IM FOKUS KURVENREICH KURVENREICH W RRRUMMM! Ohrenbetäubend grollt der Motor unter der langen, flachen Motorhaube und faucht aus dem kaum gedämmten Auspuff. Die weiße Nadel des Drehzahlmessers schnellt nach oben. Sanft wird der Fahrer vom Schub in den Sitz gedrückt – bis die nächste Kehre ihn zwingt, seinen Fuß wieder vom Gaspedal zu nehmen. Kaum ein anderes Fotoshooting hat wohl so viel Spaß gemacht wie jenes, bei dem der damalige Starfotograf David Douglas Duncan 1956 die ersten offiziellen Fotos für die Vorstellung des Mercedes Benz 300 SL Roadster auf dem amerikanischen Markt schoss. Anlage mit Mehrwert: Oldtimer bringen Fahrspaß und Rendite. OLDTIMER SIND ZUM FAHREN DA AUTOR Jörg Schüren Der Schauplatz des Fotoshootings führt unter Autoliebhabern auch heute noch zu einem vermehrten Ausstoß von Glückshormonen: Das Stilfser Joch – auch liebevoll die Königin der Passstraßen genannt. Mit insgesamt fast 90 Kehren auf beiden Seiten des italienischen Berges sorgt die Straße für Fahrvergnügen pur. Das beliebte britische Auto-TV-Magazin Top Gear hat die Strecke deshalb vor einigen Jahren zur „World greatest driving road“ gekürt, zur „großartigsten Fahrstraße der Welt“. Besonderen Spaß macht die Fahrt auf dem zweithöchsten Gebirgspass der Alpen natürlich mit einem Oldtimer. Denn ohne Servolenkung und Bremskraftverstärker erleben die Glücklichen am Steuer die Ursprünglichkeit des Fahrens und den direkten Kontakt zur Straße. Tour #01 ALPEN SÖLDEN Regionen Europas. Drei dieser Touren stellen wir Ihnen auf diesen Seiten auf Karten vor – weitere finden Sie unter www.adac.de/oldtimer. Darunter auch die Tour durch die Alpen zum Stilfser Joch sowie jeweils eine Strecke durch die Provence und durch die Toskana. Die Routen vereinen alles, was einen Kurztrip mit dem Oldtimer zur Genussfahrt macht: beeindruckende Landschaften, in denen kulturelle Schätze ebenso zu einem Stopp einladen wie tolle Restaurants mit hervorragender Küche und erlesenen Weinen. Bei einer solchen Reise erleben Oldtimerfahrer hautnah, dass der Besitz eines historischen Autos viel mehr ist als ein „nüchternes Investment“ in einen Sachwert. „Den meisten Besitzern ist der Spaß an ihrem Auto ohnehin viel wichtiger als sein Wert“, weiß Frank Wilke, Geschäftsführer von classicanalytics – einem Unternehmen, das sich auf die Bewertung von Oldtimern spezialisiert hat. Wer den richtigen Riecher hat, kann sich neben dem DEUTSCHER OLDTIMER INDEX Seit der Berechnung im Jahr 1999 zeigt der Trend klar nach oben. 2.400 2.200 2.000 1.800 BOZEN MERAN Fahrspaß pur: Mit fast 90 Kehren gehört der Gebirgspass Stilfser Joch in Italien zu den beeindruckendsten Straßen der Welt – vor allem für Oldtimerfans. „Einen solchen Spaß erlebt nicht, wer seinen Wagen nur in der Garage stehen lässt. Autos sind zum Fahren da – das gilt auch für historische Fahrzeuge“, sagt Frank Reichert, der beim ADAC den Bereich Klassik-Koordination leitet. Die Touristikexperten des Automobilclubs haben 16 Karten speziell für Oldtimerfahrer zusammengestellt – mit Dutzenden Strecken in den schönsten 1.600 1.400 1.200 1.000 1999 2005 2010 2014 Deutscher Oldtimer Index in Punkten Quelle: classic-analytics, VDA. 7 IM FOKUS KURVENREICH IM FOKUS KURVENREICH Tour #´02 PROVENCE besonderen Fahrgefühl unter Umständen aber auch über eine attraktive Wertsteigerung freuen. Das zeigt ein Blick auf den Deutschen Oldtimer Index, den classic-analytics für den Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) berechnet. Wie die Infografik auf Seite 7 verdeutlicht, kennt der Index seit seiner Berechnung im Jahr 1999 nur eine Richtung: nach oben. Bei einem Wert von 1.000 Punkten gestartet, stand der Index Ende 2014 bei 2.285 Punkten – ist also in dieser Zeit um mehr als das Doppelte gestiegen. Aus den 88 Fahrzeugen, die aufgrund ihrer Spezifikationen, ihrer Herstellerländer und ihrer Häufigkeit die Basis für den Deutschen Oldtimer Index bilden, sticht ein Auto hervor: der Mercedes Benz 300 SL. Der Flügeltürer hängte alle anderen Autos ab und erzielte seit dem Start des Index im Jahr 1999 die höchste Wertsteigerung. Auch im vergangenen Jahr stiegen die Preise des 300 SL am stärksten. AURON Tour #03 TOSKANA HOHE NACHFRAGE, HOHER PREIS Hans Kleissl kann den Trend bestätigen. „Sogar für ein Restaurationsobjekt eines 300 SL Coupés muss man heute über 900.000 Euro bezahlen, wenn man überhaupt noch eines findet. Fahrzeuge mit originaler Innenausstattung oder sogar mir originalem Lack sind heute so begehrt, dass man dafür weit über eine Million Euro ausgeben muss“, sagt der Experte, der sich mit seinem Unterneh- FLORENZ MONACO VOLTERRA NIZZA Genussvoll: Bei Oldtimertrips durch die Provence (links) oder Toskana (rechts) lassen sich Fahrspaß und kulinarische Genüsse verknüpfen – etwa bei einem Glas Rotwein nach der Fahrt. SIENA DAMIT DER OLDIE EIN GOLDIE WIRD Wer Freude am Fahren mit der Lust auf Rendite verknüpfen will, sollte folgende Punkte beachten: WENIGER IST MEHR: Je kleiner die Produktion, desto größer die Chance auf Wertzuwachs. PIONIERE: Das erste Auto mit Luftfederung oder Wankelmotor – Sammler lieben Raritäten und zahlen dafür gern mehr. LEGENDEN: Hat der Wagen eine besondere Geschichte, zum Beispiel einen prominenten Vorbesitzer? Prima. Solche Autos sind begehrter als „normale“ Typen der gleichen Baureihe. # Mercedes-Benz Flügeltürer 300 SL Coupé 1954–1957 # Citroën 2CV6 1969–1976 SCHÖNHEIT: Elegante Karosserien zieren den Besitzer. Form geht vor Funktionalität. Darum sind Cabriolets oder Coupés begehrter und meist teurer als Zweckautos. EMOTIONEN: Verbinden viele Interessenten positive Erinnerungen mit einem bestimmten Modell, kann dies die Nachfrage und damit den Preis steigern. TOP-PERFORMER Der legendäre Flügeltürer von Mercedes und die Ente von Citroën verzeichneten von 1999, dem Start des Deutschen Oldtimer Index, bis Ende 2014 die größten Wertsteigerungen unter allen 88 Fahrzeugen im Index. INTERESSANTE LINKS: www.adac.de/oldtimer www.deuvet.de 8 men HK-Engineering auf die möglichst originalgetreue Restaurierung der Flügeltürer spezialisiert hat. Die Preise für den legendären Sportwagen, der in den 1950er-Jahren für rund 29.000 D-Mark verkauft wurde, seien in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert. Seit der Finanzkrise hat das Interesse an Investments in Sachwerte zugenommen – und damit auch die Nachfrage nach Oldtimern. Ein Grund ist einer Studie der Beratungsagentur Knight Frank zufolge auch die gestiegene Nachfrage aus Asien nach alten Autos. Am begehrtesten war 2015 ein Ferrari 250 GT California Spider von 1961 – jedenfalls besagt das der Preis. Mehr als 18 Millionen US-Dollar – also umgerechnet fast 17 Millionen Euro – zahlte ein autobegeisterter Sammler Anfang 2015 bei einer Auktion für den unrestaurierten, heruntergekommenen Wagen und machte ihn damit nach Informationen von classic-analytics zum teuersten Oldtimer des Jahres. Bei solchen Geboten drängt sich die Frage auf, ob die Preisentwicklung auf dem Oldtimer- markt eine Blase ist, die irgendwann platzt. „Diese Frage wird uns schon seit Jahren gestellt“, sagt classic-analyticsChef Frank Wilke. „Irgendwie scheint man auf das Platzen der Blase regelrecht zu warten. Fakt ist: Eine Blase ist nicht in Sicht. Der Markt ist transparent, die Käufer im Hochpreissegment sind gut informiert und arbeiten fast ausschließlich mit eigenem, nicht mit geliehenem Geld. Es wird sehr gezielt gekauft, außergewöhnliche Summen werden auch nur für wirklich außergewöhnliche Autos gezahlt.“ Diese Summen seien aber die Ausnahme und nicht die Regel. MIT VIEL GEFÜHL Tatsächlich verzeichnen auch Oldtimer aus unteren Preiskategorien mitunter große Wertzuwächse. Das zeigt ein Blick auf die anderen beiden Top-Performer der vergangenen 15 Jahre im Deutschen Oldtimer Index. Auf Platz zwei und drei landen der Citroën 2CV6 und der Volkswagen Typ 2 T2 – beide besser bekannt als Ente und VW Bulli. Oldtimerexperte Stefan Röhrig vom VDA nennt dafür einen einfachen Grund: „Die heute 40- bis 50-Jährigen verbinden oft schöne Kindheitserinnerungen mit diesen Autos – entsprechend begehrt sind diese Wagen.“ Starke Preisanstiege in der Vergangenheit sind aber keine Garantie für künftige Wertzuwächse. Röhrig empfiehlt ohnehin, Oldtimer nicht nur als Wertanlage zu sehen. „Eine Wertsteigerung ist nicht garantiert. Und meist kann sie auch nur der erzielen, der einen Oldtimer lange Zeit besitzt – er hat bis dahin aber auch viele laufende Kosten“, so Röhrig. Für ihn bedeutet ein Oldtimer in erster Linie ein besonderes Stück Zeitgeschichte – sowie ein außergewöhnliches Fahrgefühl. Und das sollten die Besitzer eines Oldtimers sich möglichst oft gönnen. „Damit zum Beispiel die Bremsen nicht festrosten und die Kraftstoff- und Bremsschläuche in Schuss bleiben“, so Röhrig, „muss ein Auto regelmäßig bewegt werden.“ Und wo geht dies schöner als bei einer Tour zum Stilfser Joch, durch | die Provence oder die Toskana. 9
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