unholde - Wild und Hund

Jäger - Jagdpraxis
Ansitz auf dachse
Für ein paar Jäger in
Rheinhessen steht im August
die Dachsjagd an erster Stelle.
Sie haben ihre speziellen
Methoden. Und einen ganz
speziellen Grund …
Thore Wolf
Langsam schiebt sich ein Schatten zwischen den Blättern hervor. Hin und her bewegt sich der schwarz-weiß-gezügelte Kopf
des Räubers. Er ist noch zu nahe an der Röhre. Das Absehen der Büchse verfolgt den großen Marderartigen. Just als der Zeigefinger
des Jägers an den Abzug wandert, ist
Schmalzmann wie per Knopfdruck wieder
von der Bildfläche verschwunden. Die Situation wird sich an diesem Abend noch mehrere Male wiederholen.
Der Naturbau ist typisch für das Revier
Flonheim. Inmitten von Weinbergen gelegen,
erstreckt sich der gesamte Bau über einen
etwa 50 Meter breiten und etwa 200 Meter
langen Geländerücken. Wie viele Einfahrten
die Burg besitzt, hat noch niemand gezählt.
Aber 30 dürften es mindestens sein. „Wollte
man diesen Bau mit Erdhunden bejagen,
bräuchte man mindestens zwei Dutzend
Schützen, und der Hund könnte sich tagelang unter der Erde aufhalten“, scherzt Revierpächter Gerd Rothenbach. „Das ist utopisch“, fügt er hinzu. Naturbaue von dieser
Größe gibt es in dem gut 1400 Hektar großen
Niederwildrevier gleich zehnmal.
Die größte und vermutlich älteste Dachsburg des Reviers befindet sich in einem alten,
aufgelassenen Steinbruch. Die Einfahrten haben solche Dimensionen, dass ein großrahmiger Jagdterrier locker aufrecht einschliefen
kann. „Aber hier bejagen wir den Dachs so
gut wie gar nicht“, erklärt der Revierpächter.
„Da gibt es ganz andere Problem-Ecken, an
die wir ran müssen.“
In den vergangenen Jahren haben in Flonheim die Dachse zu recht ungewöhnlichen
Wildschäden geführt. Und das nicht nur am
Mais, an Weintrauben oder Obst, sondern vor
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UNHOLDE
IM
Wild und Hund | 15/2013
Foto: Shutterstock
WEINBERG
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Von einer erhöhten Mauer aus kann der Jäger gut die
Weinbergsreihen einsehen und hat ausreichend Kugelfang.
allem zwischen den Weinbergsreihen und auf Äckern. Was sich auf
den ersten Blick eher harmlos anhört, kann sogar mit einem Achsbruch an einem Traktor enden. Vor allem für die großen Traubenvoll­
ernter stellen die Röhren eine große Gefahr dar. Im Nu sind die
schweren Lesemaschinen eingebrochen und knicken eventuell die
Weinbergsreihen ab. Wie argwöhnisch die Winzer dieses „Tiefbauprogramm“ betrachten, kann man sich ausmalen.
Um zu verhindern, dass die Landwirte zur Selbsthilfe übergehen
Foto: Michael Breuer
und die Röhren mit Erde verschließen, bejagen die Flonheimer Jäger
verstärkt solche Baue. Deshalb steht bei Gerd Rothenbach der
1. August ganz im Zeichen der Dachsjagd. Wenn in anderen Niederwildrevieren Rehböcke gejagt werden, hat der passionierte Raubwildjäger bereits alle Vorplanungen für den Ansitz an den Dachsbauen
getroffen. Schon ab dem Frühjahr hält er regelmäßig Ausschau nach
neuen Setzröhren und Pässen im Revier. Zu überprüfen, ob die großen Naturbaue befahren sind, ist eigentlich unnötig. „Die Dachse sind
immer drin!“, weiß Rothenbach. Mitte Juli hat der gebürtige Odenwälder genau ermittelt, wo die Jungdachse sich eingestellt haben, wo
und wann sie am Abend auf die Felder ziehen. Kurzum: Die Jagdstrategie ist ausgearbeitet. Selbstverständlich werden die Baue möglichst
wenig beunruhigt, sodass die Ansitze Anfang August gleich zu Beginn
der Jagdzeit den gewünschten Erfolg bringen. Wildkameras sind für
die störungsarme Beobachtung der Dachsaktivitäten optimal.
Für den Teckelführer Rothenbach ist die kurze gesetzliche Dachsjagdzeit unverständlich. „Wenn wir die Möglichkeit hätten, Jungdachse
im Frühsommer zu bejagen, könnten wir den Zeitdruck ein wenig
entzerren und viel effektiver Beute machen. Ohnehin bejagen wir zu
dieser Zeit die Jungfüchse mit Büchse und Falle. Da könnte man den
einen oder anderen Jundachs mitnehmen. Auch gegen die Bejagung
Unbeliebter „Untermieter“:
Direkt unter den
Weinstöcken fährt
Grimbart aus dem Bau.
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Fotos: Thore Wolf (4)
Ärgernis für die Winzer: Ein Dachs hat seine Röhre direkt am Weinbergspfahl
gegraben. Das kann verheerende Folgen für Landmaschinen und Rebstöcke haben.
der Dachse im Winter spricht kein vernünftiger Grund. Vor allem kann man
Winterdachse besser verwerten – ob den
Schinken oder zumindest die Schwarte.“
Die dreimonatige Schusszeit wird
im Flonheimer Revier deshalb so optimal
wie möglich genutzt. Am Abend des­
1. August sind die Jäger zu dritt im Revier.
Einer sitzt mit seiner Flinte direkt an der
äußeren Flanke des großen Naturbaues.
Ein anderer hat sich mit seiner Büchse
etwas entfernt in sicherer Deckung an
­einem Pass postiert, der von der Burg
direkt in eine Obstplantage führt. Sicherheit geht selbstverständlich vor. Deshalb
sind die Schützen so platziert, dass sie
sich gegenseitig nicht gefährden können
und dazu noch ausreichend Blick- und
Schussfeld haben. Eine Hauptregel bei
der Jagd an den großen Bauen: Es wird
nicht geschossen, solange der Dachs auf
der Burg ist. Zu groß ist nämlich die Gefahr, dass selbst ein tödlich getroffener
Grimbart in eine der zahlreichen und eng
beieinander liegenden Röhren rutscht.
Gerd Rothenbach hat sich in einem
Weinberg „eingeschoben“. Auf dem Bauch
zwischen den Reben liegend hat er von
hier eine optimale Position, um die Reihe
einzusehen. Direkt an einem Rebstock hat
ein Grimbart seine Burg gegraben. Einer
Wendeltreppe gleich schlängelt sich die
einzelne Röhre in die Tiefe. Weitere
Einfahrten des Baues hatte Rothenbach am
Morgen nicht gefunden. Das Geschleif ließ
keinen Zweifel daran, dass Grimbart hier
zu Hause ist. „Vermutlich ein letztjähriger
Dachs, der seinen eigenen Bau gegraben
hat“, ist der 61-Jährige sicher.
Der einzige Nachteil an seiner Schießposition: Er kann nur eine einzelne Weinbergsreihe einsehen. Aber der weitläufige
„Wingert“ lässt ihm keine andere Möglichkeit. Der Rentner hat vorgesorgt, um etwas
Zeit zu gewinnen, wenn Grimbart ausfährt.
Einige Meter von der Röhre entfernt hat er
etwas an einen Pfahl gebunden, dem die
Schmalzmänner nicht widerstehen können: Nutella und Trockenpflaumen. „Das
zieht den Dachs magisch an“, weiß der
passionierte Niederwildjäger. An allen
Bauen, die er bejagen will, nutzt er diese
Kirrtechnik. Wenige Tage vor der Jagd
hängt er ein Glas mit den üblichen Resten
der zähen Nuss-Nougat-Creme mit einer
Schnur an einem Pfahl oder Baum auf. In
den Schraubdeckel gebohrte Löcher lassen den Dachs das Kirrgut besser wittern.
Den Inhalt des Glases garniert Rothen-
Riesiger Naturbau:
Fast der gesamte Hügel ist
im Innern von Kaninchen, Füchsen
und Dachsen bewohnt.
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Gerd Rothenbach zeigt
auf die große Hauptröhre:
„Der Dachs wird erst
beschossen, wenn er
ein paar Meter von der
Einfahrt weg ist!“
Verführerische Kirrung:
Ein Glas Nuss-Nougat-Creme
mit Löchern im Deckel wird
so aufgehängt, dass
kein Wild drankommt.
bach zusätzlich mit ein paar Trockenpflaumen. Durch die Aufhänge-Technik kann kein Wild an den süßen Inhalt gelangen,
wie es das Jagdgesetz vorschreibt. Vor allem an den großen
Naturbauen hat sich dieses „Rezept“ bestens bewährt. Der
Fotos: Thore Wolf (4)
So gelingt der Ansitz am Dachsbau
Grundsätzlich gilt, dass der Jäger so viel Sicht wie
möglich auf den Bau hat. So erkennt er frühzeitig, wenn
Grimbart ausfährt. Ruhe ist oberstes Gebot! Windrichtung
beachten! Der Dachs wird erst dann beschossen, wenn er
Dachs kann ein paar Meter von der Röhre weg in ein sicheres
Schussfeld gelockt werden. Während er versucht, an die Süßigkeit zu gelangen, hat der Jäger ausreichend Zeit, einen sicheren
Schuss anzutragen.
Die Jäger am größeren Bau haben mitt-
Foto: Peter Schmitt
lerweile den ersten Dachs in Anblick. An
einen Schuss ist aber nicht zu denken.
Der Räuber schleicht von Röhre zu Röhre.
Er muss sich erst ein paar Meter vom
­Naturbau entfernen. Plötzlich hebt
Schmalzmann die Nase. Der Wind trägt
den verführerischen Duft des Brotaufstrichs zu ihm. Nur Sekunden, dauert es,
bis der Jungdachs zielstrebig in Richtung
Kirrung trabt. Kaum spielt er an dem
schaukelnden Glas, hat der Schütze be-
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Erfolgreicher Ansitz: Der erste Dachs
des Abends ist zur Strecke gekommen.
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Windrichtung
Sofern ein weiterer Schütze am Bau mitjagt,
wird er auf der anderen Seite der Hecke am
Dachspass postiert. Aus Sicherheitsgründen
darf er nur vom Bau weg nach hinten schießen.
weit genug von der Röhre entfernt auf dem Pass (rechte
Bildhälfte oben) ist. Ausrüstung: Büchse oder Kombinierte
mit lichtstarker Optik, Mindest-Kaliber: .22 Hornet bzw.
mind. 3 mm Schrotstärke, bei Flinten nicht weiter als
30 Meter vom Schussfeld entfernt sein. Tarnung ist nicht
notwendig, da Dachse nicht sehr gut äugen.
reits sein Absehen auf der grauen Schwarte platziert. Noch
einmal reckt sich der Marderartige gierig nach dem Lecker­
bissen, dann verlässt die Kugel mit peitschender „Begleit­
musik“ den Lauf. Grimbart sackt tödlich getroffen zusammen.
Der erste Dachs dieser Saison liegt. In den kommenden Wochen werden noch einige folgen.
Noch vor zehn Jahren wurden in der dreimonatigen Jagdzeit
höchstens zwei Dachse in Flonheim erlegt. „Mehr war einfach
nicht drin“, erinnert sich Rothenbach. Doch inzwischen ist es
keine Seltenheit mehr, dass an einem speziellen Dachsjagdwochenende sogar sieben oder acht zur Strecke kommen. Das entspricht dem bundesweit erkennbaren Trend. Während im Jagdjahr 1988/89 in Deutschland die Streckenstatistik des Deutschen
Jagdverbandes knapp 14 000 Dachse dokumentiert, waren es im
Jahr 2010/11 bereits fast 60 000.
Sicherlich kann man anhand der Strecken ableiten, dass die
Dachsbesätze in der Vergangenheit wieder gut gestiegen sind,
bestätigt auch Wildbiologe Dr. Daniel Hoffmann. Er gibt zusätzlich zu bedenken, dass die meisten Dachserlegungen eher aus
Zufallsbegegnungen resultieren. Zudem würden viele Abschüsse leider nicht gemeldet. Deshalb sei von einer viel größeren
Strecke auszugehen. In den vergangenen Jahrzehnten haben
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Optimale Planung im Vorfeld:
Mithilfe einer Wildkamera lässt sich sicher
dokumentieren, ob der Bau angenommen ist
und wann die Dachse ausfahren.
sich die Dachse verstärkt aus den Waldgebieten in die offene
Landschaft verbreitet, so der Wildbiologe.
Seit einer Stunde liegt Gerd Rothenbach auf seiner Isomatte
im Weinberg. Konzentriert behält er die Dachsröhre im Blick.
Langsam schwindet das Büchsenlicht. Zwei Stück Rehwild sind
gerade durch die Reihen gezogen, als sich wie aus dem Nichts
der schwarz-weiß gezügelte Kopf des Gräbers emporhebt. Er
windet nach allen Seiten. Ruckartig bewegt sich der klobige Körper an die Erdoberfläche. Durch kräftiges Schütteln entledigt
sich der Erdmarder des Sandes in seiner Schwarte und schleicht
schnurstracks auf den lauernden Jäger zu. Ungefähr 60 Meter
liegen zwischen ihnen. Als sich der Dachs dreht und seine Breitseite präsentiert, zeigt eine dicke Staubwolke auf der Schwarte,
dass die Kugel ihr Ziel erreicht hat. Sofort wirft sich der Grimbart
herum und will Zuflucht im Bau suchen. Nur zwei kurze Sätze,
dann endet die Todesflucht.
Der erste Abendansitz auf die Schmalzmänner hat sich
gelohnt. Morgen früh geht es wieder auf den Rehwildansitz.
„Aber spätestens nächstes Wochenende müssen wir wieder die
Baue bejagen“, muntert Gerd Rothenbach später am Treffpunkt
seine Mitjäger auf.
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