Veranstaltungsprogramm

Folkwang
Universität der Künste
SA_31. Oktober 2015 | 19.30 Uhr
Neue Aula | Essen-Werden
Folkwang SYMPHONY
_Sinfonieorchester der Folkwang Universität der Künste
_Leitung: Giordano Bellincampi (a. G.)
Carl Nielsen
1865 - 1931
Ouvertüre zum 2. Akt
der Oper Saul und David (1901)
Franz Schubert
7. Symphonie h-moll
1797 - 1828
Die Unvollendete. D 759 (1822)
Allegro Moderato
Andante con moto
_Pause
Igor Strawinsky
Petruschka. Burleske in vier Szenen (1911)
1882 - 1971
Orchesterfassung vom Komponisten (1947)
Bild I: Volksfest in der Butterwoche
Bild II: Bei Petruschka
Bild III: Beim Mohren
Bild IV: Volksfest in der Butterwoche
Folkwang SYMPHONY
Konzertmeisterin: Jae A Shin
Violine: Ezgi Su Apaydin, Slava Atanasova, Lea Brückner,
Shih Hsiang, Chen, Jung Eun Hong, Yang-Hao Huang, Chae Eun Jeong, Min Ji Jin, Jeongmin Joo,
Min Song Kang, Danbi Kim, Tae Hyung Kim, Eunsil Yu, Eunseo Known, Yae Jin Lee, Su Liu, Jae A Shin,
Jong Min Song, Yen Mao Wang
Viola: Ronja Sophie Brinkmann, Xue Han, Gi Yeob Kim,
Suren Kirakosian, Jaakko Laivuori, Margot le Moine,
Mairya Manassieva, Angel Munoz,
Carmen Rodrigues Romero, Muriel Soulie
Violoncello: Seong Woo Bae, Cecile Beutler, Hye Su Cha,
Liang Yi Chen, So woul Kim, Botan Özsan,
Gun Woo Park, Ghislain Portier, Iris Renner,
Chisaki Samata, Raphael Stefanica, Robert Wheatly
Kontrabass: Marta Fossas Mallorqui, A-reum Kim, Clara Pertierra,
Dennis Pientak, Dominique Taudin Chabot
Flöte: Marco Giardin, Charlotte Lindner, Tabea Stadelmeier,
Xue Qing Wang
Oboe: Saerom Jeong, Shinwoo Kang, Shaoyun Lai,
Tamon Yashima
Klarinette: Katrin Egging, Helen Meier, Chanyeh Park
Fagott: Laila Börner, Hubert Mittermayer Nesterovskiy (a. G.),
Yuto Suzuki
Horn: Lok Yin Chan, Sangseon Kim, Renwei Liu, Dan Mo,
Molly Wreakes
Albert Marigó, Lukas Müller, Chieh Yang
Posaune: Orlando Belo, Judith Duscha, Arthur Harder,
Alberto Leon Prats, Bastian Robben, Joe Starbuck
Tuba: Maximilian Grimm
Harfe: Puke Günes, Natasche Ziegler
Trompete: Schlagzeug: Shiau-Shiuan Hung, Eojin Kim, Jaeron Kim, Song Yi Kim,
Jihyung Lee
Klavier|Cembalo: Sara Matsuu
Giordano Bellincampi
Bellincampi wurde in Rom geboren und zog 1976 im Alter von elf Jahren mit seiner Familie nach
Dänemark. Er studierte an der Königlich Dänischen Musikakademie in Kopenhagen Bassposaune und Dirigieren. Zunächst war er als Posaunist des Königlich Dänischen Orchesters engagiert, ehe er 1994 sein Debüt als Dirigent beim Odense Symphonieorchester gab.
Foto: Andreas Köhring
Seither ist er weltweit als Dirigent tätig, u. a. beim Toronto Symphony Orchestra
oder der Deutschen Oper am Rhein (La Bohème, 2010). Er war u. a. Erster
Gastdirigent beim Königlich Dänischen Orchester und dort von 2000 bis 2006
ebenfalls Musikdirektor. Sein Opern-Debüt gab Bellincampi im Jahr 2000 mit der
Aufführung von Giacomo Puccinis La Bohème im Königlichen Opernhaus
Kopenhagen. Es folgten zahlreiche Operndirigate weltweit, hauptsächlich mit
Werken aus dem italienischen Repertoire wie La traviata oder Il trovatore.
Giordano Bellincampi übernahm im Jahr 2005 ebenfalls die Position des
Generalmusikdirektors der Dänischen Nationaloper in Aarhus.
Anfang 2013 wurde er Nachfolger von Jonathan Darlington Generalmusikdirektor
der Duisburger Philharmoniker.
Folkwang SYMPHONY
Folkwang SYMPHONY, das Sinfonieorchester der Folkwang Universität der Künste,
setzt sich zusammen aus Studierenden aller Instrumentalklassen. Es besteht seit
Gründung der Folkwangschule 1927.
Angehende BerufsmusikerInnen erarbeiten hier Werke aller Stilepochen.
Wechselnde GastdirigentenInnen sorgen für unterschiedlichste Erfahrungen und
Akzente in der Orchesterarbeit an Folkwang.
Das Konzert am 31. Oktober wurde vorbereitet mit Unterstützung von MusikerInnen der Duisburger Philharmoniker. Die Profis haben in verschiedenen Proben
mit einzelnen Stimmgruppen von Folkwang SYMPHONY gearbeitet und zusammen
musiziert.
Hinweis: Ton- und Bildmitschnitte sind nicht gestattet!
Redaktion: Kommunikation & Medien, Folkwang Universität der Künste
Folkwang Universität der Künste | Klemensborn 39 | D-45239 Essen | Tel. +49 (0) 201.49 03-0 | www.folkwang-uni.de
Punkte setzen ohne Ende
Vorhang auf? Nein, nicht ganz. Carl Nielsen und Igor Strawinsky schrieben zwar für die
Bühne – aber heute klingen ihre Werke im Konzertsaal. Das hört sich nach einem kleineren
Tapetenwechsel an. Aber es bringt doch die Fragen mit sich: Was passiert, wenn Musik mal
nicht aus dem Opern-Graben kommt? Was passiert, wenn sie im Konzertsaal allein gelassen
wird – ganz ohne Handlung, ohne
Protagonisten, ohne Bühnenbild?
Ursprünglich komponierte der dänische Spätromantiker Carl Nielsen seine Ouvertüre als
Vorspiel für den zweiten Akt der Oper Saul und David – einer Adaption der biblischen
Geschichte um den jungen David und den eifersüchtigen König Saul. Die Ouvertüre steht
bei Nielsen vor der Ankunft des riesigen Kämpfers Goliath, der bekanntlich besiegt wird
durch Davids Steinschleuder. Wortlose Musik kann keine Handlungen erklären. Aber sie
kann etwas, das kaum geringer zu schätzen ist. Sie kann Atmosphären schaffen, kann
den Kampf des Guten gegen das Böse symbolisch untermalen, vielleicht auch illustrieren.
Nielsen, den seine dänischen Zeitgenossen wegen seiner rabiaten Kompositionsart schon
mal als „Wikinger“ bezeichneten, komponiert just das, was der Opernbesucher von einer
Ouvertüre erwartet: Einen schmissigen Auftakt, der offen bleibt.
Auf die Frage, wie man einen Auftakt komponiert, kann das Konzerthaus bessere Antworten geben als das Opernhaus. Hier gibt es keinen akustisch prekären Orchestergraben, wie
in Bayreuth, wo über Wagners Kunsttempel das Leitmotiv „Hier gilt‘s der Kunst“ prangt. Im
Konzerthaus könnte es heißen: „Hier gilt‘s der Musik“. Unsere Aufmerksamkeit kann sich
ganz aufs konzentrierte Hören richten, auf musikalische Verläufe und Strukturen. Wodurch
zeichnet sich nun ein Auftakt aus? Da wäre erstmal Carl Nielsens Aufführungsvorschrift
„Allegro marziale“. Darunter stehen Fanfaren der Blechbläser, die das ganze Orchester
schnell übernimmt. Kompositorisch naiv wäre die fünfminütige Vollbeschäftigung von
Paukern, Streichern und Trompetern. Nach dem kräftigen Orchesterbeginn kommt ein kontrapunktisch differenzierter Zwischenteil, dessen Kontrast betont ist durch ein
„ma tranquillo“. Am Ende seiner Ouvertüre setzt Nielsen zwar einen Punkt. Doch man spürt:
Irgendetwas muss noch kommen. Heute ist es weder der Kampf von David und Goliath
noch das ständige Konkurrieren von Saul und David. Dafür erklingt eines der Highlights der
Symphonik des 19. Jahrhunderts, Franz Schuberts VII. Symphonie in h-moll.
Hohe Kunst des Scheiterns: Schuberts Unvollendete
Schubert begann die Komposition wohl Ende Oktober des Jahres 1822. Fertig wurde er
nicht. Zum Glück der Nachwelt schaffte er immerhin ein Allegro Moderato und ein
Andante con moto. Lange kursierten Vermutungen, dass Schubert das Werk vielleicht doch
vollendet habe, indem er bewusst die klassisch symphonische Viersätzigkeit reduzierte auf
zwei Sätze. Als man jedoch in den 1960er Jahren einige Partiturseiten eines offenbar
abgebrochenen dritten Satzes in Form eines Scherzos fand, war der Beweis erbracht:
Schubert kapitulierte. Seine Hürden stellte er zu hoch. Er fand keine kompositorischen
Lösungen mehr für die Probleme, vor die er sich selbst gestellt hatte.
Was waren das für Probleme? In den 1820er Jahren war das symphonische Terrain kein
einfaches. Es gab diverse Tretminen oder im so genannten Neudeutsch: absolute no goes.
Fehltritte konnten einerseits darin bestehen, Beethoven überbieten zu wollen. Angesichts
der Qualität seiner Symphonien war das nahezu unmöglich. Andererseits: Alternative Wege
waren schwer zu finden, da Beethoven ein weites Feld spannte in Form seiner so
verschiedenen Symphonien wie der kräftigen Eroica, der bedächtigen Vierten, der
schicksalsträchtigen Fünften und der idyllischen Sechsten, der Pastorale. Schon der Beginn
von Schuberts Unvollendeten mutet seltsam an. Ein Unisono, ein gemeinsames
Zusammenklingen, ist es wie beim Dänen Carl Nielsen. Doch es kommt nicht vom ganzen
Orchester, sondern nur aus grüblerischen Tiefen von Celli und Kontrabässen. Beethoven
überfiel seine Hörer, riss sie mit und hinein in einen Strudel wirbelnder Klangmassen.
Schubert unterbricht den Fluss. Nach dem düsteren Anfang kommt eine lang gezogene,
typisch Schubertsche Melodie, dann ein schönes Ländlerthema, das jäh abbricht – gerade
dann, als man sich schön eingeschwungen hat. Etwa 80 Jahre nach der Unvollendeten
sollte Gustav Mahler die Wiener-Walzer und Kaffeehaus-Mentalität symphonisch
persiflieren. Schubert ist schon nah dran an der Kritik gediegenen Bürgertums – ob
bewusst oder unbewusst, bleibt offen.
Dieser erste Satz der Unvollendeten ist gespickt mit Innovationen und personalstilistischen
Besonderheiten. In der Durchführung gibt es keinen Dualismus, keine Auseinandersetzung
mit erstem und zweitem Thema. Schubert komponiert fast monothematisch, beharrt
geradezu paranoid auf dem Ausgangsmotiv, lässt es hartnäckig kreisen bis zu dessen
totaler Erschöpfung. Und dann der zweite Satz, dieses „Andante con moto“!
Wieder kommt das Ländlerthema aus dem ersten Satz. Wieder kommen diese so beredten
Abgründe zwischen Beschaulichkeit und tiefernster Dramatik. Theodor W. Adornos schrieb
einmal, dass der Schönberg Schüler Anton Webern in einer Phrase einen ganzen Roman
ausdrücken könne. Schubert gelingt ganz ohne Worte Ähnliches.
Erst am 17. Dezember 1865 kam die Unvollendete zu ihrer ersten Aufführung im Wiener
Musikvereinssaal unter Leitung von Johann Herbeck. Eduard Hanslick, der berühmte Musikkritiker und Theoretiker, lobte das Werk, indem er es über das „Raffinement“ von
Orchestrierungen Richard Wagners stellte. Ein anonymer Kritiker der Allgemeinen
Musikalischen Zeitung war vorsichtiger. In seiner Rezension zeigen sich sowohl Respekt vor
Schubert, aber auch die von Beethovens Symphonik abgeleiteten Bewertungsmaßstäbe:
Wir können nach einmaligem Hören hier nur so viel sagen, dass auch uns besonders
der erste Satz entzückend schön erschien, dass wir in dem Andante wohl ebenfalls den
köstlichsten Ideen begegneten, dass wir aber hier den Organismus, die Architektonik
nicht sofort zu übersehen vermochten. Das Stück schien uns an formellen Mängeln
(Längen) zu leiden. Doch sagen wir das blos als unsern augenblicklichen Eindruck.
Komponieren mit Versatzstücken: Strawinskys Petruschka
Über Igor Strawinsky äußerte sich die Kritik nicht so vorsichtig. Legendär sind die Skandale
um den Sacre du Printemps während und nach dessen Uraufführung im Pariser Théâtre
des Champs-Élysées im Jahr 1913. Einen „Höllenlärm“ habe es gegeben, meinten einige
Anwesende der ersten Aufführung, wobei sie weniger die wuchtigen Orchesterbeiträge
meinten, sondern die lauten Tumulte im Publikum. In der Presse der nächsten Tage fanden
sich harsche Verrisse, in denen „desagréable“, also „unangenehm“, noch eines der
freundlicheren Wörter war. Ursprünglich ein Ballett, wird der Sacre meist als
Konzertfassung gespielt. Das gleiche gilt für das zwei Jahre vorm Sacre entstandene Ballett
Petruschka, das im Gegensatz zum jenem mit großem Erfolg 1911 in Paris gegeben wurde.
Über seine Ansätze schrieb Stravinsky in seiner Autobiographie Leben und Werk:
Bei dieser Arbeit hatte ich die hartnäckige Vorstellung einer Gliederpuppe, die
plötzlich Leben gewinnt und durch das teuflische Arpeggio ihrer Sprünge die Geduld
des Orchesters so sehr erschöpft, dass es sie mit Fanfaren bedroht. Daraus entwickelt
sich ein schrecklicher Wirrwarr, der auf seinem Höhepunkt mit dem
schmerzlich-klagenden Zusammenbruch des armen Hampelmannes endet.
So dominant die Geschichte auch scheint – es wäre verfehlt, Petruschka einzig als Spiegel
der Vorgänge eines russischen Puppenspiels zu betrachten, das ein Pendant ist zu
unserem traditionellen „Kasperletheater“. Ursprünglich plante Strawinsky ein Klavierkonzert,
als er die Arbeit an Petruschka begann. Erst durch die Anregung von Sergei Pawlowitsch
Diaghilew, dem Gründer der Ballets Russes, änderte Strawinsky seine Konzeption. Er nahm
den Kurs Richtung Ballett, ohne allerdings – die Dialoge von Klavier und Orchester deuten
drauf hin – den Konzert-Charakter gänzlich aufzugeben. Nach dem „originären“ Ballett
schrieb Strawinsky 1947 die heutige Konzertfassung. Speziell für die kleineren Orchester
der Nachkriegszeit konzipiert, mag diese Version noch Einblicke geben ins tumultuöse
Treiben auf russischen Jahrmärkten des Jahres 1830. Vor allem aber gibt sie aufschlussreiche Hinweise für Strawinskys Kompositionstechniken, die geprägt waren von
Innovationen, von Experimenten, urwüchsig rhythmischen Kräften und unerhörtem
Farbreichtum.
Im Petruschka kommt – wie auch in anderen Werken Strawinskys – eine so
genannte „Schablonentechnik“ zum Tragen. Ländlerthemen, Motive aus russischer
Folklore und traditionell-akademische Kompositionstechniken überlappen sich, schließen
abrupt aneinander an, laufen aus und treten wieder hervor. Strawinsky wollte sich von der
Romantik befreien. Er bekannte sich des Öfteren zur modernen Sachlichkeit des frühen 20.
Jahrhunderts. Tatsächlich fördert (und fordert) Petruschka das objektivere Betrachten. Oder
anders: Distanz ist notwendig, um nicht zu jener zappelnden Marionette zu werden, die
Igor Strawinsky an der ein oder anderen Stelle vielleicht vor Augen hatte.
Torsten Möller
Zitat von Peter Gülke
Dieser Entwurf enthält so viel Kühnes, dass man sich vor Augen halten muss: im ersten
Entwurf hat die Phantasie alle Lizenzen zum freien Herausfahren, braucht sich um Fragen
der Vermittlung ins Ganze nicht zu kümmern. Welches Ganze hier entstanden wäre, lässt
sich freilich nicht absehen. (…) Noch in den Unausgeglichenheiten dieses Fragments
erscheint grell beleuchtet, was insgesamt in Schuberts reifem Werk an Aufbruch steckt –
und an Möglichkeiten des Anschlusses an den späten Beethoven, welche später nie mehr
realisiert worden sind. Fast möchte man eine innere Stimmigkeit darin erblicken, dass es
Schubert nicht mehr möglich war, dieses Wagnis des kaum noch Sagbaren zum in sich
gerundeten Werk ‚zurückzunehmen‘.
Peter Gülke zu Schuberts Siebter Symphonie, der Unvollendeten