„Italicum“ - das neue Wahlgesetz für die Abgeordnetenkammer

„Italicum“ - das neue Wahlgesetz
für die Abgeordnetenkammer
Martin Daniel
Stand: November 2015
Alle Rechte vorbehalten
© Autonome Provinz Bozen – Deutsches Bildungsressort,
Bereich Innovation und Beratung
Das neue Wahlgesetz für die Abgeordnetenkammer
Das Gesetz Nr. 52 vom 6. Mai 2015 sieht ein Verhältniswahlrecht mit Mehrheitsprämie
(sistema
proporzionale
con
premio
di
maggioranza)
für
die
Wahl
der
Abgeordnetenkammer vor. Das Gesetz mit der umgangssprachlichen Bezeichnung
Italicum soll am 1. Juli 2016 in Kraft treten und regelt nur die Wahl der 630
Abgeordneten. Dies deshalb, da die Senatoren nach den im Gang befindlichen
Verfassungsreformen
künftig
nicht
mehr
vom
Volk
gewählt,
sondern
von
den
Regionalräten entsandt werden sollen.
Das Italicum sieht für die Kammerwahl ein Verhältniswahlsystem vor, mit einer
Sperrklausel (soglia di sbarramento) von 3% auf nationaler Ebene. Das bedeutet, dass
die Parteien mindestens 3% der gültigen Stimmen erhalten müssen, um an der
Sitzverteilung teilzunehmen. Listen, die weniger als 3% der Stimmen erzielen, erhalten
keinen einzigen Sitz.
Das wichtigste Merkmal des neuen Wahlgesetzes ist allerdings die Mehrheitsprämie, die
für stabile Regierungsmehrheiten sorgen soll. Jene Partei, die am meisten Stimmen auf
sich vereinen kann, erhält automatisch 340 der 630 Sitze zugesprochen, was 54% der
Mandate entspricht. Die restlichen Sitze werden unter allen anderen Parteien, die die
3-Prozent-Hürde überschreiten, proportional aufgeteilt. Da aufgrund der Mehrheitsprämie
eine Partei alleine regieren kann, sind die Spitzenkandidaten der Parteien de facto auch
deren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten.
Kann keine Partei mindestens 40% der Stimmen auf sich vereinen, kommt es zu einer
Stichwahl zwischen der meist- und der zweitgewählten Partei des ersten Wahlgangs
(z.B. 30% und 26%). Die Mehrheitsprämie wird dann jener Liste zugewiesen, die in
dieser Stichwahl die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Dabei kann das Ergebnis
des ersten Wahlgangs durchaus auf den Kopf gestellt werden, weil die Wähler aller
anderen Parteien frei zwischen den beiden Konkurrenten wählen können. Allerdings zeigt
die Erfahrung, dass viele von diesen am zweiten Wahlgang nicht mehr teilnehmen.
Für die Wahl der 630 Abgeordneten wird das gesamte Staatsgebiet in 100 Wahlkreise
unterteilt, aus denen zwischen drei und neun (im Schnitt 6) Abgeordnete in die Kammer
entsandt werden. Die Parteien präsentieren für jeden Wahlbezirk
(circoscrizione
elettorale) eine Liste mit Kandidaten, darunter den Listenführer (capolista), der der
erste Gewählte sein wird, wenn seine Partei einen oder mehrere Sitze in diesem
Wahlkreis gewinnt. Dabei dürfen nicht mehr als 60% der Listenführer demselben
Geschlecht angehören. Zudem müssen die weiteren Namen auf jeder Liste so gereiht
sein, dass sich Männer und Frauen immer abwechseln.
Die Wähler können bis zu zwei Vorzugsstimmen (preferenze) an Kandidaten der Partei,
die sie wählen, geben. Werden zwei Vorzugsstimmen gegeben, müssen sie an je eine
Frau und einen Mann gehen. Die Vorzugsstimmen bestimmen, welcher Kandidat der
Partei nach dem Listenführer einen Sitz erhält, falls die Partei im Wahlkreis mehr als
einen Sitz erringt.
In Südtirol, dem Trentino und im Aostatal wird hingegen wie bisher nach dem
Mehrheitswahlrecht (sistema maggioritario) gewählt. Dabei werden die Provinzen in EinMann-Wahlkreise (collegi uninominali) unterteilt, in denen je ein Kandidat gewählt wird.
Südtirol und das Trentino werden in je vier Wahlkreise eingeteilt. Der Sitz geht an den
(einzigen) Kandidaten jener Partei, der im Wahlkreis am meisten Stimmen erhält.
Zusätzlich zu diesen vier werden in der Region Trentino-Südtirol weitere drei Sitze nach
dem Verhältnisprinzip vergeben.
Erzielt eine Liste auf gesamtstaatlicher Ebene die Mehrheitsprämie, erhält diese in der Region zwei
der drei Sitze und der dritte geht an die zweitstärkste Partei in der Region. Erreicht eine Partei auf
nationaler Ebene 340 Sitze und erhält damit keine Mehrheitsprämie, werden alle drei Sitze in der
Region nach dem Verhältniswahlsystem vergeben. Südtirol dürfte aufgrund dieser Regelung je nach
Wahlausgang zusätzlich zu den vier Vertretern aus den Ein-Mann-Wahlkreisen einen oder zwei
weitere Abgeordnete stellen.
Arbeitsauftrag:
Das musst du wissen, um diese Aufgabe ausführen zu können:
1. Was ist ein Mehrheitsbonus, wer erhält ihn und wie hoch ist er?
2. Wie hoch ist die Sperrklausel und was bedeutet sie?
3. Was ist eine Stichwahl und wer nimmt daran teil?
4. Wie funktioniert die Sitzvergabe nach dem Verhältniswahlrecht?
Sieh dir die Ergebnisse der Wahlumfrage vom 2. November 2015 an und beantworte die
Fragen. Die Umfrage gibt an, für welche Partei die Wähler stimmen würden, wenn zum
aktuellen Zeitpunkt Wahlen zur Abgeordnetenkammer wären.
Listenstimmen im 1.Wahlgang
%
Stimmen bei Stichwahl
%
Partito Democratico-Sozialisten
31,2
Partito Democratico
49.8
Movimento 5 stelle (Beppe Grillo)
27,0
Movimento 5 Stelle
50.2
Lega Nord-Salvini
14,3
Forza Italia-Berlusconi
12,2
Fratelli d’Italia-Meloni-AN
4,6
Sinistra, Ecologia, Libertà
3,0
Possibile-Coalizione u.a.
2,9
NCD+UDC
2,2
Andere
2,6
Quelle: Intenzioni di voto e fiducia nel Governo, Euromedia Research per Ballarò-RAI, 02/11/2015
Link: http://www.sondaggipoliticoelettorali.it/GestioneSondaggio.aspx
a) Markiere in der Tabelle die Parteien, die in die Abgeordnetenkammer einziehen.
b) Wie viele Sitze erhalten diese Parteien annähernd (nach einfacher Prozentrechnung)?
Schreibe das Ergebnis neben die Prozentzahl der Liste. Wie musst du bei dieser
Berechnung vorgehen?
c) Welche Partei würde den Ministerpräsidenten stellen?
Lösungen:
Listenstimmen im 1.Wahlgang
%
Stimmen bei Stichwahl
%
Partito Democratico-PSE
31,2
139
Partito Democratico
49.8
Movimento 5 stelle (Beppe Grillo)
27,0
340
Movimento 5 Stelle-Beppe Grillo
50.2
Lega Nord-Noi con Salvini
14,3
64
Forza Italia-Berlusconi
12,2
54
Fratelli d’Italia-Meloni-AN
4,6
20
Sinistra, Ecologia, Libertà
3,0
13
Possibile+Coalizione+altri
2,9
NCD+UDC
2,2
Andere
2,6
a) Markiere in der Tabelle die Parteien, die in die Abgeordnetenkammer einziehen.
b) Wie viele Sitze erhalten diese Parteien annähernd? Schreibe das Ergebnis neben die
Prozentzahl der Liste. Wie musst du bei dieser Berechnung vorgehen?
Eventuelle Hilfestellung: Die Oppositionsparteien erhalten insgesamt 65,3% der
Stimmen und teilen sich 290 Sitze.
In Wirklichkeit ist die Berechnung der Sitzverteilung komplexer, sie wird also nicht mit
einfacher Prozentrechnung und Rundungen vorgenommen, sondern nach der „HareNiemayer-Methode“ der der höchsten Reste.
c) Welche Partei würde den Ministerpräsidenten stellen? Movimento 5 Stelle
Quellennachweis:
Legge elettorale italiana del 2015. (12 novembre 2015). Wikipedia, L'enciclopedia libera.
Tratto il 12 novembre 2015, 16:30 da //it.wikipedia.org/w/index.php?
title=Legge_elettorale_italiana_del_2015&oldid=76467763.
Francesco Palermo, Das neue italienische Wahlgesetz, Föderalismus-Blog, Institut für
Föderalismusforschung, 22.05.2015, http://www.foederalismus.at/blog/das-neueitalienische-wahlgesetz_49.php
Bildnachweise:
S.1, Abgeordnetenkammer: “The Palazzo Montecitorio which hosts the Italian Chamber of
Deputies in Rome“.
Autor: LPLT / Wikimedia Commons
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0)
Link: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Palazzo_Montecitorio.JPG#filelinks
S.2, Wahlzettel: “Italian electoral ballot for the Chamber of Deputies (rendering)”.
Autor: Xelloss
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International (CC BY-SA 4.0)
Link:https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Italian_electoral_ballot_for_the_Chamber_
of_Deputies%28rendering%29.svg