1954 HORIZONTE Buchbesprechungen Erfolgreicher Tabubruch Adrian Ritter Freier Journalist Im Mai 2014 gelang es den Haus- und Kinderärzten in einer Volksabstimmung, die medizinische Grundversorgung in der Bundesverfassung zu verankern. Der Weg zu diesem Ziel war auch ein Aufbruch zu mehr Selbstbewusstsein. Die Publikation Mut zur Wut blickt auf die bewegte Zeit zurück. Es war kein Aprilscherz. Die Hausärzte und Kinder- demonstrierten auf dem Bundesplatz in Bern für eine schichte und Politik und lässt eine für die Ärzteschaft Stärkung der Hausarztmedizin. Es war ein Tabubruch: prägende Zeit nicht in Vergessenheit geraten. Das at- Nie zuvor hatten Ärzte auf der Strasse für ihre Anlie- traktiv aufgemachte und bebilderte Buch beschreibt, gen demonstriert. Das Fass zum Überlaufen gebracht wie es der Ärzteschaft erstmals gelang, Patienten als hatte der Entscheid des damaligen Gesundheitsminis- politische Verbündete zu gewinnen mit dem gemein- ters Pascal Couchepin, den Labortaxpunktwert um samen Ziel, eine starke Hausarztmedizin aufrechtzu zehn Prozent zu kürzen. Aufgestaut hatte sich ein erhalten. Tschudi und Stricker sind überzeugt, dass der grundsätzlicher Ärger über die politische Vernach Erfolg nicht zuletzt der Glaubwürdigkeit der Hausärzte Anliegen nicht an eine politische Partei zu binden. Das Massnahmen zugunsten der Hausarztmedizin droht Initiativkomitee bestand ausschliesslich aus Hausärz- der Schweiz ein gravierender Hausärztemangel. tinnen und Hausärzten. Die Kundgebung in Bern verlieh nachhaltigen Schub. In Was die Schweizer Haus- und Kinderärzte zwischen der Folge lancierten die Haus- und Kinderärzte die 2006 und 2014 geleistet haben, ist politisch einzigartig, Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin». Gleichzeitig sind die Herausgeber des Buches überzeugt: Sie haben wich mit Didier Burkhalter und später Alain Berset als nicht nur die medizinische Grundversorgung in der Gesundheitsministern die Konfrontation zwischen Bund Bundesverfassung verankert, sondern die Hausärzte und Hausärzteschaft zunehmend einer partnerschaft endlich zu gleichwertigen Partnern im Gesundheits- lichen Zusammenarbeit. In einem Masterplan griff der wesen werden lassen. Das Buch lässt Personen zu Wort Bundesrat wichtige Anliegen der Volksinitiative auf – kommen, die einen wichtigen Beitrag zum Erfolg etwa den Ausbau der universitären Hausarztmedizin, geleistet haben, Entscheidungsträger aus dem Ge die Förderung von Praxisassistenzstellen und eine Bes- sundheitswesen und – als einziger Kritiker der Volks serstellung der Hausärzte in der TARMED-Tarifstruktur. initiative, der sich als Autor zur Verfügung stellte – Dies führte dazu, dass die Initianten das Volksbegehren SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi. Er prophezeit, dass 2013 zugunsten eines direkten Gegenvorschlages zu- sich der Ruf der Hausärzte nach staatlicher Unterstüt- rückzogen. Dieser kam im Mai 2014 zur Abstimmung zung früher oder später gegen sie richten werde im und erzielte das fünftbeste Resultat aller Volksabstim- Sinne einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens. zu verdanken ist und dass es klug war, sich mit dem der Demonstrierenden auf dem Bundesplatz: Ohne lässigung der Hausarztmedizin. Die Hauptbotschaft mungen in der Schweiz: 88,1 Prozent Zustimmung. Die Autorinnen und Autoren von Mut zur Wut haben Die soeben erschienene Publikation Mut zur Wut zeich- anderes im Sinne. Sie wollen die Verantwortung für net die Erfolgsgeschichte von der Demonstration bis ihre neue starke Rolle in der Gesundheitspolitik wahr- zur Volksabstimmung minutiös nach. Herausgegeben nehmen – etwa im Rahmen des neuen Berufsverban- haben das Werk zwei wichtige Akteure der Gescheh- des «Hausärzte Schweiz» (MFE). Nach «gewonnener nisse – der Basler Allgemeinmediziner Peter Tschudi Schlacht» dürfe man nicht die Hände in den Schoss und der Journalist Bernhard Stricker. Peter Tschudi legen, fordert MFE-Präsident Marc Müller. Es gelte, den war Gründer und Vorsteher des schweizweit ersten In- Elan zu nutzen: Die medizinische Grundversorgung stituts für Hausarztmedizin an der Universität Basel. müsse neu gedacht werden und ein Dialog über die Bernhard Stricker war früher Medienbeauftragter der Kernkompetenzen der verschiedenen Berufsgruppen Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin stattfinden. SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI Die Geschichte der Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» 2006–2014 Basel: EMH Schweizerischer Ärzteverlag; 2015. 480 Seiten, 25 CHF. ISBN 978-3-03754-088-6 Mut zur Wut Mut zur Wut leistet einen Beitrag zu Schweizer Ge- ter deren Medienbeauftragter. Ärztinnen und Ärzte sowie unterstützende Personen Peter Tschudi, Bernhard Stricker (SGAM), hatte die Idee zur Volksinitiative und war spä- ärzte meinten es ernst am 1. April 2006. Rund 12 000 2015;96(52–53):1954
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