Der junge pH-Wert Der pH-Wert! Ach, der pH-Wert! Was phantasieren sie sich doch alles zusammen, die Halbwisser, Werbetexter und Möchtegern-Dermatologen! Dass dabei irgendwie die „Säure“ eine Rolle spielt, besonders wenn es um die Haut und deren Pflegemittel geht, weiß heute auch die Christel von der Post. Aber soll denn nun dieser geheimnisvolle Wert möglichst klein oder gar = Null sein, wie etwa bei Cola Zero oder alkoholfreiem Bier? Da weiß besagte Christel Rat: Er soll möglichst „neutral“ sein. Das klingt immer irgendwie gut und gesund. Aber ach, da verkünden die Dermatologen, dass das auch wieder nicht ganz richtig ist, sondern dass die Haut ein Milieu verlangt, das ein bisschen ins Saure tendiert. Also doch pH = 0? Nun sagen wiederum die Chemiker, dass dies das Milieu wäre, das in etwa der Schwefelsäure im Bleiakkumulator entspricht. Soll man sich nun tatsächlich mit Batteriesäure waschen? Was ist denn nun richtig? Am liebsten hätten es die Werbetexter ja, wenn man pH-arme Lotionen anpreisen könnte, vielleicht sogar pH-freie. Allerdings bliebe dann der werbewirksame Aspekt der Neutralität auf der Strecke. Wie wär's also mit pH-neutral? Auch nicht schlecht, allerdings fehlt jetzt immer noch der dermatologische Bezug. Der Drogerie-Markt hat mit seiner Marke Balea einen ganz guten Kompromiss gefunden: pH Hautneutral! Das ist es. Und die Waschlotion Balea MED ist obendrein auch noch seifenfrei, was auch immer das bedeuten mag. Mir jedenfalls wurde früher, als ich verdreckt vom Spielplatz nach Hause kam, bedeutet, dass mir etwas Seife nicht schaden könnte. Hat es auch nicht! Eine andere Möglichkeit ist es, einfach einen wohlklingenden Namen zu erfinden oder einen Begriff zu verwenden, den niemand kennt. Die Firma BASIS z.B. nennt ihre Lotion „Basis pH“. Das klingt irgendwie schlicht und gut, vor allem wenn es milde Reinigung für empfindliche Haut verspricht. Es ist natürlich in Wirklichkeit nicht einfach eine Lotion, sondern ein „Wasch-Syndet“. Da kein Mensch weiß, was ein Syndet ist, kann man damit jedenfalls Eindruck schinden. Und bei Amazon wird dieses Elaborat doch tatsächlich als „pH-neutral“ angepriesen. Damit haben sie's also endlich geschafft. Balea MED Seifenfreie Waschlotion pH Hautneutral Basis pH WaschSyndet Dieser Begriff der „Neutralität“ ist natürlich immer noch ein Problem. Unsere Christel weiß inzwischen, dass dabei die Zahl 7 eine geheimnisvolle Rolle spielt, andererseits im Falle der Haut eher 5,5. Oder wie? Da gibt es nur drei Möglichkeiten: Erstens kann man der Sache auf den Grund gehen und dafür ein ganz klein bisschen Mathematik betreiben. Zweitens kann man einfach die Klappe halten, oder man kann drittens dumm rumschwätzen. Allzu viele tun das letztere. Das erinnert mich an ein Erlebnis im Krankenhaus, als ich mir den Fuß gebrochen hatte und der Arzt sich Sorgen wegen meiner etwas erhöhten Temperatur machte. Die wollte er unter Beobach- tung halten, und dies am besten durch rektale Messungen. Diese Art gilt als besonders zuverlässig, liefert aber immer etwas höhere Werte. Die Schwester – sie hieß glaube ich Christel – erklärte mir das etwa wie folgt: Dat is so: Wenn ein Patient Fieber hat, sagen wir 38, und wir messen die im Popo, dann is dat so, wie wenn unterm Arm – oder sagen wir, wenn ich bei einem Gesunden, der unterm Arm 37 hätte, im Popo 1/2° mehr messe, dann wäre dat richtig, also 1/2° Unterschied is immer normal, auch wenn der Gesunde krank is. So is dat. Also: In Ermangelung einer differenzierteren Auffassung des Begriffes Neutralität schwätzt man einfach von „pH-neutral“ oder „pH-Hautneutral“. Dümmer geht es zwar nicht, aber Hauptsache, der Kunde fällt auf den Blödsinn rein. Dümmer geht es nicht? Doch, es geht: Plantur 49 gibt der Haut den jungen pH-Wert zurück Jetzt warte ich nur noch darauf, dass irgendein Hersteller sein Geschmadder als „pH-jung“ verkauft. Was mich an dergleichen Unfug immer wundert: Es muss doch einen Menschen aus Fleisch und Blut gegeben haben, der diese Verhunzung vorbedacht und in voller Absicht entworfen, Korrektur gelesen und schließlich in die Produktion entlassen hat. Nun kann es gewiss jedem einmal passieren, dass er in einem Moment der Abwesenheit irgendeinen Quatsch daherplappert, der im nächsten Augenblick vom Winde verweht ist. Wenn ich hingegen eine Wendung wie „junger pHWert“ ernsthaft zu Papier bringen sollte, würde sich entweder meine Hand verkrampfen oder der Stift verbiegen. Aber nein! Das Elaborat dieses Werbedesigners verlässt unbeanstandet seinen Schreibtisch, findet Eingang in die Selbstdarstellung des Unternehmens und wird fortan einem millionenfachen Publikum präsentiert. Also weiter so! Den Werbetextern, die auf diese Weise rücksichtlos unsere Adjektive vergewaltigen, könnte man noch einige Ideen mit auf den Weg geben: Modell VUVU gigaphonaktuell Penetration Model PM 21 powerintensiv da Topfmodell Kawumm hyperdruckeffizient et d n lle o v rm Universal Calc additionsstark Schisser-Salze vo m r da et d n lle da Garantiert wirkungsneutral et d n lle o v rm Hakle happy darmvollendet Es lebe der deutsche Adjektiv!
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