42 Tier BAUERNBLATT l 16. Mai 2015 ■ Schweinehalter informierten sich bei GFS-Vertreterversammlung „Sie haben die Fakten, die anderen die Emotionen“ Aus Beispielen lernt man. Auch Öffentlichkeitsarbeit. Wie positive Öffentlichkeitsarbeit in einem schwierigen Umfeld gelingen kann und worauf es ankommt, schilderte Valerie Holsboer vom Verband der Systemgastronomie vor Schweinehaltern. Die Einführung Paul Hegemanns, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft zur Förderung der Schweinehaltung (GFS), machte es deutlich: Das Problem der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz brennt den Schweinehaltern auf den Nägeln und wächst zu einer existenziellen Bedrohung heran. Dabei haben die Agrarier gute Argumente auf ihrer Seite: Die fachliche Kompetenz ist bei den Bauern vorhanden. Den Tieren geht es besser als je zuvor. Die Initiative Tierwohl ist mit großem Interesse seitens der Bauern gestartet. Auch mit der ‚Regionalität‘ können die Landwirte punkten. Tage des offenen Hofes, Schweinemobil, Internetforen und Blogs – auf vielen Ebenen sind in Sachen Öffentlichkeitsarbeit gute Ansätze vorhanden. Die Rechtfertigungsfalle „Doch wir sind nach wie vor in einer defensiven Haltung. Der große Durchbruch gelingt uns nicht“, konstatierte Paul Hegemann. Die Schweinehalter scheinen ratlos, wenn nicht frustriert. Sie machen ihre Hausaufgaben, aber die Gegner und TierschutzAktivisten gewinnen mit emotional aufgeheizten Kampagnen an Boden und stellen die Schweinehalter pauschal an den Pranger. Auch die Systemgastronomie, in deren Interessenverband unter anderem die großen Fast-Food-Ketten vertreten sind, steht oft im Kreuzfeuer. Der Eindruck sei, so Paul Hegemann, dass sich das geändert habe; der Besuch von täglich drei Millionen Gästen allein bei McDonald’s sei eindrucksvoll. Um von dieser Branche zu lernen, hatte die GFS zu ihrer Vertreterversammlung in diesem Jahr die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Systemgastronomie (BdS), Valerie Holsboer, eingeladen. Die Juristin fesselte die rund hundert GFS-Vertreter mit einem Schweinefleisch nicht ein Gesundheitsratgeber ganz oben stehe, der mitteilt, wie giftig Schweinefleisch sei. Transparenz sei gefragt. Tierrechtsaktivisten gäben sich den Anstrich von Aufdeckern, die im Verborgenen arbeiten. „Je weniger sie von diesem Verborgenen an die Öffentlichkeit holen können, umso weniger Raum gibt es für diese pseudoinvestigativen Ermittlungen“, sagte die Referentin. Es sei selbstkritisch zu fragen, was verbessert werden könne. Spatenstich beim neuen Logistikzentrum der GFS Top Animal GmbH in Ladbergen. Die Die mediale Berichterstattung überzeichne 100%ige Tochter der GFS machte einen Umsatz von 8,9 Mio. €. vielfach, aber oft lebhaften und mit Beispielen reich gehe. An Lobbyarbeit, an „story- stecke ein echter Angriffspunkt gespickten Vortrag und hob her- telling“, an Aufklärungsarbeit auf dahinter. Glaubwürdigkeit erwirbt sich, vor, dass beide Branchen ähnlich allen Ebenen, in Interviews, mit leidgeprüft seien. Die Systemgast- vielen Landwirten vor Ort komme wer verlässliche Partnerschaften ronomie stehe nicht nur in puncto man nicht herum. Das, was man aufbaut. Das sei dem BdS mit den Fleisch oft in der Kritik, sondern sich in mühevoller Kleinarbeit auf- Gewerkschaften in puncto Sozialauch als Arbeitgeber. Die Diskussi- baue, sei sehr fragil. Man falle partnerschaft gelungen und habe on um die Arbeitsbedingungen möglicherweise beim nächsten Er- nach dem Skandal bei Burger King ploppe immer wieder auf, nicht eignis wieder zurück. Das tue weh, den Fall ins Bodenlose verhindert. Flankierende Maßnahnur nach dem Super-GAU men und ein ehrliches Ender Undercover-Rechergagement wie Big Chalche von Günter Wallraff lenge – Schweinehalter bei Burger King. Wie in gegen den Krebs seien der Landwirtschaft sei hilfreich. Damit könne auch in ihrem Verband eiman über ein positiv ne Vielzahl von Unternehwahrgenommenes Thema men organisiert, die in eiWertschätzung erlangen nem harten Wettbewerb und den Bogen zur eigezueinander stehen und nen Branche schlagen. zum Teil widerstreitende Interessen haben. Praktische Tipps Nicht mit allen reden Holsboer riet den Landwirten auch, sich mit GegDa gelte es, ein Sprachrohr zu haben, Kommuni- Valerie Holsboer vom Verband der Systemgastrono- nern auseinanderzusetkation zu bündeln und mie wartete mit praktischen Tipps zur Öffentlichkeits- zen und genau zu differenzieren, mit wem man Strukturen zu schaffen, arbeit auf. es zu tun hat. Der BdS um schnell, effektiv und abgestimmt zu (re)agieren. Dem dürfe aber nicht entmutigen. wurde zum Beispiel von einer PlaBdS sei das mit Neugründung des Denn jede Krise berge auch die katkampagne des TierschutzbunVerbandes 2007 gelungen. „Wir Chance, es beim nächsten Mal bes- des gegen die Kastration von Ferkeln angegriffen, obwohl seine sind zentral gesteuert, das macht ser zu machen. Wer Image und Glaubwürdig- Mitglieder eher kein Schweineuns schlagkräftig. Die Kunst ist es, am Ende Positionen zu haben, die keit verbessern wolle, müsse den fleisch verarbeiten. Aber der Tieralle mitnehmen“, sagte Holsboer. medial verbreiteten Negativbil- schutzbund wollte AufmerksamKommunikation sei nachhaltig dern selbst etwas entgegenset- keit und bewusst den Großen „ans und funktioniere nur dann, wenn zen, damit zum Beispiel bei der Schienbein treten“. Das hat den man stetig und kleinschrittig vor- Google-Suche nach dem Stichwort Verband dazu bewogen, 2009 den Tier ■ BAUERNBLATT l 16. Mai 2015 ersten großen Ferkelgipfel unter anderem mit Vertretern des Deutschen Tierschutzbundes und mit Einkäufern zu veranstalten. „Unterstützt vom Bauernverband sind wir wirklich in die Ställe gegangen und haben gemerkt: So leicht ist das mit der Kastration nicht.“ Dass zeitgleich McDonald’s öffentlich erklärte, dass das Unternehmen künftig auf Fleisch von kastrierten Ebern verzichtet, hat alle Verbandsmitglieder unvorbereitet unter großen Druck gesetzt. Als Folge dieses nicht abgestimmten Vorgehens wurde ein Kommunikationsstab eingerichtet, über den Veränderungen im Sortiment als Erstes intern bekannt gegeben werden, damit solche Alleingänge nicht mehr vorkommen. „Was nach innen ein Kraftakt ist, vermittelt nach außen ein Bild der Geschlossenheit“, ist Holsboer überzeugt. Wer ist meine Zielgruppe? „Mit Ideologen rate ich nicht zu diskutieren“, sagte die BdS-Geschäftsführerin. Politiker und NGO haben ihre jeweiligen eigenen Interessen. Die hält sie für berechenbar. Laien seien die unberechenbare Größe, die sich auf Internetplattformen – vielfach Prominente – gegenseitig informieren. Laienwissen werde dadurch nicht zum Expertenwissen. „Leider ist es uns noch nicht gelungen, diese Laienplattformen für uns zu nutzen“, räumt Holsboer ein und sieht da noch Aufgaben. Landwirtschaft und Systemgastronomie sollten sich im Schulterschluss besonders dieser Zielgruppe zuwenden. Der Verbraucher möge keine Erziehungsmaßnahmen („Veggie-Day“), springe aber voll darauf an, wenn er emotional gepackt werde. Eine Möglichkeit sieht sie in der Verknüpfung von Fleisch, Esskultur und Genussaspekt, denn die Menschen kochen gerne. Insbesondere Frauen sind eine interessante Zielgruppe, da sie nach wie vor in den meisten Fällen bestimmen, was in den Familien auf den Tisch kommt, und sich emotional ansprechen lassen. Nicht zu fachlich Die Bauern müssten die Stadtmenschen dort abholen, wo sie stehen, und lernen, in ihrer Sprache zu erklären: einfach, anschaulich und mit wenig Fachdetails. „Sonst schalten die Menschen ab“, warnte Holsboer. Bei Aufregerthemen aus der Defensive zu schießen, sei meist kontraproduktiv und bediene das David-Goliath-Schema. Da könne man nur verlieren. Für die Medienarbeit eigneten sich laute Gegenstöße nicht. Es habe sich bewährt, den Spieß umzudrehen und mithilfe derselben Kampagne auf der eigenen Webseite die Relationen zurechtzurücken. Öffentlichkeitsarbeit ist eine kontinuierliche Aufgabe, für die es ein Gespür braucht, wann ein Thema dran ist, um sich darauf vorzubereiten und die Medien beizeiten und stetig mit Fakten zu versorgen. „Ich will Sie motivieren, denn es lohnt sich. Und ich biete Ihnen den Schulterschluss an: Unsere Branche hat wirklich inzwischen die gesamte Lieferkette im Blick. Die Kooperation ist angekommen. Wir schätzen die Zusammenarbeit sehr“, machte Valerie Holsboer Mut für eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Luise Richard Freie Journalistin Die Vertreterversammlung erfreute sich einer sehr guten Resonanz – der Saal war voll. Fotos: Anne Thiede/GFS GFS mit solider Unternehmensentwicklung Die Genossenschaft zur Förderung der Schweinehaltung hat trotz in den letzten Jahren geschrumpfter Sauenbestände 2014 wieder deutlich zugelegt und ihre Marktposition gefestigt. GFS-Geschäftsführerin Annette Niggemeyer konnte den Vertretern in Raesfeld eine solide Bilanz präsentieren. Mit 4,1 Millionen Spermatuben konnte die GFS 2,2 % mehr absetzen als im Jahr zuvor. 2.303 Eber befinden sich im Einsatz, 255 davon sind Vorstufeneber. Der Umsatz wuchs um 2 % auf 15,3 Mio. €. Auch das Einzugsgebiet der GFS ist gewachsen; die Genossenschaft betreibt sechs Besamungsstationen mit jeweils mehreren Standorten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, SchleswigHolstein und Sachsen-Anhalt. Kürzlich wurde eine Kooperation mit der Zucht- und Besamungs- union Hessen vereinbart, die nach einem Partner für die Schweinebesamung suchte. Annette Niggemeyer wertete den Schritt auch als positives Signal im Hinblick auf eine vorsorgende Seuchenhygiene, denn die Besamungsstation in Griesheim befindet sich in einer weitgehend schweinefreien Region. Zur positiven Entwicklung beigetragen haben auch zahlreiche Investitionen. So wurde 2014 nach 15 Jahren eine neue Laborsoftware installiert, die die Datenübertragung automatisiert hat, eine höhere Sicherheit bietet und weniger Arbeitsschritte erfordert. Die Hygiene wurde weiter verbessert: ● Alle GFS-Ställe wurden mit einer UV-Zuluftdesinfektion und Überdrucklüftung ausgestattet. ● Sauenhalter, die Eber besichti- gen wollen, können das auch künftig tun. Dafür hat die GFS auf der Station Saerbeck einen separaten Eber-Vorführstall mit Besucherraum.. ● Die Schulung der Labormitarbeiter, das Monitoring der Spermaqualität sowie das Controlling des Hygienemanagements in Stall und Labor sind weitere wichtige Punkte des Konzeptes. Auch in Sachen Eberselektion geht die GFS voran: Die Nachkommenprüfung nach GFS-Muster – ein bewährtes Selektionsinstrument – wurde ausgeweitet. Die Einstufung in die Leistungsklassen Platin, Gold, Silber und Bronze kommt bei den Landwirten gut an. Nach wie vor wird das unterste Drittel der geprüften Eber aus der Produktion ausgeschlossen. Wer sich für geprüfte Qualität entscheidet, kann zum Beispiel bei PIC-Nachkom- men pro Wurf einen Erlösvorteil von 18 € (Bronze) bis 57 € (Platin) realisieren. Mangelnde Wurfqualität oder Erbfehler können ebenfalls zur Merzung führen. Insgesamt nahm die GFS im vergangenen Jahr 314 Eber aus der Produktion. Die GFSErbfehlererfassung hat die Erbfehlerquote seit 2003 von 4 % auf 1,6 % zurückgehen lassen. Auch der Service der GFS hat sich verbessert: Mit der GFS-KombiApp erhalten die Schweinehalter schnell und aktuell alle wichtigen Information zu Zuchtwerten, Bestellmöglichkeiten und vielem mehr. Die Ebereinsatzanalyse mit Kunden-Login auf der GFS-Homepage ist erweitert worden. Die GFS engagiert sich zudem bei der Entwicklung von Strategien gegen Ebergeruch (StratEger) sowie bei der genomischen Selektion bei weißen Rassen (pigGS). 43
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