Predigt vom 25.01.2015 René Schärer - ref

Predigt: Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2,41-52)
Liebe Gemeinde
Wir haben hier die einzige Geschichte von Jesus vor uns aus
seiner Kinder bzw. Jugendzeit. Und die Geschichte ist enorm
wichtig, denn in ihr kommt bereits etwas zum Vorschein, das
bei Jesus später als Erwachsenem gross und lebensbestimmend
wird. Und die Geschichte enthält auch einiges, über das es sich
für unseren Glauben und unser Leben nachzudenken lohnt.
Doch beginnen wir von vorn.
Selbstverständlich verstehen die Sorge von Maria und Josef. Sie
gehen als Familie zum Passafest. Kinder laufen bei den Müttern
mit und die Jungs ab ungefähr dem Alter, in dem Jesus hier ist,
bei den Männern. Jeder denkt, Jesus laufe bei der anderen
Gruppe mit. Doch plötzlich entdecken Maria und Josef, dass ihr
Sprössling verschwunden ist. Bei den eigenen Verwandten ist er
auch nicht zu finden. Da bekommt man als Eltern vor Schreck
schon mal das eine oder andere graue Haar.
Auf der anderen Seite zeigt die Geschichte natürlich eine
wunderbare Eigenschaft von Kindern bzw. Jugendlichen: Sie
haben die Gabe, völlig in dem aufzugehen, mit dem sie sich
gerade beschäftigen, ja beinahe eins zu werden mit dem
Gegenstand ihres Interesses; und dabei natürlich total die Zeit
zu vergessen. Und so machen sich Maria und Josef auf die
Suche nach ihrem verloren Sohn.
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Als die beiden dann ihr verloren geglaubtes Kind wiedergefunden haben, bekommen sie eine Erklärung für sein
Verhalten, die völlig logisch ist, aus seiner Perspektive – aber
auch nur aus seiner Perspektive.
Solche Erklärungen sind uns nicht fremd. Manche erinnern sich
womöglich noch an die Erklärungen ihrer Kinder oder Enkel,
wenn sich diese einmal völlig bei einer Tätigkeit und damit auch
den abgemachten Zeitpunkt der Rückkehr nach Hause
vergessen haben.
Während allerdings das Interesse Jesu damals bereits Gott und
dem Glauben galt, sind die Interessen eines durchschnittlichen
Zwölfjährigen meist etwas anders gelagert. Bei mir waren es
die viel zu langen Jungschisitzungen. Die Erklärung eigentlich
einfach, denn ich kam ja für eine gute Sache zu spät nach
Hause. Wenn es dann aber mal an den zu langen Fuss- oder
Handballmatches nach der Schule lag, war das Verständnis
ähnlich gross wie hier bei Maria und Josef. Da hatte die
Erklärung, dass man unbedingt habe gewinnen müssen und die
Kollegen ja nicht im Stich lassen konnte unerklärlicherweise zu
wenig Gewicht. Vielleicht erinnern Sie sich selber auch an
solche oder ähnliche Szenen bei sich selber oder mit ihren
Kindern oder Enkeln.
Bei Jesus war das natürlich etwas Anderes. Denn sein Interesse
für den jüdischen Glauben, für seine Religion und Kultur und
vor allem anderen seine Faszination für Gott als Vater, war
bereits hier einzigartig. Wie in dieser Geschichte auch zu sehen
ist, schimmert hier bereits ein Sendungsbewusstsein durch.
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Und um genau dieses Interesse, um die Faszination, um diesen
inneren Drang, sich mit Gott und dem Glauben zu beschäftigen,
geht es in dieser Geschichte. Jesus hat früh gemerkt, dass das
Thema Glaube und Gott etwas ist, das ihn unbedingt angeht. Er
hat gespürt, dass er von etwas ergriffen ist, das eine grosse
Bedeutung haben wird in seinem Leben. Etwas, von dem er
tatsächlich und aufrichtig überzeugt war, dass es wichtiger ist,
als die Sorge seiner Eltern.
Man kennt so etwas Ähnliches vielleicht von Wunderkindern im
Bereich von Musik, Sport oder Mathematik, die bereits den
künftigen Weg als Spitzensportler, -musiker oder
Nobelpreisträger einer wissenschaftlichen Fachrichtung erahnen
lassen. Ob es aber in jedem Fall auch so kommt, steht dann
doch auf einem anderen Blatt.
Woran liegt es, dass die einen diesen Weg weitergehen und
andere sich doch anders entscheiden? Und genau das ist die
Schlüsselfrage in dieser Geschichte.
Betrachten wir die Geschichte nämlich aus psychologischer
Perspektive, fallen uns einige Dinge auf: Maria und Josef
nehmen eine wichtige Funktion ein als Eltern.
Nämlich diejenige des sogenannten Über-Ich oder auch ElternIch.
Es ist diejenige Instanz, die für unser kulturelles und
gesellschaftliches Wertesystem zuständig ist, bzw. dieses
steuert und dafür sorgt, dass wir nicht einfach aus der Reihe
tanzen. Auf diese Instanz zu hören, haben unsere Eltern und
unser Umfeld uns über Jahre antrainiert.
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Und so funktioniert sie: „Das macht mer doch nöd! Was säged
au d’Lüüt, die schüttled sicher all de Chopf! Wenn das machsch,
denn tanzisch aber komplett us de Reihe! Das chasch doch jetzt
nöd: und i dim Alter no, also nei!“ und so weiter. Auch in der
positiven Formulierung erfreuen sich solche Über-Ich-Sätze
grosser Beliebtheit: „du sötsch! du muesch! so macht mer das
doch und nöd anderscht!“ Es geht also um die
gesellschaftlichen Erwartungen, um Pflichterfüllung; es wird
tunlichst vermieden aus der Reihe zu tanzen. In unserer
Geschichte klingt der Satz so: „Kind, warum hast du uns das
angetan?“ Hier wird die Faszination Jesu auf die Probe gestellt
und geprüft, ob sie echt ist, oder, ob es jetzt bereits der
richtige Zeitpunkt dafür ist.
Mit dieser Perspektive lässt sich die Geschichte auch auf unsere
Leben übertragen. Was sind denn unsere Themen, die uns
unbedingt angehen, mit denen wir uns tief im Inneren
beschäftigen, die uns umtreiben, uns nicht loslassen? Themen,
bei denen wir spüren, dass wir uns damit auseinander setzen
müssen – müssen im Sinne eines Wollens aus uns selbst
heraus, aus einem inneren Drang heraus. Was steht an in
unseren Leben? Was wird aus dem, was uns beschäftigt. Wird
überhaupt etwas daraus? Oder ist das bloss ein Sturm im
Wasserglas, oder ist einfach jetzt noch nicht die Zeit dafür?
Wir müssen natürlich nicht mehr die Welt erlösen! Doch in
Verbindung mit dem Ort, an dem wir uns durch das Leben
bewegen, bei denjenigen Menschen, denen wir begegnen, gibt
es vielleicht solche Themen, die uns nicht mehr loslassen.
Vielleicht auch gesellschaftliche oder politische Themen.
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Was ist da nicht alles im Hinterkopf? Vielleicht der Gedanke,
endlich einmal eine bestimmte Ausbildung zu machen? Die
Stelle zu reduzieren im Sinne von Glück und Gesundheit statt
Karriere und Stress. Vielleicht sind es aber auch grosse
Zwischenmenschliche Themen: Versöhnung mit dem Sohn oder
der Tochter, oder mit einem der Geschwister, mit Menschen,
mit denen man sich bereits seit Jahren, möglicherweise bloss
wegen einer Kleinigkeit streitet und nur noch distanziert
miteinander kommuniziert, wenn überhaupt.
Sie glauben gar nicht, welche Familiengeschichten bei manch
einem Trauergespräch ans Tageslicht kommen. Jetzt, da es
plötzlich zu spät ist, wäre man so erleichtert, hätte man sich
versöhnt als noch Zeit war; hätte man den stetigen Gedanken
doch bloss in die Tat umgesetzt. Es sind Geschichten, die
Menschen ein halbes Leben lang beschäftigen können.
Überall dort, wo wir spüren: „das ist mein ganz persönliches
Thema, das nimmt mich gefangen, das fasziniert mich, davon
träume ich, Das muss, nein, das will ich in Angriff nehmen“,
sind Lebensthemen, denen wir uns unbedingt und ernsthaft
stellen sollten.
Ich komme nochmals auf die Funktion von Jesu Eltern zurück in
unserer Geschichte. Hier sehen wir, das Jesus zwar eine
Erklärung für sein Verlorengehen liefert, die bereits auf später
verweist. ABER: er geht mit seinen Eltern wieder mit und
gehorcht ihnen, wie es hier steht.
Psychologisch gesprochen muss man nüchtern feststellen: Die
Zeit war noch nicht reif für mehr!
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Er hat sehr wohl immer noch gespürt, dass es mit dem Vater im
Himmel etwas auf sich hat, dass ihn auch weiterhin faszinieren
und wortwörtlich be-GEIST-ern wird. Aber, er geht mit den
Eltern mit und wird Zimmermann wie Josef und zwar für die
nächsten 18 Jahre bis er sich von Johannes dem Täufer im
Jordan taufen lässt, 40 Tage in die Wüste geht und dann mit
seinem Wirken beginnt! Jesus war als junger Mensch noch nicht
reif für seine spätere Aufgabe. Seine Begeisterung stand einige
Jahre zurück gegenüber den gesellschaftlichen und familiären
Erwartungen an ihn.
Und so ist es manchmal auch bei uns: manche Dinge brauchen
Zeit, sie müssen zuerst reifen, manchmal einige Jahre.
Vielleicht können wir diesen Gedanken mit in ein immer noch
junges Jahr mitnehmen. Wir sind voller Ideen, was das Jahr
bringen soll, was wir umsetzen können. Doch diese Geschichte
ermutigt uns, genau zu prüfen, was wirklich dran ist, wofür wir
bereits reif sind und wofür nicht.
Welches sind die Themen, die uns so faszinieren, dass wir
darüber wie ein Kind die Zeit vergessen können? Diese Qualität
müsste ein solches Thema schon haben.
Ebenfalls hilfreich ist es, gut auch auf kritische Stimmen zu
hören, das Über-Ich einzubeziehen, Stimmen, die in unserem
Kopf, wie auch aus unserem Umfeld kommen können.
Wenn die Stimmen ihre Träume so in Zweifel ziehen, dass sie
spüren, dass es eigentlich auch ohne diesen Traum sich ganz
zufrieden leben lassen würde, dann ist der Traum entweder
nicht wichtig genug oder es ist jetzt noch nicht Zeit, ihn
umzusetzen.
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Es geht in dieser Geschichte darum, bei welchen Lebensthemen
wir bereits Erwachsen sind, d.h. welche wir umsetzen können,
und bei welchem wir noch dem 12jährigen Jesus im Tempel
gleichen, der in sich bereits vieles mitträgt, das später einmal
wichtig geworden ist, aber zum Zeitpunkt dieser Geschichte
noch nicht dran war. Wo müssen wir noch erwachsen werden,
wo muss ein Traum noch reifen?
Vielleicht hilft es dann – ähnlich wie bei Jesus – sich mit völlig
anderen Dingen zu beschäftigen, um dann, wenn die Zeit reif
ist dafür, plötzlich wieder am Ort unseres Traums zu stehen
und mutig den Schritt zu wagen, diesen Traum auch zu leben.
Gott möge uns dabei helfen, herauszufinden, was in unseren
Leben dran ist und was noch Zeit zum Reifen benötigt. Nehmen
wir uns die Zeit für diese Gespräche mit Gott. Ein berühmtes
Gebet könnte uns dabei helfen: „Herr, gib mir die Kraft, das zu
ändern, was ich ändern kann, gib mir die Gelassenheit, das
anzunehmen, was ich nicht ändern kann, und gib mir die
Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“ Und mit
einem Augenzwinkern zeigt uns die Geschichte auch, dass, was
aufgeschoben ist, nicht aufgehoben sein muss. Vertrauen wir
Gott unsere Träume und Begeisterungen an, er wird schon das
richtige mit ihnen anstellen und auch uns zur Reife bringen für
diese Träume. Uns dahin bringen, wo wir sie leben können. Uns
wie wir’s im Eingangsvers gehört haben: wie Abraham in das
Land bringen, das er uns zeigen wird, bzw. ins Herz gelegt hat.
Amen
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