Predigt: Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2,41-52) Liebe Gemeinde Wir haben hier die einzige Geschichte von Jesus vor uns aus seiner Kinder bzw. Jugendzeit. Und die Geschichte ist enorm wichtig, denn in ihr kommt bereits etwas zum Vorschein, das bei Jesus später als Erwachsenem gross und lebensbestimmend wird. Und die Geschichte enthält auch einiges, über das es sich für unseren Glauben und unser Leben nachzudenken lohnt. Doch beginnen wir von vorn. Selbstverständlich verstehen die Sorge von Maria und Josef. Sie gehen als Familie zum Passafest. Kinder laufen bei den Müttern mit und die Jungs ab ungefähr dem Alter, in dem Jesus hier ist, bei den Männern. Jeder denkt, Jesus laufe bei der anderen Gruppe mit. Doch plötzlich entdecken Maria und Josef, dass ihr Sprössling verschwunden ist. Bei den eigenen Verwandten ist er auch nicht zu finden. Da bekommt man als Eltern vor Schreck schon mal das eine oder andere graue Haar. Auf der anderen Seite zeigt die Geschichte natürlich eine wunderbare Eigenschaft von Kindern bzw. Jugendlichen: Sie haben die Gabe, völlig in dem aufzugehen, mit dem sie sich gerade beschäftigen, ja beinahe eins zu werden mit dem Gegenstand ihres Interesses; und dabei natürlich total die Zeit zu vergessen. Und so machen sich Maria und Josef auf die Suche nach ihrem verloren Sohn. 1 Als die beiden dann ihr verloren geglaubtes Kind wiedergefunden haben, bekommen sie eine Erklärung für sein Verhalten, die völlig logisch ist, aus seiner Perspektive – aber auch nur aus seiner Perspektive. Solche Erklärungen sind uns nicht fremd. Manche erinnern sich womöglich noch an die Erklärungen ihrer Kinder oder Enkel, wenn sich diese einmal völlig bei einer Tätigkeit und damit auch den abgemachten Zeitpunkt der Rückkehr nach Hause vergessen haben. Während allerdings das Interesse Jesu damals bereits Gott und dem Glauben galt, sind die Interessen eines durchschnittlichen Zwölfjährigen meist etwas anders gelagert. Bei mir waren es die viel zu langen Jungschisitzungen. Die Erklärung eigentlich einfach, denn ich kam ja für eine gute Sache zu spät nach Hause. Wenn es dann aber mal an den zu langen Fuss- oder Handballmatches nach der Schule lag, war das Verständnis ähnlich gross wie hier bei Maria und Josef. Da hatte die Erklärung, dass man unbedingt habe gewinnen müssen und die Kollegen ja nicht im Stich lassen konnte unerklärlicherweise zu wenig Gewicht. Vielleicht erinnern Sie sich selber auch an solche oder ähnliche Szenen bei sich selber oder mit ihren Kindern oder Enkeln. Bei Jesus war das natürlich etwas Anderes. Denn sein Interesse für den jüdischen Glauben, für seine Religion und Kultur und vor allem anderen seine Faszination für Gott als Vater, war bereits hier einzigartig. Wie in dieser Geschichte auch zu sehen ist, schimmert hier bereits ein Sendungsbewusstsein durch. 2 Und um genau dieses Interesse, um die Faszination, um diesen inneren Drang, sich mit Gott und dem Glauben zu beschäftigen, geht es in dieser Geschichte. Jesus hat früh gemerkt, dass das Thema Glaube und Gott etwas ist, das ihn unbedingt angeht. Er hat gespürt, dass er von etwas ergriffen ist, das eine grosse Bedeutung haben wird in seinem Leben. Etwas, von dem er tatsächlich und aufrichtig überzeugt war, dass es wichtiger ist, als die Sorge seiner Eltern. Man kennt so etwas Ähnliches vielleicht von Wunderkindern im Bereich von Musik, Sport oder Mathematik, die bereits den künftigen Weg als Spitzensportler, -musiker oder Nobelpreisträger einer wissenschaftlichen Fachrichtung erahnen lassen. Ob es aber in jedem Fall auch so kommt, steht dann doch auf einem anderen Blatt. Woran liegt es, dass die einen diesen Weg weitergehen und andere sich doch anders entscheiden? Und genau das ist die Schlüsselfrage in dieser Geschichte. Betrachten wir die Geschichte nämlich aus psychologischer Perspektive, fallen uns einige Dinge auf: Maria und Josef nehmen eine wichtige Funktion ein als Eltern. Nämlich diejenige des sogenannten Über-Ich oder auch ElternIch. Es ist diejenige Instanz, die für unser kulturelles und gesellschaftliches Wertesystem zuständig ist, bzw. dieses steuert und dafür sorgt, dass wir nicht einfach aus der Reihe tanzen. Auf diese Instanz zu hören, haben unsere Eltern und unser Umfeld uns über Jahre antrainiert. 3 Und so funktioniert sie: „Das macht mer doch nöd! Was säged au d’Lüüt, die schüttled sicher all de Chopf! Wenn das machsch, denn tanzisch aber komplett us de Reihe! Das chasch doch jetzt nöd: und i dim Alter no, also nei!“ und so weiter. Auch in der positiven Formulierung erfreuen sich solche Über-Ich-Sätze grosser Beliebtheit: „du sötsch! du muesch! so macht mer das doch und nöd anderscht!“ Es geht also um die gesellschaftlichen Erwartungen, um Pflichterfüllung; es wird tunlichst vermieden aus der Reihe zu tanzen. In unserer Geschichte klingt der Satz so: „Kind, warum hast du uns das angetan?“ Hier wird die Faszination Jesu auf die Probe gestellt und geprüft, ob sie echt ist, oder, ob es jetzt bereits der richtige Zeitpunkt dafür ist. Mit dieser Perspektive lässt sich die Geschichte auch auf unsere Leben übertragen. Was sind denn unsere Themen, die uns unbedingt angehen, mit denen wir uns tief im Inneren beschäftigen, die uns umtreiben, uns nicht loslassen? Themen, bei denen wir spüren, dass wir uns damit auseinander setzen müssen – müssen im Sinne eines Wollens aus uns selbst heraus, aus einem inneren Drang heraus. Was steht an in unseren Leben? Was wird aus dem, was uns beschäftigt. Wird überhaupt etwas daraus? Oder ist das bloss ein Sturm im Wasserglas, oder ist einfach jetzt noch nicht die Zeit dafür? Wir müssen natürlich nicht mehr die Welt erlösen! Doch in Verbindung mit dem Ort, an dem wir uns durch das Leben bewegen, bei denjenigen Menschen, denen wir begegnen, gibt es vielleicht solche Themen, die uns nicht mehr loslassen. Vielleicht auch gesellschaftliche oder politische Themen. 4 Was ist da nicht alles im Hinterkopf? Vielleicht der Gedanke, endlich einmal eine bestimmte Ausbildung zu machen? Die Stelle zu reduzieren im Sinne von Glück und Gesundheit statt Karriere und Stress. Vielleicht sind es aber auch grosse Zwischenmenschliche Themen: Versöhnung mit dem Sohn oder der Tochter, oder mit einem der Geschwister, mit Menschen, mit denen man sich bereits seit Jahren, möglicherweise bloss wegen einer Kleinigkeit streitet und nur noch distanziert miteinander kommuniziert, wenn überhaupt. Sie glauben gar nicht, welche Familiengeschichten bei manch einem Trauergespräch ans Tageslicht kommen. Jetzt, da es plötzlich zu spät ist, wäre man so erleichtert, hätte man sich versöhnt als noch Zeit war; hätte man den stetigen Gedanken doch bloss in die Tat umgesetzt. Es sind Geschichten, die Menschen ein halbes Leben lang beschäftigen können. Überall dort, wo wir spüren: „das ist mein ganz persönliches Thema, das nimmt mich gefangen, das fasziniert mich, davon träume ich, Das muss, nein, das will ich in Angriff nehmen“, sind Lebensthemen, denen wir uns unbedingt und ernsthaft stellen sollten. Ich komme nochmals auf die Funktion von Jesu Eltern zurück in unserer Geschichte. Hier sehen wir, das Jesus zwar eine Erklärung für sein Verlorengehen liefert, die bereits auf später verweist. ABER: er geht mit seinen Eltern wieder mit und gehorcht ihnen, wie es hier steht. Psychologisch gesprochen muss man nüchtern feststellen: Die Zeit war noch nicht reif für mehr! 5 Er hat sehr wohl immer noch gespürt, dass es mit dem Vater im Himmel etwas auf sich hat, dass ihn auch weiterhin faszinieren und wortwörtlich be-GEIST-ern wird. Aber, er geht mit den Eltern mit und wird Zimmermann wie Josef und zwar für die nächsten 18 Jahre bis er sich von Johannes dem Täufer im Jordan taufen lässt, 40 Tage in die Wüste geht und dann mit seinem Wirken beginnt! Jesus war als junger Mensch noch nicht reif für seine spätere Aufgabe. Seine Begeisterung stand einige Jahre zurück gegenüber den gesellschaftlichen und familiären Erwartungen an ihn. Und so ist es manchmal auch bei uns: manche Dinge brauchen Zeit, sie müssen zuerst reifen, manchmal einige Jahre. Vielleicht können wir diesen Gedanken mit in ein immer noch junges Jahr mitnehmen. Wir sind voller Ideen, was das Jahr bringen soll, was wir umsetzen können. Doch diese Geschichte ermutigt uns, genau zu prüfen, was wirklich dran ist, wofür wir bereits reif sind und wofür nicht. Welches sind die Themen, die uns so faszinieren, dass wir darüber wie ein Kind die Zeit vergessen können? Diese Qualität müsste ein solches Thema schon haben. Ebenfalls hilfreich ist es, gut auch auf kritische Stimmen zu hören, das Über-Ich einzubeziehen, Stimmen, die in unserem Kopf, wie auch aus unserem Umfeld kommen können. Wenn die Stimmen ihre Träume so in Zweifel ziehen, dass sie spüren, dass es eigentlich auch ohne diesen Traum sich ganz zufrieden leben lassen würde, dann ist der Traum entweder nicht wichtig genug oder es ist jetzt noch nicht Zeit, ihn umzusetzen. 6 Es geht in dieser Geschichte darum, bei welchen Lebensthemen wir bereits Erwachsen sind, d.h. welche wir umsetzen können, und bei welchem wir noch dem 12jährigen Jesus im Tempel gleichen, der in sich bereits vieles mitträgt, das später einmal wichtig geworden ist, aber zum Zeitpunkt dieser Geschichte noch nicht dran war. Wo müssen wir noch erwachsen werden, wo muss ein Traum noch reifen? Vielleicht hilft es dann – ähnlich wie bei Jesus – sich mit völlig anderen Dingen zu beschäftigen, um dann, wenn die Zeit reif ist dafür, plötzlich wieder am Ort unseres Traums zu stehen und mutig den Schritt zu wagen, diesen Traum auch zu leben. Gott möge uns dabei helfen, herauszufinden, was in unseren Leben dran ist und was noch Zeit zum Reifen benötigt. Nehmen wir uns die Zeit für diese Gespräche mit Gott. Ein berühmtes Gebet könnte uns dabei helfen: „Herr, gib mir die Kraft, das zu ändern, was ich ändern kann, gib mir die Gelassenheit, das anzunehmen, was ich nicht ändern kann, und gib mir die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“ Und mit einem Augenzwinkern zeigt uns die Geschichte auch, dass, was aufgeschoben ist, nicht aufgehoben sein muss. Vertrauen wir Gott unsere Träume und Begeisterungen an, er wird schon das richtige mit ihnen anstellen und auch uns zur Reife bringen für diese Träume. Uns dahin bringen, wo wir sie leben können. Uns wie wir’s im Eingangsvers gehört haben: wie Abraham in das Land bringen, das er uns zeigen wird, bzw. ins Herz gelegt hat. Amen 7
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