Wegbegleiter für Menschen mit Demenz - Demenz

Ich gehe mit dir
Demenz bewegt mich
Ein Wegbegleiter für
Menschen mit Demenz
1
Impressum
Inhalt
Herausgeber:
Demenz-Servicezentrum Bergisches Land
in Trägerschaft der Evangelischen Stiftung Tannenhof
Remscheider Straße 76
42899 Remscheid
Tel. 0 21 91 / 12 12 12
Editorial
Seite 4
Teil 1: Über Demenz
Seite 6-19
Die Geschichte von Edith und Karl, Teil, 1
Seite 7
Idee:
Monika Wilhelmi, Arnd Bader und Susanne Bäcker
Demenz: Diagnose und Behandlung
Seite 10
Hilfe im Netzwerk
Seite 15
Konzeption:
Monika Wihelmi und Daniel Juhr
Die Geschichte von Edith und Karl, Teil, 2
Seite 18
Texte und Layout:
Daniel Juhr
www.juhrverlag.de
Teil 2: Über das Ehrenamt
Seite 20-25
Teil 3: Das geht!
Seite 26-39
Einführung
Seite 27
Praktische Tipps
Seite 34
Die Geschichte von Edith und Karl, Teil, 3
Seite 40
Adressen und weiterführende Literatur
Seite 42
Fotografie:
Nico Hertgen
Alle Rechte bei Demenz-Servicezentrum Region Bergisches Land.
Das Werk ist vollumfänglich geschützt. Jede Verwertung wie zum Beispiel
die Verbreitung, der auszugsweise Nachdruck, die fotomechanische
Verarbeitung sowie die Verarbeitung und Speicherung in elektronischen
Systemen bedarf der vorherigen Genehmigung durch den Herausgeber.
2
3
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser!
I
ch gehe mit dir. Demenz bewegt mich. Das ist eine starke, eine
wichtige Aussage. Denn es ist nicht selbstverständlich, mitzugehen. Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, haben
einen schwierigen Weg vor sich, ebenso ihre Angehörigen.
Aber trotzdem kann es auch ein Weg sein, der lebenswerte und
schöne Momente gibt. Denn mit der Diagnose geht das Leben
weiter. Für den Patienten wie für den Angehörigen. Menschen,
die an einer Demenz erkrankt sind, können und sollen weiterhin
ihr Leben genießen. Das soll Ihnen diese Broschüre, in der wir
eine Reihe von Angeboten in Text und Bild zusammengestellt
haben, zeigen.
Menschen mit Demenz können am Leben teilhaben,
gesellschaftlich, kulturell, sportlich aktiv. Sie können
Spazieren gehen, den Friseur oder das Theater besuchen, eine
Einkaufstour machen. Aber sie brauchen ihre
Angehörigen, die mitgehen, begleiten, helfen, motivieren und
immer auf sie eingehen.
Doch ihr Engagement allein reicht nicht aus. Auch Angehörige
benötigen Zeit für sich, sie kommen an ihre Grenzen.
Daher richtet sich diese Broschüre insbesondere auch an Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren.
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Ich gehe mit dir. Demenz bewegt mich:
Wer zu dieser Überzeugung gelangt ist, kann anderen Menschen helfen, trotz der Krankheit teilzuhaben, dabei zu sein
und weiterhin Lebensfreude zu spüren. Und mit seiner Hilfe
Angehörige entlasten. Weil er mitgeht.
Werden Sie ein solcher Wegbegleiter.
Zu Beginn dieser Broschüre vermitteln wir Ihnen einige
grundlegende Informationen zur Demenz – kurz und
kompakt. Im Anschluss zeigen wir Ihnen Beispiele und
Anregungen für ganz unterschiedliche Lebenssituationen,
in denen Menschen mit Demenz auf engagierte Wegbegleiter angewiesen sind, um diese zu meistern.
Außerdem stellen wir Ihnen engagierte Ehrenamtsarbeit
vor. Und das fiktive Ehepaar Edith und Karl, das mit der
Diagnose Demenz umgehen muss. Was bewegt die beiden?
Was passiert, wenn sie keine Hilfe bekommen? Und wie
erfüllt ist, im Rückblick betrachtet, ihr Leben gewesen?
Demenz bewegt viele Menschen. Doch nur jene, die den
Weg mitgehen, bewegen wirklich etwas.
5
Über Demenz
Als das Vergessen beginnt:
Die Geschichte von Edith und Karl, erster Teil.
W
o ist denn der Autoschlüssel?
Eben lag er doch noch da.“
Karl wird lauter. Minutenlang sucht
er jetzt schon, aber er findet seinen
Schlüssel einfach nicht. Wieder
einmal. In den letzten Wochen ist
es schlimmer geworden, denkt
Edith. Ein bisschen schusselig war
Karl immer schon, aber das hier ist
anders. Er legt den Schlüssel auf
die Kommode und hat kurz darauf
vergessen, wo er lag. Er sucht im
Keller nach seinen Schuhen, dabei
stehen die immer im Schuhschrank
oben im Flur. Letzte Woche hat
er sie gefragt, wie der CD-Player
angeht, dabei hat er das Ding
selbst gekauft, eingestellt und ihr
lang und breit vorgeführt, wie es
funktioniert. Sie hat ihn auf all das
angesprochen, aber er wollte davon nichts wissen. Er ist gleich laut
geworden, was ihr denn einfalle,
ihn so zu kritisieren. Am nächsten
6
Tag brachte er den Müll raus und
stellte die Tüte neben die Tonne.
Sie warf sie hinein und behielt es
für sich. „Ja, verdammt noch eins,
der muss doch irgendwo sein“,
ruft er jetzt aus dem Wohnzimmer.
Eigentlich wollte sie schon längst
auf dem Weg ins Theater sein mit
ihm. Sie lässt ihn suchen und geht
in die Küche, um sich ein Glas
Wasser einzugießen. Sie öffnet den
Kühlschrank und zuckt zusammen.
Da liegt der Autoschlüssel. Auf der
Butter.
I
mmer diese Vergesslichkeit,
denkt er. Das hatte ich doch
früher nicht. Kann doch nicht sein,
dass ich den Schlüssel in den
Kühlschrank gelegt habe, oder?
Wie käme ich denn dazu? Ich muss
mich wirklich zusammenreißen.
Sonst kriegt Edith das nachher
noch mit. Das nervt ihn sowieso
7
Edith und Karl, Teil 1
schon, dieses dauernde Kritisieren
in der letzten Zeit. Er nimmt die
Weste von der Garderobe und zieht
sie über. Die neuen Sommerschuhe
passen da wirklich hervorragend
zu, findet er. „Was machst du denn
da, Karl?“, hört er sie plötzlich
fragen. Was ist denn jetzt wieder?
Er rollt mit den Augen und dreht
sich um.
„Ja, was mache ich denn? Ich ziehe
mir Schuhe und ... na eben dieses
Ding hier ... an. Den ... na, sag
doch mal schnell.“
Er sieht, wie sie den Kopf schüttelt. „Du meinst deine Weste, Karl.
Aber es ist Winter. Draußen ist es
bestimmt drei Grad unter null. Du
musst deine Winterschuhe anziehen. Und einen Mantel. Hast du
das denn vergessen?“
S
ie hatte es befürchtet: Karl hat
nicht einmal die Hälfte dessen
mitgebracht, was sie aufgeschrieben hatte. Dabei wollte er doch
alleine einkaufen gehen. Er schaffe
das, das sei doch überhaupt kein
Problem, hatte er gesagt. Und jetzt
das. Und von der Margarine haben
sie noch drei Packungen im Kühlschrank. Das hatte sie ihm doch
auch gesagt. Was jetzt? Sie müssen
8
noch mal los. Nur, wenn sie ihm
das jetzt erklären will, ist er beleidigt. Aber es geht nicht anders:
„Karl, wir müssen nochmal los“,
ruft sie ihm zu. „Was? Wieso denn?
Ich bin doch eben erst zurück! Fehlt
denn was?“
„Es fehlt fast alles, Mensch!“
Er antwortet nicht. Sie weiß, das
war nicht der richtige Ton, sie ist
nicht fair, aber sie kann nicht anders. Sein Verhalten nervt sie einfach nur noch. Es kann doch nicht
sein, dass er die einfachsten Dinge
nicht mehr auf die Reihe kriegt.
W
ieder alles falsch gemacht,
denkt er. Wieder motzt sie nur
rum. Am besten, ich mach einfach
gar nichts mehr. Ich lasse einfach
alles sein. Dann kann sie hier alles
alleine machen, sie weiß ja eh
alles besser. Und gut. Dann kann
sie aber auch gleich alleine ins
Kino oder Theater fahren. Oder was
hat sie vor? Er weiß es nicht mehr.
Dann bleib ich eben zu Hause,
wenn es das ist, was sie will. Dann
bleib ich halt hier.
W
ieder einmal fährt Edith
alleine los. Sie gibt Karl
einen Kuss auf die Wange, doch er
reagiert nicht einmal. Er sitzt wie
erstarrt in seinem Sessel, schaut
fern. Irgendwas, es scheint ihm
egal zu sein. „Bis nachher dann“,
sagt sie sanft, er nickt kaum merklich mit dem Kopf und versetzt ihr
damit einen Stich. Als sie durch
den Flur nach draußen tritt, hält
sie inne und spürt, wie ihr der
Hals eng wird. Er entfernt sich von
ihr. Er verschwindet einfach.
I
ch will es wieder gutmachen,
denkt er. Ich zeige ihr, dass
ich das kann. Sie ist zwar schon
wieder weg, ständig ist sie weg,
und er geht jetzt auch. Sie ist
sicher beim Kegeln, da wird er
sie finden. Ist gar nicht weit von
hier, da kann man hin laufen. Er
zieht sich an und geht los. Atmet
die klare Luft ein. Läuft und läuft.
Durch Straßen, vorbei an Häusern,
Menschen, Autos, doch all das
nimmt er gar nicht wahr. Noch
eine Abzweigung, dann ist er da.
Noch ein paar Schritte, dann ...
aber wo ist es? Hier muss es doch
sein. Er bleibt stehen und schaut
sich um. Es ist weg! Einfach weg!
Aber es muss doch hier sein! Da
steht ein Haus, aber hier kegelt
doch niemand, hier steht doch
sein Haus, das, in dem er gespielt
hat. Es dämmert bereits, und er
spürt, wie Angst in ihm hochsteigt.
Er atmet schneller, seine Hände
zittern. Was mache ich eigentlich hier?, denkt er. Ich will nach
Hause. Plötzlich blenden ihn die
Scheinwerfer eines Autos.
S
ie hatte es geahnt. Er war
nicht zu Hause gewesen,
hatte nichts hinterlassen. So ist
es schon ein paar Mal gewesen
in den letzten Wochen. Und jedes
Mal hatte sie ihn hier gefunden. In
der Straße, wo einst sein Geburtshaus stand. Sie hält an und steigt
aus. „Karl, da bist du ja! Komm,
steig ein!“ Er dreht sich um, tritt
vorsichtig näher, starrt sie an und
sagt nur: „Ich geh doch ins Kino!“
Definition
9
Demenz: Definition und Symptome
Wichtiges über Demenz
auf einen Blick
Definition – Symptome – Ursachen – Diagnostik
– Therapie und Behandlung – Netzwerk
D
ie Geschichte von Edith und
Karl spiegelt einen typischen
Verlauf der Demenzerkrankung
und deren Auswirkungen auf das
Alltagsleben wider. Verschiedene
Symptome treten auf, verstärken
sich und schränken das eigenständige Leben des Menschen im
Verlauf der Erkrankung zunehmend
ein. Was aber ist eine Demenz? Wie
definiert sie sich?
Demenz ist ein Oberbegriff für
verschiedene Erkrankungen, bei
denen Fähigkeiten, die wir im Laufe
unseres Lebens erworben haben,
verloren gehen. Die bekannteste
und häufigste Form der Demenz ist
die Alzheimer-Krankheit. Aber auch
die Folgen eines Schlaganfalls oder
zum Beispiel jahrelanger Missbrauch von Alkohol oder anderen
Drogen können im Alter zu einer
Demenz führen.
10
D
ie Ursachen einer Demenz können vielfältig sein. Daher ist es
wichtig, die Ursache beim Facharzt
abklären zu lassen.
Typisch für eine Demenz ist: Die
Symptome dauern länger als sechs
Monate an. Sie verstärken sich
fortlaufend und führen zu massiven
Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung.
Symptome
M
enschen, die an einer Demenz
erkranken, können sich immer
weniger merken, sind nicht mehr
gut orientiert und haben Schwierigkeiten die richtigen Worte zu
finden. Die Symptome nehmen im
Verlauf zu, und es kommen seelische Veränderungen hinzu wie:
Gefühlsstörungen, Verstimmungen,
bis hin zur Depression. Der Betroffene ist zunehmend in sich gekehrt
und meidet Gesellschaft. Ebenso
ist abwehrendes Verhalten möglich. Es kann auch sein, dass ein
Mensch, der an Demenz erkrankt,
unter Wahnvorstellungen leidet.
Eine körperliche Unruhe, allgemeine Unsicherheit, zunehmende
Interessenlosigkeit oder eine
immer schlechter werdende und
bald ganz fehlende Organisation
von Körperpflege und Kleidung
können ebenfalls hinzukommen.
Die Symptome führen im Verlauf
der Erkrankung dazu, dass der
Alltag nicht mehr alleine bewältigt
werden kann.
Und dazu, dass er sich nicht nur allein, sondern allein gelassen fühlt
– von seinem Umfeld, von Familie
oder Freunden – selbst, wenn diese sich intensiv um ihn kümmern,
denn seine Wahrnehmung vermittelt ihm etwas anderes.
Ursachen
E
s gibt verschiedene Ursachen
für eine Demenzerkrankung.
Alzheimer-Erkrankung
So findet man zum Beispiel im
Gehirn von Menschen mit Alzheimer-Demenz Eiweißablagerungen
und fadenförmige Zellbestandteile.
Worin die Ursache dafür liegt, ist
Symptome
Kognition: Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen, Sprachstörungen
Emotion: Gefühlsstörungen,
Wahnvorstellungen, Ängste
Verhalten: Körperliche Unruhe,
Unsicherheit, Aggression, mangelnde
Körperpflege
11
Demenz: Ursachen und Diagnostik
noch unklar. Wissenschaft und Forschung beschäftigen sich seit mehr
als 100 Jahren damit.
Vaskuläre Demenz
Eine Verengung der Blutgefäße
kann die Durchblutung im Gehirn
nachhaltig stören und schlimmstenfalls zu einem Schlaganfall führen, weil große und kleine Gefäße
betroffen sein können. Die Folge
sind Symptome einer Demenz.
Wichtig zu wissen:
Auch ganz andere Erkrankungen
können zu Symptomen einer Demenz führen. Etwa eine Fehlfunktion der Schilddrüse oder auch die
Nebenwirkungen von bestimmten
Medikamenten. In jedem Fall ist es
wichtig, die Diagnose vom Facharzt
möglichst rasch stellen zu lassen,
um die jeweilige Ursache behandeln zu können.
Diagnostik
E
dith und Karl aus unserer Geschichte gehen bald den Schritt,
der unumgänglich ist, wenn über
einen Zeitraum von mehr als sechs
Monaten die Symptome einer
Demenz auftreten und sich zudem
verstärken: Sie gehen zum Hausarzt. Die frühe Diagnose ist wichtig,
12
damit frühzeitig mit der Therapie
begonnen werden kann.
Körperliche und psychiatrischneurologische Untersuchung
Zu einer verlässlichen Diagnostik
gehört nicht nur eine gründliche
körperliche und psychiatrisch-neurologische Untersuchung. Sondern
auch ein genauer Blick auf die
Vorgeschichte des Patienten.
Im Beispiel von Edith und Karl
kommt es hierbei auch auf Edith
an: Sie kann als direkte Angehörige
wichtige Angaben machen, die Karl
vielleicht nicht sagt, weil er sich
nicht erinnert oder schämt.
Besteht der Verdacht auf eine
Gedächtnisstörung, werden weitere
Untersuchungen angeschlossen.
Siehe: Infokasten Diagnostik.
Wenn sich der Verdacht bestätigt
Im Fall von Karl ist die Diagnose
eindeutig: Ja, er leidet an Demenz.
Diese Nachricht müssen Patient
und Angehörige erst einmal verkraften.
Behandlung
H
eilbar ist eine Alzheimer-Erkrankung nicht, aber es gibt
viele Behandlungsmöglichkeiten.
Andere Formen der Demenz lassen
sich ebenso behandeln, zum Teil
auch heilen. Wer die Diagnose
erhält, ist auch nicht gleich ein
Betreuungs- oder gar Pflegefall.
Denn das Fortschreiten der Krankheit und damit das Eintreten von
Pflegebedürftigkeit kann verzögert
werden.
Es gibt medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsverfahren. Die Medikamente können
den Krankheitsverlauf hinauszögern. Die nicht-medikamentösen
reduzieren die Risikofaktoren.
Zu den nicht medikamentösen
Verfahren gehören Logopädie,
Physiotherapie, Psychotherapie,
Ergotherapie, Musiktherapie sowie
gesunde Ernährung, Sport und
Bewegung.
All das soll dazu beitragen, dass
die Betroffenen und ihre Angehörigen noch lange Zeit in ihrer vertrauten Umgebung leben können.
Genuss, Kultur, Sport: All das kann
trotz einer Demenz-Diagnose weitergehen.
Vor allem Angehörige brauchen
Hilfe und dürfen nicht übersehen
werden. Sie benötigen Beratung
und Begleitung.
W
er die Diagnose Demenz
erhält, der hat viele Fragen,
Ängste, Sorgen. Umso wichtiger
ist es zu wissen, wo man schnell
welche Art der Hilfe bekommt.
Die Landesinitiative DemenzService NRW kann weiterhelfen.
Diagnostik
> Körperliche und psychiatrischneurologische Untersuchung
> Neuropsychologische Untersuchung
> Blutuntersuchung, bildgebende
Verfahren (Computertomografie,
Magnetresonanztomographie),
Nervenwasseruntersuchung,
Messung der Hirnströme
13
Demenz: Netzwerk
Netzwerk:
Demenz-Servicezentrum
Hilfe, Beratung, Vermittlung, Information für
Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen
U
m Menschen mit Demenz und
ihre Angehörigen möglichst in
ihrer vertrauten Umgebung gut zu
unterstützen, entstand die Landesinitiative Demenz-Service in
Nordrhein-Westfalen (NRW). Das
Demenz-Servicezentrum Bergisches Land ist eines von insgesamt
13 Demenz-Servicezentren (DSZ)
in NRW.
Die Landesinitiative Demenz-Service NRW wird vom Ministerium
für Gesundheit, Emanzipation,
Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, den Landesverbänden der Pflegekassen und den
jeweiligen Trägern der regionalen
Demenz-Servicezentren finanziert.
Die Koordinierung erfolgt durch das
Kuratorium Deutsche Altershilfe.
Das DSZ Region Bergisches Land
steht in Trägerschaft der Evangelischen Stiftung Tannenhof, einem
Fachkrankenhaus für Psychiatrie,
Psychotherapie, Psychosomatik
und Neurologie.
Wir erfassen, strukturieren und
vernetzen alle demenzspezifischen
Angebote in der gesamten Region.
Das DSZ Bergisches Land ist zuständig für die folgende Region:
Solingen
Wuppertal
Remscheid
Oberbergischer Kreis
Rheinisch-Bergischer Kreis
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Wir ergreifen Initiative beim
Aufbau neuer Versorgungsstrukturen und geben Informationen
individuell an Ratsuchende weiter.
Wir verstehen uns als Wegweiser
im System der regionalen Versorgungsstruktur und arbeiten
vertrauensvoll mit Pflegestützpunkten, Pflegekassen, Kommu-
nen, Gemeinden, Trägern sowie
anderen Dienstleistern im Versorgungssystem zusammen.
Unser Service
Telefonische Beratung im Einzelfall für an Demenz erkrankte
Menschen, Angehörige sowie für
ehrenamtliche und professionelle
Betreuungspersonen oder Dienste.
Wir helfen
> Menschen mit einer Demenz,
die Erkrankung zu bewältigen
> Angehörigen, die zumeist den
größten Teil der Versorgung
übernehmen
> Pflegediensten, Beratungsstellen, Ärzten, Therapeuten, Kliniken,
Selbsthilfegruppen, Vereinen,
Betreuungsgruppen und allen
anderen, die sich in der Arbeit
für Menschen mit Demenz
einsetzen.
Wir geben
weiterführende Informationen
zum Thema Demenz sowie über die
Versorgungsmöglichkeiten
und Angebote in ihrer Region.
Ausführliche Informationen
über die Landesinitiative
Demenz-Service finden Sie unter:
www.demenz-service-nrw.de
> Von der Früherkennung bis zum
fortgeschrittenen Stadium der
Demenz unmittelbar, trägerübergreifend, kostenfrei wohnortnahe
Angebote für Menschen mit Demenz und Angehörige zu finden.
15
Demenz: Netzwerk
Das Netzwerk auf einen Blick
Beratungsstellen
Menschen mit Demenz
und ihre Angehörigen
Hausarzt
DemenzServicezentrum
Bergisches Land
Gesprächssprechstunde
Memory Clinic
Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie
Neurologie
Ergotherapie
Psychotherapie
Physiotherapie
Logopädie
Pflegeberatung
Wohnberatung
Pflegestützpunkte
Familie
Freunde
Nachbarn
6
16
- Ambulante Dienste
- Niedrigschwellige
Angebote § 45 b
SGB XI
- Teilstationäre Dienste
- Stationäre Dienste
- Rehabilitation
- Haushaltshilfen
- Sonstige Angebote
(nicht anerkannt
nach § 45 b SGB XI)
Unsere Telefonnummer:
0 21 91 / 12 12 12
Pflegekassen
Angehörigen-Gruppe
Selbsthilfegruppen
Alzheimer-Gesellschaft
17
7
Edith und Karl, Teil 2
Und mit einem Heim brauchen die
ihm gar nicht zu kommen. Edith
wird das schon machen. Hauptsache, sie nörgelt nicht ständig an
ihm herum. Dann wird das schon
irgendwie gehen.
V
Zwei, die Hilfe brauchen
Was passiert, wenn man auf sich gestellt ist:
Die Geschichte von Edith und Karl, zweiter Teil.
A
lso ist es so, denkt Edith. Sie
waren zuerst beim Hausarzt,
dann in der Memory-Clinic. Dann
wieder bei ihrem Arzt. Karl hat Alzheimer. Was soll nun werden? Wir
hatten doch andere Pläne. Er wird
zum Pflegefall. Bald wird er nicht
einmal mehr wissen, wer er selbst
ist. Sie muss sich jetzt um alles
kümmern. Um ihr Leben und um
seins. Um den Haushalt. Um die
Finanzen. Um seine Körperpflege.
Er will nicht in ein Pflegeheim, das
hat er gleich gesagt. Aber sie weiß,
das würde sie sowieso nie tun. Sie
18
würde ihn nie alleine lassen. Aber
trotzdem: Sie kann ihn wohl nicht
bis zum Ende pflegen. Er kann
doch jetzt schon kaum noch was.
Oder? Kann sie ihn allein lassen?
Was soll sie nur mit ihm machen?
A
lzheimer, denkt er. Das kann
nicht sein, das darf nicht sein.
Er wird eben alt, meine Güte, da
kann man doch mal was vergessen.
Und neulich, da war er halt ein
bisschen daneben, hatte nicht gut
geschlafen, und dann wieder dieses Wetter. Die müssen sich irren.
iele Monate ist es jetzt her, seit
sie es wissen. Es ist genauso
gelaufen, wie Edith es befürchtet
hatte. Er kann immer weniger alleine. Findet morgens seine Kleidung
nicht, bekommt die Hose nicht an,
erkennt beim Einkaufen nicht mal
die Marmelade, die er seit dreißig
Jahren isst. Aber wehe, sie spricht
ihn darauf an. Neulich hat er den
halben Supermarkt zusammengebrüllt. Sie ist heulend mit ihm
rausgerannt, so sehr hat sie sich
geschämt. Aber er will sich nicht
helfen lassen. Und sie kann es
einfach nicht. Nicht mehr. Nächste
Woche telefoniert sie. Aber mit
wem? Sie sagt ihm einfach nichts
davon. So geht es nicht weiter.
W
enn er das Wort Therapie
schon hört. Das ist doch was
für richtig Kranke. Er kann doch
noch alles, eigentlich. Sie gehen
zusammen einkaufen, letztens ist
er noch Rad gefahren, wo war das
noch gleich? Er ist sicher, dass sie
zusammen unterwegs waren. Nur,
was die in der Zeitung schreiben,
wird immer komplizierter. Das war
doch früher anders, heute muss
man ja schon studiert haben, um
das zu verstehen. Er liest keine Zeitung mehr, das ist ihm suspekt. Der
Fernseher tut es ja auch. Obwohl
er das Gefühl hat, dass ihn auch
das immer mehr anstrengt. Aber
... sonst gibt es eben nichts. Und
Edith kümmert sich ja auch immer
weniger. Es ist nicht so, dass er
das nicht merkt. Die Kinder rufen
auch kaum noch an. Überhaupt:
Keiner kümmert sich mehr. Was hat
er denn allen getan? Er weiß nicht
mehr weiter.
M
orgen ist der Termin in der
Pflegeberatung. Er weiß es
noch gar nicht. Sie hat beschlossen, ihn einfach ins Auto zu setzen
und ihm zu erzählen, sie machten
einen Ausflug. Er selber kann ja
nicht mehr fahren, also fährt sie.
Gestern hat er wieder so geschrien
und den Teller durch die Wohnung
geworfen. Sie wolle ihn vergiften,
hat er gebrüllt. Sie wolle doch nur,
dass er endlich tot ist. Ihr kommen
die Tränen, wenn sie daran denkt.
Seit jenem Tag in der Arztpraxis
kommt es ihr vor, als wenn nur
noch ein schwarzer Schleier über
allem liegt. Als wenn alles einfach
vorbei ist. Als wenn das Leben einfach keinen Sinn mehr macht ...
19
Unsere Telefonnummer:
0 21 91 / 12-0
Über das Ehrenamt
Bürgerschaftliches Engagement in der
Evangelischen Stiftung Tannenhof.
Ein Beitrag von Pfarrer Uwe Leicht
E
hrenamtliche Mitarbeit stärkt
die Qualität unserer Einrichtung
auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Menschen begegnen sich auf
Augenhöhe, ohne therapeutischen
oder pflegerischen Anspruch. Zusätzliche Freizeitaktivitäten können
angeboten werden, Schwellen
abgebaut und Lebensqualität
verbessert werden. Darum sind
wir als Träger sehr dankbar für das
große ehrenamtliche Engagement
in unserer Einrichtung.
A
uf eine lange Tradition vieler
Jahrzehnte blickt unser Heimbereich zurück. Im Bereich „Inte-
20
gration-Wohnverbund“ arbeiten
rund 40 Ehrenamtliche an den
unterschiedlichen Stellen mit. Immer ist das Engagement zusätzlich
und unabhängig von der professionellen Hilfe der Mitarbeitenden.
Freundschaftsähnliche Besuchskontakte werden zu einzelnen
Bewohnerinnen und Bewohnern
ebenso gepflegt, wie zusätzliche
Freizeitaktivitäten angeboten. Der
Sonntagstreff in unserem Freizeitzentrum wäre ohne Ehrenamtliche
ebenso wenig denkbar, wie die
Organisation unseres Second Hand
Ladens „Dat Lädchen“. Im Bereich
des Fachkrankenhauses gibt es
21
Über das Ehrenamt
einen Besuchsdienst „Grüne Damen und Herren“, der sich um die
Patientinnen und Patienten unserer
gerontopsychiatrischen Stationen
bemüht und auch Besuche in der
Neurologischen Fachklinik durchführt. Insbesondere in der Gerontopsychiatrie ist der Bedarf an
Kontakt und Beziehung schwer zu
stillen und der Einsatz der Ehrenamtlichen besonders dankenswert.
E
hrenamtliches Engagement ist
auf eine gute Begleitung durch
Hauptamtliche angewiesen. Um
mich im Gesundheitswesen, speziell in der Psychiatrie, bewegen zu
können, braucht es Wissen, Können und fachliche Begleitung auch
für Ehrenamtliche. Regelmäßiger
Austausch und eine wertschätzende Kultur der Begleitung sind
daher vom Träger zu gewährleisten.
S
o ist die große Kontinuität und
Zufriedenheit unter den Ehrenamtlichen verständlich, die sich in
unserer Einrichtung engagieren.
Ehrenamt ersetzt kein Hauptamt.
Ehrenamt ist ein freiwilliges,
zusätzliches Angebot von eigener
Qualität und Würde. Nur so bleibt
es für alle Beteiligten ein Erfolg.
Pfarrer Uwe Leicht
Geistlicher Vorsteher der
Evangelischen Stiftung Tannenhof
Ev. Stiftung Tannenhof
Evangelische Stiftung Tannenhof
Remscheider Straße 76
42899 Remscheid
Tel: 0 21 91 / 12 0
www.stiftung-tannenhof.de
[email protected]
Kaufmännischer Direktor
Dietmar Volk
Ärztlicher Direktor
Prof. Dr. Klaus Windgassen
22
Eine, die
mitgeht
Umgekehrt lassen die sehr existenziellen Fragen der begleiteten Menschen den ehrenamtlich Tätigen
nach den eigenen Lebensentwürfen fragen und vermitteln unmittelbar Sinn und Wert für das eigene
Leben.
Die ehemalige Krankenschwester
Dagmar Seipp arbeitet regelmäßig ehrenamtlich
mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind.
D
ass sie nach ihrer Berufstätigkeit weiterhin mit Menschen
arbeiten würde, die an Demenz
erkrankt sind, stand für Dagmar
Seipp schon früh fest. 30 Jahre
lang arbeitete sie in der Pflege in
der Ev. Stiftung Tannenhof in Remscheid, davon 18 Jahre intensiv mit
Patienten, die an Demenz erkrankt
sind. Dat Lädchen, einen kleinen
Shop innerhalb der Stiftung Tannenhof, hat sie gemeinsam mit anderen Ehrenamtlern mit aufgebaut,
es sind Freundinnen und Schwestern von ihr, die regelmäßig dort
mithelfen. Sie selbst ist mehrmals
im Monat im Lädchen tätig, wo Patienten der Fachklinik Besorgungen
erledigen können. „Ich freue mich
jedes Mal darauf, die Menschen
dort wieder zu treffen. Diese Nähe
zu den Patienten ist gut und wichtig: Sie freuen sich, wenn sie mich
sehen, da sind richtige Beziehungen entstanden. Und – die meisten
erkennen mich auch wieder. Man
bekommt einfach viel zurück, wenn
man den Menschen hilft”, unterstreicht Dagmar Seipp.
Sie weiß: Einen so offenen, unkomplizierten Umgang pflegen,
das kann nicht jeder: „Man will
eine Demenz oft nicht wahrhaben,
schämt sich dafür, wenn zum Beispiel unkontrollierte Dinge gesche23
hen oder wenn der Erkrankte eine
Erwartungshaltung nicht erfüllt.
Dann sagt man schnell: Das geht
doch jetzt nicht. Aber natürlich
geht das: Man muss sich einfach
klar machen, dass Menschen mit
Demenz auf eine bestimmte Weise
handeln, weil sie nicht anders können. Sich schämen ist da gar nicht
angebracht.”
Immer ruhig bleiben
D
ie langjährige Pflegekraft weiß,
dass manch ein Erkrankter
auch aggressiv werden kann, wenn
er mit einer Situation nicht zurecht
kommt oder von seinem Standpunkt nicht abrücken will. Daher
legt sie größten Wert darauf, dass
man als Begleiter immer so ruhig
und gelassen bleibt, wie es geht.
Und dass man stets reflektiert und
sich fragt: Ist jetzt ein Eingreifen
nötig? Sollte man den Betroffenen
aus der Situation herausholen?
Häufig reagiere man hierbei auch
einfach aus dem Bauch heraus,
sagt Dagmar Seipp.
Und oft sei es auch besser, je
nachdem, wie weit die Krankheit
fortgeschritten ist, dass man den
Erkrankten in seiner Wirklichkeit
lässt und nicht versucht, ihn vom
eigenen Standpunkt zu überzeugen.
24
Dagmar Seipp
Wichtig sei es immer, einem
Menschen mit Demenz Sicherheit
und Geborgenheit zu geben: „Man
muss im Vorfeld klarstellen: Wir
gehen zusammen, wir bleiben
zusammen. Zum Beispiel beim Einkaufen oder beim Arztbesuch. Und
wenn es sein muss, beendet man
das Ganze, egal ob Einkauf oder
Behandlung, und setzt es später
oder am nächsten Tag fort.”
Gerade direkten Angehörigen
empfiehlt sie, sich bei der Betreuung Hilfe zu holen, bei engagierten
Ehrenamtlern, die ohne Scheu, dafür aber mit großer Verantwortung,
den Demenzkranken betreuen und
in manchen Situationen vielleicht
auch souveräner agieren können
als es der Angehörige tut. Dagmar
Seipp weiß aber auch: „Für viele
Angehörige ist es schwierig, sich
Auszeiten zu nehmen. Doch es ist
wichtig.” Während dieser Zeit sind
Ehrenamtler wie Dagmar Seipp für
die an Demenz erkrankten Menschen da. Sie kümmern sich, sie
gehen mit. Mit Fürsorge, Einfühlungsvermögen, Erfahrung und
Engagement.
25
Demenz: Das geht!
Das geht!
Gut leben trotz Demenz: Wie Sie es als Ehrenamtler möglich machen und was zu beachten ist.
Das Leben weiterhin
genießen
M
it der Diagnose Demenz ist
noch ein lebenswertes Leben
mit guten, angenehmen, genussvollen Momenten in der gewohnten
Umgebung möglich. Sie können
einkaufen, Kultur erleben, Sport
treiben, ihren Hobbys nachgehen.
Und das am besten mit Hilfe von
engagierten Ehrenamtlern, die
einem zur Seite stehen.
Gehen Sie immer auf
den Menschen ein
D
as Allerwichtigste beim Umgang mit demenzkranken
Menschen ist es, sie einzubinden in den Alltag und das aktive
Leben. Und zwar immer mit Wertschätzung. Hierfür gibt es einige
wichtige Regeln und Hinweise
zur Kommunikation. Denn die Art
und Weise, wie Helfer mit der sich
verändernden Sichtweise eines
26
Menschen umgehen, ist hierfür
entscheidend. Sie müssen dem
Betroffenen das Gefühl geben,
gebraucht zu werden. Ihm positive
Emotionen vermitteln, ihn motivieren, aber nicht bedrängen.
Kommunikation: Sich
weiterhin verstehen
D
ie Kommunikation von Menschen mit Demenz verändert
sich im Verlauf der Krankheit.
Dies zeigt sich unter anderem so:
> Er beteiligt sich nicht mehr am
Gespräch und beginnt auch von
sich aus keines mehr
> Manche Dinge von früher interessieren ihn immer weniger, trotzdem
spricht er immer häufiger von der
Vergangenheit
> Er behauptet falsche Dinge,
beharrt darauf und lässt sich vom
Gegenteil nicht überzeugen
27
Kommunikation
> Er vergisst mitten im Satz, was er
sagen wollte, findet Worte nicht,
fragt oder erzählt immer wieder
dasselbe, versteht aber immer
weniger, was man ihm sagt
A
ls Ehrenamtler sollten Sie sich
darauf einstellen, Menschen
mit Demenz nicht auf Fehler hinzuweisen, sondern einfühlsam zu
kommunizieren, sodass sie sich
verstanden fühlen.
Im Gespräch zu beachten:
> Immer zum Gespräch motivieren
> Langsam und mit Pausen sprechen. Dabei kurze, klare Sätze
bilden, Metaphern und Ironie
vermeiden, eindeutige Mimik
und Gestik anwenden. Im Gesichtsfeld des Menschen bleiben
> Themenwechsel langsam
vorbereiten
Was den Menschen
ausmacht
E
s ist wichtig, dass ein Mensch,
der an Demenz erkrankt ist,
seinen Alltag weiterhin bewältigen
kann, dass er so selbstständig wie
möglich die täglichen Dinge des
Bedarfs erledigt – Ergotherapie
und Logopädie und andere nicht
28
medikamentöse Therapien helfen
hierbei entscheidend mit. Was
hat den Menschen immer ausgemacht? Was konnte er am besten?
Wo liegen seine Interessen? Ist er
schon immer sportlich gewesen?
Hat er immer viel gelesen? Liebt er
das Reisen? Ist er ein Tüftler oder
malt er gern? Diskutiert er viel?
Dann sollten all diese Dinge auch
weiterhin aktiv betrieben werden.
Entscheidend ist es, den Fokus
nicht nur auf das zu rücken, was
der Betroffene nicht mehr kann,
sondern auf all das, was noch geht.
Es kommt nicht aufs
Wie an. Aber aufs Ob
G
anz entscheidend ist hierbei
eine andere, eine neue Sichtweise auf die Dinge. Es kommt
nicht mehr darauf an, WIE gut ein
Mensch mit Demenz zum Beispiel
eine handwerkliche Tätigkeit
ausübt oder wie lange ein Ausflug
dauert. Sondern darauf, DASS es
gemacht wird. Alte Gewohnheiten
dürfen bleiben. Die Erwartungshaltung muss sich dementsprechend
verändern. Wie sich später noch
zeigen wird, sind Geduld, Flexibilität und schnelles Umdenken hier
besonders gefragt. Die Improvisation wird zum Prinzip. Es kann
sein, dass ein Spiel nach wenigen
Minuten endet, ein Ausflug nur
kurz dauert oder ein Theaterbesuch
nur eine halbe Stunde durchführbar ist. All das ist nicht schlimm
– Hauptsache, es wird überhaupt
gemacht und der Betroffene erlebt
die Dinge, die ihm immer etwas
bedeuteten, die ihm emotionalen
Halt und Sicherheit gaben, auch
weiterhin.
Entscheidungen
abnehmen entlastet
H
äufig müssen im Alltag Entscheidungen getroffen werden.
Und sie sollten von jenen getroffen
werden, die den Menschen begleiten – und in seinem Sinne. Das
kann nur, wer dessen Bedürfnisse
und die Gefühle genau kennt, sich
mit ihm intensiv auseinandersetzt.
Wer auf dieser Basis Entscheidungen trifft und ihm dennoch das
Gefühl gibt, an der Entscheidung
mit beteiligt zu werden, entlastet
sich selbst und den Betroffenen.
Geschlossene oder
offene Angebote
O
b in der Alltags- oder der Freizeitgestaltung: Wenn Angebote
außerhalb der eigenen vier Wände
genutzt werden, muss bei deren
Planung unterschieden werden:
Sind sie geschlossen oder offen?
Und: Gibt es jeweils Ansprechpartner oder nicht? Denn bei geschlossenen Angeboten ist für Ehrenamtler eine entsprechende Vorplanung
ganz wichtig.
Beispiel für offenes Angebot:
> Einkaufen im Supermarkt ohne
einen direkten Ansprechpartner vor
Ort und ohne jede Art von zeitlich
gebundenem Termin.
Beispiele für geschlossene
Angebote:
> Arztbesuch, Friseurbesuch,
Gottesdienst, Behördengang
Vorher informieren
> Nehmen Sie sich bei geschlossenen
Angeboten Zeit, um abzuklären,
ob z.B. Erfahrung im Umgang mit
Menschen mit Demenz besteht und
ob die Rahmenbedingungen für einen
Besuch passen.
29
O
ffene Angebote, wie etwa ein
Marktbesuch, sind einfacher
zu gestalten, da Sie hierbei unabhängig sind. Sie können einen
Markt oder ein Geschäft sofort verlassen, wenn es der Mensch, der
an Demenz erkrankt ist, wünscht.
Das ist während einer Untersuchung oder eines Friseurbesuches
schwieriger.
G
erade bei diesen geschlossenen Angeboten sollten Sie
daher als ehrenamtlicher Helfer
im Vorfeld wichtige Fragen klären: Weiß der Anbeiter, was eine
Demenz ist? Hat er Erfahrung im
Umgang mit Menschen mit
Demenz? Ist eine Toilette in der
Nähe? Gibt es Wartezeiten und
wenn ja, wie lang sind diese?
Ist es möglich, zum Beispiel beim
Friseur, mittendrin zu unterbrechen
oder abzubrechen, wenn
der Betroffene dies wünscht? Was
auch immer passiert, niemand
muss sich für etwas schämen.
Kurz und gut
> 30 Minuten: Nicht viel länger können
Menschen mit Demenz ihre Aufmerksamkeit auf ein und dasselbe Thema
richten. Daher ist es keinesfalls
tragisch, wenn auch Kulturangebote
nur zu einem Teil besucht werden oder
man in der Pause geht.
30
Die Lebenswirklichkeit
soll bestehen bleiben
I
deal ist es, wenn man sich in
seinem bekannten Lebensumfeld
bewegt. Wenn der Betroffene also
seinen langjährigen Friseur, Arzt,
Fachhändler „behalten“ kann.
G
anz wichtig ist es, dass sich
alle Beteiligten bewusst sind,
dass eine Situation anders sein
kann als vorgestellt. Dass es also
gar nicht schlimm ist, wenn man
mitten im Gottesdienst aufsteht
und geht. Dass es nichts ausmacht,
wenn der Haarschnitt zwei Stunden
später oder erst am nächsten Tag
beendet wird. Als Begleiter eines
an Demenz erkrankten Menschen
informieren Sie sich im Vorfeld
und gegebenenfalls während einer
Alltagssituation, wenn es erforderlich ist. Aber sie rechtfertigen oder
entschuldigen sich niemals für Ihre
Situation. Auch dann, wenn sich
der Betroffene vielleicht nicht so
verhält, wie erwartet oder ein Angebot abgebrochen werden muss. Für
ihn hat alles einen Sinn.
Die Situation immer
im Blick behalten
W
ie auch immer die Alltagssituation ist, ganz gleich, ob es
um das gemeinsame Mittagessen
zu Hause geht oder den Einkauf im
Supermarkt: Als Begleiter müssen
Sie immer die Bedürfnisse des
Menschen im Blick haben. Das
erfordert Aufmerksamkeit für ihn
und für die Situation. Sie müssen
reflektieren: Wie reagiert der an
Demenz erkrankte Mensch jetzt
gerade emotional? Sie dürfen nicht
festgelegt sein und planen am
besten so wenig wie möglich. Sei
es bei einem Schwimmbadbesuch
oder einem Besuch auf dem Markt.
Am besten ganz früh
sein – oder relativ spät
Gemeinsame Erledigungen werden einfacher, wenn Sie entweder
ganz früh oder vergleichsweise
spät am Tag unterwegs sind – also
außerhalb von Stresszeiten, wenn
außer Ihnen nur wenige Menschen
anzutreffen sind, die verunsichern
oder ängstigen könnten. Was nicht
heißt, dass sie erst um fünf vor
zehn abends in den Supermarkt
stürzen. Wenn es der Betroffene
gewohnt ist, jeden Montag um acht
Uhr einkaufen zu gehen, sollten Sie
das auch so beibehalten.
K
onzerte erleben, einer Lesung
lauschen, ins Museum oder ins
Kino gehen – das und mehr können
Menschen mit Demenz weiterhin
erleben. Auch Zoo- oder Ausstellungsbesuche eignen sich sehr gut.
Allerdings nicht immer uneingeschränkt. Auch hier ist es wichtig,
zwischen offenen und geschlossenen Angeboten zu unterscheiden.
Und zu beachten, dass ein Mensch
mit Demenz etwa 30 Minuten lang
einer Veranstaltung folgen kann.
Lesen, vorlesen,
Spiele spielen
M
otivieren Sie den Betroffenen
so lange, selber zu lesen,
wie er dies kann. Geben Sie ihm
einfache, kurze Texte. Und lesen
Sie selber vor. Aus der Zeitung, aus
Büchern oder kurzen Geschichten.
Der Roman „Ein Fisch ohne Wasser“ (s. Infokasten Seite 33) wurde
31
Das Leben gestalten
zum Beispiel speziell für Menschen
mit Demenz geschrieben.
Spielen Sie gemeinsam Spiele, bei
denen das Gedächtnis angeregt
wird, zum Beispiel Scrabble. Oder
Spiele, die früher immer gerne
gespielt wurden. Das kann auch
ein Murmelspiel sein. Vielleicht
eignet sich aber auch ein einfaches
Videospiel.
Verfügung steht. Bei Tätigkeiten,
wo unter Umständen eine Verletzungsgefahr besteht (Schere,
heißer Topf, etc.) müssen Helfer
immer dabei sein. Beim Kochen
oder Backen sollten Sie außerdem
darauf achten, dass gemeinsam
gearbeitet wird. Backen Sie zum
Beispiel für einen bestimmten
Anlass wie Geburtstage oder Weihnachten.
Basteln, Malen, Kochen
Werkeln, Gartenarbeit
Arbeitsleben erhalten
H
H
andwerkliche Tätigkeiten wie
Basteln, Werkeln, Gartenarbeit,
aber auch Kochen und Backen
eignen sich als Freizeitbeschäftigung für Menschen mit Demenz
auch deshalb so gut, weil sie im
gewohnten Umfeld stattfinden, sodass viele Elemente wiedererkannt
werden. Wenn Sie einen Garten haben, legen Sie ein separates Beet
an, das dem Betroffenen allein zur
Der bewegte Tag
> Das Buch mit Bewegungsübungen,
herausgegeben von Arnd Bader, Julia
Horst und Monika Wilhelmi, zeigt Ihnen
auf anschauliche Weise Bewegungsübungen, die Sie leicht und an jedem
Ort nachmachen können. Entwickelt
wurde es von Physiotherapeuten und
Experten für Demenzerkrankungen.
32
at der Betroffene seinen Beruf
immer geliebt? Dann kann es
sinnvoll sein, ein entsprechendes Angebot mit Elementen aus
der Arbeitswelt zu schaffen. Zum
Beispiel das Fotografieren mit einer
einfachen Kamera. Oder auch das
Handwerken mit vertrauten Werkzeugen.
Die Kraft der Musik
I
n der Arbeit mit an Demenz erkrankten Menschen spielt Musik
eine große Rolle. Wenn zu Hause
immer musiziert wurde, dann
machen Sie das weiterhin. Spielen
Sie bekannte Lieder von früher,
singen Sie gemeinsam oder singen
Sie etwas vor. Musik weckt häufig
Erinnerungen an gemeinsam Erleb-
tes. Wenn der Betroffene immer in
einem Gesangs- oder Musikverein
aktiv war, sollte er dies so lange
weiterführen, wie es geht.
In Bewegung bleiben
E
in ausgewogenes Verhältnis aus
Bewegung und Entspannung ist
gut und wichtig. Daher sollten Sie
immer für ausreichend Bewegung
sorgen, um Risikofaktoren wie bei
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu reduzieren. Walken oder Laufen können Sie jederzeit gemeinsam und
überall betreiben. Radfahren ist
ebenfalls je nach Krankheitsverlauf
möglich, ebenso der Besuch im
Schwimmbad, Fitnessstudio oder
einer Senioren- oder Reha-Sportgruppe.
Mobil bleiben
B
leiben Sie gemeinsam mobil:
Machen Sie Bus- und Bahnfahrten, und wenn es nur wenige
Stationen sind. Es kommt nicht
immer darauf an, ein konkretes Ziel
zu haben, es kann auch allein um
das Erlebnis des Unterwegsseins
gehen. Besuchen Sie auch weiterhin Freunde und Bekannte!
Ein Fisch ohne Wasser
Der Krimi um eine verschwundene Frau
wurde so konzipiert, dass er sich als
Vorlesebuch speziell für Menschem
mit einer Demenzerkrankung eignet:
Denn im Anschluss an jedes Kapitel
wird dieses noch einmal in vereinfachter Sprache und mit Erinnerungshilfen
nacherzählt – zum besseren Verständnis für Menschen mit einer beginnenden Demenz. Erhältlich im JUHR Verlag,
9,90 Euro, ISBN 978-3-942625-15-9
33
Das muss im Alltag
Das kann im Alltag
Ernährung: Essen,
Trinken, Backen, Kochen
Putzen, Aufräumen,
Gartenpflege
• Freunde und Bekannte
besuchen/empfangen
• ein Blumengeschäft
aufsuchen
Körperpflege: Duschen/
Waschen, Zahnpflege
Erledigungen außer Haus:
Friseurbesuch, Arztbesuch, Einkaufen, Ämter,
• Gottesdienstbesuch
• einen Flohmarkt
aufsuchen
Haushalt und Garten:
Spülen, Waschen,
34
• Wochenmarkt & Weihnachtsmarkt besuchen
• in die Bücherei gehen
35
Das darf: Kulturaktivitäten
• Weinprobe
• Kinobesuch
• Eis essen/Essen gehen
• Theater/Oper
• Ein Kaffeebesuch
• Besuch einer Lesung
• Zoo besuchen
• Ein Stadtfest besuchen
• Museumsbesuch
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Das darf: Gemeinsam kreativ sein
• Lesen bzw. Vorlesen
• Gemeinsame Aktivitäten
• Basteln
als Vorbereitung für
• Fotografieren/ Filmen
bestimmte Ereignisse:
• Balkon- oder Gartenge-
Geburtstage, Ostern,
staltung
Weihnachten, etc.
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Das darf:
Gemeinsam
kreativ sein
• Werkeln/Handwerken
• Malen/Zeichnen
• Fotografieren und Filmen
• Musizieren/Musik hören
oder Singen
• Gesellschaftsspiele
spielen (neue und jene
von früher)
• Computerspiele spielen
Das darf:
Gemeinsam
aktiv sein
• Balance zwischen ausreichend Bewegung und
Entspannung schaffen,
in Begleitung wandern,
joggen oder walken
• Radtouren unternehmen
• Tagestouren machen
• Schwimmen oder in
die Sauna gehen
• Ins Fitnessstudio gehen
• Vereins- und Rehasport
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39
Das Leben gelebt
Sie waren zusammen, und sie hatten Hilfe. Sie
haben ihr Leben genießen können, bis zuletzt:
Die Geschichte von Edith und Karl, dritter Teil.
S
ie hält seine Hand. Sie weiß
nicht, wie viel er noch mitbekommt von dem, was sie ihm
erzählt, was ihn erreicht von dem,
was sie ihm jeden Tag vorliest.
Sie weiß, dass sein Weg bald zu
Ende sein wird. Viereinhalb Jahre
sind sie ihn gemeinsam gegangen,
diesen Weg. Sie haben sich Hilfe
geholt, sich beraten lassen. Vor
allem aber hatten sie einander. Die
ganze Zeit. „Weißt du noch?“, beginnt Edith. „Wie wir am Anfang immer zusammen geradelt sind, am
See entlang? Und wie du mit Lisa
immer im Zoo warst, manchmal
drei Tage die Woche? Gut, dass wir
Lisa gefunden haben, dass sie sich
so viel Zeit für uns nehmen konnte.
Und dass ich auch mal Zeit für mich
hatte. Und dass du es weißt: Ich
40
hatte dann ein schlechtes Gewissen. Aber ich war einfach mal für
mich, und das hat gut getan.“
E
r drückt ihre Hand ganz leicht.
„Und ich bin so froh, dass wir
diese Ostseereise noch gemacht
haben, dass wir sie gleich im
ersten Jahr gebucht haben, als es
dir noch richtig gut ging. Ich gebe
zu, ich hätte nicht gedacht, dass
wir all das schaffen. Wenn Lisa
nicht gewesen wäre ... gut, dass
es solche Menschen gibt. Und du:
Einmal wolltest du das Meer sehen.
Du hast es gesehen. Ich werde
das Leuchten in deinen Augen nie
vergessen, Karl.“
S
ie stockt für einen kurzen Moment. Holt Luft. „Und dass die
Kinder uns so oft besucht haben
und mit uns unterwegs waren, war
das nicht toll? Ich weiß noch, wie
du im Wohnzimmer auf dem Boden
herum gerutscht bist, um mit Jonas
Lego zu spielen. Schön, dass der
Kleine noch was von seinem Opa
hatte.“
I
ch weiß nicht, was du noch weißt,
ich habe keine Ahnung, wie viel
von dem ankommt, was ich dir
erzähle“, fährt sie fort. „Aber das
spielt auch keine Rolle, weißt du?
Das, was war, was wir in den letzten Jahren trotz allem gemeinsam
geschafft haben, macht mich stolz.
Und ich werde es behalten.“
„Hatte ich dir erzählt, dass Lisa
und ich nachher Essen gehen? Sie
betreut jetzt ehrenamtlich eine
ältere Dame, auch mit Demenz. Ich
bewundere sie für dieses Engagement. Vielleicht ... ja, vielleicht
werde ich ihr helfen. Mal sehen.
Aber erst mal lese ich dir jetzt noch
ein bisschen vor, in Ordnung? Lisa
und ich sind erst später verabredet.
Und bis dahin haben wir noch Zeit,
wir beide.“
Ende
S
ie glaubt, ein Lächeln auf
seinem Gesicht zu erkennen.
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Wichtige Links im Überblick
Landesinitiative Demenz-Service NRW
http://www.demenz-service-nrw.de
Linkliste zum Thema Demenz der Landesinitiative Demenz-Service NRW
http://www.demenz-service-nrw.de/linkliste.html
Demenz-Servicezentrum Bergisches Land
http://www.demenz-service-bergischesland.de/
Evangelische Stiftung Tannenhof
Träger des Demenz-Servicezentrums Bergisches Land
http://www.stiftung-tannenhof.de/cms/
Literatur zum Thema Demenz
http://www.demenz-service-nrw.de/literaturübersichten.html
Alzheimergesellschaften
https://www.deutsche-alzheimer.de/
http://www.alzheimer-nrw.de/
Landesstelle Pflegende Angehörige
http://www.lpfa-nrw.de
Wohnberatung
http://www.wohnberatungsstellen.de/
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