Altersdiskriminierung - Bauindustrieverband Hamburg Schleswig

ARBEITS-, SOZIAL- UND TARIFRECHT
A 020/2016 vom 25.02.2016
Kündigung im Kleinbetrieb - Altersdiskriminierung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 23. Juli 2015
(6 AZR 457/14) eine Kündigung in einem Kleinbetrieb, auf den das
Kündigungsschutzgesetz (KSchG) keine Anwendung findet, wegen
einer gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Altersdiskriminierung für unwirksam erklärt.
Nach § 7 Abs. 1 Hs. 1 AGG dürfen Beschäftige nicht wegen eines in
§ 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Hierzu gehört
auch das Lebensalter. Das Benachteiligungsverbot bezieht sich auf
unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen.
Nach § 22 Hs. 1 AGG genügt eine Person, die sich wegen eines der
in § 1 AGG genannten Gründe für benachteiligt hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt und ggf. beweist, die diese
Benachteiligung vermuten lassen.
Daneben gilt, dass eine Kündigung in einem sog. Kleinbetrieb
(= mehr als 10,0 Arbeitnehmer) nicht nach dem KSchG auf ihre
Wirksamkeit zu prüfen ist.
Daraus ergeben sich folgende Fragen:
• Kann die Erwähnung der „Pensionsberechtigung“ in einer
Kündigungserklärung eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters gemäß § 22 AGG vermuten lassen?
• Wie kann eine etwaige Vermutung der Altersdiskriminierung
durch den Arbeitgeber widerlegt werden?
• Kann eine „altersdiskriminierende“ Kündigung im Kleinbetrieb, für den der allgemeine Kündigungsschutz nicht greift,
zur Unwirksamkeit der Kündigung führen?
Die in einem Kleinbetrieb beschäftigte Klägerin erhielt folgendes
Kündigungsschreiben:
„Inzwischen bist Du pensionsberechtigt und auch für uns beginnt
ein neuer Lebensabschnitt in der Praxis. Im kommenden Jahr kommen große Veränderungen im Laborbereich auf uns zu. Dies erfor-
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-2dert eine Umstrukturierung unserer Praxis. Wir kündigen deshalb
das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung
der vertraglichen Frist."
Die Beklagte stellte sodann eine 35-jährige Krankenschwester ein.
Die Klägerin, die insbesondere darauf hinweist, dass der jüngeren
und nicht rentennahen Frau K. nicht gekündigt worden sei, beantragt die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund
Altersdiskriminierung sowie eine Entschädigung wegen Diskriminierung in Höhe eines Bruttojahresgehalts von 20.436,00 €.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung stehe in keinem Zusammenhang mit dem Alter. Mit dem Kündigungsschreiben sei lediglich der Versuch unternommen, die betrieblich notwendige Kündigung freundlich und verbindlich zu formulieren.
Die Kündigung ist wegen Altersdiskriminierung unwirksam. Ob und
ggf. in welcher Höhe ein Anspruch der Klägerin auf Entschädigung
gegeben ist, muss die Vorinstanz entscheiden.
Das Arbeitsverhältnis unterfällt nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf
den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist aber gemäß § 134 BGB i. V. m. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. Dabei
ist es unerheblich, ob es sich um eine Kündigung während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG oder einen Kleinbetrieb handelt.
Nach § 22 Abs. 1 AGG genügt eine Person, die sich wegen eines
der in § 1 AGG genannten Gründe für benachteiligt hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vorträgt und ggf. beweist, die diese
Benachteiligung vermuten lassen. Dies gilt auch bei einer möglichen Benachteiligung durch eine ordentliche Kündigung, die nicht
den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes genügen muss.
Der Hinweis auf die „Pensionsberechtigung“ der Klägerin im Kündigungsschreiben lässt gemäß § 22 AGG eine Altersdiskriminierung
vermuten.
Wird ein Arbeitnehmer wegen der Möglichkeit des Bezugs einer
Rente wegen Alters weniger günstig behandelt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation, liegt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Lebensalters i. S. von § 3 Abs. 1 Satz 1
AGG vor.
Das Kündigungsschreiben führt an, die Klägerin sei „inzwischen
pensionsberechtigt“. Es wird damit das Alter der Klägerin in Bezug
genommen, denn mit dieser Formulierung wird offensichtlich auf die
-3- zumindest in absehbarer Zeit - bestehende Möglichkeit der Beanspruchung einer gesetzlicher Altersrente hingewiesen.
Die Vermutung einer Altersdiskriminierung hat die Beklagte nicht
widerlegt. Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Es gilt § 285 Abs. 1
Satz 1 ZPO, allerdings mit dem Beweismaß des sog. Vollbeweises.
Bei einer wegen des Alters vermuteten Benachteiligung ist die Darlegung und ggf. der Beweis von Tatsachen erforderlich, aus denen
sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben, und
dass in dem Motivbündel das Alter keine Rolle gespielt hat.
Die zu vermutende unterschiedliche Behandlung der Klägerin wegen des Alters ist nicht nach § 10 AGG zulässig.
Derjenige, der sich auf die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters nach § 10 Satz 1 AGG beruft, trägt die
Darlegungs- und Beweislast bezüglich des Vorliegens eines legitimen Ziels im Sinne der Vorschrift. Dieser Darlegungslast hat die
Beklagte nicht genügt.
Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit eines (zeitnahen) Rentenbezuges auch nicht nach § 10 Satz 3 Nr. 5 und 6 AGG als generell zulässiges Differenzierungskriterium angesehen. § 10 Satz 3 Nr. 5
AGG gilt gerade nicht für Kündigungen.
Auch eine Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderung i. S. des
§ 8 Abs. 1 AGG hat die Beklagte nicht vorgetragen.
Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin der geltend gemachte
Entschädigungsanspruch zusteht, ist durch die Vorinstanz zu entscheiden. Die Bemessung des Entschädigungsanspruchs ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass grundsätzlich auch bei der
Kündigungserklärung mit Blick auf das AGG Vorsicht geboten ist.
Grundsätzlich bedarf die Kündigung keiner Begründung. Erst recht
sollten alle Hinweise vermieden werden, die auf ein Benachteiligungsmerkmal schließen lassen können. Anderenfalls greift zu Lasten des Arbeitgebers die Vermutung einer Benachteiligung. Für die
Widerlegung der Vermutung ist die Darlegung und ggf. der Vollbeweis von Tatsachen erforderlich, aus denen sich ergibt, dass es
ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der Kündigung geführt haben.
-4Die Entscheidung zeigt zudem nochmals, dass eine i. S. des AGG
diskriminierende Kündigung im Kleinbetrieb (außerhalb des Anwendungsbereichs des allgemeinen Kündigungsschutzes) unwirksam
ist.