Ich gehe mit dir Demenz bewegt mich Ein Wegbegleiter für Menschen mit Demenz 1 Impressum Inhalt Herausgeber: Demenz-Servicezentrum Bergisches Land in Trägerschaft der Evangelischen Stiftung Tannenhof Remscheider Straße 76 42899 Remscheid Tel. 0 21 91 / 12 12 12 Editorial Seite 4 Teil 1: Über Demenz Seite 6-19 Die Geschichte von Edith und Karl, Teil, 1 Seite 7 Idee: Monika Wilhelmi, Arnd Bader und Susanne Bäcker Demenz: Diagnose und Behandlung Seite 10 Hilfe im Netzwerk Seite 15 Konzeption: Monika Wihelmi und Daniel Juhr Die Geschichte von Edith und Karl, Teil, 2 Seite 18 Texte und Layout: Daniel Juhr www.juhrverlag.de Teil 2: Über das Ehrenamt Seite 20-25 Teil 3: Das geht! Seite 26-39 Einführung Seite 27 Praktische Tipps Seite 34 Die Geschichte von Edith und Karl, Teil, 3 Seite 40 Adressen und weiterführende Literatur Seite 42 Fotografie: Nico Hertgen Alle Rechte bei Demenz-Servicezentrum Region Bergisches Land. Das Werk ist vollumfänglich geschützt. Jede Verwertung wie zum Beispiel die Verbreitung, der auszugsweise Nachdruck, die fotomechanische Verarbeitung sowie die Verarbeitung und Speicherung in elektronischen Systemen bedarf der vorherigen Genehmigung durch den Herausgeber. 2 3 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser! I ch gehe mit dir. Demenz bewegt mich. Das ist eine starke, eine wichtige Aussage. Denn es ist nicht selbstverständlich, mitzugehen. Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, haben einen schwierigen Weg vor sich, ebenso ihre Angehörigen. Aber trotzdem kann es auch ein Weg sein, der lebenswerte und schöne Momente gibt. Denn mit der Diagnose geht das Leben weiter. Für den Patienten wie für den Angehörigen. Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, können und sollen weiterhin ihr Leben genießen. Das soll Ihnen diese Broschüre, in der wir eine Reihe von Angeboten in Text und Bild zusammengestellt haben, zeigen. Menschen mit Demenz können am Leben teilhaben, gesellschaftlich, kulturell, sportlich aktiv. Sie können Spazieren gehen, den Friseur oder das Theater besuchen, eine Einkaufstour machen. Aber sie brauchen ihre Angehörigen, die mitgehen, begleiten, helfen, motivieren und immer auf sie eingehen. Doch ihr Engagement allein reicht nicht aus. Auch Angehörige benötigen Zeit für sich, sie kommen an ihre Grenzen. Daher richtet sich diese Broschüre insbesondere auch an Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. 4 Ich gehe mit dir. Demenz bewegt mich: Wer zu dieser Überzeugung gelangt ist, kann anderen Menschen helfen, trotz der Krankheit teilzuhaben, dabei zu sein und weiterhin Lebensfreude zu spüren. Und mit seiner Hilfe Angehörige entlasten. Weil er mitgeht. Werden Sie ein solcher Wegbegleiter. Zu Beginn dieser Broschüre vermitteln wir Ihnen einige grundlegende Informationen zur Demenz – kurz und kompakt. Im Anschluss zeigen wir Ihnen Beispiele und Anregungen für ganz unterschiedliche Lebenssituationen, in denen Menschen mit Demenz auf engagierte Wegbegleiter angewiesen sind, um diese zu meistern. Außerdem stellen wir Ihnen engagierte Ehrenamtsarbeit vor. Und das fiktive Ehepaar Edith und Karl, das mit der Diagnose Demenz umgehen muss. Was bewegt die beiden? Was passiert, wenn sie keine Hilfe bekommen? Und wie erfüllt ist, im Rückblick betrachtet, ihr Leben gewesen? Demenz bewegt viele Menschen. Doch nur jene, die den Weg mitgehen, bewegen wirklich etwas. 5 Über Demenz Als das Vergessen beginnt: Die Geschichte von Edith und Karl, erster Teil. W o ist denn der Autoschlüssel? Eben lag er doch noch da.“ Karl wird lauter. Minutenlang sucht er jetzt schon, aber er findet seinen Schlüssel einfach nicht. Wieder einmal. In den letzten Wochen ist es schlimmer geworden, denkt Edith. Ein bisschen schusselig war Karl immer schon, aber das hier ist anders. Er legt den Schlüssel auf die Kommode und hat kurz darauf vergessen, wo er lag. Er sucht im Keller nach seinen Schuhen, dabei stehen die immer im Schuhschrank oben im Flur. Letzte Woche hat er sie gefragt, wie der CD-Player angeht, dabei hat er das Ding selbst gekauft, eingestellt und ihr lang und breit vorgeführt, wie es funktioniert. Sie hat ihn auf all das angesprochen, aber er wollte davon nichts wissen. Er ist gleich laut geworden, was ihr denn einfalle, ihn so zu kritisieren. Am nächsten 6 Tag brachte er den Müll raus und stellte die Tüte neben die Tonne. Sie warf sie hinein und behielt es für sich. „Ja, verdammt noch eins, der muss doch irgendwo sein“, ruft er jetzt aus dem Wohnzimmer. Eigentlich wollte sie schon längst auf dem Weg ins Theater sein mit ihm. Sie lässt ihn suchen und geht in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzugießen. Sie öffnet den Kühlschrank und zuckt zusammen. Da liegt der Autoschlüssel. Auf der Butter. I mmer diese Vergesslichkeit, denkt er. Das hatte ich doch früher nicht. Kann doch nicht sein, dass ich den Schlüssel in den Kühlschrank gelegt habe, oder? Wie käme ich denn dazu? Ich muss mich wirklich zusammenreißen. Sonst kriegt Edith das nachher noch mit. Das nervt ihn sowieso 7 Edith und Karl, Teil 1 schon, dieses dauernde Kritisieren in der letzten Zeit. Er nimmt die Weste von der Garderobe und zieht sie über. Die neuen Sommerschuhe passen da wirklich hervorragend zu, findet er. „Was machst du denn da, Karl?“, hört er sie plötzlich fragen. Was ist denn jetzt wieder? Er rollt mit den Augen und dreht sich um. „Ja, was mache ich denn? Ich ziehe mir Schuhe und ... na eben dieses Ding hier ... an. Den ... na, sag doch mal schnell.“ Er sieht, wie sie den Kopf schüttelt. „Du meinst deine Weste, Karl. Aber es ist Winter. Draußen ist es bestimmt drei Grad unter null. Du musst deine Winterschuhe anziehen. Und einen Mantel. Hast du das denn vergessen?“ S ie hatte es befürchtet: Karl hat nicht einmal die Hälfte dessen mitgebracht, was sie aufgeschrieben hatte. Dabei wollte er doch alleine einkaufen gehen. Er schaffe das, das sei doch überhaupt kein Problem, hatte er gesagt. Und jetzt das. Und von der Margarine haben sie noch drei Packungen im Kühlschrank. Das hatte sie ihm doch auch gesagt. Was jetzt? Sie müssen 8 noch mal los. Nur, wenn sie ihm das jetzt erklären will, ist er beleidigt. Aber es geht nicht anders: „Karl, wir müssen nochmal los“, ruft sie ihm zu. „Was? Wieso denn? Ich bin doch eben erst zurück! Fehlt denn was?“ „Es fehlt fast alles, Mensch!“ Er antwortet nicht. Sie weiß, das war nicht der richtige Ton, sie ist nicht fair, aber sie kann nicht anders. Sein Verhalten nervt sie einfach nur noch. Es kann doch nicht sein, dass er die einfachsten Dinge nicht mehr auf die Reihe kriegt. W ieder alles falsch gemacht, denkt er. Wieder motzt sie nur rum. Am besten, ich mach einfach gar nichts mehr. Ich lasse einfach alles sein. Dann kann sie hier alles alleine machen, sie weiß ja eh alles besser. Und gut. Dann kann sie aber auch gleich alleine ins Kino oder Theater fahren. Oder was hat sie vor? Er weiß es nicht mehr. Dann bleib ich eben zu Hause, wenn es das ist, was sie will. Dann bleib ich halt hier. W ieder einmal fährt Edith alleine los. Sie gibt Karl einen Kuss auf die Wange, doch er reagiert nicht einmal. Er sitzt wie erstarrt in seinem Sessel, schaut fern. Irgendwas, es scheint ihm egal zu sein. „Bis nachher dann“, sagt sie sanft, er nickt kaum merklich mit dem Kopf und versetzt ihr damit einen Stich. Als sie durch den Flur nach draußen tritt, hält sie inne und spürt, wie ihr der Hals eng wird. Er entfernt sich von ihr. Er verschwindet einfach. I ch will es wieder gutmachen, denkt er. Ich zeige ihr, dass ich das kann. Sie ist zwar schon wieder weg, ständig ist sie weg, und er geht jetzt auch. Sie ist sicher beim Kegeln, da wird er sie finden. Ist gar nicht weit von hier, da kann man hin laufen. Er zieht sich an und geht los. Atmet die klare Luft ein. Läuft und läuft. Durch Straßen, vorbei an Häusern, Menschen, Autos, doch all das nimmt er gar nicht wahr. Noch eine Abzweigung, dann ist er da. Noch ein paar Schritte, dann ... aber wo ist es? Hier muss es doch sein. Er bleibt stehen und schaut sich um. Es ist weg! Einfach weg! Aber es muss doch hier sein! Da steht ein Haus, aber hier kegelt doch niemand, hier steht doch sein Haus, das, in dem er gespielt hat. Es dämmert bereits, und er spürt, wie Angst in ihm hochsteigt. Er atmet schneller, seine Hände zittern. Was mache ich eigentlich hier?, denkt er. Ich will nach Hause. Plötzlich blenden ihn die Scheinwerfer eines Autos. S ie hatte es geahnt. Er war nicht zu Hause gewesen, hatte nichts hinterlassen. So ist es schon ein paar Mal gewesen in den letzten Wochen. Und jedes Mal hatte sie ihn hier gefunden. In der Straße, wo einst sein Geburtshaus stand. Sie hält an und steigt aus. „Karl, da bist du ja! Komm, steig ein!“ Er dreht sich um, tritt vorsichtig näher, starrt sie an und sagt nur: „Ich geh doch ins Kino!“ Definition 9 Demenz: Definition und Symptome Wichtiges über Demenz auf einen Blick Definition – Symptome – Ursachen – Diagnostik – Therapie und Behandlung – Netzwerk D ie Geschichte von Edith und Karl spiegelt einen typischen Verlauf der Demenzerkrankung und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben wider. Verschiedene Symptome treten auf, verstärken sich und schränken das eigenständige Leben des Menschen im Verlauf der Erkrankung zunehmend ein. Was aber ist eine Demenz? Wie definiert sie sich? Demenz ist ein Oberbegriff für verschiedene Erkrankungen, bei denen Fähigkeiten, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben, verloren gehen. Die bekannteste und häufigste Form der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit. Aber auch die Folgen eines Schlaganfalls oder zum Beispiel jahrelanger Missbrauch von Alkohol oder anderen Drogen können im Alter zu einer Demenz führen. 10 D ie Ursachen einer Demenz können vielfältig sein. Daher ist es wichtig, die Ursache beim Facharzt abklären zu lassen. Typisch für eine Demenz ist: Die Symptome dauern länger als sechs Monate an. Sie verstärken sich fortlaufend und führen zu massiven Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung. Symptome M enschen, die an einer Demenz erkranken, können sich immer weniger merken, sind nicht mehr gut orientiert und haben Schwierigkeiten die richtigen Worte zu finden. Die Symptome nehmen im Verlauf zu, und es kommen seelische Veränderungen hinzu wie: Gefühlsstörungen, Verstimmungen, bis hin zur Depression. Der Betroffene ist zunehmend in sich gekehrt und meidet Gesellschaft. Ebenso ist abwehrendes Verhalten möglich. Es kann auch sein, dass ein Mensch, der an Demenz erkrankt, unter Wahnvorstellungen leidet. Eine körperliche Unruhe, allgemeine Unsicherheit, zunehmende Interessenlosigkeit oder eine immer schlechter werdende und bald ganz fehlende Organisation von Körperpflege und Kleidung können ebenfalls hinzukommen. Die Symptome führen im Verlauf der Erkrankung dazu, dass der Alltag nicht mehr alleine bewältigt werden kann. Und dazu, dass er sich nicht nur allein, sondern allein gelassen fühlt – von seinem Umfeld, von Familie oder Freunden – selbst, wenn diese sich intensiv um ihn kümmern, denn seine Wahrnehmung vermittelt ihm etwas anderes. Ursachen E s gibt verschiedene Ursachen für eine Demenzerkrankung. Alzheimer-Erkrankung So findet man zum Beispiel im Gehirn von Menschen mit Alzheimer-Demenz Eiweißablagerungen und fadenförmige Zellbestandteile. Worin die Ursache dafür liegt, ist Symptome Kognition: Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen, Sprachstörungen Emotion: Gefühlsstörungen, Wahnvorstellungen, Ängste Verhalten: Körperliche Unruhe, Unsicherheit, Aggression, mangelnde Körperpflege 11 Demenz: Ursachen und Diagnostik noch unklar. Wissenschaft und Forschung beschäftigen sich seit mehr als 100 Jahren damit. Vaskuläre Demenz Eine Verengung der Blutgefäße kann die Durchblutung im Gehirn nachhaltig stören und schlimmstenfalls zu einem Schlaganfall führen, weil große und kleine Gefäße betroffen sein können. Die Folge sind Symptome einer Demenz. Wichtig zu wissen: Auch ganz andere Erkrankungen können zu Symptomen einer Demenz führen. Etwa eine Fehlfunktion der Schilddrüse oder auch die Nebenwirkungen von bestimmten Medikamenten. In jedem Fall ist es wichtig, die Diagnose vom Facharzt möglichst rasch stellen zu lassen, um die jeweilige Ursache behandeln zu können. Diagnostik E dith und Karl aus unserer Geschichte gehen bald den Schritt, der unumgänglich ist, wenn über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten die Symptome einer Demenz auftreten und sich zudem verstärken: Sie gehen zum Hausarzt. Die frühe Diagnose ist wichtig, 12 damit frühzeitig mit der Therapie begonnen werden kann. Körperliche und psychiatrischneurologische Untersuchung Zu einer verlässlichen Diagnostik gehört nicht nur eine gründliche körperliche und psychiatrisch-neurologische Untersuchung. Sondern auch ein genauer Blick auf die Vorgeschichte des Patienten. Im Beispiel von Edith und Karl kommt es hierbei auch auf Edith an: Sie kann als direkte Angehörige wichtige Angaben machen, die Karl vielleicht nicht sagt, weil er sich nicht erinnert oder schämt. Besteht der Verdacht auf eine Gedächtnisstörung, werden weitere Untersuchungen angeschlossen. Siehe: Infokasten Diagnostik. Wenn sich der Verdacht bestätigt Im Fall von Karl ist die Diagnose eindeutig: Ja, er leidet an Demenz. Diese Nachricht müssen Patient und Angehörige erst einmal verkraften. Behandlung H eilbar ist eine Alzheimer-Erkrankung nicht, aber es gibt viele Behandlungsmöglichkeiten. Andere Formen der Demenz lassen sich ebenso behandeln, zum Teil auch heilen. Wer die Diagnose erhält, ist auch nicht gleich ein Betreuungs- oder gar Pflegefall. Denn das Fortschreiten der Krankheit und damit das Eintreten von Pflegebedürftigkeit kann verzögert werden. Es gibt medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsverfahren. Die Medikamente können den Krankheitsverlauf hinauszögern. Die nicht-medikamentösen reduzieren die Risikofaktoren. Zu den nicht medikamentösen Verfahren gehören Logopädie, Physiotherapie, Psychotherapie, Ergotherapie, Musiktherapie sowie gesunde Ernährung, Sport und Bewegung. All das soll dazu beitragen, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen noch lange Zeit in ihrer vertrauten Umgebung leben können. Genuss, Kultur, Sport: All das kann trotz einer Demenz-Diagnose weitergehen. Vor allem Angehörige brauchen Hilfe und dürfen nicht übersehen werden. Sie benötigen Beratung und Begleitung. W er die Diagnose Demenz erhält, der hat viele Fragen, Ängste, Sorgen. Umso wichtiger ist es zu wissen, wo man schnell welche Art der Hilfe bekommt. Die Landesinitiative DemenzService NRW kann weiterhelfen. Diagnostik > Körperliche und psychiatrischneurologische Untersuchung > Neuropsychologische Untersuchung > Blutuntersuchung, bildgebende Verfahren (Computertomografie, Magnetresonanztomographie), Nervenwasseruntersuchung, Messung der Hirnströme 13 Demenz: Netzwerk Netzwerk: Demenz-Servicezentrum Hilfe, Beratung, Vermittlung, Information für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen U m Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen möglichst in ihrer vertrauten Umgebung gut zu unterstützen, entstand die Landesinitiative Demenz-Service in Nordrhein-Westfalen (NRW). Das Demenz-Servicezentrum Bergisches Land ist eines von insgesamt 13 Demenz-Servicezentren (DSZ) in NRW. Die Landesinitiative Demenz-Service NRW wird vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, den Landesverbänden der Pflegekassen und den jeweiligen Trägern der regionalen Demenz-Servicezentren finanziert. Die Koordinierung erfolgt durch das Kuratorium Deutsche Altershilfe. Das DSZ Region Bergisches Land steht in Trägerschaft der Evangelischen Stiftung Tannenhof, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie. Wir erfassen, strukturieren und vernetzen alle demenzspezifischen Angebote in der gesamten Region. Das DSZ Bergisches Land ist zuständig für die folgende Region: Solingen Wuppertal Remscheid Oberbergischer Kreis Rheinisch-Bergischer Kreis 14 Wir ergreifen Initiative beim Aufbau neuer Versorgungsstrukturen und geben Informationen individuell an Ratsuchende weiter. Wir verstehen uns als Wegweiser im System der regionalen Versorgungsstruktur und arbeiten vertrauensvoll mit Pflegestützpunkten, Pflegekassen, Kommu- nen, Gemeinden, Trägern sowie anderen Dienstleistern im Versorgungssystem zusammen. Unser Service Telefonische Beratung im Einzelfall für an Demenz erkrankte Menschen, Angehörige sowie für ehrenamtliche und professionelle Betreuungspersonen oder Dienste. Wir helfen > Menschen mit einer Demenz, die Erkrankung zu bewältigen > Angehörigen, die zumeist den größten Teil der Versorgung übernehmen > Pflegediensten, Beratungsstellen, Ärzten, Therapeuten, Kliniken, Selbsthilfegruppen, Vereinen, Betreuungsgruppen und allen anderen, die sich in der Arbeit für Menschen mit Demenz einsetzen. Wir geben weiterführende Informationen zum Thema Demenz sowie über die Versorgungsmöglichkeiten und Angebote in ihrer Region. Ausführliche Informationen über die Landesinitiative Demenz-Service finden Sie unter: www.demenz-service-nrw.de > Von der Früherkennung bis zum fortgeschrittenen Stadium der Demenz unmittelbar, trägerübergreifend, kostenfrei wohnortnahe Angebote für Menschen mit Demenz und Angehörige zu finden. 15 Demenz: Netzwerk Das Netzwerk auf einen Blick Beratungsstellen Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen Hausarzt DemenzServicezentrum Bergisches Land Gesprächssprechstunde Memory Clinic Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie Neurologie Ergotherapie Psychotherapie Physiotherapie Logopädie Pflegeberatung Wohnberatung Pflegestützpunkte Familie Freunde Nachbarn 6 16 - Ambulante Dienste - Niedrigschwellige Angebote § 45 b SGB XI - Teilstationäre Dienste - Stationäre Dienste - Rehabilitation - Haushaltshilfen - Sonstige Angebote (nicht anerkannt nach § 45 b SGB XI) Unsere Telefonnummer: 0 21 91 / 12 12 12 Pflegekassen Angehörigen-Gruppe Selbsthilfegruppen Alzheimer-Gesellschaft 17 7 Edith und Karl, Teil 2 Und mit einem Heim brauchen die ihm gar nicht zu kommen. Edith wird das schon machen. Hauptsache, sie nörgelt nicht ständig an ihm herum. Dann wird das schon irgendwie gehen. V Zwei, die Hilfe brauchen Was passiert, wenn man auf sich gestellt ist: Die Geschichte von Edith und Karl, zweiter Teil. A lso ist es so, denkt Edith. Sie waren zuerst beim Hausarzt, dann in der Memory-Clinic. Dann wieder bei ihrem Arzt. Karl hat Alzheimer. Was soll nun werden? Wir hatten doch andere Pläne. Er wird zum Pflegefall. Bald wird er nicht einmal mehr wissen, wer er selbst ist. Sie muss sich jetzt um alles kümmern. Um ihr Leben und um seins. Um den Haushalt. Um die Finanzen. Um seine Körperpflege. Er will nicht in ein Pflegeheim, das hat er gleich gesagt. Aber sie weiß, das würde sie sowieso nie tun. Sie 18 würde ihn nie alleine lassen. Aber trotzdem: Sie kann ihn wohl nicht bis zum Ende pflegen. Er kann doch jetzt schon kaum noch was. Oder? Kann sie ihn allein lassen? Was soll sie nur mit ihm machen? A lzheimer, denkt er. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Er wird eben alt, meine Güte, da kann man doch mal was vergessen. Und neulich, da war er halt ein bisschen daneben, hatte nicht gut geschlafen, und dann wieder dieses Wetter. Die müssen sich irren. iele Monate ist es jetzt her, seit sie es wissen. Es ist genauso gelaufen, wie Edith es befürchtet hatte. Er kann immer weniger alleine. Findet morgens seine Kleidung nicht, bekommt die Hose nicht an, erkennt beim Einkaufen nicht mal die Marmelade, die er seit dreißig Jahren isst. Aber wehe, sie spricht ihn darauf an. Neulich hat er den halben Supermarkt zusammengebrüllt. Sie ist heulend mit ihm rausgerannt, so sehr hat sie sich geschämt. Aber er will sich nicht helfen lassen. Und sie kann es einfach nicht. Nicht mehr. Nächste Woche telefoniert sie. Aber mit wem? Sie sagt ihm einfach nichts davon. So geht es nicht weiter. W enn er das Wort Therapie schon hört. Das ist doch was für richtig Kranke. Er kann doch noch alles, eigentlich. Sie gehen zusammen einkaufen, letztens ist er noch Rad gefahren, wo war das noch gleich? Er ist sicher, dass sie zusammen unterwegs waren. Nur, was die in der Zeitung schreiben, wird immer komplizierter. Das war doch früher anders, heute muss man ja schon studiert haben, um das zu verstehen. Er liest keine Zeitung mehr, das ist ihm suspekt. Der Fernseher tut es ja auch. Obwohl er das Gefühl hat, dass ihn auch das immer mehr anstrengt. Aber ... sonst gibt es eben nichts. Und Edith kümmert sich ja auch immer weniger. Es ist nicht so, dass er das nicht merkt. Die Kinder rufen auch kaum noch an. Überhaupt: Keiner kümmert sich mehr. Was hat er denn allen getan? Er weiß nicht mehr weiter. M orgen ist der Termin in der Pflegeberatung. Er weiß es noch gar nicht. Sie hat beschlossen, ihn einfach ins Auto zu setzen und ihm zu erzählen, sie machten einen Ausflug. Er selber kann ja nicht mehr fahren, also fährt sie. Gestern hat er wieder so geschrien und den Teller durch die Wohnung geworfen. Sie wolle ihn vergiften, hat er gebrüllt. Sie wolle doch nur, dass er endlich tot ist. Ihr kommen die Tränen, wenn sie daran denkt. Seit jenem Tag in der Arztpraxis kommt es ihr vor, als wenn nur noch ein schwarzer Schleier über allem liegt. Als wenn alles einfach vorbei ist. Als wenn das Leben einfach keinen Sinn mehr macht ... 19 Unsere Telefonnummer: 0 21 91 / 12-0 Über das Ehrenamt Bürgerschaftliches Engagement in der Evangelischen Stiftung Tannenhof. Ein Beitrag von Pfarrer Uwe Leicht E hrenamtliche Mitarbeit stärkt die Qualität unserer Einrichtung auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Menschen begegnen sich auf Augenhöhe, ohne therapeutischen oder pflegerischen Anspruch. Zusätzliche Freizeitaktivitäten können angeboten werden, Schwellen abgebaut und Lebensqualität verbessert werden. Darum sind wir als Träger sehr dankbar für das große ehrenamtliche Engagement in unserer Einrichtung. A uf eine lange Tradition vieler Jahrzehnte blickt unser Heimbereich zurück. Im Bereich „Inte- 20 gration-Wohnverbund“ arbeiten rund 40 Ehrenamtliche an den unterschiedlichen Stellen mit. Immer ist das Engagement zusätzlich und unabhängig von der professionellen Hilfe der Mitarbeitenden. Freundschaftsähnliche Besuchskontakte werden zu einzelnen Bewohnerinnen und Bewohnern ebenso gepflegt, wie zusätzliche Freizeitaktivitäten angeboten. Der Sonntagstreff in unserem Freizeitzentrum wäre ohne Ehrenamtliche ebenso wenig denkbar, wie die Organisation unseres Second Hand Ladens „Dat Lädchen“. Im Bereich des Fachkrankenhauses gibt es 21 Über das Ehrenamt einen Besuchsdienst „Grüne Damen und Herren“, der sich um die Patientinnen und Patienten unserer gerontopsychiatrischen Stationen bemüht und auch Besuche in der Neurologischen Fachklinik durchführt. Insbesondere in der Gerontopsychiatrie ist der Bedarf an Kontakt und Beziehung schwer zu stillen und der Einsatz der Ehrenamtlichen besonders dankenswert. E hrenamtliches Engagement ist auf eine gute Begleitung durch Hauptamtliche angewiesen. Um mich im Gesundheitswesen, speziell in der Psychiatrie, bewegen zu können, braucht es Wissen, Können und fachliche Begleitung auch für Ehrenamtliche. Regelmäßiger Austausch und eine wertschätzende Kultur der Begleitung sind daher vom Träger zu gewährleisten. S o ist die große Kontinuität und Zufriedenheit unter den Ehrenamtlichen verständlich, die sich in unserer Einrichtung engagieren. Ehrenamt ersetzt kein Hauptamt. Ehrenamt ist ein freiwilliges, zusätzliches Angebot von eigener Qualität und Würde. Nur so bleibt es für alle Beteiligten ein Erfolg. Pfarrer Uwe Leicht Geistlicher Vorsteher der Evangelischen Stiftung Tannenhof Ev. Stiftung Tannenhof Evangelische Stiftung Tannenhof Remscheider Straße 76 42899 Remscheid Tel: 0 21 91 / 12 0 www.stiftung-tannenhof.de [email protected] Kaufmännischer Direktor Dietmar Volk Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Klaus Windgassen 22 Eine, die mitgeht Umgekehrt lassen die sehr existenziellen Fragen der begleiteten Menschen den ehrenamtlich Tätigen nach den eigenen Lebensentwürfen fragen und vermitteln unmittelbar Sinn und Wert für das eigene Leben. Die ehemalige Krankenschwester Dagmar Seipp arbeitet regelmäßig ehrenamtlich mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind. D ass sie nach ihrer Berufstätigkeit weiterhin mit Menschen arbeiten würde, die an Demenz erkrankt sind, stand für Dagmar Seipp schon früh fest. 30 Jahre lang arbeitete sie in der Pflege in der Ev. Stiftung Tannenhof in Remscheid, davon 18 Jahre intensiv mit Patienten, die an Demenz erkrankt sind. Dat Lädchen, einen kleinen Shop innerhalb der Stiftung Tannenhof, hat sie gemeinsam mit anderen Ehrenamtlern mit aufgebaut, es sind Freundinnen und Schwestern von ihr, die regelmäßig dort mithelfen. Sie selbst ist mehrmals im Monat im Lädchen tätig, wo Patienten der Fachklinik Besorgungen erledigen können. „Ich freue mich jedes Mal darauf, die Menschen dort wieder zu treffen. Diese Nähe zu den Patienten ist gut und wichtig: Sie freuen sich, wenn sie mich sehen, da sind richtige Beziehungen entstanden. Und – die meisten erkennen mich auch wieder. Man bekommt einfach viel zurück, wenn man den Menschen hilft”, unterstreicht Dagmar Seipp. Sie weiß: Einen so offenen, unkomplizierten Umgang pflegen, das kann nicht jeder: „Man will eine Demenz oft nicht wahrhaben, schämt sich dafür, wenn zum Beispiel unkontrollierte Dinge gesche23 hen oder wenn der Erkrankte eine Erwartungshaltung nicht erfüllt. Dann sagt man schnell: Das geht doch jetzt nicht. Aber natürlich geht das: Man muss sich einfach klar machen, dass Menschen mit Demenz auf eine bestimmte Weise handeln, weil sie nicht anders können. Sich schämen ist da gar nicht angebracht.” Immer ruhig bleiben D ie langjährige Pflegekraft weiß, dass manch ein Erkrankter auch aggressiv werden kann, wenn er mit einer Situation nicht zurecht kommt oder von seinem Standpunkt nicht abrücken will. Daher legt sie größten Wert darauf, dass man als Begleiter immer so ruhig und gelassen bleibt, wie es geht. Und dass man stets reflektiert und sich fragt: Ist jetzt ein Eingreifen nötig? Sollte man den Betroffenen aus der Situation herausholen? Häufig reagiere man hierbei auch einfach aus dem Bauch heraus, sagt Dagmar Seipp. Und oft sei es auch besser, je nachdem, wie weit die Krankheit fortgeschritten ist, dass man den Erkrankten in seiner Wirklichkeit lässt und nicht versucht, ihn vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. 24 Dagmar Seipp Wichtig sei es immer, einem Menschen mit Demenz Sicherheit und Geborgenheit zu geben: „Man muss im Vorfeld klarstellen: Wir gehen zusammen, wir bleiben zusammen. Zum Beispiel beim Einkaufen oder beim Arztbesuch. Und wenn es sein muss, beendet man das Ganze, egal ob Einkauf oder Behandlung, und setzt es später oder am nächsten Tag fort.” Gerade direkten Angehörigen empfiehlt sie, sich bei der Betreuung Hilfe zu holen, bei engagierten Ehrenamtlern, die ohne Scheu, dafür aber mit großer Verantwortung, den Demenzkranken betreuen und in manchen Situationen vielleicht auch souveräner agieren können als es der Angehörige tut. Dagmar Seipp weiß aber auch: „Für viele Angehörige ist es schwierig, sich Auszeiten zu nehmen. Doch es ist wichtig.” Während dieser Zeit sind Ehrenamtler wie Dagmar Seipp für die an Demenz erkrankten Menschen da. Sie kümmern sich, sie gehen mit. Mit Fürsorge, Einfühlungsvermögen, Erfahrung und Engagement. 25 Demenz: Das geht! Das geht! Gut leben trotz Demenz: Wie Sie es als Ehrenamtler möglich machen und was zu beachten ist. Das Leben weiterhin genießen M it der Diagnose Demenz ist noch ein lebenswertes Leben mit guten, angenehmen, genussvollen Momenten in der gewohnten Umgebung möglich. Sie können einkaufen, Kultur erleben, Sport treiben, ihren Hobbys nachgehen. Und das am besten mit Hilfe von engagierten Ehrenamtlern, die einem zur Seite stehen. Gehen Sie immer auf den Menschen ein D as Allerwichtigste beim Umgang mit demenzkranken Menschen ist es, sie einzubinden in den Alltag und das aktive Leben. Und zwar immer mit Wertschätzung. Hierfür gibt es einige wichtige Regeln und Hinweise zur Kommunikation. Denn die Art und Weise, wie Helfer mit der sich verändernden Sichtweise eines 26 Menschen umgehen, ist hierfür entscheidend. Sie müssen dem Betroffenen das Gefühl geben, gebraucht zu werden. Ihm positive Emotionen vermitteln, ihn motivieren, aber nicht bedrängen. Kommunikation: Sich weiterhin verstehen D ie Kommunikation von Menschen mit Demenz verändert sich im Verlauf der Krankheit. Dies zeigt sich unter anderem so: > Er beteiligt sich nicht mehr am Gespräch und beginnt auch von sich aus keines mehr > Manche Dinge von früher interessieren ihn immer weniger, trotzdem spricht er immer häufiger von der Vergangenheit > Er behauptet falsche Dinge, beharrt darauf und lässt sich vom Gegenteil nicht überzeugen 27 Kommunikation > Er vergisst mitten im Satz, was er sagen wollte, findet Worte nicht, fragt oder erzählt immer wieder dasselbe, versteht aber immer weniger, was man ihm sagt A ls Ehrenamtler sollten Sie sich darauf einstellen, Menschen mit Demenz nicht auf Fehler hinzuweisen, sondern einfühlsam zu kommunizieren, sodass sie sich verstanden fühlen. Im Gespräch zu beachten: > Immer zum Gespräch motivieren > Langsam und mit Pausen sprechen. Dabei kurze, klare Sätze bilden, Metaphern und Ironie vermeiden, eindeutige Mimik und Gestik anwenden. Im Gesichtsfeld des Menschen bleiben > Themenwechsel langsam vorbereiten Was den Menschen ausmacht E s ist wichtig, dass ein Mensch, der an Demenz erkrankt ist, seinen Alltag weiterhin bewältigen kann, dass er so selbstständig wie möglich die täglichen Dinge des Bedarfs erledigt – Ergotherapie und Logopädie und andere nicht 28 medikamentöse Therapien helfen hierbei entscheidend mit. Was hat den Menschen immer ausgemacht? Was konnte er am besten? Wo liegen seine Interessen? Ist er schon immer sportlich gewesen? Hat er immer viel gelesen? Liebt er das Reisen? Ist er ein Tüftler oder malt er gern? Diskutiert er viel? Dann sollten all diese Dinge auch weiterhin aktiv betrieben werden. Entscheidend ist es, den Fokus nicht nur auf das zu rücken, was der Betroffene nicht mehr kann, sondern auf all das, was noch geht. Es kommt nicht aufs Wie an. Aber aufs Ob G anz entscheidend ist hierbei eine andere, eine neue Sichtweise auf die Dinge. Es kommt nicht mehr darauf an, WIE gut ein Mensch mit Demenz zum Beispiel eine handwerkliche Tätigkeit ausübt oder wie lange ein Ausflug dauert. Sondern darauf, DASS es gemacht wird. Alte Gewohnheiten dürfen bleiben. Die Erwartungshaltung muss sich dementsprechend verändern. Wie sich später noch zeigen wird, sind Geduld, Flexibilität und schnelles Umdenken hier besonders gefragt. Die Improvisation wird zum Prinzip. Es kann sein, dass ein Spiel nach wenigen Minuten endet, ein Ausflug nur kurz dauert oder ein Theaterbesuch nur eine halbe Stunde durchführbar ist. All das ist nicht schlimm – Hauptsache, es wird überhaupt gemacht und der Betroffene erlebt die Dinge, die ihm immer etwas bedeuteten, die ihm emotionalen Halt und Sicherheit gaben, auch weiterhin. Entscheidungen abnehmen entlastet H äufig müssen im Alltag Entscheidungen getroffen werden. Und sie sollten von jenen getroffen werden, die den Menschen begleiten – und in seinem Sinne. Das kann nur, wer dessen Bedürfnisse und die Gefühle genau kennt, sich mit ihm intensiv auseinandersetzt. Wer auf dieser Basis Entscheidungen trifft und ihm dennoch das Gefühl gibt, an der Entscheidung mit beteiligt zu werden, entlastet sich selbst und den Betroffenen. Geschlossene oder offene Angebote O b in der Alltags- oder der Freizeitgestaltung: Wenn Angebote außerhalb der eigenen vier Wände genutzt werden, muss bei deren Planung unterschieden werden: Sind sie geschlossen oder offen? Und: Gibt es jeweils Ansprechpartner oder nicht? Denn bei geschlossenen Angeboten ist für Ehrenamtler eine entsprechende Vorplanung ganz wichtig. Beispiel für offenes Angebot: > Einkaufen im Supermarkt ohne einen direkten Ansprechpartner vor Ort und ohne jede Art von zeitlich gebundenem Termin. Beispiele für geschlossene Angebote: > Arztbesuch, Friseurbesuch, Gottesdienst, Behördengang Vorher informieren > Nehmen Sie sich bei geschlossenen Angeboten Zeit, um abzuklären, ob z.B. Erfahrung im Umgang mit Menschen mit Demenz besteht und ob die Rahmenbedingungen für einen Besuch passen. 29 O ffene Angebote, wie etwa ein Marktbesuch, sind einfacher zu gestalten, da Sie hierbei unabhängig sind. Sie können einen Markt oder ein Geschäft sofort verlassen, wenn es der Mensch, der an Demenz erkrankt ist, wünscht. Das ist während einer Untersuchung oder eines Friseurbesuches schwieriger. G erade bei diesen geschlossenen Angeboten sollten Sie daher als ehrenamtlicher Helfer im Vorfeld wichtige Fragen klären: Weiß der Anbeiter, was eine Demenz ist? Hat er Erfahrung im Umgang mit Menschen mit Demenz? Ist eine Toilette in der Nähe? Gibt es Wartezeiten und wenn ja, wie lang sind diese? Ist es möglich, zum Beispiel beim Friseur, mittendrin zu unterbrechen oder abzubrechen, wenn der Betroffene dies wünscht? Was auch immer passiert, niemand muss sich für etwas schämen. Kurz und gut > 30 Minuten: Nicht viel länger können Menschen mit Demenz ihre Aufmerksamkeit auf ein und dasselbe Thema richten. Daher ist es keinesfalls tragisch, wenn auch Kulturangebote nur zu einem Teil besucht werden oder man in der Pause geht. 30 Die Lebenswirklichkeit soll bestehen bleiben I deal ist es, wenn man sich in seinem bekannten Lebensumfeld bewegt. Wenn der Betroffene also seinen langjährigen Friseur, Arzt, Fachhändler „behalten“ kann. G anz wichtig ist es, dass sich alle Beteiligten bewusst sind, dass eine Situation anders sein kann als vorgestellt. Dass es also gar nicht schlimm ist, wenn man mitten im Gottesdienst aufsteht und geht. Dass es nichts ausmacht, wenn der Haarschnitt zwei Stunden später oder erst am nächsten Tag beendet wird. Als Begleiter eines an Demenz erkrankten Menschen informieren Sie sich im Vorfeld und gegebenenfalls während einer Alltagssituation, wenn es erforderlich ist. Aber sie rechtfertigen oder entschuldigen sich niemals für Ihre Situation. Auch dann, wenn sich der Betroffene vielleicht nicht so verhält, wie erwartet oder ein Angebot abgebrochen werden muss. Für ihn hat alles einen Sinn. Die Situation immer im Blick behalten W ie auch immer die Alltagssituation ist, ganz gleich, ob es um das gemeinsame Mittagessen zu Hause geht oder den Einkauf im Supermarkt: Als Begleiter müssen Sie immer die Bedürfnisse des Menschen im Blick haben. Das erfordert Aufmerksamkeit für ihn und für die Situation. Sie müssen reflektieren: Wie reagiert der an Demenz erkrankte Mensch jetzt gerade emotional? Sie dürfen nicht festgelegt sein und planen am besten so wenig wie möglich. Sei es bei einem Schwimmbadbesuch oder einem Besuch auf dem Markt. Am besten ganz früh sein – oder relativ spät Gemeinsame Erledigungen werden einfacher, wenn Sie entweder ganz früh oder vergleichsweise spät am Tag unterwegs sind – also außerhalb von Stresszeiten, wenn außer Ihnen nur wenige Menschen anzutreffen sind, die verunsichern oder ängstigen könnten. Was nicht heißt, dass sie erst um fünf vor zehn abends in den Supermarkt stürzen. Wenn es der Betroffene gewohnt ist, jeden Montag um acht Uhr einkaufen zu gehen, sollten Sie das auch so beibehalten. K onzerte erleben, einer Lesung lauschen, ins Museum oder ins Kino gehen – das und mehr können Menschen mit Demenz weiterhin erleben. Auch Zoo- oder Ausstellungsbesuche eignen sich sehr gut. Allerdings nicht immer uneingeschränkt. Auch hier ist es wichtig, zwischen offenen und geschlossenen Angeboten zu unterscheiden. Und zu beachten, dass ein Mensch mit Demenz etwa 30 Minuten lang einer Veranstaltung folgen kann. Lesen, vorlesen, Spiele spielen M otivieren Sie den Betroffenen so lange, selber zu lesen, wie er dies kann. Geben Sie ihm einfache, kurze Texte. Und lesen Sie selber vor. Aus der Zeitung, aus Büchern oder kurzen Geschichten. Der Roman „Ein Fisch ohne Wasser“ (s. Infokasten Seite 33) wurde 31 Das Leben gestalten zum Beispiel speziell für Menschen mit Demenz geschrieben. Spielen Sie gemeinsam Spiele, bei denen das Gedächtnis angeregt wird, zum Beispiel Scrabble. Oder Spiele, die früher immer gerne gespielt wurden. Das kann auch ein Murmelspiel sein. Vielleicht eignet sich aber auch ein einfaches Videospiel. Verfügung steht. Bei Tätigkeiten, wo unter Umständen eine Verletzungsgefahr besteht (Schere, heißer Topf, etc.) müssen Helfer immer dabei sein. Beim Kochen oder Backen sollten Sie außerdem darauf achten, dass gemeinsam gearbeitet wird. Backen Sie zum Beispiel für einen bestimmten Anlass wie Geburtstage oder Weihnachten. Basteln, Malen, Kochen Werkeln, Gartenarbeit Arbeitsleben erhalten H H andwerkliche Tätigkeiten wie Basteln, Werkeln, Gartenarbeit, aber auch Kochen und Backen eignen sich als Freizeitbeschäftigung für Menschen mit Demenz auch deshalb so gut, weil sie im gewohnten Umfeld stattfinden, sodass viele Elemente wiedererkannt werden. Wenn Sie einen Garten haben, legen Sie ein separates Beet an, das dem Betroffenen allein zur Der bewegte Tag > Das Buch mit Bewegungsübungen, herausgegeben von Arnd Bader, Julia Horst und Monika Wilhelmi, zeigt Ihnen auf anschauliche Weise Bewegungsübungen, die Sie leicht und an jedem Ort nachmachen können. Entwickelt wurde es von Physiotherapeuten und Experten für Demenzerkrankungen. 32 at der Betroffene seinen Beruf immer geliebt? Dann kann es sinnvoll sein, ein entsprechendes Angebot mit Elementen aus der Arbeitswelt zu schaffen. Zum Beispiel das Fotografieren mit einer einfachen Kamera. Oder auch das Handwerken mit vertrauten Werkzeugen. Die Kraft der Musik I n der Arbeit mit an Demenz erkrankten Menschen spielt Musik eine große Rolle. Wenn zu Hause immer musiziert wurde, dann machen Sie das weiterhin. Spielen Sie bekannte Lieder von früher, singen Sie gemeinsam oder singen Sie etwas vor. Musik weckt häufig Erinnerungen an gemeinsam Erleb- tes. Wenn der Betroffene immer in einem Gesangs- oder Musikverein aktiv war, sollte er dies so lange weiterführen, wie es geht. In Bewegung bleiben E in ausgewogenes Verhältnis aus Bewegung und Entspannung ist gut und wichtig. Daher sollten Sie immer für ausreichend Bewegung sorgen, um Risikofaktoren wie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu reduzieren. Walken oder Laufen können Sie jederzeit gemeinsam und überall betreiben. Radfahren ist ebenfalls je nach Krankheitsverlauf möglich, ebenso der Besuch im Schwimmbad, Fitnessstudio oder einer Senioren- oder Reha-Sportgruppe. Mobil bleiben B leiben Sie gemeinsam mobil: Machen Sie Bus- und Bahnfahrten, und wenn es nur wenige Stationen sind. Es kommt nicht immer darauf an, ein konkretes Ziel zu haben, es kann auch allein um das Erlebnis des Unterwegsseins gehen. Besuchen Sie auch weiterhin Freunde und Bekannte! Ein Fisch ohne Wasser Der Krimi um eine verschwundene Frau wurde so konzipiert, dass er sich als Vorlesebuch speziell für Menschem mit einer Demenzerkrankung eignet: Denn im Anschluss an jedes Kapitel wird dieses noch einmal in vereinfachter Sprache und mit Erinnerungshilfen nacherzählt – zum besseren Verständnis für Menschen mit einer beginnenden Demenz. Erhältlich im JUHR Verlag, 9,90 Euro, ISBN 978-3-942625-15-9 33 Das muss im Alltag Das kann im Alltag Ernährung: Essen, Trinken, Backen, Kochen Putzen, Aufräumen, Gartenpflege • Freunde und Bekannte besuchen/empfangen • ein Blumengeschäft aufsuchen Körperpflege: Duschen/ Waschen, Zahnpflege Erledigungen außer Haus: Friseurbesuch, Arztbesuch, Einkaufen, Ämter, • Gottesdienstbesuch • einen Flohmarkt aufsuchen Haushalt und Garten: Spülen, Waschen, 34 • Wochenmarkt & Weihnachtsmarkt besuchen • in die Bücherei gehen 35 Das darf: Kulturaktivitäten • Weinprobe • Kinobesuch • Eis essen/Essen gehen • Theater/Oper • Ein Kaffeebesuch • Besuch einer Lesung • Zoo besuchen • Ein Stadtfest besuchen • Museumsbesuch 36 Das darf: Gemeinsam kreativ sein • Lesen bzw. Vorlesen • Gemeinsame Aktivitäten • Basteln als Vorbereitung für • Fotografieren/ Filmen bestimmte Ereignisse: • Balkon- oder Gartenge- Geburtstage, Ostern, staltung Weihnachten, etc. 37 Das darf: Gemeinsam kreativ sein • Werkeln/Handwerken • Malen/Zeichnen • Fotografieren und Filmen • Musizieren/Musik hören oder Singen • Gesellschaftsspiele spielen (neue und jene von früher) • Computerspiele spielen Das darf: Gemeinsam aktiv sein • Balance zwischen ausreichend Bewegung und Entspannung schaffen, in Begleitung wandern, joggen oder walken • Radtouren unternehmen • Tagestouren machen • Schwimmen oder in die Sauna gehen • Ins Fitnessstudio gehen • Vereins- und Rehasport 38 39 Das Leben gelebt Sie waren zusammen, und sie hatten Hilfe. Sie haben ihr Leben genießen können, bis zuletzt: Die Geschichte von Edith und Karl, dritter Teil. S ie hält seine Hand. Sie weiß nicht, wie viel er noch mitbekommt von dem, was sie ihm erzählt, was ihn erreicht von dem, was sie ihm jeden Tag vorliest. Sie weiß, dass sein Weg bald zu Ende sein wird. Viereinhalb Jahre sind sie ihn gemeinsam gegangen, diesen Weg. Sie haben sich Hilfe geholt, sich beraten lassen. Vor allem aber hatten sie einander. Die ganze Zeit. „Weißt du noch?“, beginnt Edith. „Wie wir am Anfang immer zusammen geradelt sind, am See entlang? Und wie du mit Lisa immer im Zoo warst, manchmal drei Tage die Woche? Gut, dass wir Lisa gefunden haben, dass sie sich so viel Zeit für uns nehmen konnte. Und dass ich auch mal Zeit für mich hatte. Und dass du es weißt: Ich 40 hatte dann ein schlechtes Gewissen. Aber ich war einfach mal für mich, und das hat gut getan.“ E r drückt ihre Hand ganz leicht. „Und ich bin so froh, dass wir diese Ostseereise noch gemacht haben, dass wir sie gleich im ersten Jahr gebucht haben, als es dir noch richtig gut ging. Ich gebe zu, ich hätte nicht gedacht, dass wir all das schaffen. Wenn Lisa nicht gewesen wäre ... gut, dass es solche Menschen gibt. Und du: Einmal wolltest du das Meer sehen. Du hast es gesehen. Ich werde das Leuchten in deinen Augen nie vergessen, Karl.“ S ie stockt für einen kurzen Moment. Holt Luft. „Und dass die Kinder uns so oft besucht haben und mit uns unterwegs waren, war das nicht toll? Ich weiß noch, wie du im Wohnzimmer auf dem Boden herum gerutscht bist, um mit Jonas Lego zu spielen. Schön, dass der Kleine noch was von seinem Opa hatte.“ I ch weiß nicht, was du noch weißt, ich habe keine Ahnung, wie viel von dem ankommt, was ich dir erzähle“, fährt sie fort. „Aber das spielt auch keine Rolle, weißt du? Das, was war, was wir in den letzten Jahren trotz allem gemeinsam geschafft haben, macht mich stolz. Und ich werde es behalten.“ „Hatte ich dir erzählt, dass Lisa und ich nachher Essen gehen? Sie betreut jetzt ehrenamtlich eine ältere Dame, auch mit Demenz. Ich bewundere sie für dieses Engagement. Vielleicht ... ja, vielleicht werde ich ihr helfen. Mal sehen. Aber erst mal lese ich dir jetzt noch ein bisschen vor, in Ordnung? Lisa und ich sind erst später verabredet. Und bis dahin haben wir noch Zeit, wir beide.“ Ende S ie glaubt, ein Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen. 41 Wichtige Links im Überblick Landesinitiative Demenz-Service NRW http://www.demenz-service-nrw.de Linkliste zum Thema Demenz der Landesinitiative Demenz-Service NRW http://www.demenz-service-nrw.de/linkliste.html Demenz-Servicezentrum Bergisches Land http://www.demenz-service-bergischesland.de/ Evangelische Stiftung Tannenhof Träger des Demenz-Servicezentrums Bergisches Land http://www.stiftung-tannenhof.de/cms/ Literatur zum Thema Demenz http://www.demenz-service-nrw.de/literaturübersichten.html Alzheimergesellschaften https://www.deutsche-alzheimer.de/ http://www.alzheimer-nrw.de/ Landesstelle Pflegende Angehörige http://www.lpfa-nrw.de Wohnberatung http://www.wohnberatungsstellen.de/ 42 43 44
© Copyright 2024 ExpyDoc