Täuschung – Enttäuschung Frau Auer hatte den Versprechungen des Heimes vertraut und sich selbst für das Münchenstift entschieden. Wie die Realität aussieht erfahren Sie in diesem Bericht. Unsere Mutter/Schwiegermutter, 93 Jahre alt, ist seit ca. 1 ½ Jahren in der Rümannstrasse untergebracht. Sie hat inzwischen die Pflegestufe 2. Es war ihr Wunsch in dieses Heim zu gehen. Uns schien das Haus zu groß und zu unpersönlich. In der Hoffnung, dass sie bald ein Einzelzimmer, mit einigen persönlichen Dingen ausgestattet, bekommen würde. Doch bis heute liegt sie in einem kleinen Doppelzimmer, zusammen mit einer Zimmernachbarin, die nur im Bett liegt und schläft. Der Raum ist zugestellt mit Rollstühlen. Man kann sich eigentlich nur im Bett aufhalten. In dieser gesamten Zeit, in der sie in diesem Haus ist, konnte wir nur fassungslos feststellen, dass der erste Eindruck täuscht. Sehr saubere Böden, Cafeteria mit jahreszeitlicher Deko, schwatzende Geburtstagsgrüppchen, Programme an den Wänden, sinnige Sprüche. Die Besuche dort deprimieren mich jedes Mal. Bewohner mit und ohne Rollwägelchen, hangeln sich an den Geländern der langen, polierten Flure entlang, permanent grüßend. „Grüß Gott, schönen Tag“, stereotyp. Einzelne stehen erwartungsvoll in der offenen Zimmertür, nach Besuch Ausschau haltend. Ebenso die Gruppen vorm Lift. Kommt mir vor, wie im Kindergarten, zur Abholzeit, wann kommt Mami. Der Geruch von gebrauchten Windeln, bringt mich ans Ziel. Ich halte die Luft an, nicht nur deshalb. Irgendwie kommt mir der Vergleich mit der Psychiatrie. Eine laut schreiende Frau rollt mit ihrem Stuhl den Flur auf und ab, hospitalisierte Bewegungen, wie ein Tiger im Käfig. Der Großbildfernseher läuft immer, hat eine einschläfernde Wirkung. Beabsichtigt? Einzelne Personen vor ihrem Wasserglas. Kein weißer Kittel in Sicht. Begrüße die bekannten Gesichter persönlich, nehme mal jemanden in den Arm, frage nach, werde erkannt, ein fröhliches, dankbares Lächeln huscht kurz über ein Gesicht. Dann die Frau, halbnackt, um Hilfe rufend in der Zimmertür, die nächste drängt sich in den Raum einer Nachbarin, die sich hilfesuchend an mich wendet, gegenüber meiner Schwiegermutter, auf der offenen Toilette sitzt die Nachbarin, muss endlich mal wieder Stuhlgang haben, wie mir eine Pflegerin später mitteilte. Hoffentlich stülpt sich der Darm nicht nach außen. Meine Schwiegermutter liegt oft am Nachmittag, mit Nachthemd im Bett, bei schönstem Wetter. Im gepflegten Park sehe ich nur wenige Spaziergänger, mit Besuchern. Letztens musste ich mit Entsetzten feststellen, dass drei Pflegekräfte rauchend auf der Terrasse saßen. Die Abteilung ohne Aufsicht. Zur Rede gestellt, erklärte mir eine Helferin, die, wie sie mir erklärte, keine Verantwortung trägt, die Kolleginnen seien gerade aus der Pause zurück. Um 17 Uhr nachmittags? Oft wage ich an der Tür zum Allerheiligsten, dem Personalraum, zu klopfen. Zuflucht der hilflosen Helfer. Meine Fragen, warum meine Schwiegermutter noch im Nachthemd im Bett liegt, wann der Küchenumbau im Aufenthaltsraum endlich fertig ist, damit die Bewohner wieder im Sitzen essen können, wann endlich der Friseurtermin stattfindet, wie es meiner Schwiegermutter überhaupt geht..., kann fast niemand beantworten. Schichtwechsel, keine Ahnung, nicht zuständig.gebrochenes, zerbrochenes Deutsch. Fliegender Wechsel des Personals zu den Raucherpausen. Vermisse immer, dass jemand sich mit den alten Menschen beschäftigt, mit ihnen redet, sie mal streichelt. Mag sein, dass zu anderen Zeiten ein Programm absolviert wird. Der Tag ist lang... Wenn ich vergleiche, was Kindern im Kindergarten alles angeboten wird, an Material, an Beschäftigungen. Bringe der dementen Dame, die noch im Geiste ihre Büroarbeiten macht, Stift und Papier. Sie hat so viel zu tun. Meiner Schwiegermutter bringe ich versuchsweise, ein Strickzeug mit. Fasziniert beobachte ich, wie sie die Maschen auffädelt. Meine Mutter ist in einem Pflegeheim im Odenwald. Der Vergleich ist krass. Dort sitzen die Pflegerinnen mit den Bewohnern am Tisch, streicheln sie, reden und singen mit ihnen, wie in einer großen Familie. Und weiter. Ein Blick in den Waschraum, lässt mich erschaudern. Die Handtücher der Bewohner, dicht an dicht. Hygiene? Es gibt ja Leute, die beurteilen die Qualität eines Heimes, nach der Farbe und Frische der Handtücher. Vergleichen den Service mit einem 5 Sterne Hotel. Muss jetzt nicht unbedingt sein, finde ich. Angeblich werden die Leute täglich geduscht. Meine Schwiegermutter schwärmt von dem jungen Pfleger, der sie waschen darf, auch unten rum. Wie find ich das? Habe ich im Alter keine Intimität mehr? Dann, plötzlich, Essenszeit. Zähle letztens 5 Pflegerinnen, beim Essen verteilen. Wo waren die die ganze Zeit? Und immer wieder andere Gesichter. Neues Personal, weil ich mich letztens bei der Heimleitung und Pflegedienstleitung beschwert hatte? Ist auch wert, es aufzuschreiben. „Wir können die Leute doch nicht den ganzen Tag bespaßen“, bekam ich als Antwort, auf meine Frage, warum sich niemand mit den Menschen beschäftigt. Klingt irgendwie nach Zirkus. Die wenigen „Highlights“, wie Fasching, Weihnachtsfeier, Dämmerschoppen, die „Bespaßung“ pur. Jeder bekommt ein Hütchen auf, die Band spielt unanständige Lieder zum Mitsingen. Meine Beschwerden sind leider verhallt. Rückmeldungen zu meinen Mails, bekomme ich nicht. Ich sprach mit der zuständigen Heimaufsicht. Die Situation ist bekannt, nicht einzigartig. Es gibt kein Personal und schon gar kein qualifiziertes. Resignation? Wer ist schuld? Kann es sein, dass in unserem Land solche menschenunwürdige Zustände herrschen dürfen? Wir werden alle immer älter. Ist das unsere Lebensqualität im Alter? Abgeschoben, abgestellt? Bei jedem Besuch im Heim, verkrampft sich mein Magen. Was erwartet mich heute? Darf ich das wahrnehmen? Stimmt meine Wahrnehmung überhaupt? Erwarte ich zu viel? Wie geht’s meiner Schwiegermutter heute? Muss sie unter meiner kritischen Haltung leiden? Bin ich unfair dem Personal gegenüber? Wird sie noch „angemessen“ versorgt? Wie fragte mich letztens meine Schwiegermutter: „Sag mal, bin ich verrückt, oder die anderen?“ Ich konnte sie beruhigen. Ich freue mich, wenn sie mit mir singt, mir zum tausendsten Mal die gleichen Geschichten erzählt, ihre Augen leuchten, wenn ich in der Tür stehe, sie die ganze Zeit meine Hand hält und sich bedankt, dass ich da bin. Am liebsten würde ich sie gleich mitnehmen. Das werde ich wahrscheinlich auch tun.
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