Im Fokus: Grundzüge der Mitbestimmung im

Praxiswissen Arbeitsrecht
Im Fokus:
Grundzüge der
Mitbestimmung
im Aufsichtsrat
Ausgabe
3/2015
Expertenforum Arbeitsrecht
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www.allenovery.com
Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
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Inhalt
Editorial
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Was uns beschäftigt – Grundzüge der Mitbestimmung im Aufsichtsrat nach
MitbestG und DrittelbG
3
Update Gesetzgebung – Frauenquote im Aufsichtsrat und anderen Organen
8
Entschieden – u.a. Schmerzensgeldanspruch bei der Überwachung eines
Arbeitnehmers durch einen Privatdetektiv
11
Richtig umgesetzt – Vermeidung der paritätischen Mitbestimmung
16
Druckfrisch
18
60 Sekunden mit – Jutta Schneider
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Wer und wo?
20
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Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der heutigen Ausgabe unseres Newsletters werden wir
Sie schwerpunktmäßig mit den Grundzügen der Mitbestimmung im Aufsichtsrat nach dem MitbestG und nach
dem DrittelbG vertraut machen.
Insbesondere angesichts bevorstehender Restrukturierungen müssen sich Unternehmen des Öfteren die Frage
stellen, welche Auswirkungen ihre Planungen auf die Unternehmensmitbestimmung, d.h. auf die Mitbestimmung
der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, haben. Nicht selten
kommt es vor, dass eine möglicherweise steuerrechtlich
wünschenswerte Konzernstruktur hinsichtlich der Mitbestimmung auf Unternehmensebene bislang nicht bedachte
Nachteile mit sich bringt. Ebenso gilt es, die Arbeitnehmerzahlen im Unternehmen und auf Konzernebene im
Auge zu behalten und rechtzeitig geeignete Maßnahmen zu
ergreifen, damit nicht unbemerkt mitbestimmungsrechtliche Schwellenwerte überschritten werden und aus diesem
Grunde ein drittelparitätisch bzw. paritätisch besetzter
Aufsichtsrat zu errichten ist. Die Mitbestimmung auf Unternehmensebene ist also ein „Dauerbrenner“ und deshalb
Thema der Rubrik „Was uns beschäftigt“.
Ergänzend hierzu haben wir für Sie in der Rubrik „Richtig
umgesetzt“ die in der Praxis wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten zusammengefasst, um die Mitbestimmung im
Aufsichtsrat nach dem DrittelbG bzw. nach dem MitbestG
zu vermeiden.
Passend zur Thematik der Unternehmensmitbestimmung
berichten wir in der Rubrik „Entschieden“ unter anderem
über eine brandaktuelle Entscheidung des LG Frankfurt
vom 16. Februar 2015, in der die zur Entscheidung berufene Kammer überraschenderweise zu dem Ergebnis kam,
(zumindest) im europäischen Ausland tätige Arbeitnehmer
von Tochtergesellschaften seien für den Schwellenwert
von „in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmern“ der
deutschen Konzernspitze zu berücksichtigen. Sollte sich
diese Sichtweise durchsetzen, so hätte dies weitreichende
Konsequenzen für eine Vielzahl von Unternehmen, die
selbst oder durch Tochterunternehmen Arbeitnehmer im
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Ausland beschäftigen und unter Einbeziehung dieser Arbeitnehmer mitbestimmungsrechtliche Schwellenwerte
überschreiten.
Zudem haben wir diverse weitere interessante Entscheidungen von praktischer Relevanz in die Rubrik „Entschieden“ aufgenommen, z.B. das Urteil des BAG vom 24.
April 2014 zur Frage des richtigen Widerspruchsadressaten
bei mehreren aufeinanderfolgenden Betriebsübergängen
oder das Urteil des BAG vom 19. Februar 2015, das Leitlinien dafür vorgibt, was bei Überwachung eines Arbeitnehmers durch einen Privatdetektiv zu beachten ist.
Sicherlich haben Sie das Thema „Geschlechterquote“ –
besser bekannt als „Frauenquote“ – aufmerksam in der
Presse verfolgt. Das dieser Quote zugrunde liegende „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und
Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft
und im öffentlichen Dienst“, das unter bestimmten
Voraussetzungen eine fixe bzw. flexible Geschlechterquote
für den Aufsichtsrat, den Vorstand bzw. das Geschäftsführungsorgan und die beiden Ebenen unterhalb von Vorstand bzw. Geschäftsführung festlegt, führt für die betroffenen Unternehmen zu Umsetzungsbedarf. Die wichtigsten Informationen hierzu finden sich in der Rubrik
„Update Gesetzgebung“.
Bei der Lektüre unseres dritten Newsletters im Jahre 2015
wünschen wir Ihnen nun viel Vergnügen und gewinnbringende Erkenntnisse.
Mit besten Grüßen
Dr. Bettina Scharff
Dr. Bettina Scharff
Counsel
[email protected]
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Was uns beschäftigt
Grundzüge der Mitbestimmung im Aufsichtsrat nach
MitbestG und DrittelbG
Im Gegensatz zur innerbetrieblichen Mitbestimmung
nach dem Betriebsverfassungsgesetz, deren Ziel es
ist, dem sozialen Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer
am Arbeitsplatz und im Betrieb Rechnung zu tragen,
geht es bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im
Aufsichtsrat darum, die soziale Komponente der Erarbeitung und Realisierung der Unternehmenspolitik
durch eine paritätische bzw. drittelparitätische Mitbestimmung des Aufsichtsrats institutionell abzusichern.
Dieser Beitrag soll dazu dienen, einen Überblick über die
wesentlichen Vorschriften des MitbestG und des DrittelbG, den beiden in der Praxis wichtigsten Gesetzen
betreffend die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat, zu bekommen und ein Grundverständnis für
solche Fälle zu schaffen, die erstmals eine Mitbestimmung
der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat auslösen bzw. zu einer
Erhöhung des Mitbestimmungsniveaus führen können.
Mitbestimmung nach
MitbestG
Geltungsbereich des MitbestG
Der Mitbestimmung nach dem MitbestG unterliegen Unternehmen in der Rechtsform einer AG, KGaA, GmbH
oder einer Genossenschaft, die alleine oder unter Hinzurechnung der Arbeitnehmer anderer Unternehmen (zu den
Zurechnungstatbeständen gemäß §§ 4, 5 MitbestG sogleich) in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigten. Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob die Arbeitnehmer in einem oder in mehreren Betrieben des Unternehmens tätig sind, wobei allerdings nur die Arbeitnehmer
von Betrieben in Deutschland und nicht im Ausland zu
berücksichtigen sind. Die gegenteilige Auffassung, die
jüngst in dem Urteil des LG Frankfurt am Main vom 16.
Februar 2015 (3-16-O 1/14) zum Ausdruck kam (vgl.
hierzu die Kommentierung dieser Entscheidung in der
Rubrik „Entschieden“), sollte sich nach unserer Einschätzung nicht durchsetzen.
In die Berechnung dieses Schwellenwertes von regelmäßig
mehr als 2.000 Arbeitnehmern einzubeziehen sind sämtliche Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 und 3 BetrVG, d.h.
auch leitende Angestellte, unabhängig davon, ob es sich
um Teilzeitbeschäftigte, Auszubildende oder um Arbeitnehmer in Mutterschutz oder Elternzeit handelt. Da ausschließlich nach Köpfen gezählt wird, ist der Beschäftigungsgrad von Teilzeitmitarbeitern ohne Bedeutung, d.h.
ein Teilzeitmitarbeiter mit einem Beschäftigungsgrad von
nur 10 % wird bei der Berechnung des Schwellenwertes
ebenso berücksichtigt wie ein Vollzeitmitarbeiter. Organmitglieder (Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder) und
freie Mitarbeiter werden nicht in die Berechnung einbezogen. Umstritten ist, inwiefern Leiharbeitnehmer bei der
regelmäßigen Arbeitnehmerzahl zu berücksichtigen sind.
Gemäß einer Entscheidung des OLG Hamburg vom 31.
Januar 2014 (11 W 89/13) sind Leiharbeitnehmer bei der
Ermittlung des maßgeblichen Schwellenwertes nicht mitzuzählen (vgl. hierzu die Kommentierung dieser Entscheidung in der Rubrik „Entschieden“). Allerdings kann diese
Rechtsprechung – insbesondere angesichts der gegenteiligen aktuellen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur
Zählung von Leiharbeitnehmern bei den Schwellenwerten
des BetrVG und des KSchG – derzeit nicht als gefestigt
gelten.
Bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl kommt es nicht
auf die Stärke der Belegschaft zu einem bestimmten Stichtag, sondern auf die typische Beschäftigtenzahl unter Berücksichtigung der Vergangenheit und der zukünftigen
Entwicklung (z.B. geplanter Personalabbau, der zu einer
dauerhaften Unterschreitung des Schwellenwertes führen
wird) an.
§§ 4, 5 MitbestG
Zwecks Lückenschließung hat der Gesetzgeber in den
§§ 4, 5 MitbestG bestimmte Konstellationen vorgesehen,
bei denen die Arbeitnehmer eines Unternehmens für die
Ermittlung des Schwellenwertes eines anderen Unternehmens berücksichtigt werden:
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§ 4 MitbestG – Mitbestimmung in der
Kapitalgesellschaft & Co. KG
§ 5 Abs. 1 und 2 MitbestG – Mitbestimmung in der Konzernspitze
§ 4 MitbestG sieht für eine „Kapitalgesellschaft (AG oder
GmbH) & Co. KG“ unter bestimmten Voraussetzungen
eine Zurechnung der Arbeitnehmer der KG zur Komplementär-Kapitalgesellschaft, d.h. zur AG oder GmbH, vor.
Hintergrund ist, dass die Kapitalgesellschaft & Co. KG
trotz ihrer Rechtsform als Personengesellschaft insbesondere hinsichtlich Organisations- und Haftungsstruktur
einer Kapitalgesellschaft entspricht. § 4 MitbestG verlangt
für eine Zurechnung zunächst eine sog. mehrheitliche
Gesellschafteridentität, d.h. der Mehrheit der Kommanditisten (berechnet nach Anteilen oder Stimmen) muss auch
die Mehrheit an der Komplementär-Kapitalgesellschaft
zustehen. Hierdurch kommt der Rechtsgedanke der Unternehmenseinheit zwischen KG und KomplementärKapitalgesellschaft zum Ausdruck, der Grund für die
Zurechnungsnorm des § 4 MitbestG ist. Weitere Voraussetzung für eine Zurechnung ist, dass die KomplementärKapitalgesellschaft nicht über einen eigenen Geschäftsbetrieb mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern verfügt.
Ist die Obergesellschaft eines Konzerns in Deutschland
angesiedelt und als AG, GmbH, KGaA oder Genossenschaft organisiert oder erfüllt sie die eben skizzierten Voraussetzungen des § 4 MitbestG, so sind die Arbeitnehmer
sämtlicher abhängiger Unternehmen, die unter der einheitlichen Leitung der Konzernspitze zusammengefasst sind,
dieser zuzurechnen. Hierbei ist es ohne Bedeutung, in
welcher Rechtsform die abhängigen Unternehmen organisiert sind. Wie bereits erörtert, war es bisher ganz herrschende Auffassung, dass im Ausland tätige Arbeitnehmer
für die Ermittlung des Schwellenwertes nicht zu berücksichtigen sind, da das sog. Territorialitätsprinzip gilt (vgl.
zur überraschenden Gegenmeinung des LG Frankfurt die
Kommentierung dieser Entscheidung in der Rubrik „Entschieden“).
Beispielsfall:
X‐GmbH
Beispielsfall:
20 AN
100 %
100 %
A
100 %
A Fahrzeugteile GmbH & Co. KG 2.100 AN
100 %
A Fahrzeugteile Verwaltungs‐
GmbH 0%
0 AN
Die A Fahrzeugteile GmbH & Co. KG beschäftigt 2.100 Arbeitnehmer. Ihre Komlementärin, die A Fahrzeugteile VerwaltungsGmbH ist arbeitnehmerlos. Sowohl sämtliche Anteile der A
Fahrzeugteile GmbH & Co. KG als auch sämtliche Anteile der A
Fahrzeugteile Verwaltungs-GmbH werden von der natürlichen
Person A gehalten. Obwohl die A Fahrzeugteile VerwaltungsGmbH selbst keine Arbeitnehmer beschäftigt, muss bei ihr ein
paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat gemäß § 4 Abs. 1 MitbestG gebildet werden, weil ihr die Arbeitnehmer der A Fahrzeugteile GmbH & Co. KG zuzurechnen sind und somit der
Schwellenwert von in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmern
für die Pflicht zur Bildung eines paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats überschritten ist.
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A‐KG
B‐OHG
1.300 AN
900 AN
Bei der X-GmbH handelt es sich um die alleinige Muttergesellschaft der A-KG und der B-OHG. Die X-GmbH beschäftigt selbst
nur 20 Arbeitnehmer. Bei der A-KG und bei der B-OHG sind in
Deutschland 1.300 bzw. 900 Arbeitnehmer tätig. Da die Arbeitnehmer der A-KG und der B-OHG der X-GmbH gemäß § 5 Abs.
1 MitbestG zuzurechnen sind, ist auf der Ebene der X-GmbH ein
paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat zu bilden, obwohl die XGmbH selbst nur über wenige Arbeitnehmer verfügt. Zu diesem
Ergebnis käme man sogar dann, wenn die X-GmbH gar keine
Arbeitnehmer hätte.
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§ 5 Abs. 3 MitbestG – Mitbestimmter
Teilkonzern
Nicht selten kommt es vor, dass die Obergesellschaft eines
Konzerns sich im Ausland befindet oder in einer Rechtsform organisiert ist, die nicht dem MitbestG unterfällt
(z.B. OHG oder britische Ltd.). In diesem Fall ist § 5 Abs.
1 und 2 MitbestG nicht einschlägig. Um evtl. hierdurch
entstehende Lücken zu schließen, findet eine Zurechnung
der Arbeitnehmer abhängiger Unternehmen zur sog. Teilkonzernspitze statt. Bei der sog. Teilkonzernspitze muss es
sich um ein Unternehmen in der Rechtsform einer AG,
GmbH, KGaA oder Genossenschaft mit Sitz in Deutschland handeln, über das die Konzernspitze andere Konzernunternehmen beherrscht. Die Teilkonzernspitze muss
also Herrschaftsmöglichkeiten gegenüber den ihr nachgeordneten Konzernunternehmen besitzen. Umstritten ist,
welche Anforderung an eine solche Beherrschung zu stellen sind. Während die eine Auffassung eine durchgehende
kapitalmäßige Verflechtung zwischen der Teilkonzernspitze und den ihr nachgeordneten Konzernunternehmen
verlangt, aber auch für ausreichend hält (vgl. z.B. OLG
Frankfurt v. 21. April 2008 – 20 W 8/07; OLG Düsseldorf
v. 30. Oktober 2006 – I-26 W 14/06 AktE, 26 W 14/06
AktE OLG Stuttgart v. 10. März 1995 – 8 W 355/93),
stellt die überwiegend in der Literatur vertretene Gegenansicht auf die sonstige Ausübung von Leitungsmacht durch
die Teilkonzernspitze ab (z.B. bloße Weitergabe von Weisungen der Konzernspitze durch die Teilkonzernspitze,
einheitliche Besetzung von Leitungspersonen, Stimmenmehrheit).
Beispielsfall:
A Holding AG (CH)
100 %
B‐GmbH
0 AN
100 %
75 %
C‐GmbH
D‐GmbH & Co. KG
500 AN
1.000 AN
100 %
E‐OHG
800 AN
Die A Holding-AG ist die in der Schweiz ansässige Konzernspitze des A-Konzerns. Sie hat eine hundertprozentige Tochtergesellschaft mit Sitz in Deutschland, die arbeitnehmerlose BGmbH. Die B-GmbH wiederum hält direkt bzw. indirekt mehrheitlich die Anteile an der C-GmbH, an der D-GmbH & Co. KG
sowie an der E-OHG. Diese drei Unternehmen beschäftigen
insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmer, die alle in Deutschland
tätig sind. Obwohl die B-GmbH selbst keine Arbeitnehmer hat,
ist zumindest gemäß derjenigen Ansicht, die eine durchgehende
kapitalmäßige Verflechtung zwischen der Teilkonzernspitze und
den ihr nachgeordneten Gesellschaften für notwendig, aber
auch ausreichend erachtet, ein paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat auf Ebene der B-GmbH gemäß § 5 Abs. 3. MitbestG zu
bilden. Die Gegenmeinung würde demgegenüber prüfen, inwiefern die B-GmbH gegenüber den drei Unternehmen tatsächlich
Leitungsmacht ausübt, d.h. beispielsweise ob sie ihnen Weisungen der Konzernspitze weiterleitet oder ob die Organe der BGmbH und der anderen Unternehmen personenidentisch besetzt sind.
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Paritätische Besetzung des
Aufsichtsrats
Das MitbestG sieht eine formale Parität der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor. Die Arbeitnehmervertreter haben demnach die gleiche Anzahl an Sitzen wie die
Anteilseigner und können grundsätzlich gleichberechtigt
und gleichgewichtig mitbestimmen.
Der Einfluss der Arbeitnehmervertreter ist allerdings –
trotz dieser formal bestehenden paritätischen Besetzung –
letztlich eingeschränkt:
 Die Anteilseignerseite kann die Arbeitnehmervertreter
in Pattsituationen mit dem Doppelstimmrecht des
Aufsichtsratsvorsitzenden, der regelmäßig von den Anteilseignern gewählt wird (§ 27 Abs. 2 MitbestG), überstimmen (§ 29 Abs. 2 MitbestG).
 Wegen des Doppelstimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden kann die Anteilseignerseite im Aufsichtsrat
den Arbeitsdirektor auch gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter bestellen. In paritätisch mitbestimmten Unternehmen (mit Ausnahme der KGaA) ist der
Arbeitsdirektor das mit den Personal- und Sozialangelegenheiten betraute Mitglied des Vorstands bzw. der
Geschäftsführung (§ 33 MitbestG).
 Dem Aufsichtsrat gehört zwingend ein leitender Angestellter an (§ 15 Abs. 1 S. 2 MitbestG). Leitende Angestellte stehen tendenziell dem Arbeitgeberlager nahe.
Größe des Aufsichtsrats
Die Anzahl der Mitglieder im Aufsichtsrat orientiert sich
an der Größe der Belegschaft. Der Aufsichtsrat besteht
grundsätzlich
 bei nicht mehr als 10.000 Arbeitnehmern aus 12 Mitgliedern,
 bei mehr als 10.000 Arbeitnehmern aus 16 Mitgliedern
und
 bei mehr als 20.000 Arbeitnehmern aus 20 Mitgliedern.
Bestimmte Erhöhungen oder Verringerungen der Anzahl
der Mitglieder durch Satzung sind möglich.
Mitbestimmung nach
DrittelbG
Geltungsbereich des DrittelbG
Das DrittelbG gibt den Arbeitnehmern in Unternehmen in
der Rechtsform einer AG, GmbH, KGaA, Genossenschaft oder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit
mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat.
Der Geltungsbereich des DrittelbG unterscheidet sich von
dem des MitbestG in folgender Hinsicht:
 Leitende Angestellte zählen nicht als Arbeitnehmer,
d.h. sie sind weder für die Ermittlung des Schwellenwertes von in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern
zu berücksichtigen, noch haben sie ein aktives Wahlrecht hinsichtlich der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat. Ein passives Wahlrecht besteht äußerst eingeschränkt im Rahmen des § 4 Abs. 2 S. 2 DrittelbG,
nämlich wenn auch nicht unternehmensangehörige
Arbeitnehmervertreter als Aufsichtsratsmitglieder gewählt werden können.
 Es gibt keine dem § 4 MitbestG entsprechende Regelung für Kommanditgesellschaften mit einer Kapitalgesellschaft als Komplementär, so dass das DrittelbG auf
die GmbH & Co. KG und die AG & Co. KG nicht
anwendbar ist.
 Arbeitnehmer werden zur Konzernspitze nur bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages oder bei Eingliederung zugerechnet (§ 2 Abs. 2 DrittelbG); d.h. die
Zurechnung von Arbeitnehmern zu anderen Konzernunternehmen ist gegenüber § 5 MitbestG deutlich eingeschränkt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass § 2
Abs. 1 DrittelbG sämtlichen Arbeitnehmern von Konzernunternehmen ein Wahlrecht für die Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrats auf Ebene der Konzernspitze einräumt.
Drittelparitätische Besetzung des Aufsichtsrats /Größe des Aufsichtsrats
Sind die Voraussetzungen für die Errichtung eines drittelparitätischen Aufsichtsrats erfüllt, so bestimmen die Arbeitnehmer ein Drittel der zu wählenden Arbeitnehmervertreter. Faktisch ist damit der Einfluss der Arbeitneh-
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mervertreter in nach dem DrittelbG gebildeten Aufsichtsräten wesentlich geringer als bei den nach dem MitbestG
zusammengesetzten Aufsichtsräten. Die Größe des Aufsichtsrates ist durch das DrittelbG im Gegensatz zum
MitbestG nicht gesondert geregelt und richtet sich nach
gesellschaftsrechtlichen Vorschriften.
Statusverfahren zur (Neu-)
Zusammensetzung des Aufsichtsrats
Das Statusverfahren nach § 96 S. 2 - § 99 AktG dient der
Klärung der Frage, ob ein Unternehmen einen Aufsichtsrat bilden muss bzw. nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat eines Unternehmens zusammensetzt. Vom Statusverfahren zu unterscheiden ist das Wahlanfechtungsverfahren nach § 21 MitbestG bzw. § 11 DrittelbG, womit geklärt wird, ob die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer korrekt erfolgte.
Der Mitbestimmungsstatus eines Unternehmens kann
nicht ohne Statusverfahren gewechselt werden (sog. Kontinuitäts- oder Status-quo-Prinzip). Ein Statusverfahren ist
sowohl dann erforderlich, wenn es um die erstmalige
Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats und um den Übergang in die Mitbestimmungsfreiheit oder in ein neues
Mitbestimmungsregime geht (z.B. Anwendung des MitbestG anstelle des DrittelbG), als auch bei Veränderungen
der für die Größe und Zusammensetzung des Aufsichtsrats maßgebenden Arbeitnehmerzahl.
Ist das gesetzliche Vertretungsorgan (Geschäftsführer,
Vorstand) der Ansicht, dass der Aufsichtsrat nicht nach
den für ihn maßgebenden Vorschriften zusammengesetzt
ist, so hat er dies unverzüglich in den Gesellschaftsblättern
und außerdem in sämtlichen Betrieben der Gesellschaft
und ihrer Konzernunternehmen bekanntzumachen. In der
Bekanntmachung sind die nach Auffassung des Vorstands
maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften anzugeben sowie
der Hinweis, dass der Aufsichtsrat nach diesen Vorschriften zusammengesetzt wird, wenn nicht ein Antragsberechtigter binnen eines Monats nach der Bekanntmachung das
zuständige Gericht anruft.
Antragsberechtigt hinsichtlich der Anrufung des zuständigen Gerichts sind jedes Aufsichtsratsmitglied, die Aktionäre sowie der (Gesamt-) Betriebsrat und der (Gesamt- oder
Unternehmens-) Sprecherausschuss des Unternehmens.
Im Rahmen wahrzunehmender Belange sind auch der
(Gesamt-) Betriebsrat oder der (Gesamt- oder Unternehmens-) Sprecherausschuss eines anderen Unternehmens,
mindestens ein Zehntel oder einhundert der wahlberechtigten Arbeitnehmer sowie Spitzenorganisationen der
Gewerkschaften und Gewerkschaften antragsberechtigt.
Die Einleitung eines Statusverfahrens durch einen der
eben genannten Antragsberechtigten sowie das gesetzliche
Vertretungsorgan ist aber auch jederzeit unabhängig von
einer Bekanntmachung des gesetzlichen Vertretungsorgans
möglich, sofern die Zusammensetzung des Aufsichtsrats
streitig oder ungewiss ist.
Die gerichtliche Entscheidung wird erst mit dem Eintritt
der Rechtskraft wirksam (§ 99 Abs. 5 MitbestG).
Die Kosten des Statusverfahrens trägt – von Missbrauchsfällen abgesehen – die Gesellschaft.
Ablauf des zweistufigen Statusverfahrens:
1. Stufe: Nach welchen Vorschriften ist der Aufsichtsrat künftig
zusammenzusetzen?

Pflicht des Vorstands zur unverzüglichen Bekanntmachung
gemäß § 97 AktG;

Einleitung des gerichtlichen Verfahrens gemäß §§ 98, 99
AktG durch einen Antragsberechtigten im Streitfall oder bei
Ungewissheit der Zusammensetzung des Aufsichtsrats
2. Stufe: Anschließend sind Satzung und Aufsichtsrat an die
nunmehr geltende Zusammensetzung anzupassen.
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Update Gesetzgebung
Frauenquote im Aufsichtsrat
und anderen Organen
Vorreiter in Sachen Frauenquote in Führungspositionen ist
Norwegen, das als erstes europäisches Land seit 2006 eine
Frauenquote von 40 % in börsennotierten Unternehmen
vorschreibt. In Spanien gilt seit 2007 in Unternehmen ab
250 Mitarbeitern eine Frauenquote von 40 %. Auch andere
europäische Länder haben bereits eine Frauenquote eingeführt, so die Niederlande, Italien, Österreich, Dänemark
und Finnland.
Mit großer Mehrheit hat der Deutsche Bundestag am 6.
März 2015 das „Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe
von Frauen und Männern an Führungspositionen in der
Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ beschlossen,
das am 1. Januar 2016 in Kraft treten wird. Das Gesetz
legt bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen eine Geschlechterquote (sog. Frauenquote) von mindestens 30 %
für Aufsichtsräte fest und verpflichtet Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Management-Ebenen zur Festlegung
von eigenen Zielgrößen. Betroffen sind in Deutschland
über 100 börsennotierte Unternehmen, die der Mitbestimmung nach dem MitbestG unterliegen, sowie rund
3.500 weitere Unternehmen.
Nach einer durch das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend geförderten Studie zum sog.
„Women-on-Board-Index 100 (WoB 100)“ vom 14. Januar
2015 liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der börsennotierten und zugleich mitbestimmungspflichtigen
Unternehmen aktuell bei 22,1 %; lediglich 24 von 101
Gesellschaften erfüllen bereits jetzt die ab Januar geltende
Quote. Der Frauenanteil in den Vorständen liegt bei lediglich 4,8 %.
Wir fassen nachfolgend die praktisch wichtigsten Fragen
der gesetzlichen Neuregelung für die betroffenen Unternehmen zusammen.
Wen die Frauenquote betrifft
Zum einen ist für Aufsichtsräte von börsennotierten AGs,
KGaAs, SEs und von Gesellschaften, die aus grenzüberschreitenden Verschmelzungen hervorgegangen sind und
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(kumulativ!) der paritätischen Mitbestimmung unterliegen,
ab dem Jahr 2016 (sukzessive für die dann frei werdenden
Aufsichtsratsposten) eine fixe Geschlechterquote von
30 % des unterrepräsentierten Geschlechts zu beachten.
Die Quote ist grundsätzlich von dem Gremium in seiner
Gesamtheit zu erfüllen, sofern nicht die Seite der Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter vor der Wahl widerspricht; im Falle eines Widerspruchs ist der Mindestanteil
von der Anteilseigner- und der Arbeitnehmerseite getrennt
zu erfüllen (sog. Gesamt- und Getrennterfüllung).
Zum anderen sind Unternehmen, die entweder börsennotiert sind oder (mindestens) der Mitbestimmung nach dem
Drittelbeteiligungsgesetz unterliegen, dazu verpflichtet, für
den Aufsichtsrat, den Vorstand bzw. die Geschäftsführung
sowie für die beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands bzw. der Geschäftsführung Zielgrößen für den
Frauenanteil festzulegen (sog. Flexi-Quote). Zwar ist eine
Mindestzielgröße nicht vorgesehen. Sofern der Anteil der
unterrepräsentierten Gruppe in einer Führungsebene unter
30 % liegt, darf die Zielgröße jedoch nicht hinter der einmal erreichten Proportion zurückfallen.
Welches Organ für die Festsetzung der Zielgröße zuständig ist, richtet sich nach der jeweiligen Führungsebene. Für
Quoten auf der Ebene unterhalb des Vorstands bzw. der
Geschäftsführung ist der Vorstand bzw. die Geschäftsführung zuständig. Die Besetzung des Vorstands und des
Aufsichtsrats obliegt dem Aufsichtsrat. Über die Zielgröße
innerhalb der Geschäftsführung entscheidet bei der
GmbH die Gesellschafterversammlung oder – soweit
vorhanden – der Aufsichtsrat.
Umsetzung der Gesetzesvorgaben
Gesellschaften, die an die ab dem 1. Januar 2016 geltende
fixe Frauenquote von 30 % gebunden sind, obliegen bis
dato folgende Aufgaben:
 Berechnung des Status Quo des Anteils des unterrepräsentierten Geschlechts (sowohl bei Gesamt- als
auch bei Getrennterfüllung durch die Anteilseignerund Arbeitnehmerbank), wobei nach mathematischen
Regeln auf- bzw. abzurunden ist;
 Ermittlung der Dauer der laufenden Amtsperiode der
Aufsichtsratsmitglieder sowie deren planmäßiges Ende;
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 Einleitung der Suche nach geeigneten Kandidaten/
-innen unter Berücksichtigung der Gesamt- und Getrenntlösung, sowie für die Fälle eines vorzeitigen Ausscheidens eines Aufsichtsratsmitglieds.
Gesellschaften mit eigens festgelegter Quote müssen bereits bis zum 30. Juni 2015 die folgenden Maßnahmen
treffen:
 Vorstand und Geschäftsführung müssen die Führungsebenen unterhalb des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung anhand der tatsächlich eingerichteten
Hierarchieebenen definieren und den Status Quo des
Anteils des unterrepräsentierten Geschlechts ermitteln.
 Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung müssen
den Status Quo des Anteils des unterrepräsentierten
Geschlechts im Vorstand bzw. in der Geschäftsführung, und im Aufsichtsrat ermitteln.
 Zielgrößen für den Frauenanteil sind erstmals bis zum
30. September 2017 festzulegen, wobei diese den Status Quo des Frauenanteils – sofern dieser unter 30 %
liegt – nicht unterschreiten dürfeb. Darüber hinaus
festgelegte Fristen müssen binnen 5 Jahren erreicht
werden.
In diesem Zusammenhang möchten wir noch einmal auf
den im März 2015 von uns erstellten Client Alert „Bundestag hat Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen
und Männern verabschiedet (sog. Frauenquote)“ verweisen.
Sanktionen bei Missachtung der fixen
und flexiblen Quote
Die fixe Frauenquote von 30 % ist ab dem 1. Januar 2016
zu erfüllen. Bestehende Mandate können bis zum regulären Ende der Amtsperiode fortgeführt werden; ab dato
dürfen frei werdende Aufsichtsratsposten aber nur so
nachbesetzt werden, dass die Mindestquote erreicht wird,
um die Quote sukzessive zu steigern.
Das Gesetz sieht nur für den Fall der Nichterfüllung der
Mindestquote aufseiten der Anteilseigner weitreichende
Sanktionen vor. Im Falle der Nichterfüllung der Mindestquote ist die Wahl durch die Hauptversammlung bzw. die
Entsendung der Mitglieder in den Aufsichtsrat nichtig, d.h.
das gewählte Mitglied wird kein Aufsichtsratsmitglied.
Aufsichtsratsposten, die mit dem unterrepräsentierten
Geschlecht zu besetzen gewesen wären, bleiben frei (sog.
„leere Stühle“). Der Aufsichtsrat bleibt vorerst handlungs-
fähig, solange an der Beschlussfassung mindestens die
Hälfte der gesetzlich vorgesehenen Mitglieder teilnehmen.
Kommt es jedoch bei einem Beschluss des Aufsichtsrats
auf die Stimme des nicht wirksam gewählten oder bestellten Aufsichtsrats an, so ist der Beschluss grundsätzlich
unwirksam. Die Nichtigkeitsfolge der Aufsichtsratswahl ist
gerichtlich festzustellen; die leeren Stühle werden durch
das Gericht nach Maßgabe der 30-%-Quote im Wege der
Gesamt- bzw. Getrennterfüllung besetzt.
Wird eine selbst festgelegte Zielgröße nicht eingehalten,
führt dies zu einer Begründungspflicht im Lagebericht mit
einem nach dem 31. Dezember 2015 liegenden Abschlusstag nach dem Grundsatz „comply or explain“. Im Übrigen
führt ein Verstoß gegen die eigens festgelegten Quoten zu
keinen weitergehenden gesetzlichen Sanktionen.
Von den im Gesetz vorgesehenen Sanktionen unberührt
bleiben die allgemeinen Haftungsbestimmungen des AktG,
wonach Vorstand und Aufsichtsrat zur Überwachung und
Einhaltung der rechtlichen und internen Vorschriften
verpflichtet sind und unter anderem die Nichtigkeit der
Bestellung geltend machen und auf die ordnungsgemäße
Zusammensetzung des Aufsichtsrats hinwirken müssen.
Im Falle der Unterlassung kann dies eine schadensersatzauslösende Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG, §
116 AktG auslösen, sofern tatsächlich ein Schaden entstanden ist.
Bei der Nichteinhaltung selbst gesetzter Quoten könnte
eine Klage von Arbeitnehmern wegen einer mittelbaren
Benachteiligung wegen des Geschlechts drohen. Dies
widerspräche jedoch der Intention des Gesetzgebers, der
gerade nicht wollte, dass die Unternehmen durch Sanktionen von der Setzung hoher Quoten abgehalten werden.
Eine Sanktion über das AGG liefe diesem Willen entgegen. Rechtsprechung zu diesem Thema wird abzuwarten
bleiben.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen
die Einführung der Frauenquote
Laut Gesetzesbegründung ist die Mindestquote ein Instrument, welches die Unternehmen auf den Weg zu einer
langfristig gewünschten, möglichst gleichberechtigten
Teilhabe von Frauen und Männern bringt. Die Quote von
(nur) 30 % soll berücksichtigen, dass sich die Unternehmen auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe
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von Frauen und Männern erst auf den erhöhten Bedarf an
Frauen einstellen müssen.
Dennoch bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen
das Gesetz. Schwierigkeiten dürften im Hinblick auf die
Konsistenz, Bestimmbarkeit und praktische Realisierbarkeit der Zielvorgaben für die beiden Führungsebenen
unterhalb des Vorstandes entstehen. An der Verfassungsmäßigkeit der fixen Quote bestehen Zweifel, weil sie keine
Härtefallklausel enthält. Diese wäre gerade für Unternehmen, bei denen die Anteile in der Hand weniger Personen
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liegen, angebracht. So kann die fixe Quote beispielsweise
bei Familienunternehmen dazu führen, dass das Letztentscheidungsrecht der Familiengesellschafter im Aufsichtsrat
entfällt bzw. erheblich beschränkt wird oder die Familiengesellschafter ihre Einwirkungsrechte verlieren. Fraglich ist
darüber hinaus, wie sich die Quote in Branchen wie etwa
der Bau- und Schwerindustrie realisieren lässt, die frauenuntypisch sind. Letztlich kann man die Verhältnismäßigkeit der Sanktionen in Frage stellen.
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Entschieden
Berücksichtigung der Arbeitnehmer ausländischer Tochterunternehmen bei der Ermittlung des Schwellenwertes
gemäß § 5 Abs. 1, § 1 Abs. 1
MitbestG
Weiter führt das Gericht noch einen europarechtlichen
Aspekt an: Jedenfalls bei in der Europäischen Union gelegenen Tochterunternehmen würde eine andere Behandlung der im europäischen Ausland gelegenen Unternehmen auch einen Verstoß gegen das gemeinschaftliche
Diskriminierungsverbot darstellen und letztlich zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn die Unternehmensmitbestimmung nicht in grenzüberschreitend tätigen Konzernen gelten sollte.
LG Frankfurt a. M. v. 16. Februar
2015 – 3-16 O 1/14
Bewertung
Der Entscheidung des LG Frankfurt a.M. lag ein Statusverfahren nach § 98 AktG zugrunde, in dem über die
korrekte Zusammensetzung des Aufsichtsrats eines Unternehmens in der Rechtsform einer AG mit Sitz in Frankfurt
befunden werden sollte, das neben 1.624 Arbeitnehmern
in Deutschland 1.747 Arbeitnehmer im europäischen
Ausland beschäftigt. Das Unternehmen verfügt über einen
Aufsichtsrat, der sich nach den Vorschriften des DrittelbG
zusammensetzt.
Nach Auffassung des LG Frankfurt a.M. sei der Aufsichtsrat nicht nach den gesetzlichen Vorschriften errichtet, da
richtigerweise das MitbestG anzuwenden sei. Entgegen der
herrschenden Auffassung begründet das Gericht seine
Ansicht damit, dass der Wortlaut des MitbestG an keiner
Stelle im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer von der
Mitbestimmung ausnehme. Eine diesbezügliche Regelung
enthalte das Gesetz nicht, vielmehr verweise es hinsichtlich
der zu berücksichtigenden Arbeitnehmer auf die Regelung
über den Konzern in § 18 Abs. 1 AktG (§ 5 Abs. 1 MitbestG).
Die Entscheidung, dass die im (europäischen) Ausland tätigen Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft
für die Ermittlung des mitbestimmungsrechtlichen
Schwellenwertes der deutschen Konzernspitze zu
berücksichtigen sind, wird nach unserer Einschätzung keinen Bestand haben. Die bisher herrschende
Meinung in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass die Arbeitnehmer einer rechtlich selbständigen Konzerntochter mit Sitz im Ausland weder
bei der Ermittlung des Schwellenwertes zu berücksichtigen sind noch ein aktives oder passives Wahlrecht haben.
Der Geltungsbereich des MitbestG ist auf das Inland
beschränkt und eine Hinzurechnung ausländischer
Arbeitnehmer, widerspräche dem Territorialitätsprinzip. Zudem verweist der mitbestimmungsrechtliche
Arbeitnehmerbegriff auf denjenigen des BetrVG.
Auch dort gilt aber das Territorialitätsprinzip. Die
Gesetzesmaterialien sprechen ebenfalls gegen die
Einbeziehung von Arbeitnehmern von im Ausland
gelegenen Tochtergesellschaften.
Einen eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Konzernbegriff gebe es nicht, maßgeblich seien allein die Regelungen
des AktG. Die Unternehmensmitbestimmung habe im
Gegensatz zur betrieblichen Mitbestimmung die Aufgabe,
die mit der Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde
Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen zu mildern.
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Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
Nichtberücksichtigung von
Leiharbeitnehmern bei der Berechnung des Schwellenwertes
gemäß § 1 Abs. 1 MitbestG
OLG Hamburg v. 31. Januar 2014 – 11
W 89/13
Das OLG Hamburg hatte im Rahmen eines Statusverfahrens gemäß §§ 98, 99 AktG die Frage zu beurteilen, ob der
Aufsichtsrat eines Unternehmens nach wie vor nach den
Vorschriften des MitbestG zu besetzen ist, wenn im Unternehmen zwar ohne Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern weniger als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind,
jedoch mehr als 2.000 Arbeitnehmer, wenn die Leiharbeitnehmer gezählt werden.
Das OLG Hamburg folgte bei seiner Entscheidung dem
vorinstanzlichen Landgericht und lehnte die Einbeziehung
der Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung des mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwertes ab. Zwar lehne sich der
Begriff des Arbeitnehmers nach § 3 Abs. 1 DrittelbG bzw.
§ 3 MitbestG an den des § 5 Abs. 1 BetrVG an, es fehle
aber an der notwendigen Voraussetzung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsinhaber.
Im Rahmen der Mitbestimmung sei auf die Tätigkeit des
Aufsichtsrats abzustellen, die auf einer langfristigen Unternehmenspolitik und der Kontrolle strategischer Entscheidungen der Geschäftsführung beruhe (vgl. § 111 AktG).
Dieses mittel- und langfristige Gesellschaftsinteresse würde aber nicht für Leiharbeitnehmer (und selbst nicht für
langfristig überlassene Leiharbeitnehmer) gelten, da es ihre
Interessen nicht im gleichen Maße wie die der Stammbelegschaft beträfe.
Bewertung
Höchstrichterlich ist die Frage der Berücksichtigung
von Leiharbeitnehmern bei den Schwellenwerten im
Mitbestimmungsrecht noch nicht geklärt. Die Entscheidung des OLG Hamburg weicht jedenfalls von
der grundlegenden Tendenz der Arbeitsgerichte ab,
Leiharbeitnehmer bei Schwellenwerten (z.B. des BetrVG und des KSchG) zu berücksichtigen.
Die Entscheidung des OLG Hamburg ist mit Blick
auf den Gesetzeszweck der Unternehmensmitbe-
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stimmung zu begrüßen. Die unternehmerische Mitbestimmung konkretisiert die Sozialbindung des
Anteilseigentums am Unternehmen. Zweck der Unternehmensmitbestimmung ist es überdies, die
Fremdbestimmung der Arbeitnehmer, die mit der
Unterordnung der Arbeitnehmer unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt in größeren Unternehmen einhergeht, abzumildern.
Mit Blick auf den Zweck der Unternehmensmitbestimmung sind Leiharbeitnehmer von Entscheidungen des Aufsichtsrats im Unternehmer des Entleihers
– anders als von Entscheidungen des Betriebsrates –
deutlich weniger betroffen als die Stammbelegschaft,
was eine Nichtberücksichtigung bei mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerten rechtfertigt. Leiharbeitnehmer sind allenfalls von den unternehmerischen Entscheidungen des Verleihers betroffen, wo
sie wiederum im Rahmen des Schwellenwertes eines
gegebenenfalls bestehenden Aufsichtsrates zu berücksichtigen wären.
Schmerzensgeldanspruch bei
Überwachung eines Arbeitnehmers durch einen Privatdetektiv
BAG v. 19. Februar 2015 – 8 AZR
1007/13
Die Klägerin, die drei Monate arbeitsunfähig erkrankt
gewesen war, begehrte von ihrer Arbeitgeberin ein
Schmerzensgeld in Höhe von € 10.500,00, nachdem diese
einen Privatdetektiv mit ihrer Überwachung beauftragt
hatte, weil sie die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin, die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verschiedener Ärzte
wegen unterschiedlichen Krankheiten vorgelegt hatte,
bezweifelte.
Während das Arbeitsgericht Münster die Schmerzensgeldforderung für unbegründet hielt, sprach das LAG Hamm
der Klägerin ein Schmerzensgeld von € 1.000,00 zu. Bei
der Bemessung des Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass der Detektiv die Klägerin an mehreren Tagen
beobachtet und heimliche Bild- und Videoaufnahmen
angefertigte habe. Allerdings beschränkten sich die Aufzeichnungen auf Geschehnisse in der Öffentlichkeitssphä-
Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
re. Die psychische Beeinträchtigung beruhe multikausal
sowohl auf der Observation, als auch auf der starken beruflichen Belastung.
Das BAG beanstandete die vom LAG angenommene
Höhe des Schmerzensgeldes nicht. Ein Arbeitgeber, der
wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einen Detektiv mit der Überwachung eines Arbeitsnehmers beauftrage, verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers rechtswidrig, solange sein
Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruhe. Dies gelte
insbesondere für heimliche Bild- und Videoaufzeichnungen. Eine solche Persönlichkeitsrechtverletzung könne
einen Schmerzensgeldanspruch begründen. Die Beklagte
habe keinen berechtigten Anlass zur Überwachung der
Klägerin gehabt. Der hohe Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei weder durch die Tatsache,
dass diese von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch
durch eine Änderung im Krankheitsbild erschüttert.
Bewertung
Das Urteil des BAG reiht sich in die restriktive
höchstrichterliche Rechtsprechung zur heimlichen
Videoüberwachung von Arbeitnehmern ein, die in
entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 1 S. 2
BDSG nur unter den folgenden Voraussetzungen
zulässig ist:
 Es muss ein konkreter Verdacht einer Straftat oder
einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des
Arbeitgebers vorliegen, d.h. die Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung muss hoch sein. Dabei
kommt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
ein hoher Beweiswert zu, der nur durch das Vorbringen entgegenstehender ernsthafter Zweifel erschüttert werden kann.
 Es darf kein milderes Mittel zur Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen und die Maßnahme
darf als solche nicht unverhältnismäßig sein. Für
den Arbeitgeber empfiehlt es sich zunächst, dem
Arbeitnehmer frühzeitig eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitnehmer zu einer
medizinischen Begutachtung aufgefordert werden.
Dementsprechend muss der Arbeitgeber im Falle
einer beabsichtigten Kündigung wegen Vortäuschens
einer Krankheit besonders behutsam vorgehen. Ent-
sprechend der hohen Anforderungen der Rechtsprechung dürfte die Beauftragung eines Privatdetektivs
stets mit Rechtsunsicherheiten verbunden sein. Die
Observation durch einen Privatdetektiv und erst recht
das Anfertigen von Bild- und Videoaufnahmen weisen eine hohe Eingriffsintensität auf, die durch die
Heimlichkeit verstärkt wird. Solange kein berechtigter Anlass zur Überwachung gegeben ist, kann die
Rechtsverletzung nicht nur die Unwirksamkeit der
Kündigung bedingen, sondern die Grenze zur entschädigungspflichtigen Persönlichkeitsverletzung
überschreiten.
Mehrere Betriebsübergänge –
richtiger Widerspruchsadressat
BAG v. 24. April 2014 – 8 AZR
369/13
Das BAG hat in seinem Urteil die Begriffe „bisheriger
Arbeitgeber“ und „neuer Inhaber“ i. S. d. § 613a Abs. 6
BGB präzisiert. Anlass waren mehrere aufeinander folgende Betriebsübergänge und die damit einhergehende Frage,
gegenüber wem der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht
ausüben muss.
Bezogen auf einen Betriebsübergang sei der bisherige
Arbeitgeber derjenige, der vor dem aktuellen Arbeitgeber
den Betrieb innehatte. „Neuer Inhaber“ i. S. d. § 613a
BGB Abs. 6 S. 2 BGB sei derjenige Arbeitgeber, der den
Betrieb zuletzt erworben hat. Eine Widerspruchsmöglichkeit gegenüber dem Arbeitgeber, der den Betrieb vor dem
„bisherigen Arbeitgeber“ innehatte, besteht nach dem
Gesetz nicht. Denn zu diesem ehemaligen Arbeitgeber
stehe der Kläger im Zeitpunkt der Erklärung seines Widerspruchs nicht mehr in einer arbeitsrechtlichen oder sonstigen vertragsrechtlichen Beziehung. Diese Auslegung führe
nicht dazu, dass der Kläger gezwungen werde, für jemanden zu arbeiten, für den er nicht tätig sein wolle. Gegen
den Übergang auf den bisherigen Arbeitgeber bzw. den
neuen Inhaber, habe der Arbeitnehmer jeweils ein Recht
zum Widerspruch zugestanden, das er hätte geltend machen können. § 613a Abs. 6 BGB sei systematisch gesehen
ein Gestaltungsrecht in Form eines Rechtsfolgenverweigerungsrechts. Gestaltet werden könne aber nur ein bestehendes Rechtsverhältnis, d.h. das Arbeitsverhältnis, das bei
der Ausübung des Widerspruchs noch bestehe.
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Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
Das in der Berufungsinstanz zuständige LAG Thüringen
hatte die Klage wegen Verwirkung des Widerspruchsrechts als unbegründet angesehen. Die Frage, inwiefern der Ersterwerber sich auf Verwirkungsumstände
aus dem Arbeitsverhältnis zum Zweiterwerber berufen
kann, hat der 8. Senat des BAG demgegenüber ausdrücklich offen gelassen. Da es die Widerspruchsmöglichkeit
gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber schon nicht als
gegeben ansah, kam es auf die Frage der Verwirkung nicht
mehr an.
Bewertung
Die Entscheidung des 8. Senats ist dogmatisch zutreffend und schafft Klarheit für die Praxis hinsichtlich der Frage, an wen der Widerspruch gemäß § 613a
Abs. 6 BGB zu richten ist. Im Fall derartiger „Kettenübergänge“ muss zunächst dem zuletzt erfolgten
Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen
werden und anschließend dem oder den zuvor stattgefundenen Übergängen, damit der Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses mit dem Erstarbeitgeber überhaupt möglich ist.
Wird diese zwingende Reihenfolge eingehalten, so
stellt sich gegebenenfalls in einem zweiten Schritt die
Frage der Verwirkung des Widerspruchsrechts. Hierfür ist zum einen erforderlich, dass der Arbeitnehmer
von seinem Widerspruchsrecht für einen längeren
Zeitraum, dessen konkrete Dauer jedoch von den
Umständen des Einzelfalls abhängt, keinen Gebrauch
gemacht hat (sog. Zeitmoment). Zum anderen müssen bestimmte Umstände im Verhalten des Arbeitnehmers gegeben sein, die es rechtfertigen, die späte
Geltendmachung des Widerspruchrechts als mit Treu
und Glauben für unvereinbar zu betrachten (sog.
Umstandsmoment).
Abmahnung vor Kündigung
wegen sexueller Belästigung
BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 651/13
Nach Auffassung des 2. Senats des BAG ist auch im Falle
einer sexuellen Belästigung eine fristlose Kündigung nicht
zwingend gerechtfertigt. Vielmehr kann auch eine Abmahnung als Reaktion des Arbeitgebers ausreichend sein.
Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt
nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar und ist „an sich“ als wichtiger Grund i. S. v. § 626
Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung jedoch
im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt,
hänge von den konkreten Umständen, insbesondere von
ihrem Umfang und ihrer Intensität, ab.
In Fällen von sexuellen Belästigungen werde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – neben dem Gewicht und den
Auswirkungen der Vertragsverletzung, dem Grad des
Verschuldens des Arbeitnehmers, einer möglichen Wiederholungsgefahr sowie der Dauer des Arbeitsverhältnisses
bzw. dessen störungsfreier Verlauf – durch § 12 Abs. 3
AGG konkretisiert. Der Arbeitgeber habe demnach erforderliche und angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen –
wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung
– zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig
ansehen dürfe, hänge von den konkreten Umständen ab.
Das Auswahlermessen sei durch § 12 Abs. 3 AGG jedoch
insoweit eingeschränkt, als der Arbeitgeber die Belästigung
zu unterbinden habe. Daher seien nur solche Maßnahmen
verhältnismäßig, von denen der Arbeitgeber annehmen
dürfe, dass sie die Belästigung für die Zukunft abstellen,
d.h. eine Wiederholung ausschließen.
Bewertung
Das Urteil verdeutlicht erneut, dass die Hürden einer
wirksamen Kündigung extrem hoch sind und dass
absolute Kündigungsgründe nicht existieren. Grund
dafür ist, dass auch bei schwerwiegendem Fehlverhalten, wie es eine sexuelle Belästigung ist, stets die
Verhältnismäßigkeit der Kündigung zu prüfen ist.
Zugunsten des Arbeitnehmers wirkt hier insbesondere eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit.
Auch ein reuiges Nachtatverhalten kann in der Abwägung für den Arbeitnehmer positiv berücksichtigt
werden. Nichtsdestotrotz bleibt die Belästigung ein
Grund, der für sich genommen eine fristlose Kündi-
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Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
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gung rechtfertigt. Dass die Kündigung in dem konkreten Fall nicht gerechtfertigt war, ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalls zurückzuführen. Ist
ein Mitarbeiter jedoch bereits mehrfach in dieser
Hinsicht aufgefallen, oder sogar schon einschlägig
abgemahnt, so ist davon auszugehen, dass eine fristlose Kündigung insgesamt gerechtfertigt ist. Räumt
der Arbeitnehmer in einem Gespräch mit dem Arbeitgeber die Vorwürfe hingegen ein und bedauert diese,
so kann anders zu entscheiden sein.
Vorschau (BAG):
16. Juli 2015, 2. Senat
Außerordentliche Kündigung wegen unbefugter Nutzung dienstlicher Ressourcen zu privaten Zwecken –
Verdachtskündigung? – Anhörung des Personalrats
23. Juli 2015, 6. Senat
Ordentliche Kündigung im Kleinbetrieb – Altersdiskriminierung?
25. August 2015, 1. Senat
Arbeitskampfrecht – Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – Unmittelbarkeit
des Eingriffs
Arbeitskampfrecht – Schadensersatzanspruch – Rechtmäßigkeit von Streikzielen – Bindungswirkung
von Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren
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Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
Richtig umgesetzt
Vermeidung der paritätischen
Mitbestimmung
Änderung der Rechtsform
Da das MitbestG und das DrittelbG nur Unternehmen in
einer bestimmten Rechtsform erfassen, bietet es sich bei
drohender Überschreitung des Schwellenwertes von in der
Regel mehr als 500 bzw. 2.000 Arbeitnehmern an, die
Rechtsform so zu ändern, dass das Unternehmen auch bei
Überschreitung der maßgebenden Schwellenwerte nicht
dem MitbestG bzw. dem DrittelbG unterfällt (z. B. Stiftung, Personengesellschaft).
Verlagerung von Unternehmenswachstum ins Ausland
Bisher ist es ganz herrschende Meinung, dass das sog.
Territorialitätsprinzip gilt und im Ausland tätige Arbeitnehmer nicht bei der Ermittlung der Schwellenwerte zu
berücksichtigen sind (aA: LG Frankfurt am Main v. 16.
Februar 2015 – 3-16 O 1/14, vgl. hierzu in der Rubrik
„Entschieden“). Sofern diese Möglichkeit faktisch in Frage
kommt, kann es sich bei drohender Überschreitung der
maßgebenden Schwellenwerte deshalb auch anbieten, das
Unternehmenswachstum ins Ausland zu verlagern.
Kapitalgesellschaft & Co. KG mit ausländischem Komplementär
Des Weiteren kann die Mitbestimmung durch Gründung
einer ausländischen Kapitalgesellschaft & Co. KG verhindert werden. Ein inländisches Unternehmen wird in der
Rechtsform einer KG mit einer KomplementärGesellschaft ausländischen Rechts gegründet (z.B. britische Ltd. oder österreichische GmbH). Eine Zurechnung
zur ausländischen Komplementärin gemäß § 4 MitbestG
erfolgt hier nicht, da die Zurechnungsnorm wiederum an
die in § 1 Abs. 1 MitbestG abschließend aufgeführten
Kapitalgesellschaften anknüpft.
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Kapitalgesellschaft & Co. KG: Schaffung einer inkongruenten Gesellschaftsstruktur
Die Anwendbarkeit der Mitbestimmung gemäß § 4 MitbestG lässt sich zudem auch dann vermeiden, wenn die
KG mehr als in der Regel 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt.
Dazu muss das Merkmal der Mehrheitsidentität beseitigt
werden. Das bedeutet, dass ein Unternehmen die Anteilsmehrheit an der Komplementärin besitzt, ohne gleichzeitig
Kommanditistin der KG zu sein. Wegen der fehlenden
Einflussmöglichkeit der Kommanditistin auf die Komplementärin ist eine Zurechnung der Arbeitnehmer zur
Komplementärin nicht gerechtfertigt.
Gründung einer ausländischen
Holdinggesellschaft
Eine weitere Vermeidungsstrategie ist die Gründung einer
ausländischen Holdinggesellschaft für die in Deutschland
angesiedelten Tochterunternehmen. Schließlich verlangt
§ 5 Abs. 1 MitbestG, dass die Konzernobergesellschaft in
der Rechtsform des § 1 Abs. 1 MitbestG organisiert ist
und ihren Sitz im Inland hat. Allerdings ist bei dieser Variante darauf zu achten, dass anstelle des § 5 Abs. 1 MitbestG nicht § 5 Abs. 3 MitbestG einschlägig ist, d.h. die
ausländische Konzernmutter darf nicht über eine im Inland gelegene Tochtergesellschaft andere Konzernunternehmen im Inland beherrschen.
Abschluss eines Entherrschungsvertrages
Um die Vermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG (Vorliegen
eines Konzerns zwischen einem abhängigen und einem
herrschenden Unternehmen) zu widerlegen und damit die
Zurechnung der Arbeitnehmer der Konzernunternehmen
als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens zu
vermeiden, ist es möglich, einen sog. Entherrschungsvertrag abzuschließen. Dann ist § 5 Abs. 1 MitbestG nicht
mehr anwendbar, da dieser ein herrschendes Unternehmen
eines Konzerns voraussetzt. Die Anwendung mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften in den Tochtergesellschaften (sofern diese die Schwellenwerte von in der Regel
Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
mehr als 500 bzw. in der Regel mehr als 2.000 überschreiten) ist demgegenüber separat hiervon zu prüfen.
Abschluss Beherrschungsvertrag ausländische Konzernmutter/Enkelgesellschaft (str.)
Die Mitbestimmung kann auch vermieden werden, wenn
ein ausländisches Unternehmen im Inland einen Konzern
mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern – bestehend aus einer
Zwischenholding und verschiedenen Tochtergesellschaften – erwirbt. Ist die Zwischenholding Allein- oder Mehrheitseignerin der Tochtergesellschaften, werden ihr die
Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften gemäß § 5 Abs. 3
MitbestG zugerechnet, ohne dass es weiterer Einflussnahme auf diese bedarf. Nach § 17 ff. AktG wird dann das
Bestehen eines Konzerns vermutet. Schließt die ausländische Konzernmutter mit den Enkelgesellschaften Beherrschungsverträge, wird die Vermutung widerlegt. Damit
entfällt dann die Zurechnung der Mitarbeiter (a. A. OLG
Düsseldorf v. 30. Oktober 2006 – I-26 W 14/06).
© Allen & Overy 2015
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Gründung einer unselbständigen Niederlassung eines ausländischen Unternehmens in Deutschland
Unselbständige Niederlassungen ausländischer Unternehmen in Deutschland unterfallen nicht der Mitbestimmung,
selbst wenn die Schwellenwerte erreicht werden. Es ist
keine Anknüpfung an eine deutsche Gesellschaftsform
möglich.
SE als Rechtsform zwecks „Einfrieren“ des Mitbestimmungsniveaus
Bei der SE-Gründung gilt das sog. „Vorher-NachherPrinzip“, wonach das im Zeitpunkt der SE-Gründung
vorhandene Mitbestimmungsniveau für die Zukunft festgeschrieben („eingefroren“) wird. Der Grund hierfür liegt
darin, dass das SEBG weder an Schwellenwerte anknüpft
noch eine Konzernzurechnung existiert. Somit können
sich mitbestimmungsfreie Gesellschaften den Status der
Mitbestimmungsfreiheit durch Umwandlung in eine SE
dauerhaft sichern. Außerdem ist es möglich, das Hineinwachsen von der Drittelbeteiligung in die Mitbestimmung
nach dem MitbestG zu verhindern.
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Praxiswissen Arbeitsrecht | 3/2015
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Anforderungen an die variable Vergütung nach der Institutsvergü-
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Die wahren Ziele zählen – Warum der Poststreik juristisch fragwürdig
Anja Glück
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Thomas Ubber
ist
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Köln, 15.09.2015
Arbeit 4.0 und das Arbeitsrecht
Tobias Nefueld
Labour law at market entrance or during business activities in China,
Markulf Behrendt
France and Turkey: labour contract, protection against dismissal,
employee secondment
Deutscher Syndikusanwaltstag
Berlin, 06.11.2015
Thomas Ubber
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