Conrad Ferdinand Meyer – "Aufbrüche in die Kraft und Herrlichkeit des Grossen“ Man hat mit dem "Schuss von der Kanzel“ eine Novelle von Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898) in der Hand und fiebert dem Moment entgegen, da Pfarrer Wilpert Wertmüller auf der Kanzel den Abzug seiner heimlich eingesteckten Pistole betätigt. Ein Prachtsstück der Erzählkunst Meyers, dessen Versepen eine eigene Welt erstehen lassen. Vollends gebannt liest man das traumhafte Gedicht "Der römische Brunnen“, das sieben Fassungen erlebte, ehe es 1882 zur Vollendung reifte. Meyer hatte in jungen Jahren eine anregende Zeit in Lausanne verbracht und tauchte ins Französische ein, verfing sich dann aber in ungeklärten Vorstellungen vom eigenen Leben und wurde depressiv. Seinen Vater Ferdinand1 verlor er, als er fünfzehn war, die Mutter nahm sich später das Leben. Sein eigenes Leben war ein Schwanken zwischen Dämmerzuständen, die psychiatrische Behandlungen nötig machten, und literarischen Erfolgen, die für weite Beachtung sorgten und ihm 1880 die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich eintrug. Bedeutungsvoll wurde der Hintergrund des Zofingertums, und das in mancherlei Beziehung. Der grosse Rechtswissenschafter und Zofinger Johann Kaspar Bluntschli gestand später, dass ihn von unter den Gelehrten am meisten Vater Ferdinand Meyer, der Professor und spätere Regierungsrat, angezogen habe, "durch seinen edlen Patriotismus und die Reinheit seines Wesens“2. Diese Freundschaft übertrug er auf den jungen Conrad Ferdinand, dem er gerne zur Seite stand. Vater Ferdinand stand auch in engem Kontakt mit Heinrich Nüscheler3, und mit Louis Vulliemin4, dem Gründer der Lausanner Sektion. Mit diesem pflegte die Mutter eine Briefverbindung5. In einem dieser Briefe beschrieb sie, wie ihr Sohn auf die Julirevolution 1830 reagierte: "Conrad nimmt an dem grossen Kampfe einen fast wunderbaren Anteil und erklärt sich mit feierlichem Ernst für die heilige Sache des Volkes … So horchte schon der Knabe auf den Pulsschlag der Geschichte.“6 Aktiver Zofinger war Conrad Ferdinand Meyer nicht lange, weil er der Verbindung nur als Gymnasiast der obersten Kantonsschulklasse angehörte. Im Juli 1843 wurde der junge Conrad Ferdinand Meyer in die Zofingia Zürich aufgenommen, aber schon am Centralfest 1844 schloss er seine Zofingerzeit ab. Umso stärker nahm er das Zofingertum aus dem Freundeskreis auf. Hans Rudolf Hilty zeigte auf, wie Meyer in der Novelle "Das Leiden eines Knaben“ seine eigene Jugend zum Ausdruck brachte7. Stark geprägt war Meyer8 durch seine 1 Ferdinand Meyer (1799 – 1840). Johann Kaspar Bluntschli (1808 – 1881). Denkwürdiges. I. 111. 3 Heinrich Nüscheler (1797 – 1831), einer der Gründer 1819. Conrad Ferdinand erbte aus diesem Kontakt etliche Briefe, wie aus einem Brief 1877 hervorging. Adolf Frey: Briefe Conrad Ferdinand Meyers. I. 242. Über den Einfluss Nüschelers auf den Vater s. August Langmesser: Conrad Ferdinand Meyer. 5. 4 Louis Vulliemin (1797 – 1879). Theologieprofessor in Lausanne. Ehrendoktor der Universität Basel. 5 August Langmesser: Conrad Ferdinand Meyer. 24. 6 Langmesser. Conrad Ferdinand Meyer. 15. 7 Conrad Ferdinand Meyer als Zofinger. Cbl. 1949/50. 52. 8 CArch. Mitgliederkatalog. Beringer führte Conrad Ferdinand Meyer unter seinen Personenbeschreibungen auf. II. 547. 2 Lausanner Zeit, wo Vulliemin, Mitbegründer der Waadtländer Sektion, beim künftigen Dichter die Freude an der Geschichte weckte. "Kein Mitlebender hat solch einen tiefen Einfluss auf C. F. Meyer ausgeübt wie Vulliemin“, schrieb August Langmesser in seinem Buch 9 über den Dichter. Später besprach Meyer die Werke Vulliemins in der NZZ10. Der Schriftsteller und Professor Otto von Greyerz11 würdigte die Freundschaft mit Vulliemin an einer Gedenkfeier für Conrad Ferdinand Meyer an der Berner Hochschule12 und unterstrich: "Wenn … einer in unserm Lande berufen war, Nord und Süd zu wohllautendem Einklang im dichterischen Kunstwerk zu verbinden, deutsches Erz in romanischer Form zu bändigen und glänzend zu runden, so war es der Zürcher Conrad Ferdinand Meyer.“ Otto von Greyerz ergänzt, dass Meyer französische Arbeiten von Ernest Naville13 ins Deutsche übertrug, womit ein weiterer Zofinger ins Spiel kam. Eine auffallend rege Aufmerksamkeit für Conrad Ferdinand Meyer legte der grosse Germanist und Ehrenzofinger Karl Schmid14 an den Tag. In seinem vielbeachteten Buch "Unbehagen im Kleinstaat“, das bereits den Begriff "Malaise“ aufnahm und damit zum Zofinger Max Imboden15 führte, ging Schmid ausführlich auf Meyer ein: "Sein dichterisches Leben ist eine einzige Folge von Aufbrüchen aus dem Ungenügen in die Kraft und Herrlichkeit des Grossen … Wo immer das Malaise im Kleinstaat die Seelen bewegte, erweist es sich, dass wir jenen Strukturen und Parolen wiederbegegnen, die Meyers Dichtung bestimmen.“ 16 Meyers Reflexion über sich selber sei "eigentümlich politisch“ gewesen17, schrieb Schmid. Die Grundbestimmungen des Kleinstaates hätten seine Welt ausgemacht. Henri-Frédéric Amiel, Jacob Burckhardt, Max Frisch, Jakob Schaffner und Conrad Ferdinand Meyer seien empfänglich gewesen "für das, was aus dem kleinen, hermetischen Gehäuse ins Gross-Geschichtliche hinauslockt“18. In diesen Zusammenhang gehört Meyers Reaktion auf die Verwicklungen 1856 in Neuenburg19, als eine preussische Militäraktion drohte. Meyer war sogar bereit, in der Grenzbesetzung mitzuwirken. Hans Rudolf Hilty20 erkannte den Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit Meyers zum Zofingerverein, der das "Wohl des Vaterlandes“ zum Zweck erhoben 9 Conrad Ferdinand Meyer. 30. NZZ vom 16. Und 18. März 1878. 11 Otto von Greyerz (1863 – 1940) war 1886/87 CP des Schweizerischen Zofingervereins. 12 Conrad Ferdinand Meyer als Schweizer. Abgedruckt im Cbl. 1925/26. 82. 13 Ernest Naville (1816 - 27.5.1909) wurde 1844 Professor für Philosophiegeschichte und 1860 Professor für Apologetik. Er wurde 1890 Ehrendoktor der Universität Zürich. 14 Karl Schmid (1907 – 1974). Vgl. Ronald Roggen: Besprechung von Schmids "Zeitspuren“. Cbl. 1967/68. 29. 15 Der Zofinger Max Imboden (1915 – 1969) griff Schmids Gedanken auf und setzte mit seinem Buch "Helvetisches Malaise“ die Bestrebungen um eine Revision der Bundesverfassung in Gang. 16 Unbehagen im Kleinstaat. 8. 17 Unbehagen im Kleinstaat. 113. 18 Unbehagen im Kleinstaat. 9. Der Schriftsteller und Philosoph Henri-Frédéric Amiel (1821 – 1881) sowie der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt (1818 – 1887) waren Zofinger. Max Frisch (1911 – 1991) und Jakob Schaffner (1875 – 1944) waren bekannte Schriftsteller. 19 Hans Rudolf Hilty: Conrad Ferdinand Meyer als Zofinger. Cbl. 1949/50. 53. 20 Conrad Ferdinand Meyer als Zofinger. Cbl. 1949/50. 54. 10 hatte, und dem alternden Dichter, der sich fragte: "Was kann ich für die Heimat tun, bevor ich geh im Grabe ruhn?“
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