Abstract - Jugend und Gewalt

3. NATIONALE KONFERENZ JUGEND UND GEWALT
Lugano, 21./22. Mai 2015
WORKSHOP 17
Erkennen und Betreuen von Intensivtäter/innen
Früherkennung von Intensivtätern im Jugendstrafverfahren
Hans Melliger, lic. iur. Fürsprecher, Leiter Jugendanwaltschaft Kanton Aargau
Studien belegen, dass ein grosser Teil der (Gewalt-)Delikte von verhältnismässig wenigen jugendlichen
Tätern verübt werden. Man geht davon aus, dass 4-6 % eines Geburtenjahrgangs für 40-60% der
registrierten Straftaten verantwortlich sind, die dieser Geburtenjahrgang insgesamt begeht. Jugendliche
gelten je nach Definition dann als Intensivtäter, wenn sie innert sechs Monaten der Begehung von fünf
oder mehr Delikten verdächtigt werden, wobei mindestens eines davon ein Verbrechen oder Vergehen
sein muss. Diese Definition ist eine Rückschau und kommt bezüglich der Delikts- und Schadensvermeidung zu spät.
Die Jugendanwaltschaft des Kantons Aargau hat in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg ein
Diagnostikprogramm erarbeitet, um potenzielle jugendliche Intensivtäter möglichst frühzeitig zu
identifizieren und so zu behandeln, dass sie möglichst von einer «kriminellen Laufbahn» abgehalten und
die mit der intensiven Straffälligkeit verbundenen Schäden vermindert werden.
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Umgang mit Intensivtäter/innen: Eine Übersicht über das Behandlungsangebot der
Kinder- und Jugendforensik Zürich (Deliktorientierte Einzeltherapie, ForTis, ThepaS etc.)
Leonardo Vertone, Leitender Psychologe, Zentrum für Kinder- und Jugendforensik, Psychiatrische
Universitätsklinik Zürich
Die Herausforderung in der Behandlung jugendlicher Intensivtäter liegt darin, sich in der Komplexität der
deliktbegünstigenden Variablen zurechtzufinden und diese möglichst auf prioritäre Faktoren zu reduzieren. Deshalb ist als erster Schritt stets eine differenzierte Abklärung durchzuführen (Gutachten, Therapieabklärung).
Unsere Behandlungen basieren auf einem Riskassessment, das zwei Hauptkomponenten beinhaltet: Das
Deliktverständnis (Zusammenhang Deliktverhalten und Persönlichkeitsmerkmale) und die Risikoeinschätzung. Daraus leiten sich die Behandlungsziele ab.
Unsere Behandlungen sind in Rahmenbedingungen eingebettet: Sie basieren auf dem Artikel 14 des
JStG, auf einem Behandlungsvertrag und finden unter systemischem Einbezug statt (Austausch mit
JUGA, Eltern, Bezugspersonen u. Ä.).
Zum einen wenden wir Behandlungsprogramme an, die inhaltlich vordefiniert bzw. modular aufgebaut
und zeitlich begrenzt sind und die in Gruppen durchgeführt werden können: Das ForTiS (Forensisches
Therapieprogramm für jugendliche Straftäter) adressiert Jugendliche mit Gewalt- und/oder Vermögensdelikten, das ThePaS (Therapieprogramm für angemessenes Sexualverhalten) solche mit Sexualdelikten.
Diese Programme beinhalten im Wesentlichen Phasen der Wissensvermittlung (aufklären), der Förderung des Verständnisses eigenen (deliktischen) Funktionierens (klären), der Erlangung von Fertigkeiten
(trainieren) und der Bewältigung (umsetzen). Ergänzt wird diese Palette durch das KiP (Kurzintervention
Pornographie) und die spezifisch zur Erlangung von Fertigkeiten konzipierten SOK (Training sozialer
Kompetenzen) und TEK (Training emotionaler Kompetenzen).
Zum anderen führen wir individuell zugeschnittene Einzeltherapien durch, die der intensiven Bearbeitung
von deliktbegünstigenden Persönlichkeitsmerkmalen, psychopathologischen Auffälligkeiten und psychischen Störungen dienen.
In der Behandlung gilt es, flexibel auf die «Schnelllebigkeit» der Pubertät einzugehen (aktualisiertes
Riskassessment, Turning-Points) und den Besonderheiten des Zwangskontextes Rechnung zu tragen.
Die Dauer und Intensität der Behandlungen richtet sich zudem in der Intensität auf die Höhe des Rückfallrisikos und der normativ bestimmten Gefährlichkeit (Risikoprinzip), in den Inhalten auf die individuelle Art
des Rückfallrisikos (Bedürfnisprinzip) und in der Methodik auf den Lernstil, Fähigkeiten und die Motivation
der Klienten (Ansprechbarkeitsprinzip).
Ziele der Behandlung sind die Reduktion der Rückfallwahrscheinlichkeit (primäres Ziel) und die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der Funktionsfähigkeit der Jugendlichen.
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