„Frofi Black to Blue“ - Mats Ek verabschiedet sich

„From Black to Blue“ - Mats Ek verabschiedet sich
„From Black to Blue“ - Mats Ek verabschiedet sich
Der schwedische Choreograf verabschiedet sich in Paris von der Bühne
Veröffentlicht am 08.01.2016, von Boris Michael Gruhl
Paris - Mats Ek, der aus einer Künstlerfamilie stammt, die Mutter Birgit Cullberg gründete das nach ihr benannte Ballett und
etablierte den modernen Tanz in Schweden, später wird er diese Kompanie selbst leiten, begann seine Laufbahn als Tänzer erst
im Alter von 24 Jahren. Als Gruppentänzer lernte er in Düsseldorf im Ballett der Deutschen Oper am Rhein das klassische
Repertoire kennen um daraufhin beim Nederlands Dans Theater andere Möglichkeiten und Techniken des Tanzes zu entdecken.
Zunächst wollte er wie der Vater, ein Schauspielregisseur, zum Theater. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften hat er mit
Ingmar Bergmann und Alf Sjöberg gearbeitet. So will er auch inszenieren, psychologisch wie Bergmann, bildkräftig wie Sjöberg.
Zum Glück für die Tanzwelt ist er dann Choreograf geworden und setzte diese Impulse in Bewegung um.
Einen Namen machte er sich, wenn auch nicht unumstritten, mit seinen Sichten auf die ‚Klassiker’ des Balletts. In seiner „Giselle“
von 1982 verlegt er das romantische Geisterreich in die Härte einer psychiatrischen Klinik. Sein „Dornröschen“, 1996 in
Hamburg, spielt nicht in einer Märchenwelt, sondern in der knallharten Drogenszene, Menschen hängen an der Nadel, flüchten
in den Schlaf des Vergessens. Aus „Romeo und Julia“ wird in seinem letzten großen Handlungsballett „Julia & Romeo“, in dem er
zeigt wie Menschen unverschuldet auf der Strecke bleiben, wie junge Menschen dem Untergang geweiht sind und Julia sich zu
Tode tanzt.
Parallel zu seinen Handlungsballetten setzte er sich immer wieder mit den Herausforderungen des getanzten Kammerspiels
auseinander und schafft zutiefst berührende Werke, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht, oftmals einsam, nackt und bloß. Eks
Menschen sind rätselhaft und verstörend, dabei aber auch tragikomisch. Man denkt an Georg Büchners Dramenfragment
„Woyzeck“: „Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht". Eigentlich ist ein Choreograf wie Mats
Ek der Welt noch dieses Tanzdrama nach Büchner schuldig.
Für den Pariser Abschiedsabend hat er drei Stücke gewählt, in denen seine tanzenden Menschen nicht selten an die Ränder
existenzieller Abgründe geraten.
Der Abend beginnt mit „She was Black“ zu Musik von Henryk M. Gorecki und traditionellen mongolische Gesängen. Mats Ek
wollte wissen, wie Gott aussieht, er habe es gesehen, „She was Black“. Dieses schwarze Wesen, ‚Die Gott’ ist zunächst fast
unsichtbar und so kann es passieren, dass ein Tänzer darüber stolpert bei den so absurden wie komischen Versuchen in Pas de
deux's zueinander zu kommen, solistisch, Frauen oder Männer, in wilden Gruppen mit einem rätselhaft clownesken Mann in
Spitzenschuhen, an einem Tisch, der für niemanden zum Ruheplatz wird, und auf einer Treppe, die ins dunkle Nichts führt.
Man kann an Platos Gleichnis von den Kugelmenschen denken, die zertrennt wurden und nun auf ihrer Lebensreise versuchen ihre
andere Hälfte zu finden. Ein Stück, bei dem es immer wieder neue Varianten zu entdecken gibt und in dem die Hauptthemen des
psychologisch denkenden, mit so sinnlicher wie verstörender Bildhaftigkeit arbeitenden Choreografen Mats Ek von ungebrochener
Präsenz sind. Ek schätzt die Dresdner Einstudierung und war im Dezember noch mal dort und hat mit den Tänzern gearbeitet. Die
Dresdner werden in Paris bejubelt. Die elf Tänzerinnen und Tänzer können vor allem mit ihrer grandiosen Technik, ihrer kraftvollen
Präsenz sowie ihrer jeweils so faszinierenden, individuellen Ausstrahlung überzeugen.
Im zweiten Teil des Abends zwei intimere Stücke, die sich aber in spannenden Korrespondenzen zum ersten, opulenteren Stück
bestens fügen.
„Solo for 2“, an sich ein Widerspruch, aber es ist ein Grundthema von Mats Ek, die verflixte Einsamkeit zu zweit, hier zur
meditativen Musik von Arvo Pärt, mit dem charismatische Tänzer Oscar Salmonsson und der großartige Dorothée Delabi, in der
für Sylvie Guillem und Niklas Ek, den Bruder des Choreografen, kreierten Choreografie. Das Alleinsein, die Versuche zueinander
zu kommen, das geht bis zur vergeblichen, momentanen Nacktheit, doch auch da wackelt nur die Kulisse, und da ist wieder jene
Treppe, die ins Nichts führt. Es kommt zum Kleider- und Identitätstausch und endet doch wo es begann, auch kein angedeuteter
Walzer hilft.
Dann wird die Bühne abgeräumt, und „Hâche“ (Axt) vollzieht sich vor den nackten Brandmauern. Ein gnadenloses Ambiente. Jetzt
die Varianten der Einsamkeit des Alters, das ist berührend mit den Tänzern Yvan Auzely und Ana Laguna und vor allem mit dem
Adagio in g-Moll von Tomaso Albinoni.
„Axt“ ist wörtlich zu verstehen. Als gelte es Vorrat zu schaffen für einen langen Winter, hackt der Tänzer Holzscheite, dieweil die
Tänzerin uns noch einmal in den Bann der Bewegungsvarianten von Mats Ek zieht, jenes Hüpfen mit den angewinkelten Armen
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„From Black to Blue“ - Mats Ek verabschiedet sich
wie gebrochene Flügel, die flatternd hoch erhobenen Hände, das sind die Essenzen, das ist so eine wunderbare Konzentration
der Zurücknahme, das sind Erinnerungen ohne Wehmut und starke Bilder: kann man einen Holzscheit, ja gar eine Axt, zärtlich im
Arm halten wie ein Kind? Man kann, das zeigt die 60jährige Ana Laguna, Eks Frau und Muse. Der 54jährige Yvan Auzely nimmt
für Momente die bewegenden Korrespondenzen der Zärtlichkeit des Alters auf. Am Ende lässt er sich mit Holzscheiten beladen.
Beide gehen ab, doch noch ein Anflug versöhnter Hoffnung? Das Holz reicht, das Feuer muss nicht ausgehen, aber die Axt hat
erst mal ausgedient.
Und da hat man noch einmal den leisen, subtilen Humor des Choreografen, der seine Figuren, selbst wenn sie nackt sind, wie in
„Solo for 2“, nicht aus- oder gar bloßstellt. Vielmehr stellt er sich zu ihnen, im entscheidenden Moment auch vor sie.
Was wird bleiben? Mats Ek selbst sagt ganz bescheiden, seine Werke werden zu sehen sein, so lange die Verträge laufen.
Nach diesem Abend kann man nur hoffen, dass die Verträge noch lange laufen.
"She was black"; Elena Vostrotina
© Costin Radu
"Hâche"; Ana Laguna und Yvan Auzely
© Leslie Spinks
Dorothée Delabie und Oscar
Salomonsson, Schlusssapplaus im
Theatre des Champs Élysées
© Jean Philippe Raibaud
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