Man ist hier in Aachen ein Wal im Goldfischglas!

SPEZIAL
Seite 8 ABcdE nummer 164
Samstag, 18. Juli 2015
„Man ist hier in Aachen ein Wal im Goldfischglas!“
Unsere Städteregion ist bei Existenzgründern beliebt. Deutlich über dem Landesdurchschnitt. FH-Studierende dokumentieren Beispiele mit positivem Trend.
Aachen. Besonders bei Hochschulabsolventen ist der schnelle Weg
in die Selbstständigkeit nichts Ungewöhnliches mehr. Der Reiz der
Unabhängigkeit und der eigenen
Ideenverwirklichung brachte in
Deutschland allein im vergangenen Jahr 615 600 neue Jungunternehmen, sogenannte Start-ups,
hervor.
Die Kernunterschiede zu anderen Gründungsmodellen liegen
hier vor allem in den Faktoren Alter, Innovationskraft und Wachstum. Start-up-Unternehmen sind
jünger als zehn Jahre, verfolgen
neuartige Geschäftsmodelle, nutzen innovative Technologien und
streben ein starkes Mitarbeiterund Umsatzwachstum an.
Besonders Großstädte wie Berlin
und München erweisen sich bei
den jungen Gründern als attraktiv.
In Berlin werden deutschlandweit
die meisten Unternehmen gegründet. Ulrich Kissing, Chef der Förderbank der IBB, äußerte sich dazu
vor einiger Zeit in einem Interview
im Berliner „Tagesspiegel“.
Berlin sei ein Standort, der viele
verschiedene Leute anlocke. Hier
sei aus einer guten Gründer-Infrastruktur, einer soliden Wissenschaftsbasis und gezielten Förderungen ein „Humus“ entstanden,
„auf dem immer neue Start-ups
wachsen.“
werden, zeigt der Blick auf die
technologieorientierten
Unternehmen. Zwischen den Jahren
1975 und 2009 wurden allein hier
1410 solcher Unternehmen gegründet.
Doch nicht jede Neugründung
wird letztlich zu einem Erfolg.
„Insgesamt stellen die Akquisition
neuer Kunden und Finanzierungsprobleme die jungen Start-ups vor
die größten Herausforderungen“,
erläutert Iris Wilhelmi in unserem
Gespräch bei der IHK weiter. Außerdem könnten zu spät entwickelte Marketing-Strategien sowie
ein nicht funktionierendes und
damit nicht erfolgreiches Organisations- und Zeitmanagement
zum Problem werden. All dies
seien Bereiche, die Gründer aus
dem Hochschulumfeld ohne
mehrjährige
Berufserfahrung
meist nicht selber erkennen können.
Ein skeptischer Blick
Hervorragende Startbedingungen
Doch auch die Städteregion Aachen ist bei Gründern sehr beliebt.
Die Zahl der Unternehmensneugründungen liegt hier deutlich
über dem Landesdurchschnitt. In
der gesamten Wirtschaftsregion
haben sich im Jahr 2013 insgesamt
84 900 Unternehmer selbstständig
gemacht.
So findet man Erfolgsgeschichten nicht nur in der Ferne. Doch
was motiviert die Gründer dazu,
sich in unserer Region anzusiedeln? „Man ist hier in Aachen ein
Wal im Goldfischglas“, erklärt Julian Peters, Mitbegründer der Tift
App.
Er und drei ehemalige Kommilitonen haben sich im Sommer 2014
selbstständig gemacht. Sie haben
sich bewusst dafür entschieden, in
Aachen eine Firma zu gründen.
Der Grund: „Da man hier wenig
„Drei wichtige
Eigenschaften:
Selbstständigkeit,
Selbstdisziplin und
Risikofreude.“
JulIAn PEtErS, JunGEr
untErnEHmEr In AAcHEn
Konkurrenz hat und die Möglichkeit, schnell ein gutes Netz aus
Kontakten zu bilden.“ Die Jungunternehmer setzten auf den „Multiplikationseffekt“, so Julian Peters.
Durch Empfehlungen und die Erweiterung des Netzes versuchen
sie, ihr Unternehmen zu etablieren.
Um während der Gründungsphase nicht allein zu sein, gibt es
für Start-up-Unternehmen mehrere unterstützende Einrichtungen
und Instanzen. Die „GründerRegion Aachen“, bestehend aus der
Städteregion Aachen sowie den
Kreisen Düren, Euskirchen und
Heinsberg, hat das Ziel, Gründer
zu informieren, zu motivieren und
in allen Fragen, die anstehen, zu
unterstützen.
Zudem will sie eine wettbewerbsfähige
Wirtschaftsregion
Zwei Aachener Existenzgründer: Julian Peters (links) und Christoph Bresler von Tift App. Das Unternehmen besteht seit 2014 und wurde von ehemaligen Kommilitonen der FH Aachen gegründet.
Foto: CMD
schaffen. Die Initiative baue auf
den Stärken des Standortes auf,
sagt Iris Wilhelmi, Geschäftsführerin der GründerRegion Aachen in
unserem Gespräch. 13 Technologie- und Gründerzentren sollen
„hervorragende Startbedingungen“ bieten.
Eines von ihnen ist die entsprechende Einrichtung der RWTH Aachen. Hier engagieren sich 14 Mitarbeiter, die bereits Erfahrungen
als Gründer haben oder Unternehmensberater waren. Durch ein gezieltes Coaching, die Erstellung eines Businessplans und organisierten Treffen mit anderen Start-ups
soll der Prozess der Gründung erleichtert werden. Das Gründerzentrum unterstützt Gründungsinteressierte und Start-ups in Zusammenarbeit mit der Industrie- und
Handelskammer Aachen durch
persönliche Hilfe und Trainings.
Auch stellt es kostenlose Betriebsräume, das sogenannte StartLab,
zur Verfügung.
Auch ohne Geschäftsidee
Finanzielle Hilfe bieten zudem
institutionelle Investoren und
staatliche Förderer. Auch können
die Interessierten in Wettbewerben ihre Ideen und ihre Businesspläne vorstellen, um damit dann
möglicherweise wertvolle Stipendien zu gewinnen. Die Gründer
der Tift App haben das sogenannte
„EXIST Stipendium“ in Anspruch
genommen. Das bietet das Bundesministerium für Wirtschaft
und Innovation an. Es besteht sowohl aus einem Jahresgehalt für
bis zu drei Mitgründer als auch aus
Fördermitteln für Sachausgaben
und Investitionen.
Doch um diese Förderung überhaupt beantragen zu können, ist
bereits ein gut ausgefeilter Businessplan erforderlich. Bei seiner
Eine Aachener Firma mit jungen Informatikern: Upvoid wurde 2014 offiziell angemeldet. Die Videospielfirma profitierte beim Start von der Unterstützung des Gründerzentrums.
Konzeption und schließlich Formulierung helfen die zugewiesenen Coaches des Aachener Gründerzentrums, die basierend auf
dem Thema der Gründungsidee
passend ausgewählt werden.
Es gibt jedoch auch Angebote
für Gründungsinteressierte ohne
eigene Geschäftsidee. Dort lernen
sie das Handwerkszeug, das zum
Gründen nötig ist, und arbeiten
intensiv an der Ideenfindung. Die
Veranstaltungen bieten außerdem
eine gute Möglichkeit, Gleichgesinnte kennenzulernen, die ebenfalls noch nach Mitgründern suchen.
ner Studenten sind, die derzeit
noch an der RWTH Aachen studieren.
Sie sind, wie auch die Tift-Gründer, noch sehr jung. Der durch-
Idee und Konzept
schnittliche Gründer ist 34,9 Jahre
alt, etwa zehn Jahre älter als die
Unternehmer von Tift und Upvoid. Warum machen sich so
junge Menschen überhaupt selbstständig? Mit einem Start-up-Unternehmen kommen Risiken. Deshalb beschreibt Julian Peters die
„Risikofreudigkeit“ als eine wichtige Qualität für neue Unternehmer.
Für die Tift-Unternehmer waren
ihre Idee und ihr einzigartiges
Konzept ein wichtiger Antrieb, ein
eigenes Unternehmen zu gründen. Darüber hinaus macht es den
Unternehmern Spaß, so zu arbeiten. „Mit coolen Leuten und einer
coolen Idee würde ich immer wieder gründen“, sagt Julian Peters.
Die Gründer von Tift fanden sich
aufgrund ihrer Idee und der Marktlücke zusammen, die sie damit gefunden hatten und füllen wollten.
Auch Upvoid, eine Videospielfirma, die im Frühjahr 2014 in Aachen gegründet wurde, hat vom
Gründerzentrum profitiert. Lukas
Boersma, Mitgründer des Startups, beschreibt die Unterstützung,
die die jungen Gründer erhalten
haben: „Das war auf jeden Fall sehr
hilfreich, die Leute vom Gründerzentrum bringen auch verschiedene Start-ups zusammen, so dass
man sich mit anderen austauschen
kann.“
Derzeit erhält Upvoid keine
Hilfe mehr vom Gründerzentrum,
allerdings war die Institution eine
wichtige Instanz in der Gründungsphase des Unternehmens.
Im Gegensatz zu Tift versuchte Upvoid, sich primär über Internetauftritte bekannt zu machen und sich
dann über Auftragsarbeiten zu finanzieren.
Nach dem Gründerzentrum hat
Upvoid keine weitere Unterstützung in Anspruch genommen, so
dass die jungen Unternehmer
dann finanziell direkt auf eigenen
Beinen standen. Upvoid wählte
hauptsächlich Aachen als Standort, da ein Großteil der Firmengrü-
„Das, was man in so
einem Start-up lernt,
ist durch keine
Vorlesung zu ersetzen.“
luKAS BoErSmA,
FIrmA uPvoId
Wertvolle Erfahrungen
Upvoid ergab sich aus einem
Projekt an der Universität der Unternehmer. Nachdem dies abgeschlossen war, entschieden sich
die Studenten, auch in Zukunft zusammen weiterzuarbeiten. Daraus
entwickelte sich ein Start-up-Unternehmen – heute längst ein
wichtiger Teil im Alltag der Studenten.
Es ist nicht leicht, gleichzeitig zu
studieren und schon ein eigenes
Unternehmen und damit eine
hohe Verantwortung zu haben.
Lukas Boersma bevorzugt das
Start-up der Universität. Er betont,
dass es nicht nur Spaß macht, sondern auch wertvolle Lebenserfahrungen bringt: „Das, was man in so
einem Start-up lernt, ist durch
keine Vorlesung zu ersetzen.“
Er weist auch, wie Julian Peters,
auf die Wichtigkeit eines guten
Teams hin. „Wenn man so etwas
alleine aufziehen will, dann muss
man auf jeden Fall sehr viel Energie und Disziplin haben“, erklärt
er. Allerdings reiche ein gutes
Team nicht, um sich selbstständig
zu machen.
Der Tift-Unternehmer nennt
drei wichtige Eigenschaften, die
ein Neugründer haben sollte:
„Selbstständigkeit, Selbstdisziplin
und Risikofreude.“
Wie die Zukunft aussieht, wissen die jungen Unternehmer natürlich noch nicht. Lukas Boersma
gibt zu, dass seine Firma Upvoid einen durchaus skeptischen Blick
auf die nahe Zukunft hat. Doch die
Gründer wollen nicht aufgeben.
Dennoch muss Upvoid vielleicht
demnächst in den Hintergrund rücken. Einen richtigen Plan B gibt es
nicht.
Julian Peters ist eher positiv gestimmt, was Tift angeht. Er rechnet nicht damit, dass das Produkt
scheitern wird. Falls dies allerdings
doch geschehen solle, würde Peters die Hoffnung nicht aufgeben
und etwas anderes versuchen. Neben Interessenten für die App erhält Tift noch Unterstützung von
außen. Die Unternehmer überlegen schon ihren nächsten Schritt,
„Die Initiative baut auf
den Stärken des
Standorts auf.“
IrIS WIlHElmI,
GründErrEGIon AAcHEn
sollte ihr Produkt auf positive Resonanz stoßen.
So können junge Menschen mit
neuen Ideen viel erreichen.
Arbeitsplätze und Wettbewerb
Start-up-Unternehmen
sind
nicht nur wertvoll für die jungen
Unternehmer selber, sie spielen
auch eine wichtige Rolle auf dem
Markt. Iris Wilhelmi sagt dazu,
dass das Schaffen von Arbeitsplätzen, die Förderung des Strukturwandels sowie die Anregung des
Wettbewerbs Gründe hierfür seien.
Ein neues Unternehmen fordere
mit neuen Produkten die schon
bestehenden Firmen. Daraus entstehe dieser Wettbewerb. Dass
auch in Aachen neue innovative
Geschäftsideen hervorgebracht
Iris Wilhelmi, Geschäftsführerin der
GründerRegion Aachen. Sie kennt
die Stärken des Standorts.
Die Autoren der FH Aachen und die Firmen
tift-App: Das Unternehmen wurde
im Sommer 2014 von Julian Peters,
Christian Schuhmann, Christoph
Bresler und Julien Weiler gegründet.
Sie haben eine intelligente Schichtplanung für Gastronomen entwickelt. Sie finanzieren sich momentan
mit einem Stipendium. www.tiftapp.
com
diese Initiative 1999 als Bindeglied
für 40 Institutionen der Stadt Aachen, der Städteregion Aachen sowie der Kreise Düren, Euskirchen
und Heinsberg. Sie hat 13 Träger, darunter die FH Aachen, die RWTH, die
Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken und viele mehr. Aufgabe ist
die Unterstützung von Start-ups.
upvoid: Tobias Berling, Lukas Boersma, Kersten Schuster, Marc Seebold, Philip Trettner und Marcus Völker arbeiten seit 2012 zusammen
und haben ihr Unternehmen im
Frühjahr 2014 angemeldet. Die Informatik-Studenten arbeiten an der
Upvoid Engine und „GeoMechanic“.
Finanziert wird die Firma durch Auftragsarbeit. www.upvoid.com
In ihrem Seminar „Schreiben für
Print und Online“ recherchieren Studierende der FH Aachen selbst ausgewählte Themen und verfassen darüber Berichte und Reportagen. Sie
arbeiten dabei eng mit unserer Zeitung zusammen.
Gründerregion: Entstanden ist
Autoren dieser Seite sind die FHStudierenden Jonathan Baurmann,
Veronika Völker, Sandra Beyß und
Natalie Huber.