„Öko-Taliban“

Dr. Jürg Wichtermann
Herbstsemester 2015
P RIVATRECHTLICHE ÜBUNGEN
FALL 14
„Öko-Taliban“
Unweit der Stadt B wurde in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Einkaufszentrum
mit mehreren Dutzend Geschäften und einigen Gastronomielokalen eröffnet. Nach rund drei
Jahrzehnten entschloss sich die X AG als Betreiberin, das Zentrum zu erweitern und durch
einen vollständigen Umbau den neuen Trends anzupassen. Im Rahmen des Baubewilligung sverfahrens erhob die Umweltorganisation Y Einsprache und verlangte, dass die zum Einkaufszentrum gehörenden Auto-Parkplätze gebührenpflichtig zu gestalten seien. Die zuständige
Bewilligungsinstanz verfügte in der Folge die Baubewilligung mit der – auf die eidgenössische Umweltschutzgesetzgebung gestützten – Auflage, nach Abschluss des Umbaus eine
Parkplatzbewirtschaftung einzuführen und Parkgebühren zu erheben.
Nach Abschluss der Bauarbeiten führt die X AG die Parkgebühr auf den Parkierungsanlagen
auf anfangs Oktober 2010 ein. Im Hinblick darauf lässt sie in einer Medienmitteilung die Öffentlichkeit wissen, dass das Einkaufszentrum „auf Geheiss der Umweltorganisation Y gezwungen“ sei, diese Massnahme zu ergreifen. Die Mitteilung wird von den Medien aufgenommen und in redaktionellen Beiträgen weiterverbreitet.
Ebenfalls kurz vor Einführung der Parkgebühr lässt die X AG in den regionalen Tageszeitungen grossflächige Inserate einrücken, welche einleitend folgenden Text ent halten: „Ab anfangs Oktober 2010 sieht sich das Einkaufszentrum gezwungen, seiner Kundschaft eine Par kgebühr aufzuerlegen. Auf Drängen der Umweltorganisation Y hin wird das Parkieren in den
meisten grossen Einkaufszentren der Region B kostenpflichtig.“ Weiter war in der Anzeige zu
lesen: „Diesen Herbst ist es auch in unserem Einkaufszentrum soweit: Besucherinnen und
Besucher werden für das Parkieren eine Gebühr entrichten müssen. Dies geschieht allerdings
nicht aus einem Entscheid der Zentrumsbetreiberin heraus, sondern auf Geheiss der Umweltorganisation Y. Im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens für die Erwe iterung und den Umbau des Zentrums machte die Umweltorganisation Y Einsprache. Nun muss das Einkaufszen trum der Forderung der Umweltorganisation Y Rechnung tragen.“
-2-
Die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Thema erfährt, hat für den Präsidenten (A) der Umweltorganisation Y Folgen. Er wird von B, einer bekannten und sich gerne lau tstark zu Wort
meldenden Anhängerin des motorisierten Individualverkehrs, in einem Artikel der regionalen
Boulevardzeitung Z mit den Worten beschrieben: „A ist ein Öko -Taliban.“ Im gleichen Zeitungsartikel wird A verdächtigt, die Ziele seiner Umweltorganisation sogar mit erpresserischen und nötigenden Handlungen zu verfolgen; er habe möglicherweise auch Gespräche unbefugterweise aufgenommen.
Nachdem das Thema in den übrigen Medien breiten Widerhall findet, publiziert die Zeitung Z
weitere Auflage treibende Artikel über A. In einem Bericht mit dem Titel „Die Briefkastenfirmen des Saubermanns A“ äussert sich wiederum B, die A vorwirft, ihr aus einer früheren
geschäftlichen Beziehung Geld zu schulden und undurchsichtige Finanzgeschäfte zu tätigen.
Aufgabe:
A ist ungehalten. Einerseits glaubt er, seine Umweltorganisation werde durch die Darstellung,
für die Parkgebühren gewissermassen verantwortlich zu sein, in ein schlec htes Licht gerückt.
Andererseits empfindet er die Berichterstattung über seine Person als diffamierend. Er beauftragt Sie, alle zivilrechtlichen Möglichkeiten (einschliesslich einer Einschätzung der Erfolg schancen) zu erörtern, die für A und Y bezüglich der geschilderten Informationsverbreitungen
relevant sind, um sich rechtlich zu behelfen.
Hinweis:
Es sind ausschliesslich die zivilrechtlichen Aspekte des Falles zu bearbeiten! Insbesondere
sind strafrechtliche und öffentlichrechtliche Fragen ausser Acht zu lassen. Die Rechtmässigkeit der Verfügung der Baubewilligungsbehörde wird unterstellt.
Besprechung:
16./17. Dezember 2015