Schweizerinnen traten für Juden ein

Bodensee
22
Nachr chten
ALKOHOL
Mann bedroht Frau
und Kinder mit Messer
Friedrichshafen (sk) Polizeibeamte bekamen es am Freitagabend mit einem äußerst
aggressiven Mann zu tun. Laut
Polizei bedrohte der 35-Jährige
seine Lebensgefährtin und drei
Kinder mit einem Küchenmesser und erklärte, er bringe
sie alle um. Der Mann sollte
dann in Gewahrsam genommen werden. Dagegen wehrte
er sich heftig und versuchte,
nach den Beamten zu treten
und sie durch Kopfstöße zu
verletzen. Er beleidigte sie und
auch eine Ärztin. Der Mann
war betrunken und musste in
einer Zelle übernachten.
DIEBSTAHL
Trecker fahren
macht Spaß
Flawil/Kanton St. Gallen (sk)
In der Nacht von Freitag auf
Samstag kontrollierte eine
Polizeipatrouille im schweizerischen Flawil den Lenker
eines landwirtschaftlichen
Gespanns. Er war durch seine
unsichere Fahrweise aufgefallen. Es wurde festgestellt, dass
der 26-jährige Fahrer alkoholisiert war und seinen Führerschein bereits vor einiger Zeit
hatte abgeben müssen. Auch
stellte sich heraus, dass er sich
den Traktor ohne Erlaubnis des
Besitzers genommen hatte. Zu
seinen Motiven befragt, gab
der junge Mann an, dass er
halt gerne Traktor fahre.
KOLLISION
Fahrzeug geht
in Flammen auf
Brannte völlig aus: das Unfallauto
auf der Autobahn A1. B I L D : K A P O
Gossau/Kanton St. Gallen (sk)
Großes Glück hatten am frühen Samstagmorgen die Beteiligten von zwei Unfällen auf
der Autobahn A1 bei Gossau.
Kurz nach 4.30 Uhr war ein
59-jähriger Fahrer mit etwa 90
km/h auf der Normalspur
unterwegs in Richtung Zürich.
Ein nachfolgender 25-jähriger
Autofahrer realisierte die niedrige Geschwindigkeit des 59Jährigen zu spät und fuhr trotz
Vollbremsung frontal gegen
das Heck des Vordermannes.
Während ein Auto noch auf
den Pannenstreifen fahren
konnte, blieb das zweite Fahrzeug auf der Normalspur stehen. Nachdem die Insassen
ausgestiegen waren, näherte
sich ein weiteres Fahrzeug und
prallte gegen das stehende
Auto. In der Folge fing der
auffahrende Wagen Feuer und
brannte aus. Bei dem Unfall
wurde niemand verletzt.
VANDALISMUS
Unbekannte
sprengen Radarfalle
Langen bei Bregenz/Vorarlberg (sk) In der Nacht von
Samstag auf Sonntag sprengten bisher unbekannte Täter in
Langen bei Bregenz das Gehäuse einer Radarfalle in die
Luft. Kurz vor Mitternacht
brachten sie einen Sprengsatz
an und diesen anschließend
zur Detonation. Das Gerät im
Wert von 70 000 Euro wurde
dabei schwer beschädigt.
www.suedkurier.de/bodensee
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M O N T A G , 17 . A U G U S T 2 0 1 5
Schweizerinnen traten für Juden ein
Ein mutiger Brief (1): 1942
schließt die Schw
weiz ihre
Grenzen für jüdissche Flüchtlinge. Schülerinnnen aus Rorschach wollen daas mit einem
Schreiben an den Bundesrat
verhindern
VON JULIA RUSS
................................................
Sie können das deutssche Ufer von ihrem Schulgebäude aus unschwer erkennen. Die Sekun
ndarschule Roreute noch auf dem
schachs steht auch he
Mariaberg hoch überr dem See. Direkt
ngenargen, nicht
gegenüber liegt Lan
weit entfernt davon Friedrichshafen. Als 22 Schülerrinnen aus
der beschaulichen Sttadt in der
Schweiz 1942 einen Entschluss
fassen, leben Juden dort drüben, wie überall in Deutschland, in größter Bed
drohung.
Das wissen die Mädch
hen, weil
sie es in der Zeitung
g gelesen
haben. Sie wissen auch, dass
h in die
Flüchtlinge, die sich
neutrale Schweiz hiinüberretten möchten, zurrückgeOtmar Elsener im Klassenzimmer der Rorschacher Schülerinnen,
wiesen und in den siccheren
die sich 1942 für die Juden einsetzten. Der Lokalhistoriker grub die
Tod geschickt werden
n.
Geschichte über den Brief an den Bundesrat aus. B I L D : R U S S
„Wir können nicht unterlassen, Ihnen mitzutteilen,
hulen
dass wir in den Sch
aufs höchste empört sind,
dass man die Flüchttlinge
wenn ihr das tue
wieder in das Elend
d zuwönd, so tuend er’s
rückstößt“, schreiben
n sie
ebe, es sind schints
deshalb am 7. Septem
mber
scho me Brief vo
n die
1942 in einem Brief an
Schüler und Studente
Schweizer Bundesrä
äte,
an Bundesrat g’richandie Regierung ihres La
tet worde“, zitiert ihn ➤ Wie viele flohen in die Schweiz?
des. Seit drei Woch
hen
der Protokollant. Aber 300 000 Flüchtlinge durften während
sind die Grenzen für
den Text, überzeugt des Zweiten Weltkrieges aus verschieflucht in der
Flüchtlinge „nur au
us
Heidi Weber ihre Befra- densten Gründen Zufl
Rassegründen“, wie es
ger, habe sie ohne Hilfe neutralen Schweiz nehmen, oft aber
heißt, geschlossen. Diie
erstellt. „Die Mutter hat nur für kurze Zeit. 21 000 davon waren
jungen Rorschache
emir einzig gezeigt, was Juden. 20 000 wurden allerdings abgeh
rinnen wehren sich
ich für einen Schluss wiesen. Obwohl die Bedrohungslage
dagegen, weil sie nichtt
machen muss“, so im für Juden der Schweizer Regierung
bekannt war, galten sie nicht als polibegreifen
können,, Heidi Weber
Protokoll.
verfasste 1942
als 15-Jährige
warum die Regierung
g der Schweiz.
Die Mädchen und auch tische Flüchtlinge.
ein
21 M
ihres Heimatlandes Juden nicht vo itschülerinnen untersch empörtes Schreiben an di
Lehrer Grünberger kom- ➤ Warum schloss die Schweiz die Grenzen?
rieben. Sie trat
e
n den Grenzen
en vergeblich Regierung
so weit von der
men
am Ende ohne Strafe Die Verantwortlichen in der Schweiz
abzuweisen. BI
dafür ein,
LD : SA M M LU
NG OT M AR EL
christlichen Grundha
altung
davon, aber es wird ihnen sahen in den Flüchtlingen eine GeSE NE R
abweicht, zu der sie errzogen wurden.
Stillschweigen über die Sa- fahr für die innere Sicherheit und die
Die 15-jährige Heid
di Weber, die den
che auferlegt. Die Rorscha- Ernährungslage. Hinzu kam, dass die
Brief verfasst, argume
entiert mit Zitaten
Auf die Aufforderung des Bundesra- cher schwiegen lange über das Engage- Schweiz auf der Konferenz von Évian
aus der Bibel, versetzt sich in die Flücht- tes nimmt der Schulrat eine Untersu- ment der Schülerinnen. Zu sensibel war 1938, auf der 32 Nationen die Auslinge hinein und konffrontiert die Bun- chung vor, die klären soll, ob die Mäd- das Thema Flüchtlingspolitik nach dem wanderung von Juden aus Deutschdesräte mit einer tiefen Enttäuschung chen durch einen Lehrer zu dem Brief Krieg, zu viele hatten als Grenzsoldaten land regeln wollten, nicht von Zweitüber die Politik ihres Landes: „Wir hät- angestiftet wurden. Sie werden teils darunter gelitten, Juden abweisen zu aufnahmeländern entlastet wurde.
1942 formulierte Bundesrat Eduard
ten uns nie träumen lassen, dass die einzeln, teils in kleinen Gruppen einem müssen.
Schweiz, die Friedensinsel, die barm- Verhör unterzogen. Am Ende ist klar,
Erst vor wenigen Jahren grub der Lo- Steiger: „Das Boot ist voll.“ Auf die
herzig sein will, diese zitternden, frie- dass sie aus eigenem Antrieb und ohne kalhistoriker Otmar Elsener diese Ge- Wannsee-Konferenz 1942, in der
renden Jammergestalten wie Tiere über Hilfe von Erwachsenen gehandelt hat- schichte aus. „Meine Brüder gingen zur Deutschland die sogenannte „Enddie Grenze wirft“, formuliert sie. „Was ten. „Wir haben gefunden, wir wollen selben Zeit in die Sekundarschule wie lösung“ beschloss, reagierte die
für eine grausame, schreckliche Ent- dies ganz allein machen, dann redet uns die Mädchen“, erzählt Elsener, der sel- Schweizer Regierung mit einer totatäuschung muss es sein“, so weiter, auch niemand drein“, sagt Heidi Weber ber kurze Zeit darauf dort Schüler war. len Grenzsperre. Die Flüchtlings„wieder zurückgestoßen zu werden.“ 21 im Verhör. Das Protokoll davon liegt wie „Trotzdem habe ich erst nach meinem debatte im Nationalrat 1942 war
Mitschülerinnen setzen ihre Namen der Brief und das Antwortschreiben Berufsleben davon erfahren.“ Obwohl er allerdings kontrovers. Heute ist bedarunter. Der Bundesrat hat zu dieser dem SÜDKURIER vor. Eine hitzige Dis- 1942 erst sechs Jahre alt war, erinnert er kannt, dass die Schweiz deutlich
Zeit mehr Macht als sonst. Seit 1939 darf
sich noch an die damalige Stimmung mehr Flüchtlinge hätte aufnehmen
................................................ unter der Schweizer Bevölkerung. „Es können.
er Beschlüsse fassen, die in der Verfassung nicht vorgesehen sind. Die Grenz- „Wir hätten uns nie träumen lassen,
wurde zwar sehr wenig gesprochen“, ➤ Wer half den Flüchtlingen?
sperrung beschließt Polizeichef Roth- dass die Schweiz, die Friedensinsel,
sagt er in Bezug auf den Nationalsozia- Viele Hilfswerke und kirchliche Orgamund am 13. August 1942. Heidi Weber die barmherzig sein will, diese zitlismus. „Aber wir verfluchten diesen Hit- nisationen setzten sich für eine weniund ihre Mitschülerinnen scheuen sich ternden, frierenden Jammergestalten ler.“ Vieles, was in den Kriegsjahren ge- ger harte Flüchtlingspolitik ein. Benicht davor, die Entscheidung zur Ab- wie Tiere über die Grenze wirft.“
schah, erfuhren die Menschen in der wohner von Grenzgebieten auf
weisung der Juden scharf anzugreifen:
Schweiz damals nicht, denn ab 1939 gab Schweizer Seite begegneten Flücht„Es kann ja sein, dass Sie den Befehl er- Heidi Weber, Schülerin aus Rorschach 1942 es eine Pressezensur. Die Rorschacher lingen direkt nach dem Grenzübertritt
halten haben, keine Juden aufzuneh- in einem Brief an die Regierung ihres Landes. waren nicht mit Flüchtlingen konfron- häufig hilfsbereit. Einzelnen Fluchtmen, aber der Wille Gottes ist es be- ................................................ tiert, denn erst im wenige Kilometer ent- helfern gelang die Rettung Verfolgter.
stimmt nicht.“ Anstatt der Kritik auf Aufernten Rheintal lag die nächste Grenze, Der Schweizer Vizekonsul in Budagenhöhe zu begegnen, reagiert der Bun- skussion der Schülerinnen auf dem die Flüchtlinge zu passieren versuchten. pest Carl Lutz rettete 60 000 ungaridesrat mit einem belehrenden Antwort- Nachhauseweg hatte den Anlass für das
Dass die Mädchen dennoch von der sche Juden durch die Ausstellung
schreiben, das die Gedanken der Sekun- Schreiben gegeben. Nach der Schule, so Flüchtlingsproblematik erfuhren, lag falscher Papiere. Paul Grüninger,
darschülerinnen autoritär nieder- die Erzählung Heidi Webers, hätten ei- an einem Artikel im Ostschweizer Tag- Sankt Galler Polizeikommandant,
macht. Auf mehr als drei maschinenge- nige Mädchen in der Seminarstrasse blatt, der die Zurückweisung einer jüdi- bewahrte hunderte Flüchtlinge durch
schriebenen Seiten sind rhetorische beieinander gestanden und aus Empö- schen Familie an der Grenze zur West- Fälschung von Dokumenten vor dem
Wissensfragen zur Flüchtlingspolitik rung den Plan gefasst, einen Brief zu schweiz beschrieb. „Der Rorschacher Tod. Fluchthelfer wurden wegen
aneinandergereiht, um den Jugendli- schreiben. Ganz ohne Mitwissen ihres Verleger, der den Nazis trotzte und auch Amtsmissbrauchs bestraft, ihre Rehachen ihre vermeintliche Unkenntnis vor Lehrers Richard Grünberger blieb das das nazikritische Satiremagazin Nebel- bilitierung erfolgte erst nach JahrAugen zu führen. „Liebe junge Schüle- Vorhaben nicht: „Er hat uns nämlich ge- spalter produzierte“, so Elsener, „hat zehnten durch das Rehabilitationsgesetz von 1995.
rin, die Du als Lehrgotte gegenüber dem sprochen und gefragt, was wir hier mit- das trotz der Zensur publiziert.“
➤ Teil zwei der Serie erzählt davon,
Bundesrat aufgetreten bist“, heißt es ge- einander so lebhaft zu diskutieren hätwie Schüler in Deutschland und der
gen Ende und weiter: „Ich bin über- ten“, so Heidi Weber. Übereinstim- Das Thema in der Schweizer Zeitung TagesSchweiz sich heute mit dem Nazeugt, dass Du rot werden wirst, den mend mit ihrer Schilderung gibt Grün- anzeiger mit Link zu der Datenbank mit den
tionalsozialismus, der Verfolgung der
Bundesrat mit Vorwürfen überschüttet berger zu Protokoll, er habe die Mäd- Dokumenten:
Juden und dem Widerstand befassen.
zu haben.“
chen ermuntert, sich einzubringen: „Ja, www.tagesanzeiger.ch/kultur
Die Juden wurden
abgewiesen