Energie Digitale Vermessung der Energiewende Wie Big Data Stadtwerken hilft, Investitionen besser zu planen Von Caspar von Ziegner, Projektleiter für neue Geschäftsfelder bei der Alliander AG D isruptive Technologien und die Digitalisierung der Gesellschaft verändern nicht nur unsere privaten Lebensbereiche, sondern zunehmend auch die Daseinsvorsorge in den Kommunen. Schon jetzt steht fest: Die Geschäftsmodelle und Investitionsplanungen der Stadtwerke müssen sich den neuen technischen Gegebenheiten anpassen, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen. Richtig ist aber auch: Die Modernisierung der Netze im Zuge der Energiewende macht die Netzplanung zunehmend unsicherer und provoziert Fehlplanungen, die für eine Kommune teuer werden können. Der zunehmende Einsatz digitaler Technologien eröffnet den Stadtwerken jedoch auch neue Möglichkeiten. Innovative Dienstleistungen für eine strategische Netzentwicklung, die sich das Big-Data-Prinzip zunutze machen, ermöglichen es kommunalen Entscheidungsträgern, ihre Investitionen kosteneffizienter, realitätsnaher und transparenter zu planen. Klassische Prognosen sind oft unzureichend Die Komplexität der Energienetze nimmt im Zuge ihrer Dezentralisierung stetig zu. Dabei stellt jede Stadt oder Gemeinde – auf Basis ihrer demografischen und sozio-ökonomischen Besonderheiten – ganz individuelle Anforderungen an die künftige Netzinfrastruktur. Diese Szenarien reichen von einer ungleich höheren Nachfrage nach Elektromobilität und Ladesäulen auf den Straßen über eine regional unterschiedlich starke Einspeisung Erneuerbarer Energien bis hin zur notwendigen Ertüchtigung in die Jahre gekommener Netzkomponenten wie Ortsnetzstationen oder Umspannwerke. Das kann so weit gehen, dass die Anforderungsprofile selbst innerhalb einer Kommune zwischen den einzelnen Ortsteilen oder sogar Straßenzügen variieren. Oft liegen die Ursachen für diese Unterschiede an Parametern wie dem sozialen Umfeld, der demografischen Entwicklung oder Einkommensunterschieden zwischen den Bürgern. Jede Kommune stellt ganz eigene Anforderungen an ihre Energienetze und verfolgt individuelle Ziele bei Kosteneinsparungen und Umweltschutz. Angesichts der wachsenden Komplexität heutiger dezentraler Netze und einem hohen Mit Big Data-Lösungen lassen sich die Auswirkungen ortsgenau simulieren. 56 Modernisierungsbedarf stoßen die gängigen Verfahren zur Investitionsplanung an ihre Grenzen. Der Grund hierfür liegt nicht zuletzt in ihrer Methodik, die sich weitestgehend veralteter Top-down-Betrachtungen bedient. Für eine Prognose über die Anforderungen an das Netz werden aus hypothetischen Annahmen verallgemeinernde Modelle errechnet und auf einzelne geografische Regionen heruntergebrochen. Das individuelle Anforderungsprofil einer einzelnen Kommune bleibt dabei genauso unberücksichtigt wie die konkreten technischen Ist-Zustände des Netzes vor Ort. Big Data-Lösungen zielen darauf ab, wachsende Unsicherheiten infolge der Energiewende zu reduzieren. „ ______________________ Caspar von Ziegner “ Ein gutes Fallbeispiel für eine Top-downPrognose sind die Verteilnetzstudien der Bundesnetzagentur, für die modellhafte Netzklassen gebildet und anschließend – wie eine Schablone – über das gesamte Bundesgebiet gelegt werden. Die Folge ist, dass dadurch Nachbargemeinden der gleichen Netzklasse zugeordnet werden, in denen die Netzgebiete teilweise völlig verschiedene Voraussetzungen bieten. Mit den Realitäten in den Kommunen haben die gängigen Top-down-Analysen daher oft wenig gemein. Statt einer Bedarfsanalyse „von oben nach disruptiver Technologien unten“ erfordert die Caspar von Ziegner sachgerechte und kosteneffiziente Planung von Investitionen einen Blick von „unten nach oben“, der die tatsächlichen Begebenheiten in den Ortsteilen und sogar Nachbarschaften berücksichtigt. Genau hierin liegt das große Potenzial von Big-Data-Lösungen. Investitionen bedarfsgerechter planen Vereinfacht gesagt, handelt es sich bei Big-DataLösungen für Energienetze, wie sie Alliander nun erstmalig am deutschen Markt anbietet, um eine Form der Bottom-up-Analyse, die darauf abzielt, aus der Energiewende resultierende Unsicherheiten für den Netzbetrieb zu reduzieren. Das Besondere daran ist, dass hierzu eine Vielzahl von Datenreihen konkreter Verbraucher und Infrastrukturen miteinander verknüpft wird, um einen spezifischen Mehrwert (strategische Planungssicherheit) für die Kommune zu erzeugen. Aus Sicht kommunaler Entscheidungsträger hilft das Verfahren dabei, drei wesentliche Zukunftsfragen zu beantworten: UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / DEZEMBER 2015 INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN Energie 1. Welche Auswirkungen haben disruptive und digitale Technologien auf die Netze? 2. Wann und in welchem Umfang lohnen sich Investitionen in konkrete Infrastrukturen und wie können Fehlinvestitionen vermieden werden? 3. Wie können langfristige Trends bei der Netzplanung berücksichtigt werden? Um eine Antwort auf diese Fragen zu geben, ist es notwendig, jedes Versorgungsgebiet einer individuellen Fallanalyse zu unterziehen. Alliander hat dazu eine für Deutschland bisher einzigartige Software entwickelt. Sie gibt Netzbetreibern das passende Werkzeug in die Hand, um längerfristige Prognosen für ihr Netzgebiet aufzustellen. Im Gegensatz zu konventionellen Netzprognosen, die mit „Top-down-Szenarien“ durchgeführt werden, ist es hiermit möglich, jedes Netz ganz individuell auf Straßenebene zu beobachten. Dabei analysiert das Netzberechnungstool nicht nur die aktuelle Netzauslastung, sondern auch den zukünftigen Bedarf und stellt hierzu mögliche Entwicklungsszenarien auf. Für jedes Kabel, für jede Ortsnetzstation und für jedes relevante Betriebsmittel im Netz wird die zukünftige Auslastung ermittelt. Das schließt auch die Frage mit ein, wie relevant Photovoltaik, Windkraft oder Wärmepumpen für die Versorgung sein werden. Ein Beispiel: Die aktuell üblichen Asset-Pläne der Netzbetreiber werden meist jährlich rollierend für die kommenden fünf Jahre erstellt. In diesem Zeitraum müssen beispielsweise bei einem Transformator Investitionen in die technische Ausstattung durchgeführt werden. Nun ergibt sich aufgrund einer Überlastung in acht Jahren für denselben Transformator eine Investition in dessen Mit Big Data lassen sich Investitionen in technische Infrastrukturen langfristig und zukunftssicher steuern. Ziel ist eine positive Reinvestitionsplanung. UNSER AUTOR Caspar von Ziegner, Jahrgang 1981, studierte zunächst Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Berlin und kam 2011 zur Alliander AG. Alliander ist ein innovativer Infrastruktur-Dienstleister und Netzbetreiber, Innovationsführer für Energietechnologien sowie Spezialist für intelligente Netzlösungen. Als Experte für intelligente Lösungen arbeitet Caspar von Ziegner daran, zukunftsfähige Geschäftsmodelle in der digitalisierten Energiewelt zu entwickeln. Kapazität. Die Folge ist, dass in acht Jahren die gesamte Station erneuert werden muss und die Investition in die technische Ausstattung sich nicht rentiert hat. Solche Veränderungen sehen Big DataLösungen voraus und verhindern so Investitionen, die sich langfristig nicht rentieren. Oder nehmen wir den Fall, dass eine Trafostation aktuell ausgebaut werden muss, da sie dem aktuellen Bedarf angesichts der zusätzlichen Einspeisung von Erneuerbaren Energien nicht mehr genügt. Was zunächst sinnvoll erscheint, kann schon übermorgen nicht mehr rentabel sein – etwa dann, wenn der lokale Verbrauch im selben Umfang steigt. Big Data-Lösungen sind längst schon keine Zukunftsmusik mehr. In den Niederlanden kam das Prinzip bereits erfolgreich zur Anwendung. Eine für das niederländische Netzgebiet von Alliander durchgeführte Studie zeigte vor kurzem, dass mit dem Big Data Ansatz die Investitionskosten für den Netzausbau um bis zu 50 Prozent reduziert werden könnten. Big Data ist in der Netzwirtschaft angekommen Beispiel 1: Die Ertüchtigung von Transformatoren bedeutet für Stadtwerke erhebliche finanzielle Aufwendungen. Wer weiß, wie genau sich die Lasten ortsgenau entwickeln, kann klüger investieren und Kosten sparen. Mit Bottom-up-Analysen ist der Investitionsungenauigkeit per Anlage sehr hoch Beispiel 2: Die Ertüchtigung eines Umspannwerkes ist eine Investitionsentscheidung für die kommenden 40 Jahre. Daher muss der zukünftige Kapazitätsbedarf so genau wie möglich bestimmt werden. Klassische Top-down-Analysen können die individuelle Kapazitätsentwicklung in einer Kommune jedoch nur ungenau vorhersagen. Die Folge ist eine ineffiziente Investitionsplanung. UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / DEZEMBER 2015 Big Data-Software wie diese wird Alliander anderen Netzbetreibern für die eigene Verwendung anbieten. Es sind weder spezifisches Know-how noch eine bestimmte Technologie erforderlich, um die Software zu benutzen. Im Moment existiert kein anderes Programm, das in gleicher Weise eine Prognose nach dem Bottom-up-Prinzip ermöglicht. Insbesondere für große Netzbetreiber mit komplexen Netzbetrieben ergeben sich durch das Produkt bedeutende Einsparmöglichkeiten. Ein nützlicher Nebeneffekt der Software ist das Plus an Transparenz, das Netzbetreiber mit Big DataLösungen erreichen. Der Netzbetreiber ist in der Lage, schon Jahre im Voraus die notwendigen Investitionen detailliert und anhand konkreter Datenreihen zu ermitteln, seinen Stakeholdern zu präsentieren und Investitionsentscheidungen nachvollziehbar zu machen. n i infos www.alliander.de 57
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