Presseinformation mit Logos

Hessischer Rundfunk
Anstalt des öffentlichen Rechts
August 2015
(Aufruf zur Ausstellung „Legalisierter Raub“ in Michelstadt)
Kommunikation
Postfach
60222 Frankfurt am Main
Bertramstraße 8
60320 Frankfurt am Main
Mögliche Abbildung:
Weihnachten 1942: Lizzie Wassum (vorn rechts), ihre
Söhne Eginhard (hinten links) und Lothar (hinten rechts)
sowie die aus Bremen evakuierte Frau Weiß mit ihrer
Tochter.
Lizzie, Eginhard und Lothar Wassum aus Michelstadt
„Auf Grund eines Beschlusses der Geheimen Staatspolizei
in Darmstadt ist das Vermögen Ihrer Mutter Lizzie Sara
Wassum zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen“: Mit diesen Worten
wandte sich das Finanzamt Michelstadt am
16. August 1943 an Eginhard und Lothar Wassum, die damals 21- und 17jährigen Söhne Lizzie Wassums. Beigelegt war dem Schreiben ein Verzeichnis
„der noch vorhandenen Gegenstände“, die der Finanzbeamte am selben Tag in
der Wohnung der Familie, die damals in der Kellereibergstraße 1 lebte, ‚festgestellt‘ hatte. Die Liste ging verloren, das Schreiben hat Lothar Wassum aufbewahrt.
Viele Michelstädter kennen den heute 89-Jährigen: Seine Eltern, Lizzie und
Jakob Wassum, waren 1926 wenige Monate nach seiner Geburt mit ihm und
seinem älteren Bruder Eginhard von Erbach nach Michelstadt gezogen; er hat
sein ganzes Leben in der Stadt verbracht. 2010 wurde auf Initiative einiger Michelstädter Bürger ein Stolperstein für seine Mutter verlegt.
Eine seiner frühesten Kindheitserinnerungen erzählt davon, dass in den letzten
Jahren der Weimarer Republik die Verhältnisse auch in Michelstadt angespannt
waren: Sein Vater, deutsch-national gesonnen, hat eine auf das Kind bedrohlich
wirkende Auseinandersetzung mit einem Nachbarn – „Der war Kommunist“.
Telefon (069) 1 55-24 82
Fax (069) 1 55-30 05
[email protected]
www.presse.hr-online.de
Wie haben Lizzie und Jakob Wassum die ersten Jahre nach 1933 erlebt? Über
manches kann man nur spekulieren.
In der Familie wurden Spannungen spürbar. Lothar Wassum erinnert, dass der
Vater irgendwann den Umgang mit den jüdischen Verwandten mütterlicherseits
verbot. Auch Lizzie Wassum, die sich 1920 vor ihrer Eheschließung hatte taufen
lassen, galt spätestens ab 1935 mit dem Erlass des Reichsbürgergesetzes und
der folgenden 1. Verordnung als „Volljüdin“, weil ihre Eltern und Großeltern Juden gewesen waren; die evangelisch erzogenen Kinder waren nun „Halbjuden“.
Jakob Wassum, der seit Ende der 20er Jahre als Architekt gearbeitet hatte,
konnte nicht Mitglied der Reichskulturkammer werden, weil er mit einer Jüdin
verheiratet war. Die Mitgliedschaft war verpflichtend; wer nicht Mitglied war, erhielt beispielsweise keine öffentlichen Aufträge mehr. Um Geld zu verdienen, war
Jakob Wassum nun viel unterwegs. Er lernte eine andere Frau kennen und
lebte ab 1938 nicht mehr zu Hause. Lothar Wassum und seinem Bruder Eginhard, der als „Halbjude“ schon 1936 das Michelstädter Gymnasium hatte verlassen müssen, wurde vom Kreisamt nahe gelegt, dass auch sie die Mutter verlassen sollten – sie hätten es beim Vater besser. „Ich hab‘ gesagt: Ich geh‘
nicht“, erzählt Lothar Wassum. Er liebte seine Mutter.
Die Kinder blieben. Lothar Wassum absolvierte eine Schreinerlehre, sein Bruder
wurde Drogist – doch darüber hinaus? „Wir konnten nichts machen, nicht Mitglieder in einem Sportverein werden, nichts, gar nichts“, erinnert er; und dann
plötzlich ein Lichtblick: „Wir konnten in die Staatsjugend eintreten.“ Das war
vermutlich 1939, als in der Hitler-Jugend die „Dienstpflicht“ eingeführt wurde.
Lothar Wassum erlebt es als großes Glück, nun seinem Hobby, der Fliegerei,
nachgehen zu können; doch es sollte nicht lange währen: 1941 wurde er aus
der Organisation wieder ausgeschlossen.
In den ersten Jahren nach der Trennung hatte Lizzie Wassum einen bescheidenen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Seifen und die Vermietung eines
Zimmers erwirtschaftet: Hier wohnten Urlauber, die durch die NS-Organisation
„Kraft durch Freude“ nach Michelstadt kamen; aber eines Tages wollte die KdF
„die Jüdin“ nicht mehr unterstützen, die Urlauber blieben fort. Eine große Rolle
in der Ernährung der Familie spielte der Garten – bis ihn sich eine Nachbarin
aneignete. Die Not der Familie wurde größer und größer.
Anfang 1943 kam es in Würzburg zur Scheidung. Damit entfiel für Lizzie Wassum der Schutz: Am 6. März drangen zwei Gestapomänner und der damalige
Polizeichef von Michelstadt in Wohnung ein und verschleppten sie.
Hessischer Rundfunk
Anstalt des öffentlichen Rechts
Kommunikation
Postfach
60222 Frankfurt am Main
Bertramstraße 8
60320 Frankfurt am Main
Telefon (069) 1 55-24 82
Fax (069) 1 55-30 05
[email protected]
www.presse.hr-online.de
Als das Finanzamt Michelstadt die Söhne am 16. August darüber in Kenntnis
setzte, dass der „Herr Oberfinanzpräsident in Darmstadt … damit einverstanden
(ist), daß die vorhandenen Einrichtungsgegenstände und die Wäsche vorerst
Ihnen unentgeltlich zum Gebrauch überlassen werden“, war Lizzie Wassum
wahrscheinlich schon tot. Die in Auschwitz ausgestellte Sterbeurkunde datiert
ihren Tod auf den 13. Juli 1943
Hessischer Rundfunk
Anstalt des öffentlichen Rechts
Kommunikation
Postfach
60222 Frankfurt am Main
Bertramstraße 8
60320 Frankfurt am Main
Telefon (069) 1 55-24 82
Fax (069) 1 55-30 05
[email protected]
www.presse.hr-online.de
Hessischer Rundfunk
Im Kasten
Aufruf
Anstalt des öffentlichen Rechts
Kommunikation
Postfach
60222 Frankfurt am Main
Bertramstraße 8
Geschichten wie die der Familie Wassum erzählt die Ausstellung „Legalisierter
Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933 – 1945“, die
vom 8. November 2015 bis zum 28. Februar 2016 auf Einladung der Stadt
Michelstadt und unter Schirmherrschaft des zukünftigen Landrats des Odenwaldkreises, Frank Matiaske, in den Räumen Odenwald- und Spielzeugmuseums
Michelstadt zu sehen sein wird. Beteiligt sind viele Städte und Gemeinden des
Odenwaldkreises.
Für die Präsentation wird die Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks mit einem neuen, regionalen Schwerpunkt versehen: Er wird
sich mit der Ausplünderung jüdischer Familien in Michelstadt und im gesamten
Odenwaldkreis beschäftigen. Die Ausstellungsmacher rufen die Bevölkerung auf,
sich an dessen Gestaltung zu beteiligen:
Sind in Ihrer Familie Gegenstände überliefert, die jüdische Familien vor der
Auswanderung oder Deportation ihren Nachbarn zur Aufbewahrung übergeben
haben? Besitzen Sie Briefe, Fotografien oder andere Zeugnisse, die von ehemaligen jüdischen Nachbarn erzählen? Wurden in Ihrer Familie Gegenstände
vererbt, die auf öffentlichen Versteigerungen so genannten „nicht arischen Besitzes“ erworben wurden?
Dann sprechen Sie uns bitte an:
Ulrich Schwemer, Pfr. i.R.
Tel. Nr. 06061/967705, Email: [email protected].
Gottfried Kößler, Fritz Bauer Institut:
Tel.: (0)69 / 79 83 22 – 32, Email: [email protected]
Dr. Bettina Leder-Hindemith, Hessischer Rundfunk:
Tel.: 069 / 155 4038, Email: [email protected]
60320 Frankfurt am Main
Telefon (069) 1 55-24 82
Fax (069) 1 55-30 05
[email protected]
www.presse.hr-online.de
Anja Hering, Kreisarchiv Odenwaldkreis:
Tel.: 06062 / 70 467, Email: [email protected]
Gerd Lode, Bürgermeister a. D. von Reichelsheim und Heimatforscher: Tel.:
06164 / 2669
Handy: 0176 / 89 011 411, Email: [email protected]
Herr Helm, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Stadtarchiv Breuberg:
Tel.: 06165 / 2071
Helmut Ulrich, Magistrat der Stadt Beerfelden:
Tel.: 06068 / 7590 – 522, Email: [email protected]
Barbara Linnenbrügger, Frauengeschichtswerkstatt Odenwald:
Tel.: 06164 / 50 02 76, Email: [email protected]
Anja Bundschuh, Standesbeamtin bei der Stadt Bad König:
Tel. (vormittags): 06063 - 500954,
FAX 06063 – 500954
Email: [email protected].
Auf Wunsch werden die Gespräche vertraulich behandelt.
Hessischer Rundfunk
Anstalt des öffentlichen Rechts
Kommunikation
Postfach
60222 Frankfurt am Main
Bertramstraße 8
60320 Frankfurt am Main
Telefon (069) 1 55-24 82
Fax (069) 1 55-30 05
[email protected]
www.presse.hr-online.de