Die Outdoor-Bekleidung von Rotauf– 100 % Swiss

Meinung
Tilman
Slembeck
Wirtschaftsprofessor
Schenken
muss nicht
effizient sein
V
or Weihnachten sind
viele im GschenkliStress. Für jeden das
Richtige zu finden, ist nicht
einfach. Und oft genug gibt
es am Heiligen Abend lange
Gesichter. Wenn Tante Mar­
tha schon wieder ein Parfum
auspackt, das sie nicht mag.
Oder der Grossvater ge­
zwungen ist, sich über das
siebte Paar gestrickte Socken
herzlich zu freuen.
Ökonomen haben da eine
einfache Lösung. Der Nutzen
für die Beschenkten ist viel
höher, wenn wir Bargeld
schenken. Bei Geld gibt es
keine Fehlkäufe. Alles passt.
Nichts muss umgetauscht
werden. Und falls die Mama
pädagogisch wertvoll schen­
ken will, gibt es halt einen
Büchergutschein.
In der Familie und im
Freundes­
Glän­ kreis kann
zende man noch
weiter ge­
Kinder­
hen. Jeder
augen –
auf,
als Erleb­ schreibt
welchen Be­
nis unbe­ trag er wem
zahlbar!» schenken
will, dann
wird saldiert. Wenn Papa
seiner Tochter 100 Franken
schenken will und diese
ihm 20 Franken, muss Papa
ihr unter dem Strich nur
80 Franken geben.
Die neuste SmartphoneApp rechnet in Sekunden
aus, wer am Schluss wem
wie viel schuldet. Das ist
effizient. Man spart die Ren­
nerei, kann auf Berge von
Geschenkpapier verzichten –
und alle sind glücklich.
Wirklich glücklich? Wohl
kaum, denn Effizienz ist ja
nicht alles. Schliesslich gibt
es sie ja manchmal doch, die
glänzenden Kinderaugen,
wenn das Erhoffte tatsäch­
lich auf dem Gabentisch
liegt. Dieses Erlebnis ist
unbezahlbar. l
«
32 Wirtschaft
Die Outdoor-Bekleidung von Rotauf – 100 %
Widnau
statt China
Eine Bündner Firma fertigt
Kleider aus einheimischer
Wolle im St. Galler Rheintal.
VON GABI SCHWEGLER (TEXT)
UND PHILIPPE ROSSIER (FOTO)
N
ähmaschinen
rattern,
Dampfbügeleisen zischen,
Näherinnen beugen sich
über Stoffe und Schnittmuster.
Doch nicht Hunderte Fabrikarbei­
terinnen sitzen in diesem Nähsaal,
sondern fünf Frauen. Und die
Maschinen stehen nicht in China,
sondern in der Schweiz.
Hier in Widnau, im St. Galler
Rheintal, entsteht die neue Kol­
lektion von Rotauf. Unter dieser
Marke produziert die Bündner
Firma Flink Outdoor-Bekleidung
für Frauen und Männer und preist
sie mit den Worten «Radical Swiss
Made» an.
Remo Frei (38), Industriedesig­
ner und Mitgründer von Flink, be­
gutachtet die ersten Jacken und
Westen: «Wir wollen beweisen,
dass es möglich ist, in der Schweiz
eine hochwertige Outdoor-Kollek­
tion zu produzieren.» Dass in der
Weltwirtschaft die Haltung domi­
«
nach Wegen, die Kosten tief zu hal­
ten: Hosen, Jacken und Westen ver­
treibt er direkt und schaltet so den
teuren Zwischenhandel aus. Zu­
dem entschied er sich für einen un­
gewöhnlichen Finanzierungsweg:
Kunden bestellen Rotauf-Produk­
te verbindlich vor. Das «Crowdfun­
ding» hilft, Überproduktion und
zusätzliche Kosten zu vermeiden.
Das Finanzierungsziel von
70 000 Franken in 100 Tagen wur­
de deutlich übertroffen. Kurz vor
Schluss liegen Bestellungen im
Wert von 165 000 Franken vor.
2013 ging die erste Rotauf-Kol­
lektion in Produktion, damals noch
im Bündnerland, bei der Firma Gri­
tex. Ein Jahr später musste Gritex
Insolvenz anmelden. Auf der Suche
nach einem neuen Hersteller wur­
de Frei bei der Firma Leblon im Tes­
sin fündig. Sie produzierte letztes
Jahr 150 Einzelteile und näht
Nachbestellungen der damaligen
Kollektion. Weil die Tessiner da­
mit ausgelastet sind, zog Frei mit
seiner neusten Kollektion ins
Rheintal.
Die Topa Konfektions
AG näht nun die 548 be­
stellten Einzelteile, die
diesen Winter ausgelie­
fert werden. Dem TopaGeschäftsführer-Ehe­
paar Emin (37) und Ayla
(35) Öztürk gibt der Auf­
trag Sicherheit. «Diese Produktion
läuft über das Jahr verteilt und ist
gut planbar», sagt Ayla Öztürk. Die
beiden Österreicher betreiben den
Nähsaal seit sechs Jahren.
Das Rheintal ist traditionell eine
Textilhochburg. Ende des 19. Jahr­
hunderts, als weltweit bekanntes
Stickereizentrum. erlebte das Tal
Wir möchten einen
Konsum ermöglichen, der uns entspricht»
Remo Frei (38), Industriedesigner
niere, Handarbeit dürfe nichts
mehr kosten, hält er für krank. Nor­
malerweise verlangen Marken­
firmen für fertige Hemden und
Hosen mindestens achtmal so viel,
wie die Herstellung kostete. Bei
Rotauf ist es nur das Doppelte.
Um vollständig in der Schweiz
produzieren zu können, suchte Frei
Vorteil dank
Crowdfunding:
Remo Freis
Weste kostet
230 Franken.
seine Hochblüte. «Daraus sind vie­
le spezialisierte Firmen entstan­
den, die noch heute erfolgreich
wirtschaften», sagt Peter Flückiger
(39), Direktor des Textilverbands
Schweiz.
Beim Entwerfen und Herstellen
von edlen Stickereien, Haute-Cou­
ture-Stoffen und technischem Ge­
webe mischt die Ostschweiz immer
noch im Weltmarkt mit. Aber im
grossen Stil genäht wird kaum
noch. Flückiger: «Sogenannte Kon­
fektionäre sind weitgehend ver­
schwunden, weil viele Firmen ihre
Kleider in Ländern mit tiefen Löh­
nen nähen lassen.»
Genau das wollte Remo Frei
nicht. «Wir möchten einen Kon­
sum ermöglichen, der unseren
Werten entspricht», sagt er. Mit
seinem Auftrag an Topa wolle er
einen Beitrag leisten, die Schweiz
als Produktionsstandort für Texti­
lien zu erhalten. Bei Emin Öztürk
ist er damit an der richtigen Ad­
resse. Dieser will der Konfektion im
kleinen Rahmen treu bleiben:
«Handwerkliches Geschick von
Menschen lässt sich nicht mit
Maschinen ersetzen.» l