MANAGEMENT & BILDUNG Serie Berufsporträts Von Perspektiven geleitet URS BERGER Der Verwaltungsratspräsident der Mobiliar und Präsident des Versicherungsverbandes steht seit einigen Jahren im Zenit seines beruflichen Lebens. Karriere als Selbstzweck war für ihn jedoch nie eine Zielvorgabe, vielmehr suchte er Perspektiven. In der Versicherungswirtschaft hat er sie gefunden. VON WERNER RÜEDI, FOTO: PETER FROMMENWILER Auslandaufenthalte haben ihm «eine freiere Sicht» auf das Potenzial im Markt ermöglicht: Urs Berger. 36 DEZEMBER 2015 | SCHWEIZER VERSICHERUNG U rs Berger ist kein Mann der lauten Worte, er gilt als umgängliche Person, natürlich im Ton, stets freundlich. Seine lockere, entspannte Art könnte zum Trugschluss verleiten, dass er seine Ziele nicht beharrlich zu verfolgen wisse. Das Gegenteil ist der Fall: Hat er ein Ziel fixiert, setzt er alles daran, dieses auch zu erreichen – selbst wenn er dabei Umwege in Kauf nehmen muss. Mit seiner angenehmen Nonchalance im Umgang mit Menschen hat er auch seine eigene Karriere geprägt. Das pedantische Setzen von beruflichen Meilensteinen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht werden müssen, war ihm seit jeher fremd. Weichensteller Wie bei so vielen anderen auch zu beobachten, ist Berger durch Zufall in der Versicherungswirtschaft gelandet. Die Weichen gestellt hatten verschiedene Persönlichkeiten der Branche. Urs Berger (Jahrgang 1951) ist in Winterthur aufgewachsen. Bei Pfadi Winterthur spielte er damals Handball, wo er den Goalie und grossen Supporter Peter Spälti kennenlernte, der dannzumal eine Karrierestufe nach der anderen bei der WinterthurVersicherung erklomm. Es war Spälti, der langjährige Chef und spätere Präsident, der Berger zwischen Matura und Rekrutenschule zu einem Praktikum bei der Winterthur-Versicherung motivierte. Auch die Wahl der Studienrichtung war eher dem Zufall geschuldet. Nach dem Praktikum hatte er ein Jahr Militärdienst zu leisten. Während dieser Zeit rückte der Anmeldeschluss für das Hochschulstudium immer näher; noch wusste er nicht, welchen Weg er einschlagen wollte. Ein Sprachstudium stand eigentlich zuoberst auf seiner Liste. Nach einem Informationstag der HSG St. Gallen entschloss sich Berger dann spontan zu einem Wirtschaftsstudium. So folgten acht Semester Studium der Ökonomie an der Universität St. Gallen. Bereut hat er diesen Entscheid nie: «Die Betriebswirtschaftslehre bietet wie kaum ein anderes Studium eine umfassende Vielfalt an Vorbereitung für das Berufsleben.» Wiederum im Militär, beim Abverdienen des Leutnant-Grades, motivierte ihn ein Kollege, doch die Vertiefungsrichtung «Versicherung und Riskmanagement» zu wählen, was Berger dann auch tat. Jener Militärkollege war Hans-Jürg Bernet, späterer CEO Zurich Schweiz und heute unter anderem Verwaltungsrat der Helvetia und Swica. Bernet war quasi Wegbereiter Bergers in diese Fachrichtung hinein. Damals übernahm gerade Profes- Anzeige sor Matthias Haller die Leitung des Instituts für Versicherungswirtschaft IVW der Universität St. Gallen und brachte einen völlig neuartigen, systematischen Ansatz des Risikomanagements in die Forschung und Lehre ein. Grundkenntnisse erwerben Dieser ganzheitliche Ansatz kam in der Versicherungs-Branche sowie bei Kunden in der Industrie gut an. Eines Tages klopfte die Firma Walser Consulting beim Institut an, ob allenfalls ein Student helfen könne, ein Risikomanagement-System aufzubauen und für Kunden zu implementieren. Berger packte die Chance, ging zum Versicherungsbroker und half in den kommenden drei Jahren, seine Erkenntnisse aus dem Studium in Beratungstools für die Praxis umzusetzen. «Nach einem kreativen und innovativen Start ins Berufsleben reifte in mir die Erkenntnis, dass es nötig ist, das Versicherungsgeschäft von Grund auf zu erlernen, um beruflich weiterzukommen; denn ohne fachtechnische Kenntnisse ist die Gefahr gross, in einer Nische stecken zu bleiben. Das wollte ich aber vermeiden», erzählt Berger. Deshalb bemühte er sich aktiv um einen Wechsel. Eine Tür tat sich beim Industrieversicherungsgeschäft der Zürich Versicherungsgesellschaft auf, die sein Wissen im Risikomanagement nutzen wollte. Im Gegenzug lernte Berger das Versicherungswesen und dessen Produkte im Underwriting fundiert kennen. Primär war er im Sach- und Haftgeschäft tätig. Das wichtigste dabei war der regelmässige Kundenkontakt. Berger: «Die jährlich zwischen 70 bis 100 Kundenbesuche waren für mich eine wertvolle Erfahrung. Dabei verkauften wir jedes Produkt zweimal, zuerst dem Kunden, der eine massgeschneiderte Lösung erwartete, und anschliessend intern den strengen Tarifwächtern im damalig konsequent regulierten Markt.» Was jedoch fehlte, war Auslanderfahrung. Diese aus dem Schweizergeschäft heraus zu erlangen, war schwierig. 1984 erhielt er auf eigene Initiative schliesslich die Chance, für ein dreiviertel Jahr bei Zurich UK ein Praktikum zu absolvieren. Auch hier lernte er Neues dazu: «Wir arbeiteten damals im Underwriting bereits ohne feste Tarife, nach Erfahrung, also dereguliert», so Berger, «was es damals im Schweizer Markt so noch nicht gab.» Nach seiner Rückkehr amtete er als Assistent des Direktors für das Unternehmensgeschäft. «In dieser Funktion lernte ich die Finessen der Planung von Grund auf», erklärt Berger. Bereits eineinhalb Jahre später wurde er mit der Leitung Risk Management → SCHWEIZER VERSICHERUNG | DEZEMBER 2015 Bildung macht munter www.vbv.ch Berufsbildungsverband der Versicherungswirtschaft Laupenstrasse 10 Postfach 8625 3001 Bern Telefon 031 328 26 26 [email protected] 37 SV_12_15_VBV_Berufsbildung_1-3h_ssp.indd 1 11.11.15 08:19 MANAGEMENT & BILDUNG Serie Berufsporträts → Service betraut. Zusätzlich konnte er ein dreimonatiges Executive Programm, unter anderem am renommierten Kellogg Institute der Northwestern University in Chicago absolvieren. Von Zürich nach Basel 1993 wurde Urs Berger von der Basler Versicherungen abgeworben. Unter der Leitung von Rolf Schäuble, den er bereits von der Zurich her kannte, stieg er bis in die Konzernleitung auf: Ab 1994 Mitglied der Geschäftsleitung Schweiz und ab 1999 CEO Schweiz sowie Mitglied der Konzernleitung der Baloise Gruppe. Es war die Zeit des Allfinanz-Gedankens, also der Verschmelzung der Geschäftsmodelle von Banken und Versicherungen. In dieses Kapitel fiel bei der Basler die Übernahme der Solothurner Kantonalbank. Nach schwierigen Zeiten wurde die Solothurner Bank SoBa saniert und kam zum Schweizerischen Bankverein, der aber anlässlich der Fusion mit der Schweizerischen Bankgesellschaft zur UBS von der Wettbewerbskommission die Auflage erhielt, die SoBa wegen Gefahr der regionalen «Trotz der hohen Belastung in Kaderfunktionen hätte ich nie in einer anderen Branche tätig sein wollen.» den Baloise-Konzern und amtete als Vizepräsident des SoBa-Verwaltungsrates. Seine Affinität zum Bankengeschäft hat er beibehalten; die gewonnenen Erkenntnisse sind ihm hilfreich in seinen aktuellen Mandaten etwa als Bankrat der Basler Kantonalbank (Berger wohnt mit seiner Familie im Kanton Baselland) sowie als Mitglied des vom Bundesrat eingesetzten Beirats «Zukunft Finanzplatz». Von Basel nach Bern Marktbeherrschung wieder abzustossen. Sie ging im Herbst 2000 als Baloise Bank SoBa an die Basler Versicherung über. Berger: «Wir hatten bei der Basler bereits vorher Ansätze von Finanzberatungen aufgebaut und sahen sowohl in der Kundenberatung wie auch im Finanzdienstleistungsgeschäft Synergien. So hatten wir im Segment Hypotheken in etwa gleich viele Assets wie die SoBa. Nachdem wir nun eine Bank erworben hatten, lag die Absicht auf der Hand, das Allfinanz-Konzept aufund auszubauen, trotz anderer, wenig erfolgreicher Versuche in der Schweiz.» Berger erhielt die operative Verantwortung für die Integration der Baloise Bank SoBa in Eher überraschend kam für viele Beobachter 2003 der Wechsel von der Spitze der Basler an diejenige der Mobiliar. Berger sieht das aber nicht als Seitenschritt: «Als CEO Schweiz der Basler war ich verantwortlich für das Tagesgeschäft. Wichtige Unternehmensbereiche wie Finanzen, Asset Management, zentrale Dienste gehörten jedoch nicht dazu, weil diese auf Stufe Gruppe angesiedelt sind. Ganz anders bei der Mobiliar. Dort hatte ich alle Instrumente selber in der Hand. Aus unternehmerischer Sicht ist das eine ganz andere Dimension.» Ein weiterer Punkt: Bei Zurich und Basler arbeitete Berger für börsenkotierte Gesell- Anzeige HFVESA HFV Höhereintritt Start: 1. März 2016 an den Standorten in Basel, Bern und Zürich Höhere Fachschule Versicherung Ecole supérieure assurance Eidgenössisch anerkannte Höhere Fachschule HFV ESA Eine Kooperation zwischen dem VBV und AKAD Business Detaillierte Informationen unter www.hfvesa.ch oder 044 307 33 55 <wm>10CAsNsjY0MDQx0TU2szQzMwQA9c93aQ8AAAA=</wm> <wm>10CFWLsQ7CUAwDvyhPdhMnpRlRt4oBsXdBnfn_idINySfdcN621sDFfX281mcTjDDPWyZbjoGaq10x3FFNEhOohUFRXvp7WERqAvZfY6QRO93OqU5BMuTj8z6-BQjm4HkAAAA=</wm> Die Schule für Versicherungstalente Diplomierte Versicherungswirtschafterinnen und Versicherungswirtschafter sind hochqualifiziert und dank ihrer breiten fachlichen und betriebswirtschaftlichen Basis für eine Vielzahl spannender Funktionen im Berufsfeld Versicherung und verwandten Gebieten befähigt. SV_12_15_AKAD_1-2q_ssp.indd 1 38 DEZEMBER 2015 | SCHWEIZER VERSICHERUNG 11.11.15 07:41 schaften. Nicht so bei der Mobiliar, die als Genossenschaft organisiert ist: «Das war für mich eine der Herausforderungen, die mich gereizt hat.» Dazu kam die dezentrale Struktur mit Unternehmer-Agenturen. Berger wurde von Albert Lauper angefragt, der nach seiner langjährigen Funktion als CEO jene des Verwaltungsratspräsidenten übernahm und einen Nachfolger auf operativer Stufe suchte. «Ich wusste nicht einmal, dass bei der Mobiliar ein neuer CEO gesucht wurde», lacht Berger. Nach der Anfrage durchlief er wie auch weitere Mitbewerber ein mehrstufiges Assessment, bei dem er schliesslich obenauf schwang. Wertvolle Wegbereiter Aus- und Weiterbildungen waren für Urs Berger seit jeher enorm wichtig: «Neben dem Studium und der Grundausbildung waren vor allem die Auslandaufenthalte eigentliche Wegbereiter für meine Karriere; dort habe ich gelernt, mit welchen Produkten und Dienstleistungen sich Märkte erobern lassen, die in unserem damaligen Versicherungskartell noch nicht denkbar waren. Diese beruflichen Sidesteps – ich habe nicht immer die erstbeste Karrieresprosse erklommen – haben mir «eine freiere Sicht» auf das Potenzial im Markt ermöglicht: Ich habe keine Bedrohungen gesehen, sondern Chancen und Perspektiven für unsere Branche – und die wollte ich auch in der Schweiz umsetzen.» Die Deregulierung der Schweizer Versicherungswirtschaft war schmerzhaft, hatte den Versicherern andererseits auch die Freiheit gegeben, ganz anders als bisher auf die Kunden einzugehen und das Geschäft eigenverantwortlich zu gestalten, indem es möglich wurde, eigene, selbstständige Marken aufzubauen, was im früheren Einheitsbrei mit einheitlichen Tarifen kaum möglich gewesen ist. Dies habe grosse Auswirkungen auch bei den eigenen Beschäftigten gehabt, betont Berger. Die Jobprofile in der Versicherungsbranche haben sich gewaltig verändert. Kontakte in Wirtschaftskreisen Urs Berger ist seit 2011 hauptberuflich Präsident des Verwaltungsrates der Mobiliar Genossenschaft und der Mobiliar Holding AG. Zudem präsidiert er seit Mitte 2011 den Schweizerischen Versicherungsverband (SVV). Er hält aber auch Mandate im Finanzdienstleistungsbereich. So als Bankrat der Basler Kantonalbank, als Mitglied des vom Bundesrat eingesetzten Beirates «Zukunft Finanzplatz», als Aufsichtsrat der Gothaer Finanzholding AG in Köln sowie als Mitglied Strategy Committee Insurance Europe. Diese schaftlichen Belangen. Einzig in der Politik mochte er sich nie in einer Partei einbringen. Und wie bringt er alles unter einen Hut? Freie Zeit sei bei ihm immer noch sehr beschränkt, erzählt er. Immerhin halte er heute nur noch Verwaltungs- und Stiftungsratsmandate, welche es ermöglichen, die Kräfte besser einzuteilen denn als operativ tätiger Chef, der einem straffen Zeitplan von morgens früh bis abends spät unterliegt. Wie dem auch sei: Berger ist immer noch gut ausgelastet. Er nimmt sich jetzt aber mehr Zeit für Ferien, in denen er mit seiner Frau unterwegs ist. Denn zwischen 30 und 50 kam seine persönliche Work-LifeBalance zu kurz. STATIONEN EINER KARRIERE Urs Berger AUS- UND WEITERBILDUNG 1978 Walser Consulting Versicherungsbroker, 1981 Zürich Versicherung, Leitung der Technischen Versicherungen, Leitung Risk Management Service, 1993 Basler Versicherungen, 1994 GL-Mitglied Schweiz, 1999 CEO Schweiz, Mitglied der Konzernleitung der Baloise Gruppe, 2002 VR-Vizepräsident der SoBa, 2003 Gruppe Mobiliar, CEO, 2011 VRP Mobiliar Genossenschaft und Mobiliar Holding AG, Die Balance finden 2011 Präsident Schweizerischer Versicherungsverband SVV. Mandate ermöglichen ihm Einblicke in weitere relevante Umfelder der Assekuranz. Berger ist aber nicht nur in der Assekuranz fest verankert. Seit jeher pflegt er Kontakte in weitere Wirtschaftskreise. Etwa als Verwaltungsratspräsident des Ingenieur- und Beratungsunternehmens Emch & Berger Bern AG und als VR-Mitglied bei der BernExpo AG, der Bellevue Immobilien AG, der vanBaerle AG und der Swiss Tertianum International AG. Zudem vertritt er die Assekuranz als Mitglied des Vorstandsausschusses beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, wo er die Funktion des Quästors innehat. Gesellschaftliches Engagement Seine Engagements beschränken sich nicht auf die Wirtschaft allein. Als Präsident der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Bern, als Stiftungsrat der Schweizerischen Herzstiftung, als Mitglied der Ethik-Kommission Swiss Olympic oder als Mitglied der Tierpark-Kommission Dählhölzli engagiert er sich auch in gesell- «Selbst im Urlaub lese ich jeden zweiten Tag während zwei Stunden meine E-Mails und erledige sie wennmöglich gleich.» Doch Erholung pur ist trotzdem nur beschränkt möglich. Als Verwaltungsratspräsident einer grossen Versicherungsgesellschaft sowie als Präsident des Dachverbandes und weiteren Verantwortungen kommt er auch im Urlaub nicht umhin, mindestens jeden zweiten Tag für etwa zwei Stunden die E-Mails zu lesen und möglichst gleich zu erledigen. Dies sei aber ein fixes Zeitfenster, das nach Ablauf von zwei Stunden wieder geschlossen werde. Und wie sieht es nach dem Erreichen des Pensionsalters aus? Urs Berger baut jetzt schon ab: Auf Ende Jahr gibt er das Präsidium der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Bern ab, nächstes Jahr dasjenige bei Emch & Berger. Und das SVV-Präsidium? Berger ist letztes Jahr für weitere drei Jahre gewählt worden. Das wärs dann aber, lässt er im Gespräch durchblicken. Es hänge halt auch von einer geeigneten Nachfolgelösung ab, denn der zeitliche Aufwand für den Präsidenten beläuft sich doch auf 20 bis 30 Prozent – für einen aktiven CEO ein Ding der Unmöglichkeit. Trotz der hohen Belastung in Kaderfunktionen hätte Urs Berger nicht in einer anderen Branche tätig sein wollen. Für ihn bietet die Assekuranz grossartige Herausforderungen für den Nachwuchs, egal ob für Ein- oder Umsteiger. Das Grundbedürfnis der Kunden für Versicherungsschutz wird zwar auch in Zukunft gleich bleiben wie bisher. Doch die politischen und technischen Herausforderungen wie Regulierung und Konsumentenschutz sowie Digitalisierung seien spannend, die Geschäftsmodelle werden in hohem Tempo angepasst, neue und branchenfremde Anbieter drängen in den Markt. Für Urs Berger ist deshalb klar: «Wir müssen die Flexibilisierung vorantreiben, wir werden die Ansprüche noch weiter erhöhen müssen. Das heisst aber auch: Die Versicherungswirtschaft bietet weiterhin spannende Jobs.» SCHWEIZER VERSICHERUNG | DEZEMBER 2015 39
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