Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Übungen im Öffentlichen Recht Wintersemester 2015/2016 5. Besprechungsfall 17.12.2015 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Klüngel im Rat Kläger K ist fraktionsloses Mitglied des Rates der Stadt S in NRW. In der streitgegenständlichen Ratssitzung stand die Wahl des Stadtkämmerers an. Die Stadtverwaltung schlug die Wahl der Kandidatin M vor, die einschlägige Berufserfahrung vorweisen konnte. Die Wahl war erforderlich geworden, weil der in einer früheren Sitzung zum Kämmerer gewählte Kandidat L zwischenzeitlich seinen Amtsverzicht erklärt hatte, nachdem die Kommunalaufsichtsbehörde gewichtige Bedenken an dessen fachlicher Eignung angemeldet hatte. K schlug für den Posten den Gegenkandidaten G vor und stellte fristgerecht den Antrag, eine Vorstellung der Kandidaten samt Personaldebatte zum Gegenstand der Ratssitzung zu machen. Er berief sich auf § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Stadtrats: „Anträgen von Ratsmitgliedern oder Fraktionen, bestimmte Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung zu setzen, entspricht der Oberbürgermeister, sofern ihm diese spätestens 14 Tage vor der Sitzung zugehen.“ Oberbürgermeister O lehnte den Antrag ab und verwies darauf, dass ein Initiativrecht bezüglich der Tagesordnung nur Ratsfraktionen oder einem Fünftel der Ratsmitglieder zukomme. 2 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Als Oberbürgermeister O in der Ratssitzung die Durchführung der Wahl einleiten wollte, unterbrach K ihn durch Zwischenruf. Folgender Dialog entspann sich: K: „Das sind ja Zustände wie in Sowjetrussland, wo das Politbüro was entschieden hat und die anderen es nur noch abnicken! Der unqualifizierte Klüngelkandidat L ist ja grandios gescheitert; die Unregelmäßigkeiten um die Nominierung der neuen Klüngelkandidatin M sind auch kein Geheimnis.“ O: „Herr K, ich bitte Sie, sich in Ihren Äußerungen zu mäßigen.“ K: „In einer so entscheidenden Frage muss man doch auf den Fakt hinweisen können, dass der Regierungspräsident die letzte Wahl beanstandet hat. Unter diesen Vorzeichen sollte sich die Klüngelkandidatin M einer Wahl stellen, die den Namen verdient!“ O: „Herr K, ich erteile Ihnen hiermit einen Ordnungsruf und fordere Sie erneut auf, sich zu mäßigen. Ich weise Sie darauf hin, dass der Rat nach einem zweiten Ordnungsruf entscheiden kann, Sie des Saales zu verweisen.“ Daraufhin wurde die Kandidatin M mit Ratsmehrheit gewählt. 3 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Im Anschluss an die Sitzung richtete K an Oberbürgermeister O den schriftlichen Antrag, den Ordnungsruf zurückzunehmen: K habe durch Gebrauch des Wortes „Klüngelkandidat“ die Vorgänge im Vorfeld der Wahlen kritisiert; die Kandidaten seien durch Klüngelei statt nach Qualifikation ausgewählt worden. Seine Wortwahl habe damit sachlichen Bezug und sei nicht beleidigend. Der Antrag wurde abgelehnt: O begründete, K habe den Bereich debattenüblicher Polemik verlassen, indem er sich mit dem fraglichen Begriff unangemessen beleidigend über die Kandidaten selbst geäußert habe; dies habe O gemäß § 51 GO NRW im Rahmen seines Beurteilungsspielraumes ahnden dürfen. • Fallfrage 1: Zwei Monate nach der Ratssitzung erhebt K Klage gegen O. K begehrt die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ordnungsrufs (Antrag 1). Hat die Klage Erfolg? • Fallfrage 2: Zudem begehrt K die gerichtliche Feststellung, dass die Weigerung des O, die Personaldebatte auf die Tagesordnung zu setzen, rechtswidrig war (Antrag 2). Hat die Klage Erfolg? 4 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Problemschwerpunkte • Rechtmäßigkeit eines Ordnungsrufs • Kommunalverfassungsbeschwerde • Anspruch auf Aufnahme eines Punktes in die Tagesordnung • Verhältnis zwischen der GO NRW und der Geschäftsordnung des Rates 5 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Anmerkungen • Der Sachverhalt und die Lösung zu Fallfrage 1 sind angelehnt an den Beschluss des OVG Münster vom 16.05.2013 – 15 A 785/12 (Vorinstanz: VG Köln, Urteil v. 08.02.2012 – 4 K 7486/10) • Der Sachverhalt und die Lösung zu Fallfrage 2 sind angelehnt an den Beschluss des OVG Münster NRW vom 29.11.2012 – 15 B 1308/12; Siehe zu dieser Thematik auch OVG Münster, Urteil vom 30.03.2004 – 15 A 2360/02 6 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Die Klage hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist. K macht kumulativ mehrere Klagebegehren geltend. A. Zulässigkeit der Anträge I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs 1. Keine aufdrängende Spezialzuweisung (+) 2. Generalklausel § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO (+) a. Öffentlich-rechtl. Streitigkeit Streitentscheidende Norm hinsichtlich Antrag 1: § 51 Abs. 1 GO NRW ÖR (+) Streitentscheidende Normen hinsichtlich Antrag 2: § 48 Abs. 1 S. 2 GO NRW; § 10 Abs. 1 GeschO ÖR (+) 7 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung b. Nichtverfassungsrechtlicher Art P: Kommunalverfassungsrecht § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO meint Staatsverfassungsrecht! nichtverfassungsrechtlicher Art (+) c. Keine abdrängende Sonderzuweisung (+) 8 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung II. Statthafte Klageart §§ 88, 86 III VwGO Richtet sich nach dem Klagebegehren 1. Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1, 1. Fall VwGO Kläger greift VA i. S. v. § 35 VwVfG NRW an? P (für Antrag 1 und 2): „ auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet“? Außenwirkung kommt einer Maßnahme nur zu, wenn die Rechtsfolgen gegenüber einer außerhalb der Verwaltung stehenden Person eintreten sollen, indem deren Rechtsposition erweitert, eingeschränkt oder in sonstiger Weise eingegriffen wird. Demnach fehlt es dann an einer Außenwirkung, wenn die Maßnahme nur innerhalb der Verwaltung Wirkung entfaltet. bei sitzungsleitender Maßnahme (–) 9 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung 2. Allgemeine Leistungsklage? K begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit! Eine Umdeutung des Klageantrags ist nur im Rahmen des § 86 III VwGO möglich. Eine Leistungsklage gerichtet auf die Rücknahme des Ordnungsrufs und die Aufnahme des Punktes in die nächste Tagesordnung, würde diesen Rahmen überschreiten. 3. Feststellungsklage, § 43 Abs. 1 VwGO in Form des Kommunalverfassungsstreits? P: Rechtsbeziehungen zwischen Organ(teil)en der Gemeinde? OB (+); K als Mitglied des Rates: Organteil organschaftliches Rechtsverhältnis aus öffentl.-rechtl. Norm ausreichend (+) (Siehe vertiefend zum Kommunalverfassungsstreit: Pietzcker in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorbemerkung zu § 42 Abs. 1, Rn. 17 ff.) 10 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung III. Berechtigtes Feststellungsinteresse • „jedes … schutzwürdige Interesse … rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art“ (OVG Münster, Rn. 64 f.) Antrag 1: Abwenden der diskriminierenden Wirkung eines Ordnungsrufes im Kreise der Ratskollegen (+) Antrag 2: Angelegenheit zwar erledigt; aber: konkreter Klärungsbedarf auch in Bezug auf künftige Beschlüsse des Oberbürgermeisters (+) 11 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung IV. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog • Möglichkeit subjektiver Rechtsverletzung des Klägers? • Kommunalverfassungsstreitverfahren, daher nur organschaftliche Rechte von Belang! Antrag 1: Rat erfüllt öffentliche Aufgabe; kein Forum für beliebige private Meinungsäußerungen Keine mögliche Verletzung von Art. 5 I S. 1 GG Rederecht als Ratsherr (+) Antrag 2: mögliche Verletzung des Initiativrecht nach § 48 Abs. 1 S. 2 GO NRW; § 10 Abs. 1 GeschO (+) V. Klagegegner – [§ 78 VwGO nicht einschlägig; Überschrift des 8. Abschnitts: „Besondere Vorschriften für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen“] – Im kommunalen Organstreit: kontrastierendes/-r Organ(teil) Oberbürgermeister (+) 12 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung VI. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, § § 61, 62 VwGO • Kläger und Beklagter streiten sich als Organ(teil)e des Rates! Beteiligtenfähigkeit aus § 61 Nr. 2 VwGO analog (+) • Prozessfähigkeit, § 62 I Nr. 1, Abs. 3 VwGO: Oberbürgermeister O vertritt das Organ als Organwalter. VII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis • Organtreue bei innerorganisatorischen Streitigkeiten! Antrag 1: K hat zunächst Abhilfe durch schriftlichen Antrag an den Hauptausschuss gesucht Organtreue (+) Antrag 2: Der Antrag des K wurde von O bereits abgelehnt (+); Erneut einen Antrag zu stellen, hat keine Aussicht auf Erfolg und kann daher nicht gefordert werden. 13 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Hinweis: • Kein Vorverfahren! – § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO: „Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen.“ – Abs. 2: „Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.“ • Keine Frist! – § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO: „Die Anfechtungsklage muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden.“ – Abs. 2: „Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.“ 14 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung VIII. Zwischenergebnis Die Feststellungsklagen sind zulässig! B. Zulässigkeit der objektiven Klagehäufung, 44 VwGO I. Selber Beklagter (+) II. Klagebegehren stehen in Zusammenhang Der notwendige Zusammenhang zwischen den Klagebegehren kann sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Art sein. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn den unterschiedlichen Klagebegehren ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde liegt. Wann ein solcher Zusammenhang vorliegt, muss vor dem Hintergrund des Normzwecks von § 44 VwGO, der Prozessökonomie, beantwortet werden. Grundsätzlich wird eine weite Auslegung zugrunde gelegt, da das Gericht gem. § 93 S. 2 VwGO die Möglichkeit der Prozesstrennung hat. Hier wohl eher (-) III. (Das selbe Gericht ist zuständig (+)) IV. Ergebnis: Die objektive Klagehäufung ist unzulässig. 15 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung C. Begründetheit des Antrags 1 Die Klage ist begründet, soweit die angegriffene Maßnahme rechtswidrig ist und K hierdurch in seinen Organrechten verletzt ist. I. Rechtsgrundlage für Ordnungsruf: § 51 Abs. 1 GO NRW: „Der Bürgermeister leitet die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen, handhabt die Ordnung und übt das Hausrecht aus.“ II. Organ-/Statusrechte des K: „Zum Status des Ratsmitglieds gehört selbstverständlich das (unentbehrliche) Rederecht im Rat, das gewissermaßen das Urrecht eines Mitglieds einer Volksvertretung darstellt.“ (OVG Münster, Rn. 89) 16 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung 1. Einschränkung des Rederechts durch OB? K „war gezwungen, sich auf die Auffassung des Beklagten als Ratsvorsitzenden von der Ordnung der Sitzung einzustellen, wollte er nicht unwiederbringliche Nachteile im Hinblick auf seine Möglichkeiten der weiteren Sitzungsteilnahme und der weiteren Ausübung seines Rederechts […] und damit im Hinblick auf den Kern der Mandatsausübung in Kauf nehmen.“ (Rn. 75) (+) 2. Rechtmäßigkeit der Einschränkung a. Rederecht beschränkbar? Rederecht „bedarf … zum Zwecke der Sicherung der Effektivität und Funktionsfähigkeit des Rates sowie der Abstimmung mit den Rederechten der anderen Ratsmitglieder der näheren Ausgestaltung in der Geschäftsordnung.“ (Rn. 89) (+) 17 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung b. Einschränkung verhältnismäßig? • Schonender Ausgleich (Gedanke der Wechselwirkungstheorie)! Ratsvorsitzender darf in Ausübung der Ordnungsgewalt das Rederecht des Ratsherren nicht im Wesen beschränken. • Janusköpfigkeit des Oberbürgermeisters als Ratsvorsitzender: Politischer Akteur und Inhaber der Ordnungsgewalt Daraus resultiert eine Neutralitätspflicht des OB! • Beschränkter Beurteilungsspielraum des Ratsvorsitzenden in Ausübung der Ordnungsgewalt, da zeitnahe Reaktion in ggfs. unübersichtlicher Situation durch die Ratsherren erforderlich und gewünscht war. Gerichtliche Kontrolldichte ausgeprägter, je stärker der Ordnungsruf Bezug auf den (nachprüfbaren) Inhalt der gerügten Äußerung nimmt! Ordnungsruf ist tendenziell eher gerechtfertigt, wenn ungebührliches Verhalten und nicht die inhaltliche Position gerügt wird: Aufgabe des Ratsvorsitzenden ist es nicht, die inhaltliche Richtigkeit der Redebeiträge sicherzustellen. 18 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung • Rat als Ort des Meinungskampfes: „Der Widerstreit der politischen Positionen […] lebt nicht zuletzt von Debatten, die mit Stilmitteln wie Überspitzung, Polarisierung, Vereinfachung oder Polemik arbeiten“ (Rn. 92); „kein Gebot strenger Sachlichkeit“ (Rn. 104)! • Je gewichtiger die thematisierte Frage, „desto eher müssen konkurrierende Rechtsgüter hinter dem Rederecht zurückstehen.“ (Rn. 96) Hier: Vergabe öffentlicher Ämter sehr gewichtig! • Fraglichen Redebeitrag im Gesamtzusammenhang betrachten; steht Beleidigung oder Provokation als Selbstzweck im Vordergrund? – Redebeitrag darf nicht einseitig zulasten des Redners gedeutet werden, falls auch andere Deutung möglich! Begriff „Klüngel“ liegt unzweifelhaft im Sachzusammenhang des Redebeitrags und muss keine Diffamierung der Kandidaten implizieren. 19 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Eingriff in das Rederecht als Ausfluss des Statusrechts des Ratsherren K aus § 43 Abs. 1 GO NRW ist nicht verhältnismäßig; aA vertretbar. c. Zwischenergebnis Die Einordnung der Äußerung des K als Ordnungsverletzung war fehlerhaft! K ist durch den Ordnungsruf in seinem organschaftlichen Rederecht verletzt! C. Ergebnis Die Klage ist zulässig und begründet. 20 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Sachverhalt zu Fallfrage 2 (Wdh.) Kläger K ist fraktionsloses Mitglied des Rates der Stadt S in NRW. […] K schlug für den Posten den Gegenkandidaten G vor und stellte fristgerecht den Antrag, eine Vorstellung der Kandidaten samt Personaldebatte zum Gegenstand der Ratssitzung zu machen. Er berief sich auf § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Stadtrats: „Anträgen von Ratsmitgliedern oder Fraktionen, bestimmte Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung zu setzen, entspricht der Oberbürgermeister, sofern ihm diese spätestens 14 Tage vor der Sitzung zugehen.“ Oberbürgermeister O lehnte den Antrag ab und verwies darauf, dass ein Initiativrecht bezüglich der Tagesordnung nur Ratsfraktionen oder einem Fünftel der Ratsmitglieder zukomme. […] • Fallfrage 2: Zudem begehrt K die gerichtliche Feststellung, dass die Weigerung des O, die Personaldebatte auf die Tagesordnung zu setzen, rechtswidrig war (Antrag 2). Hat die Klage Erfolg? 21 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung D. Begründetheit des Antrags 2 Die Klage ist begründet, soweit die Unterlassung der begehrten Handlung durch O rechtswidrig war und K hierdurch in seinen Organrechten verletzt ist. I. Rechtsgrundlage für Aufnahme von Tagesordnungspunkten § 48 Abs. 1 S. 2 GO NRW und § 10 Abs. 1 GeschO P: Verhältnis zwischen den Vorschriften • § 48 Abs. 1 GO NRW: „Der Bürgermeister setzt die Tagesordnung fest. Er hat dabei Vorschläge aufzunehmen, die ihm innerhalb einer in der Geschäftsordnung zu bestimmenden Frist von einem Fünftel der Ratsmitglieder oder einer Fraktion vorgelegt werden. …“ • § 10 Abs. 1 GeschO: „Anträgen von Ratsmitgliedern oder Fraktionen, bestimmte Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung zu setzen, entspricht der Oberbürgermeister, sofern ihm diese spätestens 14 Tage vor der Sitzung zugehen.“ 22 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Ist § 10 Abs. 1 GeschO eine den § 48 Abs. 1 S. 2 GO NRW ausgestaltende Fristenregelung oder eine eigenständige Norm mit Tatbestand und Rechtsfolge? – Wortlaut spricht wohl für eigenständige Norm (aA vertretbar). – Systematisches Verhältnis schließt autonome Regelung in GeschO nicht aus: • „Der Rat ist … befugt, das Initiativrecht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GO NRW durch Regelung in der Geschäftsordnung zu erweitern“ (OVG Münster – 15 B 1308/12, Rn. 3) • „Die in § 47 Abs. 2 GO NRW dem Rat gewährte Geschäftsordnungsautonomie […] ist nur in dem durch die Gemeindeverfassung vorgegebenen Rahmen verliehen. Durch die Geschäftsordnung können daher die inneren Angelegenheiten des Rates nur insoweit geregelt werden, als sie nicht bereits abschließend gesetzlich geregelt sind.“ (OVG Münster – 15 A 2360/02, Rn. 59) • Allerdings: „[…] kann der Gemeindeordnung keine hinreichend eindeutige gesetzliche Regelung entnommen werden, die hier die in Rede stehende Erweiterung des Initiativrechts […] hinderte“ (OVG Münster – 15 A 2360/02, Rn. 61)23 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung II. Tatbestandsvoraussetzungen von § 10 Abs. 1 GeschO 1. Antragstellerkreis: „von Ratsmitgliedern oder Fraktionen“ (+) P: Umfasst der Begriff „Ratsmitgliedern“ auch ein Ratsmitglied? „Dabei umfasst hier der Begriff "Ratsmitglieder" mangels jeglicher Quotierung von seinem Wortlaut her sowohl mehrere Ratsmitglieder als auch das einzelne Ratsmitglied und damit auch den Antragsteller. Die Geschäftsordnung des Rates der Stadt L. sieht alle Ratsmitglieder als antragsberechtigt an, soweit es um die Aufnahme von Anträgen in die Tagesordnung von Ratssitzungen geht.“ (OVG Münster – 15 B 1308/12, Rn. 6) 2. Frist: „spätestens 14 Tage vor der Sitzung“ (+) 24 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung 3. Verletzung von Organrechten: Nichterfüllung eines rechtmäßigen Anspruchs (+) E. Ergebnis Klage zulässig und begründet. (Ebenfalls vertretbar: zulässig, aber unbegründet.) 25 Professor Dr. Christian Koenig, LL.M. Zentrum für Europäische Integrationsforschung Professor Dr. iur. Christian Koenig, LL.M. (LSE) Geschäftsführender Direktor Zentrum für Europäische Integrationsforschung Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Walter-Flex-Str. 3 53113 Bonn Telefon: +49 228 73-1891 Fax: +49 228 73-1893 [email protected] http://www.zei.de/
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