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„Zeitung 4.0 - Die neue Rolle des Verlegers“
Rede des Verlegers Peter Esser, „Mittelbayerische Zeitung“ beim Zeitungskongress
2015 des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) am 21. September 2015
in Regensburg
Es gilt das gesprochene Wort:
Schon 1988 durfte ich anlässlich eines Jahreskongresses vor Ihnen stehen. 27 Jahre ist das her
und 1998 nochmals, damals in Bonn! An diesem BDZV merke ich dann doch, dass ich älter
werde…. Was hat sich nicht seitdem alles geändert, grundlegend geändert! Wirklich? Ich
hatte damals vor 17 Jahren einen Arbeitsvortrag abzuliefern, um in die Themen einzuführen.
Hier ein Auszug aus der Liste: Urheberrechte - wertlos in den neuen Medien? Online –
Zukunftsmarkt oder Dollargrab? Printmedien – Neue Ideen, neue Wettbewerber, neue
Märkte! Der Titel des Kongresses übrigens war geradezu monströs: „Die Zeitungen an der
Schwelle zum 3. Jahrtausend“. - Doch heute heißt er: „Zeitung 4.0 - Die neue Rolle des
Verlegers“ Meine Damen und Herren, gute Zeitungen werden von guten Journalisten gemacht, sehr gute
von sehr guten! Nicht von Verlegern oder Herausgebern! Was ist also nun deren Aufgabe,
bezogen auf die Zeitung 4.0? Was macht der Verleger 4.0? Meine Antwort ist: Er unternimmt
Verantwortung!
Ich leihe mir zur Erläuterung den gerade frisch erarbeiteten und beschlossenen
Markenkern der Deutschen IHKs: „Wir unternehmen Verantwortung!“ Ich durfte als
Vizepräsident des DIHK in den vergangenen 2 Jahren einen mühsamen Markenkernprozess
mit 80 deutschen Kammern in Gang bringen, moderieren und in der DIHK-Vollversammlung
Ende 2014 zur Abstimmung stellen.
„Wir unternehmen Verantwortung“ ist das einhellige Ergebnis. Und dieser Markenkern
könnte genauso unserer sein, der Kern des Tuns deutscher Zeitungsverlage und
Medienhäuser.
Wenn es diese Zeitung 4.0 und den dazu maximal kompatiblen Verleger gibt, so gab es wohl
auch die Zeitung 1.0, quasi die Urform. Tja und dazu müssen wir jetzt in Regensburg ins Jahr
1600 zurück. Meine Damen und Herren, das dauert den ganzen Nachmittag!
Also betrachte ich mal lieber die Zeitung, für die mein Großvater 1945 als schon 65-jähriger
die Lizenz Nummer 5 von den Amerikanern erhalten hat. Am 23.10.1945 im historischen
Reichssaal zu Regensburg. Einige von Ihnen waren da ja erst gestern Vormittag.
Ich erlaube mir die Erwähnung dieses Aktes, weil mein damals 15-jähriger Vater dabei war,
Karl Heinz Esser, den einige von Ihnen noch kennen. 1995 im Alter von 65 Jahren verstorben,
Wochen nur nach der Feier des 50. Jubiläums der Lizenzierung am gleichen Ort. Übrigens, er
wäre heute am 22.9. 85 Jahre alt geworden. Es bedeutet mir viel, dass Sie heute an diesem
Datum hier in Regensburg sind.
Die Startauflage der MZ lag 1945 bei 200.000 Stück, sie erschien nur einmal wöchentlich.
Die junge MZ brauchte Mitarbeiter „altersmäßig noch arbeitsfähig, politisch unbelastet und
wenn möglich fachkundig“, was sehr schwierig war. Besonders auf unbelastet lag das
Augenmerk der Besatzer. Und die Frage des Anfangs alle Zeitungen nach 45 war, wo man
Papier auftreiben konnte.
Die MZ hatte einen eigenen „Papierbeschaffer“, Hr. Brinkmann, der, woher auch immer,
Papier organisierte, um dann einmal wöchentlich, 1946 zweimal wöchentlich und ab 1948
dreimal wöchentlich, erscheinen zu können. Diese Situation war in ganz Deutschland so.
Hin und wieder sollte man sich ins Gedächtnis rufen, dass Zeitungmachen früher auch eine
Herausforderung war. Und die Verlage waren auch schon immer gefordert zu investieren und
Innovationen zu erfinden. Wir sind eine vergleichsweise kleine Branche und konnten nicht
einfach aus dem Katalog aussuchen.
Ende der 50er Jahre wurde der TTS-Satz eingeführt, hier steuerten Lochstreifen die
Zeitungsgießmaschinen. Dann wurde 1965 bei der MZ eine Computersatz-Anlage mit IBMRechnern eingebaut, im deutschsprachigen Raum absolut neu und eine Innovation für die
ganze Branche. Wirtschaftlich war das aber nur sinnvoll, weil der Rechner -so groß wie ein
ganzes Zimmer- auch die kaufmännischen Programme des Hauses bewältigte.
In den 70er Jahren kam der Lichtsatz und ab 1976 konnten ganze Zeitungs-seiten gesetzt
werden und es begann die Arbeit an Bildschirmen und Terminals. Heute wissen wir, dass all
diese technologischen Entwicklungen mitgeholfen haben, die wirtschaftliche Basis der
Zeitungshäuser zu sichern – und damit auch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter, auch wenn zum
Teil ganze Berufsbilder aus unserer Branche verschwanden. Der Verleger brauchte Mut,
Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein. Hier haben wir sie schon wieder, die
Verantwortung.
Vieles galt es zu lernen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von damals. Wir treffen sie
noch heute regelmäßig, die jetzt 70- und 80-jährigen Pensionisten und sie erzählen stolz von
dieser Zeit, auch wenn schon damals Betriebsrat und Gewerkschaften von
„Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck“ sprachen. Sie merken es? Es hat sich nichts
geändert.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Meine Damen und Herren, es ist Zeit für einen Einschub,
nämlich für großen Dank an alle, die zum Gelingen dieses Kongresses beigetragen haben,
zwischen Berlin und Regensburg. Ein großes Dankeschön für unglaublichen Einsatz, das ist
Ihr Applaus!
Früher wie heute dreht sich alles um die Qualität unserer Produkte! Worauf müssen wir heute
wie früher achten, wenn wir über Qualitätsjournalismus reden? Ich will da nur einen Punkt
herausgreifen, neben Ausbildung, Herzensbildung und dem Verstehen, dass Qualität letztlich
Ergebnis einer Summe von Vereinbarungen ist, wie es ein Chefredakteur einmal ausgedrückt
hat. Den Punkt hat Samuel Johnson, ein bedeutender englischer Journalist und Schriftsteller,
so genannt: „Der Missbrauch von Macht zählt zu den Todsünden des Journalismus und der
Anfang solchen Missbrauchs besteht bereits darin, dass der Journalist seine eigene Macht
nicht kennen oder anerkennen will. Denn dann wenn er seine Macht erkennt, wird er auch
bereit und in der Lage sein, auch seine Verpflichtungen anzuerkennen sowie eine moralische
Bildung für ebenso wichtig zu halten, wie eine professionelle“.
Was stand auf der 1. Seite der 1. Mittelbayerischen Zeitung?
„Verantwortlich unserem Gewissen und der Bevölkerung, versprechen wir, dafür unsere
ganze Kraft einzusetzen und erbitten die Unterstützung und Mitarbeit aller, die guten Willens
sind.“
Da steht es auch wieder, verantwortlich. Und meine Damen und Herren, Sie und ich, wir sind
uns dieser Verantwortung bewusst. Und wir brauchen da auch keine Nachhilfe von Politik
oder Gewerkschaften. Wir meinen ja nicht die Verantwortung zur Gewinnmaximierung auf
Kosten der Mitarbeiter zugunsten der Verleger oder Inhaber. Wir meinen Verantwortung, um
die Gesprächskultur zu erhalten und zu befördern und zu investieren und zu modernisieren und das kostet Geld.
Und was Johnson über die englischen Zeitungen im Jahre 1758 geschrieben hat, stimmt halt
für uns gestern wie heute nicht: „Was in den Zeitungen angeboten wird, ist im Allgemeinen
eher das Produkt gewinnsüchtiger Personen, die gar nicht die Fähigkeit haben, ihr Publizieren
durch Qualität zu erfreuen oder zu instruieren. Sie geben sich damit zufrieden, ihr Blatt zu
füllen, gleich mit welchen Inhalten, ohne den Ehrgeiz, gut zu recherchieren und sich auf das
Wichtigste zu konzentrieren.“ Das war schon ein Schätzchen, dieser Samuel Johnson!
Bei unserem 50-jährigen Jubiläum sprach der Philosoph Prof. Dr. Dr. Ulrich Hommes auch
über den monetären Aspekt des Zeitungmachens. Er sagte: „Jeder weiß, dass ein
Unternehmen, das sein Geld mit einer Zeitung verdient, ein besonderer Fall ist. Denn eine
Zeitung muss ein Geschäft sein, sonst wird es sie im Normalfall nicht geben. Und doch ist
eine Zeitung ihrem ganzen Anspruch nach eben nicht nur ein Geschäft, sondern ein ganzes
Stück mehr. Beides gleichermaßen befördern zu können, macht wohl den ganzen Verleger
aus.“
Dazu gehört zum einen ein immer wieder „sich justieren an den Traditionslinien eines
Zeitungshauses“ und gleichzeitig heutzutage der Blick nach vorne Richtung Medienhaus, in
unserem Falle des Mittelbayerischen Medienhauses mit der Zeitung für zuhause und dem
Medienhaus für Ihr Leben: Das ist unser Markenkern, erarbeitet in einem hausinternen
Prozess und geführt und kollegial begleitet von Uli Veigel, den ich Ihnen nicht näher
vorstellen muss.
Meine Damen und Herren, Zeitungmachen, Medienmachen ist für uns zuerst und vor allem
Dienst an einer Region und an denen, die in dieser Region leben. Dazu braucht es ein stabiles,
wirtschaftliches Fundament, klug geregelte Gesellschaftsverträge und Optimismus, nicht nur
an der Spitze, sondern im gesamten Unternehmen. Dann wird möglich, was unser ehemaliger
Chefredakteur Kurt Hofner mal als unverzichtbar genannt hat: das öffentliche Gespräch
darüber, was im Interesse aller ist.
Herr Heinen wird in unserer Beilage zu 4.0 so zitiert: „Die Verleger, Geschäftsführer und
Verlagsleiter - beiderlei Geschlechts - stellen sich auf eine Medienwelt in hoher
Veränderungsgeschwindigkeit ein. Sie organisieren Kreativität zur Schaffung neuer Produkte
und Geschäftszweige, die die Wünsche von Lesern und Werbekunden erfüllen. Und sie halten
den Redaktionen in finanzieller, rechtlicher und geschäftspolitischer Hinsicht den Rücken
frei.“ Auf meine Bitte hin haben die Geschäftsführer unseres Unternehmens, Hr. Sauerer und
Herr Wunnike, ihre Vorstellung des Verlegers 4.0 so beschrieben:
„Damals wie heute geht es für den Verleger darum, im publizistischen Unternehmen eine
Kultur des Ermöglichens von Innovation zu schaffen; ebenso eine Kultur des Vertrauens
sowie eine Kultur der Verantwortung“
Das Wort „Kultur“ passt dabei, wie ich finde, ganz gut in diese Beschreibungen. Es kommt ja
von cultura (Pflege) und hat auch die übertragenen Bedeutungen „Selbstverständnis“ oder
„Anschauung“. Insofern würde durch das pflegliche Tun des Verlegers für die Mitarbeiter der
Geist des Unternehmens greifbarer und verständlicher.
„Dazu ein paar erklärende Worte: „Kreativität ist leicht, Innovation ist schwer“. Dieser
Spruch begegnete uns im Haus während eines von unseren zahlreichen Change-Prozessen.
Aber er stimmt im Prinzip. Die Kultur des Ermöglichens umfasst beides: Sie nimmt
Kreativität ernst und bremst sie nicht durch Hierarchiegrenzen oder Totschlagargumente aus.
Sie fordert aber auch großen Einsatz, langen Atem und Leidensfähigkeit, wenn es darum geht,
Kreativität in echte, wertschöpferische Innovationen zu verwandeln. Die Kultur des
Vertrauens ist Grundlage für die größtmögliche Motivation der Mitarbeiter. Vertrauen in die
Stärke der Mitarbeiter sowie die Anerkennung für ihre Leistungen führen zur Kultur der
Verantwortung, die sich wechselseitig ausprägt: Mitarbeitern wird Verantwortung übertragen,
begleitet von spürbarem Vertrauen in ihre Fähigkeiten – im Gegenzug nehmen die Mitarbeiter
diese Verantwortung an. Sie führen einzelne Vorhaben zum Erfolg und tragen somit
maßgeblich zum Erfolg des gesamten Unternehmens bei.
Zu all dem gehören Rahmenbedingungen wie flache Hierarchien, Risikobereitschaft, die
Akzeptanz des Scheiterns bzw. eine Try&Error-Mentalität.
Es gibt weitere Aspekte, zum Teil auch direkt auf die Situation im Mittelbayerischen Verlag
bezogen, zur aktuellen Rolle des Verlegers:
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Da wäre zunächst das „Ende der Kleinstaaterei“. Der „neue“ Verleger löscht alte
Feindbilder und ist offen für Kooperationen
Eine auf die aktuelle und künftige Situation ausgerichtete Personalentwicklung mit
dem schon im Beitrag von 1998 angesprochenen Mitarbeiter als bestes Kapital
Ein Bekenntnis zum marktgeführten Unternehmen
Die KG als "Zeichen" - persönliche Haftung der Verleger als Ansporn für die
Mitarbeiter“
Soweit Herr Sauerer und Herr Wunnike.
Der Verleger kann sich also dabei am besten einer Kultur des Gelingenlassens befleißigen.
Und zum Gelingenlassen gehört Gelassenheit:
Gegenüber der Politik, von der wir natürlich nicht wirklich die Rahmenbedingungen
bekommen, die nötig wären.
Gegenüber Gewerkschaften, die uns wirklich nicht erklären müssen was unser Job ist.
Gegenüber der Gesetzgebung, über deren Qualität man sich manchmal die Haare raufen
möchte.
Gegenüber der Bürokratie, die wohl mit allem vorgenannten einhergeht.
Gelassenheit und größte Ernsthaftigkeit, damit stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft und damit erledigen wir die anstehenden Aufgaben, heute, morgen
und übermorgen, da ist mir nicht bange!
Danke, dass Sie in Regensburg waren beim Mittelbayerischen Medienhaus.
Alles Gute und kommen Sie gerne mal wieder!