aus dem kuriositätenkisterl - Mag. Rainer Kraft

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PVP 1/2016
ART.-NR.: 7
AUS DEM KURIOSITÄTENKISTERL
Birgit Kronberger/Mag. Rainer Kraft (PVP-Redakteur)
Einstieg ins Wohnhaus über Fenster
im 1. Stock
» PVP 2016/7
Ein kurioser „Fall” im wahrsten Sinn des Wortes beschäftigte vor Kurzem die Arbeitsund Sozialgerichte.
Ein Dienstnehmer, der in seine Wohnung mit Hilfe einer Leiter durch ein Fenster im
1. Stock einsteigen wollte, stürzte 5 Meter in die Tiefe und verletzte sich dabei. Zu klären war nun die Frage, ob der Unfall ein Arbeitsunfall oder ein bloßer Freizeitunfall ist.
Verwendete Abkürzungen in diesem Beitrag:
AngG … Angestelltengesetz/AUVA … Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt/BAG … Berufsausbildungsgesetz//
DG … Dienstgeber//DN … Dienstnehmer//DV … Dienstvertrag bzw Dienstverhältnis//EFZ … Entgeltfortzahlungsgesetz//idR … in der Regel
A) Was war passiert?
Der DN fuhr nach der Arbeit von seinem Büro nach Hause zu seinem mitten in einem Wald gelegenen Wohnhaus (ein altes Schloss in der Steiermark). Als er das Gebäude betreten wollte, brach die
Türschnalle ab, weshalb er die Haustüre nicht öffnen konnte.
Da die Fenster im Erdgeschoss vergittert sind, holte er eine Leiter, lehnte diese an das Gebäude
an und versuchte – auf der Leiter stehend – im 1. Stock ein altes Fenster aufzudrücken. Dabei
rutschte die Leiter weg, der DN stürzte 5 Meter in die Tiefe und erlitt eine Schulterverrenkung,
eine Fersenbeinprellung und eine Kopfprellung.
Zum Glück erholte sich der DN von dem Unfall einigermaßen schnell, allerdings verblieb laut ärztlichem Gutachten eine dauerhafte 20%ige Erwerbsminderung.
Der DN forderte von der AUVA, dass ihm für die Folgen dieses Unfalls eine Versehrtenrente gewährt
wird. Sein Argument: Der Unfall ist als Arbeitsunfall (Wegunfall) zu qualifizieren.
B)
Und so entschieden die Gerichte
Der DN verlor den mit der AUVA geführten Sozialrechtsstreit in allen Instanzen. Der OGH begründet die klagsabweisende Entscheidung vom 17. 11. 2015, 10 ObS 86/15t wie folgt:
Grund des besonderen Versicherungsschutzes von Wegunfällen ist der Umstand, dass sich DN,
um ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, den typischen Weggefahren (zB Verkehrsunfälle, schwierige Witterungsverhältnisse etc) aussetzen müssen.
Der unfallversicherungsgeschützte Arbeitsweg beginnt bzw endet grundsätzlich an der Außenfront des Wohnhauses, also idR an dem ins Freie führenden Haustor (Haustür) oder Garagentor.
Der Versuch, ein Haus über ein Fenster im 1. Stock durch eine provisorisch angelegte Leiter zu betreten, ist aber
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ART.-NR.: 7
1. keine typische Weggefahr, sondern eine vom DN selbst geschaffene Gefahr und
2. nicht mehr Teil des Arbeitsweges, sondern das „Fensterln” dient der Überwindung eines häuslichen Problems (= dem nicht mehr möglichen Öffnen des Haustores),
sodass ein daraus resultierender Unfall dem privaten Bereich zuzurechnen ist.
An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass der DN zum Zeitpunkt des Unfalls die
Außentür seines Wohnhauses noch nicht überschritten hatte. Somit liegt kein Arbeitsunfall, sondern ein bloßer Freizeitunfall vor.
C)
Die rechtlichen Konsequenzen
Die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt bzw wie dieser vom Freizeitunfall abzugrenzen ist, hat
nicht nur (a) versicherungsrechtliche Auswirkungen (gesetzlicher Unfallversicherungsschutz 
allfälliger Anspruch des verunfallten DN auf Versehrtenrente gegenüber der AUVA), sondern auch
(b) große Bedeutung für die Dauer der arbeitsrechtlichen EFZ:
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Beruht die Dienstverhinderung eines Angestellten auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit, verlängert sich die 6-wöchige 100%ige EFZ-Frist in den ersten 5 Jahren des Angestellten-DV um die Dauer der arbeitsunfall- bzw berufskrankheitsbedingten Dienstverhinderung, höchstens jedoch um 2 Wochen (§ 8 Abs 1 AngG).
Nach 5 Angestelltenjahren beim DG steigt die 100%ige EFZ-Dauer ohnehin auf 8 Wochen an 
Ab diesem Zeitpunkt hat die Unterscheidung zwischen Arbeitsunfall und Freizeitunfall für die
EFZ keine Auswirkung mehr, sondern nur mehr für einen allfälligen Krankenentgeltzuschuss
der AUVA an den DG (anwendbar nur bei Unternehmen mit weniger als 51 regelmäßig beschäftigten DN).
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Arbeiter haben bei einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit einen eigenständigen
Anspruch auf 100%ige EFZ von 8 Wochen pro Arbeitsunfall bzw Berufskrankheit, der unabhängig von der EFZ für normale Erkrankungen und Freizeitunfälle zusteht. Der Anspruch auf
100%ige EFZ erhöht sich auf die Dauer von 10 Wochen, wenn das DV 15 Jahre ununterbrochen
gedauert hat (§ 2 Abs 5 EFZG).
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Lehrlinge haben bei einer Dienstverhinderung durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit
einen eigenständigen Anspruch auf volle Lehrlingsentschädigung für die Dauer von 8 Wochen und für weitere 4 Wochen Anspruch auf Teilentgelt (= Differenz zwischen voller Lehrlingsentschädigung und GKK-Krankengeld) pro Krankenstand. Dieser Anspruch besteht unabhängig von der für normale Erkrankungen und Freizeitunfälle gebührenden Entgeltfortzahlung
(§ 17a Abs 4 BAG).
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