52 SEITEN EXTRA ÜBER MEDIZINISCHE FORSCHUNG
Nr. 49a 5. 12. 2015
www.news.at
CORBIS
SPITZENMEDIZIN
FORSCHER DER TU WIEN HABEN
KÜNSTLICHE BLUTGEFÄSSE ENTWICKELT,
DIE VERSTOPFTE ARTERIEN UND VENEN
ERSETZEN SOLLEN
ADERN AUS
KUNSTFASER
HIRN STEUERT PROTHESE
Ein künstlicher Oberarm
aus Österreich wird nur
per Gedanken gesteuert
HILFE BEI BRUSTKREBS
Eine innovative Therapie aus
Österreich gibt betroffenen
Frauen neue Hoffnung
KAMPF DEM VERGESSEN
Mit einer speziellen Impfung
wollen heimische Forscher
Alzheimer stoppen
INHALT
LÄNGER BESSER LEBEN
Warum wir immer älter werden und dabei immer länger gesund bleiben.
„WIR WOLLEN KEIN EWIGES LEBEN“
Interview mit Medizinethiker Peter Kampits.
DIGITALE PATIENTENAKTE
Warum ELGA für die Patienten viele Vorteile bringt.
DER TUMOR WIRD AUSGEHUNGERT
Christoph Zielinski und Michael Gnant entwickeln neue Brustkrebstherapie.
IMMUNTHERAPIE BEI HAUTKREBS
Alternative Behandlungsmethode feiert Erfolge bei Melanom.
KAMPF DEM VERGESSEN
Neue Therapien aus Österreich nehmen Alzheimer den Schrecken.
PILLE GEGEN MALARIA
Wie ein Österreicher Malaria mit einer einzigen Pille ausrotten will.
SCHLUSS MIT CHLAMYDIEN
Eine Impfung hilft jetzt gegen die Geschlechtskrankheit.
„SPITZENFORSCHUNG BRINGT GELD“
Genforscher Josef Penninger über den Forschungsstandort Österreich.
KÜNSTLICHE BLUTGEFÄSSE
TU-Forscher Robert Liska entwickelt Adern aus Elastomermaterial.
HIRN STEUERT ARMPROTHESE
Mediziner und Techniker bauen den Kunstarm der Zukunft.
REHABILITATION IN ÖSTERREICH
Wie sich die Reha-Methoden in Österreich weiterentwickeln.
ENDLICH WIEDER HÖREN
Der internationale Erfolg einer österreichischen Erfindung.
SPITZENAUSBILDUNG IN ÖSTERREICH
Österreichs Jungmediziner sind international begehrt.
INTERVIEW MARKUS MÜLLER
Was der neue Rektor der MedUni Wien bei der Ausbildung fordert.
WIRTSCHAFTSFAKTOR MEDIZIN
Warum die Pharmaindustrie in Österreich ein Exportplus erwirtschaftet.
PRIVATE GESUNDHEITSAUSBILDUNG
Die Erfolgsgeschichte der Danube Private University.
ZAHNMEDIZINER VON MORGEN
Österreich hat in der
Medizin eine lange
Tradition, die bis
heute anhält. Die
Erben von Semmelweis und Landsteiner entwickeln neue
Methoden im Kampf
gegen Brustkrebs,
wollen mit nur einer
Pille pro Patient die
Malaria besiegen
und entwickeln die
besten Hörgeräte
der Welt.
In diesem Extra
zeigen wir Ihnen,
warum die Medizin
in Österreich ein
wichtiger Wirtschaftsfaktor ist
und wie wir alle
dank der Entdeckungen österreichischer Forscherinnen und Forscher
länger besser leben
werden. Denn das
hohe Niveau der
Spitzenmedizin hat
durchaus Auswirkungen auf den
Alltag in unseren
Spitälern und
Arztpraxen – sehr
zum Wohle der
Patienten übrigens.
Begleiten Sie die
Redaktion auf eine
faszinierende Reise
durch die Welt der
Medizin und
entdecken Sie mit
uns die Vielfalt der
Spitzenforschung.
Herzlichst, Ihr
Christian Neuhold
FOTO: RICARDO HERRGOTT
Österreichs modernste Zahnarzt-Ausbildung.
4
8
10
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16
18
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SPITZENMEDIZIN AUS
ÖSTERREICH
IMPRESSUM
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH, 2015 Herausgeber: DDr. Horst Pirker Chefredakteur Sonderprojekte VGN: Christian Neuhold
Redaktion: Susanna Sklenar, Ilse Königstetter, Christina Badelt, Claudia Weber, Doris Gerstmeyer, Rainer Grünwald
Fotoredaktion: Lydia Gribowitsch, Eva Schimmer Grafisches Konzept, Art Director: Ralph Manfreda Infografik: Franz Deix
Geschäftsführung: DDr. Horst Pirker (Vorsitz), Dietmar Zikulnig (CSO), Dr. Markus Fallenböck (CSO), Mag. Richard Starkel (CFO),
Mag. Helmut Schoba (COO)
Verkauf: Helmut Robitsch Reproduktion: Neue Medientechnologie GmbH, Taborstraße 1–3, 1020 Wien
Medieninhaber: Verlagsgruppe NEWS GmbH, Taborstr. 1–3, 1020 Wien Hersteller: Leykam Druck GmbH & Co KG, Bickfordstr. 21,
7201 Neudörfl. Vertrieb: Morawa, Hackinger Straße 52, 1140 Wien
Verlagsort: Wien. Herstellungs-, Erscheinungsort: Wien. Verlagspostamt: 1020 Wien. P. b. b.
Der Offenlegungstext gem. § 25 MedG ist unter www.format.at/impressum abrufbar.
3
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
LEBENSERWARTUNG
MEDIZINFORTSCHRITT UND
GENTECHNIK MACHEN ES MÖGLICH,
DASS DIE ÖSTERREICHER IMMER
ÄLTER WERDEN. IM LETZTEN
LEBENSVIERTEL SIND SIE ABER
KRÄNKER ALS ANDERE NATIONEN.
MEHR VORSORGE KANN DAS
ÄNDERN.
4
EXTRA 2015
FOTOS: CORBIS (2)
VON DORIS GERSTMEYER
GENOM. Dem Biochemiker Craig Venter
gelang die vollständige
Entschlüsselung des
menschlichen Genoms.
EXTRA 2015
5
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
LEBENSERWARTUNG
Lebenserwartung bei der Geburt in Jahren
Mann
Frau
68,5
1983
69,5
Fortschritt gipfelte vorläufig in der Entdeckung der
DNA und der Träger der Erbinformation, der
Gene. Der US-Biochemiker Craig Venter, heute 69,
sorgte mit seinem Team für den Durchbruch. Ihm
gelang die vollständige Sequenzierung, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Dem
Pionier ist es jetzt auch als Erstem gelungen, ein
Erbgut selbst herzustellen und in eine Zelle einzupflanzen, sodass ein lebensfähiges Bakterium entstanden ist. Über solche Versuche spottet die Fachwelt, dass Venter „die Unsterblichkeit sucht“.
Krebsforschung.
Gene spielen heute bei der Bekämpfung der
„Geißel der Menschheit“, dem Krebs, eine Hauptrolle. Neueste Erkenntnisse der Wissenschaftler
belegen sogar, dass jeder Tumor seine eigene Genetik aufweist. Auch für die Krebstherapien ist die
Bestimmung der Tumorgenetik des Patienten von
ausschlaggebender Bedeutung. Heute spricht man
von personalisierter, „maßgeschneiderter“ Behandlung, die damit möglich ist. Dennoch bestätigen Krebsforscher und Onkologen wie Christoph
Zielinski, dass man erst am Anfang stehe, die Zusammenhänge der Krebsentstehung zu begreifen,
um wirksame Maßnahmen ergreifen zu können.
Weltweit arbeiten Forscher in den westlichen
Industrieländern, in den USA, Frankreich und
England, mit Hochdruck an der Entschlüsselung
von Krebserkrankungen. In Österreich gibt es eine
kleine Gruppe von Forschern, die in dieser Oberliga mitspielt. „Wir sind in Österreich ein Leuchtturm-Forschungsbeispiel und ein Beweis, dass
Craig Venter
US-Biochemiker
EXTRA 2015
82,6
Bewegung ist ein Schlüsselwort bei der Gesunderhaltung im höheren Alter.
»Mit der Sequenzierung ist ein neuer
Anfang in der
Medizin gemacht.«
6
79
77,1
2006
D
76,6
74,8
80,9
1999
as Wunder ereignet sich jeden Tag
und jede Stunde: Die Menschen in
den Industrieländern werden immer älter. In den letzten 70 Jahren
verlängerte sich die Lebenszeit um
rund 30 Jahre. Sie wächst seither beständig, um
drei bis vier Monate pro Jahr. Heute leben in Österreich bereits 1.400 Menschen, die älter als hundert
Jahre sind. Die entscheidende Frage ist allerdings,
wie gesund oder wie krank man altert. Gerade weil
die Menschen um Jahrzehnte älter werden, versichern die Gesundheitsexperten, nehmen Alterskrankheiten wie Krebs, Herzinfarkt, Bluthochdruck, Diabetes oder Alzheimer zu. Niemand will
aber zum Pflegefall werden. Der Tod soll, wenn er
schon kommen muss, schmerzfrei, plötzlich oder
versöhnlich und harmonisch im Kreis der Familie
kommen. Bis dahin soll die Medizin helfen, die
Jahre bei bester Gesundheit zu verbringen.
Dieser Aufgabe versuchen die Ärzte seit Hippokrates nachzukommen, in den letzten hundert
Jahren mit durchschlagendem Erfolg, wie es das
Wachsen der Lebenszeit belegt. Neben wachsendem Wohlstand und besseren Lebensbedingungen
haben vor allem die Medizin und die Forschung zu
dieser Entwicklung enorm beigetragen. Dazu gehört etwa die erfolgreiche Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Viele davon konnten besiegt
werden. Kindbettfieber oder Pocken, die früher
Millionen dahinrafften, treten nicht mehr auf. Mit
fortschreitender, vor allem digitaler Technisierung
erhielt die medizinische Forschung in den letzten
zwei Jahrzehnten neuen, ungeheuren Auftrieb. Der
75,7
72,3
1991
Gesundheitsbewusstsein bei Senioren steigt. Nordic
Walking wird in dieser Altersklasse zum Hobby.
Quelle: Statistik Austria
1978
Sterblichkeit nach Todesursachen
42,9 %
Herz-KreislaufErkrankung
25,3 % Krebs
5%
Lungenkrankheiten
3,8 %
Verdauungsorgane
5,4 %
Verletzungen,
Vergiftungen
17,6 %
Sonstige
Krankheiten
Quelle: Statistik Austria, 2013
Anteil der Altergruppen an der Gesamtbevölkerung
0-9
10-19
20-29
30-39
40-49
50-59
60-69
70-79
80-89
90+
9,5 %
10,6 %
13 %
13,2 %
16,1 %
14,4 %
10,6 %
8,3 %
4,3 %
0,8 %
In Österreich gibt es 650.000 Zuckerkranke, Folge
falscher Ernährung und Übergewichts.
man auch mit minimalen Rahmenbedingungen zu
den Weltplayern zählen kann. International erkennt man uns an“, sagt der Krebsforscher und
Genetiker Josef Penninger, der in Wien das Institut
für Molekulare Biotechnologie (IMBA) führt (siehe Interview Seite 28).
FOTOS: FOTOLIA (3), ISTOCK PHOTO, REUTERS, CORBIS
Volkskrankheiten nehmen zu.
Die Sozialversicherer registrieren, dass die Österreicher in ihren letzten Lebensjahren kränker
sind als Senioren in anderen EU-Staaten. Zwar
sind, analog zur Lebensverlängerung, auch die
gesunden Jahre zuletzt gewachsen. Anfang der
Neunzigerjahre hatte ein 65-Jähriger eine Restlebenserwartung von rund 14,5 Jahren, davon
sechs in guter Gesundheit. Heute kann ein 65-Jähriger mit elf Jahren in guter Gesundheit rechnen.
Aber während in Norwegen Männer insgesamt 71
gesunde Jahre verbringen, sind es in Österreich
nur 59,7 Jahre. Gründe dafür gibt es zahlreiche. So
fand etwa eine aktuelle Studie der OECD heraus,
dass außer in Belgien nirgendwo mehr gegessen
wird als in Österreich. Im Durchschnitt werden
hier pro Person täglich 3.793 Kalorien vertilgt.
Selbst in den USA liegt dieser Wert mit 3.639 Kalorien darunter.
Dazu passt auch, dass laut dem österreichischen Adipositasbericht etwa die Hälfte der Männer und ein Drittel der Frauen hierzulande übergewichtig sind. Jeder Zehnte ist adipös, also fettleibig.
Die Folgen sind bekannt: Bluthochdruck, hohe
Cholesterinwerte und das Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Unbeschränkte Nah-
Quelle: Statistik Austria, 2013
Aufklärung über die Risiken beim Rauchen soll schon
bei Jugendlichen forciert werden.
1.400
100-Jährige gibt es
in Österreich, die
meisten davon in
Wien.
30
Jahre hat die
Lebenserwartung in
den letzten 70 Jahren zugenommen.
rungsaufnahme lässt immer öfter auch die Bauspeicheldrüse kapitulieren. Bei rund 650.000
Österreichern, die jetzt an Diabetes leiden, hat sie
das schon getan. Eine jüngste Umfrage im Auftrag
der Statistik Austria ergibt allerdings, dass sich vier
von fünf Österreichern topfit fühlen. Wohl eine
subjektive Täuschung. Lange ignorieren auch Raucher die Folgen ihrer Sucht, wie steigende Zahlen
bei Lungenkrebs und der Lungenkrankheit COPD
belegen.
Lösung heißt Prävention.
Die Tatsache, dass man selbst viel zur Gesunderhaltung seines Körpers beitragen kann, soll Allgemeinwissen werden, so der Plan der Gesundheitsbehörden und Sozialversicherer, die jetzt die
Parole „von der Reparaturmedizin zur Vorsorgemedizin“ ausgeben und zahlreiche Programme
dafür schnüren. Dazu gehört etwa die Aufklärung
über eine gesunde Ernährung und die Warnung
vor Alkoholmissbrauch. Breiter Raum wird auch
dem Thema Beweglichkeit gegeben, denn Sport ist
keine verbreitete Leidenschaft im Land, weshalb
sich auch Rückschmerzen zur Volkskrankheit entwickelten.
Die Info-Kampagnen zeigen Wirkung. Das Gesundheitsbewusstsein nimmt zu, insbesondere bei
vielen Senioren. Sie sind als Nordic Walker in Wald
und Flur zu finden, schwingen am Golfplatz den
Schläger und kräftigen schlaffe Muskeln im Fitnesscenter. Vielleicht wollen einige, bei guter Gesundheit, die Zahl der Hundertjährigen in die Höhe
treiben.
Struktur der DNA.
Die DNA ist ein
Biomolekül und Träger
der Erbinformation,
also der Gene.
EXTRA 2015
7
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
INTERVIEW
»Ewiges Leben wäre
ewige Wiederkehr
des Gleichen«
Peter Kampits
Medizinethiker
Peter Kampits, Leiter des Zentrums für
Ethik in der Medizin an der Donau-Universität Krems, über die Sehnsucht des
Menschen nach ewigem Leben und das
Ausklammern des Todes.
Immer mehr Menschen erleben ihren 100.
Geburtstag. Die Medizinforschung stellt sogar
noch viele Jahre darüber hinaus in Aussicht.
Steckt dahinter der Wunsch des Menschen
nach dem ewigen Leben?
Die Sehnsucht nach einem ewigen Leben ist
so alt wie die Menschheit. Freilich versteht man
darunter ein Leben ohne Leid, Schmerzen und in
ständig andauernder Jugendlichkeit. Wenn
manche Genforscher wie etwa Craig Venter ein
gleichsam ewiges Leben prophezeien, dann wäre
ein solches eine totale Veränderung unserer Natur. Es würde zu einem Verlust der Einmaligkeit
unserer Lebensvollzüge und in eine Art ewige
Wiederkehr des Gleichen führen.
Der Tod wird in der Gesellschaft ausgeklammert. Ärzte kämpfen bis zuletzt um das Leben
der Patienten. Wenn Patienten sterben,
empfinden sie das öfter als Niederlage. Ist das
eine unsinnige Haltung?
Wir haben in unserer durch Leistung, Fortschritt und auch Wohlstand bestimmten westlichen Gesellschaft den Tod tabuisiert und zugleich auch zu einem Feind hinaufstilisiert. Der
Kampf gegen den Tod wird seit der Antike als
eine Art Pflicht für die Ärzte betrachtet. Oft wird
hier die Quantität der noch ausstehenden Lebensspanne zuungunsten der Lebensqualität
vorangestellt. Freilich setzt in der letzten Zeit,
auch bedingt durch die Möglichkeiten der Palliativmedizin, langsam ein Umdenken ein, das mit
dem Begriff Sterbenlassen gekennzeichnet
werden kann. Also weg von einer überflüssigen
Therapie hin zu einem Akzeptieren des Todes,
wobei der Sterbeprozess unter menschenwürdigen Umständen erfolgen sollte.
Sterben wird heute schwergemacht. Der Arzt
darf dabei nicht aktiv helfen. Wer keine
ZUR PERSON
PETER KAMPITS, 73, ehemaliger Dekan der Fakultät für
Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität
Wien, ist Universitätsprofessor für Ethik in der Medizin,
Leiter des Zentrums für Ethik in der Medizin an der
Donau-Universität Krems und Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.
8
EXTRA 2015
Patientenverfügung hat, muss sich allem
fügen. Ist das eine Einschränkung der Freiheit?
Selbstverständlich ist die Wahrung der Autonomie des Betroffenen oberstes Gebot und ein
Handeln gegen den Wunsch des Patienten zu
vermeiden. Die Patientenverfügung ist ein kleiner Schritt zu dieser Autonomie, sie wird allerdings in der derzeitigen Form mit zu vielen
Schwierigkeiten belastet und darum wenig genützt. Die Spannung zwischen Beachtung der
Autonomie und der ärztlichen Fürsorgepflicht
bleibt ein nur individuell und situativ zu lösendes
Problem. Mit allgemeinen ethischen Prinzipien
ist hier nicht auszukommen.
Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz unter
Umständen erlaubt, wie die Organisationen
„Dignitas“ und „Exit“ das praktizieren. Was
sagt die Bioethikkommission dazu?
Sie steht dem sogenannten „Sterbetourismus“
skeptisch gegenüber. Allerdings wurde in ihrem
jüngsten Vorschlag eine Lockerung und Liberalisierung der derzeit geltenden strafgesetzlichen
Bestimmung bezüglich der Beihilfe zum Suizid
formuliert. Die Gewissenskonflikte, die dabei
entstehen können, sollten berücksichtigt werden
und zu einer Entkriminalisierung für Angehörige oder Ärzte führen, wenn es sich um eine unheilbare zum Tod führende Erkrankung handelt
und das ernsthafte Verlangen des Betroffenen
nach Hilfeleistung vorliegt. Gleichzeitig ist aber
die Aufrechterhaltung der Suizidprävention
vorgesehen. Die Verleitung zum Suizid soll
weiterhin unter Strafe stehen wie auch gewinnorientierte Motivationen.
FOTO: EVA SCHIMMER
Wer arm ist, stirbt schneller, wer reich ist, hat
bessere Chancen auf Lebensverlängerung. Was
sagen Sie als Medizinethiker dazu?
Als Medizinethiker wären für mich ökonomische Kriterien zur Lebensbeendigung und die
sogenannte Zweiklassenmedizin eine Horrorvorstellung, und wir sollten alles tun, um eine
solche Entwicklung zu vermeiden. Freilich bedarf es dazu einer neu zu entwickelnden Verteilungsgerechtigkeit der Mittel, die nicht einfach
zu erreichen sein wird.
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
ELGA
COUNTDOWN
FÜR AKTE
ELGA
„Ein sehr komplexer
Vorgang“
Susanne Herbek,
Geschäftsführerin ELGA
Susanne Herbek, 55,
übernahm im Jänner
2010 die Aufgabe
zur Erstellung einer
elektronischen Datenbank für den Gesundheitsbetrieb. Die Ärztin
für Allgemeinmedizin
war bis dahin im Wiener
Krankenanstaltenverbund
(KAV) als Krankenhausmanagerin tätig. Zum
Start von ELGA ist sie
optimistisch: „Es ist ein
komplexer Vorgang.“
10 EXTRA 2015
Anfangs werden ärztliche und pflegerische
Entlassungsbriefe, Labor- und Radiologiebefunde aus den teilnehmenden Spitälern – zunächst
in Wien und in der Steiermark, später auch in
allen anderen Bundesländern – abrufbar sein. In
einer weiteren Phase werden dann auch niedergelassene Kassenärzte, Labors und Zahnärzte
dazukommen. ELGA nimmt nur neue, aktuelle
Befunde auf.
E
s geht um das größte Vorhaben im österreichischen Gesundheitssystem und um eine
neue Qualität in der Dokumentation. Mit
ELGA wird erstmals ein elektronisches System
aufgebaut, in das künftig Befunde, die Spitäler,
Pflegeheime, Ärzte, Labors und Ambulatorien für
ihre Patienten erstellen, einfließen sollen.
Damit soll eine Übersicht und ein Kommunikationsnetz entstehen, aus dem alle Beteiligten Vorteile ziehen. Für die Patienten fallen lästige Doppelbefundungen weg und das Suchen in den eigenen
Unterlagen, etwa vor einem Spitalsaufenthalt oder
bei einem Arztwechsel. Derzeit sind Patienten
häufig selbst „Informationsträger“ der eigenen Gesundheitsdaten, indem sie ärztliche und pflegerische Entlassungsbriefe aus Krankenhäusern, Laborbefunde und Röntgenbilder zu verschiedenen
Ärzten oder anderen Gesundheitseinrichtungen
mitbringen müssen. Jeder Patient hat, nach einer
Identifikation, Einsicht in ELGA und seine Befunde. Ebenso können sich auch alle anderen genannten Anlaufstellen im Gesundheitssystem, wenn
berechtigt, über Befunde und Medikamente ihrer
Patienten jederzeit informieren, das kann in Notfällen auch lebensrettend sein. Die Vernetzung der
Daten soll zu einem besseren Informationsfluss
zwischen den Gesundheitsanbietern führen. Ärzte
werden von ELGA mit patientenbezogenen Informationen in Diagnostik und Therapie unterstützt
und gewinnen so einen schnellen Einblick in oft
lange Krankengeschichten.
e-Medikation.
Teil von ELGA ist auch die e-Medikation. In
dieses sogenannte Arzneimittelkonto tragen behandelnde Ärzte und Apotheken verordnete
bzw. wechselwirkungsrelevante, nicht rezeptpflichtige Medikamente ein. Vermerkt wird auch,
ob der Patient das Medikament in der Apotheke
abgeholt hat. Unerwünschte Wechselwirkungen
können so für den Patienten leichter vermieden
werden. Ab Mitte 2016 können Vertragsärzte,
Gruppenpraxen, selbstständige Ambulatorien
sowie Apotheken ELGA-Medikation nutzen.
Wichtigster Punkt ist Sicherheit.
Gesundheitsdaten sind sensible Daten. Deshalb stehen Sicherheit und Datenschutz bei
ELGA an oberster Stelle. Der Datentransport erfolgt ausschließlich verschlüsselt und muss über
eigene Gesundheitsnetze erfolgen. Auf die Daten
zugreifen darf grundsätzlich nur, wer berechtigt
ist: der Patient selbst und sein behandelnder
Arzt. Susanne Herbek, Geschäftsführerin der
ELGA GmbH: „Bei Missbrauch drohen hohe,
auch Haftstrafen.“ Für die technische Sicherheit
garantieren die Netzersteller. „Es können sich
anfangs natürlich, wie bei anderen Vorhaben dieser Größenordnung, kleinere Probleme ergeben“,
sagt Herbek, „die werden wir im Griff haben.“
Auch Hacker hätten keine Chance. Vor Inbetriebnahme werden sogenannte „PenetrationTests“ erfolgen.
FOTOS: ELGA GMBH, PFLEGENETZ/VARADAPPA
STARTKLAR
Start für die elektronische Gesundheitsakte
ELGA. Nach langer Vorbereitungszeit ist
die Einführung im Dezember, zunächst in
Wiener und steirischen Spitälern, festgelegt.
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
BRUSTKREBS
WENN TUMORE
EINFACH
VERHUNGERN
Im Kampf gegen Brustkrebs steht Österreich in
Europa an der Spitze. Wegweisende Studien, neue
Wirkstoffe in der Therapiepraxis und Topexperten
sorgen für internationale Erfolge.
VON SUSANNA SKLENAR
Tumorerkrankungen Brust Neuerkrankungen pro Jahr
’83
’87
’90
’93
’96
’99
’02
’05
’08
’11
2.500
3.000
3.500
4.000
4.500
5.000
5.500
Quelle: Roche
MAMMOGRAFIE.
Nach wie vor ist
Früherkennung (Röntgen
und Ultraschall) das Um
und Auf bei Brustkrebs.
Denn je eher ein Tumor
diagnostiziert wird,
desto besser stehen die
Chancen auf Heilung.
12 EXTRA 2015
ANWENDUNG
D
iagnose Brustkrebs. Niederschmetternd
wie eh und je, und doch inzwischen
nicht so fatal wie noch vor zehn, 20 Jahren. Denn die Aussichten auf Heilung stehen
heute besser denn je. In Österreich sind die
Überlebensraten sogar höher als in vielen anderen europäischen Ländern: Von den derzeit rund
5.400 neuen Brustkrebspatienten pro Jahr werden 80 Prozent wieder gesund. Die Sterblichkeitsrate konnte um ein Drittel reduziert werden – dank der fortschrittlichen Leistungen der
heimischen Mediziner sowie etlicher Institutionen, die bahnbrechende Behandlungen und
innovative Technologien anbieten. So verbucht
Österreich inzwischen mit wegweisenden Initiativen und Studien internationale Erfolge.
„Da Brustkrebs (Mammakarzinom) die häufigste bösartige Erkrankung bei Frauen weltweit
darstellt, erfolgte in den letzten Jahrzehnten eine
intensive Forschungstätigkeit, die zu deutlich
verbesserten Behandlungsmöglichkeiten sowohl
im Hinblick auf Wirksamkeit als auch Verträglichkeit führte“, erklärt Christoph Zielinski, Vorstand der Klinik für Innere Medizin I am AKH
Wien sowie Leiter der Klinischen Abteilung für
Onkologie. Das sei nicht nur auf neueste Erkenntnisse und Entdeckungen der molekularbiologischen Forschung zurückzuführen, sondern auch auf die multidisziplinären Teams aus
Wissenschaftlern und Medizinern, die maßgebende Lösungen in der Diagnostik, Therapie und
Nachbehandlung vorantreiben.
FOTOS: CORBIS (3)
Personalisierte Medizin.
Im Hinblick auf die Behandlung von Krebserkrankungen stehen derzeit vor allem zwei Ansätze im Fokus der Onkologen: Die personalisierte
Medizin samt zielgerichteten Therapien sowie
die Immuntherapie. Am Comprehensive Cancer
Center Vienna (CCC), das vom AKH Wien und
der Medizinischen Universität Wien (MedUni)
ins Leben gerufen wurde, wird dementsprechend
nach Mechanismen, die zur Entwicklung von
Krebs und zum Wachstum von Krebsgeschwüren
führen, intensiv geforscht – mit bereits mehreren
bahnbrechenden Ergebnissen. Mit der Plattform
für Molekulare Onkologische Diagnostik und
Therapie (MONDTI) verfügt das CCC neuerdings
auch über ein Zentrum für personalisierte Medizin. Das Ziel ist, maßgeschneiderte Therapiekon-
zepte für Krebspatienten zu entwickeln. Christoph
Zielinski: „Personalisierte Medizin ist die Zukunft
in der Onkologie. Sie zielt auf die Identifikation
von molekularbiologischen Eigenschaften von
Tumoren ab, das heißt, es werden die individuellen Merkmale des Tumors mittels immunhistochemischer und molekularbiologischer Diagnoseverfahren ermittelt. Dadurch kann dann bei jedem
Patienten eine genau auf diese Eigenschaften zielgerichtete Therapie ausgewählt und eingesetzt
werden (siehe Interview Seite 15).
Zielgerichtete Therapeutika.
Jüngste Beispiele für die zielgerichtete Therapie bei Brustkrebs sind spezielle Wirkstoffe und
Antikörper, die das Tumorwachstum unterbinden sowie im Blut die Angiogenese, die Bildung
und Erhaltung von Blutgefäßen, hemmen. Dadurch kann der Tumor keine Verbindungen zu
umliegenden Blutgefäßen mehr bilden und „verhungert“. Sogenannte monoklonale Antikörper
wirken also zielgerichtet gegen bestimmte Zellen
oder Strukturen – im Unterschied zur herkömmlichen Chemotherapie, die meist unspezifisch
alle sich teilenden Zellen zerstört. Die neuesten
Wirkstoffe bei Brustkrebs (z. B. Trastuzumab,
Pertuzumab von Roche) richten sich etwa gegen
den Wachstumsfaktorrezeptor HER2 – einen Rezeptor, der an der Zelloberfläche sitzt und Wachstumssignale an den Zellkern weiterleitet –, der
beim Tumor bewirkt, dass sich Krebszellen
schneller teilen. Zusätzlich gelangt das „mitgeschickte“ Chemotherapeutikum direkt in das
Zellinnere und zerstört folglich nur jene Krebszellen, an die der Wirkstoff angedockt hat.
Im Visier der Genetik.
Wie wichtig der individuelle Ansatz in der
Krebstherapie ist, untermauert auch die Genetik.
Österreichs Brustgesundheitszentren
Fokus bei Brustkrebs:
personalisierte Medizin,
zielgerichtete Therapie.
Brustkrebs ist die
häufigste Krebserkrankung bei Frauen:
Statistisch gesehen
entwickelt eine von acht
Österreicherinnen im
Laufe ihres Lebens einen
Tumor in der Brust. Da
heute viele verschiedene
Disziplinen an Diagnose
und Therapie beteiligt sind
und die Behandlung
idealerweise fächerübergreifend erfolgt, sollten
sich Betroffene nur an
Spezialzentren behandeln
lassen. Das bgz Wien, eine
Einheit innerhalb des
Comprehensive Cancer
Centers (CCC), ist das
größte zertifizierte
Brustgesundheitszentrum
in Österreich.
Tumorboards: Sie sind
eine interdisziplinäre
Bündelung von
Expertenwissen, um eine
höhere Qualität der
Entscheidungsfindung (in
der Diagnostik, Therapie
und Nachbehandlung) zu
ermöglichen.
MAMMAKARZINOM. Über
5.400 Frauen erkranken
jährlich an Brustkrebs.
Die Sterblichkeitsrate ist
rückläufig.
EXTRA 2015 13
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
BRUSTKREBS
FORSCHUNG
Im Fokus: molekularbiologische
Prozesse
So zeigen moderne Methoden, dass Krebs nicht
eine, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher
Krankheiten darstellt. Allein bei Brustkrebs gibt
es mehrere Untergruppen, die auf der Grundlage
verschiedener Tumoreigenschaften weiter unterteilt werden können und auf Therapien entsprechend unterschiedlich reagieren. Darüber hinaus
tragen vererbte genetische Faktoren zur Entstehung von Krebs bei. Ein genetischer Verlust von
BRCA1 oder p53 prädisponiert etwa für Brustkrebs.
Vor Kurzem haben Forscher herausgefunden,
dass eine bestimmte menschliche Genvariante
Brustkrebszellen aggressiver macht. Diese sind
nicht nur resistenter gegen Chemotherapien,
sondern sie verlassen auch den Primärtumor
und lassen sich in anderen Körperregionen in
Form von Metastasen nieder. Ein dafür wesentlich verantwortliches Gen, AF1q, wurde nun von
einer internationalen Forschungsgruppe rund
um Lukas Kenner von der MedUni Wien identifiziert und als möglicher Ansatzpunkt für genauere Diagnosen und zielgerichtete Therapieansätze
erkannt.
Zukunftsweisende Studien.
Ebenso zukunftsweisende Ergebnisse kommen von der Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group (ABCSG), die klinische Studien
zu Brust- und Darmkrebs mit internationalem
Erfolg durchführt. Bisher nahmen rund 25.000
Frauen an den ABCSG-Studien teil. Den jüngsten Erfolg konnte das Studiennetzwerk erst im
Gewebsanalyse: Bei etwa
72 Prozent der Brustkrebspatienten wächst
der Tumor hormonabhängig.
14 EXTRA 2015
VORREITER 2. Pfizer entwickelt Enzym-hemmende
Medikamente, die das Tumorwachstum blockieren.
Oktober verbuchen: In Kärnten wurde die erste
Brustkrebspatientin in die PALLAS-Studie eingeschlossen, die auf internationaler Ebene eine
neue Strategie in der Therapie erproben soll. Die
ABCSG koordiniert den internationalen Teil der
Studie (außerhalb der USA) – unter der Leitung
von Michael Gnant, Chef der Universitätsklinik
für Chirurgie der MedUni Wien: „Weltweit sollen in 500 Zentren rund 4.600 Brustkrebspatienten an der Studie teilnehmen, 2.300 davon außerhalb der Vereinigten Staaten. Die ABCSG leitet
diese Studie für die ganze Welt, das ist für ein
kleines Land wie Österreich bemerkenswert“
(siehe Interview Seite 15).
Hierzulande werden 19 Zentren an dem Projekt teilnehmen. Erprobt wird in der Untersuchung eine neue Strategie in der Nachbehandlung
von Brustkrebspatienten beiderlei Geschlechts.
Es geht um Patienten, die an einem hormonabhängigen Mammakarzinom im Stadium II
oder III, das ist ein größerer Tumor ohne Fernmetastasen, ohne das sogenannte HER2-Charakteristikum erkrankt sind. Sie erhalten nach
Operation, Bestrahlung und Chemotherapie
(Standarderstbehandlung) zwei Jahre lang jeweils zur Hälfte eine übliche antihormonelle
Therapie zur Verhinderung von Metastasen oder
noch zusätzlich den Wirkstoff Palbociclib – ein
neues Medikament von Pfizer, das zellwachstumsabhängige Enzyme (CDK4 und CDK6) in
den Tumorzellen hemmt und so deren Wachstum blockieren soll. Die ersten Zwischenanalysen sollen 2018 und 2020 vorliegen.
FOTOS: ROCHE, PFIZER, CORBIS
VORREITER 1. In der Onkologie werden bei Roche unter
anderem hochspezifische Antikörper erforscht.
Die Forschung und
Entwicklung im Bereich
der Onkologie hat zum
Ziel, immer effektivere
Krebstherapien zur
Verfügung zu stellen.
Dies soll durch die
Entdeckung und
Entwicklung von neuen
Medikamenten erreicht
werden, welche die
molekularen Signalwege
angreifen, die mit dem
Krebs assoziiert werden.
Im Fokus: personalisierte
Medizin und zielgerichtete Therapie sowie
Immuntherapie und
Genetik.
Diagnostik. Entscheidend
für den Erfolg einer
Behandlung ist die
präzise Diagnose. Neue
Biomarker können dazu
beitragen, Tumorzellen
aufzuspüren.
Behandlung. Mithilfe
molekularbiologischer
Mechanismen sollen
außer Kontrolle geratene
Prozesse gezielt
beeinflusst werden.
Interview
Prof. Dr. Christoph Zielinski Onkologe, CCC-Leiter, AKH/MedUni Wien
Prof. Dr. Michael Gnant Chirurg, ABCSG-Leiter, AKH/MedUni Wien
VON SUSANNA SKLENAR
»Globale Erfolge mit personalisierter Krebstherapie«
Unspezifische Chemotherapien und stereotype Behandlungen sind Schnee von gestern. Moderne
Onkologie setzt auf personalisierte Medizin, biomolekulare Tumormerkmale und profunde Studien.
durch die Bindung des Antikörpers kann das
Immunsystem die Tumorzellen erkennen und
ausschalten –, Blockieren – Antikörper unterbrechen wichtige Wachstumssignale in der
Krebszelle –, Aushungern – bestimmte monoklonale Antikörper unterdrücken die Bildung
von neuen Blutgefäßen und verhindern so, dass
der Tumor mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt wird – und Vergiften – durch Antikörper
lassen sich Chemotherapeutika gezielt ins
Tumorgewebe transportieren, sodass gesundes
Gewebe geschont wird.
Das bedeutet also, dass die Krebsbehandlung immer präziser wird …
FOTOS: TREND/SEBASTIAN REICH, FORMAT/MICHAEL RAUSCH-SCHOTT
Österreichs Koryphäen
in der Erforschung und
Behandlung von
Brustkrebs: Onkologe
Christoph Zielinski (l.)
und Chirurg Michael
Gnant (r.), beide
MedUni Wien.
In der Erforschung neuer Wirkstoffe sowie
bei der Behandlung von Brustkrebs steht die
personalisierte Krebstherapie im Fokus. Was
kann man sich darunter vorstellen?
Zielinski: Die personalisierte Krebstherapie
beruht darauf, dass Patienten aufgrund bestimmter molekularbiologischer Merkmale
eines Tumors eine genau auf diese Art Tumor
gerichtete Therapie angeboten werden kann.
Bei uns gibt es dafür neuerdings eine eigene
Plattform (MONDTI), die mit Einrichtungen,
die derzeit an internationalen Zentren entstehen, analog ist. So werden Patienten nach den
molekularbiologischen Charakteristika ihrer
Erkrankung und nach dem Zulassungsstatus
der dafür vorhandenen Medikamente auf
europäischer Ebene behandelt und betreut.
Wie wirkt hier die Molekularbiologie?
Zielinski: Je nach Krebsart, aber auch je nach
Untergruppe, kommen verschiedene Wirkstoffe oder Antikörper zum Einsatz, die zu unterschiedlichen Reaktionen auf der Zellebene und
bei den Signalwegen führen. Prinzipiell wird
dabei auf vier Wirkungen abgezielt: Abwehren –
»Patienten werden
nach den molekularbiologischen
Tumormerkmalen
behandelt.«
»In der Krebstherapie können wir
das ›Gesicht des
Feindes‹ immer
besser erkennen.«
Christoph Zielinsky
Onkologe, MedUni Wien
Michael Gnant
Chirurg, MedUni Wien
Gnant: Ja, wir können das „Gesicht des
Feindes“ immer besser erkennen. Durch molekularbiologische Erkenntnisse und Methoden
haben wir ein genaueres Verständnis, wie Tumorerkrankungen funktionieren und welche
Subtypen es etwa bei Brustkrebs gibt. Je präziser hier die Ergebnisse sind, desto effektiver
können auch die Behandlungen wirken.
Wo setzt Österreich neue Maßstäbe?
Gnant: Gerade bei Brustkrebs gehört Österreich zu jenen Ländern, wo weltweit maßgebende Studien laufen – und das schon seit Jahren. Die ABCSG (Austrian Breast & Colorectal
Cancer Study Group) zählt bereits 25.000 Patienten. In Westeuropa erkrankt jede achte Frau
an Brustkrebs, doch ist es in vielen Ländern
Europas sehr schwierig, Patientinnen zur Teilnahme an einer Studie zu bewegen. In Österreich ist es uns gelungen, ein studienfreundliches Klima zu schaffen, sodass mittlerweile
jede zweite postmenopausale und jede dritte
prämenopausale Patientin mitmacht. So profitiert nicht nur die Wissenschaft, sondern auch
alle Patienten, indem ihnen in der klinischen
Praxis immer die neuesten Medikamente und
Therapien zur Verfügung stehen.
EXTRA 2015 15
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
HAUTKREBS
NEUE
IMMUNTHERAPIEN
BEI MELANOM
Österreichs Forscher arbeiten an innovativen
Wirkstoffen und Methoden, um das Immunsystem
von Hautkrebspatienten gezielt zu aktivieren
und gegen die Tumorzellen zu richten.
In Tierversuchen werden
derzeit neue Wirkstoffe
erforscht, die dem
Immunsystem im Kampf
gegen Krebszellen
helfen.
16 EXTRA 2015
VON SUSANNA SKLENAR
800 Schwarzer Hautkrebs (Melanom)
700 Neuerkrankungen pro Jahr
Die Zahl der Neuerkrankungen
steigt: Mittlerweile wird pro
Jahr bei mehr als 1.500 Österreichern Hautkrebs diagnostiziert. Männer haben ein
geringfügig höheres Erkrankungsrisiko als Frauen. Bei über
300 Patienten pro Jahr führt
das Melanom zum Tod.
A
lle drei Minuten wird ein neuer Fall von
schwarzem Hautkrebs (Melanom) diagnostiziert, wobei 80 Prozent der Patienten in Europa, Nordamerika, Australien und
Neuseeland leben. Allein in Österreich sind jährlich 1.500 Menschen betroffen. Weltweit sterben
jedes Jahr rund 46.000 Menschen daran. Dabei
sind Melanome inzwischen gut behandelbar –
vorausgesetzt, sie werden im Frühstadium diagnostiziert. Drei Viertel der Patienten leben noch
mindestens zehn Jahre, wenn das Melanom zum
Zeitpunkt der Diagnose nicht dicker (tiefer) als
einen Millimeter ist. Sie können durch die operative Entfernung des Tumors geheilt werden. Haben sich bereits Metastasen gebildet, überleben
jedoch weniger als fünf Prozent die nächsten
zwei Jahre. Mit ein Grund ist, dass herkömmliche
Behandlungsmethoden wie Bestrahlung oder
Chemotherapien nur bei etwa einem Drittel der
Patienten Wirkung zeigen. Kein Wunder also,
dass Mediziner und Pharmaunternehmen mit
Nachdruck nach neuen Therapieformen suchen.
FOTOS: CORBIS (3), HARALD EISENBERGER
Neuartige Wirkstoffe helfen.
In seltenen Fällen bilden sich Melanome und
Metastasen von selbst zurück – aufgrund von
Immunreaktionen, vermuten die Forscher. Das
Interesse an „Immuntherapien“ ist in den letzten
Jahren deshalb international gewachsen. Und
führte gerade in Österreich zu neuen, zukunftsweisenden Erfolgen im Kampf gegen Hautkrebs:
Die Behandlung mit Botenstoffen des Immunsystems wie Interferon und Interleukin bewirkt
bereits erste aufsehenerregende Ergebnisse. Ein
Antikörper (Ipilimumab), der das Immunsystem
gezielt dazu anregt, Krebszellen zu bekämpfen,
ist inzwischen zugelassen. Erst im November hat
die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA die
Zulassung für den Wirkstoff Cobimetinib in
Kombination mit Vemurafenib – zur Behandlung von Patienten mit einem „mutationpositiven fortgeschrittenen Melanom“ – erteilt.
Ein möglicher Angriffspunkt ist das BRAFProtein. BRAF ist Teil eines Signalwegs, der das
Zellwachstum kontrolliert. Mutiert es, kann das
zu schnellem, unkontrolliertem Zellwachstum
und damit Krebs führen. Die Mutation tritt bei
etwa 50 Prozent der Melanompatienten auf und
ist mit einer ungünstigen Prognose verbunden.
Bis Ende des Jahres soll die Zulassung auch in
600
Quelle: Roche
Männer
Frauen
500
400
300
200
100
’83
’87 ’90 ’93
’96 ’99
’02 ’05
’08 ’11
Österreich erfolgen. „Diese kombinierte Anwendung trägt dazu bei, den Krankheitsverlauf zu
verlangsamen, und hilft Patienten, bedeutend
länger zu leben“, erklärt Sandra Horning, Chief
Medical Officer und Leiterin der globalen Produktentwicklung bei Roche.
Tatsächlich gilt die Immuntherapie als eines
der Hoffnungsgebiete in der Krebstherapie. Auch
an der Universitätsklinik für Dermatologie der
MedUni Wien sowie an der Veterinärmedizinischen Uni Wien (Vetmed) wird die neue Generation der Wirksubstanzen erforscht.
PHARMA & FORSCHUNG
Personalisierte
Medizin kommt
Zukunftsweisend: neue
Medikamente mit DiagnoseBegleittests.
Strategie gegen Metastasen.
Grundsätzlich wird bei der Immuntherapie
das körpereigene Abwehrsystem wieder in die
Lage versetzt, Krebszellen anzugreifen, auch versprengte Metastasen. Theoretisch kann es zwar
Krebszellen aufgrund ihrer veränderten Oberfläche erkennen und ausschalten, doch Tumorzellen sind gefinkelte Gegner: Sie tarnen sich
oder legen das Abwehrsystem lahm. Beim Melanom etwa hemmen Oberflächenstrukturen der
Krebszellen die körpereigenen Killerzellen, indem sie sich an sie heften. Bei der Immuntherapie
blockieren die neuartigen Medikamente diese
Anheftstellen, sodass Krebszellen vom Immunsystem wieder als gefährlich erkannt werden.
Eine wesentliche Rolle spielen dabei sogenannte
Immun-Checkpoints, also Rezeptorproteine, die
auf der Oberfläche von T-Zellen (weiße Blutzellen/Immunabwehr) ausgebildet werden. Wenn
spezifische Signalstoffe an die Checkpoints anbinden, wird die T-Zelle gebremst.
Im Fokus der Forschung steht nun etwa der
Signalüberträger Tyk2 – ist er überaktiv, kann
er Krebs fördern. Doch wird er entsprechend
gehemmt, indem man seine Signalfunktion
zerstört, bleiben nur seine positiven Eigenschaften erhalten. Er kann dann das Immunsystem mobilisieren, um Krebszellen und Viren zu töten, fanden Wiener Forscher heraus.
Mathias Müller vom Institut für Tierzucht und
Genetik der Vetmed: „Es gibt immer mehr
Krebserkrankungen, wo eine Überaktivität
von Tyk2 die Ursache ist.“
Johannes PleinerDuxneuner, Medical
Director bei Roche Austria.
„Bei uns sind Pharma
und Diagnostik unter
einem Dach vereint, um
Therapien noch besser
und effektiver auf den
individuellen Patienten
abzustimmen. Dieser
Ansatz macht es möglich,
maßgeschneiderte
Medikamente gleichzeitig
mit einem diagnostischen
Begleittest zu entwickeln – das ist auch
bereits bei der Hälfte
unserer Wirkstoffe in
Entwicklung der Fall. Wir
sprechen hier von
personalisierter Medizin.“
MELANOM ist die
aggressivste Form von
Hautkrebs, der durch
unkontrolliertes
Wachstum von
Melanozyten, den
pigmentbildenden Zellen
der Haut, entsteht.
EXTRA 2015 17
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
ALZHEIMER
KAMPF
DEM
VERGESSEN
ALZHEIMER VORBEUGEN. An den Universitätskliniken in Wien und Graz wird die Tau-Proteinbasierte Impftherapie erforscht, die zur Reduktion
des pathologischen Taus beitragen und eine Verschlechterung der Gedächtnisleistung stoppen soll.
GRENZGANG. Subjektiv
wahrgenommene
Verschlechterungen der
Gedächtnisleistung
sollten frühzeitig
abgeklärt werden.
18 EXTRA 2015
VON CHRISTINA BADELT
NETZWERK
W
eltweit leiden nach aktuellen Angaben
der WHO über 47 Millionen Menschen
an einer Demenzerkrankung, wobei die
Alzheimerkrankheit mit rund 60 bis 70 Prozent die
häufigste Demenzform darstellt. Für Österreich
bedeutet die massive Zunahme demenzkranker
Patienten, und hier vor allem an Alzheimer erkrankter Menschen, eine enorme medizinische,
aber auch gesundheitspolitische Herausforderung.
So leben derzeit rund 130.000 Personen in Österreich mit einer Demenzerkrankung, 500.000 Österreicher weisen bereits eine mögliche Vorstufe einer
Demenzerkrankung, etwa leichte kognitive Störungen (MCI), auf. Aufgrund aktueller Forschungsergebnisse ist davon auszugehen, dass sich die
Demenz-Fallzahlen in den nächsten 20 Jahren verdoppeln werden. Der internationale Forschungsschwerpunkt, und auch jener an der MedUni Wien,
ist die Entwicklung klinischer Therapien. An der
Universitätsklinik für Neurologie in Kooperation
mit der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie läuft dazu eine Phase-I-Studie für die Entwicklung einer Tau-Protein-basierten Impfung.
Tau-Proteine sind maßgeblich am Stofftransport
innerhalb der Nervenzellen beteiligt. Wenn diese
jedoch hyperphosphoryliert sind, ist der Stofftransport gestört, es kommt zu Funktionsstörungen und
führt schließlich zum Zelltod. Dies ist eines der
Hauptcharakteristika der Alzheimer-Demenz.
FOTOS: CORBIS (2)
Erste Schritte auf dem Weg zur Tau-Impfung.
„Die Verträglichkeit der Impfung ist gut“, berichtet Studienleiter Peter Dal-Bianco. Neben der
Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie
der MedUni Wien ist auch die Med Uni Graz
Kooperationspartner. Die ersten Ergebnisse geben Hoffnung, dass man die ersten Schritte in
Richtung einer Impfung gegen diese Ursache der
Alzheimererkrankung gemacht habe, die allerdings erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen
wird. Dal-Bianco: „Die folgende Phase-II-Studie
ist bereits im Laufen.“
Ziel der Impfung sei es, die Reduktion des
pathologischen Taus zu bewirken und damit die
weitere Verschlechterung der Gedächtnisleistung zu stoppen, erklärt Dal-Bianco: „Die TauProteine sind so etwas wie die Schwellenschrauben bei den Schienen im Zugverkehr. Geraten
die ‚Schrauben‘ aus der Verankerung, führt das
zur Entgleisung. Genau das passiert auch bei der
Alzheimererkrankung.“ Der Stofftransport auf
den Tubuli im Axon (Nervenfortsatz) entgleist,
wenn das Tau-Protein hyperphosphoryliert ist.
Diese Störung in den Nervenzellen ist mitverantwortlich für die Entstehung der Alzheimererkrankung.
Alzheimer Austria:
seit 25 Jahren gegen
das Vergessen
Im Fokus: diätetische Nahrungsmittel, Vitamin D.
Während von Medikamenten derzeit und in
naher Zukunft kein durchschlagender Erfolg zu
erwarten ist, gibt es Hinweise, dass bestimmte
Nahrungsstoffe in Form bestimmter Kombinationen den bei der Alzheimerkrankheit frühzeitig
einsetzenden Synapsenuntergang günstig beeinflussen können, erklärt Andreas Winkler,
Facharzt für Neurologie, Additivfacharzt für Geriatrie und Vizepräsident von Alzheimer Austria.
„Besonders hervorzuheben ist hier der Nahrungsmittelkomplex Fortasyn Connect, der als
Souvenaid in Form von einmal täglich einzunehmenden Trinkflaschen im Handel erhältlich ist.
Für diese medizinische Heilnahrung für die frühe
Alzheimererkrankung konnte in mehreren Studien, an insgesamt über 1.000 Patienten, ein möglicher Vorteil hinsichtlich der Gedächtnisleistung
nachgewiesen werden. Eine kausale oder nachhaltige Beeinflussung des Erkrankungsverlaufs ist
aber auch mit diesen diätetischen Nahrungsmitteln nicht möglich.“
Eine zunehmende Rolle dürfte nach dem
Experten zukünftig auch dem Vitamin D, einem
körpereigenen Hormon, zukommen, dessen
Mangel als zunehmender Risikofaktor für Demenzen und die Alzheimerkrankheit im Besonderen erkannt wurde.
Integrierte Versorgung auf dem Vormarsch.
Stefanie Auer, Universitätsprofessorin für Demenzforschung an der Donau-Universität Krems
und wissenschaftliche Leiterin der MAS Alzheimerhilfe, schildert den Ansatz integrierter Versorgung auf diesem Gebiet: „Österreich hat sich
an der internationalen wissenschaftlichen Diskussion um die besten Modelle zur integrierten
Versorgung – das sind multi- und interdisziplinäre Modelle zur Früherkennung einer Demenz,
zur Behandlung/Begleitung von Menschen mit
Demenz und deren Angehörigen – beteiligt. Hier
ZUKUNFT. Eine größere
Anzahl an Pflegekräften
wird notwendig sein.
ZUSAMMENARBEIT. Seit
dem Jahr 1990 bemüht
sich Alzheimer Austria als
direkter Ansprechpartner
um die Anliegen und
Bedürfnisse von
Alzheimererkrankten
und ihren Angehörigen.
Aus dem Prinzip der
Selbsthilfe hat sich ein
Expertenteam entwickelt,
das über die enormen
Belastungen der
Betroffenen bestens
Bescheid weiß. Alzheimer
Austria leistet durch eine
Vielzahl an Initiativen
und internationale
Vernetzung zur
Entlastung der Betroffenen und ihrer Angehörigen, wie persönliche
Unterstützungsgespräche, fachliche Beratungen, Trainingskurse
und Informationsveranstaltungen, einen
wichtigen Beitrag zur
Verbesserung der
Versorgungssituation in
Österreich.
EXTRA 2015 19
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
ALZHEIMER
werden. Dabei sollte die diagnostische Wertigkeit der Amyloid-Bildgebung im Zusammenhang mit anderen verfügbaren Biomarkern und
Surrogatmarkern der Alzheimererkrankung und
unter Berücksichtigung von Faktoren der individuellen Resilienz bewertet werden.“
gibt es derzeit drei publizierte Modelle, in Frankreich, den Niederlanden und eben in Österreich.
In Österreich wird dieses Modell „Demenzservicestelle“ genannt. Hier findet Früherkennung
statt, auch Förderung der Fähigkeiten der Personen mit Demenz. Angehörige werden geschult
und langfristig unterstützt. Der Effekt dieser
Strukturen ist Inhalt zahlreicher wissenschaftlicher Projekte.“
Frühdiagnostik durch Amyloid-PET.
Amyloid-Ablagerungen sind Eiweißablagerungen, die sich bei Menschen mit kognitiver
Beeinträchtigung im Gehirn ansammeln können, sie sind ein typisches Merkmal der Alzheimererkrankung mit Demenz. Mit der sogenannten Amyloid-PET steht nun eine neue
Untersuchung zur Alzheimer-Diagnostik zur
Verfügung, Hierbei wird dem Patienten eine
schwach radioaktive Substanz injiziert. Der verwendete Tracer 18F-Florbetaben lagert sich mit
hoher Spezifität und Sensitivität im Gehirn an
Beta-Amyloid-Ablagerungen an und kann diese
dadurch in einer PET-Untersuchung (Positronen-Emissions-Tomografie) sichtbar machen.
Die Ergebnisse der Untersuchungen müssen jedoch immer im Kontext mit der Anamnese des
Patienten interpretiert werden, erklärt Michael
Rainer, Leiter des Instituts für Gedächtnis- und
Alzheimerforschung der Karl Landsteiner Gesellschaft.
„In Zukunft muss der prädiktive Wert eines
positiven wie auch eines negativen AmyloidScans für den individuellen Patienten insbesondere durch Längsschnittstudien weiter analysiert
20 EXTRA 2015
Univ.-Prof. Dr. Stefanie Auer
Universitätsprofessorin für
Demenzforschung
»Unterstützung von
Betroffenen und
deren Angehörigen
hat große
Bedeutung.«
Dir. Prim. Dr. Andreas Winkler
Vizepräsident Alzheimer Austria
Jede dritte Demenz wäre zu verhindern.
Auch neue Ansätze zur Prävention von Demenzerkrankungen konnten aktuell verblüffende Wirksamkeitsstudien liefern. So wurde in
großen Kohortenstudien aufgezeigt, dass Menschen mit Adipositas, Hypertonie oder Diabetes,
aber auch Couch-Potatoes, Depressive, Raucher
und Menschen mit geringer Bildung überdurchschnittlich häufig eine Alzheimer-Demenz entwickeln. Eine aktuelle Studie, welche diese Faktoren berücksichtigte, konnte belegen, dass sich
mit Blick auf die sieben wichtigsten Lebensstilfaktoren das theoretische Alzheimerrisiko um
30 Prozent verringern ließe.
In einer soeben veröffentlichten kontrollierten Studie, die Ende November von der
Alzheimer Austria präsentiert wurde, konnte
nun erstmals der Wahrheitsbeweis angetreten
werden, dass sich dieser rechnerische Ansatz
auch tatsächlich im realen Leben erzielen lässt.
Dazu wurden 1.260 geistig gesunde Probanden
mit einem erhöhten Risiko, an einer Demenz
zu erkranken, in zwei Gruppen geteilt. Eine
Gruppe wurde über zwei Jahre in einem strengen Programm betreut (Diät, körperliches und
geistiges Training). Demgegenüber wurde die
Kontrollgruppe lediglich hinsichtlich gesunder Lebensführung unterrichtet. Ziel der
Studie war, festzustellen, inwieweit sich die
Gedächtnisleistungen nach Studienende in
beiden Gruppen unterschieden: Es fand sich in
der Interventionsgruppe im Vergleich für den
primären Studienendpunkt eine um 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, dass sich die
Gedächtnisleistung verbessert, für Teilaspekte
kognitiver Bereiche fanden sich sogar Verbesserungen um bis zu 150 Prozent.
Aus den Ergebnissen lässt sich schlussfolgern,
dass man durch diesen multidimensionalen Ansatz der Prävention und Lebensstilmodifikation
Einbußen der Gedächtnisleistungen signifikant
verzögern und somit das Auftreten von Demenzen zumindest über Jahre aufschieben kann.
FOTOS: CORBIS, MIRJAM REITHER, BEIGESTELLT
VERLAUF. Die genaue Frage,
welche Ereignisse im Alzheimer-Gehirn
den Zelltod auslösen (Bild links) und was
dagegen hilft, ist noch nicht geklärt.
»Demenz muss
differenzierter
betrachtet
werden.«
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
ALZHEIMER | INTERVIEW
»Ich wünsche mir,
dass Alzheimer 2050
Geschichte ist«
Dr. Peter Dal-Bianco
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
NACHGEFRAGT. Peter Dal-Bianco, Leiter der Spezialambulanz für
Gedächtnisstörungen am AKH Wien und Studienleiter der TAU-Impfforschung, über die ersten Schritte im Kampf gegen Alzheimer.
Welche Wirkung soll dieser Wirkstoff im
Speziellen haben, welche Ergebnisse liegen
schon vor?
FOTOS: MAG. WENZEL MÜLLER, CORBIS
Es handelt sich hier um eine klinische Prüfung in Phase eins. Ziel der Phase ist es, die humane Verträglichkeit zu prüfen. Bis dato ist bei
unseren Patienten keine Unverträglichkeit aufgetreten, die zum Abbruch beziehungsweise
zum Ausscheiden von Patienten geführt hätte.
ZUR PERSON
Peter Dal-Bianco, M.D, ist
Univ.-Prof. für Klinische
Neurologie an der Medizinischen Universität Wien
und Präsident der
Österreichischen
Alzheimer Gesellschaft.
Er gründete 1987 die
erste österreichische
Spezialambulanz für
Gedächtnisstörungen
(Memory Clinic) an der
Universitätsklinik für
Neurologie, MUW, AKH
Wien. Sein Forschungsgebiet umfasst altersassoziierte Erkrankungen
des zentralen Nervensystems mit klinischem
Schwerpunkt Gedächtnisstörungen, Alzheimer-Krankheit und
andere Demenzformen.
An der Universitätsklinik für Neurologie läuft
in Kooperation mit der Universitätsklinik für
klinische Pharmakologie eine Studie für die
Entwicklung einer Tau-Protein-basierten
Impfung gegen Alzheimer: Wie kamen Sie zu
der Schlussfolgerung, dass dieser Wirkstoff
helfen kann?
Alois Alzheimer hat bereits 1906 die typischen neuropathologischen Gehirnveränderungen seiner Demenzpatientin Auguste D. beschrieben. Unter anderem das intrazelluläre
Tau-Protein, das in hyperphosphorylierter Form
in sogenannter Tangleform die Nervenzellen im
Gehirn zerstört. Mit einer Tau-Immuntherapie
(Impfung) sollen diese devastierenden Eiweißfädchen durch körpereigene Abwehrzellen eliminiert und damit unschädlich gemacht werden.
Die MedUni Wien gilt in der klinischen
Erforschung diese Immuntherapie als führend.
Warum?
Weil diese aktive Tau-Impfung weltweit erstmals in Österreich klinisch geprüft wird.
Wann muss der Impfstoff verabreicht werden,
um bestmöglich zu helfen? Ist dieser dann für
alle Patienten geeignet?
Wahrscheinlich wird künftig die Impfung
noch vor dem Beginn der klinischen Alzheimersymptomatik durchgeführt werden, also bei
Menschen, die Alzheimer-typische Hirngewebsveränderungen haben, aber klinisch noch keine
Ausfälle zeigen. Hier gilt es dann, eine sorgfältige
Auswahl der Impfkanditaten zu treffen.
Woran arbeiten Sie derzeit und gibt es schon
eine Studienphase 2?
Derzeit beginnen wir –wieder gemeinsam mit
der Universitätsklinik für klinische Pharmakologie – eine Phase-I-Studie für die Entwicklung
einer Aß-Protein-basierten Impfung gegen Alzheimer. Es läuft eine Tau-Verlängerungsstudie
und es wurde bereits eine multizentrische Phase-zwei-Studie eingeleitet.
Was wäre Ihr Wunschziel für die kommenden
Jahre aus medizinischer Sicht?
Dass spätestens im Jahr 2050 die Alzheimerkrankheit Geschichte ist.
DIAGNOSTIK. Demenzielle Erkrankungen zeigen
zumeist einen kontinuierlichen Übergang von
klinisch unauffällig bis
schwerst beeinträchtigt.
EXTRA 2015 21
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
MALARIAFORSCHUNG
MALARIAPILLE
AUS
ÖSTERREICH
Einmal infiziert, muss die
Malariatherapie rasch erfolgen. Ein Arzt aus
Österreich könnte mit seiner Entwicklung
Tausende Neuinfektionen verhindern.
Ein Stich der AnophelesMücke ist lebensbedrohend. Es gibt rund 400
Arten, von denen 30
Malaria übertragen.
22 EXTRA 2015
VON CLAUDIA WEBER
DER PARASIT ÜBERLEBT
I
n einem unscheinbaren Ärztezimmer in einem der vielen Winkeln des Allgemeinen
Krankenhauses (AKH) in Wien sitzt Michael
Ramharter hinter seinem Schreibtisch. Gelassen
erzählt er von seinen Reisen nach Afrika. Man
mag kaum glauben, dass der Österreicher drauf
und dran ist, die Malariatherapie zu revolutionieren. Österreich in der Malariaforschung? Klingt
nach Skifahren in Kenia.
Der tückische
Kreislauf
der Malaria
Verheerende Blutmahlzeit.
FOTOS: CORBIS, PRIVAT, ALBERT SCHWEITZER HOSPITAL, MOMBO-NGOMA
Erst kommt das hohe Fieber, gefolgt von Kopfund Gliederschmerzen. Übelkeit und Durchfall
machen einem zusätzlich zu schaffen. Schüttelfrost und Schweißausbrüche tun ihr übriges. Der
Verdacht auf eine schwere Grippe liegt nahe. Irrtum. Es ist Malaria.
Eine falsche Diagnose kann tödlich sein. Wird
der Patient nicht adäquat oder gar nicht therapiert, endet die schwerste Form der Malaria, die
Malaria tropica, in jedem zweiten Fall tödlich. Vor
allem Kinder sind betroffen. Im Jahr 2013 waren
laut dem aktuellen World Malaria Report der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) 78 Prozent
der Todesopfer unter fünf Jahre alt.
Malaria spielt in Österreich nur für Reisende
nach Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika sowie
Indien eine Rolle. Weltweit betrachtet ist sie allerdings noch immer eine der gefährlichsten parasitären Krankheiten. Um die 3,2 Milliarden Menschen in 97 Ländern – somit fast die Hälfte der
Erdbevölkerung – sind dem Risiko einer Malariainfektion ausgesetzt, wobei die häufigsten
Malariafälle (90 Prozent) in Afrika südlich der
Sahara auftreten.
Die Krankheit wird über den Stich einer infizierten, weiblichen Anopheles-Mücke übertragen. Die Erreger der Tropenkrankheit sind einzellige Parasiten der Gattung Plasmodium. Weil
zwischen fünf verschiedenen Erregern unterschieden wird, gibt es auch fünf unterschiedliche
Malariaformen. Die drei häufigsten sind Malaria
tropica, Malaria tertiana und Malaria quartana.
Sie zeigen einen schweren Krankheitsverlauf, wobei insbesondere Malaria tropica lebensbedrohlich ist.
Michael Ramharter bei
der Untersuchung einer
Blutprobe.
Malariaparasiten
brauchen für ihre
Entwicklung zwei Wirte:
die Mücke als Hauptwirt
und den Menschen als
Zwischenwirt.
Der Kreislauf: Zunächst
infiziert sich eine Mücke
bei einem Menschen, der
Malaria hat. In der Mücke
findet die geschlechtliche
Vermehrung der
Parasiten statt. Sticht die
Mücke nun einen anderen
Menschen, wandern die
Parasiten in wenigen
Minuten in dessen Leber.
Dort reifen sie zu
Tausenden heran. Danach
werden die roten Blutkörperchen befallen. Nach
sieben bis zwölf Tagen
setzt das Fieber ein, und
die Organe werden
angegriffen. Stirbt der
Mensch, stirbt auch der
Parasit. Darum braucht es
eine erneute Mücke, die
bei dem infizierten
Menschen Blut saugt. Der
Parasit überlebt, der
Kreislauf ist geschlossen.
Meilensteine in der Medizin.
In den letzten 15 Jahren hat sich im Kampf
gegen Malaria weltweit sehr viel zum Positiven
3,2 Mrd. 78 %
Menschen leben in
einem Malariagebiet.
der Todesopfer
sind jünger als fünf
Jahre.
EXTRA 2015 23
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
XYXYX
REISEVORSORGE
Der Trip in die
Tropen
Wie sich Reisende in
Malariagebieten vor der Krankheit
schützen können.
Die häufigsten Malariafälle (90 Prozent) treten in Afrika
südlich der Sahara auf. Vor allem Kinder sind betroffen.
verändert. Die Zahl der Todesfälle ist nach
UN-Angaben seit dem Jahr 2000 um 60 Prozent
zurückgegangen. Außerdem seien vor 15 Jahren
von geschätzten 262 Millionen Malariapatienten
fast 839.000 gestorben, heißt es in einem gemeinsamen Bericht der WHO und des UN-Kinderhilfswerk Unicef. Für 2015 wird prognostiziert,
dass von rund 214 Millionen Malariapatienten
438.000 Menschen sterben.
Diese Fortschritte sind höheren finanziellen
Investitionen in die Forschung und Prävention zu
verdanken. Seit der Jahrtausendwende wurden
die Aufwendungen im Kampf gegen Malaria verzwanzigfacht. Menschen in den betroffenen Regionen sind heutzutage besser gegen den Stich der
Mücke geschützt. Etwa eine Milliarde mit Insektiziden behandelten Moskitonetze wurden verteilt.
Außerdem kann die Krankheit heute mit speziellen Tests schneller erkannt und dadurch auch rascher und richtig behandelt werden. Neue Kombinationstherapien
mit
dem
Wirkstoff
Artemisinin sind nach einer Ansteckung effektiver als frühere Medikamente, die durch Resistenz
der Parasiten ihre Wirkung verloren haben.
Als Meilenstein in der Medizin wird derzeit
der erste Impfstoff gegen Malaria gefeiert. Auch
wenn es in der Malariaforschung die Entwicklung
des Jahrhunderts ist, hat sich die WHO derzeit
gegen den breiten Einsatz von RTS,S (auch Mosquirix genannt) ausgesprochen. Denn der Impfschutz hat so seine Tücken:
Man benötigt insgesamt vier Spritzen, bis sich
der Impfschutz aufgebaut hat – drei im Abstand
24 EXTRA 2015
Für Reisende nach Afrika,
Asien, Mittel- und
Südamerika besteht
das Risiko einer
Malariainfektion.
Schutz: Klimaanlagen
mögen die Mücken
überhaupt nicht.
Außerdem sollte man in
der Nacht unter einem
Moskitonetz schlafen,
lange, helle Kleidung
tragen und sich immer
mit Insektenschutzmittel
einsprühen.
Medikamente: Zusätzlich
kann man vor der Reise
vorbeugend bestimmte
Malariamedikamente
einnehmen. Hierbei sind
das Reiseziel, die Dauer
und die Reiseart (Zelt
oder Hotel) ausschlaggebend. Aber auch diese
Medikamente bieten
keinen hundertprozentigen Schutz gegen
Malaria.
Tipp: Aktuelle Informationen beim Tropeninstitut
einholen, bevor man in
ein Risikogebiet fliegt.
Nur eine weibliche infizierte Anopheles-Mücke kann die
tödliche Krankheit Malaria übertragen.
von einem Monat, die letzte nach eineinhalb Jahren. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung in manchen Regionen sei ungewiss, ob
die Kinder alle vier Dosen bekommen würden,
argumentiert die WHO. Selbst wenn sichergestellt
wird, dass Betroffene alle vier Impfungen bekommen, bleibt die Schutzrate gering. Studien belegen, dass der Impfschutz je nach Alter der Kinder
zwischen 26 und 36 Prozent liegt. Hinzu kommt,
dass die Wirksamkeit mit der Zeit nachlässt.
Hoffnung aus Österreich.
Der Wiener Tropenmediziner Michael Ramharter erforscht bereits seit über 15 Jahren Malaria
und hat sich auf deren Therapie spezialisiert. Einmal im Monat fliegt er zum Albert-Schweitzer-Spital nach Lambaréné im zentralafrikanischen Gabun. Dort bekommt er unmittelbar die
Probleme in der Malariatherapie mit. „Wenn das
Fieber einen Tag nach Beginn der Therapie hinuntergeht, wird oft vergessen, die Medikamente
weiter verlässlich einzunehmen“, sagt Ramharter.
Was verheerend ist, denn so kann eine erneute
Infektion entstehen.
Aus diesem Grund entwickelte Ramharter eine
Tablette, die auf einen Schlag alle Parasiten abtöten würde (siehe Interview). „Wir sind überzeugt,
dass die Einzeldosistherapie der Malaria ein
wichtiger Fortschritt in der Bekämpfung der Erkrankung und in der geplanten Ausrottung der
Krankheit wäre. Es sind aber noch diverse Hürden zu überwinden, bevor wir ein marktreifes
Medikament haben.“
Interview
Michael Ramharter Tropenmediziner am AKH und der MedUni Wien
»Auf einen Schlag werden alle Parasiten getötet«
Fortschritt in der Malariatherapie. Der österreichische Tropenmediziner Michael Ramharter
entwickelt eine Einzeldosis, die die Chance auf Heilung weltweit revolutionieren würde.
Laut WHO stirbt jede Minute ein Kind an
Malaria. Wie gut funktioniert derzeit die
Prävention in Afrika?
In den letzten zehn Jahren hat sich sehr viel
in der Malariaforschung und in der Bekämpfung der Krankheit zum Guten gewendet. Die
Menschen gehen bei Verdacht schneller zum
Arzt, und auch die Infrastruktur hat sich verbessert, sodass der Weg zum nächsten Spital
leichter zu bewältigen ist. Malariamedikamente sind nicht nur effektiver und günstiger geworden, sondern auch besser verfügbar.
Warum sterben an der Krankheit dann
weltweit immer noch über eine halbe
Millionen Menschen pro Jahr?
Wenn die Malaria tropica nicht oder zu spät
behandelt wird, liegt das Risiko, daran zu sterben, bei etwa 50 Prozent.
Michael Ramharter von
der klinischen Abteilung
für Infektionen und
Tropenmedizin am AKH
Wien.
Wie werden Patienten in Afrika bei einer
Infektion mit Malaria therapiert?
Der Patient bekommt im Falle einer Erkrankung über drei Tage hinweg Tabletten mit
einer
Artemisinin-Kombinationstherapie.
Nach ein bis zwei Tagen ist der Patient fieberfrei, und bei einer raschen und korrekt angewandten Therapie liegen die Heilungschancen
bei über 95 Prozent.
Klingt, als gäbe es keine Probleme …
Doch, die gibt es. Viele Patienten nehmen
die Tabletten nicht nach Vorschrift ein und
hören mit der Therapie auf, sobald es ihnen
besser geht. Oft ist es so, dass die Medikamente daheim unter den Familienmitgliedern geteilt werden, wenn diese auch zu fiebern beginnen. So kann die Malaria aber nicht vollständig
ausheilen, eine erneute Infektion ist möglich.
Ihre Entwicklung einer Einzeldosis soll hier
gegensteuern. Welche Vision verfolgen Sie?
Die Idee ist, mit einer Einzeldosis und auf
einen Schlag sämtliche Parasiten im Körper
abzutöten. Der Patient soll noch beim Arzt
eine einzige Pille bekommen und an nichts
mehr denken müssen. Somit fallen die Probleme weg: Ist das Medikament in der Apotheke
verfügbar? Nimmt der Patient das Medikament richtig ein? Und verträgt er es auch gut?
Das alles sieht der Arzt unmittelbar.
Wie wirkt das Medikament?
FOTOS: CORBIS (2), REUTERS, EVA SCHIMMER, MOMBO-NGOMA
Sämtliche Parasiten im Blut werden getötet.
Das geschieht, indem die Wirkstoffe bestimmte Enzyme des Parasiten hemmen, sodass er
sich am Ende selbst vergiftet.
Wie weit sind Sie mit Ihrer Forschung?
Wir sind bereits im Stadium der klinischen
Studien, bei der wir Hunderte Patienten in Afrika mit einem innovativen Wirkstoff behandeln. Es wird untersucht, welche Wirkstoff-Kombination die beste ist und wie richtig
dosiert werden soll. Erste Ergebnisse kommen
2016. Die Chancen stehen gut, dass das Medikament marktreif wird.
»Die neuen Wirkstoffe hemmen
bestimmte Enzyme des Parasiten,
sodass er sich am Ende selbst
vergiftet.«
EXTRA 2015 25
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
DERMATOLOGIE
SAFER SEX
DURCH
SCHUTZIMPFUNG
Chlamydien sind die häufigsten sexuell
übertragenen bakteriellen Erreger weltweit.
An der MedUni Wien wurde nun eine effektive
Impfmöglichkeit gefunden.
M
CHLAMYDIEN
Impfung als
Nasentropfen?
eist passiert es beim Geschlechtsverkehr, manchmal wandern die gefürchteten Bakterien auch bei der Geburt von
Mutter zum Kind. Pro Jahr infizieren sich rund
100 Millionen Menschen mit Chlamydien. Sie
werden auch die „stille Krankheit“ genannt, da sie
oft lange Zeit keine Symptome verursachen. Doch
gerade bei Frauen sind sie eine der Hauptursachen
für Unfruchtbarkeit und Eileiterschwangerschaft.
Und vor allem in Entwicklungsländern können sie
unbehandelt auch zur Erblindung führen. Jetzt ist
es einem internationalen Forscherteam unter Mitarbeit von Georg Stary von der Universitätsklinik
für Dermatologie der MedUni Wien weltweit erstmals gelungen, herauszufinden, wie die Immunantwort auf Chlamydien effizient und präventiv
angekurbelt werden kann – was zur Entwicklung
eines wirksamen Impfstoffs führen könnte.
FOTOS: CORBIS (2)
Schützender Wirkstoff.
Über Schleimhäute
(z. B. der Nase)
werden spezielle, das
Immunsystem
stimulierende
Nanopartikel
eingeschleust, die den
Chlamydien im Körper
den Garaus machen.
Diese sind die am
häufigsten sexuell
übertragene Infektion.
Sie werden bei zehn
Prozent der 17-jährigen
Frauen bzw. bei 20
Prozent der 20- bis
24-Jährigen festgestellt. Chlamydien sind
in den Schleimhäuten
von Harnröhre, Scheide
und Enddarm, in der
Flüssigkeit der
Scheide, ebenso im
Samen, im Urin und
Lusttropfen des
Mannes zu finden.
Bei einer Infektion mit Chlamydia trachomatis
kommt es zu einer Entzündung von Schleimhäuten. In der ersten Phase merken es die Betroffenen
kaum. Stary: „Die Erkrankung verläuft in jedem
zweiten Fall ohne Symptome. Wenn sie frühzeitig
entdeckt wird, ist sie grundsätzlich gut mit Antibiotika behandelbar.“ Bei einer chronischen Form
seien Antibiotika dann meist wirkungslos. „Alle
bisherigen Versuche, die Menschen durch eine
Immunisierung vor Chlamydien-Infektionen zu
schützen, schlugen nicht nur fehl, sondern führten in manchen Fällen sogar dazu, dass sie noch
anfälliger wurden.“ Nun ist es der internationalen Arbeitsgruppe an der Harvard Medical
School Boston, wo der Forscher in den vergangenen vier Jahren beschäftigt war, gelungen, im
Mausmodell mit Hilfe von Nanotechnologie
eine Chlamydien-Infektion nachzuahmen und
folglich einen schützenden Impfstoff zu entwickeln. Dieser aktiviert zwei Wellen von Immunzellen und wird direkt auf die Schleimhaut (z. B.
der Nase) gegeben.
Gedächtniszellen zur Immunabwehr.
Die inaktiven Chlamydien wurden dazu mit
Hilfe von speziellen Nanopartikeln an Immunstimulanzien als Adjuvans (Trägerstoff, der die
Aufnahme erleichtert) gebunden. Durch die
Verabreichung werden die im Blut zirkulierenden Gedächtniszellen via Lymphknoten über
die Art und Lokalisation der Infektion unterrichtet. Zusätzlich werden so auch jene Abwehrzellen generiert, die direkt in die Schleimhaut einwandern und dort ein Reservoir an
gewebespezifischen Gedächtniszellen bilden.
„Diese zwei Wellen an Gedächtniszellen sind
nötig, um einen optimalen immunologischen
Schutz zu gewährleisten“, erklärt Georg Stary.
„Dafür muss die Impfung, über die Schleimhaut verabreicht werden. Das Antigen muss mit
diesem Adjuvans versehen sein, der praktisch
wie ein Turbolader für die menschliche
Immunabwehr wirkt. Jedes für sich alleine
bleibt völlig wirkungslos.“
100.000
Frauen und Männer
in Österreich sind
mit Chlamydien
infiziert.
26 EXTRA 2015
VON SUSANNA SKLENAR
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
INTERVIEW
»Es gibt
spektakuläre
Ergebnisse«
Josef Penninger Krebsforscher
ZUR PERSON
JOSEF PENNINGER, 51, Genetiker und Krebsforscher, ist
seit 2003 wissenschaftlicher Direktor am Institut für
Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften in Wien.
2006 gründete Penninger die Apeiron Biologics AG, ein
Unternehmen, das u. a. Antikörper-Therapien für
Gehirntumore bei Kindern (Neuroblastoma) entwickelt.
28 EXTRA 2015
VON DORIS GERSTMEYER
Josef Penninger, Direktor am IMBA, über die Erfolge mit Immuntherapien, neue Forschungsansätze und seine Prognose und Vision
über eine vollständige Krebs-Heilung.
Wie ist es möglich, dass die ganze Welt an
Krebs forscht und es bisher zu keinen
substanziellen Ergebnissen kommt?
Vor drei Jahren hätte ich dieser Aussage
noch zugestimmt, aber in letzter Zeit verzeichnen wir unglaubliche Fortschritte. Es gibt jetzt
völlig neue Ansätze mit neuen KrebsImmuntherapien. Früher galt es schon als Erfolg, wenn die Patienten mit einer Therapie drei
Monate überlebt haben. Mit den neuen Immuntherapeutika sprechen wir von Überlebenszeiten von mehreren Jahren.
Wie schauen diese neuen Ansätze aus?
Wir geben dem eigenen Immunsystem eine
Chance, die Krebszellen zu erkennen und zu töten. Das gelingt deshalb, weil die Forscher herausgefunden haben, wie das Immunsystem aktiviert und wieder abgeschaltet wird. Dies ist
vergleichbar mit einem Auto. Einmal tritt man
aufs Gas, einmal auf die Bremse. Die Forscher
haben jetzt die molekularen Bremsen des Immunsystems gefunden und können sie betätigen. Seither gibt es bei einigen Krebstumoren
spektakuläre Ergebnisse, etwa beim metastasierenden Melanom, dem Hautkrebs, der früher
ein Todesurteil war. Jetzt bestätigen neue Daten, dass mit der Kombinations-Immuntherapie
bis zu 80 Prozent der Patienten überleben. Ich
hätte mir nie gedacht, dass so etwas funktioniert.
FOTOS: LUKAS ILGNER, CORBIS (3)
Funktioniert es bei allen Krebsarten?
Nein, bisher nur bei bestimmten Tumoren.
Es gibt noch viel zu tun, aber es gibt einen Anstoß, in diese Richtung zu forschen. Unter bestimmten Umständen führt diese Therapie auch
dazu, dass Patienten bei Krebsarten überleben,
die vorher sicher zum Tod geführt hätten.
Wie kam es zu diesem Forschungsfortschritt?
Der Immunansatz war lange bekannt, aber
die Wissenschaftler wussten nicht, wie die
Bremsen genau funktionieren. Jetzt weiß man
das, man kann sie therapeutisch wegschalten
und gibt den Immunzellen eine viel größere
Chance, die Krebszellen zu erkennen.
Man spricht auch vom „Aufmunitionieren“ der
Krebszellen. Wie kann man sich das konkret
vorstellen, wie wird das gemacht?
Die Details sind komplex, aber das Prinzip
ist einfach: Wenn man eine Wunde am Arm hat,
reagiert das Immunsystem und schickt Zellen,
die die infizierten Zellen töten. Aber das muss
natürlich irgendwann wieder abgeschaltet werden. Wenn das nicht passiert, dann hat man
eine ständige Entzündung. Das Immunsystem
ist immer in Balance, es reagiert und schaltet
wieder ab. Manche dieser Bremsen sitzen auch
auf den Oberflächen von Immunzellen und
kriegen das An- oder Abschaltsignal. Wenn
man diese Schaltsignale kennt, dann kann man
Antikörper entwickeln, die das Abschaltsignal
blockieren. Das heißt, die Immunzelle bleibt
ständig aktiviert. Dieses fundamentale Prinzip
wird jetzt in der Krebstherapie angewandt, und
zum Erstaunen von allen hat das völlig neue
Welten in der Krebstherapie eröffnet. Also: Es
funktioniert.
»Die neue
Krebs- Immuntherapie ist
höchst vielversprechend und
eröffnet eine
völlig neue
Welt.»
Aber nur bei bestimmten Krebsarten?
Ja, etwa bei Darmkrebs nicht, bei Brustkrebs
kaum, bei Lungenkrebs und Nierenkrebs schon,
beim Melanom sehr gut. Das macht auch Sinn,
weil die Brust immunologisch anders ist als
etwa die Haut.
Einer breiteren Öffentlichkeit sind Sie durch
ihre Forschungen mit Mäusen und einem
weiteren Balancesystem im Körper
bekannt geworden, nämlich dem
Knochen-Auf- und -Abbau und der
EXTRA 2015 29
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
INTERVIEW
weltweit 1,6 Millionen Neuerkrankungen
verzeichnet. In Österreich ist Krebs mit 25
Prozent Anteil zweithäufigste Todesursache.
Krebserkrankungen nehmen zu, weil wir
alle älter werden. Im 20. Jahrhundert sind in
den USA und in Europa durchschnittlich 35
Jahre an Lebenszeit hinzugekommen. Die
wollen wir aber möglichst gesund verbringen.
Daher sind die Lebenswissenschaften so
wichtig, weil sie Lösungen liefern und herausfinden können, warum es zu chronischen
Erkrankungen wie Diabetes oder Alzheimer
kommt.
Das IMBA wird staatlich gefördert. Kommt
auch Geld von der Industrie ?
Steuerungsfunktion des Proteins RANKL. Da
gibt es auch einen Zusammenhang zum
Brustkrebs?
Ja, RANKL kontrolliert den Knochenschwund. Viele Frauen, die an Brustkrebs erkranken, leiden auch an Knochenmetastasen.
Wenn man da RANKL abschaltet, verhindert
das Schmerzen und bessert auch den Knochenschwund, den die Chemotherapie auslöst. Es
gibt bereits einen Antikörper, der schon zur
Therapie zugelassen ist. Tausende Frauen in Europa müssen jetzt weniger leiden.
Oft geschieht es, dass der Krebs im Körper
vermeintlich besiegt ist, nach Jahren aber
wieder auftritt. Man weiß nicht, warum. Gibt es
auf diesem Gebiet neue Erkenntnisse?
Das ist ein ganz wichtiges Thema, an dem
intensiv geforscht wird.
Sie gelten als leidenschaftlicher Forscher.
Woran arbeiten Sie derzeit bevorzugt?
Wir machen viel Krebsforschung, insbesondere im immunologischen Bereich von Brustund Lungenkrebs.
Wieso nimmt Krebs in der Gesellschaft fast
epidemische Formen an? Jährlich werden
„Wir sind in Österreich ein LeuchtturmForschungsbeispiel und ein Beweis, dass
man auch mit minimalen Rahmenbedingen
zu den Weltplayern zählen kann.
International erkennt man uns an.“
30 EXTRA 2015
Welche Prognose können Sie abgeben?
Wann wird Krebs heilbar sein? In dreißig
Jahren?
Vor drei Jahren hätte ich mich nicht getraut, eine Prognose abzugeben. Aber mit der
Immuntherapie gibt es gute Aussichten. In
dreißig Jahren sollten wir neue Werkzeuge
haben, Krebs erfolgreich bekämpfen zu können. Was ich mir aber wünsche und woran
wir derzeit auch arbeiten, ist, herauszufinden
warum Krebs überhaupt ausbricht, wo die
Auslöse-Signale sitzen. Weltweit fließen derzeit Milliardenbeträge in die Krebsforschung,
da muss etwas dabei herauskommen.
FOTOS: EVA SCHIMMER, CORBIS (2)
Josef Penninger in
seinem Büro am IMBA
in Wien.
Geld spielt heute eine große Rolle. Wir
brauchen sehr teure Geräte. Mikroskope, die
etwa zwei Millionen Euro kosten. Die staatliche Förderung ist im Vergleich etwa zur
Schweiz nicht ausreichend, um generell als
Land wirklich kompetitiv zu sein. In der
Schweiz wurde beispielsweise ein neues
Stammzellzentrum gegründet, dotiert mit
500 Millionen Franken. Das Geld stammt aus
der Schweizer Industrie. Leider gibt es diese
großen Firmen in Österreich nicht, mit Ausnahme von Boehringer Ingelheim, die in Österreich tolle Grundlagenforschung fördern.
Auch private Sponsoren fehlen in Österreich.
Das ist ein Riesenproblem für uns. Wir müssen schauen, dass wir gute Leute bekommen
und mehr Excellence-Zentren entstehen.
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
KÜNSTLICHE GEFÄSSE
ADERN AUS
ABBAUBAREM
KUNSTSTOFF
NEUES MATERIAL. Verschlossene Blutgefäße können rasch
gefährlich werden. Oft ist es notwendig, ein Blutgefäß zu
ersetzen – entweder durch ein körpereigenes oder
durch künstlich hergestellte Gefäßprothesen.
VON CHRISTINA BADELT
A
rteriosklerotische Gefäßerkrankungen
gehören zu den häufigsten Todesursachen in Industrienationen. Eine
Bypass-Operation ist oft die einzige Lösung.
Normalerweise entnimmt man dafür Blutgefäße
des Patienten von anderen Körperstellen und
setzt sie statt des geschädigten Blutgefäßes ein.
Dank eines gemeinsamen Projekts von TU Wien
und Medizinischer Universität Wien in Zusammenarbeit mit Heinrich Schima sollen in
Zukunft auch künstlich hergestellte Gefäße vermehrt zum Einsatz kommen. Helga Bergmeister
von der MedUni Wien und Claudia Dworak,
Forschungsgruppenleiterin „Definierte Polymerarchitekturen“ an der TU Wien, über die neuesten Erkenntnisse.
TU Wien und MedUni Wien entwickelten
künstliche Blutgefäße, die vom Körper
abgebaut und mit eigenem Gewebe ersetzt
werden: Wie kann man sich diese künstlichen
Gefäße vorstellen??
Dworak: Künstliche Blutgefäße sind Implantate aus Kunststoffen, die ein erkranktes
Gefäßsegment überbrücken sollen. Nach einer
bestimmten Zeit verschwindet der Kunststoff
durch körpereigene Abbauprozesse, das Implantat
wird zeitgleich durch Zellen des Patienten besiedelt. Durch Stimulation körpereigener Regenerationsmechanismen wandelt sich das Ersatzgewebe
in ein neues funktionales Blutgefäß um.
Bergmeister: Die Wandarchitektur und die
biomechanischen Eigenschaften des Ausgangsimplantates sind natürlichen Blutgefäßen weitestgehend angepasst, um eine optimale Funktionalität des Implantates zu erreichen. Zur
Herstellung wurden neue Kunststoffe, sogenannte thermoplastische Elastomere, auf Basis von
Polyurethanen verwendet.
Was ist das Revolutionäre an dieser
Entdeckung?
Dworak: Die herausragendste Errungenschaft
dieses Forschungsprojekts war die Bioabbaubarkeit der neusynthetisierten Kunststoffe ohne Bildung toxischer Nebenprodukte und das geringe
Entzündungspotenzial des Implantates. Weiters
war erstaunlich, wie gut die Prothese von körpereigenen, gewebespezifischen Zellen besiedelt
wurde und es zur gleichzeitigen Neubildung von
TREND. Abbaubare
künstliche Blutgefäße
werden in Zukunft eine
immer größere Rolle
spielen.
32 EXTRA 2015
GEWEBEREKONSTRUKTION
»Langzeitstudien in Tiermodellen sind bereits
sehr erfolgreich.«
wird nach einer bestimmten Zeit abgebaut und
die Festigkeit laufend reduziert. Deshalb muss in
dieser Zeit eine ausreichende Neusynthese von
körpereigenem Gewebe erfolgen, das entsprechende biomechanische Eigenschaften hat. Ist
dies nicht der Fall, drohen Rupturen und Blutungen. Derzeit werden abbaubare Materialien für
den Blutgefäßersatz im klinischen Bereich noch
nicht eingesetzt, außer in der Kinderchirurgie im
Rahmen von klinischen Erstanwendungsstudien.
Helga Bergmeister
MedUni Wien
»Methode speziell
für Blutgefäße mit
kleinem Durchmesser geeignet.«
Welche Erfolgschancen verspricht diese
Entdeckung, wann kann diese bei Menschen
angewendet werden?
Claudia Dworak
TU Wien
körpereigenem Gewebe kam. Die Festigkeit der
Prothese und auch des neugebildeten Gewebsersatzes war in der Langzeitanwendung sehr gut, es
wurden keine Wandschwächen oder Rupturen
festgestellt.
FOTOS: CORBIS (2), PHOTOSTUDIO BREJCHA IN 1230 WIEN, BEIGESTELLT (1)
Blutgefäße werden im Laufe der Zeit durch
körpereigenes Material ersetzt, wie kann das
organisch funktionieren?
Bergmeister: Durch den Elektrospinnprozess
werden aus den Polymeren ganz feine Mikround Nanofasern erzeugt, aus denen eine vielschichtige Implantatwand generiert wird. Die
Mikrostruktur des Implantates ist durch die zufällige Anordnung der Fasern der extrazellulären
Matrix, einem Strukturbestandteil der Blutgefäßwand, sehr ähnlich. Diese Struktur fördert die
Zelleinwanderung und Differenzierung der Zellen. Durch Erhöhung der Porosität der Implantatwand konnte die Zellmigration optimiert werden. Weiters kommt es nach Implantation zu
einem kurzfristigen Einstrom von Blutzellen und
Proteinen in die Prothesenwand. Dies verbessert
die Akzeptanz der an sich fremden chemischen
Umgebung und führt durch die Freisetzung von
Wachstumsfaktoren zu einer Förderung des Zellwachstums. Sobald die Zellen die Prothese besiedelt haben, beginnen sie mit der Zellproliferation
und dem Abbau des Polymers sowie dem Aufbau
von körpereigenem Gewebe.
Bergmeister: Die ersten Langzeitstudien im
Tiermodell waren sehr erfolgreich, alle Prothesen waren funktionstüchtig. Verglichen mit anderen abbaubaren Materialien weisen die
neusynthetisierten Kunststoffe eine viel bessere
Biokompatibilität auf. Für eine sichere Anwendung im Menschen ist es aber sehr wichtig, dass
man den Abbau der Prothese und die Gewebeneubildung für das einzelne Individuum bestimmen kann. Derzeit arbeiten wir intensiv daran,
die Abbaudauer des Materials durch Modifikation der Polyurethanbausteine zu varieren. So
könnte man bei Patienten mit sehr guter Regeneration wie zum Beispiel Kindern schnell abbauende Implantate anwenden und damit ein mitwachsendes Blutgefäß induzieren. Bei alten
Patienten würde man eher langsam abbaubare
Materialien verwenden, da die Zellbesiedelung
langsamer erfolgt. Weiters muss die Biokompatibilität der neuen Materialien noch qualitätsgesichert im Rahmen von sogenannten GLP-Prüfungen bestätigt werden, die nächstes Jahr erfolgen
werden. Bis zu einer sicheren klinischen Anwendung müssen diese Fragestellungen noch im Detail geklärt werden, sodass wohl noch einige Zeit
bis zur endgültigen Zulassung als Medizinprodukt vergehen wird.
Die Förderung des Projektes erfolgt durch das Austria
Wirtschaftsservice (AWS) im Rahmen einer PRIZE
Prototypenförderung und durch langjährige Unterstützung seitens der Ludwig Boltzmanngesellschaft.
Tissue
Engineering
INNOVATIV. Derzeit
entsteht im KH Nord ein
Zell- und Gewebelabor
für eine Methode, die
erstmals vor über zehn
Jahren erfolgreich an der
chirurgischen Abteilung
im KH Hietzing
angewandt wurde. Dr.
Johann Meinhart: „Tissue
Engineering zielt darauf
ab, mittels biologischer,
chemischer und
technischer Methoden
die Funktion und Struktur
fehlender oder zerstörter
Gewebe oder Organe zu
ersetzen, ohne von
vitalen Spenderorganen
oder aufwendigen
Maschinen abhängig zu
sein. Unsere Arbeitsgruppe hat eine Methode zur
lückenlosen Zellbeschichtung von Gefäßprothesen, der sogenannten
In-vitro-Endothelialisierung, entwickelt.“ Dabei
wird Patienten ambulant
ein kurzes Segment einer
oberflächlichen Armvene
entnommen und die
Endothelzellen im Labor
enzymatisch isoliert. „Die
Zellen werden kultiviert,
bis eine genügend große
Zellzahl zur Verfügung
steht, die Innenfläche
einer 70 cm langen
Gefäßprothese lückenlos
auszukleiden.“ Die Zellen
verhindern, dass das Blut
mit der Kunststoffoberfläche der Gefäßprothese
in Berührung kommt und
sich gefährliche
Blutgerinsel bilden.
Welche Risken birgt diese Methode?
Dworak: Das Kunststoffgerüst der Implantate
QUERSCHNITTT. Freie
Gefäße (links) und die
voranschreitende
Verstopfung.
EXTRA 2015 33
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
BIONISCHE REKONSTRUKTION
EIN HAUCH
VON
CYBORG
Was bisher nur Stoff für Science-Fiction
war, ist heute Wirklichkeit: Bionische Hände
und Arme, die sich durch Gedanken steuern
lassen, ersetzen verlorene Gliedmaßen.
Bionische Hand: Metall,
Kunststoff, Elektromotoren und jede Menge
Elektronik ersetzen die
27 Knochen, 39 Muskeln
und 36 Gelenke einer
menschlichen Hand.
34 EXTRA 2015
VON RAINER GRÜNWALD
PATRICK MAYRHOFER.
Nach einem Unfall 2008
blieb die linke Hand
funktionslos. Als erster
Mensch der Welt
tauschte Mayrhofer seine
Hand gegen eine
bionische Handprothese.
OTTO BOCK HEALTHCARE
D
FOTOS: CORBIS, OTTOBOCK MXR PRODUCTIONS (3), CHRISTIAN HOUDEK
AISHA JOUALI. Durch
die bionische Hand von
Otto Bock kann die junge
Frau heute wieder ein
normales Leben führen.
er 9. Februar 2008 veränderte das Leben
des jungen oberösterreichischen Elektrikers Patrick Mayrhofer für immer.
Beim Verlegen von Starkstromleitungen in einem
Zementwerk verwechselt ein Arbeitskollege eine
Leitung, und 6.000 Volt jagen durch den Körper
des jungen Mannes. Das Ergebnis: schwerste Verbrennungen an beiden Armen und Händen sowie
am Oberschenkel. Während die rechte Hand
nach zehn Operationen gerettet werden konnte,
versagte die Kunst der Wiederherstellungschirurgie bei der linken. Nerven und Muskeln waren
zerstört, die Hand funktionslos. Die letzte konventionelle Möglichkeit, eine Hand-Transplantation, schloss Mayrhofer für sich aus.
Nachdem der Fall ein halbes Jahr die Ethikkomission beschäftigt hatte, versuchte der Chirurg
Oskar Christian Aszmann und sein Team an der
Universitätsklinik der Medizinischen Universität
Wien etwas noch nie Dagewesenes: Am 21. Juli
2010 wurde Mayrhofers linke Hand amputiert
und durch eine neuartige „bionische“ Prothese
von Otto Bock Healthcare ersetzt. Seither ist
Patrik Mayrhofer der erste Mensch der Welt, der
seine beschädigte Hand gegen einen bionischen
Ersatzteil ausgetauscht hat. Mayrhofer kann nun
wieder Auto fahren, Bälle fangen, Gurken schneiden oder Schuhbänder zubinden.
Bionik: Wenn das Gehirn die Prothese steuert
Der Unterschied zu konventionellen Prothesen: Die bionische Prothese lässt sich wie eine
echte Hand durch das Gehirn steuern. Die Bionik (= Biologie + Technik) nimmt sich hier die
Natur zum Vorbild: Die elektrischen Impulse der
Muskeln (Myoelektrik) werden über eine Elektrode am Armstumpf aufgenommen und an die
Elektronik der bionischen Prothese (bei Otto
Bock: „Michelangelo Hand“) weitergeleitet. Wie
eine echte Hand erkennt die bionische Hand,
welche Greifbewegung ausgeführt werden soll.
Bionische Rekonstruktion
Die neue Methode der „Bionischen Rekonstruktion“ verschaffte Aszmann und seinem
Team rasch Weltruhm. Die Möglichkeiten, fehlende oder defekte Gliedmaßen durch gehirngesteuerte bionische Prothesen zu ersetzen, beschränkte sich bald nicht mehr auf die Hand. Im
Jänner 2012 schickte das britische Verteidigungsministerium einen im Afghanistan-Einsatz verwundeten Soldaten nach Wien. Corporal Andrew
Garthwaite hatte seinen gesamten rechten Arm
durch einen Raketenangriff der Taliban verloren.
Garthwaite ist seitdem der erste Brite mit durch
Gedankenkraft gesteuertem bionischem Arm.
Lohn der medizinischen und technischen Pionierarbeit: 2015 wurden Aszmann und sein Team
für die gemeinsam mit Technologiepartner Otto
Bock Healthcare weiterentwickelte bionische
Oberamprothese mit dem renommierten „Forschungs-Oscar“ Houskapreis ausgezeichnet.
Aszmann: „Unsere Forschung verbindet
biomedizinische Technik mit innovativer
Chirurgie. So können Personen mit Amputationen oder angeborenen Fehlbildungen verlorengegangene Unabhängigkeit weitgehend wiedererlangen.“
Bionische Hand
„Michelangelo“
Elektrische Impulse der
Muskeln (Myoelektrik)
werden über eine
Elektrode am Armstumpf
erfasst und dirigieren
Otto Bocks „Michelangelo Hand“. Die Steuerung
funktioniert dabei intuitiv
wie bei einer echten
Hand. Über angedockte
Armteile kann heute ein
ganzer Arm durch
bionische Komponenten
ersetzt werden.
Sieben Griffe. Der
separat bewegliche
Daumen, der aktiv
angetriebene Zeige- und
Mittelfinger sowie ein
flexibles Handgelenk
erlauben sieben
verschiedene Griffarten.
Univ.-Prof. O. C. Aszmann:
Der bionische Arm brachte
dem Aszmann-Team und
Otto Bock den Houskapreis 2015.
EXTRA 2015 35
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
BESTE GESUNDHEIT
DER WEG ZU
MEHR
WOHLSEIN
BESTE GESUNDHEIT. Sieben führende
niederösterreichische Gesundheitsbetriebe
verbinden moderne Diagnostik, individuelle
Therapie und medizinische Betreuung.
Bei Beste Gesundheit
steht der Mensch im
Mittelpunkt, weil
Gesundheit das
Wertvollste ist.
36 EXTRA 2015
VON CLAUDIA WEBER
IN KOOPERATION MIT
FOTOS: CORBIS, GESUNDHEITSRESORT KÖNIGSBERG BAD SCHÖNAU, XUNDHEITSWELT (3), HERZ-KREISLAUF-ZENTRUM GROSS GERUNGS
U
nter kompetenter medizinischer Betreuung gesund werden und sich dabei
rundum wohlfühlen: Genau das bietet
Beste Gesundheit, die Partnerschaft führender
niederösterreichischer Gesundheitsbetriebe.
Oberste Priorität aller sieben Partnerbetriebe
ist die bestmögliche Betreuung der Gäste. Geboten werden moderne Diagnostik, individuelle
Therapie und kompetente medizinische Betreuung. Zudem liegt der Schwerpunkt auf einer
angenehmen Hotelatmosphäre und gesunder
Ernährung mit Produkten aus der Region. Im
Mittelpunkt der Behandlung steht der Mensch
mit seinen individuellen Zielen und Bedürfnissen, da Gesundheit das Wertvollste ist.
Die Gäste und Patienten werden von hoch
qualifizierten Teams aus unterschiedlichen Fachbereichen behandelt. „Die Verbindung von der
heilkräftigen Wirkung natürlicher Vorkommen
und modernen, maßgeschneiderten Behandlungsmethoden bietet perfekte Voraussetzungen
für die Linderung von Beschwerden“, weiß Karin
Weißenböck, die Geschäftsführerin von vier Beste-Gesundheit-Partnerbetrieben. „Bei uns steht
jeder Mensch im Mittelpunkt.“
Sieben Partner für die Gesundheit.
Jeder der Beste-Gesundheit-Partnerbetriebe
hat sich auf einen Schwerpunkt spezialisiert. Im
Folgenden werden alle sieben vorgestellt:
Das Moorheilbad Harbach ist Vorreiter in den
Bereichen Kur, Rehabilitation und Lebensstil-Verbesserung. Seit 1980 helfen die Heilkräfte
des Harbacher Hochmoors Menschen dabei,
gesund zu werden – vor allem bei Rücken- und
Gelenksschmerzen, Problemen mit der Wirbelsäule, Sportverletzungen und Verletzungsfolgen.
Moorbäder, Massagetherapien, Lymphdrainagen, elektrophysikalische Anwendungen sowie
Bewegungstherapien schaffen hier Abhilfe. Und
auch das neue Kurheilverfahren „Gesundheitsvorsorge Aktiv“ wird angeboten.
Das Herz-Kreislauf-Zentrum Groß Gerungs
ist auf die Prävention und Rehabilitation von
Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen
spezialisiert. Zur Rehabilitation kommen zum
Beispiel Menschen nach einem Herzinfarkt. Im
Rahmen der Prävention werden Patienten mit
Grunderkrankungen oder länger zurückliegenden Akutereignissen behandelt.
Im Gesundheitsresort Königsberg
Bad Schönau wird man mit der Kraft
der Kohlensäure gesund. Natürliches
Kohlensäure-Heilwasser bewirkt eine
bessere Durchblutung und Sauerstoffzufuhr und wird bei Gefäßleiden sowie
bei Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates angewandt. Weiters ist
das Resort auf Psychosoziale Gesundheit spezialisiert.
Das Badener Kur-Trio mit Badener
Hof – Römertherme – Badener Kurzentrum vereint Erholung, Medizin und
Wohlfühl-Ambiente unter einem Dach.
Das Badener Schwefelheilwasser aus
rund 1.000 Metern
Tiefe ist reich an Mineralstoffen und bewirkt
bei rheumatischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen des
Bewegungsapparates
nahezu Wunder.
Im Lebens.Resort
Ottenschlag werden
Menschen mit psychischen Störungen wie Burnout, Depression oder Angststörungen unterstützt,
ihre
Lebensfreude
wiederzufinden. Ergänzend dazu
werden auch Behandlungen von
Stoffwechselerkrankungen angeboten. Und auch für eine Kur, besonders bei Beschwerden im Stütz- und
Bewegungsapparat, ist das Zentrum
der richtige Ort.
Das Lebens.Med Zentrum Bad Erlach ist das
erste onkologische Rehabilitationszentrum in
Niederösterreich für Patienten, die ihre primäre
Krebsbehandlung abgeschlossen haben. Ziel des
Aufenthalts ist, die Folgen und Symptome, die
durch die Tumorerkrankung
entstanden sind, zu reduzieren und den Patienten dabei
zu helfen, wieder ein aktives
Leben zu führen.
Das Lebens.Med Zentrum
in St. Pölten eröffnet bald und
ist auf ambulante Rehabilitationen spezialisiert.
Alle sieben Beste
Gesundheitsbetriebe
gehen individuell auf die
Bedürfnisse jedes
Patienten ein.
EXTRA 2015 37
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
HÖRIMPLANTATE
TAUBE
KÖNNEN
WIEDER HÖREN
Jeder Fünfte hat Hörprobleme, zehn
Prozent leiden unter Hörverlust.
Österreichische Wissenschaftler können
heute selbst Taube wieder hörend machen.
MED-EL SYNCHRONY.
Das Cochlea-Implantsystem besteht aus zwei
Teilen: dem Audioprozessor, der hinter dem Ohr
getragen wird, und dem
Implantat (Hand).
38 EXTRA 2015
VON RAINER GRÜNWALD
MED-EL-GRÜNDER.
Das Forscher-Ehepaar DI
Dr. Ingeborg und Prof. Dr.
Erwin Hochmair arbeitet
seit 1975 an Hörimplantaten, die Schwerhörigen
und Tauben das Gehör
zurückgeben.
MED-EL
gründete Medizintechnik-Firma MED-EL Medical Electronics ihren ersten Mitarbeiter ein.
Heute beschäftigt das in Innsbruck ansässige Unternehmen 1.500 Angestellte in weltweit 29 Niederlassungen. Menschen in über 100 Ländern
rund um den Globus können dank MED-EL wieder hören. Die von MED-EL entwickelten Hörimplantate gehen inzwischen weit über das klassische Cochlea-Implantat hinaus. Auch Defekte
im Mittelohr oder bei der Schalleitung können
heute mit MED-EL-Implantaten behoben oder
zumindest gelindert werden (siehe rechts).
Elektrische „Ersatzleitung“ zum Hörnerv.
FOTOS: MED EL (6), HEINZ TROLL, BEIGESTELLT
W
enn die Haare am Kopf schütter
werden oder gänzlich ausfallen, ist
das schlimmstenfalls ein Fall für den
Beauty-Doc. Ganz andere Auswirkungen hat es,
wenn die winzigen Haarzellen in der Hörschnecke des Innenohrs (lateinisch: Cochlea) von
„Haarausfall“ betroffen sind. Dann lautet das
Schicksal schlimmstenfalls Taubheit.
Unabwendbar ist dieses Schicksal dank zweier
österreichischer Forscher inzwischen nicht mehr.
Schon 1975 arbeitet das Ehepaar Ingeborg und
Erwin Hochmair an der Technischen Universität
in Wien an Hörimplantaten, die defekte Teile des
Ohrs „überbrücken“ und damit Schwerhörigen
und Tauben ihren Hörsinn zurückgeben können.
Das von den beiden promovierten Elektroingenieuren entwickelte, weltweit erste Multikanal-Cochlea-Implantat war ein Meilenstein im
Kampf gegen den Hörverlust. Am 16. Dezember
1977 verpflanzte der Chirurg Kurt Burian das
neue Implantat erstmals einem Patienten. Um
ihrem Implantat-System zum Durchbruch zu
verhelfen, wagten die beiden Forscher sogar den
Sprung aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft. Im März 1990 stellte die von ihnen geCOCHLEA-IMPLANTAT.
Über den Audioprozessor
werden Schallinformationen digitalisiert und via
Spule zum Implantat
geschickt. Das Implantat
sendet die elektrischen
Impulse an Elektroden in
der Cochlea. Der Hörnerv
leitet die Signale dann an
das Gehirn weiter.
Wie die ständig weiterentwickelte Implantations-Technologie funktioniert, veranschaulicht
am Besten das Beispiel Cochlea: Schallwellen
versetzen unser Trommelfell in Schwingung.
Diese Vibrationen werden auf feine Gehörknöchelchen übertragen, die die Flüssigkeit in einem
Hohlraum der schneckenförmigen Cochlea in
Bewegung bringt. Hier befinden sich auch die
eingangs erwähnten winzigen Härchen, die wie
Seegras der Bewegung in der Innenohrflüssigkeit
folgen. Über eine Leitung zum Hörnerv melden
die Haarzellen alle Schwingungen in der Flüssigkeit ans Gehirn, das das Ganze als Geräusche,
Stimmen oder Töne interpretiert. Sind die Haarzellen geschädigt oder die Schallleitung am Weg
dorthin unterbrochen, hört man nichts mehr,
und die Welt wird stumm.
Wie andere Implantatsysteme von MED-EL
versucht auch das Cochlea-Implantat, die defekte
Stelle zu umgehen beziehungsweise zu überbrücken. Dazu sind mehrere Komponenten nötig. Ein
Audioprozessor, der wie ein Hörgerät hinter dem
Ohr getragen wird, verwandelt die Schallwellen in
digitale Signale, die an eine Induktionsspule über
dem Implantat weitergeleitet werden. Das unter
der Haut platzierte Implantat leitet die empfangenen elektromagnetischen Impulse schließlich an
eingepflanzte Elektroden weiter, die wiederum
den Hörnerv elektrisch stimulieren.
MED-EL und seine Gründer sammeln heute
Auszeichnungen: Auf den internationalen Lasker-Preis für klinische medizinische Forschung
2013 folgte 2014 der Ludwig-Wittgenstein-Preis
für Ingeborg Hochmair. 2015 konnten sich das
Ehepaar Hochmair jetzt über den Russ-Preis der
amerikanischen Ingenieur-Akademie freuen.
Wenn das beste
Hörgerät nicht mehr
helfen kann …
Der Innsbrucker
Implantat-Spezialist
MED-EL Medical
Electronics hilft dort, wo
konventionelle Hörgeräte
versagen. Implantate
überbrücken geschädigte
oder zerstörte Regionen
des Ohres. Die
MED-EL-Implantate:
SYNCHRONY. Die
neueste Generation des
MED-EL-Cochlea-Implantatsystems.
SYNCHRONY EAS.
Kombiniert bei partiellem
Hörverlust die Technologie von Chochlea-Implantat und Hörgerät.
VIBRANT SOUNDBRIDGE. Mittelohr-Implantat
für Personen mit leichtem
bis schwerem Innenohr-Hörverlust oder
Schallleitungsproblemen.
Das Implantat stimuliert
das Mittelohr durch
Schwingungen.
BONEBRIDGE. Wenn die
Schallleitung im Ohr
gänzlich unterbrochen
ist, hilft nur noch
Körperschall.
Das Implantat wandelt
die vom Audioprozessor
empfangenen Signale in
Schwingungen um, die
über den Schädelknochen schließlich das
Innenohr erreichen.
MED-EL SOUNDBRIDGE.
Das Mittelohr-Implantat
wandelt Schall in
mechanische Schwingungen um, die das Mittelohr
direkt stimulieren.
EXTRA 2015 39
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
MEDIZINERAUSBILDUNG
Während die theoretische Medizinlehre
bereits reformiert wurde, spießt es sich bei
der klinischen Ausbildung im Spital – mit
ein Grund für die Ärzteflucht ins Ausland.
VON DORIS GERSTMEYER
FOTOS: WWW.PICTUREDESK.COM/VARIO IMAGES/BERNHARD CLASSEN
DIE MEDIZINER
VON MORGEN &
IHRE SORGEN
Die Medizinstudienordnung wurde reformiert
und die Studieninhalte an
europäisches Niveau
angepasst.
40 EXTRA 2015
D
ie Lage ist dramatisch. In einer jüngst
durchgeführten Umfrage der Österreichischen Hochschülerschaft geben mehr
als 50 Prozent der Medizinstudenten an, nach
Studienabschluss ins Ausland gehen zu wollen.
Als Gründe werden vor allem die unzureichende
praktische Ausbildung an den Spitälern und die
schlechte Vereinbarkeit von Familie und Arbeitszeit im Arztberuf genannt. Geringe Entlohnung
steht seit der jüngsten Angleichung der Ärztegehälter an europäisches Niveau nicht mehr
ausschließlich im Mittelpunkt.
Die Flucht des Nachwuchses hat zunächst
Auswirkungen auf die Spitäler. Existierten vor
zwanzig Jahren noch lange Wartelisten für Turnusärzte, also Mediziner, die nach dem theoretischen Abschluss eine praktische Ausbildung im
Spital absolvieren, so wird heute händeringend
nach Newcomern gerufen. In ländlichen Gemeinden ist die Lage nicht anders. Dort gehen
immer mehr Allgemeinmediziner in Pension,
und Nachfolger, die in die verwaisten Praxen einziehen könnten, sind nicht in Sicht, obwohl Bürgermeister mit freien Quartieren in schönster
Umgebung und anderen Annehmlichkeiten werben. Wurde früher vor einer „Ärzteschwemme“
gewarnt, so klagt man heute über akuten „Ärztemangel“.
„Was wir derzeit sehen, ist ein Endzustand eines über Jahrzehnte entstandenen Systems, das
nicht mehr zeitgemäß ist“, befindet etwa Markus
Müller, der seit Oktober Österreichs größte Medizinausbildungsstätte, die MedUni Wien, als Rektor leitet (siehe Interview Seite 44). Der Wille zu
einer substanziellen Verbesserung ist bei allen
beteiligten Akteuren, dem Wissenschaftsministerium, Spitalsträgern, Ärztekammern und Universitäten, vorhanden, die Umsetzung wird in manchen Bereichen aber wohl Jahre dauern.
13.000
Medizinstudenten
gab es 2014/15 an
Österreichs vier
Medizin-Unis.
93
Prozent der
Studenten, die
einen Studienplatz
erhalten, schließen
das Studium ab.
Maßnahmen.
Als wichtigste Maßnahme gilt unter den Beteiligten die Verbesserung der Ausbildungsqualität, zuerst im Studium, danach in der klinischen
Lehre. Dazu gibt es schon erste Ansätze. Nach
dem theoretischen Teil der Medizinausbildung
wurde dem Praxisteil mehr Gewicht beigelegt.
Heute ist etwa eine zehn- bis zwölfmonatige Ausbildung in Innerer Medizin und Chirurgie für
den letzten Studienabschnitt zwingend vorgese-
EXTRA 2015 41
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
MEDIZINERAUSBILDUNG
ÄRZTEDICHTE
Österreichs
Ärzteschwemme
und Ärztemangel
hen. Dieses medizinisch-praktische Jahr bezahlen sogar immer mehr Spitalsträger, weil der
Wettbewerb um den Medizinernachwuchs
enorm zunahm. Auch die Turnusausbildungszeit
von früher drei Jahren wurde auf fünf Jahre erweitert, was in vielen EU-Ländern bereits State of
the Art ist. Um über weitere Verbesserungsmöglichkeiten, dann bei der Facharztausbildung,
mehr Übersicht zu gewinnen und Wünsche der
Kommilitonen eruieren zu können, startete die
Österreichische Ärztekammer jüngst eine Umfrage. „Unser Ziel ist es, mit dieser Facharzt-Ausbildungsevaluierung österreichweit ein genaues
Bild über die Ausbildungssituation zu erhalten“,
sagt Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer – „nur so wissen wir, wo
die Hebel angesetzt werden müssen.“ Die vom
Ärztlichen Qualitätszentrum durchgeführte Erhebung umfasst unter anderen Fragen zu Rahmenbedingungen, Zufriedenheit mit der Qualität
der Ausbildung, Einschätzung der Ärzte über die
Organisation ihrer Abteilung und über Arbeitszeitbestimmung. Wie nötig Änderungen sind,
bekräftigt auch der Wiener Ärztekammerchef
Thomas Szekeres, „denn Turnusärzte wurden
bisher für Tätigkeiten eingesetzt, die Hilfskräfte
erledigen können, etwa Dokumentation oder
Blutabnehmen, da kann man keine Qualitätsausbildung erwarten“, sagt Szekeres (siehe Interview
Seite 43).
Allein im Operationssaal.
Die Mehrzahl der Ärzteflüchtlinge verlässt
42 EXTRA 2015
Verantwortung: keine klare Definition, wer die Neulinge
im Operationssaal konkret unterweisen soll.
gleich nach dem Abschluss des Studiums das
Land und nimmt eine Tätigkeit als Turnusarzt
erst gar nicht mehr auf. Der Grund: Die Mediziner erhoffen sich eine bessere Lehre an ausländischen Spitälern. „Bei uns wird die Lehre als Belastung und nicht als Ehre gesehen“, formuliert
das einer der Doktoren, der sich gerade nach
Finnland aufmacht. „Es gibt bei uns zwar eine
formale Auflistung, was ein Turnusarzt operieren
muss, um Facharzt für Chirurgie zu werden, aber
klar definiert ist nicht, wer ihn konkret unterweisen soll und wer die Verantwortung trägt.“ So
komme es schon mal vor, dass ein Neuling allein
einen Blinddarm operieren muss, ohne dass ihm
ein Ober- oder Chefarzt über die Schulter schaut.
Die Lehrenden seien überlastet, hätten weder
Zeit noch Energie und oft kein Interesse, sich um
die Nachwuchsbetreuung zu kümmern.
Qualitätsfaktor Betreuung.
Für Rektor Müller liegen die Probleme im Spitalsbereich auch am Größenverhältnis Lehrer zu
Lernenden. Betreuung von Studierenden ist ein
Qualitätsfaktor. An der MedUni Wien kümmern
sich rund 100 Professoren um etwa 7.000 Studenten. An der Harvard Medical School, für Müller
die beste Medizin-Universität der Welt, sei das
Verhältnis 100 Lehrer zu 500 Studenten. „Bei einer solchen Betreungsqualität kommen wir nicht
mit.“ Auf fast gleicher Ebene liege Wien mit Harvard aber bei der theoretischen Lehre. Harvard
habe jetzt ein System eingeführt, „mit genau den
Elementen, die wir auch haben.“
FOTOS: CORBIS (2)
Mehr als 50 Prozent der promovierten Mediziner
verlassen die Universität in Richtung Auslandsspitäler.
Laut einer aktuellen
OECD Statistik kommen
hierzulande 4,9 Ärzte auf
1.000 Einwohner. Mit
diesem Wert ist
Österreich das Land mit
der zweithöchsten
Ärztedichte unter 34
Staaten. Nur Griechenland liegt darüber.
Seit 1990 steigen die Ärztezahlen stetig. 2009
kamen auf 100.000
Einwohner 468 Ärzte,
2010 waren es 477.
Zum Vergleich: Im
EU-Schnitt kommen auf
100.000 Bewohner 330
Ärzte. Dennoch wird von
einem drohenden
Ärztemangel gesprochen.
Das bezieht sich
allerdings nur auf das
öffentliche Versorgungsnetz, das für viele Ärzte
so unattraktiv wurde,
dass sie nicht mehr
einsteigen wollen und
sich lieber als Wahlärzte
niederlassen.
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
INTERVIEW
„Es geht um die
Wertschätzung
für die Kollegen“
Thomas Szekeres,
Wiener Ärztekammerpräsident,
über die Gründe
der Ärzteabwanderung ins Ausland und die
Probleme in der
Ausbildung und
der Inhalte.
Thomas Szekeres
Ärztekammerpräsident
Viele Jungärzte wandern ins Ausland ab.
Zuletzt kündigten in einem Kärntner Spital
alle Turnusärzte. Was läuft schief in der
Medizinerausbildung?
Die Attraktivität der heimischen Spitäler ist
im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz
enden wollend. Das heißt, vier von zehn Absolventen gehen gleich ins Ausland. Nach einer
Umfrage der Hochschülerschaft wollen sechs
von zehn Medizinstudenten in Österreich
nicht arbeiten.
Und warum?
Ausbildung und Inhalte sind bei uns immer
noch beschränkt, man kann sich die Fachrichtung nicht aussuchen.
FOTOS: FORMAT/LUKAS ILGNER
Inwiefern?
Ich brauche eine Ausbildungsstelle für das
Fach, das ich machen möchte. Wenn das nicht
frei ist, dann geht das nicht. Vor allem in
Ostdeutschland ist beispielsweise ein derartiger Ärztemangel, dass man sich dort das Fach
jederzeit gleich aussuchen kann.
Wie könnte man da gegensteuern?
Man könnte versuchen, Ausbildungsstellen
zu vermehren, wenn es geht. Außerdem
VON DORIS GERSTMEYER
brauchte man verbesserte Inhalte. An diesen
wird zur Zeit gerade gearbeitet, und man ist
dabei, es umzusetzen. Ein weiterer wichtiger
Punkt ist die Wertschätzung. Man muss sich
fragen: Brauchen wir die Jungärzte, schätzt
man sie? Sind sie wichtig für das System Krankenhaus? Wenn man glaubt, es sind genug
Ärzte vorhanden und man kann sie für Tätigkeiten einsetzen, die Pflegekräfte erledigen
können, etwa Dokumentation oder Blutabnahme, kann man keine Qualitätsausbildung
erwarten.
Wenn Krankenhäuser nicht mehr in der
Lage sind, attraktive Arbeitsbedingungen zu
bieten, dann wird die Ärzteabwanderung nicht
aufhören. Wir haben zwar jetzt massive Gehaltsverbesserungen erreicht und damit auch
das deutsche Niveau eingeholt. Schon aus dem
Grund, weil der Abgang sonst noch größer gewesen wäre.
Geld ist also nicht ausschlaggebend für den
Abgang?
Nein, es geht um die Ausbildung, um den
Umgang mit den Kollegen und die Wertschätzung. Früher gab es auch Auslandsangebote
für Ärzte, aber man wollte nicht weg. Das hat
sich geändert. Jetzt gehört eine Auslandsausbildung dazu. Man ist flexibler geworden, was
auch gut ist.
Aber danach sollten die Ärzte wieder
zurückkommen?
Ja, wenn das Umfeld stimmt.
Geklagt wird vor allem über den Mangel an
Hausärzten am Land. Viele Praktiker würden
gerne junge Kollegen anstellen und sich so
ihre Nachfolger heranziehen. Aber Ärzte
dürfen keine Ärzte anstellen …
Nein, es sprechen rechtliche Gründe dagegen, heißt es. Wir fordern das. Es wäre eine
gute Lösung, etwa auch für Ärztinnen, die
Kinder betreuen und halbtags arbeiten wollen.
Aber als größtes Handicap sehe ich es, dass
während der Ausbildung im Spital nicht alles
vermittelt wird, was man später in der niedergelassenen Hausarztpraxis braucht.
ZUR PERSON
THOMAS SZEKERES, 53, ist Humangenetiker und
Facharzt für klinische Chemie und Labordiagnostik.
Seit 2012 ist Szekeres Präsident der Wiener
Ärztekammer.
EXTRA 2015 43
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
MEDUNI WIEN
»Das Studium
ist viel besser
als früher«
Markus Müller
Rektor der MedUni Wien
Markus Müller, Rektor der Medizinischen
Universität Wien, über Änderungen der
Studienbedingungen, Studieninhalte
und die Möglichkeiten der klinischen
Forschung für den Standort Österreich.
Es werden dringend Turnus- und Spitalsärzte
gesucht, und dennoch gibt es eine große
Ärzteabwanderung ins Ausland. Woran
krankt es?
Das ist ein hausgemachtes Problem. Wir haben nicht zu wenig Ärzte, absolut gesehen, sondern wir haben ein völlig schiefes System im
Gesundheitswesen. Österreich hat beispielsweise
eine doppelt oder dreifach so hohe Spitalsbettendichte wie Schweden. Wir leisten uns eine Spitalsinfrastruktur, die sehr personalintensiv ist.
Zeichnen sich Änderungen ab?
Es gab bisher zwei Konstante im System: Die
Länder durften Spitäler bauen, so viel sie wollten,
und die Ärzte waren kein großer Kostenfaktor.
Ärzte waren billig, weil es einen freien Zugang
zum Studium gab. Was wir derzeit sehen, ist ein
Endzustand eines über Jahrzehnte entstandenen
Systems, das nicht mehr zeitgemäß ist.
Wie könnte eine Trendumkehr aussehen?
Man sollte versuchen, an zwei Hebeln anzusetzen: Das eine ist, die ambulante Versorgung
im niedergelassenen Bereich auszubauen, wo es
auch erweiterte Öffnungszeiten geben sollte. Im
Spital muss die Qualität der Ausbildung verbessert werden. Die bisherige Situation hat dazu
geführt, dass es eine Qualifikation nach unten
gegeben hat. Das heißt, Ärzte haben Schwesterntätigkeiten übernommen und sind nicht
entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt
worden.
Immer wieder werden auch die Studieninhalte
bekrittelt. Wie steht es damit?
Das Studium ist viel besser als früher. Die
Universitäten haben bis zu einem gewissen Grad
ihre Hausaufgaben gemacht. Wir zahlen unseren
Ärzten bald um 30 Prozent mehr Gehalt als
ZUR PERSON
MARKUS MÜLLER, 48, ist Univ.-Prof., Facharzt für Innere
Medizin und Klinische Pharmakologie und am 1. Oktober
2015 zum Rektor der Medizinischen Universität Wien
(MedUni Wien) gewählt worden.
44 EXTRA 2015
VON DORIS GERSTMEYER
vorher, und wir haben die Studienplätze reduziert, weil wir sagen, Österreich hat nicht zu wenig, sondern zu viele Ärzte. Wir müssen weniger
ausbilden, aber qualitativ besser. Vor 20 Jahren
gab es in Wien 16.000 Studenten. Davon hat
nur die Hälfte ihr Studium abgeschlossen. Jetzt
schließen 93 Prozent unserer Studenten, die den
Aufnahmetest bestanden haben, ihr Studium ab.
Dazu haben sie heute auch eine Jobgarantie. Das
war früher nicht der Fall. Man warnte vor dem
Medizinstudium und einer Ärzteschwemme und
stellte den Absolventen Joblosigkeit in Aussicht.
Das heißt, die Situation hat sich entscheidend
verbessert?
Ja, das heißt, das Medizinstudium ist so gut, so
gut es sein kann. Die Studienqualität wird unter
anderem auch an der Betreuungsrelation bemessen. Wir haben hier an der Universität etwa
hundert Professoren, die über 7.000 Studenten
betreuen. In Harvard zum Beispiel, der besten
Medizinuniversität der Welt, gibt es auch rund
hundert Professoren, aber die betreuen nur 500
Studenten. Das heißt, wir können nicht mithalten
bei der Betreuungssituation. Darunter leidet natürlich auch das Studium. Dabei wird von verschiedenen Seiten sogar nach noch mehr Studienplätzen verlangt, weil wir so wenig Ärzte haben.
Wer verlangt das?
Das war zum Beispiel der Grund warum auch
in Linz eine Medizinuniversität entsteht und
dazu noch eine Reihe von Privatuniversitäten.
FOTOS: EVA SCHIMMER
Wie steht es um die Studieninhalte an der
MedUni Wien. Ist man hier zeitgemäß oder ist
die Situation ähnlich der Betreuung?
Sie ist sehr gut. Bis 2002 galt das alte Studium
mit dem Fächerkanon. Das wurde in hundert
Jahren nie reformiert. Jetzt wurde komplett
umgebaut. Harvard hat auch gerade ein System
eingeführt, mit genau den Elementen, die wir
auch haben. Es gibt keinen Fächerkanon mehr
wie früher, sondern ein verzahntes, quervernetztes System, basierend auf Kleingruppen. Inhaltlich sind wir gut. Probleme gibt es bei der
Betreuungssituation.
Wie steht es um die klinische Forschung?
Sie waren lange Jahre Leiter der Klinischen
Pharmakologie an der MedUni Wien.
Wir leben von der klinischen Forschung. Das
ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte. In Österreich war die klinische Forschung von 1990 bis
2008 die schnellstwachsende Wissenschaftsdisziplin auf der Welt, das muss man sich vorstellen.
Vorher gab es hier de facto fast keine relevante
internationale Forschungsaktivität. Erst eine
neue EU-Direktive zur klinischen Forschung hat
mit alten bürokratischen Hürden Schluss gemacht und uns dadurch zu mehr Aktivität verholfen. Das hat sich ausgewirkt. Wir haben Zugang zu neuen innovativen Medikamenten von
der Pharmaindustrie bekommen und waren zum
Teil die Ersten, die das am Menschen anwenden
konnten.
Das heißt, es fließt genügend Geld?
Nein. Ich habe mich immer bemüht, die entsprechenden Minister zu überzeugen, für klinische Forschung etwas zu tun, weil das eine
Stärkung für den Standort wäre. Aber wir haben uns daran gewöhnt, dass der Staat offenbar
dazu nicht in der Lage ist. Wir können mit
Standorten wie Singapur, Peking, Harvard im
Bereich Grundlagenforschung auf Augenhöhe
nicht mithalten, das hängt mit der Infrastruktur
zusammen und natürlich mit Geld. Daher konzentrieren wir uns jetzt auf unsere Stärken, die
es gibt. Dazu gehört sicherlich das AKH mit
seinen 1,2 Millionen Patientenkontakten pro
Jahr. Wir wollen daher klinische Studien im
Auftrag der Pharmaindustrie intensivieren.
Derzeit laufen rund 400 klinische Studien pro
Jahr. Klinische Forschung insgesamt bringt uns
rund 40 Millionen Euro Drittmittel jährlich für
unser Budget.
»Inhaltlich sind
wir gut. Das
große Problem ist
die Betreuungssituation für die
Studenten.«
Was würden Sie sich für die klinische
Forschung in Österreich wünschen?
Mehr Wertschätzung vom Staat und mehr
Bewusstmachung bei der Bevölkerung über die
Bedeutung der klinischen Forschung für die
Wirtschaft. Die ganze Welt investiert derzeit
Milliarden in die Life-Science-Forschung.
EXTRA 2015 45
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
WIRTSCHAFTSFAKTOR MEDIZIN
DAS
GESCHÄFT
MIT PILLEN
Die Pharmabranche gehört zu den aktivsten
Wirtschaftsbereichen im Land und sorgt für
Wachstum. Zukunftshoffnung geben vor
allem Biotechnologie und Life Science.
VON DORIS GERSTMEYER
Ö
sterreichs Phamabranche ist überschaubar und spielt dennoch eine gewichtige
Rolle im heimischen Wirtschaftsgeschehen. Die Szene ist geprägt von großen internationalen Pharmakonzernen, die im Land
Vertriebsniederlassungen unterhalten oder, wie
Sandoz, Boehringer Ingelheim, Pfizer und Baxter,
auch Produktion und Entwicklung betreiben.
Ende letzten Jahres erweiterte auch Pfizer seinen
Vertriebsstandort mit einer Produktion durch die
Übernahme der Baxter Impfsparte in Orth an der
Donau in NÖ. Dort werden Impfstoffe gegen
FSME (Zecken) und Meningokokken C hergestellt. Der Deal kostete Pfizer 473 Millionen Euro.
„Aber von hier aus wird die ganze Welt mit den
beiden Impfstoffen beliefert“, macht Pfizer-Österreich-Chef Robin Rumler die Bedeutung klar.
Neben den Big Playern gibt es noch eine größere Anzahl von kleineren Unternehmen, die
über Jahresumsätze von unter zehn Millionen
Euro nicht hinauskommen. Das Geschäft läuft
für alle gut, weil die Ausgaben für die Gesundheit
steigen, vor allem auch im heimischen Gesundheitssystem. Österreich liegt mit jährlichen Ausgaben von rund 35 Milliarden Euro im Spitzenfeld der EU-Länder. Arzneimittel haben an
diesen Ausgaben einen Anteil von 12,2 Prozent.
Life-Science-Bereich wächst.
Abseits des Geschäfts mit Pillen und Arzneien
für Spitäler und Apotheken, wächst in den letzten Jahren der Anteil der Firmen, die sich der
Life-Science-Sparte, den Lebens- bzw. Biowissenschaften, widmen. „Während wir in anderen
Bereichen kaum zulegen, verzeichnen Biotechnologie-, Pharma- und Medizintechnologieunternehmen ein deutliches Umsatz- und Beschäftigungswachstum“, lobt etwa Staatssekretär
Harald Mahrer die Aktivitäten. Laut dem neuen
„Life Science Report Austria“ erzielten 823 Unternehmen in der Life-Science-Branche mit rund
51.000 Beschäftigten 2014 einen Umsatz von
über 19 Milliarden Euro.
In Wien-Meidling gab es jüngst festliche
Stimmung bei einer Eröffnungsfeier. Boehringer
Ingelheim stellte sein neues Forschungsgebäude
vor. In den technisch modernst ausgestatteten
Räumen wird die Arbeit an neuen ImmuntheraQuelle: Statistik Austria, 2013
23,8 %
Sonstiges
12,2 %
Arzneimittel
46 EXTRA 2015
25,2 %
Ambulanter
Bereich
38,8 %
Stationärer
Bereich
Gesundheitsausgaben in Österreich
FOTOS: XYXYXYXYXY
Die Big Player.
Arzneimittel
haben an den
Gesundheitsausgaben einen Anteil
von 12,2 Prozent.
Gesundheitsausgaben - Ländervergleich in Prozent des BIP
1995
2012
2013
Quelle: Statistik Austria, OECD
9,6
Österreich
11,1
10,8
10,1
11,3
Deutschland
Großbritannien
Belgien
Dänemark
Finnland
6,7
9,3
7,6
10,9
8,1
7,8
11
9,1
pien gegen verschiedene Krebsarten aufgenommen. Die Onkologie ist eines der wichtigsten
Therapiegebiete des Konzerns. „Wir investieren
pro Jahr in Österreich rund 200 Millionen Euro
in die nichtklinische und klinische Forschung“,
sagt Philipp von Lattorff, Chef der österreichischen Boehringer-Niederlassung. In Westösterreich, im Tiroler Kundl, sorgt ein weiterer Big
Player für die Gesunderhaltung der Bevölkerung.
Sandoz, eine Tochter von Novartis, hat in Kundl
seine Antibiotika-Produktion konzentriert und
ist damit der größte Hersteller der Welt. 190 Millionen Arzneimittelpackungen verlassen pro Jahr
das Werk. Ein neues Geschäftsfeld hat Sandoz
mit Biosimilars eröffnet, Nachahmeprodukten
von Biopharmazeutika.
Insgesamt ist die Innovationsaktivität der
pharmazeutischen Unternehmen im Land laut
Statistik Austria mit 93 Prozent deutlich höher
als im Vergleich zu allen anderen Wirtschaftszweigen mit 56,5 Prozent.
FOTOS: CORBIS, CLAUDIA BOKMEIER
Start-ups für die Zukunft.
Start-ups werden für Life Science und Lebenswissenschaften immer wichtiger. Das sind kleine
Biotech-Forschungsbetriebe, die mit innovativen
Ergebnissen zunehmend das Interesse der großen Pharmakonzerne wecken. Die Big Player
suchen die Zusammenarbeit mit Start-ups, nicht
nur als Ideenlieferanten für neue Produkte, sondern auch, um eigene Forschungsaufwendungen
einzusparen.
Ein Beispiel geben Walter Schmidt und Frank
Mattner, Gründer von Affiris. Die Wiener Firma
arbeitet und forscht an Impfungen gegen Alzheimer und erhält von GlaxoSmithKline (GSK)
bis zu 430 Millionen Euro Forschungsmittel.
GSK sichert sich damit einen Anteil, wenn das
Produkt marktreif ist.
Auch Österreichs Star-Forscher Josef Penninger gründete seine eigene Firma Apeiron und gab
vor zwei Jahren den Abschluss eines Lizenzabkommens mit der kanadischen Paladin Labs Inc.
bekannt. Dabei geht es um Forschungsarbeit für
eine Immuntherapie gegen Neuroblastome, Gehirntumore, die oft bei Kindern auftreten. Auch
Apeiron arbeitet mit GSK und schloss ein Kooperationsabkommen über 236 Millionen Euro
für ein Medikament gegen akutes Lungenversagen ab.
Interview
Robin Rumler Präsident der Pharmig
»Pharmaindustrie erwirtschaftet
ein Plus von 2,5 Mrd. Euro«
Gutes Geschäft. Österreichs Pharmaindustrie ist ein
wichtiger Faktor im Export und bei der Beschäftigung.
Österreich liegt in Sachen
Gesundheitskompetenz der
Bevölkerung weit hinter
anderen EU-Ländern zurück.
Gleichzeitig ist die Pharmaindustrie ein wichtiger Faktor
in der Wirtschaft. Ist das nicht
ein Widerspruch?
Die schlechte Gesundheitskompetenz ist eine Einstellungsfrage, die entsteht, weil Politiker
und die Gesellschaft Gesundheit
nicht vorleben. Gleichzeitig hat
Österreich in der Medizin eine
lange und große Tradition. Österreichs Mediziner zählen zu den
besten der Welt. Hierzulande bekommt jeder, egal über welches
Einkommen er verfügt, immer
die am neuesten Stand der Forschung seienden Medikamente.
Daher gibt es hier Therapieerfolge, die in vielen anderen Ländern
nicht möglich sind. Damit dieses
Gesundheitswesen aber weiter
bestehen kann, müssen wir es fit
für die Zukunft machen.
Wie wichtig ist die Pharmaindustrie für den Wirtschaftsstandort Österreich?
Österreich hat wirtschaftlich
in den letzten Jahren sehr stark
auf den Pharmasektor gesetzt.
Das lohnt sich heute. Die heimische Pharmaindustrie erwirtschaftet einen Außenhandelsüberschuss von 2,5 Milliarden
Euro jährlich. Das ist auch dadurch möglich geworden, weil
die Unternehmen in Österreich
Robin Rumler ist CEO von Pfizer
Austria und Präsident der Pharmig.
in der Lage sind, die teilweise
hochkomplexen neuen Medikamente, etwa in der Krebstherapie
oder bei neuropsychologischen
Erkrankungen, in der notwendigen Qualität herzustellen.
Worauf begründet sich dieser
hohe Qualitätsstandard?
Die rund 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der heimischen Pharmaunternehmen
sind top ausgebildet und hoch
motiviert. Die Lohnkosten fallen
bei der Herstellung hochkomplexer Medikamente nicht so stark
ins Gewicht.
Hat der Pharmastandort
Österreich Zukunft?
Mit Sicherheit, denn der
Trend geht zu immer mehr
Hightech bei Medikamenten.
Gemeinsam mit der klinischen
Forschung hat Österreich hier
beste Voraussetzungen.
»Der hohe Standard
der klinischen
Forschung ist ein
Wettbewerbsvorteil
für Österreich.«
Robin Rumler, Präsident der
Pharmig
EXTRA 2015 47
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
ZAHNMEDIZIN
»Ganzheitliche
Zahnmedizin im
Mittelpunkt«
Präsidentin,
Honorarkonsulin
Prof. h. c. Marga
B. WagnerPischel.
Rektor, Prof.
Dr. Dr. Dieter
Müßig.
Prof. h. c. Marga
B. WagnerPischel, Honorarkonsulin,
Präsidentin der
Danube Private
University,
und Prof. Dr. Dr. Dieter Müßig,
Rektor, über die
Veränderungen
in der Ausbildung zum
Zahnarztberuf
und die künftigen Voraussetzungen.
Wie wird der zahnärztliche Beruf in Zukunft
aussehen, welche Voraussetzungen werden
wichtig sein?
Müßig: Es werden vor allem umfassende Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Biowissenschaften erforderlich sein, um molekularbiologische, genetische Techniken, Verfahren
in Diagnostik und Prävention verstehen und
anwenden zu können.
Wagner-Pischel: Moderne Zahnmedizin ist präventiv, minimalinvasiv und individuell. Sie bewältigt schon längst Well-Aging, indem sie ermöglicht, dass der Mensch im Alter noch fest
zubeißen und über ästhetisch ansprechende
Zähne verfügen kann, und liefert einen unverzichtbaren Beitrag zur Gesamtgesundheit des
Menschen.
Worin unterscheidet sich die Ausbildung zum
Dr. med. dent. an der Danube Private
MARGA B.
WAGNER-PISCHEL
ist Präsidentin der
Danube Private University,
Prof. h. c. und Honorarkonsulin der Mongolei in
Salzburg und Tirol.
48 EXTRA 2015
University von anderen Universitäten und
Ausbildungsplätzen?
Müßig: Das Studium der Zahnmedizin ist bei
uns in höherem Maße als an allen anderen Universitäten üblich spezifisch auf die Zahnheilkunde zugeschnitten. Das heißt etwa, dass die
biowissenschaftlichen Fächer in höherem Umfang als im herkömmlichen Medizinstudium
vermittelt werden. Dazu erhalten Studierende
eine gründliche Ausbildung in naturwissenschaftlichen Fächern, insbesondere auf den Gebieten der Zellbiologie, Molekularbiologie und
Genetik. Die Zahl der Unterrichtsstunden und
die vermittelten Inhalte gehen über die des Medizinstudiums an anderen Medizinuniversitäten
weit hinaus.
Wagner-Pischel: An der Danube Private University wird beispielsweise auch der Unterschied
zwischen Mann und Frau unter zahnmedizinischen Aspekten bedacht. Es wird also der
DIETER MÜSSIG,
Prof. Dr. Dr., ist Rektor der
Danube Private University
(DPU) und Leiter des
Zentrums für Kieferorthopädie an der DPU.
IN KOOPERATION MIT
»Das DPU-Ideal für
ein erfülltes Berufsleben: Engagement, Exzellenz
und Ethik.«
Rektor, Prof. Dr. Dr. Dieter
Müßig
Gender-Ansatz berücksichtigt. Wir sind weltweit
die erste und einzige Universität, die eine Ausbildung zum Master of Science Frauenzahnheilkunde (MSc) entwickelt und zur Akkreditierung
vorgelegt hat.
FOTOS: DANUBE PRIVATE UNIVERSITY GMBH, BEIGESTELLT
Was wird sich am Zahnarztberuf ändern?
Müßig: Manuelle Fähigkeit und handwerkliche
Geschicklichkeit sind bis heute in allen operativen ärztlichen Fachgebieten und in der gesamten Zahnmedizin eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Berufsausübung.
Die Weiterentwicklung der digitalen Technologien wird dieses Erfordernis in der Zukunft
erheblich reduzieren und teilweise überflüssig
machen. Einerseits werden die biowissenschaftlichen Methoden viele heute noch erforderlichen Operationen erübrigen, andererseits werden digital gesteuerte Behandlungsabläufe die
Durchführung technisch anspruchsvoller Prozesse vereinfachen.
Wagner-Pischel: Mithilfe neuer Therapiekonzepte, die noch bis vor wenigen Jahren undenkbar
waren, können unter Einsatz digitaler Technologien, beziehungsweise CAD/CAM, auch komplexe prothetische Konstruktionen, wie hochpräzise gefräste Stege zur Versorgung von
Implantaten, hergestellt werden. An der Danube
Private University werden Studierende bereits in
den vorklinischen Kursen in diesen digitalen
Prozessen ausgebildet. Sie praktizieren diese
Techniken im Rahmen ihrer klinischen Ausbildung im Ambulatorium der Universität.
Müßig: Da dieses Aufgabengebiet Forschungsschwerpunkt in der Universität ist, beschäftigen
sich viele Studierende auch wissenschaftlich im
Rahmen von Diplom-, Master- oder Doktorarbeiten mit dieser Thematik. Viele werden bereits während des Studiums von der Industrie für
die Bereiche Entwicklung und Customer Service
angeworben.
Was wird künftig mehr Bedeutung erlangen?
Müßig: Sicherlich die Prävention. Eine erfolgreiche präventive Medizin wird die Grundvoraussetzung einer ausreichenden medizinischen
Versorgung der kommenden und folgenden Ge-
neration sein. Die Ausgaben für Alterspflege und
Palliativmedizin werden große Summen verschlingen. Deshalb werden nur noch geringere
finanzielle Mittel für eine wie bisher praktizierte
„Reparaturmedizin“ übrig bleiben. Nur mit Prävention kann dann eine Einsparung bei der
„Reparaturmedizin“ erfolgen.
Wagner-Pischel: Erfolgreiche Prävention ist sehr
schwierig. Denn der Erfolg setzt voraus, dass die
Mehrheit der Bevölkerung ein Leben lang eine
gesundheitsfördernde Lebensweise praktiziert,
was leider oft unseren heutigen Lebensweisen in
Hinblick auf Alkohol- und Tabakkonsum, Ernährung, Bewegung, Stressmanagement und so
weiter erheblich widerspricht. Es bedarf einer
medialen und intensiven ärztlichen Kommunikation, um das Bewusstsein für eine gesundheitsfördernde Lebensführung zu etablieren. Der
Zahnmedizin ist das bis heute weitaus besser
gelungen als der Medizin anderer Fächer.
In der Zahnmedizin wird heute auch viel von
einem ganzheitlichen Ansatz gesprochen. Was
ist darunter zu verstehen?
Müßig: Es muss den angehenden Zahnärzten die
besondere Bedeutung des Mundes für das psychosomatische Befinden des Menschen bewusst
gemacht werden. Andernfalls können sie durch
ihr (Fehl-)Verhalten nicht nur Zahnarztängste,
sondern sogar tiefgreifende Störungen auslösen,
die sich als unklare Schmerzen des Kiefer-Gesichtsbereiches oder in anderer Form als psychosomatische Störung äußern.
Der Mund ist Teil unseres Intimbereichs und
dennoch gleichzeitig unser wichtigstes soziales
Kommunikationsorgan. Viele unserer Gefühle
sind damit verbunden. Wir lachen oder beißen
die Zähne zusammen oder knirschen mit den
Zähnen.
Wagner-Pischel: Ein perfekt ausgebildeter
Zahnarzt muss qualitativ hochwertig behandeln können, den Richtlinien der „evidencebased dentistry“ folgend. Wertschätzende
Kommunikation und Respekt vor den individuellen Bedürfnissen sowie der Gesundheit des
Patienten sollten immer eine Schlüsselfunktion
einnehmen.
570
Studierende
absolvieren
derzeit ein
Diplomstudium zum
Dr. med. dent.
»Freude am und
Leidenschaft zum
Beruf schaffen
Karrieren.«
Präsidentin, Honorarkonsulin
Prof. h. c. Marga B. WagnerPischel
EXTRA 2015 49
SPITZENMEDIZIN AUS ÖSTERREICH
ZAHNMEDIZIN
STUDIUM DER
ZAHNMEDIZIN
IN KREMS
IN KOOPERATION MIT
Die Danube Private University ist die erste
und einzige Privatuniversität Österreichs,
die ein Grundstudium zum Dr. med. dent.
mit staatlicher Anerkennung anbietet.
Studierende werden bereits in vorklinischen Kursen bei
der Arbeit am Phantom in digitalen Prozessen wie
CAD/CAM ausgebildet.
750
D
ie Lage ist idyllisch. Gleich am Flussufer
der Donau bei Krems liegt der Campus
der Danube Private University (DPU).
2009 erhielt die Universität für Zahnmedizin die
Akkreditierung und 2014, im Zuge der Reakkreditierung, die amtliche Bestätigung, dass Prüfungsordnung, Inhalt und Studiendauer „internationale Standards jedenfalls erfüllen oder gar
übertreffen“.
Anders als an anderen Universitäten üblich,
so Rektor Dieter Müßig, ist die DPU spezifisch
auf die Zahnheilkunde zugeschnitten. Das heißt,
dass etwa auch das psychosomatische Befinden
des Patienten bewusst gemacht wird und „Empathie, Feingefühl und die Fähigkeit, in angespannten Situationen Ruhe und Kompetenz zu zeigen,
vermittelt werden“, sagt die Oberärztin der DPU,
Dr. Yana Anastasova-Yoshida. Dazu wird eine
umfassende und gründliche Ausbildung in naturwissenschaftlichen Fächern, insbesondere auf
praktizierende Zahnärzte
absolvieren aktuell Masterof-Science-Fachspezialisierungen der Zahnmedizin.
50 EXTRA 2015
Studienangebote.
Aktuell gibt es 570 Studierende, die an der DPU
ein sechsjähriges Diplomstudium zum Dr. med.
dent. absolvieren. Heuer wurden die ersten 39
graduiert. Pro Semester werden nur so viele Studenten aufgenommen, wie Praktikumsplätze im
Propädeutikum, Phantom und auch später in der
Klinik zur Verfügung stehen. Die Ausstattung ist
nach modernsten technischen Richtlinien ausgerichtet, die auch die Anwendung digitaler Technologien, wie CAD/CAM, einschließen. Neben
dem Diplomstudium Zahnmedizin umfasst das
Angebot der DPU auch die Grundstudien „Bachelor Medizinjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit“ und „Bachelor Dental Hygiene“. Darüber
hinaus studieren rund 750 praktizierende Zahnärzte aus der ganzen Welt in Master-of-ScienceFächern der Zahnmedizin, etwa Kieferorthopädie oder Implantologie, in deutscher und
englischer Sprache.
FOTOS: GREGOR SEMRAD, BEIGESTELLT
Der Campus liegt direkt
an der Donau in der
Wachau, NÖ.
den Gebieten der Zellbiologie, Molekularbiologie und Genetik, geboten. Die Zahl der Unterrichtsstunden, ganztägig von acht bis 18 Uhr,
und die vermittelten Inhalte unterscheiden sich
von anderen Ausbildungsstätten. Die Semesterdauer beträgt 20 statt der üblichen 15 Wochen,
sodass die biowissenschaftlichen Fächer in höherem Umfang als im herkömmlichen Studium
vermittelt werden.