Einschätzungen der Bevölkerung zu Asylbewerbern: Ergebnisse des SVR-Integrationsbarometers 2016 Deutschland erlebt zur Zeit eine im historischen Vergleich hohe Zuwanderung von Flüchtlingen. Nachdem im vergangenen Jahr etwa eine Million Flüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen sind und die Antragszahlen nach wie vor hoch sind, stehen Bund, Länder und Kommunen vor großen Herausforderungen bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Neben Fragen der Unterbringung und Verteilung der neuen Zuwanderer rückt zunehmend die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft in Deutschland als wichtiger Faktor für eine gelingende Integration in den Fokus von Politik und Medien. Aussagen darüber zu treffen, ist aber schwierig. Es mangelt vielfach an Daten, die ein verlässliches Bild der Wahrnehmungen und Einstellungen gegenüber Flüchtlingen zeichnen. Wie steht die Bevölkerung zu Flüchtlingen? Wie entwickelt sich die Haltung verschiedener Gruppen im Laufe der Zeit? Das SVR-Integrationsbarometer 2016 bietet differenzierende Einblicke in die Haltung der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund gegenüber Asylsuchenden. Hierzu wurden 5.396 Personen gefragt, wie sie zur Bereitstellung von Integrationsangeboten für alle Flüchtlinge stehen. Außerdem wurde die Akzeptanz gegenüber einer Unterbringung von Asylbewerbern in der unmittelbaren Nachbarschaft ermittelt. Gefragt wurde auch, wie sie die Akzeptanz in ihrer Nachbarschaft für eine Ansiedlung von Asylbewerbern einschätzen. Schließlich wurden die Befragten gebeten, die durch die eingereisten Flüchtlinge entstehenden (finanziellen) Auswirkungen auf den Wohlstand in Deutschland einzuschätzen. Das Studiendesign des SVR-Integrationsbarometers ermöglicht Einblicke in die Einstellungen und Haltungen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Das Wichtigste in Kürze Der SVR hat von März bis August 2015 und im Frühjahr 2016 die Bevölkerung mit und ohne Migrations•hintergrund in Deutschland zu ihrer Einschätzung und Haltung zu Asylbewerbern befragt. Eine überwältigende Mehrheit (etwa 90 % in allen Herkunftsgruppen) befürwortet Integrationsangebote •für alle Flüchtlinge, unabhängig davon, ob sie bereits anerkannt sind oder sich noch im Asylverfahren befinden. Asylunterkünften in der Nachbarschaft steht nur eine Minderheit der Befragten skeptisch bis ablehnend •gegenüber, allerdings vermuten über die Hälfte der Befragten, dass ihre Nachbarn eine Unterbringung von Asylbewerbern in der Wohngegend ablehnen. Deutlich gestiegen ist im Befragungszeitraum die Befürchtung, dass die hohe Flüchtlingszuwanderung den •Wohlstand in Deutschland bedroht. Diese Befürchtung ist bei Geringqualifizierten aller Herkunftsgruppen größer als bei Personen mit hohem Bildungsstand. Bei Menschen, die ihre eigene wirtschaftliche Situation als gut einschätzen, ist die Befürchtung geringer ausgeprägt als bei denjenigen, die sie negativ sehen. 1 ERGEBNISSE DES SVR-INTEGRATIONSBAROM ETERS 2016 ZU ASYLBEWERBERN Abb. 1 „Asylbewerbern sollten gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland Integrationsmaßnahmen angeboten werden, wie z. B. Deutschkurse.“ ohne Migrationshintergrund 81,5 Spät-/Aussiedler 15,7 68,9 22,2 75,7 Türkei 18,8 77,4 EU ≤ 2000 15,7 71,0 EU > 2000 17,4 81,6 übrige Welt 0% 20% 5,2 3,7 40% stimme voll und ganz zu stimme eher nicht zu stimme eher zu stimme gar nicht zu 4,6 3,7 13,4 60% 7,9 3,1 80% 100% Anmerkung: Anteile unter 3 Prozent sind nicht ausgewiesen. Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2016; gewichtete Daten abei können aufgrund der umfangreichen Stichprobe D von Personen mit Migrationshintergrund auch Aussagen über die Einstellungen einzelner Herkunftsgruppen getroffen werden. Zwischen März und August 2015 wurden neben 1.333 Personen ohne Migrationshintergrund zudem 999 (Spät-)Aussiedler befragt, 1.003 Personen mit türkischem Migrationshintergrund, 1.037 Personen aus anderen EU-Staaten sowie 1.024 Zuwanderer aus der „übrigen Welt“. Die Gruppe der Befragten aus EUStaaten ist zusätzlich unterteilt in Personen, die vor dem Jahr 2000 nach Deutschland eingereist oder hier als Nachkommen von EU-Zuwanderern geboren sind (EU≤2000), sowie in Personen, die ab dem 1. Januar 2001 aus einem EU-Land nach Deutschland eingewandert sind (EU>2000). Die Ergebnisse des Integrationsbarometers 2016 sind repräsentativ für Deutschland sowie für die einzelnen Herkunftsgruppen. Überwältigende Mehrheit befürwortet frühe Integrationsangebote für alle Flüchtlinge Derzeit stehen Integrationskurse nur Asylbewerbern mit (sehr) guter Bleibeperspektive und anerkannten Flücht- lingen offen. Die übrigen Gruppen haben keinen Zugang zu diesen Integrationsangeboten solange sie im Asylverfahren sind. Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für Integrationsangebote unabhängig von der Anerkennung bzw. der Bleibeperspektive von Flüchtlingen aus: Rund 97 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund sind der Meinung, dass Integrationsangebote unmittelbar nach der Einreise der Asylbewerber angeboten werden sollten. Die Zustimmungswerte liegen auch bei Personen mit Migrationshintergrund um die 90-Prozent-Marke (Abb. 1). Auffällig ist, dass die Gruppe der Spät-/Aussiedler und der nach 2000 Eingewanderten am meisten Vorbehalte gegenüber sofortigen Integrationsmaßnahmen äußern.1 Unterbringung von Flüchtlingen in der Nachbarschaft: hohe persönliche Zustimmung, aber Zustimmung der Nachbarn wird geringer eingeschätzt Deutlichere Unterschiede in den Meinungsmustern finden sich in Haltungen der Befragten zu einer Unterbringung von Flüchtlingen in der eigenen Nachbarschaft (Abb. 2), 1Der Originaltext lautete: „Unabhängig von der Frage, ob ein Asylbewerber dauerhaft in Deutschland bleibt oder nicht: Asylbewerbern sollten gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland Integrationsmaßnahmen angeboten werden, wie z. B. Deutschkurse.“ 2 ERGEBNISSE DES SVR-INTEGRATIONSBAROM ETERS 2016 ZU ASYLBEWERBERN Abb. 2 „Einschätzungen zur Akzeptanz von Asylbewerbern in der Nachbarschaft.“ „Ich hätte ein Problem mit der Unterbringung von Asylbewerbern in meiner Wohngegend.“ 9,1 12,8 9,8 14,2 16,6 15,2 11,7 5,7 17,5 7,5 13,7 0% 20% 39,2 ohne Migrationshintergrund 18,9 40,8 36,1 36,5 Spät-/Aussiedler 21,8 35,7 32,3 36,9 Türkei 38,9 17,6 „Die meisten Einwohner in meiner Wohngegend hätten ein Problem mit der Unterbringung von Asylbewerbern.“ 27,8 45,3 26,0 50,8 29,1 40% EU ≤ 2000 EU > 2000 übrige Welt 49,7 60% stimme voll und ganz zu 80% 100% stimme eher zu 25,9 15,9 0% 20% stimme eher nicht zu 40% 15,7 31,4 32,8 32,9 16,4 19,9 34,6 29,6 8,0 26,1 38,5 22,4 12,8 32,4 29,7 60% 11,6 24,8 21,4 80% 100% stimme gar nicht zu Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2016; gewichtete Daten die im Rahmen des SVR-Integrationsbarometers erhoben wurden. Die Gegenüberstellung der eigenen Haltung mit der Einschätzung der Haltung der Nachbarn zu Asylbewerbern in der eigenen Wohngegend zeigt: Die persönlichen Vorbehalte sind insgesamt gering; deutlich pessimistischer wird hingegen die Bereitschaft der Nachbarn eingeschätzt, Flüchtlinge im nachbarschaftlichen Umfeld zu akzeptieren. Während beispielsweise nur 22 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund der Unterbringung von Asylbewerbern ablehnend gegenüberstehen, haben laut ihrer Einschätzung etwa 60 Prozent der Nachbarn Vorbehalte gegen Asylbewerber in der eigenen Wohngegend. Die insgesamt eher geringen persönlichen Vorbehalte gegenüber einer Unterbringung von Asylbewerbern in der Nachbarschaft sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten. Denn es ist nicht auszuschließen, dass einige Befragte ihre Antwort an einer Norm ausrichten, von der sie annehmen, dass sie besteht (sog. soziale Erwünschtheit) und die daher eine ablehnende Haltung bei der Frage nicht offenbaren. Anders verhält es sich bei der Verortung der nachbarschaftlichen Ablehnungshaltung – eine pessimistische Einschätzung fällt hierbei nicht negativ auf den Befragten zurück. Wahrnehmung von Asylbewerbern als Bedrohung für den Wohlstand: zunehmende Ängste im Zeitverlauf Im Rahmen des SVR-Integrationsbarometers 2016 wurde die Frage gestellt, wie die Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund eine mit der Flüchtlingszuwanderung einhergehende (wirtschaftliche) Belastung wahrnimmt. Ist der Wohlstand in Deutschland aufgrund der aktuell hohen Anzahl der Asylbewerber bedroht? Eine deutliche Mehrheit unter den Befragten mit Migrationshintergrund verneint diese Frage (Abb. 3). Mit rund 29 Prozent erwartet lediglich eine Minderheit der Mehrheitsbevölkerung, dass die aktuelle Zahl der Asylbewerber den Wohlstand in Deutschland bedrohen könnte. Die Antworten der Zuwanderer unterscheiden sich davon: Zwar wird auch hier die Frage mehrheitlich verneint. Doch empfinden Personen mit Migrationshintergrund die aktuelle Anzahl an Asylbewerbern tendenziell als bedrohlicher für den Wohlstand. So kann bei (Spät-)Aussiedlern sowie Personen mit türkischem Migrationshintergrund von einem ambivalenten Meinungsbild gesprochen werden. 3 ERGEBNISSE DES SVR-INTEGRATIONSBAROM ETERS 2016 ZU ASYLBEWERBERN Abb. 3 „Die aktuelle Zahl von Asylbewerbern ist eine Bedrohung für den Wohlstand in Deutschland.“ ohne Migrationshintergrund 10,6 18,1 45,5 Spät-/Aussiedler 21,6 25,8 Türkei 22,4 24,0 EU ≤ 2000 11,7 EU > 2000 11,6 übrige Welt 7,4 36,0 16,6 26,8 17,8 26,9 43,4 27,1 27,1 28,8 21,3 0% 25,8 32,6 33,4 20% 38,0 40% 60% stimme voll und ganz zu stimme eher nicht zu stimme eher zu stimme gar nicht zu 80% 100% Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2016; gewichtete Daten Abb. 4 „Die aktuelle Anzahl an Asylbewerbern ist eine Bedrohung für den Wohlstand in Deutschland.“ Befragte ohne Migrationshintergrund im Zeitverlauf 8,5 12,8 9,8 46,3 20,4 14,9 21,6 0% 39,0 21,6 20% 32,3 48,9 21,9 40% Befragte mit Migrationshintergrund im Zeitverlauf 20,2 60% stimme voll und ganz zu März/April 2015 20,9 24,2 Mai/Juni 2015 16,6 Juli/August 2015 14,3 36,7 80% 12,4 stimme eher zu 20,6 32,1 25,3 Februar 2016 100% 19,2 0% 20% stimme eher nicht zu 41,1 27,3 32,5 30,3 30,2 19,6 40% 20,8 60% 23,5 34,3 80% 100% stimme gar nicht zu Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2016; gewichtete Daten 4 ERGEBNISSE DES SVR-INTEGRATIONSBAROM ETERS 2016 ZU ASYLBEWERBERN Abb. 5: „Die aktuelle Anzahl an Asylbewerbern ist eine Bedrohung für den Wohlstand in Deutschland.“ Anteile der Befragten, die zustimmen (in Prozent) Bildungsniveau niedrig mittel wirtschaftliche Lage* hoch (eher) gut (eher) schlecht ohne Migrationshintergrund 41 29 61 53 13 25 27 42 51 (Spät-)Aussiedler 71 Türkei 56 45 52 16 29 32 24 36 39 35 28 16 27 35 33 29 26 EU≤2000 EU≤2000: Befragte, die bis 2000 nach Deutschland zugewandert sind bzw. Befragte, die in Deutschland geboren wurden und deren Eltern bis 2000 nach Deutschland zugewandert sind. 40 EU>2000 EU>2000: Befragte, die nach 2000 nach Deutschland zugewandert sind. 52 übrige Welt 42 Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2016; gewichtete Daten; Infografik: Ellen Stockmar *eigene subjektive Einschätzung 5 ERGEBNISSE DES SVR-INTEGRATIONSBAROM ETERS 2016 ZU ASYLBEWERBERN Die dargestellten Ergebnisse wurden zwischen März und August 2015 erhoben. Dieser lange Zeitraum ermög licht es, Entwicklungen und Veränderungen in den Hal tungen und Wahrnehmungen abzubilden. Zusätzlich zu dem vom SVR-Integrationsbarometer abgedeckten Zeitraum im Jahr 2015 wurden alle dargestellten Fragen im Februar 2016 erneut erhoben.2 Dabei zeigt sich, dass aus Sicht der Befragten die durch Asylzuwanderung entstehende „Bedrohung für den Wohlstand“ im Erhebungszeitraum zugenommen hat (Abb. 4). Insbesondere für Personen ohne Migrationshintergrund nehmen die Bedrohungseinschätzungen über den Zeitraum hinweg stetig zu, während bei Zuwanderern zwischen Juli/August 2015 und Februar 2016 nur geringe Veränderungen feststellbar sind. Das Niveau der Bedrohungseinschätzungen ist dabei im Frühjahr 2016 bei Personen mit bzw. ohne Migrationshintergrund etwa gleich (rund 43 bzw. 45 Prozent). Tiefer gehende Analysen zeigen, dass neben dem Bildungsstand vor allem die eigene wirtschaftliche Situation ein wichtiger Faktor für die Bedrohungseinschätzungen ist (Abb. 5). So sehen nur 25 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund, die ihre wirtschaftliche Situation als positiv ansehen, die Flüchtlinge als Bedrohung für den Wohlstand. Beurteilen die Befragten ihre eigene wirtschaftliche Situation negativ, steigt der entsprechende Wert auf 52 Prozent. Ähnlich stark sind die Unterschiede zwischen den Bildungsniveaus: Personen ohne Migrationshintergrund mit hohem Bildungsstand sehen Flüchtlinge zu 13 Prozent als Gefahr für den Wohlstand. Bei Personen mit niedrigem Bildungsstand sind es 41 Prozent. Insgesamt zeigt die Befragung ein durchaus gemischtes Bild der Einschätzungen und Haltungen der Bevölkerung in Deutschland gegenüber der Flüchtlingszuwanderung. Hinsichtlich der Unterbringung von Flüchtlingen in der Nachbarschaft sind die Befragten mit bzw. ohne Migrationshintergrund ambivalent: Auch wenn sie selbst dieser nicht ablehnend gegenüber stehen, vermutet doch annähernd die Hälfte der Befragten eine ablehnende Haltung in der Nachbarschaft. Klar zugenommen hat zwischen Frühjahr 2015 und Frühjahr 2016 die Einschätzung, dass die Flüchtlingszuwanderung den Wohlstand in Deutschland bedrohen könnte. Diese Sorge ist geringer bei Menschen mit hohem Bildungsniveau und denjenigen, die ihre wirtschaftliche Lage positiv beurteilen. Einen großen Rückhalt für ein breites Angebot von Integrationskursen für alle Flüchtlinge bekäme die Politik von allen Befragten: Über 90 Prozent der Befragten sprechen sich herkunftsübergreifend dafür aus. 2Insgesamt wurden in der zusätzlichen im Februar 2016 durchgeführten Erhebung 601 Personen ohne und 341 mit Migrationshintergrund befragt. Zu beachten ist, dass für Personen mit Migrationshintergrund u. a. aufgrund unterschiedlicher Stichprobenzusammenstellungen die Vergleichbarkeit zwischen den Befragungszeitpunkten März–August 2015 und Februar 2016 eingeschränkt ist. Impressum Herausgeber Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH Neue Promenade 6 10178 Berlin Tel.: 030/288 86 59-0 Fax: 030/288 86 59-11 [email protected] www.svr-migration.de Verantwortlich Dr. Cornelia Schu Gestaltung KS Design Martin Schmid © SVR GmbH, Berlin 2016 6
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