patienten gehabt. Sie kommen zu uns. Aus ganz Athen, aus ganz Griechenland. Denn die Not wird immer grösser.“ Text: Ferry Batzoglou, Fotos: Luiza Puiu 4 Wiener Journal 14. 8. 2015 Wiener Journal Das Magazin der Fo ru m 70 Al pb ac h Ungleichheit Georgios Vichas von der Sozialklinik Athen beim Forum Alpbach Ungleichheit, Gesundheit, Lebenserwartung Ja hr e 14. August 2015 Hätte uns auch gut gefallen Alternative Titelseite Foto: Luiza Puiu Zitiert P enelope, Mitte dreißig, schwarze Locken, stets freundlich, arbeitet am Empfang des „Metropolitischen Sozialklinikums“ (Mitropolitiko Koinoniko Iatreio/Mikei) im südöstlichen Athener Vorort Hellenikon. Sie tut dies einmal die Woche. Ohne Bezahlung. So wie das alle dreihundert Freiwilligen, darunter rund einhundert Ärzte aller Fachrichtungen sowie Schwestern, Pfleger und Fachkräfte im Sozialklinikum Hellenikon tun. Unentwegt klingelt auch an diesem brütend heißen Tag im Juli das Telefon im Empfangsraum des Mikei. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Penelope berät die Anrufer mit viel Geduld, sie vereinbart Termine. Dann legt sie den Hörer auf. „Die Dame, die eben angerufen hat, ist schon seit unserer Gründung vor dreieinhalb Jahren unsere Patientin. Sie hat Diabetes“, erklärt sie. Patienten warten in dem Empfangsraum, einige Ärzte haben Sprechstunde. Penelope öffnet ein anderes Buch im A4-Format. „Hier ist das Medikamentenbuch. Die Arzneien sind allesamt Spenden. Gelder nehmen wir nicht an, nur Sachspenden.“ Dann öffnet sie einen der Schränke. „Das sind die Akten unserer Patienten.“ Sie sagt lapidar: „Das sind schon viele Akten, sehr viele. Bald brauchen wir dafür mehr Platz.“ In einem Behandlungsraum nebenan liegt eine Frau auf dem Patientenbett. Eine Reflexologin massiert mit beiden Händen die Füße der Frau. Fußreflexzonen- 14. 8. 2015 „Griechenland mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern hat aktuell sagenhafte drei Millionen Unversicherte.“ Seite 7 Wiener Journal 5 massage im Mikei. Zuerst ist der linke Fuß dran, dann der rechte, dann wieder der linke. Langsam, dann wieder etwas schneller, mit leichtem Druck, dann wieder stärker. Die Frau, Mitte vierzig, blondes Haar, grüne Augen, dunkles Kleid mit schönen Blumenmotiven, schließt ihre Augen. „Diese Therapie entspannt mich sehr. Das relaxt meinen Körper, meinen Geist.“ Knapp ein Jahr habe sie auf diesen Termin gewartet, erzählt sie. Leise fügt sie hinzu: Sie sei arbeitslos, schon seit sechs Jahren, als die desaströse Griechenland-Krise ihren Anfang nahm. Schon längst habe sie ihre staatliche Krankenversicherung verloren. Drei Millionen Unversicherte in Griechenland Denn in Griechenland gilt: Nur wer Arbeit hat, hat auch eine gesetzliche Krankenversicherung. Die Fußreflexzonenmassage ist zu Ende. Die Patientin steht auf. „Ich habe kein Geld, weder auf der Bank noch anderswo“, klagt die Griechin. Einen Besuch in einer Privatpraxis könne sie sich schlicht nicht leisten, auch ein Besuch in einem öffentlichen Krankenhaus koste für Unversicherte wie sie Geld. Zu viel Geld. So komme sie hierher in das Mikei-Klinikum. „Mir ist es sehr wichtig, dass meine Kinder und ich hier eine ärztliche Versorgung haben.“ Gratis, in einem humanen Umfeld. Das hat sie Dr. Georgios Vichas und seinen Mitstreitern zu verdanken. Georgios Vichas, 54, Brille, sportliche Figur, die Ärmel hochgekrempelt, gründete Ende 2011 das Sozialklinikum in Hellenikon. Georgios Vichas arbeitet schon lange in einem öffentlichen Krankenhaus. „Im Frühjahr 2011 sah ich die Folgen, als die Menschen plötzlich zu Hunderttausenden ihren Job und damit auch ihre Krankenversicherung verloren.“ Damals habe er einen 52-jährigen herzkranken Patienten gehabt, der fast gestorben wäre, weil er ein halbes Jahr lang die nötigen Medikamente nicht habe bekommen können. „Das hat mich tief getroffen, ich fühlte mich schuldig“, sagt Vichas. Er habe gesehen, wie die Menschen litten. Und: Er habe zuerst nichts dagegen getan, weil er nicht gewusst habe, wie das gehen könnte. Das änderte sich erst im August 2011. Vichas: „Ich war bei einem Konzert mit Mikis Theodorakis, unserem großen Komponisten. Er hielt eine leidenschaftliche Rede und sagte unter anderem, was ich die ganze Zeit schon dachte! Mikis sagte, die Ärzte sollten endlich etwas unternehmen, 6 Wiener Journal 14. 8. 2015 um den Menschen ohne Versicherungsschutz in ihrer Not und Angst beizustehen. Das hat mich kalt erwischt. Das Konzert fand hier auf dem Gelände des alten Flughafens statt. Plötzlich kam mir die Idee: ‚Es gab all die leer stehenden Gebäude!‘ Ich dachte, in einem könnten wir vielleicht ein freies Ambulatorium einrichten.“ Das funktionierte. Zum Glück unterstützt der Bürgermeister des Bezirks seither Vichas. Er überließ das Haus. Strom und Wasser werden überdies bezahlt. In ganz Hellas, dem ewigen Euro-Sorgenland, existieren derweil rund vierzig dieser Hospitäler mit der Gratis-Versorgung. Das Mikei in Hellenikon ist eine der am stärksten frequentierten Sozialkliniken im ganzen Land. Vichas ist Kardiologe. Er steht in seinem Sprech- und Behandlungszimmer im Mikei-Klinikum. Er legt den Finger in die Wunde: „Anfangs suchten uns fast nur arme Menschen auf. Mittlerweile haben wir Patienten aus allen Schichten. Juristen ohne Job, gefeuerte Manager, ruinierte Geschäftsleute.“ Der Grund: Griechenland mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern hat aktuell sagenhafte drei Millionen Unversicherte. 14. 8. 2015 Neben den 1,3 Millionen Arbeitslosen haben Hunderttausende formal noch aktive, de facto aber darbende Selbständige und Freiberufler ihren Versicherungsschutz verloren. Sie sind konkret nicht mehr dazu in der Lage, ihre Versicherungsbeiträge in Höhe von 500 bis über 1000 Euro aufzubringen, die alle zwei Monate an die gesetzliche Freiberuflerkasse OAEE zu entrichten sind. Hinzu kommen deren Familienangehörigen ohne Job. Auch sie genießen keinen Versicherungsschutz. Sich privat zu versichern, ist für die meisten ein schier unmögliches Unterfangen. Sie haben einfach kein Geld dafür. Denn: Nur etwa zehn Prozent der Arbeitslosen in Griechenland erhalten ein Arbeitslosengeld in Höhe von 360 Euro pro Monat. So sparsam man notgedrungen auch sein mag: In den griechischen Metropolen Athen, Thessaloniki, Patras oder Volos kommt man damit wirklich kaum über die Runden. Doch auch damit ist spätestens nach zwölf Monaten Schluss. Eine Grundsicherung gibt es in Griechenland nicht. Es droht der totale Absturz. Wiener Journal 7 Doch damit nicht genug: Auch versicherte Griechen und Griechinnen geraten in puncto Gesundheitsversorgung immer mehr in die Bredouille. Denn: Sie müssen immer mehr für Diagnosen, Behandlungen und Medikamente aus der eigenen Tasche bezahlen – trotz staatlichem Versicherungsschutz. Die bittere Realität: Viele können dies nicht mehr. Die Folge: Sie suchen Sozialkliniken wie das Mikei auf. Die Fakten: Gab der griechische Staat im Jahr 2009 noch 14 Milliarden Euro für das öffentliche Gesundheitswesen aus, fielen die betreffenden Staatsausgaben im Jahr 2014 auf unter zehn Milliarden Euro. Dieser Betrag entspricht gut fünf Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in Griechenland, deutlich weniger als im Schnitt aller OECD-Staaten. Medikament, dann sind die Patienten froh und lächeln. Habe ich es nicht, dann verdüstert sich plötzlich ihr Gesicht. Sie sind dann total enttäuscht. Sie empfinden das sogar regelrecht als Desaster. Anders gesagt: Wir sind die letzte Hoffnung für unsere Patienten.“ Sie helfe, so gut sie kann, sagt Maritta Corley. „Es macht mich glücklich, wenn ich auch nur einem Patienten helfen kann. Und sein Lächeln ist meine größte Befriedigung.” Anfangs hätten Spender die Medikamente, die sich nicht brauchten, spontan in das Klinikum gebracht. Das Problem: Das Mikei habe einen großen Bedarf an Medikamenten für chronische Krankheiten, erklärt Maritta Corley. „Zum Bei- spiel für Herzkrankheiten oder Diabetes. Davon haben wir nie genug!“ Wer aber selber herzkrank sei oder unter Diabetes leide, brauche just jene Medikamente komplett selber. Dem Mikei werde er somit nur andere Medikamente spenden. Jene seien aber in der Regel ohnehin keine Mangelware. Daher würden die potentiellen Spender das Mikei-Klinikum nunmehr zuerst kontaktieren. „Sie rufen uns an oder schicken uns eine E-Mail und fragen, was für Medikamente wir genau brauchen. Dann sammeln sie Geld dafür und kaufen sie gezielt für uns“, sagt Maritta Corley. Dann greift sie sich eine Packung aus dem gut bestückten Regal. Auf der Packung steht auf Deutsch in großen Buchstaben: Manche Medikamente sind Mangelware „Legen Sie sich bitte hin!“, sagt Georgios Vichas zu einem Patienten. Vichas hat mittlerweile seinen weißen Arztkittel angezogen. Sein erster Patient heute: Kostas, Ende fünfzig, graue Haare. Er lobt seinen Arzt in höchsten Tönen. „Doktor Vichas hat mir das Leben gerettet. Einen Herzinfarkt hätte ich fast nicht überlebt. Jetzt geht es mir schon besser.“ Vichas schaltet das Ultraschallgerät an. „So weit ist alles in Ordnung, Herr Kostas. Das Kardiogramm ist auch o.k. Passen Sie bitte nur auf ihr Gewicht auf ! Das müssen wir im Auge behalten. Sie brauchen zudem Bewegung. Schwimmen ist gut, machen Sie damit weiter! Im September messen wir ihr Cholesterin.“ Kostas nickt. Dann verschreibt Georgios Vichas seinem Patienten die Medikamente, die er braucht. „Ich gehe in die Apotheke, um sie zu holen“, sagt er. Dafür muss Georgios Vichas gar nicht das Gebäude verlassen. Denn das Mikei hat seine eigene Apotheke. Maritta Corley arbeitet in der Mikei-Apotheke. Auch sie ist schon von Anfang an dabei. „Ich habe viele Dinge hier gesehen. Dinge, die andere nicht sehen. Immer wenn ich meinen Verwandten, Freunden und Bekannten davon berichtete, sagen sie mir: ‚Maritta, erzähle uns bitte keine Märchen!‘ “ Tut sie aber nicht. Der „größte Stress“ für sie sei, „in jedem Moment das richtige Medikament“ parat zu haben. Maritta unverblümt: „Habe ich das richtige 8 Wiener Journal 14. 8. 2015 „Klinikware.“ „Das ist aus Deutschland. Sehen Sie: Hier ist das Preisschild. Die Packung kostet 25 Euro und 28 Cent. Der Patient braucht mindestens eine Packung pro Monat.“ Krebspatienten sterben ohne Behandlung Gibt es typische Krankheiten in der Krise? Vichas unverhohlen: „Aids, Tuberkulose und Hepatitis. Die Infizierten sind oft gerade die Armen. Sie können sich keine Behandlung leisten. Darum stecken sie weitere an, und die Infektionen breiten sich aus. Hart trifft es auch Diabetiker, die ihre Diät nicht halten können oder nicht genügend Insulin bekommen.“ Ihnen drohen Blindheit oder Amputationen. Und viel häufiger als früher würde Vichas unterernährte Mütter, Babys und Kinder sehen. Er warnt: „Das wird viele Kinder für ihr ganzes Leben schädigen.“ Vichas' Urteil über das öffentliche Gesundheitssystem in Griechenland ist vernichtend: „Es ist zusammengebrochen.“ Vichas nimmt kein Blatt vor den Mund. „Ich bin sehr traurig darüber, auch empört über die Situation in meiner Heimat. Ich sehe, wie die Patienten leiden. Wie sie sterben. Ich habe Patienten sterben sehen, nur weil das öffentliche Gesundheitssystem sie nicht versorgen konnte.“ Einer, der starb: Nikos Kougolos. Er wurde 65 Jahre alt. Seine Schwester Lila steht vor seinem Grab auf dem Friedhof im bürgerlichen Athener Vorort Nea Smyrni. Es ist sehr still, nur die Vögel zwitschern. Lila hat Tränen in den Augen, sie ringt um Fassung. Sie braucht ein paar Minuten, um die traurige Geschichte ihres Bruders zu erzählen. „Nikos war Taxifahrer. Wegen der Krise verlor er seinen Job – und damit seine Versicherung“, beginnt sie. Ein paar Monate später habe er Krebs bekommen, so Lila. Ihr Bruder Nikos habe ein öffentliches Krankenhaus aufgesucht. Dort sagte man ihm, er müsse die Behandlung selber bezahlen. Der Staat könne solche Fälle wie ihn nicht finanzieren, lautete die Begründung. Unabdingbar dafür sei, dass er eine Versicherung habe. Hatte er aber nicht. So wucherte der Krebs in Nikos' Körper. Ohne Medikamente, ohne die nötige Behandlung vegetierte Nikos dem sicheren Tod entgegen. Und er starb. Ganz alleine. Ohne 14. 8. 2015 Hilfe. Einfach so. Menschenunwürdig. Menschenverachtend. „Er hat mir seine Krankheit bis zuletzt verschwiegen. Er wollte mich nicht damit belasten.“ Warum? „Er wollte mich nicht um Geld bitten. Er war einfach zu stolz dafür. Nikos hätte Scham empfunden, wenn er mich darum ersucht hätte.“ Lila schluchzt, als sie das sagt. Fest steht: Krebspatienten kann auch das Mikei-Klinikum nicht versorgen. Es ist damit schlicht überfordert. Wer sich einer Operation unterziehen muss, muss das in einem öffentlichen oder privaten Krankenhaus tun. „Einen Moment werde ich nie vergessen. Das hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben“, sagt Vichas. „Eine Frau suchte mich auf. Sie sagte mir, sie habe Krebs. Seit fünf Monaten. Sie habe kein Medikament genommen. Sie habe keine Krankenversicherung. Sie habe kein Geld für eine Behandlung.“ „Wir machten ein Röntgenbild. Als ich das Bild sah, traute ich meinen Augen nicht. Das Krebsgeschwür war sehr, sehr gross. Unglaublich groß, riesig. Ich war so erschüttert, tief schockiert. Ich glaubte bis dahin, es sei unmöglich, dass so etwas einem Menschen in Griechenland im 21. Jahrhundert widerfahren könne. Ich hatte mich geirrt.“ Krise hin, chronisch drohender Staatsbankrott zu Füßen der Akropolis her, Vichas weiß: Die Missstände sind nicht nur rein ökonomisch begründet. Er hofft: Die Politik muss es besser richten. Bei dem ominösen Referendum am 5. Juli in Griechenland habe er jedenfalls mit einem lauten „OXI“ („Nein“) zu den neuerlichen Sparvorschlägen von Griechenlands öffentlichen Gläubigern EU, Europäische Zentralbank sowie Internationaler Währungsfonds gestimmt. „Das OXI bedeutete nicht ein Nein zum Euro, sondern ein Nein zur hierzulande betriebenen Austerität“, sagt Vichas. Das Credo der OXI-Sager habe laut Vichas gelautet: „Stoppt die Austerität! Schluss mit der unsäglichen Vorgabe ‚Sparen, Sparen, Sparen – bis hin zur Kaputtsparerei‘.“ Das Gros der Griechen stimmte zwar beim Referendum mit einem schallenden „OXI“. Dennoch: Ausgerechnet der Referendum-Initiator, der Athener Premierminister und bis dahin erklärte Spargegner Alexis Tsipras vom „Bündnis der Radikalen Linken“ („Syriza“), der sich vor dem Volksentscheid öffentlich mit Vehemenz für ein klares OXI eingesetzt hatte, knickte bei einem dramatischen EU-Gipfel in Brüssel am Morgen des 13. Juli gegenüber Griechenlands Gläubigern ein. So steht fest: Der rigorose Austeritätskurs in Athen wird fortgesetzt. Vielleicht noch rigider als bisher – mit wohl fatalen, gar katastrophalen Folgen für das bereits kollabierte dortige Gesundheitswesen. Georgios Vichas ist verheiratet, er hat zwei Töchter. Er arbeite viel, schlafe nur fünf Stunden pro Tag. Lächelnd sagt er: „Meine Töchter haben vor einem Jahr aufgehört zu fragen, wann die Krise endlich zu Ende geht.“ Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorauszusehen: Vichas und Co. werden auch künftig alle Hände voll zu tun haben. Und fest steht ebenfalls: Die Hilfe der Spender aus aller Welt wird Georgios Vichas, der gute Mensch aus Athen, nötiger denn je haben. Er kann sicher sein: Diese Hilfe wird er haben. Wiener Journal 9 Grobe Unterschiede Gesundheit und Krankheit richten sich auch nach Bildung und Einkommen. Wo die Medizin an ihre Grenzen stößt, sind die Sozial- und Gesundheitssysteme gefragt. Text: Cathren Landsgesell 10 Wiener Journal 14. 8. 2015 A dungstitel ist dabei ein Indikator und Faktor in dem komplexen Geflecht der sozialen Determinanten von Gesundheit und Wohlbefinden: „Wir wissen, dass diejenigen mit höherer Bildung auch die höchste Anzahl an gesunden Lebensjahren haben, diejenigen mit der geringsten Bildung die geringste“, sagt Anita Rieder von der MedUni Wien. Rieder leitet das Zentrum für Public Health. Folgt man dem Public Health-Ansatz, so brauchen die heutigen Krankheiten und häufigsten Todesursachen nicht in erster Linie medizinische Lösungen, sondern gesellschaftspolitische. „Die Unterschiede in der Lebenserwartung sind der sichtbarste Ausdruck einer ungerechten Gesellschaft“, sagt Foto: Photographee.eu / Fotolia uf der Website der Statistik Austria kann man sich ausrechnen lassen, wann man sterben wird. Ich habe rein statistisch noch gut 42 Jahre vor mir, bis 2057. Der Onlinerechner geht davon aus, dass ich 87 Jahre alt werde. Verlass ist auf dieses Ergebnis nicht. Es können nämlich auch gut sechs Jahre mehr oder weniger sein. Ich habe allerdings gute Chancen auf die 87 oder mehr. Nicht, weil ich so gesund bin, sondern weil ich einen Hochschulabschluss besitze. Die höhere Bildung verschafft mir – statistisch – einige gesunde Jahre mehr. Es ist der soziale Status, der über die Länge des Lebens entscheidet und auch über die Qualität der letzten Jahre. Der Bil- 14. 8. 2015 Michael Marmot. „Ungerecht deshalb, weil wir diesen Verlust an Lebensjahren mit den entsprechenden Maßnahmen verhindern könnten, es aber nicht tun.“ Marmot spricht davon, dass „Ungleichheit tötet“. In „großem Maßstab“. Der Arzt und Epidemiologe am University College in London gehört zu den ersten Wissenschaftern, die sich systematisch mit den sozialen Ursachen von Gesundheit und Krankheit auseinandergesetzt haben. Schon in den frühen 1980er Jahren stellte er anhand der Gesundheitsdaten von britischen Verwaltungsangestellten, die über mehrere Jahrzehnte erhoben wurden, fest, dass der soziale Status über Erkrankung und Lebenserwartung entscheidet: Je weiter unten in der sozialen Hierarchie, desto kränker ist man und desto früher stirbt man. Dieser „soziale Gradient“ zieht sich durch alle Einkommensschichten, in stetigem Verlauf von oben nach unten. Er lässt sich im globalen Maßstab in den Unterschieden zwischen einzelnen Ländern ebenso wiederfinden wie innerhalb von Ländern, zwischen einzelnen Regionen und Stadtbezirken ebenso wie innerhalb von Unternehmen. 40 Jahre Lebenserwartung trennen die Menschen in SubsaharaAfrika von Menschen in Westeuropa. In Deutschland erreichen 87 Prozent der Männer mit einem hohen Einkommen das 65. Lebensjahr, aber nur 69 Prozent der Männer in niedrigen Einkommensgruppen. In Österreich leben Männer mit Hochschulabschluss rund 6,2 Jahre länger als Männer mit Pflichtschulabschluss. Wer im Osten Österreichs lebt, erkrankt häufiger an Herz-Kreislauferkrankungen und stirbt früher als im Westen Österreichs. 4,6 Jahre Lebenserwartung trennen den ersten Wiener Bezirk vom 20. Wiener Bezirk, ein Raucher mit höherem Einkommen lebt länger als der Raucher mit dem nächstgeringeren Einkommen. Soziale Ursachen von Krankheit lassen sich schwer medizinisch besiegen: „Die Medizin stößt an ihre Grenzen, wenn es um die gesundheitlichen Folgen sozialer Ungleichheit geht“, sagt Anita Rieder. Für die häufigsten Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, aber auch bestimmte Krebsarten und psychische Erkrankungen sind die sozialen Zusammenhänge gut belegt. Länder mit einem gut ausgebauten Sozialsystem weisen nicht so drastische Unterschiede zwischen Wiener Journal 11 den sozialen Schichten hinsichtlich Lebensqualität und -erwartung auf. „Man nennt das gern ‚Wohlfahrtsstaat‘“, sagt Rieder, „die Sozialsysteme sind aber extrem wichtig, um die soziale und damit die gesundheitliche Ungleichheit zu begrenzen.“ Armut und große Einkommensunterschiede in den Gesellschaften sind Gesundheitsrisiken, denen man medizinisch nicht beikommen kann. „Gesundheitspolitik heute muss gezielt soziale Determinanten der Gesundheit ansprechen und geht über die klassische, an der Medizin orientierte Versorgung hinaus.“ Umstände machen krank Soziale Ungleichheit schlägt sich von Kindesbeinen an auf die Gesundheit nieder – und bleibt dort. „Zehn bis 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Österreich stehen unter erheblichen psychosozialen Belastungen“, sagt Klaus „Die Unterschiede in der Lebenserwartung sind der sichtbarste Ausdruck einer ungerechten Gesellschaft.“ Vavrik. Der Mediziner leitet das Ambulatorium für Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie in der Fernkorngasse im elften Wiener Bezirk und ist der Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Es sind vor allem die sogenannten „Lebensstilerkrankungen“ wie Adipositas, Haltungsschäden, Sucht, Entwicklungsstörungen sowie psychosoziale Belastungsstörungen und weniger die Mangelerkran- kungen und Infektionen früherer Zeiten, von denen sie betroffen sind. „Das sind Krankheiten, die man nicht einfach auskurieren kann“, sagt Vavrik.„Es sind Krankheiten, die man ins Erwachsenenalter mitnimmt, die chronisch werden.“ Überdurchschnittlich häufig von Lebensstilerkrankungen betroffen sind Kinder, die armutsgefährdet sind bzw. in manifester Armut leben. In Österreich sind das etwa 300.000 Kinder. „Wer als Kind arm ist, fernere Lebenserwartung in Österreich im Alter von 45 70 Jahre 60 Jahre 50 Jahre 45 Jahre noch 27,0 Jahre noch 20,2 Jahre noch 15,9 Jahre noch 27,0 Jahre noch 24,3 Jahre noch 18,0 Jahre 40 Jahre 30 Jahre 20 Jahre 10 Jahre 0 Jahre Männer Höhere Schule, Hochschule Frauen Lehre, Mittlere (Fach-)Schule Pflichtschule Die sogenannte „fernere Lebenserwartung“ bei subjektiv empfundener „sehr guter Gesundheit“. Das bedeutet, ein 45-jähriger Mann mit Hochschulabschluss, der sich selbst bei sehr guter Gesundheit fühlt, hat wahrscheinlich noch 27 solcher gesunder Lebensjahre vor sich. Derselbe Mann mit Pflichtschulabschluss nur 15,9. Quelle: Statistik Austria, Bildungsspezifische Sterbetafeln 2006/07, Österreichische Gesundheitsbefragung 2006/07. Jüngere Daten zum Zusammenhang von Bildung und Lebenserwartung existieren für Österreich nicht. Auch fehlen in Österreich Kohortenstudien, um den Zusammenhang von sozioökonomischer Ungleichheit und Gesundheit systematisch zu untersuchen, und vor allem, um zu messen, welche Maßnahmen geeignet sind, gesundheitliche Ungleichheit zu mindern. 12 Wiener Journal 14. 8. 2015 hat ein erhöhtes Risiko, frühzeitig an Herz-Kreislauferkrankungen zu sterben“, sagt Vavrik. Er nennt einige Faktoren, die dazu beitragen können: der durch Existenzängste beförderte Stress in den Familien, Gewalterfahrungen, ein Wohnumfeld, das gesundheitlich belastet, weil die Wohnungen an Ausfallstraßen oder Verkehrsadern mit hoher Feinstaub- und Lärmbelastung liegen, eine an Kalorien reiche, aber an Nährstoffen arme Ernährung; wenig Bewegung und die Erfahrung sozialer Demütigung. „Der wirksamste Ausweg daraus wäre Bildung, aber auch bei der Bildungsmobilität schneidet Österreich nicht gerade gut ab.“ Armut und damit Krankheit werden vererbt. Bildung wirkt Es geht nicht allein um das Vorhandensein oder eben Nichtvorhandensein von Geld. Zwar ist es auf nationaler Ebene tatsächlich so, dass die Länder mit geringeren Einkommensunterschieden auch die Länder sind, in denen Aidserkrankungen, Teenager-Schwangerschaften und psychische Erkrankungen seltener und die Sterblichkeit aufgrund von übertragbaren und nicht-übertragbaren Krankheiten und Unfällen geringer ist. Das ist ein Ergebnis einer Untersuchung der Forschungsgruppe um den Mediziner Russell M. Viner, der wie Marmot ebenfalls am University College London forscht. Ein genauerer Blick auf die Wirkmechanismen von Ungleichheit brachte in der Untersuchung auch zutage, dass Bildungs- und Sozialsysteme großen Einfluss auf die Gesundheit von Jugendlichen haben. „Länder, die mehr Jugendliche in einer über die Pflichtschule hinausgehenden Ausbildung haben, haben insgesamt niedrigere Sterblichkeitsraten“, heißt es in der Studie. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die Gesundheit von Jugendlichen am stärksten durch strukturelle Faktoren wie nationalen Wohlstand, Sozialsysteme, Einkommensverteilung und den Zugang zu Bildung beeinflusst wird. Familiäre und schulische Sicherheit und Förderung sowie ein förderndes und sicheres soziales Umfeld unter Gleichaltrigen sind darüber hinaus maßgebliche Faktoren, damit Jugendliche gesunde Erwachsene werden. Neben der frühen Kindheit seien es gerade die Jahre zwischen zehn und achtzehn, in denen sich 14. 8. 2015 soziale Ungleichheit besonders kritisch auswirkt, schreiben die Autoren. Sie plädieren dafür, insbesondere in Ausbildung und Arbeitsplätze für Jugendliche zu investieren, um spätere Erkrankungen und frühe Sterblichkeit zu verhindern. So früh wie möglich Auch wenn die Zusammenhänge immer deutlicher werden: Noch schlagen sich die Erkenntnisse nicht entsprechend ihrer Bedeutung in der Gesundheitspolitik nieder. Klaus Vavrik argumentiert für den Bereich der psychosozialen Belastungsstörungen, dass jeder Euro, der in sogenannte „Frühe Hilfen“, das sind zum Beispiel Hausbesuche nach Geburten oder Maßnahmen der Frühförderung, investiert wird, auf das 18-Fache zurückkommt. Viele europäische Länder verfolgen unterdessen individualisierende Ansätze der Gesundheitsvorsorge: Aufklärung über gesunde Ernährung beispielsweise oder Bewegungsprogramme. Sinnvolle Maßnahmen durchaus, sagt auch Michael Marmot. Allerdings müsse stärkeres Augenmerk darauf gelegt werden, dass gerade die Risikogruppen, also sozial schwächere Familien, diese Angebote auch wahrnehmen können. Sonst haben solche Ansätze das Potenzial, soziale Ungleichheiten zu verstärken. Wer gebildeter ist, ist auch aufgeschlossener für eine gesunde Ernährung, obwohl er sie vergleichsweise weniger dringend braucht. Anita Rieder plädiert dafür, die Gesundheitseffekte stärker auch in anderen Politikfeldern bei der Gestaltung von Maßnahmen zu berücksichtigen – in der Steuerpolitik ebenso wie in der Stadtplanung oder im Wohnbau. „Weil die Risikoverteilung ungleich ist, muss man darauf achten, Ungleichheiten nicht zu verstärken, sondern im Gegenteil abzuschwächen.“ Anita Rieder, Zentrum für Public Health (MedUni Wien). Foto: Thomas Preiss Michael Marmot, University College London. Foto: Wikipedia Alpbach-Info Gesundheit und Ungleichheit beim Europäischen Forum Alpbach 2015 Michael Marmot, Anita Rieder und Klaus Vavrik sind bei den Gesundheitsgesprächen des diesjährigen Europäischen Forums Alpbach mit Seminaren und Vorträgen zu erleben. Gesundheitsgespräche 23.-25. August 2015 Klaus Vavrik, Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Foto: Peter Hautzinger Wiener Journal 13 Die Parade der Habenichtse D er niederländische Ökonom Jan Pen publizierte 1971 ein Buch mit dem Titel „Economic Inequality“. Zur Veranschaulichung sozialer Ungleichheit griff er zu folgendem anschaulichen Bild, das von Ökonomen „Pens Parade“ genannt wird: Eine Stunde lang sollten die Einkommensbezieher eines Landes an den Zuschauern in einer Parade der sozialen Ungleichheit vorbeimarschieren, wobei die Körpergröße genau ihrem Einkommen entsprechen sollte. Angenommen, die österreichische Parade zieht über die Wiener Ringstraße und die Köpergröße aller Beteiligten wäre proportional zu ihrem Einkommen (präziser: Die Größe des Haushaltsvorstands wäre proportinal zum Haushaltseinkommen): Die Zuschauerinnen und Zuschauer wären genau 1,72 Meter groß – was exakt der Größe eines durchschnitt- 14 Wiener Journal lichen Österreichers (Durchschnittseinkommen: 43.891 Euro) entspricht. Zu Beginn der Parade marschieren Winzlinge in Käfergröße auf, sie repräsentieren Menschen ohne reguläres Einkommen, die sich von Tag zu Tag durchschlagen müssen. Nach fünf Minuten sind die Zwerge mit ihren rund 10.000 Euro Jahreseinkommen gerade einmal kniehoch. Eine endlos anmutende Prozession der Einkommensliliputaner zieht vorbei, Arbeiter mit geringeren Qualifikationen, Büro-Boten und Portiere, Menschen, die in Fastfood-Restaurants oder Handelsketten arbeiten. Zur Halbzeit der Parade, nach 30 Minuten, sind die Vorbeimarschierenden mit ihren 32.593 Euro Jahreseinkommen immer noch erst kindsgross mit ihren 1,28 Metern Größe. Es dauert dann noch weitere zehn Minuten, bis die durchschnittlich großen Zuschauer auf Augenhöhe mit den Vor- Das Europäische Forum Alpbach widmet sich im 70. Jahr den Ursachen der sozialen Ungleichheit, stellt die Frage, ab wann sie zum Problem wird und wie gegengesteuert werden kann. Text: Thomas Seifert Illustrationen: Peter M. Hoffmann beimarschierenden sind. Der Pulk besteht aus Kleingewerbetreibenden, Händlern, gut ausgebildeten Industrie- oder Büroarbeitskräften. Die Kohorte der Durschnittsverdiener marschiert gerade vobei. Von nun an geht alles ganz schnell: Nach 45 Minuten Parade marschieren die Vorbeiziehenden schon in Zwei-Meter-Basketballergröße vorbei (52.980 Euro Jahreseinkommen), bei Minute 54 kommen DreiMeter-Riegel, bei Minute 57 Vier-Meter-Riesen, eine Minute später Fünf-MeterGiganten (124.539 Euro Jahreseinkommen). In den letzten Sekunden schießen die Hochwüchsigen förmlich in den Himmel: Mit 369.776 Euro Jahreseinkommen sind die Marschierer des letzten Perzentils – so nennen die Ökonomen die Prozentränge, in die sie die Einkommensklassen einteilen – 14,5 Meter groß. Bundespräsident Heinz Fischer mit seinen 336.462 Euro Jahreseinkommen ist vor einem Sekundenbruchteil vorbeigehuscht, doch nun dominieren erfolgreiche Anwälte, Banker, Manager, Ärzte, Architekten. Von Österreichs Gehaltskaisern, die in den letzten Bruchteilen einer Sekunde vorbeisausen, wie dem NochOMV-Chef Gerhard Roiss oder Erste-Group-Chef Andreas Treichl sehen die Zuschauer gerade einmal die 14. 8. 2015 Schuhsohle, erst wenn sie den Kopf weit nach hinten neigen, können sie diese Giganten – so groß wie der Südturm des Wiener Stephansdoms (136,4 Meter) – in ihrer riesenhaften Gestalt erkennen. Sich diese Parade vorzustellen, ist lehrreich: Sie zeigt nicht zuletzt, wie sehr ein Durchschnittswert in die Irre führen kann. Denn die meisten Haushalte können sich nicht über ein Einkommen von rund 43.891 Euro freuen, der viel aussagekräftigere Medianwert (32.249 Euro) liegt weit unter dem Durchschnittswert. Denn der Median lässt die Ausreißer-Werte (in diesem Fall die astronomischen Jahreseinkommen des reichsten Prozent der Bevölkerung) außer Acht. Bei diesen ominösen 32.249 Euro verdienen genau die Hälfte der Einkommensbezieher weniger und genau die andere Hälfte mehr. Eine vergleichsweise kleine Handvoll extrem gut bezahlter Menschen zieht den Durchschnittswert scharf nach oben. Steigende Ungleicheit Neben Pen’s Parade können sich Ökonomen für den sogenannten Gini-Koeffizienten begeistern. Dieser recht brauchbare Indikator gibt ein 14. 8. 2015 Maß für soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft an: Bei einem Gini-Wert Null haben alle gleich viel, beim Wert Eins hat einer alles und die anderen gar nichts. Ein höherer Gini-Koeffizient ist somit ein Maß für eine ungleichere Gesellschaft. Die schlechte Nachricht: Der Gini-Koeffizient steigt in den meisten westlichen Gesellschaften. In Österreich liegt dieser Wert derzeit bei 0,28, in Deutschland bei 0,29, in Großbritannien bei 0,35 und in den USA bei 0,40. Warum steigt der Gini-Koeffizient? In den zwei Dekaden vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 sind die Haushaltseinkommen in den OECDStaaten der wichtigsten Industrienationen um rund 1,7 Prozent jährlich gestiegen, wobei in den meisten Ländern die Haushaltseinkommen der wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte schneller als jene in den ärmsten zehn Prozent der Haushalte gewachsen sind. In Österreich liegen die Durchschnittseinkommen der reichsten zehn Prozent der Haushalte heute siebenmal höher als jene der ärmsten zehn Prozent. Der Unterschied zwischen den ärmsten und den reichsten zehn Prozent ist in Ländern wie Deutschland, Holland, der Schweiz und den skandinavischen Ländern geringer als in Österreich, in Italien, Japan, Korea und Großbritannien liegt dieser Wert höher, und zwar beim Faktor 10, in der Türkei und den USA bei 14. Der Anstieg des Gini-Koeffizienten begann in den späten 70ern und frühen 80ern zuerst in den englischsprachigen Ländern, in den 90ern weitete sich dieser Trend aus und ab dem Jahr 2000 stieg der Wert auch in Ländern mit egalitärerer Tradition wie Deutschland, Österreich und den nordischen Ländern an. Warum das so ist? Die Lehrbuch-Erklärung: Neue Technologien und die fortschreitende Globalisierung haben die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften erhöht und die nach unqualifizierten verringert. Unqualifizierte Tätigkeiten wurden ins Ausland verlagert oder die Arbei- Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Doch der Ökonom Thomas Piketty destilliert dieses Naturgesetz des Kapitalismus in eine ganz und gar nicht vulgäre, knappe und saubere Formel: r > g. Wenn die Kapitalrendite über der Wachstumsrate liegt, dann folgt daraus, dass ererbtes Vermögen schneller wächst als Produktion und Einkommen – die Ungleichheit steigt. Wiener Journal 15 ter durch Roboter ersetzt. Dadurch hätten vor allem die unteren Einkommensschichten gelitten. Die oberen Einkommensschichten konnten im Gegenzug profitieren, da die modernen Ökonomien immer mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte brauchen. Steigende Gewinne Doch Tony Atkinson, der Doyen der Ungleichheitsforscher, lieferte vor einiger Zeit in einem Essay in der „Wiener Zeitung“ eine alternative Deutung: Die Spitze der Einkommenspyramide würde ihre Einkommenshöhe selbst mit dem Arbeitgeber verhandeln, während die unteren Einkommensschichten auf die Verhandlungsmacht der organisierten Arbeitnehmerschaft angewiesen sind. Atkinson argumentiert, dass es vielfach politische Weichenstellungen waren, die ab den 1980er Jahren dazu führten, dass die Einkommensschere aufging: 16 Wiener Journal Der Milliardär George Soros, der Nobelpreisräger Paul Krugman, der gefeierte Ökonomen-Popstar Thomas Piketty, der Ungleichheits-Forscher Branko Milanović, der Ökonom John Maynard Keynes und Joseph Stiglitz (v.l.n.r.) – sie alle halten soziale Ungleichheit für hochproblematisch. 0,47 m 12030,40 Euro 0,66 m 16872,15 Euro 6 min 10. Perzentil 12 min 20. Perzentil Die Gewerkschaften wurden überall in der OECD geschwächt, die staatlichen umverteilungspolitischen Maßnahmen wurden zurückgefahren, die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Nettoinlandsprodukt, ist von fast 75 in den 90er Jahren auf 69 Prozent gesunken, obwohl der Anteil der lohnabhängig Beschäftigten in etwa gleich geblieben ist. Wäre die Lohnquote heute genauso hoch wie noch vor 20 Jahren, dann hätte jeder Arbeitnehmer im Jahr durchschnittlich über 3000 Euro mehr Lohn bekommen. Im Gegenzug ist die Gewinnquote – Einkommen aus Vermögen wie Aktien, Mieten, Zinsen, Gewinne – auf über 30 Prozent gestiegen. Das bedeutet: Im beständigen Ringen zwischen Arbeit und Kapital, über das Karl Marx im siebten Abschnitt Band I seines Monumentalwerks „Das Kapital“ geschrieben hat, hatte zuletzt das Kapital die Oberhand. 0,84 m 21466,92 Euro 18 min 30. Perzentil Der Wirtschafts-Nobelpreisträger und Kolumnist der „New York Times“, Paul Krugman, widmet sich in seinem Buch „Vergesst die Krise“ der Frage, warum die Reichen und Superreichen den Normalsterblichen in punkto Einkommen und Vermögen derart davonziehen konnten. Sein Schluss: In der Welt der Reichen sind die Gesetze von Angebot und Nachfrage außer Kraft gesetzt. Denn die Spitzengehälter von CEOs, schreibt Krugman, würden von Kommissionen festgelegt, 1,02 m 26151,52 Euro 24 min 40. Perzentil 1,25 m 31905,28 Euro 30 min 50. Perzentil 14. 8. 2015 und die wiederum würden von den CEOs selbst einberufen. Einigen Superreichen wird diese Entwicklung langsam unheimlich: Der aus Ungarn stammende Investor und Philanthrop George Soros hat gemeinsam mit anderen Milliardärsfreunden die Gruppe „Patriotische Millionäre“ gegründet, mit dem Ziel, die Steuern für Wohlhabende in den USA zu erhöhen. Sie sind der Meinung, dass in Zukunft auch jene, die ihren Reichtum nicht geerbt haben, einen Anspruch auf ihren Anteil am amerikanischen Traum haben sollten. Soros und Warren Buffett glauben, dass ein Staat, der nicht adäquat in Bildung, Infrastruktur und Technologie investiert, die nächsten Generationen um ihre Lebenschancen bringt. Und sie glauben, dass eine immer mehr in Reich und Arm auseinander- 1,54 m 39277,85 Euro 36 min 60. Perzentil 14. 8. 2015 1,87 m 47711,03 Euro 42 min 70. Perzentil driftende Gesellschaft Gefahr läuft, zu zerbrechen. Der wie ein Popstar gefeierte Ökonom Thomas Piketty hat wiederum Erben als ein Grundübel ausgemacht, das zu stetig steigender Ungleichheit führt: „Wenn die Kapitalrendite über der Wachstumsrate einer Volkswirtschaft liegt, dann folgt daraus logischerweise, dass ererbtes Vermögen schneller wächst als Produktion und Einkommen“, schreibt er im Einleitungskapitel des Millionenbestsellers „Kapitalismus im 21. Jahrhundert“. Man könnte es auch vulgärer formulieren: Der Teufel scheißt immer auf den 14,49 m 369776,43 Euro Die Parade vom Habenix zum Millionär So würde eine einstündige Parade von Österreichs Einkommensbeziehern aussehen, wenn die Körpergröße proportional zum Einkommen wäre: Erst nach 42 Minuten kämen die Durchschnittsverdiener, Spitzenmanager wären so groß wie der Stephansdom. Quelle: Stefan Humer (2015) Berechnungen auf Basis des HFCS 2010 2,34 m 59722,08 Euro 48 min 80. Perzentil 3,05 m 77951,54 Euro 54 min 90. Perzentil 60 min 100. Perzentil Wiener Journal 17 größten Haufen. Wenn es so weitergeht, sagt Piketty, dann entsteht die Welt von morgen so, wie Europa im 19. Jahrhundert ausgesehen hat und von der Jane Austen oder Honoré de Balzac erzählten – eine patrimoniale Gesellschaft, in der eine kleine Gruppe von Reichen und Superreichen sehr gut lebt und sich auf den Früchten des geerbten Vermögens ausruhen kann, während der Rest sich abmühen muss, um im Kampf ums Dasein zu bestehen. WU-Ökonom Wilfried Altzinger rechnet für Österreich vor, dass in den kommenden dreißig Jahren ein Volumen von rund 25 Milliarden Euro pro Jahr vererbt werden wird – 65 Prozent der Bevölkerung werden hingegen so gut wie nichts erben. Dass die Steuern und Abgaben auf Arbeit mit 56,8 Prozent einen EURekord-Wert bilden, während Österreich bei den vermögensbezogenen Steuern mit 2,3 Prozent Besteuerung auf Platz 24 des EU28-Reichensteuern-Rankings liegt, ist daher für Experten wie Altzinger unverständlich. 18 Wiener Journal Ein gewisses Maß an Ungleichheit sei aber nicht so schlimm, sagen hingegen Hanno Lorenz und Michael Christl von der liberalen Wirtschaftsdenkfabrik Agenda Austria: „Ein gewisses Maß an sozialer Ungleichheit ist sogar Voraussetzung für wirtschaftliche Dynamik.“ Die Zunahme an sozialer Ungleichheit der Einkommen habe in Österreich zudem mit einer höheren Zahl von Pensionisten, Singlehaushalten und Teilzeitarbeit zun tun. Als Hauptursache der ungleichen Vermögensverteilung sehen die beiden Agenda-AustriaExperten den im internationalen Vergleich aufgrund attraktiverer Mieten geringeren Immobilienbesitz und die vergleichsweise höhere Anzahl an Single-Haushalten. Was soll aus Sicht liberaler Ökonomen gegen soziale Ungleichheit unternommen werden? Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, hält das Angebot von Bildungschancen – neben umverteilungspoli- tischen Maßnahmen des Sozialstaats – für das tauglichste Instrument, soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Die unterschiedliche Bereitschaft von Menschen, ökonomische Risiken einzugehen, die zu unterschiedlichen Einkommen führen, könne man kaum verändern. Keynes Vision Eine immer mehr in Reich und Arm auseinanderdriftende Gesellschaft läuft Gefahr, zu zerbrechen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hatte in den 1930er Jahren einen Traum: Damals hielt er eine Vorlesung mit dem Titel „Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“, in der er davon fantasierte, dass die heutigen Generationen bei steigendem Wohlstand viel weniger arbeiten müssten. Die technologischen Möglichkeiten würden die Produktivität so weit erhöhen, dass genügend für alle da sein würde. Keynes schwärmte von „wirtschaftlicher Seligkeit“ und davon, dass für „immer größere und größere Schichten und Gruppen von Menschen“ sich „Probleme wirtschaftlicher Notwendigkeit einfach nicht mehr stellen“. Keynes hat aber freilich unterschätzt, wie wenig jene, die über diese neuen Produk- 14. 8. 2015 tionsmöglichkeiten verfügen, bereit sein würden, die Früchte dieser Produktivitätsfortschritte mit den anderen zu teilen. Von Keynes Traum ist daher nichts geblieben. Der aus Serbien stammende Ungleichheits-Ökonom Branko Milanović schreibt in seinem Buch „The Haves and the Have-nots“ über die vielen Gesichter der Ungleichheit. So gebe es soziale Ungleichheit innerhalb eines Landes. Ungleichheit zwischen verschiedenen Ländern, wie dem reichen Katar oder Singapur (Österreich ist bezogen auf das Bruttosozialprodukt pro Kopf immerhin das zwölftreichste Land der Welt) und dem bettelarmen Kongo, Burundi und der Zentralafrikanischen Republik. Gleichheit ist Glück? Franz Fischler, Präsident des Europäischen Forums sagt, dass man sich beim diesjährigen Denker-Festival in Alpbach auch mit der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und der Frage der Generationengerechtigkeit widmen wird. Wie soziale Ungleichheit sich in einem schlechteren Gesundheitszustand und schlechteren Bildungschancen für die Benach- 14. 8. 2015 Läßt sich Wohlstand in Zukunft nur mehr ererben? Das Heer der Habenichtse ist in westlichen Gesellschaften angewachsen, die Rufe nach einem neuen Robin Hood wurden vor allem nach Ausbruch der Krise im Jahr 2008 lauter. teiligten in der Gesellschaft auswirkt, wird man ebenfalls in Alpbach diskutieren. Alles Fragen, die Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem Buch „Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ aufgeworfen haben. In Ländern mit höherer sozialer Ungleichheit gebe es mehr Verbrechen, eine höhere Kindersterblichkeit, mehr übergewichtige Bürgerinnen und Bürger mit einer verkürzten Lebenserwartung – Frauen würden in solchen Gesellschaften stärker diskriminiert. Die These von Wilkinson und Pickett: Sozial gerechtere Gesellschaften würden sich besser schlagen, weil Menschen in kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern aufgewachsen sind, die ihr Essen teilen. In Alpbach, meint Philippe Narval, Geschäftsführer des Teams des Europäischen Forums, soll darüber „ohne ideologische Scheuklappen“ diskutiert werden. Das Thema hat also zunehmend Konjunktur: Zuletzt wurde an der London School of Economics das „International Ine- qualities Institute“ gegründet, an der WU Wien wird am 18. September das Forschungsinstitut „Economics of Inequality“ aus der Taufe gehoben, das sich sozialen und ökologischen Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung widmen wird. Welche Wege gibt es aus der Ungleichheits-Falle? Die Experten raten zu einer Sozialstaats-Reform und höheren Steuern auf Vermögen bei gleichzeitiger Senkung der Steuern auf Arbeit. Der Amerikaner Joseph Stiglitz schreibt in seinem im September erscheinenden Buch „Reich und Arm“, dass nur die Politik und nicht der Markt das Problem lösen kann. Nur wenn die Regierungen wieder die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen, könne der Graben zwischen Reich und Arm überwunden werden. Wiener Journal 19 Was braucht der Mensch? Mit sozialer Ungleichheit hat sich vor mehr als zweitausend Jahren ein griechischer Denker auseinandergesetzt. Es war Aristoteles, der ein Konzept des Wohlfahrtsstaates entwickelte, auf das sich in unseren Tagen die feministische Philosophin Martha Nussbaum beruft. Text: Christian Hoffmann 20 Wiener Journal M artha C. Nussbaum, Jahrgang 1947, ist eine bemerkenswerte Frau. Derzeit unterrichtet sie als Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der Universität von Chicago. Wenn man ihren Namen in das Videoportal YouTube eingibt, ist man mitten in ihren Vorlesungen und sieht eine elegante Frau, die lebhaft spricht und um vieles jünger wirkt, als sie den Jahren nach ist. Ihr Leben lang hat sich Martha Nussbaum leidenschaftlich in politische Debatten eingebracht, war an den aktuellen Entwicklungen des amerikanischen Feminismus beteiligt und hat bahnbrechende Arbeit auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik geleistet. Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entwickelte sie gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensge- 14. 8. 2015 fährten Armatya Sen an der Universität der Vereinten Nationen ein neues Konzept für die Entwicklungs- und Sozialpolitik: den Befähigungsansatz, englisch „capability approach“, einem modernen Versuch, Lebensqualität zu messen. In ihrer Arbeit beruft sich Martha Nussbaum immer wieder auf einen Autor: Aristoteles. Die Ansichten zur sozialen Verantwortung des Staates für seine Bürger, die der griechische Philosoph im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung entwickelt hat, hält sie unermüdlich dem amerikanischen Liberalismus entgegen. Obwohl sie die Beschränktheit der griechischen Demokratie jener Zeit einräumt, die Sklaverei und das Fehlen von Rechten für Frauen, sieht sie in den Gedankengängen des Aristoteles Grundlagen für eine Poli- tik, die für eine die Mehrheit der Bürger eines Landes zu einem guten Leben führen könnte. Ganz am Anfang ihrer Schrift „Der aristotelische Sozialdemokratismus“ erinnert sie zum Beispiel an die Auffassungen des Griechen über das Verhältnis von Privatbesitz und Gemeinbesitz an Grund und Boden. Für Aristoteles stand nämlich fest, dass ein Übermaß an Privatbesitz für die Gesellschaft schädlich wäre, da eine Gruppe von Armen entstünde, die von der Teilnahme an demokratischen Prozessen ausgeschlossen wäre. Deswegen hält er in seiner Schrift „Politik“ fest: „Hiernach ist es nun erforderlich, dass der ganze Grund und Boden in zwei Teile geteilt wird und der eine derselben Gemeinbesitz, der andere aber Privatbesitz ist.“ Frauen in Bangladesch (linkes Bild): Wie stellen sie sich ein gutes Leben vor? – Armut in Athen: Aristoteles warnte schon vor zweitausend Jahren vor einer Spaltung der Gesellschaft. Fotos: SK Hasan Ali / Demotix / Iakovos Hatzistavrou / Pacific Press / Corbis 14. 8. 2015 Wiener Journal 21 Diese Konzeption des Aristoteles läuft auf eine Art Mindestsicherung hinaus: „Kein Bürger darf an Lebensunterhalt Mangel leiden.“ Wobei diese Idee der sozialen Verantwortung den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken soll. Der Gemeinbesitz müsse dafür verwendet werden, fordert der Philosoph, die gemeinsamen Mahlzeiten aller (!) Bürger und öffentliche Veranstaltungen wie Theateraufführungen zu finanzieren. Damit grenzt sich Aristoteles von Sparta ab, wo zu jener Zeit die Bürger selbst einen Beitrag für die öffentlichen Mahlzeiten leisten mussten und die Armen kaum in der Lage waren, sich an diesen Veranstaltungen zu beteiligen. Im Gegensatz dazu verlangt der Athener, dass der Staat seine Bürger konsequent in die Lage versetze, am öffentlichen Leben teilzunehmen. „So wird nämlich der Forderung der Gleichheit und Gerechtigkeit entsprochen.“ Diese Gedanken erscheinen tatsächlich so radikal sozialdemokratisch, dass mancher moderne Sozialdemokrat im Zeitalter des wütenden Sparens (auf Kosten der jeweils anderen, versteht sich) bei ihrer Lektüre erröten müsste. Das gute Leben Wie aber kann man nun das gute Leben näher bestimmen? Was braucht der Mensch wirklich? Bedeutet das gute Leben ganz einfach Reichtum, ein Übermaß an materiellen Gütern, das Schlaraffenland? – Selbstverständlich nicht, wie bereits Aristoteles wusste. Martha Nussbaum fasst seinen Standpunkt markant zusammen: „Die Nützlichkeit des Geldes für ein menschliches Leben hat ihre Grenze, wenn ein Mensch dank des Geldes die Stufe erreicht hat, auf der er zu einem guten Leben fähig ist; danach ist ein Mehr nicht unbedingt besser und kann sogar schlechter sein.“ Nein, die Grundidee eines guten Lebens lässt sich nicht quantitativ erfassen, sondern muss inhaltlich bestimmt sein. Und diese inhaltlich Bestimmung kann auch nicht einfach empirisch durch Umfragen ermittelt werden, wie Martha Nussbaum in „Der aristotelische Sozialdemokratismus“ anhand eines Projektes in Bangladesch zeigt. Dabei ging es darum, dass die Frauen eines Dorfes Lesen und Schreiben lernen sollten. Umfragen ergaben, dass diese Frauen mit dem bisherigen Stand der Dinge zufrieden waren und keinen Wunsch nach Veränderungen äußerten, was leicht einleuchtet, wenn man bedenkt, wie Nussbaum schreibt, „wie stark die kulturellen Kräfte sind, die die Frauen dahingehend beeinflussen, nicht mehr Bildung zu fordern oder auch nur zu wünschen“. Erfolg hatte dieses Projekt erst, als die Forscher das Leben in dem Dorf genauer studierten „und fragten, was die Frauen tun könnten, um die wichtigsten Tätigkeiten auszuüben und ein 22 Wiener Journal Die Menschen zum guten Leben befähigen: die Philosophin Martha Nussbaum. Foto: Jana Leon / Corbis gutes Leben zu führen“. Daraus entstanden dann Kooperativen, die nach und nach die Rolle der Bildung in verschiedenen Lebensbereichen klärten und daraus Motive für eine Alphabetisierung entwickelten. Ausgehend von solchen Erfahrungen entstand in den Jahren, in denen Martha Nussbaum mit dem indischen Ökonomen Armatya Sen im Auftrag der UNO zusammenarbeitete, der Befähigungsansatz, zumeist angesprochen als „capability approach“, eine Art Katalog von kulturübergreifenden menschlichen Grundbedürfnissen. Ausgehend von der Grunderfahrung der Sterblichkeit und dem Wunsch zu leben, umfassen sie unter anderem körperliche und gefühlsmäßige Erfahrungen, die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten, das Erlebnis von Vertrauen, die Fähigkeit, Vorstellungen des Guten zu entwickeln, Erfahrungen der Gemeinschaft, Erlebnissen von Freude und Spiel bis hin zu den Bedürfnissen von Individuen sich abzugrenzen. Dieser Katalog kann sowohl als weltweit gültige Liste von Mindeststandards für ein gutes Leben gesehen werden als auch als wissenschaftlich anwendbares Instrument, wenn es darum geht, den sozialen Zustand einer Gesellschaft zu beurteilen. Der Inder Armatya Sen sah darin die Möglichkeit, die Lebensqualität in verschiedenen Ländern dieser Erde präziser zu bestimmen, als es mit den Ziffern der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung möglich wäre. Und für Martha Nussbaum bleibt die aristotelische Forderung aktuell, dass es die Aufgabe jedes Staates ist, seine Bürger dazu zu befähigen, die Grundbedürfnisse, die in dem Katalog des „capability approach“ aufgelistet sind, zu befriedigen. Und es scheint hoch an der Zeit, die Funktionsträger der modernen Staaten an diese Gedanken zu erinnern. Nachlesen Martha C. Nussbaum: Gerechtigkeit oder Das gute Leben. Gender Studies. Herausgegeben von Herlinde Pauer-Studer. Aus dem Amerikanischen von Ilse Utz. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1999. 315 Seiten. Geld Geld kann kann vieles vieles kaufen. kaufen. GUTE GUTEARGUMENTE ARGUMENTE GEHÖREN GEHÖRENALLEN. ALLEN. facebook.com/arbeit.wirtschaft facebook.com/arbeit.wirtschaft twitter.com/AundW twitter.com/AundW Herausgegeben Herausgegeben von AK und vonÖGB AK und ÖGB www.arbeit-wirtschaft.at www.arbeit-wirtschaft. Alpbach in Erinnerungen 24 Wiener Journal 14. 8. 2015 1945, Gründer des Forums Alpbach Otto Molden (2.v.l.) mit Forumsteilnehmern. Blitzlichter aus der Geschichte des Europäischen Forums Alpbach anhand von Zeitzeugen und Berichten in der „Wiener Zeitung“. Foto: Archiv EFA Text: Barbara Ottawa B 1947, Arbeitsgemeinschaft. 14. 8. 2015 Foto: EFA ücher, historische Abrisse und Sonderberichte zur Geschichte des Europäischen Forum Alpbach, das 1945 ins Leben gerufen wurde, gibt es viele. Dieses Jahr wird eine neuerliche historische Aufarbeitung durch Maria Wirth vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, vorgestellt (siehe Buchtipp). Doch die alltäglichen Dinge, an die sich Zeitzeugen wie Rudolf Schönwald gerne erinnern, werden selten zu Papier gebracht. Der Maler und Grafiker war noch keine 30 Jahre alt, als er „aus persönlichen Gründen“, wie er es formuliert, nach Alpbach reisen wollte. Der Zufall und sein Freund Markus Prachensky kamen ihm dabei 1957 zu Hilfe. Der Malerkollege bot Schönwald an, sein Stipendium für das Forum Alpbach – bei dem in diesem Jahr eine Ausstellung „Das junge Österreich“ auf dem Programm stand – zu teilen. „Prachensky meinte, er werde es ohnehin nicht länger als drei oder vier Tage in Alpbach aushalten“, erzählt Schönwald im Gespräch. „Letztendlich ist er drei Wochen geblieben und ich zehn Tage und unser Stipendium sowie das Anrecht auf drei Essensmarken pro Tag wurden dankenswerterweise ständig verlängert.“ Sein bis heuer einziger Besuch beim Forum Alpbach gehört deshalb für den 87-Jährigen zu seinen „schönsten Erinnerungen“. Er habe dort eine „so freundliche und freundschaftliche Behandlung wie noch nie“ erfahren, und das obwohl man ihn nicht kannte. Überhaupt sei damals „alles kleiner und noch nicht 100 Mal ausprobiert gewesen“, beschreibt Schönwald den Aufenthalt unter großen Persönlichkeiten in Alpbach. Er zitiert dazu den vom Schriftsteller Gerhard Amanshauser kreierten Ausdruck „Bedeutungsspeck“. Diesen hätten die Menschen damals „noch nicht angesetzt“ gehabt. Dennoch sei eindrucksvoll gewesen, gleich am ersten Abend mit Arthur Koestler, Friedrich Torberg und Wolfgang Pfaundler an einem Tisch zu sitzen. Da er in Alpbach Erwin Schrödinger die Hand schütteln durfte, waren für ihn später Momente, in denen er einen 1000-SchillingSchein in selbiger halten konnte, nicht nur ob der Geldmenge ein besonderes Erlebnis. Wiener Journal 25 Arbeitsplätze in Afrika und Asylpolitik Einen hohen Stellenwert hatten die „Hochschulwochen“, wie sie zunächst bei ihrer Gründung 1945 genannt wurden, praktisch von Beginn an. Im ersten Bericht der „Wiener Zeitung“ zur Veranstaltung anno 1947 wird aus einer Rede des französischen Hochkommissär in Österreich, General Emile Béthouart, aus Alpbach zitiert, in der er unter anderem „das Verdienst hervorhob, welches sich die österreichischen Hochschulwochen in der Auffindung des Weges zum Geist einer neuen Zeit erworben haben.“ Drei Jahre später, kurz vor seinem Amtsende, sprach Béthouart erneut in Tirol. Diesmal präsentierte er ein ungewöhnliches Konzept zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Europäer: „Der Plan zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten, die das übervölkerte Westeuropa nicht geben kann, müsste mit den Programmen wenig bevölkerter Länder (...) in Verbindung stehen (...) Vor allem könnte in Zentralafrika in der Zukunft ein Maximum von Lebensmöglichkeiten geschaffen werden (...) vielleicht ist es nicht paradox, zu sagen, dass die Einheit Europas in Afrika geschaffen wird.“ Als im Jahr 1968 russische Panzer in Prag einrollten, war man beim Forum Alpbach, das traditionellerweise im August bis Anfang September stattfindet, mitten im Weltgeschehen. Per Radio informierte man sich über die neuesten Entwicklungen. Allerdings zeigten sich laut Erinnerungen einiger Teilnehmer in diesen Tagen auch die politischen Gräben zwischen den Anwesenden. Die Bundesregierung ließ sofort verlautbaren, dass sie „zur großzügigen Handhabung des Asylrechts bereit“ sei und „alle Vorkehrungen für beo die Aufnahme von Flüchtlingen getroffen“ habe. Auch das Auftreten der Menschen sei ein anderes gewesen, in diversester Hinsicht. Der junge Maler Josef Mikl sei mit seinem „Maßanzug und englischen Schuhen nicht von einem Ministeriumsbeamten zu unterscheiden“ gewesen. Der Autor Alexander WeißbergCybulski kam mit seinem Chauffeur mit einem Auto mit französischem Kennzeichen an. Aber auch andere Persönlichkeiten erweckten Ehrfurcht unter den anwesenden Studierenden, Künstlern und Ehrengästen: „Wenn Sie wüssten, was es geheißen hat, dass ein Minister vorfährt“, gibt Schönwald zu bedenken. „Der Chauffeur öffnete den Wagenschlag, der Minister entschwebte und alle erhoben sich.“ Laut „Wiener Zeitung“ nahmen in diesem Jahr neben Künstlern und Prominenten auch „500 Studenten und Professoren aus 20 Nationen“ am Forum in Alpbach teil. Handgreiflichkeiten und Völkerverständigung Wahrscheinlich ebenso wichtig wie die Diskussionsrunden und gemeinsamen Mittagessen während des Tages waren die abendlichen Besuche bei den diversen Wirten des Tiroler Alpendorfes. Einerseits kam es natürlich manchmal zu Handgreiflichkeiten, wobei sich Schönwald heute nicht mehr erinnern kann, warum H.C. Artmann etwa in Konflikt mit einem anwesenden Elefantenjäger und Abenteurer geraten war. Oder warum ein Filmemacher den Postwirt „mit einem brillanten Judogriff aus seinem eigenen Gasthaus befördert“ hatte. Die Wirtsstuben konnten aber auch der Völkerverständigung dienen, wie Schönwald aus eigener Erfahrung weiß: „Drei ungarische Studenten, die 1956 nach Österreich gekommen waren, wollten unbedingt ihren Helden Arthur Koestler, der in Budapest geboren und aufgewachsen war, kennenlernen. Dieser ließ sich aber verleugnen und das Gerücht verbreiten, er spreche kein Ungarisch.“ Da Schönwald die Wirtshausroutine Koestlers kannte, riet er den Studenten, um eine bestimmte Uhrzeit in einem Gasthof Wein und gute Zigarren bereitzustellen und ihrem Landsmann quasi in der Gasse „aufzulauern“. „Als ich einige Stunden später nach dem Rechten sehen wollte, fand ich Koestler mit den Studenten in einer Rauchwolke im Gasthaus und sie unterhielten sich köstlich – auf Ungarisch natürlich.“ Waldheim und Buthelezi 1949, Eröffnung, in der ersten Reihe v.l.n.r. Otto Molden, Unterrichtsminister Felix Hurdes und ganz rechts der französische Hochkomissär General Emile Béthouart. Foto: Archiv EFA 26 Wiener Journal Die Alpenidylle wurde aber immer wieder auch für Debatten zu kontroversen Themen oder für ebensolche Besucher genutzt. „Das spricht für Alpbach, dass man auch immer kritisch diskutieren konnte“, sagt Anton Pelinka, der in einem Jahr als Wissenschafter zu einer Diskussion über die damals schwelende „Waldheim-Affäre“ geladen worden war. „Eine reine Pro-Waldheim-Diskussion wäre beim Europäischen Forum nicht möglich gewesen.“ Einige Jahre zuvor hatte der Professor an der Universität Innsbruck bereits die Rolle des kritischen Beobachters beim Europäischen Forum Alpbach übernommen und zwar wegen Besuchs aus Südafrika. Das ApartheidRegime schickte 1988 Mangosuthu Buthelezi, den 14. 8. 2015 Steinzeitliche Probleme 1977, v.l.n.r. Otto Molden, Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg, der gerade abgewählte israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin, Dr. Hanna Molden. Foto: Alpenbild Habermüller Dass manche Themen immer wiederkehren, zeigt ein Blick in die „Wiener Zeitung“ vom 23. August 1977, die vom Bankenseminar in Alpbach berichtete, wo „Finanzprobleme im Mittelpunkt“ standen: „Im Rahmen des Alpbacher Generalthemas ‚Konflikt und Ordnung‘“ beschäftigte man sich mit „Finanzierungsproblemen und Finanzierungsquellen der Wirtschaft“. Noch viel ältere Probleme standen 1993 auf der Agenda. Ein Journalist hatte kurz zuvor ein Buch publiziert, in dem er vor allem wegen des Fehlens eines Penises beim entdeckten Similaun-Mann von einer Fälschung sprach. Doch die „Wiener Zeitung“ berichtete am 31. August: „Den verschiedenen Theorien, wonach ‚Ötzi‘, die rund 5300 Jahre alte Gletscherleiche vom Hauslabjoch in Tirol, eine Fälschung sei, widersprachen die an den Untersuchungen beteiligten Wissenschafter Sonntag Abend beim EFA.“ beo Wir wünschen dem Europäischen Forum Alpbach, dass die kommenden 70 Jahre ebenso spannend sein mögen, wie unsere vergangenen 140 Jahre. Alles Gute zum heurigen Jubiläum. www.tuv.at 1988, Proteste gegen den Besuch von Inkatha-Führer Buthelezi. Fotos: Gattinger, Archiv EFA Bundespräsident Heinz Fischer über seine Begegnung mit Indira Gandhi in Alpbach im Jahr 1983 Wenn AuSSenminister schlafen Vorsitzenden der Zulu-Partei Inkatha und offiziellen Premierminister des von der Regierung geschaffenen „Homeland“ KwaZulu Natal, zu diversen internationalen Veranstaltungen. „Buthelezi sollte verwendet werden, um der Welt zu zeigen, dass man reformwillig sei – aber das Apartheid-Regime konnte nicht reformiert, sondern nur abgeschafft werden“, so Pelinka. Er war damals in der österreichischen Anti-Apartheid-Bewegung aktiv und bezeichnet sich selbst als deren „bürgerlich herzeigbares Gesicht“. Er wurde nach Alpbach gesandt, um dort während des Vortrags Buthelezis kritische Fragen zu stellen. Gleichzeitig hatte die Bewegung sowohl von Wien aus als auch durch ihre Tiroler Landesgruppe eine Protestaktion organisiert. An die 50 Aktivisten reisten in das Bergdorf, um gegen den Auftritt Buthelezis zu demonstrieren. „Sie stellten die Figur eines überlebensgroßen Todes auf – das war an dem Tag groß in der ‚Zeit im Bild‘“, erzählt Walter Sauer, damals im Vorstand der österreichischen AntiApartheid-Bewegung. „Es war damals die erste Protestveranstaltung gegen Alpbach, respektive einen Teil des Forums.“ Die Aktion verdeutlicht auch die internationale Bedeutung des Europäischen Forums Alpbach, das über die Jahrzehnte immer wieder Echos in internationalen Medien fand und hochrangige Gäste anlockte. „Man musste dabei sein“, berichtet Schönwald auch schon aus 1957. „Alpbach hatte etwas Belebendes“, resümiert er. „Das Leben in Österreich war damals sehr bescheiden und wir hatten großen Nachholbedarf.“ Auch auf akademischer Ebene und beim Europäischen Forum „konnte man Dinge mitbekommen, die an den heimischen Unis ausgeklammert waren“. „Im Sommer 1983 waren Fred Sinowatz Bundeskanzler und ich in seiner Regierung Wissenschaftsminister. Im August stand ein Staatsbesuch von Indira Gandhi auf dem Programm, der besonders sorgfältig vorbereitet wurde, weil wir wussten, dass es eine enge und gute Beziehung zwischen Bruno Kreisky und der indischen Ministerpräsidentin gab. Fred Sinowatz ersuchte mich als Ehrenkavalier für Indira Gandhi zu fungieren und sie während ihres gesamten Aufenthaltes zu begleiten. Am Programm stand auch der Besuch einer Veranstaltung in Alpbach mit dem Thema „Europa und Indien“. Ich begleitete die Ministerpräsidentin in ihrem Sonderflugzeug von Wien nach Innsbruck und von dort nach Alpbach. Indira Gandhi gefiel es sehr gut in diesem Bergdorf, aber sie war noch müde von der Reise und vom Zeitunterschied. Aber noch viel müder war ihr Außenminister Rao, der ihr aus Südindien nachgereist war und damals nach mehrmaligem Umsteigen wohl an die zwanzig Stunden unterwegs gewesen ist. Beim Abendessen ist die Konversation mit der Ministerpräsidentin sehr gut gelaufen, aber ihr Außenminister ist während des Abendessens weithin sichtbar dreimal eingeschlafen und musste ebenso oft einigermaßen diskret geweckt werden. Das stand aber seiner späteren Ernennung zum Ministerpräsidenten nicht im Wege. Ich habe Indira Gandhi einige Jahre später in Delhi besucht und festgestellt, dass sie ihren Österreichbesuch noch in guter Erinnerung hatte. Bei meinem übernächsten Besuch in Indien konnte ich nur mehr jene Stelle im Park ihres Amtssitzes besuchen, wo sie von zwei ihrer Leibwächter erschossen worden war.“ 1983, v.l.n.r. Ministerpräsidentin Indira Gandhi, Otto Molden und ganz rechts mit Brille der damalige Wissenschaftsminister Heinz Fischer. Foto: Archiv EFA 28 Wiener Journal Mit der WIENER ZEITUNG in die Nockberge, ins Family-Sporthotel Kärntnerhof! 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PLZ Geburtsdatum Ort Telefon Media Quarter Marx 3.3 Maria-Jacobi-Gasse 1 1030 Wien E-Mail Datum, Unterschrift Einsendeschluss: 18.09.2015. Barablöse nicht möglich. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Das Abo gilt für Dienstag – Samstag/Sonntag im Inland und kann nicht auf bestehende Abos angerechnet werden. Das Test-Abo endet nach Ablauf von 4 Wochen automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Das Abo ist im Voraus zu begleichen und kann jederzeit schriftlich zum nächsten Monatsletzten gekündigt werden. Es gelten die AGB und GewinnspielTeilnahmebedingungen der Wiener Zeitung GmbH (www.wienerzeitung.at/agb). Preise inkl. der gesetzl. MwSt. Satz- und Druckfehler vorbehalten. Ich erkläre mich ausdrücklich widerruflich damit einverstanden, über weitere werbliche Aktivitäten der Wiener Zeitung GmbH informiert zu werden. WZ241 il an ng: E-Ma eitung.at Bestellu rz n ie r@w e abo-cente 01 206 99 100. n a x oder Fa r: bo-Cente Telefon A 99 0 0810 081 Die Kunst des Tiroler Knödels Wenn man über gutes Essen sprechen möchte, ist Franz Fischler ein idealer Gesprächspartner. Landwirtschaft, Nahrungsmittel und die Kunst des guten Essens haben ihn sein Leben lang beschäftigt. Ein Privatissimum über Tiroler Küche. Text: Christian Hoffmann D ie Tiroler Küche“, erklärt Franz Fischler zu Beginn des Gesprächs mit einem verschmitzten Lächeln, „gibt es eigentlich nicht.“ Er legt eine kleine Pause ein, damit das Wiener Gegenüber die Tragweite dieser Feststellung einmal ermessen kann, und fügt dann hinzu: „Es gibt drei ver- „ 30 Wiener Journal schiedene Küchen, die in West-Tirol, die im unteren Inntal sowie die Südund Osttiroler Küche.“ Im westlichen Tirol stand traditionell das Fleisch im Mittelpunkt des Kochens, vor allem das Schweinefleisch. Östlich davon, auch in der Gegend von Alpbach, spielen Milch und Mehl kulinarisch eine wichtige Rolle, auch die verschiedenen Käsesorten. Die Süd- und Osttiroler Küche wiederum ist deutlich vielfältiger und orientiert sich an der italienischen Küche, an der der Emilia Romagna und der Po-Ebene. „Heutzutage“, ergänzt Franz Fischler, „vermischen sich diese Elemente, außerdem wird die Küche vom Geschmack der Touristen beeinflusst.“ Trotzdem kennt jeder Einheimische noch die klassischen Sprüche: „Knedel, 14. 8. 2015 Franz Fischler ist auf dem Markt fündig geworden. Nocken, Muas und Blenden, sein die vier Tiroler Elementen“, wobei „Blenden“ für den staunenden Wiener mit Polenta übersetzt wird. Mais, von dem die Polenta ja kommt, wird nämlich seit einigen hundert Jahren im Raum um Innsbruck kultiviert. Was alkoholische Getränke betrifft, so kennt die Tiroler Tradition vor allem den Most und den Schnaps. Die Sache 14. 8. 2015 hat allerdings einen Haken, insofern es in höheren Lagen ja kaum Obstbau gibt. Deswegen hat man Hochprozentiges auch auf anderer Grundlage gebrannt und es gibt schon aus den Tagen von Maria Theresia ein Privileg, das den Bauern in der Gegend von Alpbach, genauer gesagt aus der Wildschönau, erlaubt, Schnaps aus der Stoppelrübe zu brennen, den Foto: Luiza Puiu Wiener Journal 31 Tiroler Speckknödel Zutaten für 8 bis 12 Knödel: 6 trockene Semmeln Salz, schwach ¼ I Milch 2–3 Eier 10 dag Speck 15 dag geräucherte Wurst oder Selchfleisch 3 dag Butter ½ Zwiebel Petersilie, Schnittlauch etwa 3 EL (= 6–8 dag) Mehl Fleischsuppe oder Salzwasser 1. Semmeln kleinwürfelig schneiden und salzen. Die Milch mit den Eiern versprudeln (Eiermilch), über das Brot gießen, leicht unterziehen, zudecken und eine halbe Stunde stehen lassen. 2. Den Speck sehr fein schneiden und ausbraten. Weiche Selchwurst klein schneiden und ausbraten, harte Wurst wiegen und direkt zum Brot geben. Die würfelig geschnittene, in Butter angeröstete Zwiebel und die geschnittenen Kräuter beifügen. 3. Das Mehl darüberstreuen, gut unterziehen und zusammendrücken. Die Masse soll eher fest sein, aber nicht schmieren. 4. Mit nassen Händen 8–12 gleich große Knödel formen und gut drehen. 5. Wenn alle Knödel am Brett liegen, gibt man einen Knödel zur Probe in die leicht kochende Suppe oder in das Salzwasser und lässt ihn ca. 12 Minuten kochen. Der gekochte Probeknödel soll außen glatt sein und innen eine lockere Masse aufweisen. Ist der Knödel zu weich, gibt man etwas Mehl dazu und drückt beim Runden fester an. Zu feste Knödel können mit Eiermilch gelockert werden. Gute Knödel steigen in der Suppe sofort auf. Die Knödel schmecken am besten, wenn sie gegessen werden, sobald sie gekocht sind. berühmt-berüchtigten Krautinger. Der ist sogar, wie Franz Fischler mit dem gewissen verschmitzten Lächeln anmerkt, innerhalb der EU geschützt. „Man darf aber nicht vergessen“, fügt Fischler hinzu, „dass Tirol bis zum Ersten Weltkrieg ein Land war. Es war daher üblich, dass die Bauern einmal im Jahr nach Südtirol gefahren sind, um dort ihren Jahresbedarf an Wein zu decken.“ Nun aber ist es an der Zeit, konkret zu werden. „Sehr gerne esse ich Tiroler Knödel“, sagt Franz Fischler und fügt hinzu: „Aber nur wenn sie gut gemacht sind.“ Gute Tiroler Knödel herzustellen ist eine Kunst, der nach der Erfahrung des ehemaligen EU-Landwirtschaftskommissars nur jede zehnte Köchin gewachsen ist. Dabei klingt die Sache gar nicht so kompliziert (siehe Rezept): Semmelwürfel, angebratene Speckwürfel, angeschwitzte Zwiebel, würfelig geschnittene Wurst. Das Ganze wird mit leicht angewärmter Milch und drei bis vier Eiern zu einer Masse vermischt, die allerdings nicht zu feucht sein darf. Daraus werden Knödel geformt und in kochendes Wasser eingelegt. Urtirolerisch isst man einen „zu Wasser“ und einen (oder mehr) „zu Lande“, das heißt, den einen in einer Rindsuppe, den oder die anderen mit Salat oder Sauerkraut. * Es gibt sehr viele Abweichungen von diesem Rezept. Wichtig sind die Qualität der Zutaten und die sorgfältige Zubereitung. * Nach altem Brauch isst man den ersten Knödel in der Suppe, den zweiten zu Sauerkraut oder Rübenkraut, den dritten zu Eingemachtem oder Schweinernem, den vierten mit Salat. Wer dann noch kann, beginnt wieder von vorne. Sehr gerne isst man zu Knödeln auch Kresse- oder Vogerlsalat. Wichtige Hinweise für die Knödelzubereitung: • Getrocknetes Knödelbrot benötigt etwas mehr Flüssigkeit und braucht länger zum Durchziehen. • 1 Semmel entspricht etwa 4 dag trockenem Knödelbrot. • Die meisten Knödelteige formt man mit angefeuchteten Händen oder mit einem Löffel und einer nassen Hand. • Manche Knödel kann man auch in etwas glattem Mehl drehen, damit sie beim Kochen nicht zerfallen. • Die Knödel in weiten Gefäßen kochen und nicht zu dicht einlegen, damit sie gut aufquellen können und die Form halten. • Knödel sollen nicht zugedeckt und wallend kochen, sondern offen und leicht ziehend, sonst zerfallen sie. Zu kaltes Wasser kann das Gleiche bewirken. • Die Kochzeit muss auf die Größe der Knödel abgestimmt werden. Zu langes Kochen macht Semmelteige eher zäh; Erdäpfel-, Brand- und Topfenteige hingegen zerfallen dann leicht. 32 Wiener Journal Rezept aus Maria Drewes: „Tiroler Küche“, 14. Auflage, 2012, Verlag Tyrolia. 324 Seiten. 14. 8. 2015 Perfekte Tiroler Knödel im leicht kochenden Salzwasser. Foto: Herbert Lehmann / Corbis 14. 8. 2015 Bezahlte Anzeige Land Tirol stärkt heimische Wissenschaft und Forschung Die Stärkung der Forschung und Wettbewerbsfähigkeit Tirols sowie die Förderung junger WissenschaftlerInnen – das sind die Ziele der Tiroler Wissenschaftsförderung. 4 Mio. Euro nimmt das Land Tirol dafür seit 2014 jährlich in die Hand. Ca. 3 Mio. Euro fließen in den neuen Fonds für Grundlagenforschung. Dazu kommt eine Kofinanzierung der Österreichischen Nationalstiftung in gleicher Höhe, sodass bis zu 6 Mio. Euro jährlich für den Fonds zur Verfügung stehen. Möglich macht das eine Kooperation mit dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) des Bundes. Der seit 2004 bestehende „Tiroler Wissenschaftsfonds“ ist weiterhin mit 800.000 Euro dotiert. Tiroler Forschungsprojekte mit einem Fördervolumen von über 100.000 Euro können beim FWF, wissenschaftliche Arbeiten bis max. 100.000 Euro bei der Geschäftsstelle des Tiroler Wissenschaftsfonds eingereicht werden. Weitere Informationen unter www.tirol.gv.at/wissenschaftsfonds Foto: Standortagentur Tirol Neben den Tiroler Knödeln muss unbedingt auch das Meraner Schnitzel erwähnt werden. Das ist ein Schweinsschnitzel oder Kotelett, das kurz angebraten in eine feuerfeste Form gelegt wird. Dazu kommen Pilze, Schinken, Zwiebel und Rahm sowie viel Käse, wonach das Ganze im Rohr überbacken wird. Und dann natürlich das berühmte Tiroler Gröstel: Gekochte Erdäpfel werden blättrig geschnitten. Dazu kommt Rindfleisch, ebenfalls blättrig geschnitten, dann werden Zwiebel in Butter angeröstet und schließlich Fleisch und Kartoffel dazugegeben. Zum Schluss kommt viel Schnittlauch drüber, serviert wird mit Salat oder Kraut. In der Luxusvariante gibt es dazu noch ein Spiegelei, das Herrengröstel. Eine besondere Gröstel-Variante, fügt Franz Fischler hinzu, ist das Stockfisch-Gröstel, das seinerzeit am Aschermittwoch in Tiroler Bürgerhäuser auf den Tisch kam. Dazu braucht man, wie der Name sagt, Stockfisch, also getrockneten Kabeljau aus der Nordsee, was sich nun wirklich nur die gehobenen Schichten leisten konnten. Der Haken bei der Sache war, dass dieser getrocknete Kabeljau Tage vor dem Kochen in Wasser eingelegt werden musste. „Das stinkt bestialisch“, erklärt Franz Fischler. Deswegen übernahmen dieses Geschäft traditionell die Kapuziner-Mönche. Ansonsten entsteht das Stockfisch-Gröstel wie das mit Rindfleisch, nur dass sehr viel Knoblauch dazugegeben werden sollte. Dann kommt Rahm darüber und das Gröstel wird in einer feuerfesten Form in den Ofen geschoben. „Einmal habe ich das für Paul Flora gekocht“, erzählt Franz Fischler, und danach habe der Künstler jedes Jahr wieder nach dieser Spezialität gefragt. „Ansonsten bin ich aber“, schließt Franz Fischler das Privatissimum über Tiroler Küche, „kulinarischer Kosmopolit. Ganz besonders mag ich die chinesische Küche.“ Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Durch die Unterstützung junger WissenschaftlerInnen wird die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes Tirol und somit seine Zukunftsfähigkeit nachhaltig gestärkt. Foto: Luiza Puiu Winter, Sommer, Forum. So in etwa dürfte die Zeitrechnung im „schönsten Dorf Österreichs“, wie sich Alpbach seit einer diesbezüglichen Auszeichnung nennen darf, in etwa funktionieren. Tatsächlich sieht das Zweieinhalbtausend-Seelen-Dörfchen aus, als wäre eine Ansichtskarte zum Leben erwacht. Text: Teresa Reiter 34 Wiener Journal U nendlich blaue Seen, knallgrüne Hügel, mächtige Berge und der eine oder andere reife Apfel, der einem im Vorübergehen geradezu in den Mund fliegt, machen es vor allem für Städter manchmal schwer zu glauben, dass all das echt sein soll. Steht abends dann auch noch der Himmel in Flammen, bis die Sonne hinter den Bergen verschwindet, bleibt schon mal dem einen oder anderen der Mund offen stehen. Auch die traditionelle Architektur Alpbachs steht wie die Kulisse eines Heimatfilms da. Damit das Ortsbild erhalten bleibt, gibt es in der Gegend strenge Bauvorschriften, die genau regeln, was man darf und was nicht. Bürgermeister Markus Bischofer erklärt, diese richten sich nach althergebrachten Bauweisen, bei denen Holz eine wesentliche Rolle spielt. „Bei uns müssen sich Architekten eben im inneren Bereich austoben“, sagt er. 14. 8. 2015 Dreifaltiges Alpbach Alpbach liegt in den Kitzbühler Alpen, am Fuße des 1898 Meter hohen Berges Gratlspitz und ist eigentlich zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Selbst der Bürgermeister kann sich nicht recht entscheiden, wann ihm sein Heimatdorf am liebsten ist. „Ich glaube wir sind reich damit beschenkt, dass wir hier noch Jahreszeiten erleben können. Man freut sich im Winter aufs Skifahren und im Sommer darauf, auf den Berg zu gehen. Das hat alles seinen Reiz“, meint der gelernte Tischler. Das Skigebiet Alpbachtal Wildschönau etwa ist besonders für seine abwechslungsreichen Pisten bekannt. Hier finden sowohl Anfänger und Familien mit Kindern als auch die Wagemutigen die passenden sportlichen Herausforderungen. Etwa 109 Kilometer Piste, drei Snowparks und 47 Liftanlagen stehen den Wintertouristen zur Verfügung. Geübte Freerider können sich auch in Richtung Inneralpbach 14. 8. 2015 an unberührten Abfahrten versuchen. Wen das kalt lässt, der kann entweder gleich in einer der vielen Hütten auf ein paar „Alpbacher Kasspazl“ gehen oder sich im Schneeschuhwandern oder Winterbogenschießen versuchen. Im Sommer hingegen gilt Alpbach nicht nur als Wanderparadies, sondern auch als Pilgerstätte für Adrenalinjunkies. Im Kramsacher Naturhochseilgarten etwa kann man sich zwischen Himmel und bis zu 17 Meter tiefen Abgründen einen besonderen Kick holen. Über schwankende Balken, schaukelnde Hängebrücken und Stahlseile kann man dort zusammen mit erfahrenen Guides seine eigenen Grenzen austesten. Für Wasserratten bieten die Flüsse im Alpbachtal ein vielfältiges Freizeitangebot. In Neoprenanzug und Helm geht es zum Wildwasserschwimmen im hie und da schon sehr kühlen Nass und auch Fans von Canyoning, Rafting und Schlauchreiten kommen nicht zu kurz. Bei Letzte- Wiener Journal 35 Familienskifahren in der Region Alpbachtal-Wildschönau. Unten: Congress Center mit Schneedecke. Fotos: Alpbachtal Seenland Tourismus 36 Wiener Journal rem wirft man sich auf einen buntbemalten Lkw-Schlauch und schmeißt sich damit in die Fluten. Gleichzeitig gilt das Alpbachtal als äußerst kinderfreundlich. Die Knirpse können Kapitän im Alpbacher Kinderpark in Reith werden, Trampolin springen oder sich an der LauserKugelbahn am Erlebniswaldspielplatz Lauserland vergnügen. Dort gibt es übrigens lauter Dinge, auf die man als Erwachsener durchaus eifersüchtig werden könnte, wie etwa ein riesiges Hüpfkissen und den Steckenpferdparkour. Die ganz Kleinen können mit ihren Eltern den zwei Kilometer langen, kinderwagentauglichen Rundwanderweg „Juppi Zauberwald“ erkunden, der auch die eine oder andere Überraschung bereithält. Momentan rüsten sich das Bergdorf und alle seine Restaurants und Unterkünfte jedoch für den jährlichen Ausnahmezustand Europäisches Forum Alpbach. Das 1945 von Otto Molden und Simon Moser unter dem Namen „Internationale Hochschulwochen“ ins Leben gerufene Forum zieht seit vielen Jahren Politiker, Denker, Journalisten und nicht zuletzt Studenten aus aller Welt nach Alpbach. Damals und heute dürften sich jedoch gravierend unterscheiden, wächst das Forum doch mit jedem Jahr ein wenig weiter. Heuer wird dafür eigens das Kongresszentrum erweitert, erzählt Bürgermeister Markus Bischofer. In Richtung des Traditionsbetriebs Romantikhotel Böglerhof, während des Forums umschwärmt wie ein Bienenstock, wird in den Hügel hinein ein neuer Teil des Zentrums gegraben. „Es 14. 8. 2015 wird im Berg verschwinden, weil natürlich über das Kongresszentrum drüber wieder der Skibetrieb laufen muss. Wo hat man das schon, dass im Sommer Schafe auf dem Kongresszentrum grasen und im Winter die Skifahrer drüberbrettern?“, sagt Bischofer lachend. Im Dorf würde die Erweiterung von ziemlich allen begrüßt. Man nehme es als Investition in die Zukunft Alpbachs wahr, da man den Kongressgästen ordentlich etwas bieten wolle. Natürlich gäbe es zur Zeit des Forums eine erhöhte Wertschöpfung, sind die Unterkünfte in diesen Wochen doch nahezu hundertprozentig ausgelastet. Konflikte zwischen den Veranstaltern des Forums und der Gemeinde gäbe es nur selten. Klar, es kam damals zu dieser Auseinandersetzung um die „Vollpension“, daran erinnert sich Bischofer „nur zu gut“. Das erfolgreiche Wiener Sozialbusiness Vollpension hatte nämlich beim Forum 2013 seine Zelte im alten Hallenbad aufgeschlagen, das jährlich für das Nebenprogramm transformiert wird. Vertreter der Hotellerie hatte das Projekt in Rage versetzt. Das Pop-up-Café im 60erJahre-Stil hatte nämlich Apfelstrudel und Gulasch angeboten, gekocht und gebacken vor allem von Pensionistinnen. Alpbacher Wirte sahen darin eine ungewollte Konkurrenz aus der Hauptstadt. Bürgermeister Bischofer seufzt, wenn er daran zurückdenkt. Man sei vielleicht zu blauäugig gewesen und habe die „Opposition“ nicht genügend eingebunden, sagt er. „Das Pendel hat schnell in eine Richtung ausgeschlagen, die keine vernünftige Diskussion mehr zugelassen hat, und das Ganze ist leider Gottes auf eine politische Ebene geraten, die ein bisschen unter die Gürtellinie gegangen ist“, erinnert er sich. Eine Art runder Tisch habe damals wieder Frieden einkehren lassen und man habe daraus seine Lehren gezogen, was die Kommunikation solcher Konzepte anginge. Mittlerweile habe sich alles wieder beruhigt und man freue sich schon auf das diesjährige Hallenbad-Cateringkonzept „Iss mich“ von Tobias Judmaier, der mit seinem Betrieb auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen will. Judmaier, der 2014 zum „Österreicher des Jahres“ gewählt wurde, wird in der Hallenbad-Kantine nach dem Motto „Auf den Tisch statt in die Tonne“, einwandfreies Gemüse, das vom Handel nicht aufgenommen wurde, zu vegetarischen Gerichten verkochen. Der 39-Jährige identifiziert sich stark mit dem diesjährigen Forumsthema Ungleichheit. „Ungleichheit findet man beim Essen so viel. Einerseits natürlich in der Verteilungsthematik aber andererseits auch in der Frage, wieso manches Gemüse in den Handel kommt und das andere nicht“, so Judmaier. Gleich nebenan im Hallenbadraum selbst entsteht unter den Händen der Gestalter des österreichischen Pavillons auf der Expo Mailand ein Indoor-Wald. Lisa Enzenhofer, Miterfinderin des Konzepts, das Österreich in Mailand den Titel „Schönster Pavillon“ eintrug, erklärt, man wolle den Alpbachtaler Sommerbahnen „So schön sind Ihre Füße noch nie gewandert!“ NEU! seit Sommer 2014 Die „Lauser- Kugel-Bahn“ durch das Lauserland! BETRIEBSZEITEN 6er-Gondel-Wiedersbergerhornbahn in Alpbach: 13.06.2015 - 11.10.2015 09:00 Uhr – 16:45 Uhr Mittagspause: 12:00 Uhr – 12:45 Uhr Letzte Bergfahrt: 16:15 Uhr Letzte Talfahrt: 16:30 Uhr Kein Ruhetag! 8er-Gondel-Reitherkogelbahn in Reith i.A.: 14.05.2015 - 27.09.2015 09:00 Uhr – 16:30 Uhr Mittagspause: 12:00 Uhr – 13:00 Uhr Letzte Bergfahrt: 16:00 Uhr Letzte Talfahrt: 16:15 Uhr Mittwoch Ruhetag! Kein Betrieb an extremen Regentagen · Änderungen und Irrtümer vorbehalten Die Highlights am Berg: Sterndruck, 6263 Fügen Lauserland in Alpbach Juppi’s Zauberwald in Reith www.alpbacher-bergbahnen.at Alpbacher Bergbahnen Gesellschaft m.b.H.+ Co.KG A-6236 ALPBACH/TIROL Tel. ++43-(0)5336/5233 · Fax 5233-24 E-Mail: [email protected] Fotos: Luiza Puiu, Philipp Naderer Iss mich erschöpften Forumsteilnehmern einen Ort für Ruhe und Entspannung bieten und andererseits mittels dieser „Rückeroberung des Hallenbads durch die Natur“ das Problem des Leerstands aufzeigen. Das eigentliche Thema sei jedoch „Luft als Nahrungsmittel“. Die Jungwaldinstallation aus Fichten, Tannen, Buchen, Lärchen, Zirben, Ahorn und Eichen solle darauf hinweisen, dass Luft unser wichtigstes Nahrungsmittel ist, ohne welches wir nur bis zu fünf Minuten überleben können. „Luft ist etwas, das man nicht sieht, das sehr schwer zu reinigen ist und an dessen Verschmutzung jährlich tausende Menschen sterben“, so Enzenhofer. Zusätzlich werde es eine Nebelinstallation geben. Die Hallenbad-Panelbühne steht also dieses Jahr im Wald. „Es soll ein Ort sein, an dem man sich austauschen kann, aber auch einer, an dem man ausatmen und vor allem wirklich bewusst atmen kann“, sagt Enzenhofer. Aufs Ausatmen freut sich auch schon Bürgermeister Bischofer, für den das Forum mittlerweile zwar Routine ist, der jedoch sagt, dass man die erhöhte Präsenz im Dorf natürlich spüre. „Wenn das Forum kommt, freut man sich, wenn es da ist und wenn es vorbei ist, freut man sich, wenn alles gut über die Bühne gegangen ist und wieder ein wenig Ruhe einkehrt. Das ist ja auch nicht so schlecht“, so Bischofer. 38 Wiener Journal Etwa 40 Prozent jeder Gemüseernte schaffen es in Österreich nicht in den Handel. Somit wird dafür gesorgt, dass dieser Überschuss zu großteils völlig unnötigem Lebensmittelabfall wird. Das Wiener Start-up „Iss mich“ liefert gesundes Mittagessen umweltfreundlich mit dem Fahrrad ins Büro und bietet Catering für Veranstaltungen an. Das Besondere? Die Speisen bestehen aus eben diesem aussortierten Gemüse und werden in nachhaltigen Glasbehältern geliefert, um Verpackungsmüll zu vermeiden. Gleichzeitig stellt das Unternehmen vor allem junge Mütter an, die keinen anderen Weg zurück in den Arbeitsmarkt gefunden haben. „Das alles macht uns quasi zur ersten wirklich nachhaltigen Food Company, die alle Aspekte dessen abdeckt, was sonst in der Lebensmittelproduktion oder beim Catering schiefgeht“, sagt Gründer Tobias Judmaier. „Iss mich“ arbeitet mit Partnern wie etwa der Erzeugerorganisation Marchfeldgemüse zusammen, die für das Einsammeln der Ernte der Marchfelder Bauern, das Waschen, Aussortieren und für die Verpackung regulär auf den Markt gebrachter Gemüse zuständig ist. „Wir bekommen die Lebensmittel also direkt von der Quelle“, so Judmaier. www.issmich.at, breatheaustria.at 14. 8. 2015 TÄGLICH. DIE BESTE MEDIZIN. Bei akuten und chronischen Erkrankungen ist es unumgänglich, die beste Medizin zu bekommen. Die medikamentöse Fürsorge erleichtert den Alltag. Mehr Info unter www.pharmig.at DIE PHARMAZEUTISCHE INDUSTRIE ÖSTERREICHS Vivienne Westwood mit ihrem Mann, dem Tiroler Andreas Kronthaler. Foto: Zak Hussein / Corbis S ie gilt als eine der wichtigsten Mode-Designerinnen der Gegenwart und ist die führende Institution von Mode made in Britain. Was sie entwirft, ist stilbildend und in einer Art und Weise vorbildhaft, dass es schon an Plagiat grenzt, wenn zum Beispiel das Thema „Unisex“ bei den aktuellen Trendshows von allen maßgeblichen Designern lanciert wird – nur knapp eine Saison, nachdem Vivienne Westwood damit die Catwalks und Modemagazine dominierte. „Unisex. Time to act“ lautete das Motto, unter dem die Gold Label Shows für Herbst/Winter 2015/16 standen. Sowohl männliche wie auch weibliche Models trugen Strickkleider, Baströckchen, opulente Korsagen und Nadelstreif-Anzüge. Vivienne Westwood lässt keine Gelegenheit verstreichen, um anzumerken, dass die Kleider ihrem Mann Andreas Kronthaler mindestens ebenso gut stünden wie ihr selbst. Wenn nicht besser. Geschlechtergrenzen – hoffnungslos verstaubt. Trendy oder einfach nur retro? „Everything is connected“ – für Vivienne Westwood ist das die wichtigste Botschaft ihres heutigen Lebens. Irgendwie, so will es einem scheinen, hat sie damals in den wilden 70ern und 80ern schon dasselbe gemeint oder gewollt. „Destroy“ stand einst auf dem Shirt der jungen Frau mit der blonden PunkFrisur, die mit ihrer ersten Kollektion namens „Pirates“ 1982 ihren Ruhm als unangepasste Modeschöpferin begründete. Kämpferische Slogans auf T-Shirts – eine von vielen Facetten des Aktionismus made by Vivienne und nicht die schlechteste Möglichkeit, Botschaften anzubringen. Mittlerweile ist Westwood mit ihrer Mode längst im Establishment angekommen und designt sogar Kindermode. „Save the Arctic“ ist auf einem Babystrampler zu lesen, den man für 25 Euro im Onlineshop bestellen kann. Ihr neuerdings beständig vorgetragener Appell, auf Konsumgüter zu verzichten, hinterlässt einen schalen Beigeschmack angesichts 40 Wiener Journal Schnell mal die Welt retten Vivienne Westwood spricht beim Forum Alpbach zum Thema Ungleichheit. Die britische Modedesignerin engagiert sich zunehmend für den Umweltschutz und ist eine Verfechterin von nachhaltiger Mode. Text: Brigitte Suchan 14. 8. 2015 dessen, dass die kämpferische Britin ein Millionenimperium mit überteuerter Designerware aufgebaut hat. In aktuellen Interviews macht die 74-jährige Stilikone mit dem Porzellanteint kein Hehl daraus, dass ihr Interesse an Mode mittlerweile begrenzt ist. Das Entwerfen hat sie bis zu einem gewissen Grad an ihren Lebenspartner und Creative Director Andreas Kronthaler delegiert, mit dem sie seit 1992 verheiratet ist. Der geborene Zillertaler lernte Westwood kennen, als sie 1988 in Wien an der Angewandten unterrichtete. Der um 25 Jahre jüngere Student kam, sah und blieb. Der Altersunterschied scheint bei diesem Paar kein Thema zu sein. Die beiden beschreiben ihre Beziehung oft als symbiotische und intellektuell befruchtende Zusammenarbeit von gegensätzlichen Persönlichkeiten. Neben Klimawandel, Kapitalismuskritik und mehr Nachhaltigkeit in der Mode gehört auch ihre Ehe zu den aktuellen Graffiti & Street Art Workshops im MUMOK 12.8. w/ Kashink | 16:00 - 19:00 13.8. w/ Millo | 18:00 - 21:00 Lieblingsthemen, über die Westwood bei Interviews und offiziellen Anlässen spricht. Wie jüngst, als sie im Juni in Mönchengladbach vor Studenten sprach. Sie sei als Aktivistin gekommen, meinte sie, und Mode mache sie eben auch. Betonung auf auch. Interviews gibt sie nur noch, wenn es dabei in erster Linie um ihre politischen Anliegen und nicht nur um Mode geht. Modemagazine findet die Literaturbegeisterte ohnehin langweilig. Mit Journalisten spricht sie lieber über ihr 14-seitiges Internet-Manifest „Active Resistance to Propaganda“ als über die jeweils aktuelle Kollektion. Sie spendet Millionenbeträge zur Rettung des Regenwalds, nimmt öffentlichkeitswirksam an Demos der britischen Bürgerrechtsorganisation „Liberty“ teil, lässt zu fairen Arbeitsbedingungen eine Accessoire-Kollektion in Kenia produzieren und ruft zum Konsumboykott auf. Dass die Fashionistas dieser Welt dennoch mehrere hundert Euro für ein VivienneWestwood-Teil hinblättern, kommt auf Umwegen immerhin der Umwelt zugute. Andreas Kronthaler ist bei solchen Auftritten stets anwesend, hält sich aber im Hintergrund. „Er ist ein Wunder“, schwärmte sie im Audimax der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach über ihren Partner. „Vivienne und ich teilen alles, und das Gute wird doppelt so gut. Ich kann und will ohne Vivienne nicht sein“, meinte Andreas Kronthaler einmal in einem Interview über seine Frau. Es ist vielleicht einfach Liebe. Alpbach-Info Eine Special-Lecture im Rahmen des Kulturprogramms widmet sich am 3. September dem Thema „UnGleichheit als Lebenselixier“. Am Podium: Vivienne Westwood, Andreas Kronthaler, Franz Fischler und Clarissa Stadler 03.09.2015, 20:00-21:00 Erwin-Schrödinger-Saal Vienna, 12.8. - 16.8. 2015 Sei dabei & hol dir jetzt deinen Workshop Platz! Festival for urban aesthetics www.callelibre.at Schreib eine Mail an: [email protected] 14. 8. 2015 UNESCO Club Vienna Wiener Journal 41 Original & Fälschung. Das Wiener Journal-Suchbild: Alpbach Das rechte Bild unterscheidet sich vom linken durch fünf Fehler. Auflösung der Vorwoche siehe unten. Foto: Philipp Naderer Schach. Von Ilia Balinov & Heinz Herzog Neuer Staatsmeister David Shengelia In Abwesenheit von Österreichs Nummer 1, GM Markus Ragger, der zur gleichen Zeit das starke Politiken Open in Dänemark gewann, kam die Favoritenrolle bei der Staatsmeisterschaft vom 25. Juli bis 2. August in Pinkafeld GM David Shengelia zu. Aber bei David weiß man nie: Vor einem Jahr wurde er nur 14. Umso motivierter ging er heuer zur Sache und das Ergebnis ist ein Rekord: 8,5 Punkte aus 9 Runden! Elo-Leistung 2795! Um einen halben Punkt mehr als der bisherige Rekord von Markus Ragger aus dem Jahr 2010. Der vorjährige Titelverteidiger, IM Mario Schachinger, spielte ein solides Turnier und wurde Zweiter vor dem jungen Wiener Christoph Menezes, der eine IMNorm erfüllte. Shengelia (2572) - Schachinger (2426) 1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.e3 Lg4 4...Lf5 ist eine gleichwertige Alternative. 5.h3 Hier eine aktuelle Partie mit 5.Sc3 e6 6.h3: 6...Lh5 7.g4 Lg6 8.Se5 Sbd7 9.Sxg6 hxg6 10.g5 Sg8 11.h4 Se7 12.Ld2 Sf5 13.Dg4 Le7 14.Th3 Th5 15.0-0-0 Dc7 16.Kb1 dxc4 17.Lxc4 0-0-0 18.Se2 mit kompliziertem Spiel, remis, Meier (2654) - So (2778), Dortmund 2015. 5...Lh5 Ein Beispiel aus der chinesischen Meisterschaft: 5...Lxf3 6.Dxf3 e6 7.a3 Ld6 8.Sc3 0-0 9.g4 Sbd7 10.h4 e5 11.g5 exd4 12.exd4 Se4 13.Sxe4 De7 14.c5 Lc7 15.Le3 dxe4 16.Df5 b6 17.0-0-0 Tab8 18.h5 bxc5 19.dxc5 Tfd8 20.Lc4 Le5 21.b4, 1-0, Ding (2757) - Wang (2710), Xinghua 2015. 6.g4 6.Sc3 e6 7.g4 wäre die Hauptvariante. 6...Lg6 7.Se5 e6 8.Sd2!? Das bevorzugte Feld für den Springer ist c3. 8...Sfd7!? 8...Sbd7 sieht auf jeden Fall natürlicher aus. 9.Sxg6 hxg6 10.Lg2 Le7 11.0-0 Sf6 Jetzt ist es Tatsache: Schwarz verlor zwei Tempi (Sf6-d7f6), was aber in geschlossenen Positionen oft zu verkraften ist. 12.a3 g5 13.f4!? gxf4 14.exf4 Sbd7 15.f5 exf5 Beachtung verdient 15...e5!? 16.g5 Sh5 17.cxd5 cxd5. 16.Txf5 Dc7 16...Db6!? scheint präziser zu sein und nach 17.c5 dann 17...Dc7 18.De2 Sf8. Eine andere Möglichkeit war 16...0-0. 17.g5 Sh5 Die Alternative war 17...Sh7 18.h4 Shf8 19.cxd5 cxd5 20.Sf3 Sg6 mit beiderseitigen Chancen. 18.cxd5 g6 19.Tf2 cxd5 20.Sf1 Auf 20.Lxd5 ist 20...Dg3+ sehr unangenehm. 20...Sb6 21.Se3 Interessant war zuerst 21.a4!? und wenn 21...a5 dann 22.Se3. 21...Ld6 21...0-0 entspricht mehr dem Hausverstand: 22.Sxd5 Sxd5 23.Lxd5 Dg3+ 24.Tg2 Dxh3 25.Dc2 Kg7 26.Lxb7 Tab8 27.Ld5 Tfd8 mit ausreichender Kompensation. 22.Sg4 Der d-Bauer könnte eigentlich erobert werden: 22.Sxd5 Sxd5 23.Lxd5 0-0 24.Dd3. 22...0-0 23.Ld2 Tae8 24.Tc1 Dd7 25.Db3 Lb8? Der Ursprung für die folgenden Schwierigkeiten. 25...Sc4 könnte die Balance halten: 26.Tcf1 Sxd2 27.Txd2 Kh8 28.Dxd5 De7. 26.Lb4 Ld6 27.Tcf1 Te7 Nach 27...Lxb4 28.Dxb4 ist unklar, wie Schwarz den Zug Sg4-e5 neutralisieren kann: 28...Te7 29.Se5 De6 30.Sxg6. 28.Se5! Dc7 Oder 28...Lxe5 29.dxe5 Sg7 30.h4! 29.Dd3 29.Sxg6!! wäre stark und effektvoll: 29...Lh2+ 30.Kh1 Sg3+ 31.Dxg3! (31.Kxh2? Sxf1+ 32.Kg1 fxg6 33.Lxe7 Dxe7 34.Lxd5+ Kg7 35.Kxf1 Txf2+ 36.Kxf2 Dxg5 mit Ausgleich.) 31...Lxg3 32.Sxe7+ Kg7 33.Tf6 und die schwarze Lage ist mehr als kritisch. 29...Txe5 30.Lxd6 Dxd6 31.dxe5 Dxe5 32.h4 Sg7 33.Te2 Dd6 34.Tf6 Dc5+ 35.De3 35.Tef2 war vielleicht präziser. 35...Dxe3+? Schwarz sollte auf jeden Fall 35... d4 36.De7 Dc4 37.Tef2 Sf5 probieren. 36.Txe3 Sf5 37.Td3 Das Endspiel ist für Schwarz nicht zu halten. 37...Sd7 a b c d e f g h 8 8 7 7 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 a b c d e f g h 1 Auf 37...Se7 folgt 38.Tc3 Sc6 39.Td6. 38.Txf5! Der schnellste Weg zum Erfolg. 38... gxf5 39.Txd5 Sb8 40.Txf5 Sc6 41.Tb5 Schwarz verliert die siebente Reihe. 41...Td8 42.Txb7 Se5 43.Txa7 Td2 44.Te7 Sc4 45.Te8+ Kg7 46.h5 Und der h-Bauer ist nicht zu halten. Zum Beispiel: 46.h5 Sd6 47.h6+ Kh7 48.Td8. 1-0 Mehr auf dem österreichischen Schachserver: http://schach.wienerzeitung.at/ Auflösung des Suchbildes der Vorwoche: Links im Hintergrund ist ein Hochhaus verschwunden, dafür wurde das in der Mitte verdoppelt und es gibt eine zusätzliche Wolke. Im Vordergrund fehlen einen Kabinenfenster sowie ein Lüfter auf dem grünen Dach. 42 Wiener Journal 14. 8. 2015 30.000 Euro „Wies’n Gaudi“ bei Rubbellos Rubbellos bringt Oktoberfest-Stimmung ins Land und ermöglicht bei „Wies’n Gaudi“ Gewinne bis zu 30.000 Euro Wenn das weltberühmte Münchner Oktoberfest auch heuer wieder im September beginnt, warum dann nicht schon im August daran denken? Rubbellos bietet die Gedächtnisstütze und bringt jetzt mit dem neuen Los „Wies’n Gaudi“ Oktoberfest-Stimmung nach Österreich. Die „Wies’n Gaudi“ schlägt sich mit Gewinnen bis zu 30.000 Euro nieder und hilft damit vielleicht bei der Entscheidung, das Münchner Original zu besuchen. Ein Lebkuchenherz, eines der typischen Symbole des Oktoberfests, bildet in zwei Variationen auch den Blickfang des neuen Rubbelloses: Einmal in Blau, als „Fescher Bursch“, und einmal in Rosa, als „Fesches Dirndl“. Die „Wies’n Gaudi“-Serie besteht aus 1,4 Millionen Losen, beinhaltet zwei Höchstgewinne zu je 30.000 Euro sowie mehr als 423.000 Gewinne von 2 Euro bis 3.000 Euro. Es ist in allen Annahmestellen der Österrei¬chischen Lotterien zum Preis von 2 Euro erhältlich. Die Chance auf einen Gewinn liegt bei 1:3,31, die Ausschüttungsquote beträgt 55 Prozent. Spielen wie ein Champion Dank des neuen Lotto und EuroMillionen System Champion kann jeder sein Glück mit seinem maßgeschneiderten System versuchen Mit dem – Toto Freunden bereits bekannten – System Champion bieten die Österreichischen Lotterien nun auch für Lotto und EuroMillionen eine weitere, sehr attraktive Möglichkeit der Spielteilnahme. Ideal etwa für jene, die zum Beispiel nicht nur im Falle von Lotto sechs, sondern gleich zehn oder mehr Lieblingszahlen haben, aber kein Vollsystem – also die Kombination aller damit möglichen Tipps – spielen wollen. Der System Champion ermöglicht es dem Spielteilnehmer, einerseits durch verschiedene Garantie-Kürzungen und andererseits durch das Setzen diverser Filter die Anzahl der Tipps zu reduzieren und damit sein ganz persönliches, sein maßgeschneidertes System zu spielen. Garantie-Kürzung bedeutet, dass die gewählten Zahlen derart kombiniert werden, dass ein bestimmter Mindestgewinn (also z.B. ein Dreier, ein Vierer oder ein Fünfer) erzielt wird, sofern die sechs gezogenen Zahlen unter den gewählten sind. Selbstverständlich bleibt die Chance auf einen darüber hinausgehenden Gewinn erhalten und kann bei günstiger Konstellation auch ein Sechser erzielt werden. Die andere Möglichkeit, die Anzahl der Tipps zu reduzieren, sind die so genannten Filter. Wie zum Beispiel der „Quersummenfilter“, mit dem man jene Grenzen festlegt, die mit der Quersumme der gespielten Zahlen eines Tipps nicht unterbzw. überschritten werden. Den System Champion – so wie alle Informationen dazu – gibt es kostenlos auf win2day.at und kann entweder gleich direkt auf win2day.at gespielt werden. Man kann die Daten aber auch auf einem USBStick speichern und diesen dann in jeder Annahmestelle abgeben. Eine Information der Österreichischen Lotterien Das Wiener Journal Rätsel 1 2 3 4 18 5 6 7 8 9 10 20 19 11 12 13 14 15 21 16 22 17 23 24 25 26 33 34 39 27 35 28 29 30 31 36 40 41 45 37 42 46 32 47 43 38 44 48 49 32 Waagrecht 1 die können im Urlaub nicht oft und nicht lang genug sein 18 zwischen Sir und Guinness einer der bedeutendsten Filmschauspieler des 20. Jahrhunderts 19 so nützen Engländer die Windkraft am Wasser 20 regelt Aufgaben der österr. Hochschulen 21 am B für Seife, Wasserenthärter und in Waschmittel; am Th Brustkorb 22 am R Bergmassiv zwischen Vierwaldstätter- und Zugersee 24 wie trotzdem 25 Bezeichnung für die eigene Person 26vorm Wind österr. Verein für Entwicklungshilfe 27 Schwung, Lust 30kurz für die 1829 gegründete Gesellschaft, die auf dem größten österr. Strom befördert 32 das Fremdwort für unbestimmt ist hier verstummt 33 widerlicher Mensch 35 in die Jahre gekommener Teenager 36Massenflucht wie Ausrede 38ich bin gegangen, sagt der Lateiner so 39peinlich, wenn man aus ihr fällt 34 20 25 21 41 vor Sander deutscher Schauspieler türkischer Herkunft („Mordkommission Istanbul“) 42 zwischen S und A Jemens Hauptstadt 43in ihnen werden Winkel gemessen 45Verdi-Oper, die auf einem Drama von Victor Hugo basiert 46Epizentrum 49die kennzeichnet Ehrlichkeit und Anständigkeit Senkrecht 1 der soll marode Firmen wieder auf die Beine bringen 2 zum Aufrufen eines Hyperlinks auf dem Bildschirm 3 damit verschaffen sich Hunde Kühlung 4 Bass-Rolle im „Rosenkavalier“ 5 in jeder Festung zu finden 6 sind vorwitzige, vorlaute Kinder 7 hydraulische Pumpe wie Tierkreiszeichen 8 von 1933 bis 1945 First Lady der USA (Vorname) 9Vorname der Gattin des Cheruskerfürsten Arminius, die 15 n. Chr. den Römern ausgeliefert wurde in der heute üblichen Schreibweise 10abgestorben 1 11 nur auf den eigenen Vorteil bedachter Mensch 12 für Briten Wassersport wie Krawall 13 „Öffentlich Wasser ...... und heimlich Wein trinken“, prangerte Heine die Heuchelei an 14Karawanserei 15 zweiter Halswirbel; vor "of evil" Spruch von George W. Bush 16 so wird mancher Siegfried gerufen 17 an keinem Ort 23 ist ein Quadrat wie eine typographische Maßeinheit 28 am D eine Primadonna 29 aufwärts: Vulkan in Japan 31 wer einem der im Auge ist, ist einem ein Ärgernis 34aufwärts nach Wider- wie ein Echo 35 englisches Zelt 37 deutsches Weinbaugebiet am gleichnamigen Fluss 40davon hat der italienische Tag 24 44nach Opus umstrittene Laienorganisation der römisch-katholischen Kirche 46zwischen L und K Gefahr für Wasserfahrzeuge 47 lautloses englisches Rindfleisch 48Mitte vom Unten-Gegenteil Einsendeschluss: Freitag, 21. August 2015 Das sich zum Teil aus dem Kreuzworträtsel ergebende LÖSUNGSWORT (VON BETRÄCHTLICHEM UMFANG) in ein mit 68 Cent frankiertes Kuvert stecken und einsenden an: Wiener Journal – Kennwort Rätsel – Media Quarter Marx 3.3, Maria-Jacobi-Gasse 1, 1030 Wien oder per Fax an 01/206 99 DW 100, oder per E-Mail an [email protected]. Zu gewinnen gibt es einen Sachpreis (Buch, CD...). Aus allen Einsendungen wird ein Gewinner gezogen. Die Ziehung erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges. Gewinne können nicht in Bargeld abgelöst, nur an den Gewinner ausgefolgt und nicht an Dritte abgetreten werden. Lösung des Rätsels vom 31. Juli 2015 Waagrecht: 1 RICHTUNGSAENDERUNG, 17 HOHEPFORTE, 20 NAAB, 21 IRA, 22 EDAR, 23 OELKATASTROPHE, 25 TIROL, 26 RETOUR, 29 SEOUL, 31 ER, 32 EIDGENOSSE, 34 CITE, 36 ALT, 38 RR, 39 SEARS, 40 RAUCHWOLKEN, 44 EMS, 45 RIST, 47 LAIEN, 48 FRAGE, 50 KNABENBEKLEIDUNG, 51 OR. Senkrecht: 1 RHETORIK, 2 IODIEREN, 3 CHARISMA, 4 HERODES, 5 UFER, 6 NOLENS, 7 GRK, 8 AET, 9 ENARE, 10 NASS, 11 DATEI, 12 EBRO, 13 RIO, 14 UR, 15 NAHE, 16 GAERTNER, 18 POLGAR, 19 TAOS, 24 PLAKA, 27 TORTE, 28 USUAL, 30 UEL, 33 ERIN, 34 CHE, 35 TOFU, 37 LEGO, 41 ALK, 42 CIE, 43 WND, 46 SB, 49 RN. LÖSUNGSWORT: Ruebenbomber I Gewinnerin: Christian Teufelberger, 1160 Wien 44 Wiener Journal 14. 8. 2015 Kurz & Gut. Von Christian Hoffmann Tabus Unvernunft Marcel Mohab begegnet uns im Reich der puren Unvernunft und bringt uns behutsam zurück auf den Boden der Banalität. Zwischen Clownerie und Stand-upComedy, klassischem Theater und Performance Art, Improvisation und Character Comedy – zwischen all diesen Dingen und noch anderen findet man, wenn man genau hinsieht, ein bis dato noch unentdecktes Land: das „Marcel Mohab-Animal Funk“Land. In diesem Land regiert der britische Humor, und die Worte, die hier fallen, sind englisch, aber stets gut verstenglish. Go see it. Mohab ist der Gewinner des Goldenen Kleinkunstnagels 2012: „Skurril, originell, abwechslungsreich, handwerklich gut, grazil und schneidig, schnell und überraschend, fesselnde Imagination.“ (Jury-Bewertung) Mit dem Erbe der Großmutter finanzierte sich Mohab, der aus Graz kommt, seinerzeit eine Clown-Ausbildung bei Philippe Gaulier in Paris, an der Schule, an der auch Sascha Baron Cohen lernte. Marcel Mohab: „Animal Funk “. 30. August, 20 Uhr. Kabarett Niedermair, Lenaugasse 1a, 1080 Wien. T 01/408 44 92. www.niedermair.at Klare, elegante Linien in Öl schweben über wolkenartigen Tuschlavierungen: Was sich hinter dieser vermeintlichen „Schönheit" verbirgt, kann das denkbar Hässlichste sein – mit „Schwarzer Regen“ thematisiert die japanische Künstlerin Hana Usui die Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vor 70 Jahren, und weist damit auch auf gewisse Analogien zur heutigen AKW-Katastrophe von Fukushima hin. Vor diesem Hintergrund sprechen die gleichzeitig harten sowie modulierenden Liniengebilde auf dem zarten Papier eine erschreckende Sprache von Verletzbarkeit, Gewalt und Tod. Der immer wiederkehrende Bezug zu Masuji Ibuses Roman „Schwarzer Regen" verdeutlicht dem Betrachter die Dringlichkeit der Thematik, die in Japan nach wie vor mit Tabus verbunden ist. In ihrer Jugend rebellierte Hana Usui gegen fernöstliche Kalligrafie und übersiedelte nach Wien, um ihren eigenen Weg als freie bildende Künstlerin zu gehen. er Foto: Danielle Shriever Wer reif für die Insel ist, wird nun auf der Alten Donau fündig. Seit geraumer Zeit sorgen elegante Inselboote für ein besonderes Erlebnis mitten in Wien. Die edlen Eilande sind leicht zu bedienen und nachhaltig konzipiert. Die schwimmenden Konzerte sind die neueste Attraktion in der Stadt. Hier wird ein akustisches Erlebnis mit einem kulinarischen kombiniert, und das mitten auf der Alten Donau. Möglich ist dies durch ein ausgeklügeltes Kombisystem, bei dem ein achteckiges Floß als schwimmender Konzertsaal dient und acht Inselboote an den Seiten andocken. So kann sich der Konzertsaal elegant auf dem Wasser bewegen und den Gästen ein einmaliges Musikerlebnis bieten. Bei plötzlich auftretendem Regen dient die Wagramer Brücke als Dach über dem Kopf inklusive besonders guter Akustik. Im August und September stehen gleich mehrere Konzerttermine auf dem Programm, die klassische Melodien aufs Wasser zaubern. Alle Boote entspringen einem clever durchdachten Nachhaltigkeitskonzept. Recycelte Pet-Flaschen bilden die Plattform, statt Glasfasern kommen Hanffasern zum Einsatz. Raffiniert ist die Gestaltung der Boote: rundes Sofa, dunkles Holz und eine Palme. Und das mitten in Wien, gut angebunden an die öffentlichen Verkehrsmittel. Foto: Matthias Aschau Foto: Aquacon Wassermusik Hana Usui: „Schwarzer Regen“. Bis 29. August, Salon M, Myrthengasse 4, A-1070 Wien (Neueröffnung!) Öffnungszeiten Do – Fr 16 – 19 Uhr, Sa 12 – 16 Uhr & nach Vereinbarung. „Schwimmende Konzerte “. 15. und 22. August sowie 5. September, jeweils 20 Uhr: „Sound of Vienna“, Flöte und Streichtrio. Ticket mit Dinner, 68 Euro (ohne Dinner 45 Euro). Laberlweg 19, 1220 Wien, T. 0680 55 349 55. www.meine-insel.at 14. 8. 2015 Wiener Journal 45 Übrigens. Von Peter Krobath Peter Krobath ist freier Journalist in Wien. Zuschriften erbeten an: [email protected] Wer glaubt schon dem Religionslehrer? E in knappes Jahr nach Nine-Eleven bin ich am Flughafen in Los Angeles verhaftet worden, weil in meinem Pass ein Journalisten-Visum fehlte. Die Nacht verbrachte ich im LA County Jail. Als ich in meine Zelle kam, saßen schon etwa 30 Mexikaner dort. Jeder Einzelne von denen wirkte um mindestens zehn Kriminalfilme gefährlicher als ich. Anfangs war mir ziemlich mulmig im Magen. Aber dann habe ich bemerkt: Die Gefährlichen sitzen draußen vor der Zellentür. Die hier drinnen reagieren eh ganz gemütlich. Die Nacht habe ich auf einer Betonbank verbracht. Mein Kopf lag ungefähr einen Meter neben einer Kloschlüssel ohne Deckel, die fest an der Wand verankert war. Es war die einzige Kloschüssel in der Zelle. Sie wurde oft benutzt. Die Zelle war runtergekühlt auf Tiefkühltemperaturen. Schrilles Neonlicht blieb immer an. Aus zwei Fernsehern kam brüllend laute Heavy-Metal-Musik. Es war gut, dass die Fernseher geschützt hinter einem Metallgitter hoch an der Decke hingen. Ansonsten würde es sie nicht mehr geben. Am nächsten Tag wurde ich in Hand- und Fußfesseln, die beide noch durch eine schwere Kette miteinander verbunden waren, zum Flugzeug geführt. Begleitet von zwei schwerbewaffneten Polizisten, die mich keine Sekunde aus den Augen ließen. Die Fesseln wurden mir erst im Flugzeug abgenom- men. Die anderen Passagiere sahen mich seltsam an. Die Stewardess nicht. Sie hat mir sofort einen doppelten Whiskey gebracht. Und gemeint: „Ich denke, den brauchen sie jetzt.“ Hoch lebe die Lufthansa! Wieder in Wien, war ich wütend auf die USA. Mittlerweile bin ich denen dankbar. Durch die aufopfernde Pflichterfüllung der kalifornischen Grenzbeamten kann ich ganz gut nachempfinden, wie sich ein Mensch fühlt, dem jede Würde genommen wird. Und dabei habe ich nicht einmal einen Viertel Fingernagel von dem mitgemacht, was dir jeder erzählen kann, der in Traiskirchen anklopft. Wie verlogen, heuchlerisch und ängstlich wir mit diesen Menschen umgehen, ist eine Schande, die uns allen noch lange am Schädel kleben wird. Nächstenliebe? Nichts weiter als ein nettes Wort aus dem Religionsunterricht. Und wer glaubt schon dem Religionslehrer? Die katholische Kirche sicher nicht. Sonst würde sie sich nicht so sehr gegen Flüchtlinge in ihren Kirchen und Klöstern wehren. Wahrscheinlich ist ein Ausflug nach Eichgraben in Niederösterreich notwendig. Dort leben 4000 Einwohner mit ein paar Flüchtlingen. Anscheinend kommen sie sehr gut miteinander aus. Obwohl mir im Taxi und im Wirtshaus dauernd erzählt wird, dass so etwas denkunmöglich ist. Vorschau impressum Foto: J. Kerviel Foto: Lukas Beck Am 21. August 2015 im Wiener Journal 46 Im UrWald LuftKur Der Mensch lebt vom Wald. Immer schon. Doch nur noch ein kleiner Teil in Österreich ist Naturwald, zum Beispiel der Rothwald im Mostviertel. Biophilia beschreibt den Effekt der Heilung aus dem Wald. Der Autor und Ökologe Clemens Arvay erklärt, was darunter zu verstehen ist. Wiener Journal Herausgeber: Die Republik Österreich, 1014 Wien, Ballhausplatz 2 Medieninhaber: Wiener Zeitung GmbH, 1030 Wien, Media Quarter Marx 3.3, Maria-Jacobi-Gasse 1, Tel.: 01/206 99-0, E-Mail: wienerjournal@wienerzeitung.at Geschäf tsführung: Dr. Wolfgang Riedler Chefredak tion: Reinhard Göweil Leitung: Brigitte Suchan Redak tion: Dr. Christian Hoffmann, Mag. Monika Jonasch, Mag. Christina Mondolfo Mitarbeiter: Peter Bochskanl, Wolfgang Mayr, Dr. Robert Sedlaczek, Dr. Johann Werfring, Mag. Mathias Ziegler Art-Direk tion: Richard Kienzl L ayout: Martina Hackenberg, Tatjana Sternisa, Moritz Ziegler, Philipp Aufner, Moritz-Béla Szalapek Coverfoto: Luiza Puiu Anzeigenleitung: Harald Wegscheidler, E-Mail: [email protected] Druck: Leykam Druck GmbH &Co KG, 7201 Neudörfl, Bickfordstraße 21 14. 8. 2015 FreeStyle Precision Neo. FreeStyle und damit verbundene Markennamen sind eingetragene Marken von Abbott Diabetes Care Inc. in verschiedenen Ländern. Alle Marken und Warenzeichen sind Eigentum der jeweiligen Inhaber. ADC-Nr.: 2015-0019 „Mein Diabetes Trend-Guide!“ Misst Blutzucker und Blutketone und symbolisiert Gefahrensituationen. Bedienung einfach per Fingertipp Trendpfeile warnen vor Unterund Überzuckerungsgefahr Logbuch mit extra großem Speicher für Blutzucker- und Blutketone-Werte sowie für Insulindosen Insulinspritze Protokolllierung der Insulindosis pro Tageszeit für einen guten Überblick Ideal für insulinierte Diabetiker Blutglukose und -Ketone Messsystem : testen s eo.at o n l n n e t o i s s o -preci Jetzt k e l y t s free www. Ich will die besten Ideen für die Zukunft Europas. Franz Fischler, Präsident des Europäischen Forums Alpbach Es braucht mutige Visionen und Innovationen, um die Zukunft Europas nachhaltig zu gestalten. Darum ist T-Mobile stolz darauf, seit vielen Jahren Partner des Europäischen Forums Alpbach zu sein und damit gemeinsam die europäische Idee voranzutreiben. Nachhaltigkeit. Das verbindet uns.
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