32 Probleme aus dem Strafrecht

beck-shop.de
18. Problem (§ 24 StGB)
1. Argument
Wird eine Tat vollendet, so ist es für deren Bewertung ohne Bedeutung, ob der Täter
bestimmte Ausführungshandlungen schon zu Beginn der Tat geplant bzw. ob er alle
geplanten Handlungen ausgeführt hat. Entscheidend ist, dass er das nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Erfolgs Ausreichende tut. Tritt der Erfolg nun (zufällig) nicht ein, kann für die Bewertung nichts anderes gelten: Beendet ist der Versuch,
bei dem der Täter das Getane für ausreichend hält, unbeendet, wo das nicht so ist.
Diese Beurteilung kann der Täter naturgemäß nicht bei Tatbeginn, sondern erst nach
Tatausführung treffen, so dass es auf seine Vorstellung nur zu diesem späteren Zeitpunkt ankommen kann.
2. Argument
Kann der Täter nach dem Einsatz eines erfolglosen Mittels ohne zeitliche Zäsur ein
neues bereitstehendes Mittel einsetzen, liegt in der Verwendung dieses Mittels auch
dann, wenn der Täter zu Beginn der Tat hieran nicht gedacht hat, kein erneutes
Durchstehen der kritischen Situation in erneutem Versuch, sondern nur die Festigung
des Tatentschlusses in der Fortsetzung der Tat. Hierin zwei Taten zu sehen, hieße,
einen einheitlichen Lebensvorgang willkürlich auseinanderzureißen.
3. Argument
Selbst dann, wenn der Täter davon ausging, seine erste Handlung werde sogleich zum
Erfolg führen, muss ihm bei einem vom geplanten Tatverlauf abweichenden Geschehen der Verzicht auf sich ihm bietende weitere Mittel als Rücktrittsleistung zugute
gehalten werden, weil er hierdurch trotz seiner Ausgangsvorstellung letztlich auf die
Erfolgsverwirklichung verzichtet und damit seine Rechtstreue und Unfähigkeit, die
Tat zu vollenden, unter Beweis stellt.
4. Argument
Gegen die Einzelakts- und für die Gesamtbetrachtungslehre spricht, die dem Täter bei
einem beendeten erfolgstauglichen Tötungsversuch nach § 24 I 2. Var. unbestreitbar eröffnete Rücktrittsmöglichkeit zu gewähren, sie ihm aber abzusprechen, wenn er erkennt, dass zwar die vorgenommene Handlung den Erfolg noch nicht, wohl aber eine
weitere ihm mögliche ihn herbeiführen kann, von deren Vornahme er freiwillig absieht.
5. Argument
Nur die Gesamtbetrachtungslehre eröffnet dem Täter in kriminalpolitisch sinnvoller
Weise auch nach erfolglosem Beginnen noch die Rücktrittsmöglichkeit und gewährleistet damit als einzige Theorie den von § 24 StGB mitbezweckten Opferschutz. Wäre der Versuch nach anfänglichem Fehlschlag einem Rücktritt nicht mehr zugänglich,
läge darin die Aufforderung, mit der Tatvollendung das Opfer als den belastendsten
Tatzeugen zu beseitigen.
6. Argument
Dass die »rücktrittsfreundliche« Lösung überzeugender ist, wird bestätigt, wenn man
sich als zweiten Akt einen beendeten Versuch vorstellt und der Täter das Opfer rettet
(§ 24 I 2. Var. StGB); es wäre schwer nachvollziehbar, wenn man trotz dieser verdienstvollen Rücktrittsleistung auf den ersten Versuch zurückgreifen, ihn als Fehlschlag einstufen und bestrafen würde.
139
beck-shop.de
4. Kapitel. Versuch
7. Argument
Soweit die Strafzwecklehre auf die Überflüssigkeit spezialpräventiver Einwirkung
abhebt, verkennt sie, dass generelle Aussagen hierzu unmöglich sind, weil die Notwendigkeit spezialpräventiver Einflussnahme nur mit Blick auf die Täterpersönlichkeit und die Rücktrittsmotive, nicht aber abstrakt für bestimmte Rücktrittskonstellationen zu beantworten ist.
C. (hier sog.) Tatplantheorie
Entscheidend ist die Tätervorstellung bei Beginn der Tat.
a) Hat der Täter seinen Tatplan von vornherein auf einen oder ganz bestimmte Tätigkeitsakte beschränkt, ist der Versuch nach Vornahme dieser Akte fehlgeschlagen und
Rücktritt ausgeschlossen, auch wenn der Täter von weiteren erfolgversprechenden
Tätigkeitsakten Abstand nimmt.
b) Hat der Täter seinen Tatplan nicht von vornherein auf einen oder bestimmte Tätigkeitsakte beschränkt, kam es ihm auf das Mittel also von vornherein nicht an bzw.
fehlte ein festumrissener Tatplan überhaupt, bleibt sein Versuch auch nach Vornahme
einzelner fehlgeschlagener Handlungen unbeendet und Rücktritt durch bloßen Verzicht auf die Vornahme weiterer Akte möglich, solange der Täter davon ausgeht, dass
die bisherigen Handlungen zur Erfolgsherbeiführung noch nicht ausreichen. Hält er
das dagegen für möglich, ist der Versuch beendet und Rücktritt nur noch durch aktive
Gegensteuerung denkbar.
Vertreten von:
BGHSt 14, 75; die im weiteren aufgeführten z.T. vor, z.T. nach dieser Grundsatzentscheidung ergangenen Urteile weichen von ihr wie untereinander bisweilen beträchtlich ab, so dass man nur mit großen Vorbehalten von einer einheitlichen BGHRechtsprechung sprechen kann, s. dazu i.E. Ulsenheimer Grundfragen des Rücktritts
vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, 155 ff. und den Rückblick in der die Wende zur Gesamtbetrachtung einleitenden Entscheidung BGHSt 31, 170. BGHSt 4, 180;
10, 129; 21, 216; 21, 319; 22, 176; 22, 330; 23, 356; BGH MDR 1951, 117; BGH Dall.
MDR 1966, 22; 1970, 381; 1975, 541; BGH GA 1956, 89; 1966, 208; 1974, 77; BGH
NJW 1980, 195; BGH Holtz MDR 1980, 628; BGH NStZ 1981, 342; 388; BGH StV
1981, 54; BGH StV 1982, 70; BGH MDR Holtz 1983, 983 f.; BGH NStZ 1984, 116.
Nach dem – im Ausgangspunkt konträren, nicht nach der Tätervorstellung, sondern
objektiv abgrenzenden – Konzept von Borchert/Hellmann GA 1982, 429 ff. verschiebt sich die Problematik in den Rücktrittsentschluss.
1. Argument
Es ist hier wie auch sonst beim Versuch stets auf die Vorstellung des Täters abzustellen.
2. Argument
Ob mehrere rechtlich voneinander getrennte Versuchshandlungen gegeben sind und
daher die Frage des Rücktritts für jede selbstständig zu entscheiden ist oder ob ein
einheitliches Geschehen anzunehmen ist, das als eine Tat insgesamt von dem sie beendenden Rücktritt erfasst wird, hängt allein von der Vorstellung des Täters zu Beginn der Tat ab: Der Entschluss, eine Tat während des gesamten Geschehens fortzu140
beck-shop.de
18. Problem (§ 24 StGB)
setzen – wenn auch mit Abwandlungen in der Tatausführung –, fasst alle Handlungen
zu einem unbeendeten Versuch zusammen.
3. Argument
Ein noch nicht bestimmtes Wollen verrät geringere verbrecherische Energie und muss
deshalb unter erleichterten Voraussetzungen Straffreiheit verschaffen können.
4. Argument
Wer einen auf bestimmte Mittel oder Handlungen begrenzten Plan hat, erleidet einen
Fehlschlag, wenn der Einsatz dieser Faktoren nicht zum Erfolg führt. Das Absehen
oder der Rücktritt vom Entschluss, ein sich bietendes anderes Mittel zu wählen, kann
den abgeschlossenen fehlgeschlagenen Versuch nicht mehr berühren. Wem dagegen
das Mittel von vornherein gleichgültig ist, dem muss der Rücktritt vom letzten möglichen Teilakt für die ganze Handlungseinheit zugute kommen.
5. Argument
Rücktritt setzt die Vorstellung des Täters voraus, den begonnenen Versuch fortsetzen
zu können. Diese Vorstellung fehlt, wo nach dem Fehlschlag der eingeplanten Handlung(-en) sich eine andere Möglichkeit bietet, den Erfolg herbeizuführen. Dann ist
nur die Vorstellung möglich, einen gescheiterten Versuch wiederholen zu können.
D. (hier sog.) Strafzwecktheorie
Maßgebend ist, ob der Täter durch das Abstandnehmen von weiteren zur Tatbestandsverwirklichung geeigneten Handlungen gezeigt hat, dass er den Weg des Verbrechens
verlässt und seine Bestrafung weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen geboten ist.
Vertreten von:
Roxin Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 1973, 38 Fn. 77; ders. Nr. 67; ders. FS
Heinitz, 1972, 267 f.; ders. JuS 1981, 6 ff.; ders. JR 1986, 425 (in Roxin II § 30 Rn. 187 ff.
stimmt Roxin nunmehr der Gesamtbetrachtungslehre mit einer geringfügigen Einschränkung – Rn. 195 ff. – zu); Rudolphi NStZ 1983, 362; ders. 145 f.; SK/Rudolphi
§ 24 Rn. 14; der Sache nach auch Otto GA 1967, 144 ff.; weitgehend übereinstimmend Bottke Strafrechtswissenschaftliche Methodik usw., 1979, 407 ff., 467 f. (Abgrenzung zu Roxin 444 ff.); Busch JuS 1993, 307; Fahrenhorst NStZ 1987, 279; s. auch
Walter Der Rücktritt vom Versuch als Ausdruck des Bewährungsgedankens, 1980,
111.
1. Argument
Nach § 24 StGB soll der Täter straffrei bleiben, der durch seinen Rücktritt unter Beweis stellt, dass seine Bestrafung nicht notwendig ist. An dieser ratio ist die Problemlösung zu orientieren.
2. Argument
Für die Gewährung von Straffreiheit ist für den Gesetzgeber – wie die Rücktrittsmöglichkeit vom beendeten Versuch zeigt – nicht das Maß an bisher aufgewendeter
krimineller Energie entscheidend, sondern die schließliche Rückkehr in die Legalität,
die sich im Abstandnehmen von der noch durchführbaren Deliktsverwirklichung
141
beck-shop.de
4. Kapitel. Versuch
manifestiert. Diese Konzeption liegt auch im Interesse des Opferschutzes: Denn
wenn dem Täter die Schonung des Opfers keine Strafbefreiung erbrächte, führte man
ihn in Versuchung, den ursprünglichen Plan doch noch auszuführen.
3. Argument
Solange der Täter mit Aussicht auf Erfolg ohne Vergrößerung seines Risikos weiterhandeln – also z.B. nach zwei Schüssen in unveränderter Situation drei weitere abgeben kann – ist das Abstandnehmen vom Weiterhandeln nach den Regeln des Verbrecherhandwerks unvernünftig und Beweis, dass die verbrecherische Energie für die
Erfolgsverwirklichung nicht reicht, und zwar ganz unabhängig davon, welche Vorstellung der Täter über die Zahl der zur Erfolgsherbeiführung nötigen Einzelakte
hatte.
4. Argument
Wer nach misslungenen Anläufen aufhört, weil die ihm verbleibenden Mittel gegenüber den eigentlich geplanten mit einem höheren Entdeckungsrisiko belastet, anderweitig riskanter oder sehr viel weniger geeignet bzw. erfolgversprechend sind, beweist mit seiner Rückkehr in die Legalität lediglich, dass er sich den Normen der
Verbrechervernunft anzupassen versteht. Er bleibt gefährlich und damit strafwürdig.
5. Argument
Die Einzelbetrachtung reißt einheitliche Vorgänge auseinander und führt zu untragbaren Konsequenzen: Sie müsste von ihrer Prämisse her den Täter, der nach neun
fehlgegangenen Schüssen sein Opfer mit dem zehnten tötet, neben vollendetem wegen neunfach versuchten Mordes bestrafen.
6. Argument
Die Differenzierung der älteren BGH-Rechtsprechung war wenig sinnvoll, weil sie je
nach dem gewünschten Ergebnis zu psychologischen Fiktionen oder – wie in BGHSt
22, 176 – zu Umdeutungen des Sachverhalts greifen musste, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Auch führte sie zu dem widersinnigen Ergebnis, dass der Täter,
der das Opfer verfehlt, schlechter gestellt wird als der, der sein Opfer trifft, denn nur
Letzterem bliebe die Möglichkeit des Rücktritts.
Beispiele:
1. Im Ausgangsfall (s. zu Falllösungen auch Beulke I Rn. 323 f.; Böß JA 2012, 353) ist
Rücktritt vom Mordversuch nach der Isolierungstheorie ausgeschlossen, weil der
Stich mit dem Messer ein selbstständiger fehlgeschlagener Versuch ist. Da T seinen
Plan von vornherein auf einen Stich beschränkt hatte, war auch nach der bisherigen
Tatplantheorie so zu entscheiden. Dass der BGH in vergleichbaren Konstellationen
bisweilen gleichwohl zum entgegengesetzten Ergebnis gelangt ist, liegt daran, dass er
den Sachverhalt, der nach den verbindlichen Feststellungen des Tatgerichts der Kategorie a) angehörte, aufgrund einer nichtexistenten Erfahrungsregel in einen Fall der
Kategorie b) umgewandelt hat (so z.B. in BGHSt 22, 176). Legt man die Gesamtbetrachtungslehre zugrunde, kommt es auf T’s ursprüngliche Vorstellung nicht, sondern auf die im Rücktrittszeitpunkt an. Nur wenn T den Todeseintritt in diesem
Zeitpunkt aufgrund des ersten Stiches für möglich gehalten hätte – was naheliegt,
aber nicht unterstellt werden darf (a.A. offenbar Roxin II § 30 Rn. 193; auch die
142
beck-shop.de
18. Problem (§ 24 StGB)
»Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt nach der Lebenserfahrung nahe legen«, die BGH JR 2005, 383 ausreichen lässt, ist nicht zwingend gegeben,
da O im Originalfall »ohne erhebliche körperliche Beeinträchtigung« vor T stand) –
würde das bloße Absehen von weiteren Stichen für Rücktritt nicht ausreichen. Da er
das nicht tut (s. BGHSt 35, 92), ist T strafbefreiend zurückgetreten, weil weitere Messerstiche nach natürlicher Betrachtung insgesamt nur eine Tötungshandlung, erster
Versuch und weiteres Zustechen also einen einheitlichen Lebensvorgang dargestellt
hätten. Weil T weiß, dass er mit dem weiterhin zur Hand liegenden Messer die Tat
noch vollenden könnte, ist ein Fehlschlag nicht gegeben. Auch die Strafzwecktheorie
vertritt dieses Ergebnis, weil T ohne erhöhtes Risiko nochmals hätte zustechen können und dadurch, dass er es nicht tat, seine Ungefährlichkeit (bezogen auf § 211
StGB) unter Beweis stellte.
2. T will die O mit einem schwer nachweisbaren Gift töten. Der Anschlag misslingt.
Von einer möglichen Tötung der O mit dem zufällig neben ihr liegenden Brotmesser
sieht T ab, weil er das Entdeckungsrisiko für zu groß hält. – Isolierungstheorie und
Tatplantheorie bestrafen T wegen Mordversuchs. Nach der Gesamtbetrachtungslehre müsste T dagegen wohl Straffreiheit zugestanden werden. Die Verschiedenheit
der Mittel schließt Handlungseinheit bzw. einen einheitlichen Lebensvorgang nach
überwiegender Ansicht jedenfalls nicht aus, s. BGHSt 40, 75, 77. Nach Jäger Der
Rücktritt vom Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr, 1996, 122 ff. müsste T
allerdings das Messer schon ergriffen haben, weil eine »Gefährdungsumkehr« verlangt wird; so i.E. auch Murmann § 28 Rn. 122. Andere Vertreter dieser Lehre prämieren nur die Abstandnahme von solchen Tatmitteln, die dem Täter als nicht nur
objektiv, sondern auch für ihn selbst geeignet und zumutbar erschienen sind (sog.
modifizierte Gesamtbetrachtungslehre, s. z.B. Roxin II § 30 Rn. 195 ff.; NK/Zaczyk
§ 24 Rn. 31). Hiernach wäre ein Rücktritt zu verneinen. Auch für die Strafzwecktheorie ist dies der Fall eines nicht privilegierungswürdigen Rücktritts, weil T lediglich der Verbrechervernunft gehorcht (zum Fall s. auch Kühl JuS 1981, 195).
3. T will O einen »Denkzettel« verpassen und sticht ihm ein Messer in den Leib. Dabei hält T den Tod des O ernstlich für möglich, findet sich aber damit ab. T erkennt,
dass O durch den Stich nicht lebensgefährlich verletzt wurde, verzichtet aber auf weitere Stiche, da er sein Ziel, das Verabreichen eines »Denkzettels«, erreicht hat (vgl.
BGH GS St 39, 221). – In diesem Fall hat T sein außertatbestandliches Ziel, die Verabreichung eines Denkzettels, erreicht, den in den Eventualdolus aufgenommenen
Todeserfolg dagegen nicht. Ihn zu bewirken, war ihm durch weitere Stiche möglich.
Auf diese Konstellation des von einem außertatbestandlichen Ziel begleiteten dolus
eventualis ist der Streit nicht ohne Vorklärung der Frage übertragbar, was unter Tat
i.S. des § 24 StGB und ihrem Erfolg zu verstehen ist (s. dazu Linke Der Rücktritt
vom Versuch bei mehreren Tatbeteiligten gemäß § 24 Absatz 2 StGB, 2010, 101 ff.).
Begreift man hierunter das Verwirklichen des motivierenden Zieles – Erteilung eines
Denkzettels – so hat T dieses erreicht und kann daher von einer »weiteren Ausführung der Tat« nicht mehr Abstand nehmen: Es gibt zur Erreichung des Erfolgs nichts
mehr zu tun. So gesehen fehlt es an der Rücktrittsfähigkeit dieses Versuchs (so z.B.
Roxin II § 30 Rn. 47 ff.; nach Murmann Versuchsunrecht und Rücktritt, 1999, 53;
ders. § 28 Rn. 132 wegen Fehlschlags), an der Aufgabe der Tat (so z.B. BGH NJW
1990, 522; Herzberg JR 1991, 159 ff.; Lackner/Kühl § 24 Rn. 12; Puppe JZ 1993, 361;
dies. § 21 Rn. 12 ff.; dies. ZIS 2011, 529; Rudolphi JZ 1991, 525 ff.; Schall JuS 1990,
623; Seier JuS 1989, 102; Wessels/Beulke Rn. 635) oder jedenfalls an der Freiwilligkeit
143
beck-shop.de
4. Kapitel. Versuch
(so z.B. Morgenstern JA 2011, 153; Jäger Der Rücktritt vom Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr, 1996, 82, 114 ff.; Streng NStZ 1993, 257; s. dazu aus handlungspsychologischer Sicht Göttlicher u.a., MSchrKrim 1996, 128). Ist unter Tat und
ihrem Erfolg dagegen die zum Tode führende Tötungshandlung zu verstehen, hat das
bisherige Tun nicht ausgereicht, so dass T »die weitere Ausführung der Tat« doch
noch freiwillig aufgegeben haben könnte. Der Große Senat des BGH (GS St 39 230)
hat so entschieden. Er versteht unter der Tat i.S. von § 24 I StGB die Tat im sachlichrechtlichen Sinn, also die in den gesetzlichen Straftatbeständen umschriebene tatbestandsmäßige Handlung und den tatbestandlichen Erfolg. Ist Letzterer noch nicht
eingetreten, sei eine richtigerweise nur hierauf zu beziehende Aufgabe noch möglich.
Unter Zugrundelegung der Gesamtbetrachtungslehre bleibt danach auch in Fällen
außertatbestandlicher Zielerreichung ein Rücktritt möglich (so der BGH GS St 39,
221; BGH StV 1996, 86; BGH NStZ 2009, 86; BGH NStZ-RR 2010, 372 (mit Anm.
Brüning ZJS 2011, 95); zust. Bott/Krell ZJS 2010, 698; Bülte ZStW 122, 2010, 573;
Hauf MDR 1993, 929; ders. JuS 1995, 524, 526; ders. JA 1995, 776; Hilgendorf 102 f.;
Krell Jura 2012, 154; Niehaus ZJS 2010, 398; Otto/Bosch 148; Pahlke GA 1995, 72;
Satzger JK 11, StGB § 253/14; Schmidt/Priebe 220 (bei unbeendetem Versuch); Wessels/Beulke Rn. 635; Entsprechendes soll nach BGH NStZ 2008, 276 gelten, wenn der
über die zu beurteilende »Tat« hinausgehende Tatplan nicht mehr zu verwirklichen
und ein Weiterhandeln daher an sich »sinnlos« ist; s. dazu Heintschel-Heinegg JA
2008, 545.), freilich nur, wo die Fortsetzung nicht eine auf neuemTatentschluss beruhende Versuchstat, sondern mit dem bereits Vollbrachten ein einheitlicher Lebensvorgang wäre (s. BGH NStZ 1994, 493; Otto JK 95, StGB § 24/22). Nach der Isolierungstheorie scheidet dagegen – da T den Erfolg in beiderlei Sinn schon mit dem
ersten Stich für verwirklichbar hielt – ein Rücktritt aus. Da ein »vernünftiger« Verbrecher nicht mehr riskiert als zur Zielerreichung erforderlich, liegt auch für die
Strafzwecktheorie kein honorierungswürdiges Verdienst vor (s. Roxin JR 1986, 426
und zum »Denkzettel«-Fall ders. JZ 1993, 896, wo die Problematik am Merkmal der
»Aufgabe« festgemacht wird; SK/Rudolphi § 24 Rn. 14a; auch Kühl § 16 Rn. 38 f.
sieht hier keine »honorierungsfähige Umkehrleistung«).
144
beck-shop.de
5. Kapitel. Täterschaft und Teilnahme
19. Problem (§§ 25 ff. StGB)
Wann liegt Täterschaft, wann Teilnahme im engeren Sinne vor?
Beispiel: 19. Problem (§§ 25 ff. StGB)
A will ihr neugeborenes Kind töten. Da sie nach der Entbindung zu schwach ist, bittet sie ihre Schwester T, die Tat auszuführen. T, die am Tode des Kindes kein eigenes
Interesse hat, ertränkt das Kind ihrer Schwester zuliebe in der Badewanne (vgl. RGSt
74, 84). Wie hat sich T strafbar gemacht?
Ausgangspunkt:
Die Lösung des Falles scheint einfach zu sein. Nach § 25 I StGB wird als Täter bestraft, wer die Straftat selbst begeht, nach § 26 StGB als Anstifter, wer den Täter zu
dessen Tat bestimmt. Die danach scheinbar eindeutige Zuordnung: T ist Täterin des
Tötungsdeliktes, A Anstifterin hierzu, gerät freilich schnell in Zweifel, wenn man die
Interessenlage miteinbezieht: A ist Initiatorin, weil ihr allein die Tötung wichtig ist; T
ist altruistische, gefällige »Gehilfin«. Sieht man es so, könnte man die Zuordnung
umkehren: Zentrale Täterfigur ist A, T nur der Beihilfe schuldig. Welche Sicht richtig
(und mit dem heute gültigen Gesetzestext vereinbar) ist, ist Gegenstand des Streites
um die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.
A. (hier sog.) Formal-objektive Theorie
Täter ist, wer die im Tatbestand beschriebene Handlung ganz oder teilweise selbst
vornimmt; alle anderen Beteiligten kommen nur als Anstifter oder Gehilfe in Betracht.
Vertreten von:
Beling Die Lehre vom Verbrechen (1906), 408 ff.; zu Dohna Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Aufl. 1950, 59 f.; R. v. Hippel Dt. Strafrecht II, 1930, 453 ff.; v. Liszt/Eb.
Schmidt Lehrbuch I, 1932, 334 ff.; Mezger Strafrecht, 2. Aufl. 1933, 444; Wegner
Strafrecht AT, 1951, 249 ff. Diese Theorie war in den 30er Jahren herrschend, wird
heute aber von niemand mehr vertreten; da sie deshalb aber nicht unvertretbar ist und
im Kern einen unbestreitbar richtigen Ausgangspunkt enthält, wird sie hier noch mitaufgeführt; Ansätze zur Wiederbelebung unter »materialer Bestimmung des täterschaftlichen tatbestandsmäßigen Verhaltens« finden sich bei Freund § 10 Rn. 35 ff.,
45–47, 51.
1. Argument
Der Gesetzgeber hat mit der Tatbestandsbeschreibung des einzelnen Delikts in erster
Linie denjenigen erfasst und als Täter bezeichnet, der die beschriebene Handlung
selbst ausführt. Wer dies nicht wenigstens teilweise tut, entspricht nicht dem gesetzgeberischen Leitbild der Täterschaft.
145
beck-shop.de
5. Kapitel. Täterschaft und Teilnahme
2. Argument
Die Abgrenzung der formal-objektiven Theorie knüpft an klare, gesetzlich fixierte
Kriterien und vermeidet damit jede in Rechtsunsicherheit führende, ausschließlich
wertende Betrachtungsweise, wie sie die subjektive Theorie erfordert.
3. Argument
Auch die formal-objektive Theorie vermag die mittelbare Täterschaft zu erklären,
weil sich nach natürlichem Sprachgebrauch auch von demjenigen, der sich eines anderen als Werkzeug bedient, sagen lässt, er selbst habe getötet, weggenommen etc.
B. (hier sog.) Tatherrschafts-(materiell-objektive) Theorie
Für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ist (bei den meisten Delikten, s. Roxin II § 25 Rn. 13; Sch/Sch/Heine Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 70) die Tatherrschaft entscheidend: Täter ist, wer die Tat beherrscht, sie nach seinem Willen hemmen
oder ablaufen lassen kann und deshalb die Zentralgestalt des konkreten Handlungsgeschehens ist, Teilnehmer, wem die Tatherrschaft als Randfigur des Geschehens
fehlt.
Vertreten von:
AnwK/Waßmer Vor §§ 25 ff. Rn. 22; Amelung/Boch JuS 2000, 262; Berkl JA 2006,
282; Beulke I Rn. 159; ders. II Rn. 20; ders. III Rn. 285; Bloy Die Beteiligungsform als
Zurechnungstypus, 1985, 313 ff.; Bock JA 2007, 599; Bockelmann/Volk 175 ff.; Bottke
Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, 1992, 35 ff.; ders. in: Bausteine des europäischen Strafrechts, 1995, 235 ff.; Brunhöber JuS 2011, 234; Ebert 190; Ernst ZJS 2011,
386; Eschenbach Jura 1992, 640; Eser II 37 A 14 ff.; Geilen 190; Gössel 137 f.; Gropp
§ 10 Rn. 34 ff.; Haft 199; Hauf 77; Hecker JuS 2010, 739; Heinrich II Rn. 1206; v.
Heintschel-Heinegg Rn. 99 ff.; ders./Kudlich § 25 Rn. 15; Herzberg 8; Hilgendorf I
163; HK-GS/Ingelfinger § 25 Rn. 7; Höge Der graduelle Tatbestandsirrtum, 2011, 36;
Hoffmann-Holland Rn. 474; Jäger Rn. 227; Jakobs 21/35 f.; Jescheck/Weigend § 61 V;
Joecks § 25 Rn. 6; Kauerhof Jura 2005, 793; Kindhäuser/Schumann/Lubig 143; Kohlrausch/Lange Bem. I, 1, 4 Vor § 47; Kretschmer Jura 2003, 535; Krey/Esser Rn. 844;
Kudlich JuS 2003, 756 f.; Kühl § 20 Rn. 25 ff.; Küpper GA 1986, 441 ff.; Küpper/
Wilms ZRP 1992, 94; Lackner/Kühl Vor. § 25 Rn. 6; LK/Roxin 11. Aufl. 1992, § 25
Rn. 30 ff.; LK/Schünemann 12. Aufl. 2007, § 25 Rn. 32 ff.; Maier MDR 1986, 359 f.;
Marxen 159; Maurach §§ 47 III B 2, 48 I A 2, 49 II C; Maurach/Gössel/Zipf § 47
Rn. 84 ff.; Mosenheuer Unterlassen und Beteiligung, 2009, 91 f.; MüKo/Joecks § 25
Rn. 32 ff.; Murmann § 28 Rn. 9; Noltenius Kriterien der Abgrenzung von Anstiftung
und mittelbarer Täterschaft, 2003, 203 ff., 238 ff., 323 ff.; dies. JuS 2006, 991; Otto
§ 21 Rn. 22 ff.; ders. Jura 1987, 248; ders./Bosch 151; Preisendanz § 25 Vor. 2b, bb;
Prüßner Die von mehreren versuchte Tat, 2004, 33 für die mittelbare Täterschaft;
Raschke JuS 2011, 282; Rengier § 41 Rn. 10; ders. JuS 2010, 282; Roxin II § 25
Rn. 10 ff.; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 1963; ders. Nrn. 75, 76; ders. StV 1986,
385; ders. FS BGH Bd. IV, 2000, 177; ders. FS Grünwald, 1999, 549; Rudolphi 81 f.,
104; ders. FS Bockelmann, 1979, 369; Safferling JuS 2005, 139; Satzger JK 1/12, StGB
§ 25 II/18; Sch/Sch/Heine Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 71; Schroth JZ 2003, 215; Schünemann GA 1986, 331; SSW/Murmann Vor §§ 25 ff. Rn. 3 ff.; Sowada Jura 2003, 557;
Stratenwerth/Kuhlen § 12 Rn. 15 ff.; Wagemann Jura 2006, 870; Welzel § 15; Wessels/
Beulke Rn. 512 ff.; Wiegmann JuS 1993, 1005 f.; Zieschang Rn. 656; nahest.: BGHSt
146