PORTRÄT 3 Er hat Peter Maffay entdeckt, Udo Jürgens Texte geliefert und berühmte Musicals ins Deutsche übertragen. Jetzt hat sich der Liedtexter Michael Kunze (71) »Luther« vorgenommen. Mit dem PopOratorium über Martin Luther gewinnt ein erstes Großprojekt der Evangelischen Kirche zum 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017 Gestalt. Die Premiere des Chorwerks soll bereits am Reformationstag 2015 in der Dortmunder Westfalenhalle gefeiert werden. Dort probten 3000 Chorstimmen mit Kunze das Ereignis. 13. / 14. Juni 2015 WESTFALENBLATT Der Musikgeschichten-Macher Ringen um die Wahrheit: Michael Kunze hat das Libretto für das Pop-Oratorium »Luther« erdacht Wer Michael Kunze erreichen will, muss ganz nach oben. Das gesamte Dachgeschoss seines prächtigen Hauses im Hamburger Villenviertel Poppenbüttel ist sein Arbeitszimmer: große Fenster, riesiger Schreibtisch, Kamin und Klavier. »Lieder schreiben ist eine einsame Angelegenheit«, erklärt der 71-Jährige. Liedtexte hat er viele geschrieben. Unter seinen Kunden waren Peter Alexander, die »Münchener Freiheit« und Udo Jürgens. Peter Maffay entdeckte er als 17-Jährigen. Mit »Lady Bump« für Penny McClean schuf er Mitte der 70er Jahre einen bis heute präsenten Ohrwurm. 79 Schallplatten in Gold und Platin hängen im Kellergeschoss. Dort hat Kunze ein eigenes kleines Musiktheater an die Villa anbauen lassen. Den Erfolg sieht er heute zwiespältig. »Was ist Erfolg?« Mit jedem Hit sei der Druck größer geworden. »Die Musikverlage erwarteten, dass der nächste Song auch wieder eine Nummer eins wird.« Als ihm das zu viel wurde, schmiss Michael Kunze hin und nahm sich eine Auszeit für eine Neubesinnung. »Dann habe ich das Musik-Theater neu entdeckt«, erzählt er. Seit den 80erJahren übersetzte er das Musical »Evita« und übertrug die größten Broadway-Erfolge ins Deutsche: »Cats«, »Phantom der Oper«, »A Chorus Line«, »König der Löwen«. In den 90er-Jahren begann er zudem, eigene Musicals zu schreiben. »Elisabeth«, »Tanz der Vampire« und »Mozart« wurden große Erfolge. Aus dem Schlagertexter war der MusicalLibrettist geworden. Irgendwann, erinnert er sich, klingelte das Telefon: Der Musikproduzent Dieter Falk war dran, der damals gerade das Pop-Oratorium »Die 10 Gebote« auf die Beine stellte, auch das damals schon mit einem riesigen Chor. »Weißt du nicht einen Librettisten für mich?«, fragte Falk. Ein Oratorium hatte Kunze bis dahin noch nicht gemacht. Und gerade deshalb wollte er die Sache übernehmen. »Dieter fiel die Kinnlade runter«, erinnert sich Kunze, als er sich selbst vorschlug. Die Produktion mit der Musik von Dieter Falk und den Texten von Michael Kunze wurde vor fünf Jahren ein großer Erfolg. Jetzt folgt das nächste gemeinsame Großprojekt mit christlichreligiösem Hintergrund: das PopOratorium »Luther – das Projekt der tausend Stimmen«. Michael Michael Kunze vor seinen Gold- und Platin-Schallplatten in seinem Hamburger Haus. Der Musical-Spezialist hat die Geschichte zum Pop-Oratorium über Martin Luther (1483-1546) geschrieben. Beteiligt sind 85 Chöre sowie 750 Einzelsänger. Kunze steht im Arbeitszimmer an einer drei Meter langen Tafel, dem »Story-Board«. »Darauf habe ich alle wichtigen Elemente einer guten Dramaturgie festgehalten«, sagt er. Dazu gehören Hauptperson, Gegenspieler, Konflikt, Wendepunkt und Höhepunkt. »Ich sehe meine Arbeit ähnlich wie die eines Architekten«, erklärt er. »Wenn man eine Geschichte richtig hinbekommt, erreicht man die Herzen der Menschen.« Es ist ein gewagter Spagat: Luther mit Pop-Musik massenwirksam auf die Bühne zu bringen und dabei auch die Ecken und Kanten des Reformators zu zeigen. An der Figur des Reformators habe ihn vieles gereizt, erklärt der Texter. Am meisten fas- ziniere ihn Martin Luthers Aufstand des Gewissens gegen eine scheinbar übermächtige Autorität. »Dieses Thema liegt mir am Herzen. Das will ich ins Hier und Jetzt rüberbringen«, betont der Story-Architekt. »Heutzutage ist es nicht mehr die Kirche, die uns gängelt und alles vorschreiben will«, sagt er. Diese Rolle haben jetzt aber Medien, öffentliche Meinung und politisches Ränkespiel übernommen. »Da kann man nur aufrufen: Denk selber! Hör auf die Stimme in dir!« Luther sei seinem Gewissen gefolgt, gegen alle erdrückenden Widerstände. Davon könne man sich noch immer eine gehörige Portion abschneiden. Außerdem gibt da noch 3000 Sänger, ein Orchester, eine Band, ein gutes Mitarbeiter-Team und die Zusammenarbeit mit Dieter Falk, schwärmt Kunze. Für je- manden, der unzählige Stunden in der Abgeschiedenheit seines Schreib-Palastes gearbeitet hat, sei das ein »unglaubliches Gemeinschaftserlebnis«. Jüngst konnte er es bei der ersten Großprobe in der Dortmunder Westfalenhalle genießen, an der Seite von Produzent, Musiker und Dirigent Dieter Falk. Es ist ein Moment, der unter die Haut geht: Nur wenige Stunden bis zum Verhör vor dem Reichstag zu Worms 1521 – Martin Luther ringt mit sich, sucht Kraft im Gebet, um die Wahrheit vor den Mächtigen seiner Zeit nicht zu verleugnen. »Dass die Lüge siegt, darf nicht geschehen«, singt der Hamburger Musical-Star Frank Winkels in der Rolle des Luther. Dann stimmt er den Refrain an, der programmatisch für die Botschaft des Pop-Oratoriums »Luther – das Projekt der tausend Fotos: imago Stimmen« stehen könnte: »Ich will selber denken – ich mit Gott allein«. »Selber denken« fallen die 3000 Chorsänger daraufhin kraftvoll ein... Noch ist es eine Probe. 20 000 Zuschauer sollen »Luther« in den beiden Aufführungen am diesjährigen Reformationstag, 31. Oktober, in der Westfalenhalle erleben. Für das Jubiläumsjahr 2017 – am 31. Oktober 1517 soll der Mönch Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geheftet und damit die Entstehung des Protestantismus als neue christliche Konfession ausgelöst haben – ist eine Tournee durch zehn Städte in Deutschland geplant. Für jeden Ort soll ein neuer Großchor gebildet werden, ähn- lich dem, der sich zur Probe in Dortmund eingefunden hat. Welche Städte dabei sind, wird im Herbst verkündet. Auch können sich Sängerinnen und Sänger oder auch ganze Chöre noch für die Teilnahme bewerben. Unter großem Applaus hat Dieter Falk den Mitwirkenden bei der ersten Großprobe in Dortmund Michael Kunze, den Geschichtenschreiber, vorgestellt. Der Mann, der 200 Top-Ten-Hits geschaffen und zahlreiche Musicals ins Deutsche übersetzt oder selbst geschrieben hat, ist tief berührt: »Noch nie habe ich mit 3000 Menschen gearbeitet, die mit mir und für mich ein Stück realisieren.« Gerd-Matthias H o e f f c h e n Thomas K r ü g e r (epd) Oratorium mit Ohrwürmern Begeistert dabei: 3000 Sänger proben in den Dortmunder Westfalenhallen für »Luther«. »Mit so vielen Leuten zu singen, das ist einmalig«, meint der Hamburger Musical-Star Frank Winkels – und das mit 13-jähriger Erfahrung. Der 40Jährige ist in der Rolle des »Luther« zu sehen. Rockband, Orchester und der riesige Chor: Da komme »einfach GänsehautFeeling auf«, wenn die 3000 Stimmen einsetzen. Komponist Dieter Falk und Librettist Michael Kunze betonen, dass es ihnen nicht allein um die Biografie Luthers geht. »Wir behandeln vielmehr Themen, mit denen er verbunden ist«, sagt Kunze: Luthers Ringen um die biblische Wahrheit, den Widerstand seines Gewissens gegen Obrigkeit und Kirche als übermächtige Autoritäten. Das Pop-Oratorium soll aber auch unterhalten. Rock-, Jazz- und Gospelklänge hat Falk eingebaut – neben musikalisch modernisierten LutherChorälen. »Wir werden auch Ohrwürmer hören«, sagt der Düsseldorfer, der selbst schon als Kind in dem von seiner Mutter geleiteten Kirchenchor sang. @ __________________________ www.luther-oratorium.de Für Dieter Falk (links) und Michael Kunze ist es nach »Die 10 Gebote« die zweite Kooperation.
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