195 Neurostructural Integration Technique Spinale Integration – Ein besserer Weg zu guter Gesundheit! Michael Nixon-Livy EINFÜHRUNG Einer der berühmtesten und produktivsten Erfinder der vergangenen 150 Jahre, Thomas Edison, dem wir die Erfindung der elektrischen Glühbirne im Jahre 1879 verdanken (neben anderen Errungenschaften wie dem Grammophon und der technischen Telefonübertragung), hatte sehr kluge Ansichten zur Zukunft der Medizin. Seine berühmte Aussage findet sich in vielen ärztlichen Kliniken, sie lässt sich aber am ehesten auf Chiropraktiker und Osteopathen anwenden. Er sagte: „Der Arzt der Zukunft wird keine Medizin verabreichen, sondern wird bei seinen Patienten ein Interesse wecken für den sorgsamen Umgang mit dem menschlichen Körperbau bzw. „Gestell“, für die Ernährung und die Ursachen von Krankheiten und deren Vorbeugung“. Die logische Schlussfolgerung aus dieser Aussage, die sich besonders für Chiropraktiker und Osteopathen ableiten lässt, ist der Begriff des menschlichen Körperbaus. Sie haben diesen Begriff seit Jahrzehnten als ihr Schlagwort benutzt, um ihre Arbeit zu rechtfertigen und geschickt anzudeuten, dass Edisons Theorien über die Gesundheit eingehender berücksichtigt werden sollten, da er ja schließlich klug genug war, die elektrische Glühbirne zu erfinden. Stimmt! Ich stimme Edison da durchaus zu und schließe mich seiner Aussage voll und ganz an, einschließlich seiner Anmerkung zur Ernährung und der Ursachen und Verhütung von Krankheiten, denn ohne diese verliert der Aspekt des Körperbaus an Bedeutung. Vor noch längerer Zeit, vor 2500 Jahren nämlich, verfolgte Hippokrates, der griechische Vater der Medizin, ähnliche Ansätze und praktizierte Medizin auf die von Edison vorgeschlagene Weise. Seine vier Säulen der Gesundheit sind eine ernst zu nehmende Erinnerung daran, dass der menschliche Körper in der Tat ein sich selbst regulierender Mechanismus ist, um den man sich auf Grundlage seiner ihm eigenen organischen © IAK Bedürfnisse kümmern muss. Und dazu gehören seine Struktur, die Ernährung und die Kenntnis von Krankheitsursachen und -vorbeugung. Wenn jemand krank war, stellte Hippokrates als erstes die Ernährung um. Falls dies nach einiger Zeit allein keine Wirkung zeigte, behielt er sie bei und ging zur nächsten Stufe, Heilkräutern, heilenden Berührungstechniken, Psychologie usw. Das wurde eine ganze Weile gemacht, und wenn das Problem trotzdem weiterhin bestand, war es Zeit für den nächsten Schritt, d.h. die zusätzliche Gabe von Arzneimitteln. Erst wenn sich auch durch die Kombination dieser drei Aspekte die Krankheit oder die Symptome nach einiger Zeit noch nicht beseitigen ließen, kam es zum letzten Schritt, nämlich dem chirurgischen Eingriff. Halten Sie hier inne und vergegenwärtigen Sie sich mal kurz, wieviel Weisheit in dieser Vorgehensweise liegt, wenn sich die Person tatsächlich einem chirurgischen Eingriff unterziehen muss. Sie wäre angesichts der Tatsache, dass all die anderen Bereiche des Organismus schon unterstützt wurden, sehr gut darauf vorbereitet, und die Erholung nach der Operation fände optimale Bedingungen vor. Außerdem würde das Risiko eventueller Komplikationen minimiert. Dieselbe Denkweise trifft auf alle vier Stufen zu: Man bereitet für den jeweils nächsten Schritt den Weg nach vorne und nach hinten vor. In der Tat äußerst genial! Hippokrates war auch der Erste in der Geschichte, der die Vorstellung einbrachte, dass der Körper zu einer Selbstregulierung fähig sei. Diese Fähigkeit bezeichnete er als „Physis“, woraus sich das englische Wort für Arzt – „Physician“ – entwickelte. Er behauptete, dass der Körper eine angeborene Intelligenz habe, die das Richtige tun würde, um die Dinge durch Physis bzw. Selbstregulierung wieder ins Gleichgewicht zu bringen, wenn die richtigen Voraussetzungen gegeben sind. Selbstregulierung in Bezug auf das Kreuzbein, die Wirbelsäule und den Schädel bedeutet insbesondere IKC-Conference 2006 196 die angeborene und automatische Fähigkeit dieses normalerweise integrierten Systems, seine intrinsische Beweglichkeit (im Gegensatz zur fragmentierten Funktionalität) über die durale Membrankonnektivität, muskuläre Integration und den ossären Rhythmus des Kreuzbeins und Schädels soweit wiederzuerlangen, dass es auf positive physiologische Weise alle externen, von der Integration abhängigen Systeme beeinflusst. Wenn man die Konzepte von Edison und Hippokrates zu vergleichen beginnt, entdeckt man große Ähnlichkeiten in ihren Ansätzen. Verbindet man ihre Vorstellungen miteinander, ergibt sich ein Konzept des sich selbst regulierenden Organismus. Diese Selbstregulierung braucht als Basis die Erfüllung ganz konkreter Ernährungsbedürfnisse und die Wachsamkeit des Menschen gegenüber den Dingen, die das Gleichgewicht des Organismus so stören könnten, dass er eine Krankheit ausbildet. Nichts trifft die der Neurostrukturellen Integrationstechnik zugrunde liegende Philosophie besser als diese Zusammenfassung. GRUNDPRINZIP Die Neurostrukturelle Integrationstechnik wurde aus diesen Konzepten geboren und ursprünglich von dem Abb.: Entfaltung der Zentralfibrillen IKC-Conference 2006 Australier Thomas Abrose Bowen (1916-1982) entwickelt, der sehr pragmatisch die Prinzipien sowohl von Edison als auch Hippokrates einbezieht. Die Struktur und Anwendung der NST basieren auf dem Grundprinzip, dass der Körper in der Tat ein sich selbst regulierender Mechanismus ist, der in seinen strukturellen, chemischen und mentalen Bereichen ins Gleichgewicht gebracht werden muss, um eine robuste Physiologie aufzuweisen und infolgedessen gesund zu sein. Wie bei chiropraktischen, osteopathischen und kranio-sakralen Behandlungen ist bei der NST die Integration von Kreuzbein, Wirbelsäule und Schädel der grundlegende Ausgangspunkt für die Lösung fast aller Symptome. Anders ausgedrückt, wenn das Kreuzbein, die Wirbelsäule und der Schädel ausbalanciert sind, können alle Systeme, die zu diesen wichtigen Strukturen gehören oder über sie laufen, ungehindert funktionieren. Die NST wird oft als „Weichteile – Osteopathie“ oder „neuromuskuläre Osteophatie auf der Basis einer naturheilkundlichen Philosophie“ beschrieben. Abb.: Zentralfibrillen steuern den Körper © IAK 197 Die NST unterscheidet sich allerdings durch ihre einzigartige Anwendungstechnik von allen anderen Behandlungsformen, die auf derselben Philosophie aufbauen. DIE BEDEUTUNG DER MUSKELN Die NST wird am neuromuskulären System angewendet und auf eine Art, die NST eigen ist. Die Muskeln bewegen normalerweise schließlich die Knochen und nicht umgekehrt! Tom Bowen, der die Methode ursprünglich entwickelte, entdeckte die Geheimnisse, die eine schnelle Beseitigung von Blockaden im Körper und systematische Reintegration des menschlichen Körpers über den Bewegungsapparat erlauben. Er betonte immer wieder, dass die Muskelspannung im ganzen Körper auf beiden Seiten gleich sein muss, um die Struktur/ die kranio-sakrale Beweglichkeit bzw. den „Zyklus des Körpers“, wie er es nannte, wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dies war sein vorranginges Ziel in der Anwendung seiner Technik. Körpermasse ausmacht. Sie verbrauchen auch die meiste Energie im Körper. Blockaden (neuromuskuläre Kompensationen) im Muskelsystem können schwerwiegende Folgen für unsere Gesundheit haben und in der Tat die Prädisposition und Ursache für Krankheiten sein. Ein blockierter Muskel verbraucht ebenso viel Energie wie ein Muskel, der aktiv seine Aufgabe erfüllt. Darüber hinaus darf man nicht die weiteren Folgen einer reziproken Wirbelsubluxation und Behinderung der Blutzufuhr zu anderen Muskeln übersehen. Außerdem sind es die Organe, die die für die Funktion der Muskeln notwendige Energie produzieren müssen und nicht umgekehrt. Derartige Betrachtungen zeigen eine andere wichtige Beziehung zwischen Muskelblockaden, viszeraler Funktion und Gesundheit auf. Blockierte Muskeln können die Funktion der Organe direkt über eine Stagnation der Energie und eine spinale Reflexbogenassoziation behindern (siehe folgende Abbildung zum spinalen Reflexbogen). Dies bedeutet, dass nicht nur die Beinmuskeln die gleiche bilaterale Spannung haben müssen, sondern auch der Rückenstrecker und die Muskeln des Oberkörpers. Selbst die feineren Muskeln des Zungenbeins können, wenn sie nicht wieder ins Gleichgewicht gebracht werden, über die Kiefergelenke und das damit verknüpfte Steuerungssystem, das stomato-gnathologische System, in der ganzen Struktur verheerende Schäden anrichten (siehe folgende Abbildung). Reprinted with the kind permission of David Walther, DC Außerdem sind die Muskeln das grundlegendste Gewebe bei Mensch und Tier, das ungefähr 80% der © IAK Abb.: der Fenn-Effekt IKC-Conference 2006 198 DIE ANWENDUNG Bei einer NST-Behandlung werden bei der jeweiligen Person normalerweise zuerst eine Sequenz von vorgegebenen, spezifischen neuromuskulären Bewegungen an der Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule durchgeführt. Dadurch soll der Körper von der Mittellinie bzw. dem „central core“ (zentralen Kern) aus (Kreuzbein, Wirbelsäule und Schädel) nach außen hin Richtung Peripherie integriert werden und sichergestellt werden, dass die Bahnen von der Peripherie zum central core frei bleiben. Die Bedeutung der Balancierung der Mittellinie vor der Behandlung anderer Körperbereiche kann gar nicht genügend betont werden. Es ist in der Tat das zentrale System, durch das alle anderen Systeme laufen müssen! Allein dadurch wird bereits die richtige neuromuskuläre Basis dafür geschaffen, dass andere, weiter außen liegende Symptome wirksam und dauerhaft zum Verschwinden gebracht werden können. Dann werden zusätzlich zu den grundlegenden Bewegungssequenzen am zentralen System (central core) Teil 1 IKC-Conference 2006 weitere, auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnittene Sequenzen für die konkret bestehenden Symptome (z.B. Schulterprobleme, Fußgelenkprobleme usw.) durchgeführt. Eine Behandlung wird dann mit einer Untersuchung und, falls notwendig, einer Ausbalancierung des Becken- und Kiefergelenksystems abgeschlossen. Bowen selbst erklärte seine Arbeit auf sehr unkonventionelle und anekdotenhafte Weise, wenn er gefragt wurde, wie man sie besser verstehen könne. Seine häufigste Antwort war allerdings, dass „Erklärungen nicht nötig sind, wenn die Leute gesund werden“. Bowen zog es vor, Behandlungsanweisungen zu geben, statt zu versuchen zu erklären, was passierte. Er arbeitete sehr stark kontextabhängig, was auch die frühen Heilbehandlungsmethoden von Hippokrates auszeichnete. Dass Bowen so wenige Erklärungen parat hatte, konnte die Begeisterung der Therapeuten in der ganzen Welt allerdings nicht dämpfen, mit der sie versuchten, her- Teil 2 © IAK 199 auszufinden, was während einer Behandlung denn nun tatsächlich passiert. Eine der gängigsten Erklärungen dazu, warum die Behandlung so erfolgreich ist, ist das Modell des spinalen Reflexbogens. Dieses baut grundsätzlich auf dem Phänomen auf, dass alle Bestandteile eines spinalen Reflexbogens (Muskeln, Organe, Nerven, Drüsen und Haut) gleichermaßen und gleichzeitig reagieren, egal, welcher von ihnen stimuliert wird. Bowen übernahm das spinale Reflexbogenmodell und nutzte es praktisch wie ein Komponist, indem er die einzelnen Noten harmonisierte, um ein wunderschönes neues Musikstück zu schaffen! Abb.: Segmentreflexkanäle Abb.: Spinaler Reflexbogen Übersetzung (jeweils von oben nach unten) Organ, Viszeralnerv, grauer Verbindungsast, Muskel, Rückenmarknerv, Sympathikuskette, Haut Weißer Verbindungsast, Spinalganglion. Vorderwurzel, Hinterwurzel. T1 Abbildung Segmentreflexkanäle (von oben im Uhrzeigersinn) Haut/Schleimhaut, Unterhautgewebe, Bindegewebe, Muskeln, Gefäßsystem, Nerven, Knochenhaut, Organ. Segmentreflexkanäle)) Teil 3 © IAK IKC-Conference 2006 200 ERGEBNISSE • Egal wie sie erklärt werden mögen, die Ergebnisse der NST sind einzigartig. Die Therapie führt zu einer tiefen Selbstregulierung in multidimensionalem Sinn, was sich durch tiefgreifende Veränderungen nicht nur im Skelettsystem, sondern auch im Muskel- und Nervensystem und Endokrinium ausdrückt. • • • Das Entscheidende für erstaunliche 80-85% der Patienten, die sich einer NST-Therapie unterziehen, ist die Tatsache, dass nur 2-3 Sitzungen mit jeweils ungefähr einer Woche zwischen den Sitzungen für die Behebung der Symptome erforderlich sind. 1) P.C., eine 38-jährige Frau kam mit der Menière’schen Krankheit und den typischerweise damit verbundenen, in zyklischen Abständen auftretenden Symptomen wie Schwindel, Übelkeit und Erbrechen in die Praxis. Außerdem hatte sie Hörprobleme und häufige Panikattacken. Heilerfolg ist mit NST gleichzusetzen, denn die Behandlung führt durchweg zu erstaunlichen Ergebnissen innerhalb der genannten kurzen Zeiträume, und die Ergebnisse kann man in einigen Fällen sogar fast ein Wunder nennen! Hier muss auch betont werden, dass chronischere Krankheiten und degenerative Erkrankungen, wie z.B. viele angeborene Krankheiten oder Krebs, normalerweise eine fortgesetzte Therapie auf Grundlage eines vielfältigen Ansatzes erfordern, um die Krankheit unter Kontrolle zu halten. Hierbei kann die NST ein ausgesprochen wichtiger Bestandteil der gesamten Behandlungsstrategie sein. BESCHWERDEN Obwohl es keine bestimmten Erkrankungsbilder gibt, bei denen die NST nicht völllig risikolos in jeder Altersgruppe (Säuglinge bis zu älteren Menschen) angewandt werden könnte, sind in der folgenden Liste die Symptome aufgeführt, die am häufigsten als Ergebnis einer NST-Sitzung „verschwinden“. • • • • • • • • • • Alle Probleme im Bereich der Wirbelsäule, des Schädels, des Kiefergelenks (TMG) Alle Nackenprobleme, einschließlich Schleudertrauma Kopfverletzungen und Kopfschmerzen, einschließlich Migräne und Sehprobleme Rückenbeschwerden, einschließlich Beschwerden im Becken-, Lenden-, Rumpf- und Ischiasbereich Beschwerden an Schulter, Ellenbogen, Handgelenk und Händen Beschwerden an den Beinen, einschließlich Kniesehnenmuskelgruppe, Knie, Knöchel und Füße Verdauungs- und Darmbeschwerden Atemwegserkrankungen, einschließlich Asthma, Sinusitis, Bronchitis Erkrankungen des Bewegungs- und Gelenkapparats, einschließlich Rheuma, Arthritis, Fibromyalgie Erkrankungen der Nieren und des Harnwegssystems IKC-Conference 2006 Menstruations- und Wechseljahrbeschwerden sowie Erkrankungen der Fortpflanzungsorgane Säuglingskoliken, Magenreflux und Stillprobleme Akute und chronische Müdigkeit Stresszustände, emotionale Depressionen und strukturbezogene Lernschwierigkeiten FALLSTUDIEN Ihre Beschwerden bestanden seit fast 20 Jahren. In der Erstuntersuchung wurde festgestellt, dass sie eine chronische Kiefergelenks- und eine Beckendysfunktion hatte. Nach ihrer ersten Sitzung war sie extrem müde (eine klassische Reaktion auf die NST) und begann, Anzeichen einer kombinierten Übelkeits- und Panikattacke zu spüren. Dieses Gefühl ließ jedoch nach einigen Stunden nach und machte einem neuen Gefühl von Wohlbefinden Platz. Nach drei Sitzungen blieb sie bis heute symptomfrei, was ihre Ärzte vor ein Rätsel stellte. Sie hat außerdem sämtliche Medikamente abgesetzt. 2) Ein 8-jähriges Mädchen namens M.J. wies Koordinationsstörungen, ein Skoliosebecken, Störungen der Muskelwahrnehmung und starkes beidseitiges Schielen (besonders wenn sie müde war) auf. Das Kind hatte zuvor die beste medizinische Behandlung erhalten, die es gab. Nach der ersten Behandlung mit NST sagte das Kind, dass es sich „anders fühle“. Nach der zweiten Behandlung mit NST konnte sie mit ihrem Roller fahren und die Treppen rauf und runter gehen, was ihr vorher ohne fremde Hilfe nicht gelungen war. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie Schmerzen nach einer Belastung der Muskeln. Nach der dritten Behandlung mit NST bestätigte ihr Physiotherapeut, dass ihr Skoliosebecken sowie aussagekräftige Punkte auf den Schulterblättern jetzt gerade seien. Gleichzeitig hatte sich die Koordination und Muskelwahrnehmung soweit verbessert, dass sie sogar einen Purzelbaum schlagen konnte. Nach der vierten Behandlung mit NST – unglaublich, aber wahr – beteuerte der Augenarzt, dass das Kind nicht mehr schiele. Der Test war sogar durchgeführt worden, als das Kind ziemlich müde war, da es eben aus der Schule gekommen war. Sie macht weiterhin Fortschritte. © IAK 201 3) Ein 67-jähriger Mann litt seit mehr als 18 Jahren an der Parkinson Krankheit. Er konnte nur mit Hilfe seiner Frau und eines Gehstocks gehen und er hatte in beiden Armen fast ununterbrochen ein starkes Zittern. Wenn er saß, verstärkte sich das Zittern und seine sowieso schon kleine Statur erschien noch kleiner, da er als Ergebnis einer sich progressiv verschlechternden Kyphose (Dauerverbiegung) stark gebeugt war. Er war psychisch deprimiert und hatte allgemein wenig Lebensmut, ein Zustand, der von den Nebenwirkungen der Medikamente, die er einnahm, verstärkt wurde und zu Halluzinationen und Schreiattacken führte. Am Ende einer 30-minütigen Sitzung konnte er mit deutlich verbessertem Wohlbefinden den Tisch verlassen, und es war offensichtlich, dass sein Zittern maßgeblich weniger geworden war. Am selben Abend saß er zu Hause zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder aufrecht und war in der Lage, seine neue Haltung an den folgenden zwei Tagen beizubehalten. Nach fünf Sitzungen braucht er seinen Gehstock nicht mehr und das Zittern tritt nur kurzzeitig und nur von Zeit zu Zeit auf. Die Kyphose ist vollständig verschwunden. Laut seiner Frau ist er wieder zu dem geworden, den sie vor etwa 10 Jahren gekannt hatte. Er erhält nun Sitzungen in 14-tätigen Abständen, um seinen Zustand zu stabilisieren, und hat die Einnahme seiner Medikamente vollständig eingestellt. TOM BOWEN – DER ERFINDER Bowen soll mehr als 13.000 Personen pro Jahr behandelt haben, was ungefähr dreihundertfünfzigtausend bis vierhunderttausend Personen in seiner über 30jährigen klinischen Laufbahn entspricht. Nach seinen eigenen konservativen Schätzungen lag die Erfolgsquote bei 88%. Während seiner beruflichen Laufbahn hat er nur sechs Personen ausführlich in seiner Technik unterrichtet, von denen einige noch heute in Australien praktizieren. Vier Jahre nach seinem Tod im Jahre 1982 interpretierte sein erster Schüler, Oswald Rentsch, seine ganz frühe, ursprüngliche Arbeit. Diese ist heute als die „Bowen Technik“ auf der ganzen Welt sehr bekannt und wird sowohl von vielen Autodidakten wie auch darin ausgebildeten Therapeuten angewendet. DIE ENTWICKLUNG DER NST Ich kam Ende der 80-iger Jahre zum ersten Mal in Kontakt mit Tom Bowens Arbeit. Erfreulicherweise konnte ich Ende der 90-iger Jahre mit Oswald Rentsch (Bowens erstem Schüler) zusammenarbeiten und für ihn unterrichten. Später beriet ich mich mit den beiden letzten Schülern von Bowen über seine spätere Arbeit, die sehr viel weniger Zeit in Anspruch nahm, und entwickelte schließlich eine wirklich sehr auf die Techniken bezogene Interpretation davon, die jetzt NST genannt wird. Bei der Entwicklung und Gestaltung der NST wurde betont, dass sie insbesondere Bowens spätere Arbeit widerspiegelt, sie schnell angewendet werden kann und benutzerfreundlich für Therapeuten in stark frequentierten Kliniken ist, die zeitsparende, schnelle Lösungen finden müssen. Wie vorher bereits erwähnt, wurde NST ursprünglich von dem Australier Thomas Bowen entwickelt. Bowen bezeichnete sich selbst als Osteopath, der seine Arbeit ein wenig wie Thomas Edison begann, d.h. er arbeitete im Keller seines Hauses unter Nutzung seines angeborenen Talents und eines Systems von Versuch und Irrtum. Folglich wird sie auf der Ebene der Technik unterrichtet und steht als solche nur ausgebildeten, praktizierenden Menschen in Gesundheitsberufen zur Verfügung. Thomas Bowen Bowen hatte die seltene Gabe klar zu erfühlen, wo Nerven und Energie im muskulären System blockiert waren. In der Tat waren seine Hände so sensibel, dass er während seiner Experimente, wenn er die Energie in die falsche Richtung im Körper bewegte, ein so starkes brennendes Gefühl empfand, dass er schnell den Raum verlassen musste. Er schüttelte dann die Hände, um sich Erleicherung zu verschaffen, bis er schließlich fließendes kaltes Wasser fand, unter dem er sie abkühlen konnte. Glücklicherweise ist es überhaupt nicht notwendig, für die Ausübung der NST derartig hypersensibel zu sein. Vorausgesetzt, die Abläufe und Regeln werden eingehalten, sind die Ergebnisse für jeden Körper wohltuend. © IAK Einem Kind könnte man die Technik beibringen – sie würde sofort Wirkung zeigen! Da die NST in Abschnitten aufgebaut ist, ist sie für Mediziner leicht und praktisch in kurzen, intensiven Schulungen zu erlernen. Der Einstiegs-Workshop, in dem es um den Kern der Arbeit geht, kann in fünf Tagen absolviert werden. Der fortgeschrittene Workshop, der viele schnelle und potenzierende Strategien beinhaltet, in vier Tagen. Der letzte Feinschliff sowie die chemischen und mentalen Aspekte der Arbeit können zum Abschluss in einem dreitägigen Workshop erlernt werden. Die NST hat Bowens Arbeit soweit ausgedehnt, dass sie heutzutage ein sehr gut integriertes System ist, das weitgehend auf Edisons und Hippokrates Prinzipien für die Wiedererlangung der Gesundheit aufbaut. IKC-Conference 2006 202 DIE FUNKTIONSSYSTEME IM ÜBERBLICK Der sekundäre respiratorische Mechanismus Einige grundlegende Systeme im menschlichen Körper, die über die Behandlung mit NST integriert werden sollen, sind der primäre respiratorische Mechanismus, der sekundäre respiratorische Mechanismus und das stomato-gnathologische System. Wenn das Baby nach neunmonatiger Schwangerschaft zur Welt kommt und seinen ersten Atemzug macht, beginnt ein weiterer lebensunterstützender Zyklus, der unter dem Namen sekundärer respiratorischer Mechanismus bekannt ist. Dieser ist stärker mit der Lungenatmung an sich verbunden. Der primäre Atemmechanismus Seit Jahrzehnten schon wissen wir einiges über das einzigartige physiologische Ergebnis, wenn ein Spermium und ein Ei zusammentreffen und der Prozess des biologischen Lebens beginnt. Kurz nachdem das Spermium seinen Kopf in das Ei gegraben hat, ist ein elektrischer Impuls über das Ei messbar. Er hat einen positiven und negativen Aspekt (Pol) und eine sehr direkte Verbindung entlang einer unsichtbaren Achse. Dieser Impuls bzw. der sich daraus entwickelnde Puls ist nicht nur ein zufälliges Ereignis, sondern soll bei der Stimulierung der Zellentwicklung und -vermehrung eine Rolle spielen. Wenn sich das Ei zum ersten Mal teilt, zuerst in zwei, dann in vier und dann in Zellklumpen, stellen wir fest, dass dieser Impuls immer vorhanden ist und seine Rate irgendwo zwischen zwei Zyklen pro Minute und bis zu achtzehn Zyklen pro Minute schwankt. Aus diesem Grund wurde dieser Prozess primärer respiratorischer Mechanismus genannt, da er darüber bestimmt, in welcher Frequenz Zellen Sauerstoff und Nährstoffe aufnehmen und Abfallstoffe abgeben. Ohne diesen Zyklus würden wir sterben. Sutherland, der Vater der kranio-sakralen Arbeit, bezeichnete diesen immer wiederkehrenden Impuls als den elementarsten aller Körperimpulse und bezeichnete ihn als den Impuls des Lebens! Wenn das Baby seinen ersten Atemzug nimmt, dehnt sich das Zwerchfell aus, wodurch die inneren Organe in den Beckenboden gedrückt werden, was zu einer Weitung der Beckenschaufeln in schräg seitlicher Richtung führt. Als Folge der Verbindung des Kreuzbeins mit dem Ilium über die iliosakralen Gelenke muss sich das Kreuzbein selbst auch bewegen – sein distaler Anteil geht nach vorne. Hieraus ergibt sich eine Flexion der Schädelknochen als Reaktion auf den Zug, den er an der spenobasilaren Verbindung von der Dura Mater erhält, die fest mit dem vorderen Teil des zweiten sakralen Segments, den oberen Halswirbeln (C3 und C2) und dem Schädel am Foramen magnum verbunden ist. Diese Flexion der Schädelknochen reicht aus, um für genügend Bewegung innerhalb der Schädelnähte zu sorgen, wodurch die intrasuturalen Rezeptoren einen Impuls an das Mittelhirn und schließlich einen Impuls über den Nervus phrenikus senden, um das Zwerchfell zu entspannen, sodass es für den nächsten Atemzug bereit ist. Die Bedeutung des sekundären respiratorischen Mechanismus kann bei der NST gar nicht genügend betont werden, da er in der Tat der Mechanismus ist, um den herum die zentrale Körperarbeit der NST entwickelt wurde. Zur Balancierung des Körperzentrums („core“) gehören Abschnitte zur Integration der Lenden-, Rumpf- und Halswirbelsäule und des Zwerchfells. Das stomato-gnathologische System Nachdem der zentrale Kern (central core) und die einzelnen Symptome in einer NST-Sitzung behandelt wurden, verlagert sich der Schwerpunkt von grob zu fein, da mit einer Untersuchung und, falls notwendig, Ausbalancierung des stomato-gnathologischen Systems über das Becken und den Kiefergelenkkomplex begonnen wird. Die Behandlung dieser wichtigen Strukturen als Feinabstimmungsstrategie in Unterstützung der zentralen NST- Behandlung hat zu der hohen Erfolgsquote der Neurostrukturellen Technik geführt. Noch wichtiger ist jedoch die Möglichkeit, die die NST dem Therapeuten und Patienten bietet, gemeinsam zu entdecken, was den Organismus auf einer organbezogeneren und möglicherweise psychosomatischen Ebene wirklich stört. Obwohl das stomato-gnathologische System auf seiner Grundfunktionsebene die Kau-, Beiß- und Schluckfunk- Abb.: Spermium und Ei – PRM IKC-Conference 2006 © IAK 203 TMJ Pelvic Schädel-Gesichtsbereich tionen kontrolliert, sind seine Bestandteile bis zu einem gewissen Grad dieselben Bestandteile wie die des sekundären respiratorischen Mechanismus, und sie haben deshalb einen ausgesprochen großen Einfluss auf die Struktur selbst! Zum Beispiel beeinflussen sie beide die Hüftknochen, das Kreuzbein und Steißbein, die Dura Mater und Schädelknochen. Zum stomato-gnathologischen System gehören außerdem der Atlas, das Kiefergelenk, das Zungenbein, die sieben Halswirbel, die drei ersten Brustwirbel, die zwei Schlüsselbeine, die zwei Schulterblätter und das Brustbein, sowie alle Muskeln, Sehnen, Bänder, Nerven und Blutgefäße, die es dem System ermöglichen zu funktionieren. Das Grundkonzept des stomato-gnathologischen Systems ist, dass es als geschlossenes System funktioniert, © IAK Wirbelsäule Unterkiefer Zungenbein Schultergürtel Gleichgewicht des Kopfes auf der Wirbelsäule und die Art und Weise, in der die Muskeln das System stabilisieren)) IKC-Conference 2006 204 d.h. dass sich jedes Mal, wenn die Funktionen des Kauens, Beißens oder Schluckens ausgeführt werden, die Bestandteile des gesamten Systems als eine Einheit bewegen müssen. Wie bei allen geschlossenen Systemen neigen alle instabilen Bestandteile oder fehlerhaften Teile dazu, das gesamte System zu stören oder, besser ausgedrückt, die absolute Intaktheit des Systems zu bestimmen. Eine Kette ist schließlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied! Wenn wir so wichtige Bestandteile wie das Kiefergelenk und das Becken betrachten, erstaunt es tatsächlich nicht, dass es der permanenten Intaktheit der Struktur und ihrer Aufrechterhaltung ungemein schadet, wenn Imbalancen in den beiden nicht entdeckt und wirksam behandelt werden. Michael Nixon-Livy, geboren 1954 in Australien, ist als Referent, Lehrer, Autor und Heilpraktiker international bekannt. Er verfügt über Ausbildungen auf dem Gebiet der Kommunikation, der Psychologie, Kinesiologie und der Bowen Wirbelsäulentherapie. Er entwickelte die hoch gelobte Neurostrukturelle Integrationstechnik; er reist durch die ganze Welt und bildet professionelle Heilpraktiker aus. Kontakt: Michael J. Nixon-Livy Löwenstraße 8 79199 Kirchzarten Tel.: +49 (0)7661 90 57 26 Fax +49 (0)7661 90 57 26 [email protected] www.nsthealth.com ZUSAMMENFASSUNG Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Neurostrukturelle Integrationstechnik eine einzigartige und leistungsfähige neuromuskuläre spinale Integrationstechnik ist, die darauf abzielt, Veränderungen tief im menschlichen Organismus hervorzurufen, durch die Schmerzen und eine Vielzahl von Symptomen schnell beseitigt werden. Und schließlich kann hierdurch der Ausgangspunkt für die Erlangung von Lebenskraft und guter Gesundheit durch die Beachtung der Prinzipien einer gesunden Lebenshaltung geschaffen werden. IKC-Conference 2006 © IAK
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