Dr. rer. nat . Ewald Gehrt am 11. Mai 1968 folgenden Brief

Dr. Ewald Gerth
Potsdam, den 10. 5. 1968
Prof.-Ludschuweit-Allee 10
An den Vorsitzenden
der National-Demokratischen Partei Deutschlands
Herrn Dr. L. B o l z
108 B e r l i n
Friedrichstraße 65
0
Sehr geehrter Parteifreund Dr. Bolz!
Von großer Sorge bewegt um das Schicksal bedeutender Kulturdenkmäler der Stadt
Potsdam und im Hinblick auf die unausbleiblichen negativen Folgen verfehlter
kulturpolitischer Maßnahmen wende ich mich an Sie, als höchste Instanz meiner
Partei, um Hilfe, nachdem ich erfahren mußte, daß auf der zuständigen Kreisebene
keine Hilfe gewährt wurde.
Der geplante Abriß der ehemaligen Garnisonkirche in Potsdam, die eines der
bedeutendsten Baudenkmäler des Norddeutschen Barock ist, hat Kunstkenner,
Wissenschaftler, Fachleute und große Teile dar Bevölkerung zutiefst betroffen und
befremdet, vor allem, da bereits Restaurierungsarbeiten im Gange waren.
Die Hoffnung der Kunstfreunde auf eine repräsentative Konzertkirche, die Potsdam
als Fremdenstadt dringend benötigt, wird damit zunichte.
Die Argumente, mit denen der Rat der Stadt den Abriß begründet, müssen nach
eingehender Prüfung a l l e als n i c h t s t i c h h a l t i g bezeichnet werden (s.
Anlage zu diesem Brief!).
Das juristische Vorgehen des Rates der Stadt in dieser Angelegenheit hat nicht
weniger befremdet als der geplante Abriß selbst. Eingaben der Bürger (Wissenschaftler, Fachleute und Kunstfreunde) wurden vorn Rat der Stadt nicht beachtet.
Der bisherige Eigentümer des Grundstückes und des Gebäudes, die Heilig-KreuzGemeinde, wurde in keine Verhandlung über das Objekt miteinbezogen.
In der Stadtverordnetenversammlung am 26. 4. 1968, als über den Abriß der
ehemaligen Garnisonkirche abgestimmt wurde, war es außer den Stadtverordneten
keinem Bürger der Stadt, auch nicht dem Eigentümer, gestattet, seine Meinung über
den Fall zum Ausdruck zu bringen.
Die Enteignung des Grundstückes und des Gebäudes erfolgte am 3. Mai 1968 nach
einseitiger Beschlußfassung durch den Rat der Stadt Potsdam.
Ein derartiges Vorgehen schafft einen Zustand unerträglicher Rechtsunsicherheit. Es
trägt nicht dazu bei, unserem Ziel, der Gestaltung einer sozialistischen Menschengemeinschaft, die a l l e Schichten des Volkes – u. a. auch die Christen – umfassen
soll, näherzukommen.
Die Folge ist bei vielen Kunstfreunden, wertvollen Menschen unserer sozialistischen
Gesellschaft, Resignation, wenn nicht sogar Abkehr vom gesellschaftlichen Leben,
was letztlich den Feinden unseres Staates zugute kommt.
Gleichzeitig liefert man den Feinden wirkungsvolles Propagandamaterial, während
der Nutzen dieser Maßnahme nur in der Gewinnung eines Grundstückes zu sehen ist,
das nur mit erheblichen Aufwendungen für Gründungsarbeiten als Bauland zu
verwenden ist.
Eingehend auf die geschichtlichen Traditionen des Bauwerkes möchte ich bemerken,
daß sich ein Geist – wie der sogenannte „Potsdamer Geist“ – nicht durch den Sturz
eines Gebäudes beseitigen läßt. Die Herausbildung eines neuen, sozialistischen und
humanistischen Geistes ist eine Frage der Bewußtseinsbildung der Menschen. Dazu
kann aber eine bewußte Pflege unseres nationalen Kulturerbes, das Füllen alter
Formen mit neuem Inhalt, in entscheidendem Maße beitragen.
Die bedeutendste und größte humanistische Tradition der ehemaligen Garnisonkirche, an die es anzuknüpfen gilt, ist das Orgelspiel des großen Johann Sebastian
Bach am 8. Mai 1747. Es war Bachs letztes öffentliches Konzert vor seinen Tode
außerhalb der Stadt Leipzig.
D i e s e T r a d i t i o n v e r p f l i c h t e t. W e r d i e d u r c h J o h a n n
S e b a s t i a n B a c h g e w e i h t e S t ä t t e v e r n i c h t e t, b e r a u b t
sich selbst der Achtung und Anerkennung der
Kulturfreunde aller Nationen.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß ich unseren Staatsorganen, die durch
das Vertrauen unseres Volkes getragen werden, keine bösen Absichten unterstelle.
Auf die Art einer Absicht kommt es auch gar nicht an, wenn es um die Auswirkung
einer Fehlentscheidung geht. Es ist unbedingt erforderlich, ein Urteil durch sachliche
Meinungsbildung reifen zu lassen, wozu a l l e Schichten der Bevölkerung gehört
werden müssen.
Hiermit bitte ich Sie dringend, durch das Gewicht Ihrer hochgeschätzten
Persönlichkeit dazu beizutragen, daß im Falle der ehemaligen Garnisonkirche in
Potsdam ein verhängnisvoller Fehlgriff vermieden wird! Die Vorbereitungen zur
Sprengung sind bereits getroffen worden. Bitte, helfen Sie bald, ehe es zu spät ist!
Mit vorzüglicher Hochachtung!
Ihr
gez. E. Gerth
Dr. Ewald Gerth
Potsdam, den 11. 5. 1968
An den Vorsitzenden
der National-Demokratischen Partei Deutschlands
Herrn Dr. L. Bolz
108 B e r l i n
Friedrichstraße 65
Anlage zu dem Brief vom 10. 5. 1968
Argumente und Gegenargumente, die den geplanten Abriß der ehemaligen
Garnisonkirche in Potsdam betreffen
Sehr geehrter Parteifreund Dr. Bolz!
Mit den folgenden Darlegungen möchte ich ausführlicher auf die Bemerkung in
meinem Brief vom 10. 5. 1968 eingehen, mit der zum Ausdruck gebracht wird, daß
alle Argumente, mit denen der Rat der Stadt Potsdam den Abriß der ehemaligen Garnisonkirche begründet, als n i c h t s t i c h h a l t i g bezeichnet werden müssen.
Ich beziehe mich dabei insbesondere auf Diskussionen mit Parteifreunden, die als
Stadtverordnete im Rat der Stadt Potsdam tätig sind, sowie maßgeblichen Vertretern
unserer Parteipresse. Weiterhin erfolgten auch Diskussionen mit Stadtverordneten,
die anderen Parteien angehören, sowie einer größeren Zahl von Wissenschaftlern,
Kunsthistorikern, Architekten, Kirchenvertretern, aber auch einfachen Kunstfreunden, Bürgern der Stadt Potsdam.
Die folgende Ausführung gliedert sich in zwei Hauptteile:
Im ersten Hauptteil werden die wichtigsten Punkte zusammengestellt, die die Bedeutung der ehemaligen Garnisonkirche als kulturell wertvolles Bauwerk kennzeichnen.
Im zweiten Hauptteil werden die Argumente, die zugunsten des Abrisses der
ehemaligen Garnisonkirche tatsächlich geäußert wurden, einzeln widerlegt.
1. Über die kulturhistorische Bedeutung der ehemaligen
Garnisonkirche in Potsdam
1.1.
Die ehemalige Garnisonkirche (heutige Benennung: Heilig-Kreuz-Kirche),
erbaut unter Philipp Gerlach von 1731–1735, ist ein monumentales,
künstlerisch hochwertiges Bauwerk, das als stilbildendes Gebäude des
„Norddeutschen Barock“ gilt, dessen Ausstrahlungen über ganz Norddeutschland und bis nach Skandinavien zu verfolgen sind.
1.2.
Mit diesem Gebäude, über dessen Ausführung genaue Bauberichte vorliegen,
wurde der Beweis erbracht, daß die Errichtung eines gewaltigen Gebäudes
auch auf schlechten und von anderen Baumeistern verworfenem Baugrund
(etwa 20 m Faulschlamm) möglich ist, sofern man eine vorzügliche
Grundierung vornimmt. Im Hinblick auf den damaligen Entwicklungsstand der
Bautechnik stellt damit das Gebäude, insbesondere der monumentale Turm,
eine respektgebietende Meisterleistung der Werktätigen früherer Epochen dar.
1.3.
Mit der ehemaligen Garnisonkirche sind zahlreiche „Traditionen der
nationalen deutschen Geschichte und der Kulturgeschichte verknüpft. (Hierauf
wird im zweiten Hauptteil bei der Widerlegung der Argumente noch näher
eingegangen.) Neben der bekannten preußischen Tradition, die diesem
Gebäude mit Recht aus der Sicht unserer heutigen Geschichtsbetrachtung
anlastet, die es aber letztlich passiv ertragen mußte – ebenso wie den
Mißbrauch durch die Veranstaltung des Reichstages im Jahre 1933, sind mit
diesem Bauwerk eine Reihe positiver und humanistischer Erinnerungen
verbunden. So fand beispielsweise in ihr der Empfang der Salzburger
Emigranten statt. Im Zusammenhang mit der Verteidigung und Wiederbefreiung Europas vom Bonapartistischen Despotismus wurde in diesem
Gebäude die preußisch-russiche Allianz geschlossen. Vor 150 Jahren fand
weiterhin in ihr die Vereinigung von Reformierten und Lutheranern statt.
1.4.
Von größter Gewichtigkeit ist aber das Auftreten Johann Sebastian Bachs in
dieser Kirche. Bach hatte auf seiner letzten Reise, die er drei Jahre vor seinem
Tode auf Einladung des preußischen Königs Friedrich II. nach Potsdam
unternahm, sein letztes öffentliches Konzert außerhalb der Stadt Leipzig in der
Potsdamer Garnisonkirche gegeben. Dies geschah am 8. Mai 1747, also 198
Jahre vor dem Tage, als die Völker Europas und auch des deutsche Volk von
der Hitler-Barbarei befreit wurden. Hiermit wurde der Weg frei für die
Besinnung des deutschen Volkes auf die guten und humanistischen
Traditionen, die 1945 die einzige Hoffnung der Völker bezüglich der
Wiedergeburt eines besseren Deutschland waren. Solche Traditionen gilt es zu
pflegen und progressiv weiterzuentwickeln. Durch eine letzte Offenbarung der
hohen Kunst des großen Johann Sebastian Bach hat die ehemalige
Garnisonkirche eine von allen Kulturfreunden anerkannte, unvergängliche
Weihe erhalten.
Die Vernichtung einer solchen Stätte muß
zwangsläufig von jedem Kulturmenschen
als Freveltat aufgefaßt werden.
Mit Johann Sebastian Bach ist auch der Anknüpfungspunkt für humanistische
Traditionen gegeben, die in Zukunft mit dem Gebäude verbunden sein sollten.
In Potsdam fehlt zur Zeit eine repräsentative Konzertkirche, in der die guten
Potsdamer Oratorienchöre, aber auch Symphonieorchester die Werke von Johann
Sebastian Bach und anderer großer Meister aufführen könnten.
Die ehemalige Garnisonkirche besitzt ein hierfür geeignetes, großräumiges Kirchenschiff, das sich früher bereits durch eine gute Akustik auszeichnete, das aber nach
modernen raumakustischen Gesichtspunkten noch wesentlich besser innenarchitektonisch ausgestaltet werden konnte.
1.5.
Die ehemalige Garnisonkirche, insbesondere der schöne, hochaufragende
Turm, gehört zum typischen Stadtbild Potsdams. Dies ist insbesondere auch
hinsichtlich der politischen Bedeutung des Fremdenverkehrs zu beachten.
Die p e i n l i c h e Frage nach dem Schicksal der Garnisonkirche würde im
Falle der Vernichtung dieses Baudenkmals auch nach Jahrzehnten noch nicht
verstummen.
2. Die Argumente, die seitens der Stadtverordneten für den Abriß
der ehemaligen Garnisonkirche vorgebracht wurden,
und die Entgegnungen auf diese Argumente
Es wird im Folgenden darauf verzichtet, Bemerkungen über den Geist zu machen,
der aus den verschiedenen Argumenten spricht, mit denen der Abriß eines wertvollen
und unersetzlichen Kulturdenkmals begründet wird. Ich möchte nur darauf
hinweisen, daß die Haltung eines Staates und seines Volkes zu seinen ererbten
Kulturgütern von den anderen Völkern wohl gewertet wird und daher ein Politikum
ersten Ranges ist.
2.l. Die ehemalige Garnisonkirche sei ein Verkehrshindernis.
Hierauf ist zu entgegnen, daß die Straßenbreite an der engsten Stelle, die durch den
Standort des Turmes gegeben ist, 15,50 m beträgt, also größer als auf der Langen
Brücke (12 m) ist, die die engste Einschnürung des Verkehrsflusses darstellt.
Bei Schließung des Turmeinganges können ohne Behinderung des Verkehrs 4 Fahrbahnen am Gebäude vorbeigeführt werden. Dieser Sachverhalt wurde mir von dem
zuständigen Verkehrsbeauftragten der Stadt bestätigt.
2.2. Die ehemalige Garnisonkirche sei baufällig.
Nach eigener Anschauung und nach Auskunft von Fachleuten (Architekten) ist das
Mauerwerk der Brandruine s t a b i l . Es weist keinerlei Risse auf. Wegen der
großen Dicke des Mauerwerks und der damit verbundenen hohen Wärmekapazität
erfolgte bei dein Brand keine Durchglühung, die die Festigkeit gefährdet hätte. Das
Mauerwerk hat den 20-jährigen Witterungseinfluß ohne Schaden überstanden.
Das Mauerwerk des Gebäudes befindet sich im wesentlichen im Zustand eines
Rohbaues.
Die im vorigen Jahr erfolgte baupolizeiliche Sperrung des Geländes ist nicht auf die
vermeintliche Baufälligkeit der Ruine zurückzuführen. Hierzu wurde mir von
zuständiger Seite erklärt, daß sich Teile der alten Dachkonstruktion abgelöst hätten,
die bei starkem Wind herunterfallen könnten. Dies ist eine Gefahr, die durch
entsprechende Sicherungsmaßnahmen leicht behoben werden könnte .
2.3. Es sei erforderlich, auf dem Grundstück der ehemaligen Garnisonkirche
ein Rechenzentrum zu errichten.
Es ist nicht einzugehen, warum in Potsdam kein anderes Grundstück zur Errichtung
eines derartigen Gebäudes verwendet werden könnte. Mir ist bekannt, daß hierfür
ursprünglich ein enttrümmertes Ruinengrundstück am Alten Markt vorgesehen war.
Dieses Grundstück stellt einen wesentlich besser geeigneten Baugrund dar als das
Gelände, auf dem die ehemalige Garnisonkirche steht; denn hier wären umfangreiche
und kostspielige Grundierungsarbeiten vor der Errichtung des Gebäudes notwendig,
da die alte Grundierung wegen des anderen Grundrisses nicht wiederverwendet
werden könnte. Dies wäre aber eine vom ökonomischen Standpunkt nicht zu
vertretende Verschwendung von Volkseigentum.
Wenn man aber die Ausgabe der Mittel für eine unrationelle Grundierung nicht
scheut, wäre nicht einzusehen, warum das neu zu errichtende Gebäude auf dem
Grundstück der ehem. Garnisonkirche entstehen soll, da ein anliegendes unbebautes
Gelände, ein freier Rasenplatz von etwa 200 m mal 100 m, die sogenannte
„Plantage“, genügend Ausweichsmöglichkeiten bietet.
2.4. Auch der Turm der ehemaligen Garnisonkirche müsse verschwinden,
da genau an dieser Stelle eine Heiztrasse entlanggeführt werden solle.
Hierzu wurde mir noch gesagt, daß nur an der Stelle, auf der der Turm steht, eine
„Düne“ in der Umgebung von Faulschlammablagerungen wäre, die für die Heiztrasse
benutzt werden müsse. Aus den Bauberichten geht hervor, daß der Turm auf einer
tiefen Kiesaufschüttung steht, die bis zur Hälfte der umgebenden Straßen reicht.
Diese Kiesaufschüttung wäre bei besserem Baugrund nicht erforderlich gewesen. Die
Beseitigung der Fundamente, die aus Festungsgürtel bestehen, ist aber eine so
aufwendige Arbeit, daß mit den dafür benötigten Mitteln die vorgesehene Heiztrasse
auf der gegenüberliegenden Straßenseite in ein Sandbett eingelagert werden könnte.
2.5. Die Wiederherstellung des Gebäudes in seiner ursprünglichen Gestalt
sei zu kostspielig.
Die Abrißkosten werden von zuständiger Seite auf 2,5 Millionen M geschätzt. Die
Errichtung eines Daches, durch das die Ruine vor weiterem Witterungseinfluß
geschützt wird, erfordert nach Schätzungen von Architekten etwa 1,5 Millionen M.
Dabei ist zu bedenken, daß sich in Anbetracht der Ausdehnung und Festigkeit der
Fundamente erhebliche Mehrkosten ergeben können, wie es sich vor einigen Jahren
beim Abriß des Potsdamer Stadtschlosses, ebenfalls eines unersetzlichen Kulturdenkmals, herausstellte.
Die Wiedererrichtung dieses Gebäudes in seiner äußeren architektonischen Gestalt
wurde auf 14 Millionen M geschätzt, während die Abrißkosten allein etwa 9
Millionen M betrugen.
Es ist auch, wie meine Nachfragen ergaben, von kirchlicher Seite nicht vorgesehen,
das Innere der Kirche in seiner ursprünglichen Form wiederherzustellen. Die Kirche
wäre damit einverstanden, das Kirchenschiff für weltliche Zwecke abzutreten, also
nicht wieder als sakralen Raum einzurichten, so daß damit der Stadt Potsdam ein
würdiger und repräsentativer Konzertraum zur Verfügung stünde.
Das Interesse der Kirche an sakralen Räumen beschränkt sich auf die nach dem
Kriege eingerichtete Heilig-Kreuz-Kapelle unter dem Turm.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß die Kirche für die Erhaltung des
Gebäudes und die Einrichtung der Heilig-Kreuz-Kapelle bereits 70 T M investiert
hat. Hieran schließen sich staatliche Ausgaben des Amtes für Denkmalsschutz in
Höhe von 35 T M an. Es liegen bereits ausgearbeitete Vorschläge für eine
Innenausstattung des Gebäudes nach neuen und modernen architektonischen und
raumakustischen Gesichtspunkten vor. (Diesbezügliche Eingaben der Architekten
wurden vom Rat der Stadt nicht beachtet.)
In bezug auf die Kostenfrage sei noch einmal darauf hingewiesen, daß die
Neueindachung bei weitem nicht so kostspielig ist wie der Abriß des Gebäudes.
Wenn die Mittel zur vollständigen Wiederherstellung des Gebäudes zur Zeit nicht zur
Verfügung stehen, wäre es möglich, sich gegenwärtig auf die Eindachung zu
beschränken und die weitere Instandsetzung später vorzunehmen.
2.6. Die ehemalige Garniaonkirche sei eine „traurige Ruine“,
die das Stadtbild verunziere.
Wenn die Kirche nicht durch den anglo-amerikanischen Terrorangriff „zerstört“
worden wäre, dächte heute kein Mensch daran, sie abzureißen.
Die ehemalige Garnisonkirche ist keine „traurige Ruine“, sondern eher eine „stolze
Ruine“. Das Bauwerk hat seine Standfestigkeit bis auf den heutigen Tag trotz des
verbrecherischen, weil durch keine strategische Notwendigkeit bedingten Terrorangriffs am 14. 4. 1945, 10 Tage vor dem Einzig der Roten Armee in Potsdam,
bewahrt und legt auch damit noch ein Zeugnis von dem hohen Leistungsvermögen
unserer Vorfahren ab.
Es ist schlecht, sich auf die Amerikaner zu berufen. Sie demonstrieren auch heute der
gesamten Weltöffentlichkeit durch ihren verbrecherischen Krieg in Vietnam, zu
welcher Kulturbarbarei sie fähig sind.
Das, was uns aus dem Inferno des 2. Weltkrieges an wertvollem Kulturbesitz
erhalten geblieben ist, gilt es wie einen Augapfel zu hüten.
Der Abriß des durchaus aufbauwürdigen und aufbaufähigen Gebäudes der ehem.
Garnisonkirche wäre die radikale Fortsetzung dessen, was den Amerikanern nicht
vollständig gelungen ist. Die Verwerflichkeit ist nur um einige Grade höher, da in der
Zeit einer politischen und ökonomischen Konsolidierung unseres Staates, mehr als
zwanzig Jahre nach dem Kriege, keine Notwendigkeit für einen solchen Schritt
vorliegt. Der einzig vertretbare strategische Gesichtspunkt scheidet hierbei völlig aus.
2.7. Die Kirchenvertreter haben angeblich die ehemalige Garnisonkirche
bereits selbst aufgegeben und ihr Einverständnis mit dem Abriß erklärt.
Hierzu möchte ich grundsätzlich folgendes bemerken: Es geht hier nicht allein um
mehr oder minder berechtigte Interessen von Kirchengemeinden und Kirchenvertretern, sondern es geht in erster Linie um
unveräußerlichen Kulturbesitz der deutschen Nation.
Selbst wenn die Kirchenvertreter aus irgendwelchen Erwägungen, vielleicht
finanzieller Art, kein Interesse an dem Gebäude mehr haben sollten, darf daraus nicht
gefolgert werden, daß man es kurzerhand abreißen könne.
Nun ist es aber tatsächlich so, daß die Kirchenvertreter n i e m a l s ihr
Einverständnis zu dem Abriß der ehemaligen Garnisonkirche gegeben haben. Dies
wurde mir auf meine entsprechende Anfrage ausdrücklich erklärt. Es wurde mir
gesagt, Behauptungen, daß die Kirchenvertreter ein solches Einverständnis in
irgendeiner Form gegeben haben sollten, seien Unterstellungen, dis schärfstens
zurückgewiesen werden müßten. Trotzdem blieb der Stadtverordnete (Mitglied
unserer Partei), den ich auf diese Aussage hin abermals ansprach, bei dieser
Behauptung, so daß Aussage gegen Aussage steht. Ohne hierüber entscheiden zu
wollen, möchte ich bemerken, daß ich nicht verstehe, wie man sich bei einem Objekt,
bei dem Finanzmittel in der Größenordnung mehrerer Millionen bewegt werden,
allein auf fragwürdige mündliche Aussagen stützen kann. Selbst die geringste
Änderung des Arbeitsverhältnisses eines Werktätigen bedarf nach dem Gesetzbuch
der Arbeit eines schriftlich fixierten Vertrages.
Meine Anfrage, beim Generalsuperintendenten Herrn Dr. Lahr ergab, daß im Falle
der ehemaligen Garnisonkirche zwischen den Eigentümern des Grundstückes und des
Gebäudes und dem Rat der Stadt weder ein Vertrag noch überhaupt ein Gespräch
über das Objekt zustandegekommen ist. Es wurde mir bei meiner Vorsprache eine
Eingabe der Kirchenleitung an den Rat der Stadt vom Oktober 1967 zur Kenntnis
gegeben, die vom Rat der Stadt nicht beachtet wurde. Aus dieser Eingabe geht die
Stellungnahme der Kirchenvertreter zu diesem Fall klar hervor: Es wird auf die
Bedeutung der Garnisonkirche als Kirchengebäude und als Baudenkmal hingewiesen
und der Rat der Stadt dringend ersucht, die unbegründete baupolizeiliche Sperrung
des Geländes aufzuheben, die Heilig-Kreuz-Kapelle wieder für den Gottesdienstgebrauch freizugeben und die Restaurierungsarbeiten am Gebäude fortzusetzen.
2.8. Die Garnisonkirche sei an ihrer eigenen Geschichte zugrundegegangen.
Wenn die Bomben von Hiroshima und Nagasaki – vielleicht in noch größerer Zahl –
auf Deutschland gefallen wären, könnte man das gleiche auch vom deutschen Volk
sagen.
Die Garnisonkirche ist ebenso Opfer der Hitler-Barbarei geworden wie das deutsche
Volk und seine Nachbarvölker. So wie ein großer Teil des deutschen Volkes das
Inferno schuldhaft überlebt hat, könnte man es auch von den festen Mauern der
ehemaligen Garnisonkirche sagen; doch die Schuld tragen allein die Menschen, die
dieses Bauwerk mißbraucht und der Gefahr der Zerstörung ausgesetzt haben.
Wer von der älteren Generation kann denn von sich sagen, daß er in der Zeit von
1933 bis 1945 keine Schuld auf sich geladen habe? Solche Schuld kann man nicht
auf einen dinglichen Gegenstand übertragen und wohl gar ein architektonisch
wertvolles Kulturdenkmal stellvertretend als Sündenbock dafür bestrafen. Der
Usurpator Hitler hat sich noch weit mehr Opfer als nur die Garnisonkirche
ausgesucht. Beispielsweise mißbrauchte er auch den Kampftag der Werktätigen, den
1. Mai, für seine verbrecherischen Ziele. Niemand denkt daran, aus Gründen dieses
Mißbrauchs den 1. Mai als Kampftag der Werktätigen nicht mehr zu feiern.
Einen Geist, den sogenannten „Potsdamer Geist“, kann man nicht durch Sprengung
eines Gebäudes beseitigen. Das ist vor allem p s y c h o l o g i s c h f a l s c h .
Einen. solchen „Geist“ muß man von innen her in sein Gegenteil verkehren.
In dieser Weise ist man sehr klug mit der „Alten Wache“ Unter den Linden in Berlin
verfahren.
Die ehemalige Garnisonkirche sollte Stätte bewußter
Pflege humanistischen deutschen Kulturgutes werden
und damit Zeugnis ablegen von einem besseren
Deutschland, einer progressiven sozialistischen
M e n s c h e n g e m e i n s c h a f t , i n d e r a l l e S c h i c h t e n des V o l k e s
zu einem Ziel vereinigt sind.
Mit vorzüglicher Hochachtung – Ihr
gez. Ewald Gerth
Abschrift
NDPD
NATIONAL-DEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS
Mitglied des Parteivorstandes und Sekretär des Hauptausschusses
108 Berlin Friedrichstraße 65
Sammelnummer 200441
Berlin, den 15. Mai 1968
-Tgb. Nr. 284 -
Herrn.
Dr. Ewald G e r t h
15 Potsdam
Prof.-Ludschuweit-Allee 10
Lieber Parteifreund Dr. Gerth!
Ihre an den Vorsitzenden unserer Partei, Parteifreund Dr. Bolz, gerichteten Schreiben
vom 10. und 11. Mai 1968 sind hier eingegangen. Mit der Beantwortung wurde ich
beauftragt.
Sie erhalten weitere Nachricht.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Foerster