Rezension von I. Ritzer: "Wie das Fernsehen den Krieg gewann"

tv diskurs 74
L I T E R AT U R
Ivo Ritzer:
Wie das Fernsehen den Krieg gewann. Zur
Medienästhetik des Krieges in der TV-Serie.
Wiesbaden 2015: Springer VS. 181 Seiten,
29,99 Euro
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Wie das Fernsehen den Krieg
die von Virilio, Barthes und
(2003) belebten das Genre der
gewann
Foucault stützen dabei seinen
Kriegsserie neu. Der „War on
methodischen Zugriff. Der Autor
Terror“ als Schlachtfeld zeigt
Der Krieg ist ein privilegiertes
betrachtet eine illustre Schar
sich in seiner ganzen physischen
Sujet der Film- und Fernseh-
amerikanischer Kriegsserien,
Wucht im Serienformat erstmals
geschichte. Die Kriegsserie
die hierzulande kaum im kollek-
in Over there (2005). Im Kapitel
spiegele nicht einfach nur histo-
tiven Gedächtnis gespeichert
„Entgrenzung und Eindäm-
rische Situationen, sondern sie
sein dürften, wohl aber einen
mung“ wendet sich Ritzer dieser
figuriere selbst als ein Akteur
relevanten Strang der angel-
stilisierten „Edel-Ästhetik des
auf dem Feld zu verhandelnder
sächsischen TV-Geschichte
Krieges, die Gewalt primär als
Kriegssemantiken, so Ritzer.
offenbaren. Ritzer unterteilt sei-
graphischen Effekt begreift“
Dem Autor geht es also um
ne Serienanalyse in fünf Kapitel.
(S. 133), zu. Design bestimme
Deutungshoheiten und Interpre-
Im ersten Segment („Kollektiv
hier das Sein. In dieser Tradition
tationen von historischen Ereig-
und Krise“) zeigt er anhand der
steht auch Generation Kill (2008)
nissen. Fernsehen gilt als ein
Serie The Gallant Men (1962
mit ihrem „unapologetischen
„zentraler Diskursraum kulturel-
bis 1963), wie Konventionen
Ästhetizismus“ (HBO-Look), der
ler Semantiken“ (Hilmes). Ritzer
des klassischen Kriegsfilms im
zwar etwas weniger actionlastig,
begreift es als „Möglichkeits-
Serienformat „menschlich“ in-
dafür umso zynischer, scheinbar
raum zur Etablierung einer kul-
tensiviert wurden. Auch in der
apolitisch und leistungsorien-
turellen Reimagination von krie-
ABC-Serie Combat! (1962 bis
tiert daherkommt. Diese Solda-
gerischer Historie“ (S. 5). Die
1967) sind GIs als sensible,
ten absolvieren ihre „Arbeit mit
TV-Serie hält so der „medien-
leidende Individuen inszeniert,
der Solidität von Beamten, ohne
kulturellen Konventionalisie-
die zwischen ihren persönlichen
patriotische oder utopische Ide-
rung“ stets auch potenzielle
Neigungen und soldatischen
ale […]“ (S. 136). Krieg ist hier
„reflexive Offerten“ (ebd.) ent-
Pflichten aufgerieben werden.
entfremdete Erwerbsarbeit, des-
gegen. Die Kriegsserie bleibt
Krieg ist hier ein destruktives,
halb finde die Serie auch keine
aber auch ein Ort medienästhe-
ambivalentes Projekt. Ganz
Positionierung gegen die
tischer Attraktionen und Spekta-
anders ist dies im Segment
Kriegsgründe. Der Kreis schließt
kel. Ritzer wendet sich in seiner
„Posthistoire und Performanz“.
sich mit dem letzten Kapitel
Studie zentralen phänotypi-
Hier zeigt Ritzer an Serien wie
(„Authentizität und Allegorie“),
schen Reihen des Genres zu, um
The Rat Patrol (1966 bis 1968)
in dem es um die Serien Band of
deren Sinn- und Affektofferten
oder Baa Baa Black Sheep (1976
Brothers (2001) und The Pacific
zu entziffern. Zu diesen Phäno-
bis 1978), wie der Serienfokus
(2010) geht, die ihre Sujets eher
typen gehören beispielsweise
sich auf die Performanz spekta-
über zeitgenössische Referen-
die „WWII Combat Movies“.
kulärer Aktionen richtet, die da-
zen reflektieren. Sie sind damit
Allerdings fokussiert die Studie
mit eher Comicstrips oder Pulp-
auch Embleme aktueller Diskur-
leider nur amerikanische Pro-
Novels glichen. Lange dominier-
se, aber trotzdem um realitäts-
duktionen. Britische Serien hät-
te der Zweite Weltkrieg aus
nahe Inszenierungsstrategien
ten den Analysen mit Sicherheit
amerikanischer Perspektive als
bemüht. Das Buch ist detail-
weitere Facetten hinzugefügt,
„good war“ das Genre. Im Kapi-
interessiert und nicht nur als
noch dazu, wo der Buchtitel so-
tel „Trauma und Tabu“ rückt nun
genrebezogener Überblick gut
gar auf die britische Kriegssatire
der Vietnamkrieg ins Zentrum,
lesbar. Ein Filmregister wäre in
Wie ich den Krieg gewann
der die Gemengelage drastisch
dieser Materialschlacht aller-
(1967) anspielt, in der John Len-
änderte. Damit kehrte auch eine
dings hilfreich gewesen. Nicht
non als Gripweed zu sehen ist.
gewisse Historizität in das Genre
nur für medienwissenschaftliche
Zunächst referiert Ritzer kennt-
zurück, jedoch wird dieser Krieg
Seminare dürfte diese höchst
nisreich die zyklische Fiktionali-
zunächst vor allem als „Rock ’n’
elaborierte, referenzreiche
sierung des Krieges im Film. Die
Roll War“ gezeigt. Am Beispiel
Lektüre anregend sein.
Palette reicht von The Birth of a
von Tour of Duty (1987 bis 1990)
Nation (1915) bis zu The Hurt
analysiert der Autor den obszö-
Locker (2008). Sie ist die Basis,
nen Mix aus Krieg, Drogen und
um das Genre der TV-Kriegs-
Pop. Schrecken und Ekstase
serie als symbolische Form kon-
sind hier nah beieinander. Vor
textualisieren zu können. Post-
allem die Interventionen in
strukturalistische Ansätze wie
Afghanistan (2001) und im Irak
Dr. Uwe Breitenborn
4 | 2015 | 19. Jg.