27.9.15 Unterschiedlich in Christus Stell dir vor du bist Jesus und du sollst dir 12 Jünger suchen. Du sollst dir eine Gruppe zusammenstellen, mit der du die nächsten drei Jahre unterwegs sein wirst. Es werden drei intensive Jahre sein. Es wird kein leichter Weg. Ihr werdet eng zusammen leben. Ihr werdet alles teilen müssen. Sie sollen dich auf deinem härtesten Weg ins Leiden und in den Tod begleiten. Dein Ziel ist, diese 12 Männer so auszubilden, dass sie die Prinzipien von Nachfolge und Jüngerschaft verstanden haben, dass sie fähig sind, dein Evangelium zu allen Völkern zu bringen und Menschen aus allen Kulturen in deine Nachfolge zu rufen. Und sie sollen einmal Gemeinden gründen und aufbauen. Wen würdest du als Jünger auswählen? Geh einmal im Gedanken deine Glaubensgeschwister und Freunde durch. Wen würdest du in dein Team holen? Wen auf keinen Fall? Bewährte, vorbildliche Christen? Menschen mit einem starken Glauben. Begabt müssten sie sein, unterschiedliche Kompetenzen und Charaktere wären vorteilhaft, aber sie dürften auch nicht zu gegensätzlich sein? Sie dürften nicht zu einheitlich sein, aber du solltest dir kein Konfliktpotential ins Team holen. Wie würde dein Team aussehen? Wie ist Jesus mit dieser Aufgabe umgegangen? Er hatte es sich nicht leicht damit gemacht. Es heißt, Jesus zog sich zurück und stieg auf einen Berg, dort betete er eine Nacht lang und am nächsten Morgen berief er die 12 Jünger. Eine interessante Truppe: Petrus - ein Fischer. Er war spontan, impulsiv, mutig, aber er fehlte ihm eine realistische Selbsteinschätzung und Petrus war pragmatisch. „Hier ist es schön, lass uns drei Hütten bauen.“ - „Nein, Jesus, du darfst nicht sterben, das darf auf keinen Fall passieren.“ Johannes, der Lieblingsjünger von Jesus. Oft wird er als Softie, als Weichei gezeichnet. Das ist ein völlig falsches Bild. Johannes war machtgierig und aufbrausend. Man nannte ihn und seinen Bruder Jakobus „Donnersöhne“. Wer sich seinen Plänen in den Weg stellt, wurde beseitigt. Einmal wollte er ein ganzes Dorf abbrennen lassen, nur weil sie Jesus und seine Jünger nicht aufnahmen. Johannes war ein Strippenzieher, hatte Beziehungen in höchste Kreise. Er war dem Hohenpriester persönlich bekannt. Wie sonst konnte er nach der Verhaftung von Jesus unbehelligt in den Hof des Hohenpriesters gehen. Zusammen mit seinem Bruder nahm er einmal Jesus beiseite, um frühzeitig ihre Machtposition zu sichern. Sie wollten nicht weniger als einmal rechts und links von Jesus das Reich Gottes regieren. Johannes, der machtgierige Strippenzieher. Thomas, war ein Skeptiker. Er ging als der Zweifler in die Geschichte ein. Es ist schon interessant, welche Eigenschaften der Jünger überliefert wurden. Nicht die glanzvollen, im Gegenteil. Es werden die negativen Seiten überliefert. Thomas der Zweifler. Matthäus der Zöllner. Heute wäre das der eiskalte Zocker im Nadelstreifenanzug auf dem Börsenparkett. Skrupellos und schnell viel Geld machen, um seinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren.Das war seine Devise. Und dann holte sich Jesus Simon den Zeloten ins Team. Zeloten waren Nationalisten - Widerstandskämpfer gegen die Römer. Das krasse Gegenteil zu Matthäus, der eng mit den Römern zusammenarbeitete. Im normalen Leben, wäre Simon dem Zöllner Matthäus an die Gurgel gesprungen, oder er hätte seine Zollstation in die Luft gesprengt. Zeloten waren rechtsradikale Terroristen. Sie schreckten vor Mord nicht zurück. Ihr Ziel war, wie das aller Terroristen, dem Gegner möglichst großen Schaden zufügen. Leute wie Matthäus waren Gegner. Jesus, wie soll das gutgehen, wenn die beiden Leute zusammen sind? Die Jünger von Jesus waren schon ein extrem krasser Haufen. Unterschiedlicher und schwieriger kann man kein Team zusammenstellen. Seine Jünger hatten die unterschiedlichsten Prägungen, es waren schwierige Persönlichkeiten und Charaktere, sie hatten unterschiedliche Werte und auch in der Ethik lagen sie weit auseinander. Pragmatismus, Gewaltbereitschaft und Wirtschaftskriminalität waren in diesem Team vereint. Die Konflikte waren vorprogram1 miert. Und die Bibel berichtet nicht nur einmal davon, wie sie gestritten hatten. Warum hat Jesus das gemacht? Was hatte er sich dabei gedacht? Warum hat er sich so ein Konfliktpotenzial ins Team geholt? Wir wissen es nicht. Wir können nur Schlüsse daraus ziehen. Die Zwölf Jünger sollten die Keimzelle der Gemeinde werden. Später kam für Judas, der gescheitert ist, Paulus ins Team. Auch keine einfache Persönlichkeit. Jahre später gerieten einmal Paulus und Petrus aneinander. Konflikte waren also normal. Warum waren bereits in der Keimzelle solche gravierende Unterschiede und Konflikte angelegt? Ich glaube, das ist Programm: Jesus wollte damit deutlich machen: Gemeinde ist unterschiedlich, Gemeindeglieder sind sehr gegensätzliche Typen. Später kamen noch die Heiden dazu. Unterschiedlichste ethnische Gruppen trafen aufeinander. Sklaven und Freie, Arme und Reiche … Jesus will keine einheitlichen Typen, er will Vielfalt und Unterschiede. Und Jesus will alle. Und die Konsequenz von alle heißt - Vielfalt, ganz unterschiedliche Menschen. Das war bereits in der Jüngergruppe vorgezeichnet. Das ist das eine. Und das andere ist: Jesus hält diese unterschiedlichsten Menschen beieinander. Es ist nicht so, dass Jesus an die Jünger appelliert hat: „Nun reißt euch mal zusammen, streitet nicht, bewegt euch aufeinander zu schließt Kompromisse!“ Nein, nicht Appelle hielten die Jünger zusammen, sondern er selbst. Es war Jesus, der diese Chaotentruppe zusammengehalten und geformt hat. Die Kraft, solche gegensätzlichen Typen zusammenzuhalten liegt nicht in den Typen, sie liegt auch nicht an einem gemeinsamen Ziel. Das ist oft die Devise in der Gemeinde. Wir brauchen ein gemeinsames Ziel und dann hält der Laden schon zusammen. Von wegen. Bei einem gemeinsamen Ziel gibt es schon Unterschiede, wie es erreicht werden kann. Vorausgesetzt, man hat überhaupt ein gemeinsames Ziel. Nein, die Bibel lehrt uns etwas anderes. Nur Jesus kann den Laden zusammen halten, nicht Ziele, Visionen und gemeinsame Werte. Kurz vor seinem Tod, als Jesus wusste, dieser Truppe muss bald alleine zurechtkommen, betete Jesus zu seinem Vater: (Joh 17,11) Jetzt verlasse ich die Welt; ich lasse sie zurück in der Welt und komme zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind, so wie wir eins sind. Gott selbst soll die Jünger zusammenhalten. Gott soll die Einheit schaffen. Und das gilt auch für uns heute, den Jesus betete weiter: Ich bete nicht nur für diese Jünger, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben werden. Ich bete für sie alle, dass sie eins sind, so wie du und ich eins sind, Vater - damit sie in uns eins sind, so wie du in mir bist und ich in dir bin und die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Da steckt viel drin. Für diese Predigt nur der Gedanke: Es ist Gott, der unsere Einheit stiftet und es ist Gott, der uns in der Einheit bewahren wird. Nicht Appelle nicht die gemeinsamen Ziele und Visionen, auch nicht gemeinsame Werte werden uns zusammen halten. Nur Gott kann uns zusammen halten, so wie damals Jesus seine Chaotentruppe zusammengehalten hat. Dietrich Bonhoeffer hat das in seinem Werk: „Gemeinsames Leben“ sehr deutlich ausgedrückt: „Christliche Bruderschaft (Gemeinschaft) ist nicht ein Ideal, das wir zu verwirklichen hätten, sondern es ist eine von Gott in Christus geschaffene Wirklichkeit, an der wir teilhaben dürfen.“ Bonhoeffer stellt hier zwei Dinge gegenüber: Das Ideal und die Wirklichkeit. Gemeinschaft von Christen ist kein Ideal, auch kein Idealbild, dem wir nachstreben. Bonhoeffer geht sogar so weit, dass er sagt: Wer ein Idealbild von Gemeinschaft verfolgt, der zerstört Gemeinschaft, weil sein Idealbild egoistisch ist. „Wer sich das Bild einer Gemeinschaft erträumt, der fordert von Gott, von dem anderen und von sich selbst die Erfüllung. Er tritt als Fordernder in die Gemeinschaft der Christen, richtet ein eigenes Gesetz auf und richtet danach die Brüder und Gott selbst. Er steht hart wie ein lebendiger Vorwurf für alle anderen im Kreis der Brüder. Er tut, als habe er erst die christliche Gemeinschaft zu schaffen, als solle sein Traumbild die Menschen verbinden. Was nicht nach seinem Willen geht, nennt er Versagen. Wo sein Bild zunichte wird, sieht er die Gemeinschaft zerbrechen.“ 2 Gemeinschaft ist kein Ideal, das wir schaffen können, sondern einen Wirklichkeit, in die wir eintreten dürfen. Diese Wirklichkeit ist sehr ernüchternd. Da brauchen wir uns nur den engsten Jüngerkreis ansehen. Das ist sehr ernüchternd. Aber gleichzeitig ist es eine göttliche Wirklichkeit. Weil Christus diese Typen verbindet. Wie kann man diese Wirklichkeit erfahren, wie kann man sie erfassen? Es ist eine geistliche Wirklichkeit, die man schwer erfassen und beschreiben kann, man kann sie erleben und daran teilnehmen. Im Abendmahl wird diese Wirklichkeit sichtbar, sie wird erlebbar und wir können sie annehmen. Beim Abendmahl nehmen wir das Opfer Jesu an. Wir nehmen ihn in uns auf. Durch seinen Opfertod am Kreuz werden wir erlöst und bekommen ein neues Leben und treten in die neue Wirklichkeit ein. Wer das im Glauben annimmt, gehört zur Gemeinschaft der Heiligen. Das ist eine merkwürdige Gemeinschaft von komischen und sehr unterschiedlichen Heiligen. Aber es gilt: Wer Jesus Christus und sein Opfer angenommen hat, der gehört zur Gemeinschaft der Heiligen. Was verbindet uns? Christus. Im Abendmahl wird das sehr schön deutlich. Wir essen das Brot. Jesus ist dieses Brot. Und Jede/Jeder, der von diesem Brot gegessen hat, hat ein Teil dieses Brotes in sich aufgenommen. In allen, die vom Brot gegessen haben, ist ein Stück dieses Brotes. Alle tragen das Brot in sich und sind dadurch miteinander verbunden. Mir fällt dazu die Geschichte von Max und Moritz und Witwe Boltes Hühner ein. In gewisser Weise sind auch wir so verbunden untrennbar. Das Brot hat uns verbunden. Das gilt natürlich auch für den Wein. Paulus beschreibt das so: Denn wir alle – wie viele und wie unterschiedlich wir auch sein mögen – sind ein Brot und ein Leib, weil wir alle von diesem einen Brot essen. Beim Abendmahl wird diese Wirklichkeit unserer geistlichen Gemeinschaft konkret. Mir ist aufgefallen, dass ich und andere bei der Austeilung im kleinen Kreis nicht korrekt formulieren. Wenn Brot und Wein im kleinen Kreis weitergegeben wird, sagt man oft: „Christi Leib für dich gegeben.“ Das ist eigentlich nicht korrekt. Als Jesus das Abendmahl einsetzte, sagte er: Das ist mein Leib, für euch gegeben. Jesus spricht im Plural für euch. Dann müssten wir genau genommen auch im Plural weitergeben: Für uns gegeben. Es geht nicht um den einzelnen, sondern um uns alle, wenn ich sage: für uns gegeben - für uns vergossen. Beim Abendmahl erleben wir die Wirklichkeit der geistlichen Gemeinschaft. Es ist eine Gemeinschaft, die unterschiedlichste Menschen verbindet. Wie leben wir nun diese Einheit? Das wäre ein neues Thema. Ich möchte es nur noch andeuten. Einheit leben wir nicht durch die Ausgabe von gemeinsamen Zielen auch nicht durch Appelle, auch nicht durch Anpassung oder angleichen. Die Einheit besteht durch Christus, und wird im Abendmahl konkret erfahrbar. Paulus zeigt uns im Brief an die Philipper den Weg, wie Einheit gelebt wird. So erfüllt meine Freude, dass ihr dieselbe Gesinnung und dieselbe Liebe habt, einmütig, eines Sinnes seid. Wir sollen in aller Unterschiedlichkeit, „eines Sinnes sein“. Was ist dieser eine Sinn? Es ist eine Haltung gemeint. Nämlich die Haltung von Jesus. Paulus schreibt weiter: Habt diese Gesinnung in euch, die auch in Christus Jesus war. Es geht um eine Haltung, nicht um Appelle oder Ziele. Wenn wir die Haltung einnehmen, die Jesus hatte, dann leben wir Einheit, trotz gravierender Unterschiede. Wir sind sehr unterschiedlich - schaut euch mal um. Was kann uns vereinen? Christus - wir nehmen ihn auf. Konkret wird das im Abendmahl deutlich. Und wir nehmen seine Haltung ein. Das zeigt sich dann im Umgang miteinander. Amen. Reinhard Reitenspieß 3
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