3919 Kolumbien Fussballfans gegen Gewalt Fussball ist weltweit beliebt und für viele mehr als nur ein Spiel oder Sport: Fussball ist verknüpft mit Emotionen, Symbolen und Ritualen. Für viele Jugendliche in Kolumbien ist ihre Fussballmannschaft wie eine Familie, mit der sie sich identifizieren und für die sie einstehen – wenn nötig mit Gewalt. Mit dem Projekt Fussballfans gegen Gewalt wird jugendlichen Fussballfans aufgezeigt, dass die Treue zur eigenen Mannschaft nicht durch den Hass auf die Fans anderer Mannschaften und die Gewalt gegen sie definiert wird. In Kolumbien haben in den letzten Jahren gewalttätige Auseinandersetzungen rund um Fussballspiele stark zugenommen. Die Anwendung von Gewalt als einzige Problemlösungsstrategie ist unter anderem auf den bewaffneten Konflikt zurückzuführen, der seit über 50 Jahren anhält. Die zerstörten Familienstrukturen, die hohe Arbeitslosigkeit, Frustration und fehlende Perspektiven haben zur Folge, dass sich kolumbianische Jugendliche andere Identifikationsmodelle suchen, zum Beispiel einen Fussballfanklub. Wegen der Querverbindungen zwischen dem Lokalpatriotismus der Fussballklubs und den bewaffneten Gruppierungen hat auch die Waffengewalt Einzug in den Sport gehalten. Junge Fussballfans werden in Kolumbien grundsätzlich als gewalttätig wahrgenommen. In Workshops haben die jungen Fussballfans die Möglichkeit, ihre Situation zu reflektieren und zu diskutieren. Foto: Joachim Jung Gewaltfreie Fussballkultur Unsere Partnerorganisation FJMBN setzt sich aus jungen FJMBN bildet in den Fanklubs Freiwillige zu Mediatorin- Fussballfans zusammen, die sich für Gewaltprävention nen und Mediatoren aus, die in brenzligen Situationen in und rund um Fussballstadien engagieren. Sie arbei- eingreifen. Diese geben ihr Wissen an rund 800 Jugendli- ten daran, die Fussballfanklubs für ein Friedensabkom- che in den Fanklubs weiter, um der Gewalt in den Stadien men zu gewinnen, das ihre Fans zu einem respektvollen Einhalt zu gebieten. Es wurde auch ein «Gastgeber-Pro- und gewaltfreien Umgang an den Fussballspielen ver- gramm» entwickelt, welches die Verhaltensregeln der pflichtet. 26 Fanklubs aus den verschiedensten Städten Fans bei Fussballspielen festlegt. Kolumbiens haben das Friedensabkommen bereits unter- Um die Ziele der Stiftung bekannt zu machen und für schrieben. Mit Hilfe von Flyern, ihrer Website oder ihres den gewaltfreien Fussball zu werben, finden regelmäs- Radiokanals erinnern die Fanklubs ihre Anhänger immer sig öffentliche Kampagnen und Veranstaltungen statt. wieder daran, dass Gewalt im Stadion nichts verloren hat. In Workshops diskutieren die Fussballfans gemeinsam mit der Polizei, wie die Gewalt bei Fussballspielen einge- Nationale Bekanntheit dämmt werden kann. Die Fussballfans arbeiten auch in ihren Stadtteilen und organisieren unter anderem Quar- Die Organisation hat bereits viel erreicht: 26 Fussballfan- tierfeste mit Musik und Putzaktionen. Dadurch wollen sie klubs aus ganz Kolumbien haben sich dem Projekt ange- zeigen, dass sie als Fussballfans nicht an Randalen, son- schlossen und einen Friedenspakt unterschrieben. Die dern an einem guten und nachbarschaftlichen Zusam- Arbeit von FJMBN stösst in der Öffentlichkeit auf grosses menleben in ihren Stadtteilen interessiert sind. Interesse, sogar der nationale Fernsehsender berichtete Mit Kommunikation gegen Gewalt von der Organisation. Auch die Stadtverwaltung von Bogotá erkennt inzwischen die Wichtigkeit der Arbeit und hat einige Veranstaltungen und Informationskampa- Kommunikation spielt eine zentrale Rolle in der Arbeit gnen in der Hauptstadt finanziert. von FJMBN. Die Mitarbeitenden laden jugendliche Fussballfans zu Workshops ein und ermöglichen ihnen eine Projektbeitrag: CHF 30 000.– pro Jahr einmonatige Kurzausbildung zum Reporter. Die Fussballfans lernen dabei die Grundlagen des Schreibens, Interviewens und Videodrehens. Themen wie Diskussionsleitung und soziokulturelle Animation gehören auch zur Ausbildung. Sie porträtieren andere Fussballfans und diskutieren mit ihnen über das «Fan sein». Die Texte, Musikstücke, Radiobeiträge oder Kurzfilme, die daraus entstehen, verbreiten die Fanklubs über ihre eigenen Kanäle, im Internet oder Radio. Damit wird eine andere Sicht auf die Fussballfans ermöglicht und die Diskussion unter den Jugendlichen angeregt. Jährlich absolvieren 180 junge Fussballfans eine Kurzausbildung zum Reporter. Unsere Partnerorganisation Die Stiftung Juan Manuel Bermúdez Nieto (FJMBN) in Bogotá ist 2002 von den Eltern und Freunden von Juan Manuel gegründet worden, der zusammen mit einem In Kolumbien herrscht seit über 50 Jahren ein bewaffneter Freund nach einem Fussballspiel von Paramilitärs kalt- Konflikt zwischen Militär, paramilitärischen Gruppierun- blütig erschossen wurde. Es genügte, dass die von Juan gen und den Guerillagruppen FARC und ELN. Schätzungs- Manuel favorisierte Mannschaft das Spiel gegen den weise vier Millionen Menschen wurden dadurch zu Fussballklub gewonnen hatte, der von einer paramilitä- Flüchtlingen im eigenen Land. Unter der Zerstörung der rischen Gruppe unterstützt wurde. Damit so etwas nie familiären und sozialen Netze leiden besonders Kinder mehr passiert, engagiert sich unsere Partnerorganisation und Jugendliche. Im Schatten des Konflikts hat sich all- für gewaltfreie Konfliktlösungen in und rund um Fuss- tägliche Gewalt für weite Teile der Bevölkerung als gesell- ballstadien. Wie dringend notwendig diese Arbeit nach schaftlicher «Normalzustand» etabliert. wie vor ist, musste die FJMBN 2013 erfahren, als eines ihrer aktivsten Mitglieder von «Fans» einer gegnerischen Mannschaft erstochen wurde. terre des hommes schweiz unterstützt das Projekt seit 2009. Laufenstrasse 12 Postfach 4018 Basel Telefon +41 61 338 91 38 Fax +41 61 338 91 39 [email protected] www.terredeshommesschweiz.ch Postkonto 40-260-2
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