Sachverhalt der Klausur v. 11.11.2015

Prof. Dr. Henning Tappe
Universität Trier
Klausurenkurs im Wintersemester 2015/16
Klausur vom 11.11.2015
Rückgabe am 11.12.2015, 14-16 Uhr, HS 4
Teil 1:
Am 7. November 2015 um 15:00 Uhr fand in Trier eine der zuständigen Behörde angezeigte, nicht
verbotene Demonstration der NPD („Gegen Asylmissbrauch“) statt. Der Polizei lagen Erkenntnisse
verschiedener Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder vor, wonach zumindest in
einem Bus aus Mainz die einschlägig polizeilich in Erscheinung getretenen Mitglieder des „Anarchistischen Aktions-Bündnisses“ (AAB) anreisen würden, die als linksextremistisch und gewaltbereit gelten. Das AAB hatte im Internet unter anderem dafür geworben, die Demonstration notfalls
mit massiver Gewalt gegen Polizeibeamte verhindern und gegenüber anreisenden NPD-Anhängern
im Trierer Hauptbahnhof gewalttätig werden zu wollen. Die rheinland-pfälzische Polizei hatte, unterstützt von anderen Bundesländern, in einem weiten Umkreis um den Versammlungsort Kontrollstellen eingerichtet.
Am Demonstrationstag gegen 8:15 Uhr wurde am Autobahnkreuz Landstuhl-West ein Reisebus aus
Mainz von der Polizei auf einen nahen Autobahnparkplatz geleitet. Der Fahrer gab an, mit 60 Demonstranten zur NPD-Demonstration nach Trier zu fahren. Die bereitstehenden Polizeikräfte begaben sich in die Busse, führten die Reisenden einzeln aus dem Bus und durchsuchten sie anschließend am ganzen Körper. Sodann wurden die Personalien aufgenommen und eine Abfrage an die
Einsatzzentrale durchgeführt. Die Abfragen ergaben, dass sich in dem Bus keine Personen befanden, über die polizeiliche Erkenntnisse vorlagen. Die Reisenden konnten nach Abschluss der Maßnahmen gegen 9:30 Uhr ihre Fahrt fortsetzen.
Trotz Versuchen einzelner Gruppen, den Beginn der Demonstration am Hauptbahnhof zu verhindern, startete der Demonstrationszug planmäßig gegen 15:00 Uhr. Nach etwa 20 Minuten störten
die ersten Gegendemonstranten die Demonstration, indem sie einzelne Gegenstände wie Flaschen
etc. in die Menge der Demonstrationsteilnehmer warfen. Daraufhin versuchten einige NPDMitglieder den von Polizeibeamten gesicherten Demonstrationszug in Richtung der Gegendemonstranten zu verlassen. Die Polizei forderte daraufhin die NPD-Anhänger und die Gegendemonstranten
auf, die Störungen sofort zu unterlassen, da ansonsten die Versammlung aufgelöst werde.
Am Rande des Demonstrationszuges kam es zwischen einer sich zuvor friedlich verhaltenden kleinen Gruppe von Gegendemonstranten und etwa 4-6 Polizeibeamten zu einer verbalen Auseinander1
setzung, weil sich die Beamten wegen nicht mehr zu ermittelnder Tatsachen provoziert fühlten.
Diese Auseinandersetzung filmte der unbeteiligte Bürger B mit seiner Videokamera. Im weiteren
Verlauf der Auseinandersetzung beabsichtigten die Beamten, die Personalien der Gruppe aufzunehmen. Da sie der Aufforderung zunächst nicht nachkamen, kam es zu einer Rangelei, in deren
Verlauf der Polizeibeamte P den Demonstranten D unvermittelt mit der Faust ins Gesicht schlug.
Als die Beamten bemerkten, dass B die Situation gefilmt hatte, stellten sie seine Videokamera samt
Videokassette sicher.
Währenddessen wurden die Störungen der Versammlung immer intensiver, wobei Polizeibeamte
sowohl von NPD-Anhängern als auch von den Gegendemonstranten mit Steinen beworfen und verletzt wurden und nunmehr zahlreiche kleine Gruppen versuchten, unmittelbar zu dem Demonstrationszug zu gelangen. Da auch NPD-Anhänger nun immer wieder versuchten, in Richtung der Gegendemonstranten zu gelangen, löste die Polizei die Versammlung schließlich auf.
Nach der Auflösung kam es in einer Seitenstraße (Sackgasse), die von dem Demonstrationsweg
einmündete, zwischen Polizeibeamten und Rechtsextremisten zu heftigen gewalttätigen Auseinandersetzungen. Um die Lage unter Kontrolle zu bekommen, orderte die Einsatzleitung der Polizei
weitere Polizeikräfte zu der Sackgasse. Allerdings verhinderten einige NPD-Anhänger die Zuführung weiterer Polizeikräfte, weil sie sich nach der Versammlungsauflösung noch auf dem Demonstrationsweg im Einmündungsbereich zu der Sackgasse befanden. Die Polizei forderte sie mittels
Lautsprecher auf, umgehend den Platz zu räumen, und drohte unter Bestimmung einer Frist den
Einsatz von Wasserwerfern an. Zunächst ließen sie sich von den Einsatzkräften zurückdrängen,
doch nach etwa 10 Meter setzten sich alle Teilnehmer auf die Straße, so dass keine Einsatzfahrzeuge die Straße passieren konnten.
Nach erneuter Aufforderung und Androhung erfolgte sodann der Einsatz von Wasserwerfern gegen
die Teilnehmer der Sitzblockade, weil die Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten in der
Sackgasse noch andauerte und die Kräfte vor Ort die Situation nicht unter Kontrolle bekamen. Der
Einsatz der Wasserwerfer geschah in Intervallen, wobei allmählich der Druck von 8 bar bis auf etwa
13 bar bei einem Abstand von etwa 15 Meter erhöht wurde. Einige Teilnehmer der Blockade wurden von den Wasserstößen getroffen und erlitten Hämatome am Körper und zum Teil Rippenfrakturen. Durch diesen Einsatz konnte der Einmündungsbereich geräumt und weitere Polizeikräfte zur
Unterstützung zugeführt werden.
Waren die Maßnahmen der Polizei materiell rechtmäßig?
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Teil 2:
Am 1. März 2015 meldet NPD-Funktionär A bei der zuständigen Behörde (B) in der rheinlandpfälzischen Stadt W eine Versammlung zum Gedenken an Rudolf Hess mit dem Motto „Seine Ehre
galt ihm mehr als die Freiheit“ für den 17. August 2015 an.
Geplant ist laut der Anmeldung des A, wie bereits in den Vorjahren, ein Schweigemarsch mit Trauerfahnen durch die Innenstadt von W sowie anschließende Ansprachen und verschiedene Musikdarbietungen auf dem in der Innenstadt gelegenen Festplatz von W. Am 2. Mai 2015 erhält A die
Mitteilung der B, das beabsichtigt sei, die von A angemeldete Veranstaltung zu verbieten, da bei
Durchführung der Veranstaltung Straftaten i.S.v. § 130 Abs. 4 StGB zu erwarten wären.
Als A auf die Mitteilung der B nicht reagiert, verbietet B am 29. Juni 2015 die Versammlung und
ordnet die sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung an. Gleichzeitig wird für den 17. August
2015 jede Art der Ersatzveranstaltung sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen im
Stadtgebiet von W verboten. In der Begründung heißt es, dass aufgrund der Erfahrung mit gleichartigen Veranstaltungen in den Vorjahren davon ausgegangen werden müsse, dass in Rahmen der
Veranstaltung zumindest eine Billigung, wenn nicht sogar eine Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft stattfinde.
1. Ist das Verbot rechtmäßig?
2. Was kann A gegen das Verbot tun?
§ 130 StGB:
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder
gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass
aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen
wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich
macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
[…]
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus
begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.
(5) Absatz 2 Nummer 1 und 3 gilt auch für eine Schrift (§ 11 Absatz 3) des in den Absätzen 3 und 4 bezeichneten Inhalts. Nach
Absatz 2 Nummer 2 wird auch bestraft, wer einen in den Absätzen 3 und 4 bezeichneten Inhalt mittels Rundfunk oder Telemedien
einer Person unter achtzehn Jahren oder der Öffentlichkeit zugänglich macht.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Nummer 1 und 2, auch in Verbindung mit Absatz 5, ist der Versuch strafbar.
(7) In den Fällen des Absatzes 2, auch in Verbindung mit Absatz 5, und in den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt § 86 Abs. 3 entsprechend.
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