Folge 1

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SERIE: DER VATIKAN – FOLGE 1
Nr. 27 || 5. 7. 2015
Der Sonntag
Ein historischer Brennpunkt
VAT I K A N
KOMPAKT
TEIL 01
EINE SERIE VON FRANZ HASENHÜTL
DER VATIKAN
Was ist überhaupt der Vatikan?
Diese einfach erscheinende
Frage ist nicht einmal so leicht
zu beantworten.
I
n den Medien ist immer wieder von ihm
die Rede: „Der Vatikan öffnet sich“, heißt
es vielleicht, oder: „Im Vatikan ticken die
Uhren anders.“ Was aber ist mit dem „Vatikan“ gemeint? Meint man mit „Vatikan“ nun
den Vatikanstaat, die römische Kurie, den
Heiligen Stuhl oder einfach den Papst? Eine
Antwort könnte aber lauten: Beim Vatikan
handelt es sich um einen Hügel aus Tuffstein,
der im Laufe der Jahrhunderte teilweise abgetragen und planiert wurde und heute an
seiner höchsten Erhebung 75 Meter misst.
Grabstätte des Petrus
Das Gebiet auf der rechten Seite des Flusses
Tiber rund um diesen Hügel wurde in der
Antike als „ager Vaticanus“ bezeichnet und
war bei den Römern berüchtigt aufgrund
seines sumpfigen Bodens, der nur schlechten Wein hervorbrachte. Hier, außerhalb der
Stadt, gab es Kultstätten für Gottheiten aus
dem Osten und ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert eine Arena. Unter Kaiser
Nero (54–68) soll in dieser der hl. Petrus das
Martyrium erlitten haben. Über einem Monument, das seit Mitte des 2. Jahrhunderts
als Ort des Petrusgrabes galt, ließ Kaiser
Konstantin (306–337) eine Kirche errichten.
▶ Am 12. Juli lesen Sie:
Der Vatikan – ein Steckbrief.
Wie funktioniert das Machtzentrum der
katholischen Kirche im 21. Jahrhundert?
Fotolia
IM AUF UND AB DER GESCHICHTE
Der Vatikan – und in seiner Mitte der Petersdom – ist bis heute faszinierendes Zentrum der
Weltkirche und Schauplatz wichtiger kirchenpolitischer Ereignisse.
Sitz der Päpste ab dem 15. Jahrhundert
Die Päpste hatten bis ins 14. Jh. ihren Sitz
jedoch im Lateranpalast neben der Basilika San Giovanni. Diese von Konstantin erbaute Kirche gilt bis heute als „Mutter und
Haupt“ aller Kirchen. Erst im 15. Jh. erfolgte die Verlegung der Papstresidenz auf den
Vatikanhügel. Ausschlaggebend hierfür war
die Nähe zum Grab des Apostelfürsten Petrus.
Geistliches und weltliches Zentrum
Wenn auch der politische Einfluss des Papstes im Laufe der Jahrhunderte zurückging, so
blieb er doch Regent seines Kirchenstaates,
der weite Gebiete Italiens umfasste. Unter
Napoleon aber schien die letzte Stunde des
Kirchenstaates zu schlagen: Er wurde aufgehoben, und mit Pius VI. starb 1799 sogar
ein Papst in französischer Gefangenschaft.
Nach der Wiederherstellung der alten Ordnung in Europa durch den Wiener Kongress
(1815) trat ein neues Gegengewicht auf. Die
italienische Einheitsbewegung gefährdete die Unabhängigkeit des Kirchenstaates.
Im Jahr 1870 wurde der Papst letztendlich
entmachtet. Dies beendete die Ära des Kirchenstaates nach mehr als 1000 Jahren. In
der Folge blieb der Status der Vatikanstadt
knapp 60 Jahre ungeklärt. Diese offene „römische Frage“ wurde erst in den sogenannten Lateranverträgen gelöst. Man errichtete
den Staat der Vatikanstadt als unabhängiges, eigenständiges politisches Gebilde und
setzte die heutigen Grenzen fest. Bis heute
ist dieser Kleinstaat Schauplatz wichtiger
kirchenpolitischer Ereignisse.
Der Autor
MMag. Dr.
Franz Hasenhütl
ist Experte für
Kirchenrecht und
Lehrer für Religion und Latein am
Akademischen
Gymnasium in
Graz. Foto:Neuhold
Die Begeisterung für Rom infizierte den in
St. Ruprecht/Raab aufgewachsenen Franz
Hasenhütl bereits im Lateinunterricht
im Bischöflichen Gymnasium. Seit dem
Studium ist der Latein- und Religionslehrer
wenigstens einmal im Jahr in Rom.
Eine Imageverbesserung des Kirchenrechtes
wünscht sich der promovierte Kirchenrechtler. Für Hasenhütl will das Recht
nicht unterdrücken, sondern dem Leben in
Gemeinschaft (der Kirche) dienen, und er
betont immer den Rechtsgrundsatz des Kirchenrechts „salus animarum suprema lex“
– „das Seelenheil ist das oberste Gesetz“.
Als nicht so „geheim“, wie oft angenommen,
empfindet er den Vatikan: „Hier erlebt man
Weltkirche, Sorgen, Nöte, aber auch Freuden
von KatholikInnen weltweit. Die Kirche in
Österreich und Westeuropa ist nicht Nabel
der Welt. Es fasziniert, über den eigenen Tellerrand zu schauen und zu sehen, wie Kirche
anderswo gelebt wird.
Der Sonntag
15. Juni 2014
5. 7. 2015 || Nr. 27 INFOGRAFIK
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GESCHICHTE DES VATIKANS
BEDEUTENDE ETAPPEN
64
Text: Franz Hasenhütl, Redaktion/Gestaltung: Sonntagsblatt, Bilder: wmc.
324
Brand Roms. Unter Kaiser Nero (54–68) kommt es in Rom zu massiven Christenverfolgungen. Petrus wurde zwischen 64 und 67 mit dem Kopf nach unten
gekreuzigt. Sein Grab wird seit dem 2. Jh. am Fuß des vatikanischen Hügels
verehrt.
Seit der Mailänder Vereinbarung 313 dürfen die Christen ihre Religion im
Römischen Reich frei ausüben. Kaiser Konstantin (306–337), der das Christentum fördert, beginnt mit dem Bau einer großen Basilika über dem Ort,
an dem das Grab des Petrus verehrt wurde. Alt-St. Peter stand bis zum Neubau ab 1506.
476
Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches (476) entsteht im Gebiet des
heutigen Italien ein Machtvakuum, das die römischen Bischöfe – ab dem 4. Jh.
bezeichnen sie sich selbst als Päpste – nützen können.
754
754 verspricht der Karolingerherrscher Pippin, nach der Unterwerfung der
Langobarden dem Papst die eroberten Gebiete zu übereignen. Diese
Schenkung gilt als Grundlage des Kirchenstaates, der bis 1870 existierte.
9. Jh.
Unter dem Eindruck der Sarazeneneinfälle veranlasst Papst Leo IV. (847–855)
die Befestigung der Petersbasilika und deren Umfeld durch Wehranlagen.
Diese so genannte „leoninische Mauer“ umgibt die „Leostadt“.
13. Jh.
Unter Innozenz III. (1198–1216) steht die Kirche auf dem Höhepunkt ihrer
weltlichen Macht. Der Papst – laut eigener Definition „geringer als Gott, aber
größer als der Mensch“ – beherrscht beinahe das gesamte christliche Abendland.
1377
Nach wichtigen kirchenpolitischen Ereignissen (etwa: Schisma zwischen
West- und Ostkirche im Jahre 1054, Investiturstreit im 11. Jh.) kommt es
1309 zu einem Einschnitt in der Geschichte des Kirchenstaates. Die Päpste
verlegen unter Einfluss des französischen Königs ihre Residenz nach Avignon. Erst Gregor XI. (1370–1378) kehrt 1377 nach Rom zurück.
15. Jh.
Nach dem abendländischen Schisma (1378–1417), das zeitweise drei gleichzeitig amtierende Päpste kannte, entsteht eine neue Papstresidenz, die
das nun wieder erstarkte Selbstbewusstsein des Papsttums ausdrücken
soll. Der Amtssitz wird vom Lateran auf den Vatikanhügel verlegt. Die alte
„Leostadt“ wird zum Zentrum des Kirchenstaates ausgebaut. Noch vor dem
Neubau des Petersdoms (1506–1626) wurde die Sixtinische Kapelle errichtet.
19. Jh.
1929
Napoleon nimmt die Päpste Pius VI. und nach dessen Tod auch Pius VII. gefangen.
Erst nach dem Fall Napoleons und dem Wiener Kongress (1815) ist der Kirchenstaat wiederhergestellt.
Giuseppe Garibaldi und italienische Truppen erobern und besetzen den Kirchenstaat. 1871 wird Rom zur neuen Hauptstadt Italiens. Papst Pius IX. wird politisch
entmachtet.
Die sogenannten Lateranverträge zwischen dem Hl. Stuhl und dem Königreich
Italien garantieren die Eigenständigkeit des Vatikans. Die Unterzeichnung
am 11. Februar 1929 gilt als „Geburtstag“ des Staates der Vatikanstadt.
Kreuzigung des Petrus, Filippino
Lippi, 15. Jh.
Grundriss des Petersdomes. Die
Grundmauern von Alt-St. Peter
sind dunkel eingezeichnet.
Gezeichnet um 1506.
Innozenz III. (1198–1216).
In der langen Geschichte des
Vatikans vermischen sich Themen
der Kirchen- und Papstgeschichte
sowie Aspekte der Politik und
Kultur der jeweiligen Zeit. Jeder
dieser Bereiche hatte auch Auswirkungen auf die anderen und
beeinflusste sie.