70 Jahre Forum Alpbach

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Das Magazin der
14. August 2015
Ungleichheit
Georgios Vichas von der Sozialklinik Athen beim Forum Alpbach
Ungleichheit, Gesundheit, Lebenserwartung
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Ja Alpb
Wiener Journal
ERFOLGSMOTOR.
DAS GUTE LIEGT
SO NAH.
Unser Flughafen – mein ganz besonderer Arbeitsplatz. Wo andere verreisen,
sind 4.200 Flughafen-Mitarbeiter 365 Tage für unsere Passagiere und Kunden da.
Natürlich bedeutet es große Verantwortung und verlangt viel Herzblut, täglich für eine
verlässliche und sichere Abwicklung zu sorgen. Aber es macht auch ganz schön stolz,
Teil dieses starken Erfolgsmotors für Österreich zu sein.
viennaairport.com
Foto: Philipp Naderer
„
W
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
iener Zeitung“ und Europäisches Forum Alpbach verbindet eine lange Gemeinsamkeit. Unser Motto „Zusammenhänge
verstehen“ ist auch Auftrag und Ansporn
in Alpbach. Mit dem SchwerpunktHeft unserer wöchentlichen Farbbeilage
„Wiener Journal“ untermauern wir diese
enge Verbindung.
Ungleichheit ist eines der zentralen
Themen unserer Tage, und wird heftig
diskutiert, da sie einige Paradoxien aufweist. Im globalen Vergleich mag die
Ungleichheit abnehmen, doch innerhalb
von Nationen und Wirtschaftsblöcken
(wie die EU) steigt sie rasant. Reicht
Chancengleichheit?
Wenn immer weniger immer mehr besitzen, wird das unteilbare Wissen zu
einem ganz besonders kostbaren Besitz.
In Alpbach wird dieses Wissen vermittelt, vertieft und in die Welt hinaus
getragen.
Österreich fungiert hier durchaus als Pionier. So startet mit dem Wintersemester 2015 an der Wirtschaftsuniversität
Wien das „Forschungsinstitut für Verteilungsfragen“, denn gerade in Fragen
von Gleichheit und Ungleichheit gibt es
viele statistische Lücken. Diese Lücken
werden oft mit Ideologie gefüllt, doch
Fakten sprechen eine entspanntere Sprache als Dogmen (auch wenn sie es meist
schwerer haben sich durchzusetzen).
Zum 70jährigen Jubiläum dieses Thema
auf die Agenda zu setzen, wird ebenso
mithelfen, unversöhnliche Standpunkte
mit Hilfe von Fakten sowie die – das Forum Alpbach auszeichnende - Lust am
Diskurs anzunähern.
Mit diesem Sonderheft will die Redaktion der „Wiener Zeitung“ mithelfen, den
Fakten zu ihrem entspannenden Recht
zu verhelfen. Ich darf Ihnen für die Lektüre Erbauung und Erkenntnis wünschen. Da Alpbach aber seit jeher nicht
nur vom intellektuellen Anspruch lebt,
sondern ein „Weltdorf“ im besten Sinn
ist, darf auch ein bisschen „WeltdorfTratsch“ nicht fehlen.
Alpbach-Gründer Otto Molden bezeichnete das Europäische Forum 1948
als „Vorhut Europas“, und dieser Geist
herrscht immer noch – im Kongresszentrum, auf den Almhütten, unter – im
Sinne Karl Poppers – „Bäumen der Erkenntnis“.
Dieses „Wiener Journal“ möge seinen
Teil beitragen, diesen Geist weiterzutragen.
Ihr
Reinhard Göweil
(Chefredakteur)
4 Das Sozialklinikum von Georgios Vichas in Athen
10 Bildung und Einkommen als Gesundheitsfaktoren 14 Soziale Ungleichheit und Pen‘s Parade
20 Martha Nussbaum und das gute Leben 24 70 Jahre Forum Alpbach
30 Franz Fischler und die Tiroler Küche 34 Alpbach als Tourismusdestination
40 Vivienne Westwood und die Ungleichheit 42 Spiele: Suchbild & Schach, Rätsel
45 Freizeit: Kurz & Gut 46 Kolumne: „Übrigens“ von Peter Krobath
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Der gute Mensch
von Athen
Das Sozialklinikum von Georgios Vichas in Athen ist überfüllt:
„Hier ist das Besucherbuch. Sehen Sie, wir haben bis jetzt 41.668
Patienten gehabt. Sie kommen zu uns. Aus ganz Athen, aus ganz
Griechenland. Denn die Not wird immer grösser.“
Text: Ferry Batzoglou, Fotos: Luiza Puiu
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Das Magazin der
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Ungleichheit
Georgios Vichas von der Sozialklinik Athen beim Forum Alpbach
Ungleichheit, Gesundheit, Lebenserwartung
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14. August 2015
Hätte uns auch
gut gefallen
Alternative Titelseite
Foto: Luiza Puiu
Zitiert
P
enelope, Mitte dreißig, schwarze Locken, stets freundlich, arbeitet am
Empfang des „Metropolitischen Sozialklinikums“ (Mitropolitiko Koinoniko Iatreio/Mikei) im südöstlichen Athener Vorort Hellenikon.
Sie tut dies einmal die Woche. Ohne Bezahlung. So wie das alle dreihundert Freiwilligen, darunter rund einhundert Ärzte aller Fachrichtungen sowie
Schwestern, Pfleger und Fachkräfte im Sozialklinikum Hellenikon tun.
Unentwegt klingelt auch an diesem brütend heißen Tag im Juli das Telefon im
Empfangsraum des Mikei. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Penelope berät
die Anrufer mit viel Geduld, sie vereinbart Termine. Dann legt sie den Hörer auf.
„Die Dame, die eben angerufen hat, ist schon seit unserer Gründung vor dreieinhalb Jahren unsere Patientin. Sie hat Diabetes“, erklärt sie.
Patienten warten in dem Empfangsraum, einige Ärzte haben Sprechstunde.
Penelope öffnet ein anderes Buch im A4-Format. „Hier ist das Medikamentenbuch. Die Arzneien sind allesamt Spenden. Gelder nehmen wir nicht an,
nur Sachspenden.“
Dann öffnet sie einen der Schränke. „Das sind die Akten unserer Patienten.“
Sie sagt lapidar: „Das sind schon viele Akten, sehr viele. Bald brauchen wir
dafür mehr Platz.“
In einem Behandlungsraum nebenan liegt eine Frau auf dem Patientenbett. Eine
Reflexologin massiert mit beiden Händen die Füße der Frau. Fußreflexzonen-
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„Griechenland
mit seinen knapp
elf Millionen
Einwohnern
hat aktuell
sagenhafte
drei Millionen
Unversicherte.“
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Wiener Journal
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massage im Mikei. Zuerst ist der linke Fuß dran, dann der
rechte, dann wieder der linke. Langsam, dann wieder etwas
schneller, mit leichtem Druck, dann wieder stärker. Die Frau,
Mitte vierzig, blondes Haar, grüne Augen, dunkles Kleid mit
schönen Blumenmotiven, schließt ihre Augen. „Diese Therapie entspannt mich sehr. Das relaxt meinen Körper, meinen
Geist.“
Knapp ein Jahr habe sie auf diesen Termin gewartet, erzählt
sie. Leise fügt sie hinzu: Sie sei arbeitslos, schon seit sechs
Jahren, als die desaströse Griechenland-Krise ihren Anfang
nahm. Schon längst habe sie ihre staatliche Krankenversicherung verloren.
Drei Millionen Unversicherte
in Griechenland
Denn in Griechenland gilt: Nur wer Arbeit hat, hat auch eine
gesetzliche Krankenversicherung. Die Fußreflexzonenmassage ist zu Ende. Die Patientin steht auf. „Ich habe kein Geld,
weder auf der Bank noch anderswo“, klagt die Griechin. Einen Besuch in einer Privatpraxis könne sie sich schlicht nicht
leisten, auch ein Besuch in einem öffentlichen Krankenhaus
koste für Unversicherte wie sie Geld. Zu viel Geld.
So komme sie hierher in das Mikei-Klinikum. „Mir ist es sehr
wichtig, dass meine Kinder und ich hier eine ärztliche Versorgung haben.“ Gratis, in einem humanen Umfeld.
Das hat sie Dr. Georgios Vichas und seinen Mitstreitern zu
verdanken. Georgios Vichas, 54, Brille, sportliche Figur, die
Ärmel hochgekrempelt, gründete Ende 2011 das Sozialklinikum in Hellenikon.
Georgios Vichas arbeitet schon lange in einem öffentlichen
Krankenhaus. „Im Frühjahr 2011 sah ich die Folgen, als die
Menschen plötzlich zu Hunderttausenden ihren Job und damit auch ihre Krankenversicherung verloren.“ Damals habe
er einen 52-jährigen herzkranken Patienten gehabt, der fast
gestorben wäre, weil er ein halbes Jahr lang die nötigen Medikamente nicht habe bekommen können. „Das hat mich
tief getroffen, ich fühlte mich schuldig“, sagt Vichas.
Er habe gesehen, wie die Menschen litten. Und: Er habe zuerst nichts dagegen getan, weil er nicht gewusst habe, wie das
gehen könnte. Das änderte sich erst im August 2011. Vichas:
„Ich war bei einem Konzert mit Mikis Theodorakis, unserem
großen Komponisten. Er hielt eine leidenschaftliche Rede
und sagte unter anderem, was ich die ganze Zeit schon dachte! Mikis sagte, die Ärzte sollten endlich etwas unternehmen,
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um den Menschen ohne Versicherungsschutz in ihrer Not und
Angst beizustehen. Das hat mich kalt erwischt. Das Konzert
fand hier auf dem Gelände des alten Flughafens statt. Plötzlich
kam mir die Idee: ‚Es gab all die leer stehenden Gebäude!‘ Ich
dachte, in einem könnten wir vielleicht ein freies Ambulatorium einrichten.“ Das funktionierte. Zum Glück unterstützt
der Bürgermeister des Bezirks seither Vichas. Er überließ das
Haus. Strom und Wasser werden überdies bezahlt.
In ganz Hellas, dem ewigen Euro-Sorgenland, existieren derweil rund vierzig dieser Hospitäler mit der Gratis-Versorgung.
Das Mikei in Hellenikon ist eine der am stärksten frequentierten Sozialkliniken im ganzen Land.
Vichas ist Kardiologe. Er steht in seinem Sprech- und Behandlungszimmer im Mikei-Klinikum. Er legt den Finger in
die Wunde: „Anfangs suchten uns fast nur arme Menschen auf.
Mittlerweile haben wir Patienten aus allen Schichten. Juristen
ohne Job, gefeuerte Manager, ruinierte Geschäftsleute.“
Der Grund: Griechenland mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern hat aktuell sagenhafte drei Millionen Unversicherte.
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Neben den 1,3 Millionen Arbeitslosen haben Hunderttausende formal noch aktive, de facto aber darbende Selbständige
und Freiberufler ihren Versicherungsschutz verloren.
Sie sind konkret nicht mehr dazu in der Lage, ihre Versicherungsbeiträge in Höhe von 500 bis über 1000 Euro aufzubringen, die alle zwei Monate an die gesetzliche Freiberuflerkasse
OAEE zu entrichten sind. Hinzu kommen deren Familienangehörigen ohne Job. Auch sie genießen keinen Versicherungsschutz.
Sich privat zu versichern, ist für die meisten ein schier unmögliches Unterfangen. Sie haben einfach kein Geld dafür. Denn:
Nur etwa zehn Prozent der Arbeitslosen in Griechenland erhalten ein Arbeitslosengeld in Höhe von 360 Euro pro Monat.
So sparsam man notgedrungen auch sein mag: In den griechischen Metropolen Athen, Thessaloniki, Patras oder Volos
kommt man damit wirklich kaum über die Runden.
Doch auch damit ist spätestens nach zwölf Monaten Schluss.
Eine Grundsicherung gibt es in Griechenland nicht. Es droht
der totale Absturz.
Wiener Journal
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Doch damit nicht genug: Auch versicherte Griechen und Griechinnen geraten in puncto Gesundheitsversorgung
immer mehr in die Bredouille. Denn: Sie
müssen immer mehr für Diagnosen, Behandlungen und Medikamente aus der
eigenen Tasche bezahlen – trotz staatlichem Versicherungsschutz. Die bittere
Realität: Viele können dies nicht mehr.
Die Folge: Sie suchen Sozialkliniken wie
das Mikei auf.
Die Fakten: Gab der griechische Staat im
Jahr 2009 noch 14 Milliarden Euro für
das öffentliche Gesundheitswesen aus,
fielen die betreffenden Staatsausgaben
im Jahr 2014 auf unter zehn Milliarden
Euro. Dieser Betrag entspricht gut fünf
Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in Griechenland, deutlich weniger
als im Schnitt aller OECD-Staaten.
Medikament, dann sind die Patienten
froh und lächeln. Habe ich es nicht, dann
verdüstert sich plötzlich ihr Gesicht. Sie
sind dann total enttäuscht. Sie empfinden
das sogar regelrecht als Desaster. Anders
gesagt: Wir sind die letzte Hoffnung für
unsere Patienten.“
Sie helfe, so gut sie kann, sagt Maritta
Corley. „Es macht mich glücklich, wenn
ich auch nur einem Patienten helfen
kann. Und sein Lächeln ist meine größte
Befriedigung.”
Anfangs hätten Spender die Medikamente, die sich nicht brauchten, spontan
in das Klinikum gebracht. Das Problem:
Das Mikei habe einen großen Bedarf an
Medikamenten für chronische Krankheiten, erklärt Maritta Corley. „Zum Bei-
spiel für Herzkrankheiten oder Diabetes.
Davon haben wir nie genug!“
Wer aber selber herzkrank sei oder unter
Diabetes leide, brauche just jene Medikamente komplett selber. Dem Mikei
werde er somit nur andere Medikamente
spenden. Jene seien aber in der Regel ohnehin keine Mangelware.
Daher würden die potentiellen Spender
das Mikei-Klinikum nunmehr zuerst
kontaktieren. „Sie rufen uns an oder schicken uns eine E-Mail und fragen, was für
Medikamente wir genau brauchen. Dann
sammeln sie Geld dafür und kaufen sie
gezielt für uns“, sagt Maritta Corley.
Dann greift sie sich eine Packung aus dem
gut bestückten Regal. Auf der Packung
steht auf Deutsch in großen Buchstaben:
Manche Medikamente
sind Mangelware
„Legen Sie sich bitte hin!“, sagt Georgios Vichas zu einem Patienten. Vichas
hat mittlerweile seinen weißen Arztkittel
angezogen. Sein erster Patient heute: Kostas, Ende fünfzig, graue Haare. Er lobt
seinen Arzt in höchsten Tönen. „Doktor
Vichas hat mir das Leben gerettet. Einen
Herzinfarkt hätte ich fast nicht überlebt.
Jetzt geht es mir schon besser.“
Vichas schaltet das Ultraschallgerät
an. „So weit ist alles in Ordnung, Herr
Kostas. Das Kardiogramm ist auch o.k.
Passen Sie bitte nur auf ihr Gewicht auf !
Das müssen wir im Auge behalten. Sie
brauchen zudem Bewegung. Schwimmen ist gut, machen Sie damit weiter!
Im September messen wir ihr Cholesterin.“ Kostas nickt.
Dann verschreibt Georgios Vichas seinem Patienten die Medikamente, die er
braucht. „Ich gehe in die Apotheke, um
sie zu holen“, sagt er.
Dafür muss Georgios Vichas gar nicht
das Gebäude verlassen. Denn das Mikei
hat seine eigene Apotheke. Maritta
Corley arbeitet in der Mikei-Apotheke.
Auch sie ist schon von Anfang an dabei. „Ich habe viele Dinge hier gesehen.
Dinge, die andere nicht sehen. Immer
wenn ich meinen Verwandten, Freunden und Bekannten davon berichtete,
sagen sie mir: ‚Maritta, erzähle uns bitte
keine Märchen!‘ “
Tut sie aber nicht. Der „größte Stress“
für sie sei, „in jedem Moment das richtige Medikament“ parat zu haben. Maritta unverblümt: „Habe ich das richtige
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„Klinikware.“ „Das ist aus Deutschland.
Sehen Sie: Hier ist das Preisschild. Die
Packung kostet 25 Euro und 28 Cent.
Der Patient braucht mindestens eine Packung pro Monat.“
Krebspatienten sterben
ohne Behandlung
Gibt es typische Krankheiten in der
Krise? Vichas unverhohlen: „Aids, Tuberkulose und Hepatitis. Die Infizierten
sind oft gerade die Armen. Sie können
sich keine Behandlung leisten. Darum
stecken sie weitere an, und die Infektionen breiten sich aus. Hart trifft es auch
Diabetiker, die ihre Diät nicht halten
können oder nicht genügend Insulin
bekommen.“ Ihnen drohen Blindheit
oder Amputationen. Und viel häufiger
als früher würde Vichas unterernährte
Mütter, Babys und Kinder sehen. Er
warnt: „Das wird viele Kinder für ihr
ganzes Leben schädigen.“
Vichas' Urteil über das öffentliche Gesundheitssystem in Griechenland ist
vernichtend: „Es ist zusammengebrochen.“ Vichas nimmt kein Blatt vor
den Mund. „Ich bin sehr traurig darüber, auch empört über die Situation in
meiner Heimat. Ich sehe, wie die Patienten leiden. Wie sie sterben. Ich habe
Patienten sterben sehen, nur weil das
öffentliche Gesundheitssystem sie nicht
versorgen konnte.“
Einer, der starb: Nikos Kougolos. Er
wurde 65 Jahre alt. Seine Schwester Lila
steht vor seinem Grab auf dem Friedhof
im bürgerlichen Athener Vorort Nea
Smyrni. Es ist sehr still, nur die Vögel
zwitschern. Lila hat Tränen in den Augen, sie ringt um Fassung.
Sie braucht ein paar Minuten, um die
traurige Geschichte ihres Bruders zu
erzählen. „Nikos war Taxifahrer. Wegen der Krise verlor er seinen Job – und
damit seine Versicherung“, beginnt sie.
Ein paar Monate später habe er Krebs
bekommen, so Lila.
Ihr Bruder Nikos habe ein öffentliches
Krankenhaus aufgesucht. Dort sagte
man ihm, er müsse die Behandlung selber bezahlen. Der Staat könne solche
Fälle wie ihn nicht finanzieren, lautete
die Begründung. Unabdingbar dafür sei,
dass er eine Versicherung habe.
Hatte er aber nicht. So wucherte der
Krebs in Nikos' Körper. Ohne Medikamente, ohne die nötige Behandlung
vegetierte Nikos dem sicheren Tod entgegen. Und er starb. Ganz alleine. Ohne
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Hilfe. Einfach so. Menschenunwürdig.
Menschenverachtend.
„Er hat mir seine Krankheit bis zuletzt
verschwiegen. Er wollte mich nicht damit belasten.“ Warum? „Er wollte mich
nicht um Geld bitten. Er war einfach zu
stolz dafür. Nikos hätte Scham empfunden, wenn er mich darum ersucht hätte.“
Lila schluchzt, als sie das sagt.
Fest steht: Krebspatienten kann auch
das Mikei-Klinikum nicht versorgen. Es
ist damit schlicht überfordert. Wer sich
einer Operation unterziehen muss, muss
das in einem öffentlichen oder privaten
Krankenhaus tun.
„Einen Moment werde ich nie vergessen. Das hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben“, sagt Vichas. „Eine Frau
suchte mich auf. Sie sagte mir, sie habe
Krebs. Seit fünf Monaten. Sie habe kein
Medikament genommen. Sie habe keine Krankenversicherung. Sie habe kein
Geld für eine Behandlung.“
„Wir machten ein Röntgenbild. Als ich
das Bild sah, traute ich meinen Augen
nicht. Das Krebsgeschwür war sehr, sehr
gross. Unglaublich groß, riesig. Ich war
so erschüttert, tief schockiert. Ich glaubte
bis dahin, es sei unmöglich, dass so etwas
einem Menschen in Griechenland im 21.
Jahrhundert widerfahren könne. Ich hatte mich geirrt.“
Krise hin, chronisch drohender Staatsbankrott zu Füßen der Akropolis her,
Vichas weiß: Die Missstände sind nicht
nur rein ökonomisch begründet. Er
hofft: Die Politik muss es besser richten.
Bei dem ominösen Referendum am 5.
Juli in Griechenland habe er jedenfalls
mit einem lauten „OXI“ („Nein“) zu den
neuerlichen Sparvorschlägen von Griechenlands öffentlichen Gläubigern EU,
Europäische Zentralbank sowie Internationaler Währungsfonds gestimmt.
„Das OXI bedeutete nicht ein Nein zum
Euro, sondern ein Nein zur hierzulande betriebenen Austerität“, sagt Vichas.
Das Credo der OXI-Sager habe laut
Vichas gelautet: „Stoppt die Austerität!
Schluss mit der unsäglichen Vorgabe
‚Sparen, Sparen, Sparen – bis hin zur
Kaputtsparerei‘.“
Das Gros der Griechen stimmte zwar
beim Referendum mit einem schallenden „OXI“. Dennoch: Ausgerechnet
der Referendum-Initiator, der Athener
Premierminister und bis dahin erklärte
Spargegner Alexis Tsipras vom „Bündnis der Radikalen Linken“ („Syriza“),
der sich vor dem Volksentscheid öffentlich mit Vehemenz für ein klares
OXI eingesetzt hatte, knickte bei einem
dramatischen EU-Gipfel in Brüssel am
Morgen des 13. Juli gegenüber Griechenlands Gläubigern ein.
So steht fest: Der rigorose Austeritätskurs in Athen wird fortgesetzt. Vielleicht
noch rigider als bisher – mit wohl fatalen,
gar katastrophalen Folgen für das bereits
kollabierte dortige Gesundheitswesen.
Georgios Vichas ist verheiratet, er hat
zwei Töchter. Er arbeite viel, schlafe nur
fünf Stunden pro Tag. Lächelnd sagt er:
„Meine Töchter haben vor einem Jahr
aufgehört zu fragen, wann die Krise endlich zu Ende geht.“
Man braucht kein Hellseher zu sein, um
vorauszusehen: Vichas und Co. werden
auch künftig alle Hände voll zu tun haben. Und fest steht ebenfalls: Die Hilfe
der Spender aus aller Welt wird Georgios
Vichas, der gute Mensch aus Athen, nötiger denn je haben. Er kann sicher sein:
Diese Hilfe wird er haben.
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Grobe Unterschiede
Gesundheit und Krankheit richten sich auch nach Bildung und Einkommen. Wo die
Medizin an ihre Grenzen stößt, sind die Sozial- und Gesundheitssysteme gefragt.
Text: Cathren Landsgesell
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dungstitel ist dabei ein Indikator und
Faktor in dem komplexen Geflecht der
sozialen Determinanten von Gesundheit
und Wohlbefinden: „Wir wissen, dass
diejenigen mit höherer Bildung auch die
höchste Anzahl an gesunden Lebensjahren haben, diejenigen mit der geringsten Bildung die geringste“, sagt Anita
Rieder von der MedUni Wien. Rieder
leitet das Zentrum für Public Health.
Folgt man dem Public Health-Ansatz,
so brauchen die heutigen Krankheiten
und häufigsten Todesursachen nicht in
erster Linie medizinische Lösungen,
sondern gesellschaftspolitische.
„Die Unterschiede in der Lebenserwartung sind der sichtbarste Ausdruck
einer ungerechten Gesellschaft“, sagt
Foto: Photographee.eu / Fotolia
uf der Website der Statistik
Austria kann man sich ausrechnen lassen, wann man
sterben wird. Ich habe rein
statistisch noch gut 42 Jahre vor mir, bis
2057. Der Onlinerechner geht davon
aus, dass ich 87 Jahre alt werde. Verlass
ist auf dieses Ergebnis nicht. Es können
nämlich auch gut sechs Jahre mehr oder
weniger sein. Ich habe allerdings gute
Chancen auf die 87 oder mehr. Nicht,
weil ich so gesund bin, sondern weil ich
einen Hochschulabschluss besitze. Die
höhere Bildung verschafft mir – statistisch – einige gesunde Jahre mehr. Es
ist der soziale Status, der über die Länge
des Lebens entscheidet und auch über
die Qualität der letzten Jahre. Der Bil-
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Michael Marmot. „Ungerecht deshalb,
weil wir diesen Verlust an Lebensjahren
mit den entsprechenden Maßnahmen
verhindern könnten, es aber nicht tun.“
Marmot spricht davon, dass „Ungleichheit tötet“. In „großem Maßstab“. Der
Arzt und Epidemiologe am University
College in London gehört zu den ersten
Wissenschaftern, die sich systematisch
mit den sozialen Ursachen von Gesundheit und Krankheit auseinandergesetzt
haben. Schon in den frühen 1980er Jahren stellte er anhand der Gesundheitsdaten von britischen Verwaltungsangestellten, die über mehrere Jahrzehnte
erhoben wurden, fest, dass der soziale
Status über Erkrankung und Lebenserwartung entscheidet: Je weiter unten
in der sozialen Hierarchie, desto kränker ist man und desto früher stirbt man.
Dieser „soziale Gradient“ zieht sich
durch alle Einkommensschichten, in
stetigem Verlauf von oben nach unten. Er lässt sich im globalen Maßstab
in den Unterschieden zwischen einzelnen Ländern ebenso wiederfinden
wie innerhalb von Ländern, zwischen
einzelnen Regionen und Stadtbezirken ebenso wie innerhalb von Unternehmen. 40 Jahre Lebenserwartung
trennen die Menschen in SubsaharaAfrika von Menschen in Westeuropa.
In Deutschland erreichen 87 Prozent
der Männer mit einem hohen Einkommen das 65. Lebensjahr, aber nur
69 Prozent der Männer in niedrigen
Einkommensgruppen. In Österreich
leben Männer mit Hochschulabschluss
rund 6,2 Jahre länger als Männer mit
Pflichtschulabschluss. Wer im Osten
Österreichs lebt, erkrankt häufiger an
Herz-Kreislauferkrankungen und stirbt
früher als im Westen Österreichs. 4,6
Jahre Lebenserwartung trennen den
ersten Wiener Bezirk vom 20. Wiener
Bezirk, ein Raucher mit höherem Einkommen lebt länger als der Raucher
mit dem nächstgeringeren Einkommen.
Soziale Ursachen von Krankheit lassen sich schwer medizinisch besiegen:
„Die Medizin stößt an ihre Grenzen,
wenn es um die gesundheitlichen Folgen sozialer Ungleichheit geht“, sagt
Anita Rieder. Für die häufigsten Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, aber auch bestimmte
Krebsarten und psychische Erkrankungen sind die sozialen Zusammenhänge gut belegt. Länder mit einem gut
ausgebauten Sozialsystem weisen nicht
so drastische Unterschiede zwischen
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den sozialen Schichten hinsichtlich
Lebensqualität und -erwartung auf.
„Man nennt das gern ‚Wohlfahrtsstaat‘“,
sagt Rieder, „die Sozialsysteme sind aber
extrem wichtig, um die soziale und damit die gesundheitliche Ungleichheit zu
begrenzen.“ Armut und große
Einkommensunterschiede in den
Gesellschaften sind Gesundheitsrisiken, denen man medizinisch nicht
beikommen kann. „Gesundheitspolitik
heute muss gezielt soziale Determinanten der Gesundheit ansprechen und
geht über die klassische, an der Medizin
orientierte Versorgung hinaus.“
Umstände machen krank
Soziale Ungleichheit schlägt sich von
Kindesbeinen an auf die Gesundheit
nieder – und bleibt dort. „Zehn bis 15
Prozent der Kinder und Jugendlichen
in Österreich stehen unter erheblichen
psychosozialen Belastungen“, sagt Klaus
„Die Unterschiede in der
Lebenserwartung sind der sichtbarste
Ausdruck einer ungerechten
Gesellschaft.“
Vavrik. Der Mediziner leitet das Ambulatorium für Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie in der Fernkorngasse im elften Wiener Bezirk und
ist der Präsident der Österreichischen
Liga für Kinder- und Jugendgesundheit.
Es sind vor allem die sogenannten
„Lebensstilerkrankungen“ wie Adipositas,
Haltungsschäden,
Sucht,
Entwicklungsstörungen sowie psychosoziale
Belastungsstörungen
und weniger die Mangelerkran-
kungen und Infektionen früherer
Zeiten, von denen sie betroffen sind.
„Das sind Krankheiten, die man nicht
einfach auskurieren kann“, sagt Vavrik.„Es sind Krankheiten, die man ins
Erwachsenenalter mitnimmt, die chronisch werden.“ Überdurchschnittlich
häufig von Lebensstilerkrankungen
betroffen sind Kinder, die armutsgefährdet sind bzw. in manifester Armut leben. In Österreich sind das etwa
300.000 Kinder. „Wer als Kind arm ist,
fernere Lebenserwartung
in Österreich im Alter von 45
70 Jahre
60 Jahre
50 Jahre
45 Jahre
noch
27,0
Jahre
noch
20,2
Jahre
noch
15,9
Jahre
noch
27,0
Jahre
noch
24,3
Jahre
noch
18,0
Jahre
40 Jahre
30 Jahre
20 Jahre
10 Jahre
0 Jahre
Männer
Höhere Schule,
Hochschule
Frauen
Lehre,
Mittlere
(Fach-)Schule
Pflichtschule
Die sogenannte „fernere Lebenserwartung“ bei subjektiv empfundener „sehr guter Gesundheit“. Das bedeutet, ein 45-jähriger Mann mit
Hochschulabschluss, der sich selbst bei sehr guter Gesundheit fühlt, hat wahrscheinlich noch 27 solcher gesunder Lebensjahre vor sich.
Derselbe Mann mit Pflichtschulabschluss nur 15,9. Quelle: Statistik Austria, Bildungsspezifische Sterbetafeln 2006/07, Österreichische
Gesundheitsbefragung 2006/07. Jüngere Daten zum Zusammenhang von Bildung und Lebenserwartung existieren für Österreich nicht.
Auch fehlen in Österreich Kohortenstudien, um den Zusammenhang von sozioökonomischer Ungleichheit und Gesundheit systematisch zu
untersuchen, und vor allem, um zu messen, welche Maßnahmen geeignet sind, gesundheitliche Ungleichheit zu mindern.
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hat ein erhöhtes Risiko, frühzeitig an
Herz-Kreislauferkrankungen zu sterben“, sagt Vavrik. Er nennt einige Faktoren, die dazu beitragen können: der
durch Existenzängste beförderte Stress
in den Familien, Gewalterfahrungen,
ein Wohnumfeld, das gesundheitlich
belastet, weil die Wohnungen an Ausfallstraßen oder Verkehrsadern mit
hoher Feinstaub- und Lärmbelastung
liegen, eine an Kalorien reiche, aber an
Nährstoffen arme Ernährung; wenig
Bewegung und die Erfahrung sozialer
Demütigung. „Der wirksamste Ausweg
daraus wäre Bildung, aber auch bei der
Bildungsmobilität schneidet Österreich nicht gerade gut ab.“ Armut und
damit Krankheit werden vererbt.
Bildung wirkt
Es geht nicht allein um das Vorhandensein oder eben Nichtvorhandensein von Geld. Zwar ist es auf nationaler Ebene tatsächlich so, dass
die Länder mit geringeren Einkommensunterschieden auch die Länder
sind, in denen Aidserkrankungen,
Teenager-Schwangerschaften und psychische Erkrankungen seltener und die
Sterblichkeit aufgrund von übertragbaren und nicht-übertragbaren Krankheiten und Unfällen geringer ist. Das
ist ein Ergebnis einer Untersuchung
der Forschungsgruppe um den Mediziner Russell M. Viner, der wie Marmot
ebenfalls am University College London forscht. Ein genauerer Blick auf die
Wirkmechanismen von Ungleichheit
brachte in der Untersuchung auch zutage, dass Bildungs- und Sozialsysteme
großen Einfluss auf die Gesundheit von
Jugendlichen haben. „Länder, die mehr
Jugendliche in einer über die Pflichtschule hinausgehenden Ausbildung haben, haben insgesamt niedrigere Sterblichkeitsraten“, heißt es in der Studie.
Die Autoren kommen zum Schluss,
dass die Gesundheit von Jugendlichen
am stärksten durch strukturelle Faktoren wie nationalen Wohlstand, Sozialsysteme, Einkommensverteilung und
den Zugang zu Bildung beeinflusst wird.
Familiäre und schulische Sicherheit und
Förderung sowie ein förderndes und sicheres soziales Umfeld unter Gleichaltrigen sind darüber hinaus maßgebliche
Faktoren, damit Jugendliche gesunde
Erwachsene werden. Neben der frühen
Kindheit seien es gerade die Jahre zwischen zehn und achtzehn, in denen sich
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soziale Ungleichheit besonders kritisch
auswirkt, schreiben die Autoren. Sie plädieren dafür, insbesondere in Ausbildung
und Arbeitsplätze für Jugendliche zu investieren, um spätere Erkrankungen und
frühe Sterblichkeit zu verhindern.
So früh wie möglich
Auch wenn die Zusammenhänge immer
deutlicher werden: Noch schlagen sich die
Erkenntnisse nicht entsprechend ihrer Bedeutung in der Gesundheitspolitik nieder.
Klaus Vavrik argumentiert für den Bereich der psychosozialen Belastungsstörungen, dass jeder Euro, der in sogenannte „Frühe Hilfen“, das sind zum Beispiel
Hausbesuche nach Geburten oder Maßnahmen der Frühförderung, investiert
wird, auf das 18-Fache zurückkommt.
Viele europäische Länder verfolgen unterdessen individualisierende Ansätze der
Gesundheitsvorsorge: Aufklärung über
gesunde Ernährung beispielsweise oder
Bewegungsprogramme. Sinnvolle Maßnahmen durchaus, sagt auch Michael
Marmot. Allerdings müsse stärkeres Augenmerk darauf gelegt werden, dass gerade die Risikogruppen, also sozial schwächere Familien, diese Angebote auch
wahrnehmen können. Sonst haben solche
Ansätze das Potenzial, soziale Ungleichheiten zu verstärken. Wer gebildeter ist,
ist auch aufgeschlossener für eine gesunde
Ernährung, obwohl er sie vergleichsweise
weniger dringend braucht.
Anita Rieder plädiert dafür, die Gesundheitseffekte stärker auch in anderen Politikfeldern bei der Gestaltung
von Maßnahmen zu berücksichtigen
– in der Steuerpolitik ebenso wie in der
Stadtplanung oder im Wohnbau. „Weil
die Risikoverteilung ungleich ist, muss
man darauf achten, Ungleichheiten
nicht zu verstärken, sondern im Gegenteil abzuschwächen.“
Anita Rieder, Zentrum für
Public Health (MedUni Wien).
Foto: Thomas Preiss
Michael Marmot,
University College London.
Foto: Wikipedia
Alpbach-Info
Gesundheit und Ungleichheit beim
Europäischen Forum Alpbach 2015
Michael Marmot, Anita Rieder
und Klaus Vavrik sind bei den
Gesundheitsgesprächen des
diesjährigen Europäischen Forums
Alpbach mit Seminaren und
Vorträgen zu erleben.
Gesundheitsgespräche
23.-25. August 2015
Klaus Vavrik, Österreichische Liga
für Kinder- und Jugendgesundheit.
Foto: Peter Hautzinger
Wiener Journal
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Die Parade
der Habenichtse
D
er niederländische
Ökonom Jan Pen
publizierte 1971
ein Buch mit dem
Titel „Economic Inequality“. Zur Veranschaulichung
sozialer Ungleichheit griff er
zu folgendem anschaulichen
Bild, das von Ökonomen
„Pens Parade“ genannt wird:
Eine Stunde lang sollten die
Einkommensbezieher eines
Landes an den Zuschauern in
einer Parade der sozialen Ungleichheit vorbeimarschieren,
wobei die Körpergröße genau
ihrem Einkommen entsprechen sollte. Angenommen, die
österreichische Parade zieht
über die Wiener Ringstraße
und die Köpergröße aller Beteiligten wäre proportional zu
ihrem Einkommen (präziser:
Die Größe des Haushaltsvorstands wäre proportinal
zum Haushaltseinkommen):
Die Zuschauerinnen und
Zuschauer wären genau 1,72
Meter groß – was exakt der
Größe eines durchschnitt-
14
Wiener Journal
lichen Österreichers (Durchschnittseinkommen: 43.891
Euro) entspricht.
Zu Beginn der Parade marschieren Winzlinge in Käfergröße auf, sie repräsentieren
Menschen ohne reguläres
Einkommen, die sich von Tag
zu Tag durchschlagen müssen.
Nach fünf Minuten sind die
Zwerge mit ihren rund 10.000
Euro Jahreseinkommen gerade einmal kniehoch. Eine endlos anmutende Prozession der
Einkommensliliputaner zieht
vorbei, Arbeiter mit geringeren
Qualifikationen, Büro-Boten
und Portiere, Menschen, die
in Fastfood-Restaurants oder
Handelsketten arbeiten. Zur
Halbzeit der Parade, nach 30
Minuten, sind die Vorbeimarschierenden mit ihren 32.593
Euro Jahreseinkommen immer noch erst kindsgross mit
ihren 1,28 Metern Größe.
Es dauert dann noch weitere
zehn Minuten, bis die durchschnittlich großen Zuschauer
auf Augenhöhe mit den Vor-
Das Europäische
Forum Alpbach
widmet sich im 70.
Jahr den Ursachen
der sozialen
Ungleichheit, stellt
die Frage, ab wann
sie zum Problem
wird und wie
gegengesteuert
werden kann.
Text:
Thomas Seifert
Illustrationen:
Peter M. Hoffmann
beimarschierenden sind. Der
Pulk besteht aus Kleingewerbetreibenden, Händlern, gut
ausgebildeten Industrie- oder
Büroarbeitskräften. Die Kohorte der Durschnittsverdiener marschiert gerade vobei.
Von nun an geht alles ganz
schnell: Nach 45 Minuten Parade marschieren die
Vorbeiziehenden schon in
Zwei-Meter-Basketballergröße vorbei (52.980 Euro
Jahreseinkommen),
bei
Minute 54 kommen DreiMeter-Riegel, bei Minute
57 Vier-Meter-Riesen, eine
Minute später Fünf-MeterGiganten (124.539 Euro
Jahreseinkommen). In den
letzten Sekunden schießen
die Hochwüchsigen förmlich
in den Himmel: Mit 369.776
Euro Jahreseinkommen sind
die Marschierer des letzten
Perzentils – so nennen die
Ökonomen die Prozentränge, in die sie die Einkommensklassen einteilen – 14,5
Meter groß. Bundespräsident
Heinz Fischer mit seinen
336.462 Euro Jahreseinkommen ist vor einem Sekundenbruchteil vorbeigehuscht,
doch nun dominieren erfolgreiche Anwälte, Banker, Manager, Ärzte, Architekten.
Von Österreichs Gehaltskaisern, die in den letzten
Bruchteilen einer Sekunde
vorbeisausen, wie dem NochOMV-Chef Gerhard Roiss
oder Erste-Group-Chef Andreas Treichl sehen die Zuschauer gerade einmal die
14. 8. 2015
Schuhsohle, erst wenn sie den
Kopf weit nach hinten neigen,
können sie diese Giganten –
so groß wie der Südturm des
Wiener Stephansdoms (136,4
Meter) – in ihrer riesenhaften
Gestalt erkennen.
Sich diese Parade vorzustellen,
ist lehrreich: Sie zeigt nicht
zuletzt, wie sehr ein Durchschnittswert in die Irre führen
kann. Denn die meisten Haushalte können sich nicht über
ein Einkommen von rund
43.891 Euro freuen, der viel
aussagekräftigere Medianwert
(32.249 Euro) liegt weit unter dem Durchschnittswert.
Denn der Median lässt die
Ausreißer-Werte (in diesem
Fall die astronomischen Jahreseinkommen des reichsten
Prozent der Bevölkerung) außer Acht. Bei diesen ominösen
32.249 Euro verdienen genau
die Hälfte der Einkommensbezieher weniger und genau
die andere Hälfte mehr. Eine
vergleichsweise kleine Handvoll extrem gut bezahlter
Menschen zieht den Durchschnittswert scharf nach oben.
Steigende Ungleicheit
Neben Pen’s Parade können
sich Ökonomen für den sogenannten
Gini-Koeffizienten begeistern. Dieser recht
brauchbare Indikator gibt ein
14. 8. 2015
Maß für soziale Ungleichheit
in einer Gesellschaft an: Bei
einem Gini-Wert Null haben
alle gleich viel, beim Wert
Eins hat einer alles und die anderen gar nichts. Ein höherer
Gini-Koeffizient ist somit
ein Maß für eine ungleichere
Gesellschaft. Die schlechte
Nachricht: Der Gini-Koeffizient steigt in den meisten
westlichen Gesellschaften. In
Österreich liegt dieser Wert
derzeit bei 0,28, in Deutschland bei 0,29, in Großbritannien bei 0,35 und in den
USA bei 0,40. Warum steigt
der Gini-Koeffizient? In den
zwei Dekaden vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im
Jahr 2008 sind die Haushaltseinkommen in den OECDStaaten der wichtigsten Industrienationen um rund 1,7
Prozent jährlich gestiegen,
wobei in den meisten Ländern
die Haushaltseinkommen der
wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte schneller
als jene in den ärmsten zehn
Prozent der Haushalte gewachsen sind. In Österreich
liegen die Durchschnittseinkommen der reichsten zehn
Prozent der Haushalte heute
siebenmal höher als jene der
ärmsten zehn Prozent. Der
Unterschied zwischen den
ärmsten und den reichsten
zehn Prozent ist in Ländern
wie Deutschland, Holland, der
Schweiz und den skandinavischen Ländern geringer als
in Österreich, in Italien, Japan,
Korea und Großbritannien
liegt dieser Wert höher, und
zwar beim Faktor 10, in der
Türkei und den USA bei 14.
Der Anstieg des Gini-Koeffizienten begann in den späten
70ern und frühen 80ern zuerst in den englischsprachigen
Ländern, in den 90ern weitete
sich dieser Trend aus und ab
dem Jahr 2000 stieg der Wert
auch in Ländern mit egalitärerer Tradition wie Deutschland, Österreich und den nordischen Ländern an.
Warum das so ist? Die Lehrbuch-Erklärung: Neue Technologien und die fortschreitende Globalisierung haben
die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften erhöht
und die nach unqualifizierten
verringert. Unqualifizierte Tätigkeiten wurden ins Ausland
verlagert oder die Arbei-
Der Teufel scheißt
immer auf den größten
Haufen. Doch der
Ökonom Thomas
Piketty destilliert
dieses Naturgesetz des
Kapitalismus in eine
ganz und gar nicht
vulgäre, knappe und
saubere Formel: r > g.
Wenn die Kapitalrendite
über der Wachstumsrate
liegt, dann folgt
daraus, dass ererbtes
Vermögen schneller
wächst als Produktion
und Einkommen – die
Ungleichheit steigt.
Wiener Journal
15
ter durch Roboter ersetzt.
Dadurch hätten vor allem die
unteren Einkommensschichten gelitten. Die oberen Einkommensschichten konnten
im Gegenzug profitieren, da
die modernen Ökonomien
immer mehr hochqualifizierte
Arbeitskräfte brauchen.
Steigende Gewinne
Doch Tony Atkinson, der
Doyen der Ungleichheitsforscher, lieferte vor einiger Zeit
in einem Essay in der „Wiener Zeitung“ eine alternative Deutung: Die Spitze der
Einkommenspyramide würde
ihre Einkommenshöhe selbst
mit dem Arbeitgeber verhandeln, während die unteren
Einkommensschichten auf die
Verhandlungsmacht der organisierten Arbeitnehmerschaft
angewiesen sind. Atkinson
argumentiert, dass es vielfach
politische Weichenstellungen
waren, die ab den 1980er
Jahren dazu führten, dass die
Einkommensschere aufging:
16
Wiener Journal
Der Milliardär
George Soros, der
Nobelpreisräger Paul
Krugman, der gefeierte
Ökonomen-Popstar
Thomas Piketty, der
Ungleichheits-Forscher
Branko Milanović, der
Ökonom John Maynard
Keynes und Joseph
Stiglitz (v.l.n.r.) – sie
alle halten soziale
Ungleichheit für
hochproblematisch.
0,47 m
12030,40 Euro
0,66 m
16872,15 Euro
6 min
10. Perzentil
12 min
20. Perzentil
Die Gewerkschaften wurden überall in der OECD
geschwächt, die staatlichen
umverteilungspolitischen
Maßnahmen wurden zurückgefahren, die Lohnquote, also der Anteil der
Löhne am Nettoinlandsprodukt, ist von fast 75 in den
90er Jahren auf 69 Prozent
gesunken, obwohl der Anteil
der lohnabhängig Beschäftigten in etwa gleich geblieben ist. Wäre die Lohnquote
heute genauso hoch wie noch
vor 20 Jahren, dann hätte jeder
Arbeitnehmer im Jahr durchschnittlich über 3000 Euro
mehr Lohn bekommen. Im
Gegenzug ist die Gewinnquote – Einkommen aus Vermögen wie Aktien, Mieten, Zinsen, Gewinne – auf über 30
Prozent gestiegen. Das bedeutet: Im beständigen Ringen
zwischen Arbeit und Kapital,
über das Karl Marx im siebten
Abschnitt Band I seines Monumentalwerks „Das Kapital“
geschrieben hat, hatte zuletzt
das Kapital die Oberhand.
0,84 m
21466,92 Euro
18 min
30. Perzentil
Der
Wirtschafts-Nobelpreisträger und Kolumnist
der „New York Times“, Paul
Krugman, widmet sich in seinem Buch „Vergesst die Krise“
der Frage, warum die Reichen und Superreichen den
Normalsterblichen in punkto
Einkommen und Vermögen
derart davonziehen konnten.
Sein Schluss: In der Welt der
Reichen sind die Gesetze von
Angebot und Nachfrage außer Kraft gesetzt. Denn die
Spitzengehälter von CEOs,
schreibt Krugman, würden
von Kommissionen festgelegt,
1,02 m
26151,52 Euro
24 min
40. Perzentil
1,25 m
31905,28 Euro
30 min
50. Perzentil
14. 8. 2015
und die wiederum würden von
den CEOs selbst einberufen.
Einigen Superreichen wird
diese Entwicklung langsam
unheimlich: Der aus Ungarn
stammende Investor und Philanthrop George Soros hat
gemeinsam mit anderen Milliardärsfreunden die Gruppe „Patriotische Millionäre“
gegründet, mit dem Ziel, die
Steuern für Wohlhabende in
den USA zu erhöhen. Sie sind
der Meinung, dass in Zukunft
auch jene, die ihren Reichtum
nicht geerbt haben, einen Anspruch auf ihren Anteil am
amerikanischen Traum haben
sollten. Soros und Warren
Buffett glauben, dass ein Staat,
der nicht adäquat in Bildung,
Infrastruktur und Technologie
investiert, die nächsten Generationen um ihre Lebenschancen bringt. Und sie glauben, dass eine immer mehr in
Reich und Arm auseinander-
1,54 m
39277,85 Euro
36 min
60. Perzentil
14. 8. 2015
1,87 m
47711,03 Euro
42 min
70. Perzentil
driftende Gesellschaft Gefahr
läuft, zu zerbrechen.
Der wie ein Popstar gefeierte
Ökonom Thomas Piketty
hat wiederum Erben als ein
Grundübel ausgemacht, das zu
stetig steigender Ungleichheit
führt: „Wenn die Kapitalrendite über der Wachstumsrate
einer Volkswirtschaft liegt,
dann folgt daraus logischerweise, dass ererbtes Vermögen
schneller wächst als Produktion und Einkommen“, schreibt
er im Einleitungskapitel des
Millionenbestsellers „Kapitalismus im 21. Jahrhundert“.
Man könnte es auch vulgärer formulieren: Der Teufel scheißt immer auf den
14,49 m
369776,43 Euro
Die Parade
vom Habenix
zum Millionär
So würde eine einstündige Parade von Österreichs
Einkommensbeziehern aussehen, wenn die
Körpergröße proportional zum Einkommen
wäre: Erst nach 42 Minuten kämen die
Durchschnittsverdiener, Spitzenmanager wären
so groß wie der Stephansdom.
Quelle: Stefan Humer (2015) Berechnungen
auf Basis des HFCS 2010
2,34 m
59722,08 Euro
48 min
80. Perzentil
3,05 m
77951,54 Euro
54 min
90. Perzentil
60 min
100. Perzentil
Wiener Journal
17
größten Haufen. Wenn
es so weitergeht, sagt Piketty,
dann entsteht die Welt von
morgen so, wie Europa im
19. Jahrhundert ausgesehen
hat und von der Jane Austen
oder Honoré de Balzac erzählten – eine patrimoniale
Gesellschaft, in der eine kleine Gruppe von Reichen und
Superreichen sehr gut lebt
und sich auf den Früchten des
geerbten Vermögens ausruhen
kann, während der Rest sich
abmühen muss, um im Kampf
ums Dasein zu bestehen.
WU-Ökonom Wilfried Altzinger rechnet für Österreich
vor, dass in den kommenden
dreißig Jahren ein Volumen
von rund 25 Milliarden Euro
pro Jahr vererbt werden wird
– 65 Prozent der Bevölkerung
werden hingegen so gut wie
nichts erben. Dass die Steuern und Abgaben auf Arbeit
mit 56,8 Prozent einen EURekord-Wert bilden, während
Österreich bei den vermögensbezogenen Steuern mit
2,3 Prozent Besteuerung auf
Platz 24 des EU28-Reichensteuern-Rankings liegt, ist
daher für Experten wie Altzinger unverständlich.
18
Wiener Journal
Ein gewisses Maß an Ungleichheit sei aber nicht so
schlimm, sagen hingegen
Hanno Lorenz und Michael Christl von der liberalen
Wirtschaftsdenkfabrik Agenda Austria: „Ein gewisses
Maß an sozialer Ungleichheit
ist sogar Voraussetzung für
wirtschaftliche
Dynamik.“
Die Zunahme an sozialer Ungleichheit der Einkommen
habe in Österreich zudem mit
einer höheren Zahl von Pensionisten, Singlehaushalten
und Teilzeitarbeit zun tun. Als
Hauptursache der ungleichen
Vermögensverteilung sehen
die beiden Agenda-AustriaExperten den im internationalen Vergleich aufgrund attraktiverer Mieten geringeren
Immobilienbesitz und die
vergleichsweise höhere Anzahl an Single-Haushalten.
Was soll aus Sicht liberaler
Ökonomen gegen soziale Ungleichheit unternommen werden? Christian Helmenstein,
Chefökonom der Industriellenvereinigung, hält das Angebot von Bildungschancen
– neben umverteilungspoli-
tischen Maßnahmen des Sozialstaats – für das tauglichste
Instrument, soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Die unterschiedliche
Bereitschaft
von Menschen, ökonomische
Risiken einzugehen, die zu
unterschiedlichen Einkommen führen, könne man kaum
verändern.
Keynes Vision
Eine immer
mehr in Reich
und Arm
auseinanderdriftende
Gesellschaft
läuft Gefahr,
zu zerbrechen.
Der britische Ökonom John
Maynard Keynes hatte in den
1930er Jahren einen Traum:
Damals hielt er eine Vorlesung mit dem Titel „Wirtschaftliche Möglichkeiten für
unsere Enkelkinder“, in der
er davon fantasierte, dass die
heutigen Generationen bei
steigendem Wohlstand viel
weniger arbeiten müssten.
Die technologischen Möglichkeiten würden die Produktivität so weit erhöhen,
dass genügend für alle da sein
würde. Keynes schwärmte
von „wirtschaftlicher Seligkeit“ und davon, dass für
„immer größere und größere
Schichten und Gruppen von
Menschen“ sich „Probleme
wirtschaftlicher Notwendigkeit einfach nicht mehr stellen“. Keynes hat aber freilich
unterschätzt, wie wenig jene,
die über diese neuen Produk-
14. 8. 2015
tionsmöglichkeiten verfügen,
bereit sein würden, die Früchte dieser Produktivitätsfortschritte mit den anderen zu
teilen. Von Keynes Traum ist
daher nichts geblieben.
Der aus Serbien stammende Ungleichheits-Ökonom
Branko Milanović schreibt in
seinem Buch „The Haves and
the Have-nots“ über die vielen
Gesichter der Ungleichheit.
So gebe es soziale Ungleichheit innerhalb eines Landes.
Ungleichheit zwischen verschiedenen Ländern, wie dem
reichen Katar oder Singapur
(Österreich ist bezogen auf
das Bruttosozialprodukt pro
Kopf immerhin das zwölftreichste Land der Welt) und
dem bettelarmen Kongo, Burundi und der Zentralafrikanischen Republik.
Gleichheit ist Glück?
Franz Fischler, Präsident des
Europäischen Forums sagt,
dass man sich beim diesjährigen Denker-Festival in
Alpbach auch mit der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und der Frage der
Generationengerechtigkeit
widmen wird. Wie soziale
Ungleichheit sich in einem
schlechteren Gesundheitszustand und schlechteren Bildungschancen für die Benach-
14. 8. 2015
Läßt sich Wohlstand
in Zukunft nur mehr
ererben? Das Heer
der Habenichtse
ist in westlichen
Gesellschaften
angewachsen, die Rufe
nach einem neuen Robin
Hood wurden vor allem
nach Ausbruch der Krise
im Jahr 2008 lauter.
teiligten in der Gesellschaft
auswirkt, wird man ebenfalls
in Alpbach diskutieren. Alles Fragen, die Richard Wilkinson und Kate Pickett in
ihrem Buch „Gleichheit ist
Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle
besser sind“ aufgeworfen
haben. In Ländern mit höherer sozialer Ungleichheit
gebe es mehr Verbrechen,
eine höhere Kindersterblichkeit, mehr übergewichtige
Bürgerinnen und Bürger mit
einer verkürzten Lebenserwartung – Frauen würden in
solchen Gesellschaften stärker diskriminiert. Die These
von Wilkinson und Pickett:
Sozial gerechtere Gesellschaften würden sich besser
schlagen, weil Menschen in
kleinen Gruppen von Jägern
und Sammlern aufgewachsen sind, die ihr Essen teilen.
In Alpbach, meint Philippe
Narval, Geschäftsführer des
Teams des Europäischen
Forums, soll darüber „ohne
ideologische Scheuklappen“
diskutiert werden. Das Thema hat also zunehmend Konjunktur: Zuletzt wurde an der
London School of Economics das „International Ine-
qualities Institute“ gegründet, an der WU Wien wird
am 18. September das Forschungsinstitut „Economics
of Inequality“ aus der Taufe
gehoben, das sich sozialen
und ökologischen Fragen der
Einkommens- und Vermögensverteilung widmen wird.
Welche Wege gibt es aus der
Ungleichheits-Falle? Die Experten raten zu einer Sozialstaats-Reform und höheren
Steuern auf Vermögen bei
gleichzeitiger Senkung der
Steuern auf Arbeit. Der Amerikaner Joseph Stiglitz schreibt
in seinem im September erscheinenden Buch „Reich und
Arm“, dass nur die Politik und
nicht der Markt das Problem
lösen kann. Nur wenn die
Regierungen wieder die wirtschaftlichen Bedürfnisse der
Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen, könne der Graben zwischen Reich und Arm
überwunden werden.
Wiener Journal
19
Was braucht der Mensch?
Mit sozialer Ungleichheit hat
sich vor mehr als zweitausend
Jahren ein griechischer Denker
auseinandergesetzt. Es war
Aristoteles, der ein Konzept des
Wohlfahrtsstaates entwickelte,
auf das sich in unseren Tagen
die feministische Philosophin
Martha Nussbaum beruft.
Text: Christian Hoffmann
20
Wiener Journal
M
artha C. Nussbaum, Jahrgang 1947, ist
eine bemerkenswerte Frau. Derzeit unterrichtet sie als Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der Universität von Chicago. Wenn man ihren Namen in das
Videoportal YouTube eingibt, ist man mitten in ihren
Vorlesungen und sieht eine elegante Frau, die lebhaft
spricht und um vieles jünger wirkt, als sie den Jahren
nach ist.
Ihr Leben lang hat sich Martha Nussbaum leidenschaftlich in politische Debatten eingebracht, war an
den aktuellen Entwicklungen des amerikanischen Feminismus beteiligt und hat bahnbrechende Arbeit auf
dem Gebiet der Entwicklungspolitik geleistet. Anfang
der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entwickelte sie gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensge-
14. 8. 2015
fährten Armatya Sen an der Universität
der Vereinten Nationen ein neues Konzept für die Entwicklungs- und Sozialpolitik: den Befähigungsansatz, englisch
„capability approach“, einem modernen
Versuch, Lebensqualität zu messen.
In ihrer Arbeit beruft sich Martha
Nussbaum immer wieder auf einen
Autor: Aristoteles. Die Ansichten zur
sozialen Verantwortung des Staates für
seine Bürger, die der griechische Philosoph im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung entwickelt hat, hält
sie unermüdlich dem amerikanischen
Liberalismus entgegen. Obwohl sie die
Beschränktheit der griechischen Demokratie jener Zeit einräumt, die Sklaverei
und das Fehlen von Rechten für Frauen,
sieht sie in den Gedankengängen des
Aristoteles Grundlagen für eine Poli-
tik, die für eine die Mehrheit der Bürger eines Landes zu einem guten Leben
führen könnte.
Ganz am Anfang ihrer Schrift „Der
aristotelische Sozialdemokratismus“ erinnert sie zum Beispiel an die Auffassungen des Griechen über das Verhältnis von Privatbesitz und Gemeinbesitz
an Grund und Boden. Für Aristoteles
stand nämlich fest, dass ein Übermaß an
Privatbesitz für die Gesellschaft schädlich wäre, da eine Gruppe von Armen
entstünde, die von der Teilnahme an demokratischen Prozessen ausgeschlossen
wäre. Deswegen hält er in seiner Schrift
„Politik“ fest: „Hiernach ist es nun erforderlich, dass der ganze Grund und
Boden in zwei Teile geteilt wird und der
eine derselben Gemeinbesitz, der andere
aber Privatbesitz ist.“
Frauen in Bangladesch (linkes Bild): Wie stellen sie sich ein gutes Leben vor? – Armut in Athen:
Aristoteles warnte schon vor zweitausend Jahren vor einer Spaltung der Gesellschaft.
Fotos: SK Hasan Ali / Demotix / Iakovos Hatzistavrou / Pacific Press / Corbis
14. 8. 2015
Wiener Journal
21
Diese Konzeption des Aristoteles läuft auf
eine Art Mindestsicherung hinaus: „Kein Bürger
darf an Lebensunterhalt Mangel leiden.“ Wobei
diese Idee der sozialen Verantwortung den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken soll. Der
Gemeinbesitz müsse dafür verwendet werden,
fordert der Philosoph, die gemeinsamen Mahlzeiten aller (!) Bürger und öffentliche Veranstaltungen wie Theateraufführungen zu finanzieren.
Damit grenzt sich Aristoteles von Sparta ab, wo
zu jener Zeit die Bürger selbst einen Beitrag
für die öffentlichen Mahlzeiten leisten mussten und die Armen kaum in der Lage waren,
sich an diesen Veranstaltungen zu beteiligen. Im
Gegensatz dazu verlangt der Athener, dass der
Staat seine Bürger konsequent in die Lage versetze, am öffentlichen Leben teilzunehmen. „So
wird nämlich der Forderung der Gleichheit und
Gerechtigkeit entsprochen.“ Diese Gedanken
erscheinen tatsächlich so radikal sozialdemokratisch, dass mancher moderne Sozialdemokrat im
Zeitalter des wütenden Sparens (auf Kosten der
jeweils anderen, versteht sich) bei ihrer Lektüre
erröten müsste.
Das gute Leben
Wie aber kann man nun das gute Leben näher
bestimmen? Was braucht der Mensch wirklich?
Bedeutet das gute Leben ganz einfach Reichtum, ein Übermaß an materiellen Gütern, das
Schlaraffenland? – Selbstverständlich nicht, wie
bereits Aristoteles wusste. Martha Nussbaum
fasst seinen Standpunkt markant zusammen:
„Die Nützlichkeit des Geldes für ein menschliches Leben hat ihre Grenze, wenn ein Mensch
dank des Geldes die Stufe erreicht hat, auf der
er zu einem guten Leben fähig ist; danach ist
ein Mehr nicht unbedingt besser und kann sogar
schlechter sein.“
Nein, die Grundidee eines guten Lebens lässt
sich nicht quantitativ erfassen, sondern muss
inhaltlich bestimmt sein. Und diese inhaltlich
Bestimmung kann auch nicht einfach empirisch durch Umfragen ermittelt werden, wie
Martha Nussbaum in „Der aristotelische Sozialdemokratismus“ anhand eines Projektes in
Bangladesch zeigt. Dabei ging es darum, dass
die Frauen eines Dorfes Lesen und Schreiben
lernen sollten. Umfragen ergaben, dass diese
Frauen mit dem bisherigen Stand der Dinge zufrieden waren und keinen Wunsch nach Veränderungen äußerten, was leicht einleuchtet, wenn
man bedenkt, wie Nussbaum schreibt, „wie stark
die kulturellen Kräfte sind, die die Frauen dahingehend beeinflussen, nicht mehr Bildung zu
fordern oder auch nur zu wünschen“.
Erfolg hatte dieses Projekt erst, als die Forscher
das Leben in dem Dorf genauer studierten
„und fragten, was die Frauen tun könnten, um
die wichtigsten Tätigkeiten auszuüben und ein
22
Wiener Journal
Die Menschen zum
guten Leben befähigen:
die Philosophin Martha
Nussbaum.
Foto: Jana Leon / Corbis
gutes Leben zu führen“. Daraus entstanden dann Kooperativen, die nach
und nach die Rolle der Bildung in verschiedenen Lebensbereichen klärten und daraus Motive für eine Alphabetisierung entwickelten.
Ausgehend von solchen Erfahrungen entstand in den Jahren, in denen
Martha Nussbaum mit dem indischen Ökonomen Armatya Sen im
Auftrag der UNO zusammenarbeitete, der Befähigungsansatz, zumeist
angesprochen als „capability approach“, eine Art Katalog von kulturübergreifenden menschlichen Grundbedürfnissen. Ausgehend von der
Grunderfahrung der Sterblichkeit und dem Wunsch zu leben, umfassen
sie unter anderem körperliche und gefühlsmäßige Erfahrungen, die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten, das Erlebnis von Vertrauen, die Fähigkeit, Vorstellungen des Guten zu entwickeln, Erfahrungen der Gemeinschaft, Erlebnissen von Freude und Spiel bis hin zu den Bedürfnissen von
Individuen sich abzugrenzen.
Dieser Katalog kann sowohl als weltweit gültige Liste von Mindeststandards
für ein gutes Leben gesehen werden als auch als wissenschaftlich anwendbares Instrument, wenn es darum geht, den sozialen Zustand einer Gesellschaft zu beurteilen. Der Inder Armatya Sen sah darin die Möglichkeit, die
Lebensqualität in verschiedenen Ländern dieser Erde präziser zu bestimmen,
als es mit den Ziffern der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung möglich
wäre. Und für Martha Nussbaum bleibt die aristotelische Forderung aktuell,
dass es die Aufgabe jedes Staates ist, seine Bürger dazu zu befähigen, die
Grundbedürfnisse, die in dem Katalog des „capability approach“ aufgelistet
sind, zu befriedigen. Und es scheint hoch an der Zeit, die Funktionsträger der
modernen Staaten an diese Gedanken zu erinnern.
Nachlesen
Martha C. Nussbaum:
Gerechtigkeit oder Das gute Leben.
Gender Studies. Herausgegeben
von Herlinde Pauer-Studer. Aus dem
Amerikanischen von Ilse Utz. Edition
Suhrkamp, Frankfurt am Main,
1999. 315 Seiten.
Geld
Geld
kann
kann
vieles
vieles
kaufen.
kaufen.
GUTE
GUTEARGUMENTE
ARGUMENTE
GEHÖREN
GEHÖRENALLEN.
ALLEN.
facebook.com/arbeit.wirtschaft
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twitter.com/AundW
twitter.com/AundW
Herausgegeben
Herausgegeben
von AK und
vonÖGB
AK und ÖGB
www.arbeit-wirtschaft.at
www.arbeit-wirtschaft.
Alpbach in
Erinnerungen
24
Wiener Journal
14. 8. 2015
1945, Gründer
des Forums
Alpbach Otto
Molden (2.v.l.)
mit Forumsteilnehmern.
Blitzlichter aus der
Geschichte des
Europäischen Forums
Alpbach anhand
von Zeitzeugen und
Berichten in der
„Wiener Zeitung“.
Foto: Archiv EFA
Text: Barbara Ottawa
B
1947, Arbeitsgemeinschaft.
14. 8. 2015
Foto: EFA
ücher, historische Abrisse und Sonderberichte
zur Geschichte des Europäischen Forum Alpbach, das 1945 ins Leben gerufen wurde,
gibt es viele. Dieses Jahr wird eine neuerliche
historische Aufarbeitung durch Maria Wirth vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, vorgestellt
(siehe Buchtipp).
Doch die alltäglichen Dinge, an die sich Zeitzeugen wie
Rudolf Schönwald gerne erinnern, werden selten zu Papier gebracht. Der Maler und Grafiker war noch keine 30
Jahre alt, als er „aus persönlichen Gründen“, wie er es formuliert, nach Alpbach reisen wollte. Der Zufall und sein
Freund Markus Prachensky kamen ihm dabei 1957 zu
Hilfe. Der Malerkollege bot Schönwald an, sein Stipendium für das Forum Alpbach – bei dem in diesem Jahr eine
Ausstellung „Das junge Österreich“ auf dem Programm
stand – zu teilen.
„Prachensky meinte, er werde es ohnehin nicht länger als
drei oder vier Tage in Alpbach aushalten“, erzählt Schönwald im Gespräch. „Letztendlich ist er drei Wochen geblieben und ich zehn Tage und unser Stipendium sowie
das Anrecht auf drei Essensmarken pro Tag wurden dankenswerterweise ständig verlängert.“
Sein bis heuer einziger Besuch beim Forum Alpbach gehört deshalb für den 87-Jährigen zu seinen „schönsten
Erinnerungen“. Er habe dort eine „so freundliche und
freundschaftliche Behandlung wie noch nie“ erfahren,
und das obwohl man ihn nicht kannte.
Überhaupt sei damals „alles kleiner und noch nicht 100
Mal ausprobiert gewesen“, beschreibt Schönwald den
Aufenthalt unter großen Persönlichkeiten in Alpbach. Er
zitiert dazu den vom Schriftsteller Gerhard Amanshauser
kreierten Ausdruck „Bedeutungsspeck“. Diesen hätten die
Menschen damals „noch nicht angesetzt“ gehabt. Dennoch sei eindrucksvoll gewesen, gleich am ersten Abend
mit Arthur Koestler, Friedrich Torberg und Wolfgang
Pfaundler an einem Tisch zu sitzen. Da er in Alpbach
Erwin Schrödinger die Hand schütteln durfte, waren für
ihn später Momente, in denen er einen 1000-SchillingSchein in selbiger halten konnte, nicht nur ob der Geldmenge ein besonderes Erlebnis.
Wiener Journal
25
Arbeitsplätze in Afrika
und Asylpolitik
Einen hohen Stellenwert hatten die „Hochschulwochen“, wie
sie zunächst bei ihrer Gründung 1945 genannt wurden, praktisch
von Beginn an. Im ersten Bericht der „Wiener Zeitung“ zur
Veranstaltung anno 1947 wird aus einer Rede des französischen
Hochkommissär in Österreich, General Emile Béthouart, aus Alpbach
zitiert, in der er unter anderem „das Verdienst hervorhob, welches
sich die österreichischen Hochschulwochen in der Auffindung des
Weges zum Geist einer neuen Zeit erworben haben.“
Drei Jahre später, kurz vor seinem Amtsende, sprach Béthouart
erneut in Tirol. Diesmal präsentierte er ein ungewöhnliches
Konzept zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Europäer: „Der Plan
zur Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten, die das übervölkerte
Westeuropa nicht geben kann, müsste mit den Programmen
wenig bevölkerter Länder (...) in Verbindung stehen (...) Vor
allem könnte in Zentralafrika in der Zukunft ein Maximum von
Lebensmöglichkeiten geschaffen werden (...) vielleicht ist es nicht
paradox, zu sagen, dass die Einheit Europas in Afrika geschaffen
wird.“
Als im Jahr 1968 russische Panzer in Prag einrollten, war man beim
Forum Alpbach, das traditionellerweise im August bis Anfang
September stattfindet, mitten im Weltgeschehen. Per Radio
informierte man sich über die neuesten Entwicklungen. Allerdings
zeigten sich laut Erinnerungen einiger Teilnehmer in diesen Tagen
auch die politischen Gräben zwischen den Anwesenden. Die
Bundesregierung ließ sofort verlautbaren, dass sie „zur großzügigen
Handhabung des Asylrechts bereit“ sei und „alle Vorkehrungen für
beo
die Aufnahme von Flüchtlingen getroffen“ habe.
Auch das Auftreten der Menschen sei ein anderes
gewesen, in diversester Hinsicht. Der junge Maler Josef
Mikl sei mit seinem „Maßanzug und englischen Schuhen nicht von einem Ministeriumsbeamten zu unterscheiden“ gewesen. Der Autor Alexander WeißbergCybulski kam mit seinem Chauffeur mit einem Auto
mit französischem Kennzeichen an. Aber auch andere
Persönlichkeiten erweckten Ehrfurcht unter den anwesenden Studierenden, Künstlern und Ehrengästen:
„Wenn Sie wüssten, was es geheißen hat, dass ein Minister vorfährt“, gibt Schönwald zu bedenken. „Der
Chauffeur öffnete den Wagenschlag, der Minister entschwebte und alle erhoben sich.“
Laut „Wiener Zeitung“ nahmen in diesem Jahr neben
Künstlern und Prominenten auch „500 Studenten und
Professoren aus 20 Nationen“ am Forum in Alpbach teil.
Handgreiflichkeiten und
Völkerverständigung
Wahrscheinlich ebenso wichtig wie die Diskussionsrunden und gemeinsamen Mittagessen während des Tages
waren die abendlichen Besuche bei den diversen Wirten des Tiroler Alpendorfes. Einerseits kam es natürlich
manchmal zu Handgreiflichkeiten, wobei sich Schönwald heute nicht mehr erinnern kann, warum H.C. Artmann etwa in Konflikt mit einem anwesenden Elefantenjäger und Abenteurer geraten war. Oder warum ein
Filmemacher den Postwirt „mit einem brillanten Judogriff aus seinem eigenen Gasthaus befördert“ hatte.
Die Wirtsstuben konnten aber auch der Völkerverständigung dienen, wie Schönwald aus eigener Erfahrung weiß: „Drei ungarische Studenten, die 1956 nach
Österreich gekommen waren, wollten unbedingt ihren Helden Arthur Koestler, der in Budapest geboren
und aufgewachsen war, kennenlernen. Dieser ließ sich
aber verleugnen und das Gerücht verbreiten, er spreche
kein Ungarisch.“ Da Schönwald die Wirtshausroutine
Koestlers kannte, riet er den Studenten, um eine bestimmte Uhrzeit in einem Gasthof Wein und gute Zigarren bereitzustellen und ihrem Landsmann quasi in
der Gasse „aufzulauern“. „Als ich einige Stunden später
nach dem Rechten sehen wollte, fand ich Koestler mit
den Studenten in einer Rauchwolke im Gasthaus und
sie unterhielten sich köstlich – auf Ungarisch natürlich.“
Waldheim und Buthelezi
1949, Eröffnung, in der ersten Reihe v.l.n.r. Otto Molden,
Unterrichtsminister Felix Hurdes und ganz rechts der
französische Hochkomissär General Emile Béthouart.
Foto: Archiv EFA
26
Wiener Journal
Die Alpenidylle wurde aber immer wieder auch für Debatten zu kontroversen Themen oder für ebensolche Besucher genutzt. „Das spricht für Alpbach, dass man auch
immer kritisch diskutieren konnte“, sagt Anton Pelinka,
der in einem Jahr als Wissenschafter zu einer Diskussion
über die damals schwelende „Waldheim-Affäre“ geladen
worden war. „Eine reine Pro-Waldheim-Diskussion wäre
beim Europäischen Forum nicht möglich gewesen.“
Einige Jahre zuvor hatte der Professor an der Universität
Innsbruck bereits die Rolle des kritischen Beobachters
beim Europäischen Forum Alpbach übernommen und
zwar wegen Besuchs aus Südafrika. Das ApartheidRegime schickte 1988 Mangosuthu Buthelezi, den
14. 8. 2015
Steinzeitliche Probleme
1977, v.l.n.r. Otto Molden, Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg, der
gerade abgewählte israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin,
Dr. Hanna Molden. Foto: Alpenbild Habermüller
Dass manche Themen immer
wiederkehren, zeigt ein Blick in die
„Wiener Zeitung“ vom 23. August 1977,
die vom Bankenseminar in Alpbach
berichtete, wo „Finanzprobleme im
Mittelpunkt“ standen: „Im Rahmen
des Alpbacher Generalthemas ‚Konflikt
und Ordnung‘“ beschäftigte man sich
mit „Finanzierungsproblemen und
Finanzierungsquellen der Wirtschaft“.
Noch viel ältere Probleme standen 1993
auf der Agenda. Ein Journalist hatte
kurz zuvor ein Buch publiziert, in dem
er vor allem wegen des Fehlens eines
Penises beim entdeckten Similaun-Mann
von einer Fälschung sprach. Doch die
„Wiener Zeitung“ berichtete am 31.
August: „Den verschiedenen Theorien,
wonach ‚Ötzi‘, die rund 5300 Jahre alte
Gletscherleiche vom Hauslabjoch in
Tirol, eine Fälschung sei, widersprachen
die an den Untersuchungen beteiligten
Wissenschafter Sonntag Abend beim
EFA.“
beo
Wir wünschen dem Europäischen Forum Alpbach, dass
die kommenden 70 Jahre ebenso spannend sein mögen,
wie unsere vergangenen 140 Jahre.
Alles Gute zum heurigen Jubiläum.
www.tuv.at
1988, Proteste gegen den Besuch
von Inkatha-Führer Buthelezi.
Fotos: Gattinger, Archiv EFA
Bundespräsident Heinz Fischer über seine Begegnung
mit Indira Gandhi in Alpbach im Jahr 1983
Wenn AuSSenminister schlafen
Vorsitzenden der Zulu-Partei Inkatha
und offiziellen Premierminister des von
der Regierung geschaffenen „Homeland“
KwaZulu Natal, zu diversen internationalen Veranstaltungen. „Buthelezi sollte
verwendet werden, um der Welt zu zeigen, dass man reformwillig sei – aber das
Apartheid-Regime konnte nicht reformiert, sondern nur abgeschafft werden“,
so Pelinka. Er war damals in der österreichischen Anti-Apartheid-Bewegung aktiv
und bezeichnet sich selbst als deren „bürgerlich herzeigbares Gesicht“. Er wurde
nach Alpbach gesandt, um dort während
des Vortrags Buthelezis kritische Fragen
zu stellen.
Gleichzeitig hatte die Bewegung sowohl
von Wien aus als auch durch ihre Tiroler
Landesgruppe eine Protestaktion organisiert. An die 50 Aktivisten reisten in das
Bergdorf, um gegen den Auftritt Buthelezis zu demonstrieren. „Sie stellten die
Figur eines überlebensgroßen Todes auf
– das war an dem Tag groß in der ‚Zeit
im Bild‘“, erzählt Walter Sauer, damals
im Vorstand der österreichischen AntiApartheid-Bewegung. „Es war damals die
erste Protestveranstaltung gegen Alpbach,
respektive einen Teil des Forums.“
Die Aktion verdeutlicht auch die internationale Bedeutung des Europäischen
Forums Alpbach, das über die Jahrzehnte
immer wieder Echos in internationalen
Medien fand und hochrangige Gäste anlockte. „Man musste dabei sein“, berichtet
Schönwald auch schon aus 1957. „Alpbach hatte etwas Belebendes“, resümiert er.
„Das Leben in Österreich war damals sehr
bescheiden und wir hatten großen Nachholbedarf.“ Auch auf akademischer Ebene
und beim Europäischen Forum „konnte
man Dinge mitbekommen, die an den heimischen Unis ausgeklammert waren“.
„Im Sommer 1983 waren Fred Sinowatz Bundeskanzler und ich in seiner
Regierung Wissenschaftsminister. Im August stand ein Staatsbesuch von Indira
Gandhi auf dem Programm, der besonders sorgfältig vorbereitet wurde, weil
wir wussten, dass es eine enge und gute Beziehung zwischen Bruno Kreisky
und der indischen Ministerpräsidentin gab. Fred Sinowatz ersuchte mich als
Ehrenkavalier für Indira Gandhi zu fungieren und sie während ihres gesamten
Aufenthaltes zu begleiten. Am Programm stand auch der Besuch einer
Veranstaltung in Alpbach mit dem Thema „Europa und Indien“.
Ich begleitete die Ministerpräsidentin in ihrem Sonderflugzeug von Wien nach
Innsbruck und von dort nach Alpbach. Indira Gandhi gefiel es sehr gut in diesem
Bergdorf, aber sie war noch müde von der Reise und vom Zeitunterschied. Aber
noch viel müder war ihr Außenminister Rao, der ihr aus Südindien nachgereist
war und damals nach mehrmaligem Umsteigen wohl an die zwanzig Stunden
unterwegs gewesen ist.
Beim Abendessen ist die Konversation mit der Ministerpräsidentin sehr gut
gelaufen, aber ihr Außenminister ist während des Abendessens weithin
sichtbar dreimal eingeschlafen und musste ebenso oft einigermaßen diskret
geweckt werden.
Das stand aber seiner späteren Ernennung zum Ministerpräsidenten nicht
im Wege. Ich habe Indira Gandhi einige Jahre später in Delhi besucht und
festgestellt, dass sie ihren Österreichbesuch noch in guter Erinnerung hatte.
Bei meinem übernächsten Besuch in Indien konnte ich nur mehr jene Stelle im
Park ihres Amtssitzes besuchen, wo sie von zwei ihrer Leibwächter erschossen
worden war.“
1983, v.l.n.r. Ministerpräsidentin Indira Gandhi, Otto Molden und ganz
rechts mit Brille der damalige Wissenschaftsminister Heinz Fischer.
Foto: Archiv EFA
28
Wiener Journal
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Die Kunst
des Tiroler
Knödels
Wenn man über gutes Essen
sprechen möchte, ist Franz Fischler
ein idealer Gesprächspartner. Landwirtschaft,
Nahrungsmittel und die Kunst des guten
Essens haben ihn sein Leben lang beschäftigt.
Ein Privatissimum über Tiroler Küche.
Text: Christian Hoffmann
D
ie Tiroler Küche“, erklärt Franz Fischler
zu Beginn des Gesprächs mit einem
verschmitzten Lächeln, „gibt es eigentlich nicht.“ Er
legt eine kleine Pause ein, damit das
Wiener Gegenüber die Tragweite dieser Feststellung einmal ermessen kann,
und fügt dann hinzu: „Es gibt drei ver-
„
30
Wiener Journal
schiedene Küchen, die in West-Tirol,
die im unteren Inntal sowie die Südund Osttiroler Küche.“ Im westlichen
Tirol stand traditionell das Fleisch im
Mittelpunkt des Kochens, vor allem
das Schweinefleisch. Östlich davon,
auch in der Gegend von Alpbach, spielen Milch und Mehl kulinarisch eine
wichtige Rolle, auch die verschiedenen
Käsesorten. Die Süd- und Osttiroler
Küche wiederum ist deutlich vielfältiger und orientiert sich an der italienischen Küche, an der der Emilia Romagna und der Po-Ebene.
„Heutzutage“, ergänzt Franz Fischler, „vermischen sich diese Elemente,
außerdem wird die Küche vom Geschmack der Touristen beeinflusst.“
Trotzdem kennt jeder Einheimische
noch die klassischen Sprüche: „Knedel,
14. 8. 2015
Franz Fischler ist auf dem
Markt fündig geworden.
Nocken, Muas und Blenden, sein die
vier Tiroler Elementen“, wobei „Blenden“ für den staunenden Wiener mit
Polenta übersetzt wird. Mais, von dem
die Polenta ja kommt, wird nämlich
seit einigen hundert Jahren im Raum
um Innsbruck kultiviert.
Was alkoholische Getränke betrifft, so
kennt die Tiroler Tradition vor allem
den Most und den Schnaps. Die Sache
14. 8. 2015
hat allerdings einen Haken, insofern
es in höheren Lagen ja kaum Obstbau
gibt. Deswegen hat man Hochprozentiges auch auf anderer Grundlage
gebrannt und es gibt schon aus den
Tagen von Maria Theresia ein Privileg, das den Bauern in der Gegend
von Alpbach, genauer gesagt aus der
Wildschönau, erlaubt, Schnaps aus
der Stoppelrübe zu brennen, den
Foto: Luiza Puiu
Wiener Journal
31
Tiroler Speckknödel
Zutaten für 8 bis 12 Knödel:
6 trockene Semmeln
Salz, schwach
¼ I Milch
2–3 Eier
10 dag Speck
15 dag geräucherte Wurst oder Selchfleisch
3 dag Butter
½ Zwiebel
Petersilie, Schnittlauch
etwa 3 EL (= 6–8 dag) Mehl
Fleischsuppe oder Salzwasser
1. Semmeln kleinwürfelig schneiden und salzen. Die Milch mit den Eiern versprudeln (Eiermilch), über das Brot gießen, leicht unterziehen, zudecken und
eine halbe Stunde stehen lassen.
2. Den Speck sehr fein schneiden und ausbraten. Weiche Selchwurst klein
schneiden und ausbraten, harte Wurst wiegen und direkt zum Brot geben.
Die würfelig geschnittene, in Butter angeröstete Zwiebel und
die geschnittenen Kräuter beifügen.
3. Das Mehl darüberstreuen, gut unterziehen und zusammendrücken.
Die Masse soll eher fest sein, aber nicht schmieren.
4. Mit nassen Händen 8–12 gleich große Knödel formen und gut drehen.
5. Wenn alle Knödel am Brett liegen, gibt man einen Knödel zur Probe in die
leicht kochende Suppe oder in das Salzwasser und lässt
ihn ca. 12 Minuten kochen.
Der gekochte Probeknödel soll außen glatt sein und innen eine lockere Masse
aufweisen. Ist der Knödel zu weich, gibt man etwas Mehl dazu und drückt beim
Runden fester an. Zu feste Knödel können mit Eiermilch gelockert werden.
Gute Knödel steigen in der Suppe sofort auf. Die Knödel schmecken
am besten, wenn sie gegessen werden, sobald sie gekocht sind.
berühmt-berüchtigten Krautinger.
Der ist sogar, wie Franz Fischler mit
dem gewissen verschmitzten Lächeln
anmerkt, innerhalb der EU geschützt.
„Man darf aber nicht vergessen“, fügt
Fischler hinzu, „dass Tirol bis zum Ersten Weltkrieg ein Land war. Es war
daher üblich, dass die Bauern einmal
im Jahr nach Südtirol gefahren sind,
um dort ihren Jahresbedarf an Wein
zu decken.“
Nun aber ist es an der Zeit, konkret
zu werden. „Sehr gerne esse ich Tiroler Knödel“, sagt Franz Fischler und
fügt hinzu: „Aber nur wenn sie gut
gemacht sind.“ Gute Tiroler Knödel herzustellen ist eine Kunst, der
nach der Erfahrung des ehemaligen
EU-Landwirtschaftskommissars nur
jede zehnte Köchin gewachsen ist.
Dabei klingt die Sache gar nicht so
kompliziert (siehe Rezept): Semmelwürfel, angebratene Speckwürfel,
angeschwitzte Zwiebel, würfelig geschnittene Wurst. Das Ganze wird mit
leicht angewärmter Milch und drei bis
vier Eiern zu einer Masse vermischt,
die allerdings nicht zu feucht sein darf.
Daraus werden Knödel geformt und
in kochendes Wasser eingelegt. Urtirolerisch isst man einen „zu Wasser“
und einen (oder mehr) „zu Lande“, das
heißt, den einen in einer Rindsuppe,
den oder die anderen mit Salat oder
Sauerkraut.
* Es gibt sehr viele Abweichungen von diesem Rezept. Wichtig sind die Qualität
der Zutaten und die sorgfältige Zubereitung.
* Nach altem Brauch isst man den ersten Knödel in der Suppe, den zweiten zu
Sauerkraut oder Rübenkraut, den dritten zu Eingemachtem oder
Schweinernem, den vierten mit Salat. Wer dann noch kann, beginnt wieder von
vorne. Sehr gerne isst man zu Knödeln auch Kresse- oder Vogerlsalat.
Wichtige Hinweise für die Knödelzubereitung:
• Getrocknetes Knödelbrot benötigt etwas mehr Flüssigkeit und
braucht länger zum Durchziehen.
• 1 Semmel entspricht etwa 4 dag trockenem Knödelbrot.
• Die meisten Knödelteige formt man mit angefeuchteten Händen
oder mit einem Löffel und einer nassen Hand.
• Manche Knödel kann man auch in etwas glattem Mehl drehen, damit
sie beim Kochen nicht zerfallen.
• Die Knödel in weiten Gefäßen kochen und nicht zu dicht einlegen, damit sie
gut aufquellen können und die Form halten.
• Knödel sollen nicht zugedeckt und wallend kochen, sondern offen und leicht
ziehend, sonst zerfallen sie. Zu kaltes Wasser kann das Gleiche bewirken.
• Die Kochzeit muss auf die Größe der Knödel abgestimmt werden.
Zu langes Kochen macht Semmelteige eher zäh; Erdäpfel-, Brand- und
Topfenteige hingegen zerfallen dann leicht.
32
Wiener Journal
Rezept aus
Maria Drewes:
„Tiroler Küche“,
14. Auflage, 2012,
Verlag Tyrolia.
324 Seiten.
14. 8. 2015
Perfekte Tiroler Knödel im
leicht kochenden Salzwasser.
Foto: Herbert Lehmann / Corbis
14. 8. 2015
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Land Tirol stärkt heimische
Wissenschaft und Forschung
Die Stärkung der Forschung und Wettbewerbsfähigkeit Tirols sowie die Förderung
junger WissenschaftlerInnen – das sind die Ziele der Tiroler Wissenschaftsförderung.
4 Mio. Euro nimmt das Land Tirol dafür seit 2014 jährlich in die Hand. Ca. 3 Mio.
Euro fließen in den neuen Fonds für Grundlagenforschung. Dazu kommt eine
Kofinanzierung der Österreichischen Nationalstiftung in gleicher Höhe, sodass bis
zu 6 Mio. Euro jährlich für den Fonds zur Verfügung stehen. Möglich macht das eine
Kooperation mit dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF)
des Bundes. Der seit 2004 bestehende „Tiroler Wissenschaftsfonds“ ist weiterhin mit
800.000 Euro dotiert. Tiroler Forschungsprojekte mit einem Fördervolumen von über
100.000 Euro können beim FWF, wissenschaftliche Arbeiten bis max. 100.000 Euro
bei der Geschäftsstelle des Tiroler Wissenschaftsfonds eingereicht werden.
Weitere Informationen unter www.tirol.gv.at/wissenschaftsfonds
Foto: Standortagentur Tirol
Neben den Tiroler Knödeln muss unbedingt auch das Meraner Schnitzel
erwähnt werden. Das ist ein Schweinsschnitzel oder Kotelett, das kurz angebraten in eine feuerfeste Form gelegt
wird. Dazu kommen Pilze, Schinken,
Zwiebel und Rahm sowie viel Käse,
wonach das Ganze im Rohr überbacken wird.
Und dann natürlich das berühmte
Tiroler Gröstel: Gekochte Erdäpfel werden blättrig geschnitten. Dazu
kommt Rindfleisch, ebenfalls blättrig
geschnitten, dann werden Zwiebel
in Butter angeröstet und schließlich
Fleisch und Kartoffel dazugegeben.
Zum Schluss kommt viel Schnittlauch
drüber, serviert wird mit Salat oder
Kraut. In der Luxusvariante gibt es
dazu noch ein Spiegelei, das Herrengröstel.
Eine besondere Gröstel-Variante,
fügt Franz Fischler hinzu, ist das
Stockfisch-Gröstel, das seinerzeit am
Aschermittwoch in Tiroler Bürgerhäuser auf den Tisch kam. Dazu braucht
man, wie der Name sagt, Stockfisch,
also getrockneten Kabeljau aus der
Nordsee, was sich nun wirklich nur die
gehobenen Schichten leisten konnten.
Der Haken bei der Sache war, dass
dieser getrocknete Kabeljau Tage vor
dem Kochen in Wasser eingelegt werden musste. „Das stinkt bestialisch“,
erklärt Franz Fischler. Deswegen übernahmen dieses Geschäft traditionell
die Kapuziner-Mönche. Ansonsten
entsteht das Stockfisch-Gröstel wie
das mit Rindfleisch, nur dass sehr viel
Knoblauch dazugegeben werden sollte.
Dann kommt Rahm darüber und das
Gröstel wird in einer feuerfesten Form
in den Ofen geschoben. „Einmal habe
ich das für Paul Flora gekocht“, erzählt
Franz Fischler, und danach habe der
Künstler jedes Jahr wieder nach dieser
Spezialität gefragt.
„Ansonsten bin ich aber“, schließt
Franz Fischler das Privatissimum über
Tiroler Küche, „kulinarischer Kosmopolit. Ganz besonders mag ich die chinesische Küche.“ Aber das ist wieder
eine ganz andere Geschichte.
Durch die Unterstützung junger WissenschaftlerInnen wird die
wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes Tirol und somit
seine Zukunftsfähigkeit nachhaltig gestärkt.
Foto: Luiza Puiu
Winter, Sommer, Forum. So in
etwa dürfte die Zeitrechnung im
„schönsten Dorf Österreichs“, wie sich
Alpbach seit einer diesbezüglichen
Auszeichnung nennen darf, in etwa
funktionieren. Tatsächlich sieht das
Zweieinhalbtausend-Seelen-Dörfchen
aus, als wäre eine Ansichtskarte zum
Leben erwacht.
Text: Teresa Reiter
34
Wiener Journal
U
nendlich blaue Seen, knallgrüne Hügel, mächtige
Berge und der eine oder andere reife Apfel, der
einem im Vorübergehen geradezu in den Mund
fliegt, machen es vor allem für Städter manchmal
schwer zu glauben, dass all das echt sein soll. Steht abends
dann auch noch der Himmel in Flammen, bis die Sonne hinter den Bergen verschwindet, bleibt schon mal dem einen oder
anderen der Mund offen stehen.
Auch die traditionelle Architektur Alpbachs steht wie die
Kulisse eines Heimatfilms da. Damit das Ortsbild erhalten
bleibt, gibt es in der Gegend strenge Bauvorschriften, die genau regeln, was man darf und was nicht. Bürgermeister Markus Bischofer erklärt, diese richten sich nach althergebrachten
Bauweisen, bei denen Holz eine wesentliche Rolle spielt. „Bei
uns müssen sich Architekten eben im inneren Bereich austoben“, sagt er.
14. 8. 2015
Dreifaltiges
Alpbach
Alpbach liegt in den Kitzbühler Alpen, am Fuße des 1898
Meter hohen Berges Gratlspitz und ist eigentlich zu jeder
Jahreszeit einen Besuch wert. Selbst der Bürgermeister kann
sich nicht recht entscheiden, wann ihm sein Heimatdorf am
liebsten ist. „Ich glaube wir sind reich damit beschenkt, dass
wir hier noch Jahreszeiten erleben können. Man freut sich
im Winter aufs Skifahren und im Sommer darauf, auf den
Berg zu gehen. Das hat alles seinen Reiz“, meint der gelernte
Tischler.
Das Skigebiet Alpbachtal Wildschönau etwa ist besonders
für seine abwechslungsreichen Pisten bekannt. Hier finden sowohl Anfänger und Familien mit Kindern als auch
die Wagemutigen die passenden sportlichen Herausforderungen. Etwa 109 Kilometer Piste, drei Snowparks und 47
Liftanlagen stehen den Wintertouristen zur Verfügung. Geübte Freerider können sich auch in Richtung Inneralpbach
14. 8. 2015
an unberührten Abfahrten versuchen. Wen das kalt lässt, der
kann entweder gleich in einer der vielen Hütten auf ein paar
„Alpbacher Kasspazl“ gehen oder sich im Schneeschuhwandern oder Winterbogenschießen versuchen.
Im Sommer hingegen gilt Alpbach nicht nur als Wanderparadies, sondern auch als Pilgerstätte für Adrenalinjunkies.
Im Kramsacher Naturhochseilgarten etwa kann man sich
zwischen Himmel und bis zu 17 Meter tiefen Abgründen
einen besonderen Kick holen. Über schwankende Balken,
schaukelnde Hängebrücken und Stahlseile kann man dort
zusammen mit erfahrenen Guides seine eigenen Grenzen
austesten. Für Wasserratten bieten die Flüsse im Alpbachtal
ein vielfältiges Freizeitangebot. In Neoprenanzug und Helm
geht es zum Wildwasserschwimmen im hie und da schon
sehr kühlen Nass und auch Fans von Canyoning, Rafting
und Schlauchreiten kommen nicht zu kurz. Bei Letzte-
Wiener Journal
35
Familienskifahren in der Region Alpbachtal-Wildschönau.
Unten: Congress Center mit Schneedecke.
Fotos: Alpbachtal Seenland Tourismus
36
Wiener Journal
rem wirft man sich auf einen buntbemalten Lkw-Schlauch
und schmeißt sich damit in die Fluten.
Gleichzeitig gilt das Alpbachtal als äußerst kinderfreundlich.
Die Knirpse können Kapitän im Alpbacher Kinderpark in
Reith werden, Trampolin springen oder sich an der LauserKugelbahn am Erlebniswaldspielplatz Lauserland vergnügen.
Dort gibt es übrigens lauter Dinge, auf die man als Erwachsener durchaus eifersüchtig werden könnte, wie etwa ein riesiges
Hüpfkissen und den Steckenpferdparkour. Die ganz Kleinen
können mit ihren Eltern den zwei Kilometer langen, kinderwagentauglichen Rundwanderweg „Juppi Zauberwald“ erkunden,
der auch die eine oder andere Überraschung bereithält.
Momentan rüsten sich das Bergdorf und alle seine Restaurants
und Unterkünfte jedoch für den jährlichen Ausnahmezustand
Europäisches Forum Alpbach. Das 1945 von Otto Molden und
Simon Moser unter dem Namen „Internationale Hochschulwochen“ ins Leben gerufene Forum zieht seit vielen Jahren
Politiker, Denker, Journalisten und nicht zuletzt Studenten aus
aller Welt nach Alpbach. Damals und heute dürften sich jedoch
gravierend unterscheiden, wächst das Forum doch mit jedem
Jahr ein wenig weiter. Heuer wird dafür eigens das Kongresszentrum erweitert, erzählt Bürgermeister Markus Bischofer.
In Richtung des Traditionsbetriebs Romantikhotel Böglerhof,
während des Forums umschwärmt wie ein Bienenstock, wird
in den Hügel hinein ein neuer Teil des Zentrums gegraben. „Es
14. 8. 2015
wird im Berg verschwinden, weil natürlich über das Kongresszentrum drüber wieder der Skibetrieb laufen muss. Wo hat
man das schon, dass im Sommer Schafe auf dem Kongresszentrum grasen und im Winter die Skifahrer drüberbrettern?“,
sagt Bischofer lachend. Im Dorf würde die Erweiterung von
ziemlich allen begrüßt. Man nehme es als Investition in die
Zukunft Alpbachs wahr, da man den Kongressgästen ordentlich etwas bieten wolle. Natürlich gäbe es zur Zeit des Forums
eine erhöhte Wertschöpfung, sind die Unterkünfte in diesen
Wochen doch nahezu hundertprozentig ausgelastet.
Konflikte zwischen den Veranstaltern des Forums und der
Gemeinde gäbe es nur selten. Klar, es kam damals zu dieser
Auseinandersetzung um die „Vollpension“, daran erinnert
sich Bischofer „nur zu gut“. Das erfolgreiche Wiener Sozialbusiness Vollpension hatte nämlich beim Forum 2013 seine
Zelte im alten Hallenbad aufgeschlagen, das jährlich für das
Nebenprogramm transformiert wird. Vertreter der Hotellerie
hatte das Projekt in Rage versetzt. Das Pop-up-Café im 60erJahre-Stil hatte nämlich Apfelstrudel und Gulasch angeboten,
gekocht und gebacken vor allem von Pensionistinnen. Alpbacher Wirte sahen darin eine ungewollte Konkurrenz aus der
Hauptstadt. Bürgermeister Bischofer seufzt, wenn er daran
zurückdenkt. Man sei vielleicht zu blauäugig gewesen und
habe die „Opposition“ nicht genügend eingebunden, sagt er.
„Das Pendel hat schnell in eine Richtung ausgeschlagen, die
keine vernünftige Diskussion mehr zugelassen hat, und das
Ganze ist leider Gottes auf eine politische Ebene geraten,
die ein bisschen unter die Gürtellinie gegangen ist“, erinnert
er sich. Eine Art runder Tisch habe damals wieder Frieden
einkehren lassen und man habe daraus seine Lehren gezogen,
was die Kommunikation solcher Konzepte anginge.
Mittlerweile habe sich alles wieder beruhigt und man freue
sich schon auf das diesjährige Hallenbad-Cateringkonzept
„Iss mich“ von Tobias Judmaier, der mit seinem Betrieb auf
das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen
will. Judmaier, der 2014 zum „Österreicher des Jahres“ gewählt
wurde, wird in der Hallenbad-Kantine nach dem Motto „Auf
den Tisch statt in die Tonne“, einwandfreies Gemüse, das vom
Handel nicht aufgenommen wurde, zu vegetarischen Gerichten verkochen.
Der 39-Jährige identifiziert sich stark mit dem diesjährigen
Forumsthema Ungleichheit. „Ungleichheit findet man beim
Essen so viel. Einerseits natürlich in der Verteilungsthematik
aber andererseits auch in der Frage, wieso manches Gemüse in den Handel kommt und das andere nicht“, so Judmaier. Gleich nebenan im Hallenbadraum selbst entsteht unter
den Händen der Gestalter des österreichischen Pavillons auf
der Expo Mailand ein Indoor-Wald. Lisa Enzenhofer, Miterfinderin des Konzepts, das Österreich in Mailand den Titel „Schönster Pavillon“ eintrug, erklärt, man wolle den
Alpbachtaler
Sommerbahnen
„So schön sind Ihre Füße
noch nie gewandert!“
NEU!
seit Sommer 2014
Die „Lauser-
Kugel-Bahn“
durch das
Lauserland!
BETRIEBSZEITEN
6er-Gondel-Wiedersbergerhornbahn in Alpbach:
13.06.2015 - 11.10.2015 09:00 Uhr – 16:45 Uhr
Mittagspause: 12:00 Uhr – 12:45 Uhr
Letzte Bergfahrt: 16:15 Uhr
Letzte Talfahrt: 16:30 Uhr
Kein Ruhetag!
8er-Gondel-Reitherkogelbahn in Reith i.A.:
14.05.2015 - 27.09.2015 09:00 Uhr – 16:30 Uhr
Mittagspause: 12:00 Uhr – 13:00 Uhr
Letzte Bergfahrt: 16:00 Uhr
Letzte Talfahrt: 16:15 Uhr
Mittwoch Ruhetag!
Kein Betrieb an extremen Regentagen · Änderungen und Irrtümer vorbehalten
Die
Highlights
am Berg:
Sterndruck, 6263 Fügen
Lauserland in Alpbach
Juppi’s Zauberwald
in Reith
www.alpbacher-bergbahnen.at
Alpbacher Bergbahnen Gesellschaft m.b.H.+ Co.KG
A-6236 ALPBACH/TIROL
Tel. ++43-(0)5336/5233 · Fax 5233-24
E-Mail: [email protected]
Fotos: Luiza Puiu, Philipp Naderer
Iss mich
erschöpften Forumsteilnehmern einen Ort für Ruhe und
Entspannung bieten und andererseits mittels dieser „Rückeroberung des Hallenbads durch die Natur“ das Problem
des Leerstands aufzeigen. Das eigentliche Thema sei jedoch „Luft als Nahrungsmittel“. Die Jungwaldinstallation
aus Fichten, Tannen, Buchen, Lärchen, Zirben, Ahorn und
Eichen solle darauf hinweisen, dass Luft unser wichtigstes
Nahrungsmittel ist, ohne welches wir nur bis zu fünf Minuten überleben können. „Luft ist etwas, das man nicht sieht,
das sehr schwer zu reinigen ist und an dessen Verschmutzung jährlich tausende Menschen sterben“, so Enzenhofer.
Zusätzlich werde es eine Nebelinstallation geben. Die Hallenbad-Panelbühne steht also dieses Jahr im Wald. „Es soll
ein Ort sein, an dem man sich austauschen kann, aber auch
einer, an dem man ausatmen und vor allem wirklich bewusst
atmen kann“, sagt Enzenhofer.
Aufs Ausatmen freut sich auch schon Bürgermeister Bischofer, für den das Forum mittlerweile zwar Routine ist,
der jedoch sagt, dass man die erhöhte Präsenz im Dorf
natürlich spüre. „Wenn das Forum kommt, freut man sich,
wenn es da ist und wenn es vorbei ist, freut man sich, wenn
alles gut über die Bühne gegangen ist und wieder ein wenig Ruhe einkehrt. Das ist ja auch nicht so schlecht“, so
Bischofer.
38
Wiener Journal
Etwa 40 Prozent jeder Gemüseernte schaffen es in Österreich nicht in den Handel. Somit wird dafür gesorgt,
dass dieser Überschuss zu großteils völlig unnötigem
Lebensmittelabfall wird. Das Wiener Start-up „Iss
mich“ liefert gesundes Mittagessen umweltfreundlich mit dem Fahrrad ins Büro und bietet Catering
für Veranstaltungen an. Das Besondere? Die Speisen
bestehen aus eben diesem aussortierten Gemüse und
werden in nachhaltigen Glasbehältern geliefert, um
Verpackungsmüll zu vermeiden. Gleichzeitig stellt das
Unternehmen vor allem junge Mütter an, die keinen
anderen Weg zurück in den Arbeitsmarkt gefunden
haben. „Das alles macht uns quasi zur ersten wirklich
nachhaltigen Food Company, die alle Aspekte dessen
abdeckt, was sonst in der Lebensmittelproduktion
oder beim Catering schiefgeht“, sagt Gründer Tobias
Judmaier. „Iss mich“ arbeitet mit Partnern wie etwa
der Erzeugerorganisation Marchfeldgemüse zusammen, die für das Einsammeln der Ernte der Marchfelder Bauern, das Waschen, Aussortieren und für die
Verpackung regulär auf den Markt gebrachter Gemüse
zuständig ist. „Wir bekommen die Lebensmittel also
direkt von der Quelle“, so Judmaier.
www.issmich.at, breatheaustria.at
14. 8. 2015
TÄGLICH.
DIE BESTE MEDIZIN.
Bei akuten und chronischen Erkrankungen ist es unumgänglich,
die beste Medizin zu bekommen. Die medikamentöse Fürsorge
erleichtert den Alltag. Mehr Info unter www.pharmig.at
DIE PHARMAZEUTISCHE INDUSTRIE ÖSTERREICHS
Vivienne Westwood
mit ihrem Mann,
dem Tiroler Andreas
Kronthaler. Foto: Zak
Hussein / Corbis
S
ie gilt als eine der wichtigsten
Mode-Designerinnen
der
Gegenwart und ist die führende Institution von Mode
made in Britain. Was sie entwirft, ist
stilbildend und in einer Art und Weise vorbildhaft, dass es schon an Plagiat
grenzt, wenn zum Beispiel das Thema
„Unisex“ bei den aktuellen Trendshows von allen maßgeblichen Designern lanciert wird – nur knapp eine
Saison, nachdem Vivienne Westwood
damit die Catwalks und Modemagazine dominierte. „Unisex. Time to
act“ lautete das Motto, unter dem die
Gold Label Shows für Herbst/Winter
2015/16 standen. Sowohl männliche
wie auch weibliche Models trugen
Strickkleider, Baströckchen, opulente
Korsagen und Nadelstreif-Anzüge.
Vivienne Westwood lässt keine Gelegenheit verstreichen, um anzumerken,
dass die Kleider ihrem Mann Andreas Kronthaler mindestens ebenso gut
stünden wie ihr selbst. Wenn nicht
besser. Geschlechtergrenzen – hoffnungslos verstaubt. Trendy oder einfach nur retro? „Everything is connected“ – für Vivienne Westwood
ist das die wichtigste Botschaft ihres
heutigen Lebens. Irgendwie, so will es
einem scheinen, hat sie damals in den
wilden 70ern und 80ern schon dasselbe gemeint oder gewollt.
„Destroy“ stand einst auf dem Shirt der
jungen Frau mit der blonden PunkFrisur, die mit ihrer ersten Kollektion
namens „Pirates“ 1982 ihren Ruhm
als unangepasste Modeschöpferin begründete. Kämpferische Slogans auf
T-Shirts – eine von vielen Facetten des
Aktionismus made by Vivienne und
nicht die schlechteste Möglichkeit,
Botschaften anzubringen. Mittlerweile
ist Westwood mit ihrer Mode längst
im Establishment angekommen und
designt sogar Kindermode. „Save the
Arctic“ ist auf einem Babystrampler
zu lesen, den man für 25 Euro im Onlineshop bestellen kann. Ihr neuerdings
beständig vorgetragener Appell, auf
Konsumgüter zu verzichten, hinterlässt
einen schalen Beigeschmack angesichts
40
Wiener Journal
Schnell mal
die Welt retten
Vivienne Westwood spricht beim Forum Alpbach
zum Thema Ungleichheit. Die britische Modedesignerin
engagiert sich zunehmend für den Umweltschutz und
ist eine Verfechterin von nachhaltiger Mode.
Text: Brigitte Suchan
14. 8. 2015
dessen, dass die kämpferische Britin ein
Millionenimperium mit überteuerter
Designerware aufgebaut hat.
In aktuellen Interviews macht die
74-jährige Stilikone mit dem Porzellanteint kein Hehl daraus, dass ihr Interesse an Mode mittlerweile begrenzt
ist. Das Entwerfen hat sie bis zu einem
gewissen Grad an ihren Lebenspartner und Creative Director Andreas
Kronthaler delegiert, mit dem sie seit
1992 verheiratet ist. Der geborene Zillertaler lernte Westwood kennen, als
sie 1988 in Wien an der Angewandten
unterrichtete. Der um 25 Jahre jüngere
Student kam, sah und blieb. Der Altersunterschied scheint bei diesem Paar
kein Thema zu sein. Die beiden beschreiben ihre Beziehung oft als symbiotische und intellektuell befruchtende
Zusammenarbeit von gegensätzlichen
Persönlichkeiten.
Neben Klimawandel, Kapitalismuskritik
und mehr Nachhaltigkeit in der Mode
gehört auch ihre Ehe zu den aktuellen
Graffiti & Street Art
Workshops im MUMOK
12.8. w/ Kashink | 16:00 - 19:00
13.8. w/ Millo | 18:00 - 21:00
Lieblingsthemen, über die Westwood
bei Interviews und offiziellen Anlässen
spricht. Wie jüngst, als sie im Juni in
Mönchengladbach vor Studenten sprach.
Sie sei als Aktivistin gekommen, meinte
sie, und Mode mache sie eben auch. Betonung auf auch. Interviews gibt sie nur
noch, wenn es dabei in erster Linie um
ihre politischen Anliegen und nicht nur
um Mode geht. Modemagazine findet
die Literaturbegeisterte ohnehin langweilig. Mit Journalisten spricht sie lieber
über ihr 14-seitiges Internet-Manifest
„Active Resistance to Propaganda“ als
über die jeweils aktuelle Kollektion.
Sie spendet Millionenbeträge zur Rettung
des Regenwalds, nimmt öffentlichkeitswirksam an Demos der britischen Bürgerrechtsorganisation „Liberty“ teil, lässt
zu fairen Arbeitsbedingungen eine Accessoire-Kollektion in Kenia produzieren
und ruft zum Konsumboykott auf. Dass
die Fashionistas dieser Welt dennoch
mehrere hundert Euro für ein VivienneWestwood-Teil hinblättern, kommt auf
Umwegen immerhin der Umwelt zugute.
Andreas Kronthaler ist bei solchen Auftritten stets anwesend, hält sich aber
im Hintergrund. „Er ist ein Wunder“,
schwärmte sie im Audimax der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach
über ihren Partner. „Vivienne und ich
teilen alles, und das Gute wird doppelt
so gut. Ich kann und will ohne Vivienne
nicht sein“, meinte Andreas Kronthaler
einmal in einem Interview über seine
Frau. Es ist vielleicht einfach Liebe.
Alpbach-Info
Eine Special-Lecture im Rahmen des
Kulturprogramms widmet sich
am 3. September dem Thema
„UnGleichheit als Lebenselixier“.
Am Podium: Vivienne Westwood,
Andreas Kronthaler, Franz Fischler
und Clarissa Stadler
03.09.2015, 20:00-21:00
Erwin-Schrödinger-Saal
Vienna, 12.8. - 16.8. 2015
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Schreib eine Mail an:
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14. 8. 2015
UNESCO Club
Vienna
Wiener Journal
41
Original & Fälschung. Das Wiener Journal-Suchbild: Alpbach
Das rechte Bild unterscheidet sich vom linken durch fünf Fehler. Auflösung der Vorwoche siehe unten. Foto: Philipp Naderer
Schach. Von Ilia Balinov & Heinz Herzog
Neuer Staatsmeister David
Shengelia
In Abwesenheit von Österreichs Nummer
1, GM Markus Ragger, der zur gleichen Zeit
das starke Politiken Open in Dänemark gewann, kam die Favoritenrolle bei der Staatsmeisterschaft vom 25. Juli bis 2. August in
Pinkafeld GM David Shengelia zu. Aber bei
David weiß man nie: Vor einem Jahr wurde
er nur 14. Umso motivierter ging er heuer
zur Sache und das Ergebnis ist ein Rekord:
8,5 Punkte aus 9 Runden! Elo-Leistung 2795!
Um einen halben Punkt mehr als der bisherige Rekord von Markus Ragger aus dem
Jahr 2010. Der vorjährige Titelverteidiger,
IM Mario Schachinger, spielte ein solides
Turnier und wurde Zweiter vor dem jungen
Wiener Christoph Menezes, der eine IMNorm erfüllte.
Shengelia (2572) - Schachinger (2426)
1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.e3 Lg4 4...Lf5 ist
eine gleichwertige Alternative.
5.h3 Hier eine aktuelle Partie mit 5.Sc3 e6
6.h3: 6...Lh5 7.g4 Lg6 8.Se5 Sbd7 9.Sxg6 hxg6
10.g5 Sg8 11.h4 Se7 12.Ld2 Sf5 13.Dg4 Le7
14.Th3 Th5 15.0-0-0 Dc7 16.Kb1 dxc4 17.Lxc4
0-0-0 18.Se2 mit kompliziertem Spiel, remis,
Meier (2654) - So (2778), Dortmund 2015.
5...Lh5 Ein Beispiel aus der chinesischen Meisterschaft: 5...Lxf3 6.Dxf3 e6 7.a3 Ld6 8.Sc3
0-0 9.g4 Sbd7 10.h4 e5 11.g5 exd4 12.exd4 Se4
13.Sxe4 De7 14.c5 Lc7 15.Le3 dxe4 16.Df5 b6
17.0-0-0 Tab8 18.h5 bxc5 19.dxc5 Tfd8 20.Lc4
Le5 21.b4, 1-0, Ding (2757) - Wang (2710),
Xinghua 2015.
6.g4 6.Sc3 e6 7.g4 wäre die Hauptvariante.
6...Lg6 7.Se5 e6 8.Sd2!? Das bevorzugte Feld
für den Springer ist c3.
8...Sfd7!? 8...Sbd7 sieht auf jeden Fall natürlicher aus.
9.Sxg6 hxg6 10.Lg2 Le7 11.0-0 Sf6 Jetzt ist es
Tatsache: Schwarz verlor zwei Tempi (Sf6-d7f6), was aber in geschlossenen Positionen oft
zu verkraften ist.
12.a3 g5 13.f4!? gxf4 14.exf4 Sbd7 15.f5 exf5
Beachtung verdient 15...e5!? 16.g5 Sh5 17.cxd5
cxd5.
16.Txf5 Dc7 16...Db6!? scheint präziser zu sein
und nach 17.c5 dann 17...Dc7 18.De2 Sf8. Eine
andere Möglichkeit war 16...0-0.
17.g5 Sh5 Die Alternative war 17...Sh7 18.h4
Shf8 19.cxd5 cxd5 20.Sf3 Sg6 mit beiderseitigen Chancen.
18.cxd5 g6 19.Tf2 cxd5 20.Sf1 Auf 20.Lxd5 ist
20...Dg3+ sehr unangenehm.
20...Sb6 21.Se3 Interessant war zuerst 21.a4!?
und wenn 21...a5 dann 22.Se3.
21...Ld6 21...0-0 entspricht mehr dem Hausverstand: 22.Sxd5 Sxd5 23.Lxd5 Dg3+ 24.Tg2
Dxh3 25.Dc2 Kg7 26.Lxb7 Tab8 27.Ld5 Tfd8
mit ausreichender Kompensation.
22.Sg4 Der d-Bauer könnte eigentlich erobert
werden: 22.Sxd5 Sxd5 23.Lxd5 0-0 24.Dd3.
22...0-0 23.Ld2 Tae8 24.Tc1 Dd7 25.Db3 Lb8?
Der Ursprung für die folgenden Schwierigkeiten. 25...Sc4 könnte die Balance halten:
26.Tcf1 Sxd2 27.Txd2 Kh8 28.Dxd5 De7.
26.Lb4 Ld6 27.Tcf1 Te7 Nach 27...Lxb4 28.Dxb4
ist unklar, wie Schwarz den Zug Sg4-e5 neutralisieren kann: 28...Te7 29.Se5 De6 30.Sxg6.
28.Se5! Dc7 Oder 28...Lxe5 29.dxe5 Sg7 30.h4!
29.Dd3 29.Sxg6!! wäre stark und effektvoll:
29...Lh2+ 30.Kh1 Sg3+ 31.Dxg3! (31.Kxh2?
Sxf1+ 32.Kg1 fxg6 33.Lxe7 Dxe7 34.Lxd5+ Kg7
35.Kxf1 Txf2+ 36.Kxf2 Dxg5 mit Ausgleich.)
31...Lxg3 32.Sxe7+ Kg7 33.Tf6 und die schwarze Lage ist mehr als kritisch.
29...Txe5 30.Lxd6 Dxd6 31.dxe5 Dxe5 32.h4
Sg7 33.Te2 Dd6 34.Tf6 Dc5+ 35.De3 35.Tef2
war vielleicht präziser.
35...Dxe3+? Schwarz sollte auf jeden Fall 35...
d4 36.De7 Dc4 37.Tef2 Sf5 probieren.
36.Txe3 Sf5 37.Td3 Das Endspiel ist für
Schwarz nicht zu halten.
37...Sd7
a
b
c
d
e
f
g
h
8
8
7
7
6
6
5
5
4
4
3
3
2
2
1
a
b
c
d
e
f
g
h
1
Auf 37...Se7 folgt 38.Tc3 Sc6 39.Td6.
38.Txf5! Der schnellste Weg zum Erfolg. 38...
gxf5 39.Txd5 Sb8 40.Txf5 Sc6 41.Tb5 Schwarz
verliert die siebente Reihe.
41...Td8 42.Txb7 Se5 43.Txa7 Td2 44.Te7 Sc4
45.Te8+ Kg7 46.h5 Und der h-Bauer ist nicht
zu halten. Zum Beispiel: 46.h5 Sd6 47.h6+ Kh7
48.Td8. 1-0
Mehr auf dem österreichischen Schachserver:
http://schach.wienerzeitung.at/
Auflösung des Suchbildes der Vorwoche: Links im Hintergrund ist ein Hochhaus verschwunden, dafür wurde das in der Mitte verdoppelt und es gibt eine zusätzliche Wolke. Im Vordergrund fehlen einen Kabinenfenster sowie ein Lüfter auf dem grünen Dach.
42
Wiener Journal
14. 8. 2015
30.000 Euro „Wies’n Gaudi“
bei Rubbellos
Rubbellos bringt Oktoberfest-Stimmung ins Land und ermöglicht bei „Wies’n Gaudi“ Gewinne bis zu 30.000 Euro
Wenn das weltberühmte Münchner Oktoberfest auch heuer
wieder im September beginnt, warum dann nicht schon im
August daran denken? Rubbellos bietet die Gedächtnisstütze
und bringt jetzt mit dem neuen Los „Wies’n Gaudi“ Oktoberfest-Stimmung nach Österreich.
Die „Wies’n Gaudi“ schlägt sich mit Gewinnen bis zu 30.000
Euro nieder und hilft damit vielleicht bei der Entscheidung, das
Münchner Original zu besuchen. Ein Lebkuchenherz, eines der
typischen Symbole des Oktoberfests, bildet in zwei Variationen
auch den Blickfang des neuen Rubbelloses: Einmal in Blau, als
„Fescher Bursch“, und einmal in Rosa, als „Fesches Dirndl“.
Die „Wies’n Gaudi“-Serie besteht aus 1,4 Millionen Losen, beinhaltet zwei Höchstgewinne zu je 30.000 Euro sowie mehr als
423.000 Gewinne von 2 Euro bis 3.000 Euro. Es ist in allen Annahmestellen der Österrei¬chischen Lotterien zum Preis von 2 Euro erhältlich. Die Chance auf einen Gewinn liegt bei 1:3,31, die Ausschüttungsquote beträgt 55 Prozent.
Spielen wie ein Champion
Dank des neuen Lotto und EuroMillionen
System Champion kann jeder sein Glück
mit seinem maßgeschneiderten System
versuchen
Mit dem – Toto Freunden bereits bekannten – System Champion bieten die
Österreichischen Lotterien nun auch für
Lotto und EuroMillionen eine weitere,
sehr attraktive Möglichkeit der Spielteilnahme. Ideal etwa für jene, die zum Beispiel nicht nur im Falle von Lotto sechs,
sondern gleich zehn oder mehr Lieblingszahlen haben, aber kein Vollsystem – also
die Kombination aller damit möglichen
Tipps – spielen wollen.
Der System Champion ermöglicht es dem
Spielteilnehmer, einerseits durch verschiedene Garantie-Kürzungen und andererseits durch das Setzen diverser Filter
die Anzahl der Tipps zu reduzieren und
damit sein ganz persönliches, sein maßgeschneidertes System zu spielen.
Garantie-Kürzung bedeutet, dass die gewählten Zahlen derart kombiniert werden,
dass ein bestimmter Mindestgewinn (also
z.B. ein Dreier, ein Vierer oder ein Fünfer)
erzielt wird, sofern die sechs gezogenen
Zahlen unter den gewählten sind. Selbstverständlich bleibt die Chance auf einen
darüber hinausgehenden Gewinn erhalten
und kann bei günstiger Konstellation auch
ein Sechser erzielt werden.
Die andere Möglichkeit, die Anzahl der
Tipps zu reduzieren, sind die so genannten Filter. Wie zum Beispiel der „Quersummenfilter“, mit dem man jene Grenzen festlegt, die mit der Quersumme der
gespielten Zahlen eines Tipps nicht unterbzw. überschritten werden.
Den System Champion – so wie alle Informationen dazu – gibt es kostenlos auf
win2day.at und kann entweder gleich direkt auf win2day.at gespielt werden. Man
kann die Daten aber auch auf einem USBStick speichern und diesen dann in jeder
Annahmestelle abgeben.
Eine Information der Österreichischen Lotterien
Das Wiener Journal Rätsel
1
2
3
4
18
5
6
7
8
9
10
20
19
11
12
13
14
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21
16
22
17
23
24
25
26
33
34
39
27
35
28
29
30
31
36
40
41
45
37
42
46
32
47
43
38
44
48
49
32
Waagrecht
1 die können im Urlaub nicht oft und nicht
lang genug sein
18 zwischen Sir und Guinness einer der
bedeutendsten Filmschauspieler des 20.
Jahrhunderts
19 so nützen Engländer die Windkraft am
Wasser
20 regelt Aufgaben der österr. Hochschulen
21 am B für Seife, Wasserenthärter und in
Waschmittel; am Th Brustkorb
22 am R Bergmassiv zwischen
Vierwaldstätter- und Zugersee
24 wie trotzdem
25 Bezeichnung für die eigene Person
26vorm Wind österr. Verein für
Entwicklungshilfe
27 Schwung, Lust
30kurz für die 1829 gegründete Gesellschaft,
die auf dem größten österr. Strom
befördert
32 das Fremdwort für unbestimmt ist hier
verstummt
33 widerlicher Mensch
35 in die Jahre gekommener Teenager
36Massenflucht wie Ausrede
38ich bin gegangen, sagt der Lateiner so
39peinlich, wenn man aus ihr fällt
34
20
25
21
41 vor Sander deutscher Schauspieler
türkischer Herkunft („Mordkommission
Istanbul“)
42 zwischen S und A Jemens Hauptstadt
43in ihnen werden Winkel gemessen
45Verdi-Oper, die auf einem Drama von
Victor Hugo basiert
46Epizentrum
49die kennzeichnet Ehrlichkeit und
Anständigkeit
Senkrecht
1 der soll marode Firmen wieder auf die
Beine bringen
2 zum Aufrufen eines Hyperlinks auf dem
Bildschirm
3 damit verschaffen sich Hunde Kühlung
4 Bass-Rolle im „Rosenkavalier“
5 in jeder Festung zu finden
6 sind vorwitzige, vorlaute Kinder
7 hydraulische Pumpe wie Tierkreiszeichen
8 von 1933 bis 1945 First Lady der USA
(Vorname)
9Vorname der Gattin des Cheruskerfürsten
Arminius, die 15 n. Chr. den Römern
ausgeliefert wurde in der heute üblichen
Schreibweise
10abgestorben
1
11 nur auf den eigenen Vorteil bedachter
Mensch
12 für Briten Wassersport wie Krawall
13 „Öffentlich Wasser ...... und heimlich Wein
trinken“, prangerte Heine die Heuchelei an
14Karawanserei
15 zweiter Halswirbel; vor "of evil" Spruch
von George W. Bush
16 so wird mancher Siegfried gerufen
17 an keinem Ort
23 ist ein Quadrat wie eine typographische
Maßeinheit
28 am D eine Primadonna
29 aufwärts: Vulkan in Japan
31 wer einem der im Auge ist, ist einem ein
Ärgernis
34aufwärts nach Wider- wie ein Echo
35 englisches Zelt
37 deutsches Weinbaugebiet am
gleichnamigen Fluss
40davon hat der italienische Tag 24
44nach Opus umstrittene Laienorganisation
der römisch-katholischen Kirche
46zwischen L und K Gefahr für
Wasserfahrzeuge
47 lautloses englisches Rindfleisch
48Mitte vom Unten-Gegenteil
Einsendeschluss: Freitag, 21. August 2015
Das sich zum Teil aus dem Kreuzworträtsel ergebende LÖSUNGSWORT (VON BETRÄCHTLICHEM UMFANG) in ein mit 68 Cent frankiertes Kuvert stecken und einsenden an:
Wiener Journal – Kennwort Rätsel – Media Quarter Marx 3.3, Maria-Jacobi-Gasse 1, 1030 Wien oder per Fax an 01/206 99 DW 100, oder per E-Mail an
[email protected]. Zu gewinnen gibt es einen Sachpreis (Buch, CD...). Aus allen Einsendungen wird ein Gewinner gezogen. Die Ziehung erfolgt unter Ausschluss
des Rechtsweges. Gewinne können nicht in Bargeld abgelöst, nur an den Gewinner ausgefolgt und nicht an Dritte abgetreten werden.
Lösung des Rätsels vom 31. Juli 2015
Waagrecht: 1 RICHTUNGSAENDERUNG, 17 HOHEPFORTE, 20 NAAB, 21 IRA, 22 EDAR, 23 OELKATASTROPHE, 25 TIROL, 26 RETOUR, 29 SEOUL, 31 ER, 32 EIDGENOSSE, 34
CITE, 36 ALT, 38 RR, 39 SEARS, 40 RAUCHWOLKEN, 44 EMS, 45 RIST, 47 LAIEN, 48 FRAGE, 50 KNABENBEKLEIDUNG, 51 OR.
Senkrecht: 1 RHETORIK, 2 IODIEREN, 3 CHARISMA, 4 HERODES, 5 UFER, 6 NOLENS, 7 GRK, 8 AET, 9 ENARE, 10 NASS, 11 DATEI, 12 EBRO, 13 RIO, 14 UR, 15 NAHE, 16
GAERTNER, 18 POLGAR, 19 TAOS, 24 PLAKA, 27 TORTE, 28 USUAL, 30 UEL, 33 ERIN, 34 CHE, 35 TOFU, 37 LEGO, 41 ALK, 42 CIE, 43 WND, 46 SB, 49 RN.
LÖSUNGSWORT: Ruebenbomber I Gewinnerin: Christian Teufelberger, 1160 Wien
44
Wiener Journal
14. 8. 2015
Kurz & Gut. Von Christian Hoffmann
Tabus
Unvernunft
Marcel Mohab begegnet uns im
Reich der puren Unvernunft und
bringt uns behutsam zurück auf
den Boden der Banalität. Zwischen Clownerie und Stand-upComedy, klassischem Theater und
Performance Art, Improvisation
und Character Comedy – zwischen all diesen Dingen und
noch anderen findet man, wenn
man genau hinsieht, ein bis dato
noch unentdecktes Land: das
„Marcel Mohab-Animal Funk“Land. In diesem Land regiert der
britische Humor, und die Worte,
die hier fallen, sind englisch, aber
stets gut verstenglish. Go see
it. Mohab ist der Gewinner des
Goldenen Kleinkunstnagels 2012:
„Skurril, originell, abwechslungsreich, handwerklich gut, grazil und
schneidig, schnell und überraschend, fesselnde Imagination.“
(Jury-Bewertung) Mit dem Erbe
der Großmutter finanzierte sich
Mohab, der aus Graz kommt,
seinerzeit eine Clown-Ausbildung
bei Philippe Gaulier in Paris, an
der Schule, an der auch Sascha
Baron Cohen lernte.
Marcel Mohab: „Animal Funk “.
30. August, 20 Uhr. Kabarett
Niedermair, Lenaugasse 1a, 1080 Wien.
T 01/408 44 92. www.niedermair.at
Klare, elegante Linien in Öl schweben über wolkenartigen Tuschlavierungen: Was sich hinter dieser
vermeintlichen „Schönheit" verbirgt,
kann das denkbar Hässlichste sein
– mit „Schwarzer Regen“ thematisiert die japanische Künstlerin
Hana Usui die Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und
Nagasaki vor 70 Jahren, und weist
damit auch auf gewisse Analogien
zur heutigen AKW-Katastrophe
von Fukushima hin. Vor diesem
Hintergrund sprechen die gleichzeitig harten sowie
modulierenden
Liniengebilde auf
dem zarten Papier eine erschreckende Sprache
von Verletzbarkeit, Gewalt und
Tod. Der immer
wiederkehrende
Bezug zu Masuji
Ibuses Roman
„Schwarzer
Regen" verdeutlicht dem Betrachter
die Dringlichkeit der Thematik, die
in Japan nach wie vor mit Tabus
verbunden ist. In ihrer Jugend
rebellierte Hana Usui gegen fernöstliche Kalligrafie und übersiedelte
nach Wien, um ihren eigenen Weg
als freie bildende Künstlerin zu
gehen.
er
Foto: Danielle Shriever
Wer reif für die Insel ist, wird nun
auf der Alten Donau fündig. Seit
geraumer Zeit sorgen elegante
Inselboote für ein besonderes
Erlebnis mitten in Wien. Die edlen
Eilande sind leicht zu bedienen
und nachhaltig konzipiert. Die
schwimmenden Konzerte sind die
neueste Attraktion in der Stadt.
Hier wird ein akustisches Erlebnis
mit einem kulinarischen kombiniert, und das mitten auf der Alten
Donau. Möglich ist dies durch
ein ausgeklügeltes Kombisystem,
bei dem ein achteckiges Floß als
schwimmender Konzertsaal dient
und acht Inselboote an den Seiten
andocken. So kann sich der Konzertsaal
elegant
auf dem
Wasser
bewegen
und den
Gästen ein
einmaliges
Musikerlebnis
bieten. Bei plötzlich auftretendem
Regen dient die Wagramer Brücke
als Dach über dem Kopf inklusive besonders guter Akustik. Im
August und September stehen
gleich mehrere Konzerttermine auf
dem Programm, die klassische
Melodien aufs Wasser zaubern.
Alle Boote entspringen einem clever durchdachten Nachhaltigkeitskonzept. Recycelte Pet-Flaschen
bilden die Plattform, statt Glasfasern kommen Hanffasern zum
Einsatz. Raffiniert ist die Gestaltung
der Boote: rundes Sofa, dunkles
Holz und eine Palme. Und das
mitten in Wien, gut angebunden an
die öffentlichen Verkehrsmittel.
Foto: Matthias Aschau
Foto: Aquacon
Wassermusik
Hana Usui: „Schwarzer Regen“. Bis
29. August, Salon M, Myrthengasse 4,
A-1070 Wien (Neueröffnung!)
Öffnungszeiten Do – Fr 16 – 19 Uhr, Sa
12 – 16 Uhr & nach Vereinbarung.
„Schwimmende Konzerte “. 15. und
22. August sowie 5. September,
jeweils 20 Uhr: „Sound of Vienna“,
Flöte und Streichtrio. Ticket mit Dinner, 68 Euro (ohne Dinner 45 Euro).
Laberlweg 19, 1220 Wien,
T. 0680 55 349 55.
www.meine-insel.at
14. 8. 2015
Wiener Journal
45
Übrigens. Von Peter Krobath
Peter Krobath ist freier Journalist in Wien. Zuschriften erbeten an:
[email protected]
Wer glaubt schon dem Religionslehrer?
E
in knappes Jahr nach Nine-Eleven bin ich am Flughafen in Los Angeles verhaftet worden, weil in meinem
Pass ein Journalisten-Visum fehlte. Die Nacht verbrachte ich im LA County Jail. Als ich in meine Zelle kam,
saßen schon etwa 30 Mexikaner dort. Jeder Einzelne von denen wirkte um mindestens zehn Kriminalfilme gefährlicher
als ich. Anfangs war mir ziemlich mulmig im Magen. Aber
dann habe ich bemerkt: Die Gefährlichen sitzen draußen vor
der Zellentür. Die hier drinnen reagieren eh ganz gemütlich.
Die Nacht habe ich auf einer Betonbank verbracht. Mein
Kopf lag ungefähr einen Meter neben einer Kloschlüssel ohne
Deckel, die fest an der Wand verankert war. Es war die einzige
Kloschüssel in der Zelle. Sie wurde oft benutzt.
Die Zelle war runtergekühlt auf Tiefkühltemperaturen.
Schrilles Neonlicht blieb immer an. Aus zwei Fernsehern kam
brüllend laute Heavy-Metal-Musik. Es war gut, dass die Fernseher geschützt hinter einem Metallgitter hoch an der Decke
hingen. Ansonsten würde es sie nicht mehr geben.
Am nächsten Tag wurde ich in Hand- und Fußfesseln, die
beide noch durch eine schwere Kette miteinander verbunden
waren, zum Flugzeug geführt. Begleitet von zwei schwerbewaffneten Polizisten, die mich keine Sekunde aus den Augen
ließen. Die Fesseln wurden mir erst im Flugzeug abgenom-
men. Die anderen Passagiere sahen mich seltsam an. Die Stewardess nicht. Sie hat mir sofort einen doppelten Whiskey
gebracht. Und gemeint: „Ich denke, den brauchen sie jetzt.“
Hoch lebe die Lufthansa!
Wieder in Wien, war ich wütend auf die USA. Mittlerweile bin ich denen dankbar. Durch die aufopfernde Pflichterfüllung der kalifornischen Grenzbeamten kann ich ganz gut
nachempfinden, wie sich ein Mensch fühlt, dem jede Würde
genommen wird. Und dabei habe ich nicht einmal einen Viertel Fingernagel von dem mitgemacht, was dir jeder erzählen
kann, der in Traiskirchen anklopft.
Wie verlogen, heuchlerisch und ängstlich wir mit diesen
Menschen umgehen, ist eine Schande, die uns allen noch lange am Schädel kleben wird. Nächstenliebe? Nichts weiter als
ein nettes Wort aus dem Religionsunterricht. Und wer glaubt
schon dem Religionslehrer? Die katholische Kirche sicher
nicht. Sonst würde sie sich nicht so sehr gegen Flüchtlinge in
ihren Kirchen und Klöstern wehren.
Wahrscheinlich ist ein Ausflug nach Eichgraben in Niederösterreich notwendig. Dort leben 4000 Einwohner mit ein
paar Flüchtlingen. Anscheinend kommen sie sehr gut miteinander aus. Obwohl mir im Taxi und im Wirtshaus dauernd
erzählt wird, dass so etwas denkunmöglich ist.
Vorschau
impressum
Foto: J. Kerviel
Foto: Lukas Beck
Am 21. August 2015 im Wiener Journal
46
Im UrWald
LuftKur
Der Mensch lebt vom Wald. Immer
schon. Doch nur noch ein kleiner
Teil in Österreich ist Naturwald, zum
Beispiel der Rothwald im Mostviertel.
Biophilia beschreibt den Effekt der
Heilung aus dem Wald. Der Autor und
Ökologe Clemens Arvay erklärt, was
darunter zu verstehen ist.
Wiener Journal
Herausgeber: Die Republik Österreich,
1014 Wien, Ballhausplatz 2
Medieninhaber: Wiener Zeitung GmbH,
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Maria-Jacobi-Gasse 1, Tel.: 01/206 99-0,
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7201 Neudörfl, Bickfordstraße 21
14. 8. 2015
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FreeStyle und damit verbundene Markennamen sind eingetragene Marken von Abbott Diabetes Care Inc. in verschiedenen Ländern. Alle Marken und Warenzeichen sind Eigentum der jeweiligen Inhaber. ADC-Nr.: 2015-0019
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