LZ 26 26. Juni 2015 JOURNAL Lebensmittel Zeitung 29 Flucht nach vorne Der Edel-Schokoladenhersteller Rausch sagt dem Einzelhandel Adieu und erwartet, damit mehr als 50 Prozent seiner bestehenden Kunden zu verlieren. Was viele für Selbstmord halten, ist für Robert Rausch der einzige Weg, um langfristig die beste Schokolade der Welt zu machen. | Iris Tietze R Robert Rausch, Geschäftsführer F O T O : D B A L I N DA / F O T O L I A „Wir holen die Marke von der Straße“ obert Rausch hat keine Angst. Der 28-Jährige kämpft sich auf dem Weg zu den besten Kakao-Anbaugebieten der Welt mehrfach im Jahr mit der Machete durch den Dschungel. Nun stutzt er seine eigene Firma – und zwar nicht minder radikal. Ende September stellt der Familienunternehmer die Lieferung der Edel-Schokoladenmarke Rausch an den Lebensmittel-Einzelhandel und alle anderen stationären Kanäle ein, der sechsköpfigen Außendienstmannschaft hat er bereits gekündigt. „Wir holen die Marke von der Straße, um ihr zu geben, was sie braucht“, sagt der Sohn des Inhabers Jürgen Rausch, der seit April die Geschäftsführung für das Markengeschäft übernommen hat. „Der große Einzelhandel bietet nicht die richtige Bühne für unsere Marke und die Geschichten, die dahinter stehen.“ Stattdessen setzen die Berliner auf das Direktgeschäft. Allein in diesem Jahr investiert Rausch einen siebenstelligen Betrag, um den Flagship-Store am Gendarmenmarkt aus- und eine Internetplattform aufzubauen, die Schokoladen-Abos, 24-Stunden-Belieferung und Telefonbestellung anbietet. Zwölf neue Mitarbeiter sollen das Geschäftsmodell komplett umkrempeln. Robert Rausch, ein energischer, leidenschaftlicher Mann, der schnell spricht und schnell entscheidet, ist wie sein Vater ein Visionär. Er will nicht nur die beste Schokolade der Welt machen, sondern komplette di- gitale Transparenz für sein Markengeschäft erschaffen. In seinem Kopf wimmelt es von Ideen: Er will den Weg seiner Kakaobohnen auf dem Containerschiff von Papua-Neuguinea bis Hamburg live auf den Bildschirmen des Ladens zeigen, die Kakaoernte in Echtzeit im Internet übertragen oder eine virtuelle Tour für chinesische Kunden durch den FlagshipStore am Gendarmenmarkt anbieten. „Bei den Möglichkeiten, die das Internet bietet, wird mir schwindelig“, so Rausch. Bei aller Euphorie macht sich der Unternehmer keine Illusionen über die Radikalität des Neuanfangs. Er glaubt, dass weniger als 50 Prozent der bestehenden Kunden der Marke ins Internet folgen werden. Trotzdem: „Wir wollen Marktführer werden in einem neuen Markt – und nicht hinterherdümpeln in einem Geschäft, das nicht mehr funktioniert.“ Bitteres Premium-Business Das Geschäft mit Premium-Schokolade ist in Deutschland knallhart. Die langsamen Drehzahlen sind für Handel und Vertrieb eine Herausforderung. Wettbewerber wie Hachez und Feodora schreiben seit Jahren rote Zahlen. Branchenriese Lindt greift die verbliebenen Premiumwettbewerber immer heftiger an. „Der Handel fördert die Dominanz einzelner Player“, kritisiert Rausch. Das beklagen auch andere Hersteller. Handelszentralen empfehlen Selbständigen, saisonale Sortimente auf wenige Lieferanten zu beschränken, heißt es, und treiben das langsame Sterben der Kleinen damit voran. Lindts großzüge Rücknahmeregeln machen es immer schwieriger, gegen das börsennotierte Dickschiff anzukommen. Mit einem übermächtigen Mengenmarktanteil von 45 Prozent bei hochwertiger Tafelschokolade und von 55 Prozent bei Pralinen sowie massiven Werbespendings dominiert Lindt das Segment. „Der Wettbewerber setzt die Preise – dabei ist es egal, dass wir die teuersten Rezepturen im Markt haben, die zu 100 Prozent aus Edelkakao bestehen“, sagt Rausch. Die zweistellige Preiserhöhung, die das Unternehmen 2014 durchzusetzen versuchte, hatte nach LZ-Informationen für Schwierigkeiten mit dem Handel gesorgt – und für Frust bei Rausch. Dabei investiert das Familienunternehmen massiv in den Ursprung: mit Produktionsgesellschaften in Kakao-Anbaugebieten wie Trinidad unterstützen die Berliner Kooperativen, von denen sie ihren Edelkakao beziehen. Ein wissenschaftliches Team berät Bauern vor Ort. Jetzt geht Rausch noch einen Schritt weiter. In Costa Rica, in Sichtweite des Vulkans Turrialba, haben Vater und Sohn 350 Hektar Land gekauft, 50 Hektar sollen bepflanzt werden. 10 000 Kakaopflanzen sind bereits gesetzt. Ein Großteil der Fläche steht unter Naturschutz und bleibt unberührt. Auf den Wiesen des Grundstücks wird ein Agroforst-System angelegt – mit einer Mischung aus Mango-, Papaya- und Kakaobäumen. Eigentlich wollte die Familie Rausch nie eine Plantage besitzen. Doch diese soll ein Trainingsort für kooperierende Kakaobauern werden – und ein Anlaufpunkt für Konsumenten, um das eigene Engagement transparent zu machen. Prämien für Direktbezug Auf eine externe Zertifizierung setzen die Berliner nicht, stattdessen forcieren sie ihr eigenes Label „Direct-Trade“. Mit direkten, langfristigen Lieferbeziehungen zu Kooperativen will das Unternehmen den Zwischenhandel ausschalten, der „immer zu Lasten des Bauern und der Qualität" gehe. Das Familienunternehmen bezahlt zuzüglich zum Weltmarktpreis Prämien für den direkten Bezug, für A-Qualität sowie Edelkakao und liegt damit nach eigenen Angaben über dem Mindestpreis von Fairtrade. „Wir machen nicht weniger Plantagenschokolade, sondern mehr“, lautet das Signal von Rausch, der künftig mehr Geld für Investitionen in den Kakaoanbauländern zur Verfügung haben will, wenn die Handelsmarge durch die neue Strategie in der eigenen Tasche bleibt und das Unternehmen selbst über die Verkaufspreise entscheiden kann. Der Schritt geschieht angeblich nicht aus Verzweiflung. Zwar zeigen Marktforschungszahlen, dass Rausch mit seiner Marke im LEH 2014 Volumen im Tafelschokoladenmarkt verloren hat und die Käuferreichweite zurückgegangen ist, aber die Wiederkaufrate ist gestiegen. Der Marktanteil lag zuletzt bei 2 Prozent. Es habe vereinzelt Lieferengpässe durch den Relaunch der Marke im Herbst sowie Rückgänge durch den Ausstieg bei Saisonprodukten gegeben, erklärt Rausch. Unterm Strich habe das Unternehmen aber 10 Prozent mehr Plantagenschokolade verkauft. So gefährlich die Entscheidung erscheinen mag, das Unternehmen hat mit der strategischen Lieferantenpartnerschaft für Lidls Premiummarke J.D. Gross einen starken zweiten Geschäftspfeiler, der Sicherheit gibt – und den Löwenanteil des rund 100 Millionen Euro schweren Umsatzes stellt. Und auch das dritte Standbein, das Schokoladenhaus, entwickelt sich prächtig: Mit einer Million Kunden pro Jahr erzielen die Berliner 10 Millionen Euro Umsatz. Das Markengeschäft im LEH dürfte zu Fabrikpreisen nur 15 Millionen Euro zum Unternehmenserlös beisteuern – und deutlich weniger zum Ertrag als das Schokoladenhaus. Trotzdem zeigen sich Handelseinkäufer und Wettbewerber „irritiert und höchst verwundert“ vom Abschied aus dem Handel. Rausch war allerdings noch nie bekannt dafür, den einfachen Weg zu gehen oder radikale Entscheidungen zu scheuen. „In einer Zeit, als alle Fachgeschäfte und auch wir unser Filialnetz schlossen, hat mein Vater unser großes Schokoladenhaus in Ostberlin aufgebaut. Alle haben uns für verrückt gehalten“, sagt der Junior. Aber: „Man kann nur etwas erreichen, wenn man sich etwas traut.“ lz 26-15
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