Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6995 15. Wahlperiode 15. 06. 2015 Kleine Anfrage des Abg. Konrad Epple CDU und Antwort des Innenministeriums Sicherheit im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Kleine Anfrage Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen zur Verhütung von Gewalttaten bei Übergriffen auf Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden im ÖPNV des Landes Baden-Württemberg Anwendung (aufgeschlüsselt nach U-Bahn, S-Bahn, im Busverkehr und Haltepunkten)? 2. Wie viele Übergriffe auf Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden im ÖPNV in den vergangenen zehn Jahren registriert und wie viele davon zur Anzeige gebracht (aufgeschlüsselt nach Jahren)? 3. Welcher Art waren die Übergriffe jeweils (z. B. körperliche und/oder verbale Übergriffe)? 4. Lassen sich in den vergangenen zehn Jahren beim Begehen der Übergriffe auf Fahrgäste und/oder Beschäftigte im ÖPNV des Landes zeitliche Schwerpunkte im Tagesverlauf feststellen? 5. Welche Qualität hat das Bildmaterial aus der Videoüberwachung im ÖPNV des Landes? 6. Wie hoch ist die Aufklärungsquote bei Übergriffen auf Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im ÖPNV? 7. Wie viele Fälle wurden seit 2005 tatsächlich strafrechtlich geahndet? 8. Wie beurteilt sie die Gefährdung der Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im ÖPNV? 1 Eingegangen: 15. 06. 2015 / Ausgegeben: 20. 07. 2015 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6995 9. Welche Maßnahmen plant sie, um Übergriffe auf Fahrgäste und/oder Beschäftigte im ÖPNV wirksam einzudämmen? 12. 06. 2015 Epple CDU Begründung Subjektiv nimmt die Gefährdung durch Übergriffe auf Fahrgäste und Beschäftigte im öffentlichen Personenennahverkehr in den Augen vieler Menschen zu. Die Kleine Anfrage soll klären, wie sich die Situation tatsächlich darstellt, wie sie die Landesregierung einschätzt und welche Maßnahmen die Landesregierung plant, um sowohl die Sicherheit vor gewalttätigen Übergriffen im ÖPNV zu erhöhen als auch das Sicherheitsgefühl von Fahrgästen wie Beschäftigten im ÖPNV zu verbessern. Antwort Mit Schreiben vom 7. Juli 2015 Nr. 3-1264.3/20 beantwortet das Innenministerium in Abstimmung mit dem Ministerium für Verkehr und Infrastruktur sowie dem Justizministerium die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen zur Verhütung von Gewalttaten bei Übergriffen auf Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden im ÖPNV des Landes Baden-Württemberg Anwendung (aufgeschlüsselt nach U-Bahn, S-Bahn, im Busverkehr und Haltepunkten)? 5. Welche Qualität hat das Bildmaterial aus der Videoüberwachung im ÖPNV des Landes? 9. Welche Maßnahmen plant sie, um Übergriffe auf Fahrgäste und/oder Beschäftigte im ÖPNV wirksam einzudämmen? Zu 1., 5. und 9.: Im regionalen Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist in den meisten Verträgen die Ausstattung des Begleitpersonals mit Funkgeräten oder Mobiltelefonen festgelegt. Zudem muss das eingesetzte Personal regelmäßig Schulungen zu deeskalierendem Verhalten in kritischen Situationen durchlaufen. In aktuellen Verkehrsverträgen ist außerdem ein Kontingent an speziellem Sicherheitspersonal in Doppelstreife vereinbart, das vorzugsweise abends und am Wochenende eingesetzt werden soll und das nicht auf die Zugbegleitquote angerechnet wird. Darüber hinaus wird in den Verkehrsmitteln des landesbestellten SPNV vermehrt Videoüberwachung eingesetzt. So sind die Fahrzeuge der AVG (Albtal-VerkehrsGesellschaft), der Breigau-S-Bahn GmbH, der HzL (Hohenzollerische Landesbahn AG), der SBB GmbH (Schweizerische Bundesbahn) und die des Zweckverbandes Schönbuchbahn mit entsprechenden Anlagen ausgestattet. Bei der SWEG (Südwestdeutsche Verkehrs-Aktiengesellschaft) im Ortenau-Netz werden sie momentan nachgerüstet. Im Bereich der S-Bahn Stuttgart nimmt das Verkehrsunternehmen seine Verantwortung für die Sicherheit in den Fahrzeugen mit technischen Einrichtungen, einem konzerneigenen Sicherheitsunternehmen sowie in Kooperation mit der Bundes- und Landespolizei wahr. Stationen im regionalen SPNV sind eher selten mit Videoüberwachung ausgerüstet. 2 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6995 Mithin ist die Qualität des Videobildmaterials nicht einheitlich, da die Anlagen ein unterschiedliches Alter und damit auch keine vergleichbaren Standards aufweisen. Neue Geräte bieten eine Rate von vier Bildern pro Sekunde und eine Auflösung von 720 x 288 (2CIF). Bei älteren Geräten beträgt die Bildwiederholrate nur ein Bild/Sekunde mit einer Auflösung von 500 (H) x 582 (V). Bereits jetzt treffen neben der Bundespolizei die regionalen Polizeipräsidien im Land umfassende und lageorientierte polizeilichen Maßnahmen, um die Sicherheit im ÖPNV zu gewährleisten und das Sicherheitsempfinden der Fahrgäste beziehungsweise der Beschäftigten im ÖPNV zu stärken. Hierzu zählen insbesondere die lageorientierte Erhöhung der Polizeipräsenz, zum Beispiel durch Fuß- und Fahrzeugstreifen, ein konsequentes Einschreiten gegenüber Störern sowie eine konsequente Strafverfolgung. Bei besonderen Anlässen bzw. Entwicklungen erfolgt einzelfallabhängig, gegebenenfalls in Abstimmung mit der Bundespolizei, eine entsprechende Reaktion und Schwerpunktsetzung. Auch wurden mehrere Sicherheitspartnerschaften zwischen Polizei Baden-Württemberg, Bundespolizei, Landratsämtern und Betreibern des ÖPNV geschlossen, um beispielsweise die Handlungssicherheit des Fahrpersonals bei Gefahrenlagen und Störungen zu optimieren. Hierzu erfolgen Schulungen des Fahrpersonals des ÖPNV, um Übergriffen in Straßenbahnen, Bussen sowie an Haltestellen vorzubeugen. Insbesondere wird das richtige Verhalten bei Bedrohungen, Raubüberfällen oder Gewaltdelikten zum Nachteil des Fahrpersonals als auch der Fahrgäste geschult. Im Netzbereich des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS) haben sich beispielshaft die Polizeipräsidien Stuttgart, Aalen, Ludwigsburg und Reutlingen sowie die Bundespolizei, die Stuttgarter Straßenbahn AG (SSB), Busunternehmen, der Verband Region Stuttgart und die Deutsche Bahn AG unter dem Slogan „Mit Sicherheit gut ankommen“ zusammengeschlossen. Die Kooperation führt unter anderem die Projekte „Schulbusbegleiter“, „Vorsicht Straßenbahn!“ und „Sicherheit für Senioren“ durch. Die Landes- und Bundespolizei führen auf lokaler Ebene über die genannten Projekte hinaus unter anderem folgende lageorientierte Präventionsaktionen durch: – Gemeinsame Jugendschutzstreifen, besonders während der Fastnachtzeit. – Gemeinsame Streifen zur Bekämpfung der Jugend-, Gewalt- und Ausländerkriminalität sowie zur Bekämpfung der Eigentums- und Diebstahlskriminalität. – Beratung und Aufklärung von Jugendlichen und Heranwachsenden im Zusammenhang mit überhöhtem Alkoholkonsum, insbesondere während des Frühjahrsfestes bzw. Volksfestes auf dem Cannstatter Wasen. – Vorbeugungsaktivitäten im Zusammenhang mit der Aktion Sicherer Schulweg. Im Rahmen der „Aktion tu was!“ – einer Initiative der Polizei für mehr Zivilcourage – werden seit über zehn Jahren landesweit gemeinsame Schwerpunktstreifen durch die Bundespolizei und die örtlichen Polizeidienststellen durchgeführt. Hierbei sorgt nicht nur die deutliche polizeiliche Präsenz für mehr Sicherheit, die Fahrgäste erhalten auch Informationen rund um das Thema Zivilcourage. So besteht zum Beispiel in Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis seit dem Jahr 2010 eine Kooperation zwischen dem heutigen Polizeipräsidium Mannheim, der Bundespolizei, dem Landeskriminalamt, der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft mbH und verschiedenen Präventionsvereinen. Grundsätzlich sind alle S-Bahnen, Regionalbahnen und Regionalexpresszüge der DB Regio Rhein-Neckar mit den Seitenscheibenplakaten der „Aktion tu was!“ ausgestattet. Die Aufkleber geben den Fahrgästen wertvolle Tipps, wie sie im Notfall helfen können, ohne sich dabei selbst zu gefährden. Zur Intensivierung der bestehenden Zusammenarbeit im Rahmen der Kriminalprävention wurden in den Jahren 2013 und 2014 zehn gemeinsame Aktionstage der Landes- und Bundespolizei unter dem Motto „Zivilcourage/Kriminalprävention im ÖPNV“ durchgeführt (jeweils zwei Mal in Heilbronn und Ludwigsburg, Singen, Lahr, Stuttgart, Tuttlingen, Heidelberg, Mannheim). Diese wurden von der Bevölkerung sehr gut angenommen und haben sich mittlerweile im Veranstaltungskalender der regionalen Polizeipräsidien etabliert. Auch im Jahr 2015 sind landesweit mehrere Veranstaltungen vorgesehen. 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6995 Auch verkehrsplanerische Maßnahmen tragen weiterhin zur Sicherheit von Fahrgästen und Beschäftigten im ÖPNV bei. So soll die Sicherheitsstrategie aus den jüngeren Ausschreibungen fortgesetzt und flächendeckend umgesetzt werden: – Regelmäßige Schulungen des Begleitpersonals. – Zusätzliche Kontingente mit speziellem Sicherheitspersonal in Doppelstreife. – Videoüberwachung in den Fahrzeugen. – Sprechstellen in den Eingangsbereichen, um den Triebfahrzeugführer oder die Leitstelle zu erreichen. Die Verkehrsunternehmen sehen gerade in den Videoanlagen einen wirksamen Schutz für ihre Beschäftigten, da diese im Konfliktfall aggressive Fahrgäste darauf hinweisen können, dass mögliche Straftaten durch die Videoüberwachungsanlagen festgehalten werden. Im Übrigen liegen keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Sicherheitsgefühls in den Zügen des Regionalverkehrs vor. Im Rahmen des Qualitätsmesssystems auf den Strecken des Großen Verkehrsvertrages wird regelmäßig über Fahrgastbefragungen das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste erhoben. Dabei erzielte die DB Regio AG im Jahr 2014 mit einer gemittelten „Schulnote 1,9“ das beste Ergebnis seit dem Jahr 2007. 2. Wie viele Übergriffe auf Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden im ÖPNV in den vergangenen zehn Jahren registriert und wie viele davon zur Anzeige gebracht (aufgeschlüsselt nach Jahren)? 3. Welcher Art waren die Übergriffe jeweils (z. B. körperliche und/oder verbale Übergriffe)? 6. Wie hoch ist die Aufklärungsquote bei Übergriffen auf Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im ÖPNV? Zu 2., 3. und 6.: Alle der Polizei bekannt gewordenen Straftaten werden der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt. Insofern ist die Zahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) registrierten Straftaten deckungsgleich mit der Anzahl der polizeilichen Strafanzeigen. In der PKS werden Straftaten im Zusammenhang mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nicht gesondert ausgewiesen. Aufgeführt sind daher Straftaten an relevanten Tatörtlichkeiten des ÖPNV. In Bezug auf die Opfereigenschaften ist keine valide Differenzierung zwischen Fahrgästen und Beschäftigten des ÖPNV möglich. Zur Darstellung der entsprechenden Anzahl der körperlichen Übergriffe sind die in der PKS als sogenannte „Aggressionsdelikte“1 erfassten Straftaten aufgeführt. Die ausgewiesene Anzahl der polizeilich bekannt gewordenen verbalen Übergriffe umfasst die Straftatbestände der Bedrohung gemäß § 241 StGB und der Beleidigung nach § 185 StGB. _____________________________________ 1 4 Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, einfache vorsätzliche Körperverletzung, gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien, Körperverletzung mit Todesfolge, Geiselnahme, Raub, räuberische Erpressung, erpresserischer Menschenraub. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6995 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Gesamtstraftaten 2.989 3.298 3.880 3.769 3.605 4.309 4.532 4.317 4.060 4.142 davon Aggressionsdelikte 2.063 2.298 2.696 2.675 2.632 2.964 3.068 2.814 2.582 2.654 – davon einfache Körperverletzung 1.322 1.534 1.716 1.731 1.687 2.012 2.048 1.945 1.763 1.871 926 1.000 1.184 1.094 973 1.345 1.464 1.503 1.478 1.488 davon Bedrohung und Beleidigung Die Aufklärungsquote bei den beschriebenen Deliktsbereichen liegt im Zehnjahresvergleich stets über 80 Prozent. Nach den Spitzenwerten in den Jahren 2011 (83,8 Prozent) und 2012 (84,2 Prozent) verstetigte sich die Aufklärungsquote auf hohem Niveau und lag im Jahr 2014 bei 83,2 Prozent. 4. Lassen sich in den vergangenen zehn Jahren beim Begehen der Übergriffe auf Fahrgäste und/oder Beschäftigte im ÖPNV des Landes zeitliche Schwerpunkte im Tagesverlauf feststellen? Zu 4.: Von insgesamt 38.901 registrierten Straftaten in den aufgeführten Deliktsbereichen in den vergangenen zehn Jahren wurden 19.790 Straftaten (50,9 Prozent) zwischen 17.00 Uhr und 24.00 Uhr begangen. 7. Wie viele Fälle wurden seit 2005 tatsächlich strafrechtlich geahndet? Zu 7.: Übergriffe auf Fahrgäste sowie Beschäftige im ÖPNV werden in der Strafverfolgungsstatistik nicht gesondert ausgewiesen. 8. Wie beurteilt sie die Gefährdung der Fahrgäste sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im ÖPNV? Zu 8.: Eine Gefährdung der Fahrgäste sowie Beschäftigten im ÖPNV kann anhand der Opfergefährdungszahl (OGZ) statistisch errechnet werden. Die OGZ ist die Anzahl der registrierten Opfer bezogen auf 100.000 Einwohner. Insoweit lässt die OGZ eine Aussage darüber zu, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, Opfer einer Straftat zu werden. Da die Beleidigung in der PKS nicht als Opferdelikt erfasst wird, beziehen sich die nachfolgenden Zahlen lediglich auf Aggressionsdelikte und Bedrohungen in Baden-Württemberg. 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 OGZ BW-ÖPNV 25 28 32 32 31 35 37 34 32 32 OGZ BW-Gesamt 1.430 1.430 1.512 1.491 1.472 1.510 1.582 1.582 1.562 1.575 5 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6995 Die Gefahr, Opfer einer Bedrohung oder eines körperlichen Übergriffs zu werden, ist statistisch betrachtet außerhalb des ÖPNV bedeutend höher. Gall Innenminister 6
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