Gedenken an die Opfer von Flucht und Vertreibung

G 20011
EUTSCHER
DODOSTDIENST
57. Jahrgang / Nr. 03/2015
Nachrichtenmagazin des Bundes der Vertriebenen
Gedenken an die Opfer
von Flucht und Vertreibung
Politik:
Verband:
Kanzlerin an der Seite
der Vertriebenen
Erika Steinbach
Ehrenpräsidentin
Stationen der Wanderausstellungen 2015
Zentrum
GeGen
VertreibunGen
Angekommen
Die Integration der Vertriebenen in Deutschland
Donauschwäbisches Zentralmuseum
22. Mai bis 20. September 2015
Schillerstraße 1, 89077 Ulm
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr
Westpreußisches Landesmuseum
25. Juli bis 27. September 2015
Klosterstraße 21, 48231 Warendorf
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Eintritt: 4,00 €, ermäßigt 2,50 €, Familienkarte 7,00 €
Erzwungene Wege
Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts
Aichach-Friedberg
Kreisgut Aichach
13. Juli bis 14. August 2015
Am Plattenberg 12, 86551 Aichach
Öffnungszeiten:
Während der regulären Geschäftszeiten
Landkreis Waldeck-Frankenberg – Kreishaus Korbach
16. September bis 31. Oktober 2015
Südring 2, 34497 Korbach
Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag 08.00 Uhr bis 16.00 Uhr
Freitag 08.00 bis 13.00 Uhr
Landratsamt Kitzingen
19. August bis 13. September 2015
Kaiserstraße 4, 97318 Kitzingen
Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag 08.00 Uhr bis 12.00 Uhr
Montag und Dienstag 13.00 Uhr bis 15.30 Uhr
Donnerstag von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr
Freitag von 08.00 Uhr bis 12.00 Uhr
Die Gerufenen
Deutsches Leben in Mittel- und Osteuropa
Alle Ausstellungen können gebucht werden.
Informationen dazu unter Tel.: 0228/8100730
DOD 01/2015
Editorial
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Liebe Leserinnen und Leser,
im Bundesgesetzblatt vom 14. Oktober 2014 findet sich auf Seite 1599 die „Bekanntmachung über den Beschluss der
Bundesregierung zur Einführung eines jährlichen Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ vom 6. Oktober, gezeichnet von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der Gedenktag
wird auf den 20. Juni festgelegt. Mit der Veröffentlichung wurde der Beschluss amtlich und der Gedenktag somit erstmalig am 20. Juni 2015 festlich begangen.
Die Bundesregierung lud dazu nach Berlin. Mit dem Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums fand man für den
Festakt einen eindrucksvollen Ort, mit den geladenen Gästen – unter ihnen viele Zeitzeugen – einen würdigen Rahmen.
Bundespräsident Joachim Gauck hielt eine bewegende Rede, als deren roter Faden sich das Gedenken an die deutschen
Opfer der Vertreibungen und der Flucht vor 70 Jahren herauskristallisierte. „Zum ersten Mal gedenkt Deutschland an
einem offiziellen bundesweiten Gedenktag jener Millionen von Deutschen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges zwangsweise ihre Heimat verloren.“ Mit diesen Worten bestätigte der Bundespräsident, dass nunmehr diese langjährige Forderung des BdV, Deutschland möge seiner Opfer angemessen und empathisch gedenken, umgesetzt wurde. „Mit welcher
Begründung können wir den eigenen Müttern und Großmüttern jene Empathie verweigern, die wir den vergewaltigten
Frauen in Bosnien zu Recht entgegenbringen? Die Erfahrung aktuellen Unrechts hat dazu beigetragen, dem weit Zurückliegenden mit neuer Empathie zu begegnen“, so der Bundespräsident weiter. Wir dokumentieren seine Rede im Wortlaut
in diesem Heft.
Gleichzeitig verwehrt er mit seiner klaren Botschaft den geschichtsvergessenen Kreisen in Deutschland, die Meinungsoder gar Deutungshoheit über den Festakt und den gesamten Gedenktag zu übernehmen. Dass im Nachgang des Festaktes der Tenor der medialen Berichterstattung trotzdem überwiegend die aktuelle Flüchtlingsproblematik in den Vordergrund rückt, ist nicht nur Ausdruck eines selektiven Journalismus‘, sondern konterkariert auch die bemerkenswerte
Aussage des Bundesinnenministers, „dass wir als Land und Gesellschaft erwachsen geworden sind, auch im Umgang mit
dem Thema Heimatvertriebene“.
Im Namen aller deutschen Heimatvertriebenen, Zwangsarbeiter, Aussiedler und Spätaussiedler, die noch bis 1989 unter
massiven Repressalien in den Heimatländern gelitten haben, danke ich der Bundesregierung dafür, den Gedenktag
beschlossen, eingesetzt und würdig begangen zu haben. Diesen Gedenktag war Deutschland den eigenen Opfern schuldig!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bernd Fabritius MdB
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Inhalt
DOD 03/2015
Kanzlerin stellt sich erneut
an die Seite der Vertriebenen
Die Bundesregierung steht auch künftig an der Seite der Vertriebenen – in guten Stunden, aber auch,
wenn es einmal ein Problem zu lösen gilt.“ So beendete Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB ihre
äußerst zugewandte und mit starkem Applaus bedachte Rede beim Jahresempfang des Bundes der
Vertriebenen am 5. Mai 2015 im Atrium des Hauses der Bundespressekonferenz in Berlin. Wie wichtig ihr gerade dieses Schlusswort gewesen sein mag, zeigte sich, als sie danach spontan auf einige der anwesenden VerbandsmitSeite 5
glieder zuging, diese persönlich begrüßte und sich nach deren Herkunft erkundigte. Bundesversammlung will
Geste für Zwangsarbeiter
Keine Überraschungen, aber durchaus Neuigkeiten brachte die diesjährige Bundesversammlung des
BdV, die im Vorfeld des Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 19. Juni im Berliner
Hotel Hamburg stattfand. Die diesjährige Bundesversammlung des BdV dankte Erika Steinbach für ihr
Wirken, in dem ihr das oberste Beschlussorgan des Verbandes spontan die Ehrenpräsidentschaft verlieh. In einem Entschließungsantrag forderten die Delegierten den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung auch auf,
endlich für die Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter Sorge zu tragen.
Seite 8
Gedenken an die Opfer
von Flucht und Vertreibung
Am Morgen des 20. Juni 2015. Heute – am Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen – wird der
erste deutschlandweite Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung um 11 Uhr zentral mit
einer Gedenkstunde im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums in Berlin begangen. Fast
zehn Monate ist es jetzt her, dass die Bundesregierung dieses Gedenken beschlossen und damit ein
lange und immer wieder von den deutschen Heimatvertriebenen und ihren Verbänden vorgebrachtes Anliegen umgesetzt hat.
Seite 9
Sudetendeutscher Tag:
Menschenrechte ohne Grenzen
Mehr junge Teilnehmer und viele, die zum ersten Mal kamen, mehr Besucher aus der Tschechischen
Republik als jemals zuvor und mehr Aussteller prägten den 66. Sudetendeutschen Tag zu Pfingsten in
Augsburg. 70 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und dem Beginn der Vertreibung der Deutschen
aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien entfaltete das traditionelle Pfingsttreffen der Sudetendeutschen eine unerwartete Anziehungskraft.
Seite 26
Flucht,Vertreibung, Deportation
Als Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) begrüßte der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion im Deutschen Bundestag Volker Kauder MdB am 9. Juni 2015 in Berlin ein zahlreiches und
interessiertes Publikum zu dem gemeinsam von der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV) und
der KAS organisierten Symposium „Flucht, Vertreibung, Deportation – Das Schicksal der Deutschen
im Osten nach dem Ende das Zweiten Weltkrieges“. Unter den Besuchern in der Konrad-AdenauerStiftung waren viele Zeitzeugen.
Titel: Henning Schacht (1)
Seite 30
BdV-Archiv (6); Henning Schacht (1); Flögel (1)
DOD 03/2015
Politik
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Kanzlerin stellt sich erneut
an die Seite der Vertriebenen
Zum achten Mal besuchte Angela Merkel den Jahresempfang des BdV
Die Bundesregierung steht auch
künftig an der Seite der Vertriebenen – in guten Stunden, aber auch,
wenn es einmal ein Problem zu
lösen gilt.“ So beendete Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB
ihre äußerst zugewandte und mit
starkem Applaus bedachte Rede
beim Jahresempfang des Bundes
der Vertriebenen am 5. Mai 2015 im
Atrium des Hauses der Bundespressekonferenz in Berlin. Wie wichtig
ihr gerade dieses Schlusswort
gewesen sein mag, zeigte sich, als
sie danach spontan auf einige der
anwesenden
Verbandsmitglieder
zuging, diese persönlich begrüßte
und sich nach deren Herkunft
erkundigte. Es war bereits das achte Mal, dass Angela Merkel am Jahresempfang teilnahm und vor etwa
250 Gästen aus Politik, Wirtschaft,
Kirche und Kultur sprach.
ie Erinnerung an das Schicksal der
D
von Flucht und Vertreibung Betroffenen bleibe auch weiterhin „Mahnung
und Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass
uns und künftigen Generationen ein solches Leid erspart bleibt“, hatte Merkel
vorher deutlich gemacht. Auch vor dem
Hintergrund heutiger Flüchtlingsströme
sei es daher gut, dass mit dem bundesweiten Gedenken an die deutschen
Opfer von Flucht und Vertreibung am
20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, die
öffentliche und politische Wahrnehmung der Themen Flucht und Vertreibung gestärkt werde.
„Wir rufen das Leid in
Erinnerung“
„Wir rufen das Leid durch den Verlust
von Heimat und von Angehörigen in
Erinnerung, das auf dem Weg ins Unge-
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen im
Haus der Bundespressekonferenz in Berlin.
wisse millionenfach durchlebt wurde.
Und wir würdigen, was Vertriebene für
den Wiederaufbau Deutschlands in den
Nachkriegsjahren geleistet haben“, so
die Bundeskanzlerin. Genauso wichtig
seien die Kulturarbeit, aber auch die vielen Brücken, die Vertriebene und Aussiedler in ihre Heimatgebiete bauten:
„Die Schicksale, die Millionen Deutsche
durch Flucht und Vertreibung erlitten
haben, sind auch für uns heute Mahnung und Auftrag, dafür Sorge zu tragen,
dass uns und künftigen Generationen
solches Leid erspart bleibt. Die beste Antwort auf die Herausforderung der Sicherung von Frieden, Freiheit und Stabilität
ist und bleibt die europäische Einigung.
Daher brauchen wir Brückenbauer,
wie wir sie auch und gerade in Ihren Reihen finden. Viele von Ihnen engagieren
sich in der Heimat Ihrer Vorfahren. Sie
unterstützen die Restaurierung von Kirchen oder den Aufbau von Begegnungsstätten und Bibliotheken. Sie organisieren Ausstellungen, Symposien und Studienfahrten. So unterhalten Sie vielfälti-
ge Kontakte zu unseren europäischen
Nachbarn. Für dieses breite und unermüdliche Engagement danke ich Ihnen
herzlich. Sie helfen mit, die Erinnerung
an die Vergangenheit wachzuhalten, die
Verbindung zur Heimat und zu den
Deutschen in mittel- und osteuropäischen Staaten zu pflegen und denen zur
Seite zu stehen, die zu uns kommen.
Das Verständnis, für eine gute Zukunft
zu sorgen, indem wir uns der Verantwortung für die Vergangenheit bewusst
sind – das ist von Generation zu Generation immer wieder aufs Neue zu pflegen,
mögen sich auch die jeweiligen Perspektiven ändern. Dafür stehen auch die
Wechsel an der Spitze des Bundes der
Vertriebenen.
In den 90er Jahren folgten auf Herbert
Czaja im Präsidentenamt zuerst Fritz
Wittmann und dann Erika Steinbach, die
wir hier heute ganz herzlich begrüßen.
Das war ein erster Generationenwechsel. Auf diejenigen, die Krieg und Vertreibung als Erwachsene oder Jugendliche
unmittelbar erlebt hatten, folgten diejeni-
6
gen, deren Lebensgeschichte von der
Nachkriegszeit und den Anstrengungen
der Integration geprägt war.“
Das diesjährige Leitwort des Bundes
der Vertriebenen „Vertreibungen sind
Unrecht – gestern wie heute“, spanne
einen Bogen „von den Flüchtlingsdramen der Vergangenheit zu denen der
Gegenwart, Historisches und Aktuelles
zueinander in Beziehung zu setzen und
beides gleichermaßen in den Blick zu
nehmen“, wie Merkel es ausdrückte, sei
ein Ansatz, den die Bundesregierung
und der BdV teilen.
Es sei natürlich kaum damit zu vergleichen, so die Kanzlerin, „wie schwer es
Vertriebene in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, fern der Heimat
neu Fuß zu fassen. Doch auch diejenigen, die heute aus den Staaten Mittelund Osteuropas zu uns kommen, haben
mit großen Eingewöhnungsschwierigkeiten zu kämpfen. Daher arbeiten wir
daran, dass sie sich aufgenommen fühlen
und gute Startbedingungen vorfinden.
Dies gilt umso mehr, als wir Ende 2013
die Möglichkeiten für den Familiennachzug bei Spätaussiedlern erleichtert
haben. Der Zuzug hat sich daraufhin
mehr als verdoppelt – auf über 5.600
Menschen im vergangenen Jahr.“
Menschenrechte und
Empathie einfordern
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius
MdB wies in seinen Begrüßungsworten
darauf hin, dass das diesjährige Leitwort
„leider brandaktuell“ sei. Hinter jeder
Politik
DOD 03/2015
eingeforderten Frieden in einem vereinigten Europa zu sichern.
Fortschritt und Aufbruch
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB
konnte zahlreiche Ehrengäste im Atrium im
Haus der Bundespressekonferenz begrüßen.
der öffentlich gewordenen Flüchtlingszahlen ständen schließlich „ebenso viele
Einzelschicksale, deren Leidensweg viele Mitmenschen in Deutschland nur
erahnen können.“
Auch darum gelte es, von Verbandsseite aus immer wieder „Menschenrechte
und Gesten der Empathie für Vertriebene und Flüchtlinge, für Opfer von
Gewalt und Terror einzufordern, Vertreibungen als politisches Machtinstrument
zu ächten, das kulturelle Erbe der Vertriebenen zu erhalten und die gesamtgesellschaftliche Erinnerung an unser
Schicksal zu fördern“, so Fabritius. Dieser Einsatz trage dazu bei, den schon
weitblickend in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950
„Insgesamt erleben wir – und das
möchte ich besonders betonen – wie viel
mehr unter dem Dach der Schritt um
Schritt erweiterten Europäischen Union
heute möglich ist. Was vor 25 Jahren
noch undenkbar war und vor 10 Jahren
noch als unmöglich galt, ist heute machbar.
Nach Medienberichten befindet sich
der BdV auf „Modernisierungskurs“.
Nun, Fortschritt und Aufbruch sind
sicherlich gut. Aber man darf dabei nicht
alles über Bord werfen, was über Jahrzehnte historisch gewachsen ist. Der
BdV ist nach wie vor der einzig repräsentative Dachverband der Vertriebenen
und Spätaussiedler. Seine Aufgaben und
Ziele sind klar definiert. Gestern wie
heute ging und geht es darum, durch
zeitgemäße Herangehensweise den Dialog nach innen und nach außen zu führen.
Immer wieder werben wir dafür,
• Menschenrechte und Gesten der
Empathie für Vertriebene und
Flüchtlinge, für Opfer von Gewalt
und Terror einzufordern, Vertreibungen als politisches Machtinstrument zu ächten,
• das kulturelle Erbe der Vertriebenen zu erhalten
• und die gesamtgesellschaftliche
Erinnerung an unser Schicksal zu
fördern.
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius konnte zahlreiche Ehrengäste begrüßen, so den Vorsitzenden der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler
und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Klaus Brähmig (l.), den russlanddeutschen Abgeordneten Heinrich Zertik
(M.) und den Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minder­heiten Hartmut Koschyk (r.).
BdV-Archiv (6)
DOD 03/2015
Damit wollen wir zum Frieden im vereinigten Europa beitragen, den unsere
Charta bereits 1950 visionär eingefordert hat.
Sie alle, meine Damen und Herren,
können uns dabei zur Seite stehen. Wir
haben großen Rückhalt, und wir brauchen auch Unterstützung aus Politik
und Gesellschaft. Niemand hat jemals
genug Fürsprecher. Ich hoffe, dieser
Abend dient dazu, dass wir in fruchtbaren Gesprächen viele weitere Mitstreiter
gewinnen.
Deshalb – und um gemeinsam miteinander, aber auch um gut und fair übereinander zu sprechen – sind wir heute
hier“, schloss BdV-Präsident Dr. Fabritius
seine Ansprache.
Dank an Erika Steinbach
Sowohl Fabritius als auch Merkel
nutzten die Gelegenheit, die ebenfalls
anwesende, ehemalige BdV-Präsidentin
Erika Steinbach MdB für deren 16-jährige Verbandsführung zu würdigen. Durch
Steinbachs Arbeit seien viele der nun
Wirklichkeit werdenden Projekte erst
angestoßen worden, so die einhellige
Meinung.
Prominente Gäste des Jahresempfangs
waren u.a. Altbundespräsident Christian
Wulff, der Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur Alexander
Dobrindt MdB, der Bundesminister für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung Gerd Müller MdB, die
Beauftragte der Bundesregierung für
Kultur und Medien, Staatsministerin
Prof. Monika Grütters MdB, der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
Hartmut Koschyk MdB, der Vorsitzende
der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler
und deutschen Minderheiten der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion Klaus Brähmig
MdB, der Vorsitzende des Netzwerks
Aussiedler der CDU Heinrich Zertik
MdB, der Vorsitzende des Verbandes der
Deutschen in Polen Bernard Gaida und
der ungarische Botschafter Dr. József
Czukor.
Die Gäste freuten sich im Anschluss
an die Ansprachen von Bundeskanzlerin
Angela Merkel und des BdV-Präsidenten
Dr. Bernd Fabritius über die Möglichkeit
fruchtbarer Gespräche und eines lebhaften Gedankenaustausches.
Marc-P. Halatsch/Markus Patzke
Politik
7
Spontan ging die Kanzlerin nach ihrer Ansprache auf einige der anwesenden Verbandsmitglieder zu und begrüßte diese persönlich.
Applaus für die Rede der Bundeskanzlerin: BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB, der
Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Alexander Dobrindt MdB, die Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen Erika Steinbach MdB, der Vorsitzende
des Netzwerks Aussiedler in der CDU Heinrich Zertik MdB, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB, BdV-Vizepräsident Stephan Grigat und BdV-Vizepräsident Albrecht Schläger
(v.l.n.r.).
Altbundespräsident Christian Wulff, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien, Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB und BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius
MdB (v.l.n.r.).
8
Politik
DOD 03/2015
Bundesversammlung will
Geste für Zwangsarbeiter
Erika Steinbach einstimmig zur Ehrenpräsidentin gewählt
Berlin. (dod) Keine Überraschungen,
aber durchaus Neuigkeiten brachte die
diesjährige Bundesversammlung des
BdV, die im Vorfeld des Gedenktages für
die Opfer von Flucht und Vertreibung
am 19. Juni 2015 stattfand.
„Liebe Frau Steinbach, 16 Jahre lang
waren Sie als Präsidentin des BdV tätig
und haben ihm Gesicht und Stimme verliehen. Selbstbewusst und mit klaren
Worten haben Sie sich für die Rechte
und Belange der Vertriebenen eingesetzt. Das hat Ihnen Anerkennung, aber
auch Kritik und sogar Anfeindung eingebracht. Davon haben Sie sich aber nicht
beirren lassen. Sie sind dem Anliegen
treu geblieben, das Wissen über das
Schicksal der Heimatvertriebenen lebendig zu halten. Viele Projekte zeugen
davon. Deshalb noch einmal ganz herzlichen Dank dafür“, so formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai
beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen. Die diesjährige Bundesversammlung des BdV dankte Erika Steinbach für ihr Wirken, indem ihr das
oberste Beschlussorgan des Verbandes
spontan die Ehrenpräsidentschaft verlieh.
Zuvor hatte BdV-Präsident Dr. Bernd
Fabritius MdB die ersten Monate seiner
Amtszeit Revue passieren lassen. Er sei
jetzt ein gutes halbes Jahr Präsident im
Dienste des BdV; es sei ein schönes Amt
mit sehr verantwortungsvollen Aufgaben, in dessen vielfältige Themenpalette
er sich bereits als Vizepräsident habe einarbeiten können. Zugleich konnte er
auch bereits erste Neuerungen präsentieren, etwa die überarbeitete Außendarstellung des Verbandes, die luftiger und
leichter sei und sich vor allem auch an
die jüngere Generation wende. Er forderte die Mitgliedsverbände auf, sich dieses neuen Logos zu bedienen und damit
die gemeinsame Identität auch nach
außen sichtbar werden zu lassen.
Das inhaltliche Schwerpunktthema
der Bundesversammlung war die Entschädigung für deutsche Zwangsarbeiter.
Bereits in seinem Bericht hatte der BdVPräsident darauf hingewiesen, dass es
ein Gebot der Gerechtigkeit und eine
humanitäre Geste gegenüber deutschen
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern sei, einen Entschädigungsfonds –
wie ihn der BdV fordere – zu errichten.
Das war dann auch der Titel einer Resolution, die die Bundesversammlung einstimmig verabschiedete. Es sei an der
Zeit, dass auch diese Opfergruppe, von
Lebenszeit und Lebensqualität gekostet.
Heute sind nur noch zwischen 10.000
und 20.000 der zur Zwangsarbeit Herangezogenen über 80-Jährigen unter uns
und können von den unmenschlichen
und brutalen Haft-, Lager- und Lebensbedingungen und ihren bis heute nicht
überwundenen Traumata berichten“,
heißt es in der Resolution.
„Diese Schicksale, die weit über das
allgemeine Kriegsfolgenschicksal hinausgehen, sind Teil vieler deutscher Familiengeschichten. Die Betroffenen bedür-
Einstimmig wurde Erika Steinbach MdB von den Delegierten der Mitgliedsverbände des
Bundes der Vertriebenen zur Ehrenpräsidentin gewählt.
der nur noch wenige Vertreter lebten,
aus einem Entschädigungsfonds eine
gerechte Entschädigung erführen. Daran
könn-ten sich auch die Staaten beteiligen, die Zwangsarbeit angeordnet und
Unternehmen, die aus der Zwangsarbeit
Nutzen gezogen hätten.
„Deutsche Zwangsarbeiter waren vor
allem Frauen, alte Menschen und Kinder, die verschleppt und unter
unmenschlichen Bedingungen zur
Arbeit gezwungen wurden. Tod, Kälte,
Hunger, Krankheit und Entkräftung
haben vielen das Leben, allen aber
fen endlich deutlicher Gesten der Anerkennung und Würdigung durch
Deutschland, für das sie stellvertretend
in Haftung genommen wurden, die in
der Höhe nicht hinter vergleichbaren
Entschädigungsregelungen zurückfallen
dürfen.“ Der BdV wirbt dafür, per Gesetz
eine entsprechende Entschädigungsregelung herbeizuführen. Im Hinblick auf die
Unteilbarkeit der Menschenrechte können der Verstöße gegen grundlegende
Menschenrechte nicht unterschiedlich
bewertet werden.
Markus Patzke
BdV-Archiv (1); Henning Schacht (1)
DOD 03/2015
Politik
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Gedenken an die Opfer von
Flucht und Vertreibung
Eine Gedenkstunde in Berlin – Beobachtungen
Am Morgen des 20. Juni 2015. Heute – am Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen – wird der erste
deutschlandweite Gedenktag für
die Opfer von Flucht und Vertreibung um 11 Uhr zentral mit einer
Gedenkstunde im Schlüterhof des
Deutschen Historischen Museums
in Berlin begangen. Fast zehn
Monate ist es jetzt her, dass die
Bundesregierung dieses Gedenken
beschlossen und damit ein lange
und immer wieder von den deutschen Heimatvertriebenen und
ihren Verbänden vorgebrachtes
Anliegen umgesetzt hat.
D
er kurze Blick in die Wettervorhersage einer großen Berliner Stadtzeitung lässt nichts Gutes erahnen: Immer
wieder soll es Niederschläge geben,
gewittern gar. Regen hat zwar keine
Chance, im glasbedachten Hof des wunderbaren, unter anderem vom Danziger
Architekten Andreas Schlüter und vom
Insterburger Baumeister Martin Grünberg entworfenen, barocken Zeughauses
auch nur einen Gast zu belästigen, könnte aber die positive Grundstimmung verleiden. Die Freude, die Befriedigung, die
Erleichterung, die Befreiung, 70 Jahre
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
und etwa 70 Jahre nach dem Beginn
von Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihren Heimatgebieten endlich auch gesamtgesellschaftlich
des Leides der Betroffenen gedenken zu
können.
Wie so oft in diesem wechselhaften
Jahr irrt der Wetterbericht – zumindest
bis zum Nachmittag, als die Gedenkstunde lange vorbei sein wird. Strahlende Sonne, blauer Himmel und einige
schnell durchziehende Wolkenfelder
erzeugen eine freundliche und warme
Atmosphäre im für die Gedenkstunde
festlich geschmückten Hof. Das Bundes-
Bundespräsident Joachim Gauck spricht im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums (DHM) anlässlich des Gedenktages.
ministerium des Innern hat die Veranstaltung organisiert. Für die durchweg
geladenen Gäste sind etwa 400 Stühle
aufgestellt worden. Freier Einlass ist aus
den üblichen Sicherheitserwägungen
nicht möglich, da als Hauptredner
immerhin der Bundespräsident angekündigt ist. Nicht durch Masse, sondern
durch den Inhalt, durch die persönliche
Begegnung im Nachhinein und durch
die Medienpräsenz soll der Gedenkstunde also nach außen wirken.
Eine Brücke vom damaligen
zum heutigen Leid
Viele der eingeladenen Zeitzeugen von
Flucht und Vertreibung haben den für
sie oft beschwerlichen Weg ins Zeughaus auf sich genommen. Auch heutige
Vertriebene und Flüchtlinge, die aus verschiedenen Teilen der Welt nach
Deutschland gekommen sind, haben
sich eingefunden, denn an diesem Tag
soll eine Brücke gespannt werden von
damaligem zu heutigem Leid.
Aus den Gesprächen am Rande wird
eine Anspannung deutlich, in der auch
jede vorab mancherorts vernommene
Kritik eine Zeitlang zu verstummen
scheint und in den Schatten tritt. Es wird
als positiv empfunden, dass der Bundespräsident heute persönlich sprechen
wird und daher dem Thema wohl große
Bedeutung beimesse. Es sei ein wichtiges Zeichen an die betroffenen Deutschen, dass auch einer Zeitzeugin Raum
gegeben werde, über ihre Vertreibung
und ihre Erfahrungen zu berichten,
heißt es anderswo. Noch weiß niemand
Genaueres über die Reden.
Unterdessen sind auch viele bekannte
Gesichter aus der Politik und aus dem
Bund der Vertriebenen (BdV) zu entdecken. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius
MdB etwa, ein Siebenbürger Sachse,
spricht gerade mit den anwesenden Mitgliedern des BdV-Präsidiums. Er wird
heute die Schlussrede halten. Seine
Amtsvorgängerin Erika Steinbach MdB,
die in Westpreußen geboren wurde, ist
ebenfalls anwesend. Sie hat sich jahrelang vehement für den Gedenktag einge-
10
setzt. Auch für dieses Engagement haben
die Delegierten der BdV-Bundesversammlung am Vortag einstimmig einem
Antrag zugestimmt, ihr die BdV-Ehrenpräsidentschaft zu verleihen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten
Hartmut Koschyk MdB ist zu sehen –
ein Sohn oberschlesischer Vertriebener
und ehemaliger BdV-Generalsekretär. Als
amtierender Bundesratspräsident ist
Hessens Landesvater Volker Bouffier
MdL gekommen, dessen Mutter eine
Donauschwäbin war. Vor dem Hintergrund der gerade erst bekannt gewordenen, weltweiten Flüchtlingszahlen –
aktuell sind es fast 60 Millionen Menschen – ist die Anwesenheit von Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter
Steinmeier MdB, dessen Mutter aus
Breslau vertrieben wurde, ein deutliches
Zeichen aus dem Auswärtigen Amt. In
der ersten Reihe sitzt bereits Dr. Edith
Kiesewetter-Giese aus dem Sudetenland.
Stellvertretend für die Erlebnisgeneration wird sie als Zeitzeugin heute über
ihre Vertreibung sprechen. Zwei Plätze
weiter nimmt Asma Abubaker Ali Platz,
eine junge Frau, die mit ihrer Familie aus
Somalia geflohen ist und 2012 im Rahmen des UNHCR-Resettlement-Programms aus dem Flüchtlingslager
Politik
DOD 03/2015
Vor der Veranstaltung (v.l.n.r.): Der OMV-Bundesvorsitzende Helmut Sauer, der VdG-Vorsitzende Bernard Gaida, Innenminister Thomas de Mazière, BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius
und der Bundesbeauftragte Hartmut Koschyk.
floh. Unter stehendem Applaus begrüßen die Gäste schließlich Bundespräsident Dr. h.c. Joachim Gauck.
Die Gedenkstunde beginnt mit John
Williams‘ „Thema“ aus Steven Spielbergs Film über Oskar Schindler, der
während des Zweiten Weltkrieges etwa
1.200 jüdische Zwangsarbeiter vor der
Ermordung durch die Nationalsozialisten rettete. Die musikalische Gestaltung übernimmt das „Deutsch-Polnische Jugendorchester“ der
Musikschule
Frankfurt
(Oder). Es ist ein eindringlicher Beginn, der sofort
deutlich macht, worum es
heute neben dem Opfergedenken auch gehen soll:
um Schuld und um grenzüberschreitende Verständigung.
Aus der dem Anlass angemessenen,
würdigen
Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier MdB im Begrüßung durch den BunGespräch mit Renate Zajączkowska, der Vorsitzenden der desinnenminister bleibt ein
Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in Breslau.
Detail besonders in Erinnerung: Weltkunde entstehe
Choucha in Tunesien nach Deutschland erst aus Heimatkunde, die Welt werde
geholt wurde. Sie wird über ihre Flucht erst erklärbar über die Erkenntnis des
und ihre Ankunft hier berichten. Bun- eigenen Seins, zitiert Thomas de Maizière
desinnenminister Dr. Thomas de Maizi- den ostpreußischen Schriftsteller Siegère MdB, der als Gastgeber die Begrü- fried Lenz. Die eigene Geschichte zeige,
ßungsrede halten wird, trifft ein. Er ent- dass man politische Auseinandersetzunstammt einer hugenottischen Flücht- gen niemals auf dem Rücken der von
lingsfamilie, die im 17. Jahrhundert aus Flucht und Vertreibung Betroffenen fühder Nähe von Metz nach Brandenburg ren dürfe. Ein sehr guter Beginn.
Wahrhaft historisch sind die Worte des
Bundespräsidenten. Joachim Gauck
nimmt sich Zeit. In fast einer Dreiviertelstunde Redezeit findet er eine mögliche
Erklärung dafür, dass dem Gedenken an
die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung erst nach so vielen Jahren ein
fester Platz im Gedächtnis der Nation
gegeben wird. Er spricht über die Entwicklung Deutschlands in den Nachkriegsjahren. Einfühlsam zeichnet er den
schweren Weg der Heimatvertriebenen
und Flüchtlinge sowie die Bedingungen
ihrer Ankunft nach, spricht aber auch
über die nationalsozialistischen Verbrechen, deren notwendige, aber langwierige Aufarbeitung und Verankerung im
Bewusstsein unserer Gesellschaft viel
Zeit erfordert hätten und das Schicksal
der Vertriebenen in den Hintergrund
hätten rücken lassen. Erst neue Kriege,
neues Leid und öffentlich bekundetes
Mitgefühl mit neuen Opfern hätten die
eigene deutsche Opfergeschichte wieder
mehr in den Fokus gerückt. Der Bundespräsident beschreibt die weltweite
Flüchtlingslage und die Aufnahme
Betroffener in Deutschland. Dabei macht
er nicht nur Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zwischen der heutigen
Zeit und der Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg aus, sondern zeigt auch mögliche Grenzen gesellschaftlicher Aufnahmebereitschaft. Gauck redet seinem
Volk ins Gewissen: Er wünsche sich eine
Erinnerung, in der Platz für Trauer,
Schuld und Scham ist sowie eine GesellLukasz Bily/VdG (2); BdV-Archiv (1)
DOD 03/2015
schaft, die selbstbewusst in den Herausforderungen der Zukunft auch ihre
Chancen erkennt und – aufgrund der
eigenen Geschichte oder wegen der
heutigen Erfahrungen – Empathie für
sämtliche Opfer von Flucht und Vertreibung aufbringt.
Verzeihen, nicht vergessen
Gaucks Rede wirkt nach. Das Orchester beginnt schon während des lange
anhaltenden Applauses mit dem nächsten Musikstück: „Oblivion“ – Vergessenheit – von Astor Piazzolla. Das Werk
lässt Raum für eine kurze geistige Entspannung. In den hinteren Reihen tippen einige Journalisten weiter auf ihren
Laptops. Ob es ihnen im begrenzten
Rahmen heutiger Berichterstattung
gelingen wird, die Schwerpunkte dieser
sehr inhaltsreichen Rede des Bundespräsidenten und die Eckpunkte der Gedenkstundees umfassend wiederzugeben?
Werden die Fernsehnachrichten, mit
ihren 5- bis 30-minütigen Sendezeiten
über sämtliche wichtigen Ereignisse der
ganzen Welt, hierzu in der Lage sein?
Dies wird sich erst im Laufe der Berichterstattung zeigen.
Mit Asma Abubaker Ali kommt nun
die erste persönlich Betroffene zu Wort.
Bewegend schildert sie die zweifache
Flucht ihrer Familie – zunächst aus
Somalia, als die Familie Zuflucht in Libyen fand, und dann – Jahre später, als der
sogenannte
„Arabische
Frühling“
begann, die Militärdiktatur Muammar
al-Gaddafis zusammenbrach und Gewalt
und
Misshandlungen
gegenüber
Schwarzafrikanern zunahmen – aus
Angst in ein tunesisches Flüchtlingscamp, wo sich die Lage bereits wieder
beruhigt hatte. Von dort kam sie dann
über ein Umsiedlungsprogramm der Vereinten Nationen nach Deutschland, wo
sie nun hofft, Medizin studieren zu dürfen.
Von der Angst, erschlagen oder
erschossen zu werden, weiß auch Edith
Kiesewetter-Giese zu berichten, deren
Vertreibung aus dem Sudetenland nun
etwa 70 Jahre zurückliegt. Zehn Jahre
war sie alt, als sie erleben musste, wie
Soldaten Säuglinge aus den Kinderwagen rissen und „zum Tontaubenschießen“ in die Luft warfen. Ruhig sagt sie,
sie könne heute davon sprechen, aber es
wird klar, dass sie noch immer von dem
Politik
gequält wird, was sie nicht schildern
kann: den Geräuschen, dem Schreien
der Kinder und Mütter, dem Lachen der
Peiniger. Erfahrenes Unrecht könne man
vielleicht verzeihen, erklärt sie, jedoch
nie vergessen. An diesem Gedenktag
bekämen die Vertriebenen aber ein kleines Stückchen Würde zurück.
Als Kiesewetter-Giese das Rednerpult
verlässt, erklingt „Ein Tag“ von Wolfgang
Schumann. Erneut eine Gelegenheit,
das Gehörte zu verinnerlichen. Wieder
einmal wächst die Überzeugung, dass
Zeitzeugenberichte wichtig sind und
unbedingt gesammelt und aufbewahrt
werden müssen. Die authentischen Darstellungen persönlich Betroffener können wie kaum ein anderes Dokument
die Lehre des „Nie wieder!“ vermitteln
– eben weil sie erfahrbar werden lassen,
wie es damals war.
Zuletzt spricht BdV-Präsident Bernd
Fabritius. Er beginnt sein wohl durchdachtes Schlusswort mit einer Darstel-
11
felsfrei herausgestellt, dass auch die Vertreibung der deutschen Zivilbevölkerung
ein Verbrechen gewesen sei, für das
weder Kollektivschuld noch Rechtfertigungstheorien geltend gemacht könnten, schließt Fabritius mahnend.
Ihre Geschichte ist nicht in
Vergessenheit geraten
Als der BdV-Präsident wieder an seinem Platz ist und die Nationalhymne
erklingt, wirkt das gemeinsame Singen
wie eine Bekräftigung sämtlicher soeben
gehörter Reden. Unter dem gläsernen
Dach des Schlüterhofes haben sich frühere und heutige Opfer von Flucht und
Vertreibung versammelt. Sie alle haben
erfahren, dass ihre Geschichte nicht in
Vergessenheit geraten und jedes der sehr
verschiedenen Einzelschicksale im
Gedenken angemessen gewürdigt werden soll.
Der Bundespräsident nach der Gedenkstunde im Gespräch mit (v.l.) Dr. Bernd Fabritius, den
BdV-Vizepräsidenten Albrecht Schläger und Christian Knauer und dem OMV-Bundesvorsitzenden Helmut Sauer.
lung des Massakers von Prerau, das fast
auf den Tag genau vor 70 Jahren
geschah. Mehr als einen Monat nach
Kriegsende waren dort 265 Kinder, Frauen und Männer – in der Überzahl Karpatendeutsche – von Soldaten der tschechoslowakischen Armee ermordet worden. Er weist auf die vielen anderen
deutschen Opfer hin, an die erinnert
werden müsse. Dies relativiere doch
nicht die deutsche Kriegsschuld. Durch
die Verbindung des Gedenkens mit dem
Weltflüchtlingstag werde endlich zwei-
Die Gelegenheit, nun ohne Scham und
Berührungsängste einige Zeit miteinander zu sprechen, nehmen viele der Anwesenden dankbar an – vom Staatsoberhaupt über Bundesminister und Abgeordnete bis hin zu Zeitzeugen von damals,
Flüchtlingen von heute und Jugendlichen
aus dem grenzüberschreitenden Jugendorchester. Dies macht diesen Veranstaltung noch zusätzlich zu einem gelungenen Auftakt für alle zukünftigen Gedenktage für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Marc-P. Halatsch
12
Politik
DOD 03/2015
Weltkunde entsteht
aus Heimatkunde
Der Bundesminister des Innern Dr.Thomas de Mazière zum Gedenktag
Wir begehen heute – 70 Jahre nach
Ende des Zweiten Weltkrieges – zum
ersten Mal in Deutschland den Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Warum erst jetzt? Es gab sicher
viele Gründe.
Wir alle erinnern uns an die mitunter
erbitterten Debatten, in denen es um
Grenzen ging, um den Vorwurf des Revisionismus, das große Thema Schuld und
auch das zu Beginn sehr fragile Verhältnis zu unseren osteuropäischen Nachbarn, besonders zu Polen.
Dass Flucht und Vertreibung der Deutschen auch die Folge des zuvor von
Deutschen über Europa gebrachten
Unrechts waren, machte für manche
den Umgang mit dem Leid der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen
schwierig.
In der DDR wurde offiziell sogar überhaupt nicht mehr von „Flüchtlingen und
Vertriebenen“ gesprochen. Beschönigend nannte man sie „Umsiedler“.
Es dauerte 30 Jahre, bis Christa Wolf
mit dieser Vorgabe brach: In ihrem
Roman „Kindheitsmuster“ (1976)
sprach sie erstmalig nicht mehr von
„Umsiedlung“, sondern von „Flucht“.
Politische Instrumentalisierung der Vertreibung
Im Zuge der politischen Instrumentalisierung von Flucht und Vertreibung
rückte die Frage nach dem Leiden der
einzelnen Opfer zunehmend in den Hintergrund. Siegfried Lenz wehrte sich
1978 mit seinem Roman „Heimatmuseum“ auch gegen diese Form von Verdrängung.
Lenz` Romanheld Zygmunt Rogalla,
der auf der Flucht Frau und Sohn verloren hat, erinnert sich an seine gefährliche Flucht über die Ostsee:
„Taucher könnten unseren Fluchtweg
rekonstruieren; auf dem Grund des Haffs
Innenminister de Mazière war Gastgeber
der Veranstaltung.
und der Ostsee, von Fischen bewohnt,
von Seepocken beschlagnahmt und
besiegt von Rost, liegen noch heute die
unzähligen Zeugen unseres verzweifelten Zuges nach Westen, kolossale Findlinge der Not, Wegzeichen selbstverschuldeten Unglücks, die erbarmungslose Antwort der Gewalt, die wir selbst
gesät hatten; ach wie oft bin ich hinabgestiegen in die Lichtlosigkeit, in dieses
Schweigen, hinab zur unterseeischen
Todesspur, um mir die unfassbare Sinnlosigkeit der Opfer zu bestätigen.“
Verbundenheit mit den Heimatvertriebenen
Diese Worte, die vergangenes Leid
beschreiben, erinnern uns – auch wenn
das Thema Schuld nicht vergleichbar ist
– heute auf fast schon unheimliche Weise an das Leid der Menschen, die im
Mittelmeer den Tod finden.
Der heutige Gedenktag ist Ausdruck
der Verbundenheit mit den Heimatvertriebenen, die die Last der Verantwortung Deutschlands für die grauenhaften
Verbrechen des nationalsozialistischen
Deutschlands in besonderer Weise zu
tragen hatten. Und er erinnert uns
zugleich daran, dass heute weltweit 60
Millionen Menschen auf der Flucht sind,
die Hälfte von ihnen Kinder.
Wenngleich die Situation der heutigen
Flüchtlinge grundsätzlich anders ist als
die Situation der Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945, so liegen mitunter die
Schicksale und das persönliche Erleben
mancher Betroffener möglicherweise gar
nicht so weit auseinander:
Die Entwurzelung des Einzelnen, die
elementare Angst um das eigene Leben
und das Leben der Kinder, die sexuelle
Gewalt, der Hunger, der Verlust von
Angehörigen und der Heimat und allem,
was man sich dort erarbeitet hatte sowie
auch die Schwierigkeiten des Neubeginns – das sind, bei allen gebotenen Differenzierungen, gemeinsame Erfahrungen.
Ich bin froh und dankbar, dass heute
mit Frau Abubaker Ali und Frau Dr. Kiesewetter-Giese zwei Frauen zu uns sprechen werden, die Flucht und Vertreibung selbst erlitten haben – zu sehr
unterschiedlichen Zeiten, in sehr unterschiedlichen Umständen.
Als Land und Gesellschaft
erwachsen geworden
Für mich ist der heutige Gedenktag
auch ein Zeichen dafür, dass wir als
Land und Gesellschaft erwachsen
geworden sind, auch im Umgang mit
dem Thema Heimatvertriebene.
Die Beziehungen auch zu unseren östlichen Nachbarn sind vertrauensvoll,
freundschaftlich und verlässlich. So ist es
doch wirklich ein Grund zur Freude,
Henning Schacht (1); Lukasz Bily/VdG (1)
Politik
DOD 03/2015
dass unsere Veranstaltung heute durch
das deutsch-polnische Jugendorchester
eröffnet wurde.
Wir sind in den letzten 70 Jahren
einen langen Weg gegangen.
Und das bringt mich wieder zu Siegfried Lenz, der mit seinem „Heimatkundemuseum“ eine ganz bestimmte
Erkenntnis fördern wollte:
„Die Erkenntnis, dass Weltkunde erst
aus Heimatkunde entsteht und die Welt
erst erklärbar ist über die Erkenntnis des
eigenen Seins.“ Das gilt auch umgekehrt
und in ganz besonderer Weise für den
Umgang mit Flucht und Vertreibung.
Wir stehen gemeinsam vor großen
Herausforderungen.
UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres sprach erst
vorgestern von einem Paradigmenwechsel.
Er sagte: „Wir geraten in eine Epoche,
in der das Ausmaß der globalen Flucht
und Vertreibung sowie die zu deren
Bewältigung notwendigen Reaktionen
alles davor Gewesene in den Schatten
stellen.“
13
Rund 400 Gäste aus Politik, Wirtschaft Kultur und Kirchen sowie Zeitzeugen verfolgten die
Gedenkstunde zum Gedenken an die Opfer von Flucht und Vertreibung.
Deutschland und auch die Werte- und
Solidargemeinschaft Europa sind jetzt
gefordert. Wir arbeiten hart daran, neue
INFO
Seit vielen Jahren wurde gefordert, einen nationalen Gedenktag für die
Vertriebenen zu schaffen. Die Initiative für einen Gedenktag ging dabei
maßgeblich auf den Bund der Vertriebenen (BdV) zurück. Entsprechende Forderungen des BdV sind seit der ersten Jahreshälfte 2001
bekannt. Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hin hat die
Bundesregierung in ihrer Antwort (DS 18/4011) nochmals die besondere Bedeutung dieses Gedenktages hervorgehoben:
„Mitte des Jahres 2014 waren nach Angaben der Vereinten Nationen weltweit
56,7 Millionen Menschen auf der Flucht; viele als Flüchtlinge im Ausland, der
größere Teil als Vertriebene im eigenen Land. Flucht und Vertreibung sind aber
auch Teil der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Millionen Menschen
mussten im Kontext des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieges
ihre Heimat verlassen. Die Vertreibung der europäischen Juden fand ihr grauenvolles Ende in den Vernichtungslagern. Auch Millionen Deutsche mussten
schließlich aufgrund von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation ihre angestammte Heimat verlassen. Die historische Aufarbeitung dieser
Ereignisse sowie die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer werden von der
Bundesregierung nachhaltig unterstützt.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 27. August 2014 beschlossen, dass ab dem Jahre 2015 jährlich am 20. Juni der Opfer von Flucht und
Vertreibung gedacht werden soll. Mit dem Datum 20. Juni knüpft die Bundesregierung an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen (VN) an und erweitert
das Flüchtlingsgedenken um das Schicksal der Vertriebenen.
Durch den „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ soll auch
deutlich gemacht werden, dass der Wille und die Kraft zu Versöhnung und Neuanfang, zu gemeinsamem Aufbau und Zusammenhalt in der Gesellschaft das
Fundament bilden, auf dem unser Land heute Menschen aus 190 Nationen eine
Heimat bietet.“
Wege zu finden, aber einfache Lösungen
wird es nicht geben. Erfolge werden
nicht schnell sichtbar sein. Und wir müssen auch – bei allem was wir tun – die
Aufnahmefähigkeit unserer Bevölkerung
erhalten. Wenn wir heute, an diesem 20
Juni, eine Lektion aus dem Umgang mit
dem Schicksal der deutschen Flüchtlinge
und Vertriebenen gelernt haben sollten,
dann ist es doch die, dass es sich absolut
verbietet, das Schicksal der Opfer von
Flucht und Vertreibung – in welcher
Weise auch immer und immer auf dem
Rücken der Vertriebenen – politisch zu
instrumentalisieren.
Eine würdige Tradition
In diesem Sinne wollen wir heute
gemeinsam der Opfer von Flucht und
Vertreibung gedenken. Es ist mir eine
besondere Ehre und Freude, dass Sie,
Herr Bundespräsident, die Ansprache an
diesem ersten Gedenktag für die Opfer
von Flucht und Vertreibung halten werden. Ich weiß, dass Ihnen das Thema
dieses Tages ein ganz besonderes Anliegen ist.
Das Schlusswort wird der Präsident
des Bundes der Vertriebenen, Herr Dr.
Fabritius, halten. Die Schaffung dieses
Gedenktages ist seit vielen Jahren ein
Anliegen des Bundes der Vertriebenen
gewesen. Mit Erfolg.
Machen wir aus diesem Gedenktag
eine schöne und würdige Tradition.
14
Politik
DOD 03/2015
„Die Wiedergewinnung der
uns möglichen Empathie“
Bundespräsident Joachim Gauck gedenkt der Opfer von Flucht und Vertreibung
Über Entwurzelte wollen wir heute
sprechen.
Über Flüchtlinge und Vertriebene,
zwangsweise Emigrierte.
Über Heimatlose einst und Heimatlose
heute und morgen.
Über Menschen, die nicht mehr dort
sind und auch noch nicht ganz hier.
Über Menschen, die etwas vermissen
und gleichzeitig froh sind, nicht dort
leben zu müssen, wohin das Heimweh
ihre Gedanken lenkt.
Über Entwurzelte wollen wir heute
sprechen.
Über Menschen – gleichgültig ob
schwarz oder weiß, ob jung oder alt, ob
Mann oder Frau, ob Christ, Jude oder
Muslim – über Menschen, die alle tief in
der Seele dieselbe schmerzliche Erfahrung machten, die der Schriftsteller Jean
Améry, Flüchtling vor Nazi-Deutschland
und Überlebender von Bergen-Belsen, in
die einfache, für die einen tröstliche, für
die anderen bedrückende Formel fasste:
„Man muss Heimat haben, um sie nicht
nötig zu haben.“
Ausgegrenzt, verfolgt,
vertrieben
Zum ersten Mal gedenkt Deutschland
an einem offiziellen bundesweiten
Gedenktag jener Millionen von Deutschen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges zwangsweise ihre Heimat verloren. Zum ersten Mal begeht Deutschland damit auch regierungsamtlich den
internationalen Weltflüchtlingstag, wie
er vor fünfzehn Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen
beschlossen wurde. Auf eine ganz existenzielle Weise gehören sie nämlich
zusammen – die Schicksale von damals
und die Schicksale von heute, die Trauer
und die Erwartungen von damals und
die Ängste und die Zukunftshoffnungen
von heute.
Ich wünschte, die Erinnerung an die
geflüchteten und vertriebenen Menschen von damals könnte unser Verständnis für geflüchtete und vertriebene
Menschen von heute vertiefen. Und
umgekehrt: Die Auseinandersetzung mit
den Entwurzelten von heute könnte
unsere Empathie mit den Entwurzelten
von damals fördern.
Ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben wurden Menschen seit Urzeiten. Aus der
Geschichte kennen wir Konflikte zwischen Sesshaften und Nomaden, zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Und im Nationalstaat des 19. und
20. Jahrhunderts erschienen Minderheiten als potenziell illoyal, als Fremdkörper, die es zu assimilieren oder auszutauschen, zu vertreiben oder gar zu vernichten galt. Zeitweise sah die Politik im
Bevölkerungsaustausch sogar ein probates Mittel der Konfliktlösung.
Der sogenannte „Bevölkerungstransfer“ von Millionen Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen,
Mähren, aus der Batschka und vielen
anderen Gegenden in Mittel- und Südosteuropa erschien auch den alliierten
Regierungschefs Churchill, Roosevelt
und Stalin als adäquate Antwort auf den
Tod und Terror, mit dem Nazi-Deutschland den Kontinent überzogen hatte. Als
die Potsdamer Beschlüsse im August
1945 die rechtliche Basis dafür schufen,
waren allerdings längst Fakten geschaffen: Millionen Deutsche waren bereits
aus Polen, der Tschechoslowakei, aus
Ungarn, Jugoslawien, Rumänien geflüchtet und vertrieben. Und was „in ordnungsgemäßer und humaner Weise“
erfolgen sollte, hatte sich in der Realität
als Alptraum erwiesen.
Erst flohen sie vor dem Krieg. Bei eisiger Kälte quälten sich Trecks mit Frauen,
Kindern und Alten über verstopfte Landstraßen und brüchiges Eis, beschossen
von Tieffliegern und überrannt von der
Front. Völlig überladene Flüchtlingsschif-
fe versanken nach Torpedo- und Bombentreffern in der Ostsee. Ungezählte
Frauen wurden vergewaltigt.
Dann wurden viele von denen, die
zurückblieben in der alten Heimat,
Opfer von Hass und Vergeltung: entrechtet, enteignet, verhaftet, misshandelt, auf
Todesmärsche geschickt, ermordet,
interniert, herangezogen zur Zwangsarbeit, erst scheinbar „wild“, dann vermeintlich „geordnet“ vertrieben, als
„lebende Reparation“ verschleppt in
Arbeitslager in der Sowjetunion. Die
letzten kehrten erst zwischen 1948 und
1955 zurück.
„Unsterbliche Schande“
„Sofern das Gewissen der Menschheit
jemals wieder empfindlich werden sollte“, erklärte der britisch-jüdische Verleger Sir Victor Gollancz 1947, „wird diese Vertreibung als die unsterbliche
Schande all derer im Gedächtnis bleiben,
die sie veranlasst oder die sich damit
abgefunden haben. Die Deutschen wurden vertrieben, aber nicht einfach mit
einem Mangel an übertriebener Rücksichtnahme, sondern mit dem denkbar
höchsten Maß an Brutalität.“
Insgesamt verloren 12 bis 14 Millionen Deutsche am Ende des Zweiten
Weltkrieges durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat. Hunderttausende
Menschen kamen durch Kriegshandlungen, Krankheiten, Hunger, Vergewaltigungen, auch durch Entkräftung und
Zwangsarbeit in der Nachkriegszeit um.
Das Schicksal von weiteren Hunderttausenden ist bis heute ungeklärt. Die
Bevölkerung in jenen Gebieten, die später Bundesrepublik Deutschland und
Deutsche Demokratische Republik heißen sollten, wuchs um nahezu 20 Prozent.
Das sollten wir uns gerade heute wieder bewusst machen: Flucht und VertreiHenning Schacht (1)
DOD 03/2015
bung verändern nicht nur das Leben der
Aufgenommenen, sondern auch das
Leben der Aufnehmenden, nicht nur das
der „neuen“, sondern auch das der
„alten“ Bewohner eines Landes oder
Landstriches.
Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Deutschen war in unserer
Gesellschaft fast immer schwierig und
fast immer emotional. Denn unsere Haltung zum Leid der Deutschen war und
blieb verknüpft mit unserer Haltung
gegenüber der Schuld der Deutschen. Es
hat Jahrzehnte gedauert, bis wir – wieder – an das Leid der Deutschen erinnern konnten, weil wir die Schuld der
Deutschen nicht länger ausblendeten.
Der Weg dahin war lang und keineswegs
geradlinig.
In der sowjetischen Besatzungszone
und in der DDR wurde die Gründung
von eigenständigen Flüchtlingsorganisationen von Anfang an untersagt. Erinnerungen der sogenannten Umsiedler an
die alte Heimat waren lange Zeit unerwünscht. Vertreibung galt als legitime
Reaktion auf nationalsozialistische Besatzungs- und Vernichtungspolitik. Kritik an
den Vergewaltigungen der Roten Armee
und den Vertreibungen durch Tschechen und Polen wurde unterdrückt.
Bereits 1950 verzichtete die Staatspartei
SED auf die deutschen Ostgebiete,
indem sie die Oder-Neiße-Linie als
deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannte, was sogar innerhalb der Partei
Verstörung auslöste – und erst recht
unter vielen Vertriebenen in der DDR.
Weder Verzicht noch Tabuisierung,
noch ideologische Umdeutung konnten
allerdings Trauer und Trauma vertreiben. „Man lässt den Auszug aus der Heimat nicht unbeweint“, schrieb Christa
Wolf 1976 in ihrem Roman „Kindheitsmuster“. Mit 15 Jahren war sie vor der
Front geflohen, aus dem ostbrandenburgischen Landsberg, das heute Gorzów
Wielkopolski heißt.
Perspektivwechsel
Mitte der 60er Jahre
Im Westen Deutschlands wurden die
Vertreibungen
zunächst
politisch
benutzt, um das Vordringen der Sowjetunion, die Untaten der Roten Armee
und das Unrecht der sogenannten „Vertreiberstaaten“ anzuklagen. Zwar hatten
die Vertriebenenverbände früh auf die
Politik
Anwendung von Gewalt verzichtet, und
der von den Alliierten befürchtete
Revanchismus blieb aus. Doch für
Christ- wie für Sozialdemokraten galt:
„Dreigeteilt – niemals“. Noch 1963 verkündete Willy Brandt auf dem Deutschlandtreffen der Schlesier: „Verzicht ist
Verrat“.
Deutsche – beileibe nicht nur die Vertriebenen – verstanden sich damals vor
allem als Opfer.
Ein Perspektivwechsel breiterer Kreise
setzte erst Mitte der 1960er Jahre ein –
wesentlich vorangetrieben durch die
Ostdenkschrift der evangelischen Kirche
und den Brief der polnischen katholischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder, der unter der programmatischen
Überschrift stand: „Wir vergeben und
bitten um Vergebung.“ Mit dem Warschauer Vertrag 1970 wurde die neue
polnische Westgrenze de facto von der
Bundesregierung und – mit knapper
Mehrheit – auch vom Parlament anerkannt. Die damaligen Debatten in der
deutschen Gesellschaft waren schmerz-
15
lich, aber sie waren notwendig, um neue
Wege zu finden.
Viele von Ihnen, die Sie heute hier versammelt sind, dürften sich noch an die
große Enttäuschung, ja Bitterkeit erinnern, mit denen nicht wenige Vertriebene dem faktischen Verzicht auf die Ostgebiete begegneten. Im Herzen fiel es
immer noch schwer, die Realitäten zu
akzeptieren, auch weil die Landsmannschaften ebenso wie Parteipolitiker über
lange Jahre Ansprüche verteidigt und
Illusionen geschürt hatten. Doch „niemand kann heute mehr hoffen, dass die
verlorenen Gebiete je wieder deutsch
sein werden“, schrieb Marion Gräfin
Dönhoff. „Wer anders denkt, der müsste
schon davon träumen, sie mit Gewalt
zurückzuerobern.“ Die Vertriebenenverbände, die auf Konfrontationskurs
zur neuen Ostpolitik der Regierung
Brandt gingen, erschienen vielen fortan
als Störenfriede einer außenpolitischen
Neuorientierung.
Seit den 1970er Jahren lernten die
Deutschen zunehmend, ihr Leid einzu-
16
ordnen in den historischen Kontext. Was
ihnen angetan worden war, wurde nun
vor dem Hintergrund dessen gesehen,
was Deutsche – zuvor – Anderen angetan hatten. So empfinde ich auch das
Musikstück des deutsch-polnischen
Jugendorchesters Frankfurt (Oder), das
wir zu Beginn dieser Feierstunde gehört
haben. Vertreter der jungen Generation
sagen uns hier mit der Sprache der
Musik: „Ja, wir wissen, von wem dieses
Unrecht ausging.“ Es war doch das nationalsozialistische Deutschland, das Tod
und Verderben über Europa gebracht
hat, das Vertreibung, Gewalt, Besatzungsterror und Vernichtung zur Alltags-
Politik
Heute vermag ich nicht ohne eine
gewisse Scham daran zu denken. Denn
in den 1950er Jahren war ich, wie die
meisten Ostdeutschen, durch die westdeutschen Medien informiert über die
Schicksale von Vertriebenen. Und an
den langen Sonnabendnachmittagen
meiner Jugend hatte ich die vielen Rundfunkwunschkonzerte vom nordwestdeutschen Rundfunk gehört, hatte Dutzende Male das Ostpreußenlied vernommen und selbst die Sehnsucht nach dem
„Land der dunklen Wälder und
kristall’nen Seen“ gespürt. Umso unverständlicher, warum ich, warum wir Einheimischen später so bereitwillig ver-
DOD 03/2015
se nicht einmal die Söhne und Töchter
der Geflüchteten und Vertriebenen. Viele von ihnen wollten nichts hören vom
verlorenen Zuhause der Eltern und von
ihren Fluchtgeschichten. Es war ihnen
peinlich, wenn auf Geburtstagen bei fortgeschrittener Stunde alte Heimatlieder
angestimmt wurden und den Verwandten die Tränen in die Augen traten. Heimatliebe war diskreditiert durch die nationalsozialistische Propaganda, durch die
romantisch-verklärenden Heimatfilme
der 1950er Jahre und nicht zuletzt
durch die Rhetorik mancher Vertriebenenfunktionäre. Mitleid mit Vertriebenen galt nicht selten als Relativierung
historischer Schuld, als Geschichtsrevisionismus, als eine Umdeutung von
Tätern zu Opfern.
Aufgabe der Abwehrhaltung
Anfang der 90er Jahre
Das u.a. vom Danziger Architekten Andreas Schlüter und vom Insterburger Baumeister
Martin Grünberg entworfene barocke Zeughaus war der Ort der Gedenkveranstaltung.
erfahrung für viele Völker Europas werden ließ. Und das einen „Generalplan
Ost“ entwickelte, nach dem ganze Völker als vermeintlich minderwertig von
der Landkarte getilgt und zum Teil
ermordet werden sollten.
Fehlendes Verständnis für das
Leid der Anderen
So wie in den Jahren zuvor die Betonung des Leids der Deutschen dazu
gedient hatte, Deutsche zu entschulden,
so verdrängte nun allerdings das
Bewusstsein von der Schuld der Deutschen jede Empathie für die deutschen
Opfer. Heimatverlust wurde weitgehend
akzeptiert als vermeintlich zwangsläufige Strafe für die Verbrechen von Deutschen. So dachten auch viele Bewohner
der DDR, und so hatte es die dort diktatorisch regierende SED als Deutungsmuster durchzusetzen versucht.
drängten, dass andere, die Vertriebenen,
so unendlich mehr bezahlt hatten für
den gewaltsamen, grausamen Krieg als
wir. Warum wir, die wir unsere Heimat
behalten hatten, aufzurechnen begannen und eigene Bombardierungen und
Tote anführten, um uns gegen die Trauer
der Anderen zu immunisieren. Mit politischen Thesen blockierten wir die uns
mögliche Empathie.
Heute weiß ich: Wer die Gefühle des
Anderen abwehrt, wehrt auch die eigenen Gefühle ab. Offenheit für das Leid
des Anderen hingegen führt zu Verständnis und Nähe. Daran sollten wir auch
heute denken, wenn in unserem Ort, in
unserem Stadtteil oder in unserer Nachbarschaft Fremde einquartiert werden,
die des Schutzes bedürfen. Verständnis
für das Leid des Anderen ist eine Grundvoraussetzung mitmenschlichen Zusammenlebens.
Doch Verständnis für das Leid des
Anderen hatten in Deutschland zeitwei-
Glücklicherweise hat unsere Gesellschaft ihre zeitweilige Abwehrhaltung
seit Anfang der 1990er Jahre Schritt für
Schritt aufgegeben. Der Zwei-plus-VierVertrag und der Grenzvertrag zwischen
der Republik Polen und dem wiedervereinigten Deutschland schreiben die völkerrechtliche Verbindlichkeit der OderNeiße-Grenze endgültig fest.
Zudem ist Europa wieder zusammengewachsen. Man kann wieder frei in
Gegenden reisen, die über vier Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang verschwunden waren. Hunderttausende
Vertriebene und ihre Kinder haben seit
den 1990er Jahren vor Nicht-MehrElternhäusern gestanden, vor NichtMehr-Protestantischen-Kirchen,
vor
Nicht-Mehr-Deutschen-Schulgebäuden
und auf parkähnlichem oder verwildertem Gelände, wo sie oft vergeblich nach
den Gräbern der Verwandten suchten.
Und als Deutschland in eben jenen Jahren auch noch mehrere Hunderttausend
Bürgerkriegsflüchtlinge aus Jugoslawien
aufnahm, fragten sich viele beschämt:
Mit welcher Begründung können wir
den eigenen Müttern und Großmüttern
jene Empathie verweigern, die wir den
vergewaltigten Frauen in Bosnien zu
Recht entgegenbringen? Die Erfahrung
aktuellen Unrechts hat dazu beigetragen, dem weit Zurückliegenden mit neuer Empathie zu begegnen.
Wer die Heimat zwangsweise verlassen muss, spürt häufig eine lebenslange
Lukasz Bily/VdG (1)
DOD 03/2015
Wunde, die nur oberflächlich verheilt
und immer wieder aufbricht. Und so
haben wir respektieren gelernt, was die
Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann
folgendermaßen formulierte: „Es gibt so
etwas wie ein Menschenrecht auf die
eigene Erinnerung, das man mit Zensur
und Tabuisierung schwerlich aus der
Welt schaffen kann.“
Günter Grass reichten nicht einmal
die 800 Seiten der „Blechtrommel“, um
sich das verlorene Danzig von der Seele
zu schreiben. 43 Jahre später, Grass war
inzwischen 75 Jahre alt, musste er im
„Krebsgang“ den Untergang der Heimat
noch ein weiteres Mal inszenieren. Ähnlich hatte sich auch Siegfried Lenz mit
den Erzählungen über Suleyken noch
nicht von seiner Heimat gelöst. Gut 20
Jahre später erweckte er Masuren ein
weiteres Mal zum Leben, und konnte
sich dann nur gewaltsam davon trennen:
Er ließ das „Heimatmuseum“ in Flammen aufgehen mit allen Exponaten, die
nach der Flucht geblieben waren.
Heute gibt es auch viele Nachgeborene, Söhne und Töchter, die, inzwischen
selbst ins Alter gekommen, dieselbe Frage wieder zulassen, wie sie einst Christa
Wolf stellte: „Wie sind wir so geworden,
wie wir heute sind?“ Und so erleben wir
Jahrzehnte nach den Ereignissen etwas
Wunderbares: die Wiedergewinnung
der uns möglichen Empathie. Endlich
ein tieferes Verständnis der Nachgeborenen für das Trauma ihrer vertriebenen
Mütter und Väter, endlich ein tieferes
Verständnis von Einheimischen für ihre
Nachbarn und Freunde, die einst als
Flüchtlinge und Vertriebene gekommen
sind. Und endlich eine umfassende Erinnerung an Krieg und Nachkrieg, in der
Platz ist für Trauer, Schuld und Scham.
Die Gründung der Stiftung Flucht,
Vertreibung, Versöhnung im Jahre 2008
ist für mich ein wichtiges Zeichen dieser
Entwicklung: Flucht und Vertreibung
der Deutschen gehen ein in das
Geschichtsbewusstsein der ganzen Nation, eingeordnet in einen Kontext, der
uns nicht mehr von unseren Nachbarn
trennt, den Kriegsgegnern von einst,
sondern eine neue Verständigung ermöglicht.
Jahrzehntelang gehörte die Vertreibung der Deutschen in den Staaten Mittel- und Osteuropas zu den ideologisierten und politisch instrumentalisierten
Themen: Vertreibung galt als gerechte
Strafe für deutsche Verbrechen und
Politik
Westdeutschland als Hort von Revanchismus und Revisionismus. Mit diesen
Thesen vermochten kommunistische
Regierungen sogar Menschen an sich zu
binden, die ihnen im Übrigen tief misstrauten.
Vertreibungen werden zunehmend als Unrecht anerkannt
Erst nach 1989, als Archive zugänglich wurden, ideologische Barrieren fielen, Menschen sich ungehindert austauschen konnten und die Angst vor Grenzrevisionen und Rückgabeforderungen
wich, da konnten auch Polen, Ungarn
und andere mitteleuropäische Völker
einen selbstkritischen Blick auf ihre eigene Geschichte werfen. Sogenannte ethnische „Säuberungen“ sind heute überall – zumindest in Europa – als Mittel
der Politik diskreditiert, Vertreibungen in
der Vergangenheit werden zunehmend
als Unrecht anerkannt. Dafür gibt es eindrucksvolle Zeugnisse, zum Beispiel diese:
• Der Slowakische Nationalrat bat die
Karpatendeutschen bereits Anfang 1991
um Verzeihung für ihre Evakuierung
und Vertreibung.
• Władysław Bartoszewski, der unermüdliche Brückenbauer zwischen Polen
und Deutschland, erklärte 1995 im
Deutschen Bundestag: „Das uns angetane Böse, auch das größte, ist [...] keine
Rechtfertigung [...] für das Böse, das wir
selbst anderen zugefügt haben.“
• In Ungarn legte das Parlament 2012
den 19. Januar als Nationalen Gedenktag für die Vertreibung der Ungarndeutschen und Donauschwaben fest, nachdem man dort schon im März 1990 die
Vertreibungen verurteilt und sich bei
den Opfern und ihren Nachkommen
entschuldigt hatte.
• Das rumänische Parlament verurteilte
die Deportation von arbeitsfähigen
Rumäniendeutschen in die Sowjetunion
als politische Verfolgung und stimmte
jüngst Entschädigungszahlungen auch
an Deutsche zu, die nicht mehr im Lande leben.
• In Tschechien bat die Stadt Brünn
anlässlich des 70. Jahrestages des sogenannten Brünner Todesmarsches die
Opfer der Vertreibung offiziell um Vergebung. „Es tut nicht mehr so weh, wenn
wir Fehler zugeben“, erklärte die junge
tschechische Autorin Kateřina Tučková,
17
„im Gegenteil, wir empfinden dies als
notwendig und reinigend.“
Solange Europa geteilt war, erschien
kaum möglich, was wir heute immer
häufiger erleben: Das Belastende zwischen unseren Völkern wird nicht mehr
ausgeklammert, Leid nicht mehr gegeneinander aufgerechnet. Wenn Menschen
sich ihre Geschichten erzählen, wird
Heimatverlust erlebbar als eine gemeinsame existenzielle Erfahrung, als tiefes
inneres Mitfühlen mit dem Anderen,
ungeachtet seiner nationalen oder religiösen Zugehörigkeit. Und deutsche Vergangenheit ist mehr und mehr ein Teil
der Geschichte auch Polens, Tschechiens, der Slowakei, Lettlands und
Ungarns geworden – und im Bewusstsein von Polen, Tschechen und Ungarn
nicht selten lebendiger als im Bewusstsein von Deutschen.
Ich möchte diesen Tag nutzen, um
unseren Nachbarländern für ihre souveränen Gesten und für ihr neues Vertrauen meinen tief empfundenen Dank auszusprechen.
Unbehagen gegenüber den Fremden
gab es zu allen Zeiten. Wir erleben es
heute, wir erlebten es nach 1945,
obwohl es sich bei den Flüchtlingen um
Landsleute handelte, die in derselben
Kultur verankert und Teil derselben nationalen Geschichte waren. Fremd – das
lernen wir daraus – ist jeweils derjenige,
der neu in eine schon bestehende Gruppe hineinkommt und als Eindringling
empfunden wird. Gründe für Distanz
oder Ablehnung finden sich immer.
Die Flüchtlinge und Vertriebenen nach
Kriegsende wurden häufig diskriminiert
und beschimpft als Polacken, Zigeuner,
Rucksackdeutsche oder Habenichtse,
wurden gebrandmarkt als rückständig
und hatten sich angeblich dem NaziReich besonders angedient. So fand die
mangelnde Solidarität noch eine zynische Begründung. Nicht nur die
Beschimpfungen aus den Schilderungen
jener Jahre kommen mir seltsam vertraut vor: Fast niemand wollte sein Haus
mit den „Fremden“ teilen, bei Bewerbungen um freie Arbeitsstellen wurden
Einheimische bevorzugt, die kulturellen
Unterschiede weckten nur selten Neugier und Interesse. Noch jahrelang feierten Einheimische ihre eigenen Feste und
Gottesdienste und rümpften die Nase
über fremde Dialekte und fremde Gerüche.
18
Es dauerte lange, bis Deutschland ein
mit sich selbst ausgesöhntes Land wurde. Ein Land, in dem die einen Heimat
behalten und die anderen Heimat neu
gewinnen konnten. Ein Land, in dem
sich die einen nicht fremd und die anderen nicht ausgegrenzt fühlten.
Die Erfahrung gelungener Integration
von Flüchtlingen blieb kein Einzelfall.
Westdeutschland hat im Laufe der Jahrzehnte fast vier Millionen Flüchtlinge
aus der DDR aufgenommen. Es hat
zehntausenden Geflüchteten aus den
kommunistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas eine neues Zuhause geboten,
Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten,
Militärdiktaturen und zerfallenden Staaten, ob sie Griechenland oder Türkei hießen, Iran oder Jugoslawien. Deutschland
hat also viel Erfahrung mit Flüchtlingen
und Vertriebenen, eine positive Erfahrung, auf die wir im öffentlichen Diskurs
viel zu selten zurückgreifen. Dabei täte
uns Rückversicherung gut, wenn wir
uns heute mit neuen Herausforderungen
konfrontiert sehen.
Anstieg der Flüchtlingszahlen
Noch nie seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs waren so viele Menschen
entwurzelt wie augenblicklich: Gerade
haben die Vereinten Nationen neue,
erschreckende Flüchtlingszahlen bekanntgegeben. Ende 2014 waren es
weltweit 59,5 Millionen Menschen, 8
Millionen mehr als nur ein Jahr zuvor.
Nie zuvor wurden so viele Flüchtlinge
gezählt. Die allermeisten sind Vertriebene im eigenen Land: rund 40 Prozent
der Bevölkerung in Syrien, Hunderttausende im Irak, im Südsudan, im Kongo
und in Nigeria. Die Hälfte aller Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche unter 18
Jahre – besonders bedrückend! Selbst
Europa erlebt einen massiven Anstieg
von Binnenflüchtlingen. In der Ukraine
stieg ihre Zahl auf fast 650.000.
Viele Flüchtlinge bleiben in der Nähe
der Heimat, weil sie auf eine schnelle
Rückkehr hoffen. Ich habe einige von
ihnen getroffen: syrische Familien in
einem Lager in der Türkei. Aber immer
mehr Menschen nehmen immer längere, gefährlichere und kostspielige Fluchtwege in Kauf, um einen Neuanfang zu
wagen: Viele streben nach Europa, dem
Ort ihrer Sehnsucht, dem Kontinent der
Freiheit und des Wohlstands, der ihnen
Politik
und ihren Familien ermöglichen soll, ein
besseres Leben ohne Gewalt, Angst und
Hunger zu führen. Ich habe einige von
ihnen getroffen: junge Menschen aus
Westafrika in einem Lager in Malta.
Sie sind wochen-, monate- und manchmal jahrelang unterwegs und wehrlos
Plünderern, Erpressern und Schleusern
ausgeliefert. Sie werden ausgebeutet,
ausgeraubt, gefoltert, sexuell missbraucht. Und sie riskieren ihr Leben,
wenn sie sich auf überladenen Lastwagen durch die Sahara und auf schrottreifen Frachtschiffen und untauglichen
Schlauch- und Holzbooten auf das Mittelmeer wagen. Viele werden durch die
Flucht erst recht traumatisiert.
Die Flüchtlinge von heute sind nicht
allein politische Nachfahren der Verfolgten während der nationalsozialistischen
Diktatur, nicht allein Nachfahren der
Vertriebenen bei Kriegsende. Sie sind
auch Wahlverwandte jener verfolgten
und verarmten Menschen in den Dörfern und Städten des 19. Jahrhunderts,
an die Edgar Reitz in seinem Film „Die
andere Heimat“ eindringlich erinnerte.
Wir haben es fast vergessen: Auch
Deutschland war einmal ein Land voller
verzweifelter, hoffender Auswanderer.
Fast 5,5 Millionen Deutsche trieb es zwischen 1812 und 1912 trotz lebensgefährlicher Überfahrten über den Atlantik
zu einem ungewissen Neuanfang in
Amerika. Sie flohen vor der Not, und sie
flohen vor politischer Repression und
religiöser Intoleranz – so wie die Flüchtlinge und viele Migranten heute.
Wir stehen vor einer großen Herausforderung, einer Herausforderung von
neuer Art und neuer Dimension. In den
letzten fünf Jahren sind mindestens fünfzehn neue Konflikte entflammt oder
wieder ausgebrochen – in Afrika, im
Nahen Osten und auch in Europa. Die
staatlichen Strukturen ganzer Regionen
drohen zu zerfallen. Je länger Bürgerkriege, islamistischer Terror, bewaffnete
Konflikte zwischen Regierungen und
Rebellen oder Separatisten dauern, je
mehr sich Anarchie, Armut, Korruption
und Perspektivlosigkeit breit machen,
desto mehr Menschen werden ihre
Familie, ihre Freunde, ihre Heimat verlassen. Die Flüchtlingszahlen dürften –
auch mittelfristig – weiter steigen.
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung haben wir unseren Blick zu
weiten. Flüchtlingspolitik ist längst mehr
als Innenpolitik. Flüchtlingspolitik reicht
DOD 03/2015
längst hinein in unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
Beginnen wir mit dem, was selbstverständlich sein sollte: Es ist meines Erachtens eine moralische Pflicht aller Staaten
Europas, Flüchtlinge vor dem Tod im
Mittelmeer zu retten. Wir würden unsere Selbstachtung verlieren, wenn wir
Menschen, die vor den Toren unseres
Kontinents auf dem Wasser treiben, sich
selbst überließen.
Es sollte meines Erachtens auch eine
selbstverständliche moralische Pflicht
aller Staaten Europas bleiben, Menschen
eine sichere Zuflucht zu gewähren, die
– wie es das Grundgesetz in Artikel 16a
und die Bestimmungen des Genfer
Flüchtlingsschutzes festhalten – aus politischen, ethnischen, religiösen und rassischen Gründen verfolgt werden. Einen
derartigen Schutz halte ich nicht für verhandelbar und solange für verpflichtend,
bis diese Menschen gefahrlos in ihre Heimat zurückkehren oder auch in Deutschland oder anderswo an einem anderen
sicheren Ort bleiben können.
Deutschland hat gelernt
Deutschland hat gelernt im Umgang
mit Asylbewerbern: Heute reagieren wir
ganz anders auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen als noch vor zwanzig Jahren.
Es freut mich, wie viel Anteilnahme
zahlreiche Bürger unseres Landes für
Bürgerkriegsflüchtlinge und politisch
Verfolgte aufbringen, wie viele Patenschaften übernehmen, Sprachkenntnisse
vermitteln, Asylbewerber bei Behördengängen begleiten, ein Zimmer zur Verfügung stellen. Der Blick auf das Leiden
der Anderen – er hat sich in unserem
Land geschärft.
In der Diskussion über den Umgang
mit Flüchtlingen ist noch viel zu klären.
Zunächst gilt es, sich über die Fakten zu
verständigen. Fast die Hälfte der Asylbewerber kommt zurzeit noch aus dem
Westbalkan, dessen Länder zum Teil
vom Gesetzgeber trotz mancher Bedenken als sichere Herkunftsstaaten eingestuft wurden. Die Anerkennungsquote
von Flüchtlingen aus diesem Raum liegt
bei 0,1 bis 0,2 Prozent. Die andere Hälfte der Asylbewerber in Deutschland aber
stammt aus Ländern, in denen Krieg,
Terror oder eine Diktatur herrschen –
augenblicklich kommen sie vor allem
aus Syrien, Eritrea und dem Irak. Die
Henning Schacht (1)
DOD 03/2015
Anerkennungsquoten liegen zwischen
70 und mehr als 90 Prozent.
Es sind neben vielen Muslimen auch
Christen und Jesiden darunter. Menschen, die aus ihren Dörfern vertrieben,
zu Bekehrungen und Schutzgeldzahlungen gezwungen wurden. Deren Kinder
auf der Flucht verdursteten und verhungerten, und deren Frauen als Beute verkauft wurden. Es sind unbegleitete Minderjährige darunter, Kinder und Jugendliche, die Angehörige in bewaffneten
Konflikten oder auf der Flucht verloren
haben. Sie alle suchten ein freies und ein
sicheres Land. Ein Land, in dem sie ihren
Glauben ausüben können, nicht missbraucht und nicht gewaltsam unterdrückt werden. Ein Land, in dem sie ihr
Leben in Freiheit selbst bestimmen können.
Wir wissen, dass weder Deutschland
noch Europa allen, die dies wünschen,
eine Zuflucht und eine Zukunft bieten
können. Flüchtlingspolitik muss daher
über die Europäische Union hinaus reichen. Wir haben stärker als bisher unmittelbare Nachbarstaaten von Krisengebieten zu unterstützen. Wir haben uns stärker als bisher um eine Stabilisierung der
Länder Nordafrikas und besonders auch
des Westbalkan zu kümmern. Schließlich muss uns weiterhin an einer gezielteren Bekämpfung der Fluchtursachen
vor Ort gelegen sein – allerdings im Wissen darum, dass alles, was wir tun, kaum
Erfolge zeitigen wird, solange Regierungen den Aufbau einer friedlichen, sicheren und lebenswerten Zukunft für ihre
Völker nicht stärker in die eigene Hand
nehmen.
Betrachten wir also vor allem unsere
Möglichkeiten in Deutschland und in
Europa, hier, wo wir Einfluss haben und
unmittelbar Verantwortung tragen. Wir
haben die Seenotrettung im Mittelmeer
zwar wieder verstärkt, aber viele andere
Fragen immer noch nicht geklärt: Wie
bekämpfen wir Banden krimineller
Schlepper? Wie sehen neue, sichere Formen der Anerkennung von Flüchtlingen
aus? Wie werden die Flüchtlinge in
Europa gerechter verteilt, wie wird in
allen Mitgliedstaaten ein Asylsystem mit
ähnlichen Standards aufgebaut? Wie
gehen wir menschlich mit abgelehnten
Asylbewerbern um?
Kurzum: Wie stellen wir sicher, dass
wir, bedingt durch die Dimension des
Problems, mehr tun? Und zwar mehr
von allem: mehr aufnehmen und mehr
Politik
19
Betroffene aus Nordafrika Asma Abubaker Ali, Innenminister Dr. Thomas de Mazière und
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius lauschen den Worten des Staatsoberhauptes.
helfen, zugleich aber besser steuern,
schneller entscheiden, und ja, auch konsequenter abweisen – damit wir aufnahmefähig für diejenigen bleiben, zu deren
unbedingtem Schutz wir uns verpflichtet
haben und die unserer Hilfe stärker als
andere bedürfen.
Eine Nation lebt vom
Zusammengehörigkeitsgefühl
In jüngster Zeit ist nämlich erneut die
Frage zu hören: Wie viele Flüchtlinge
kann unsere Gesellschaft überhaupt verkraften? Eine Nation lebt vom Zusammengehörigkeitsgefühl, vom Vertrauen,
der Kooperation und vom Mitgefühl
unter ihren Bürgern. Flüchtlinge und
andere Zuwanderer erhöhen einerseits
die soziale und kulturelle Vielfalt und
vergrößern die Innovationskraft der
Gesellschaft. Andererseits wissen wir
aus jüngsten Untersuchungen, dass
gegenseitige Rücksichtnahme und die
Bereitschaft zur Solidarität innerhalb
einer Gesellschaft auch zurückgehen
können, wenn etwa die Zahl der Flüchtlinge und Zuwanderer in Ballungsräumen zu schnell und zu stark steigt oder
die kulturelle Distanz allzu groß
erscheint.
Zugleich dürfen wir aber die Möglichkeiten von Flüchtlingen und die Chancen für unsere Gesellschaft nicht verkennen. Erinnern wir uns daran, welch gro-
ßen Anteil Flüchtlinge und Vertriebene
am erfolgreichen Wiederaufbau Deutschlands hatten. Eben diesen Geist, der den
Neuanfang sucht und die Zukunft gestalten will, erkenne ich auch bei vielen
Flüchtlingen von heute.
Über Entwurzelte wollten wir heute
sprechen. Über Flüchtlinge und Vertriebene, zwangsweise Emigrierte.
Und wir sehen: Wir geraten mitten hinein in ein großes Thema der Weltpolitik
und zugleich mitten hinein in ein großes
politisches und moralisches Dilemma.
In der Abwägung zwischen Idealen
der Humanität und Realpolitik kann es
keine ideale Lösung geben. Die gibt es
fast nie. In der Politik können wir uns
nur entscheiden zwischen guten und
weniger guten Lösungen, manchmal
sogar nur zwischen schlechten und
weniger schlechten Lösungen.
Vor 70 Jahren hat ein armes und zerstörtes Deutschland Millionen Flüchtlinge zu integrieren vermocht. Denken wir
heute nicht zu klein von uns. Haben wir
Vertrauen in die Kräfte, über die dieses
Land verfügt. Wir brauchen immer auch
ein Selbstbild, das uns trägt. Und wir
werden uns selbst auf Dauer nur akzeptieren können, wenn wir heute alles
tun, was uns möglich ist. Warum sollte
ein wirtschaftlich erfolgreiches und politisch stabiles Deutschland nicht fähig
sein, in gegenwärtigen Herausforderungen die Chancen von morgen zu erkennen?
20
Politik
DOD 03/2015
Den Gedenktag war Deutschland seinen Opfern schuldig
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB bei der Gedenkveranstaltung
Der Chronist schreibt das Jahr 1945, es ist
die Nacht vom 18. zum 19. Juni. Der
Krieg ist seit über einem Monat vorbei. Im
Bahnhof von Prerau, einer Kleinstadt im
Herzen Mährens (heute Tschechien), steht
ein Flüchtlingszug mit 265 Zivilisten. Die
meisten sind Karpatendeutsche aus der
Zips, ihrer angestammten Heimat in der
heutigen Slowakei.
Sie waren kurz vor Kriegsende nach
Nordböhmen evakuiert worden und wollten nach Hause zurückkehren. Ein Militärtransport mit tschechoslowakischen Soldaten, die von einer Siegesfeier heimkehren,
trifft ein.
Die 265 Zivilpersonen werden gezwungen, den Zug zu verlassen. Sie müssen persönliche Wertgegenstände abgeben und
sich bis auf die Unterwäsche entkleiden.
Dann werden sie mit Genickschüssen
ermordet. Der Chronist notiert 71 erschossene Männer, 120 Frauen und 74 Kinder.
Das jüngste Opfer war acht Monate alt.
Heute erinnert eine Gedenkstätte in
Prerau an diesen Massenmord vor 70 Jahren. Prerau ist nur ein Ort von unzähligen,
die stille Zeugen solcher Gräueltaten wurden.
Es kam nach der Befreiung vom Naziterror zu zahlreichen Verbrechen an der
deutschen Zivilbevölkerung, zu ethnischen Säuberungen in deren seit Jahrhunderten angestammten Heimat. In Internierungslagern und bei Zwangsarbeit ging das
Sterben weiter.
Ich erinnere an den Todesmarsch von
Brünn, den mindestens 2.000 Menschen
nicht überlebten, und danke dem dortigen
Stadtrat, der dieses Unrecht jüngst anerkannt und ebenfalls in öffentliches Gedenken einbezogen hat.
Ich erinnere an die grausamen Vertreibungen im Sudetenland und im slowakischen Karpatenraum.
Ich erinnere an die Vertreibungen in
Südosteuropa, einschließlich des gesamten
Donauraums.
Ich erinnere sowohl an die wilden als
auch an die geplanten Vertreibungen aus
Dr. Bernd Fabritius MdB.
Schlesien, Ost- und Westpreußen, aus
Pommern, Ostbrandenburg und Danzig.
Ich erinnere an die Wilhelm Gustloff,
die vom sowjetischen U-Boot S-13 versenkt wurde. 9.343 Menschen, die in der
Flucht vor der Roten Armee ihr Heil suchten, fanden am 30. Januar 1945 den Tod
in der eisigen Ostsee.
Ich erinnere an die Vertreibungen der
Deutschen aus dem Baltikum und – schon
ab 1941 – die Deportation der Deutschen
aus Russland, vor allem aus den Gebieten
der Wolgarepublik.
Ich erinnere an die geschätzt mehr als
eine Million deutsche Zwangsarbeiter, die
als menschliche Kriegsentschädigung missbraucht wurden.
Ich erwähne auch die Heimatverbliebenen, die mehrheitlich weitere Jahrzehnte
Vertreibung in der Heimat, in Isolation und
Entrechtung, hinter dem Eisernen Vorhang ertragen mussten. Diese Brüder und
Schwestern leben heute noch in der Heimat – und sind dort Pfeiler für Brücken,
die ich als große Chance für ein friedliches
Europa sehe.
Jeder Krieg fordert seine Opfer, auf allen
Seiten. Ich stelle in Deutschland in Teilen
unserer Gesellschaft eine verwunderliche
Zurückhaltung fest, auch der eigenen
Opfer zu gedenken.
Im Zusammenhang mit dem Zweiten
Weltkrieg steht die deutsche Schuld außer
Frage: Dieser Krieg hat über ganz Europa
unermessliches Leid, Tod und Elend
gebracht, über alle Völker. Flucht und Vertreibungen waren ein Teil davon. Daran zu
erinnern relativiert gar nichts.
Von den mehr als 18 Millionen Deutschen im Osten verloren bis zu 15 Millionen ihre Heimat, weit über 2 Millionen
haben Flucht und Vertreibung nicht überlebt. Das war, ist und bleibt Unrecht –
gedenkwürdiges Unrecht!
Für die bleibende Erinnerung, zur Mahnung und aus Achtung vor den Opfern ist
es ein gutes und wichtiges Zeichen, dass
wir heute besonders auch ihrer gedenken.
Im Namen dieser Menschen und deren
Nachfahren danke ich der Bundesregierung dafür, dass sie das Gedenken an die
eigenen Opfer von Flucht und Vertreibung
aufrechterhält, indem sie den heutigen
Gedenktag ausgerufen hat.
Diesen Gedenktag war Deutschland den
eigenen Opfern schuldig – und hat ihn
nun geschaffen. Durch die Verbindung dieses Gedenkens mit der Erinnerung an das
Leid aller anderen Flüchtlinge und Vertriebenen, bringen wir noch etwas Wesentliches zum Ausdruck: Die Vertreibung der
deutschen Zivilbevölkerung aus ihrer Heimat zum Ende des Zweiten Weltkrieges –
und noch viele Jahre danach – war genauso ein Verbrechen, wie es andere ethnische Säuberungen auf der ganzen Welt bis
heute sind. Dieser Gedenktag ist daher
eine deutliche Ansage gegen Kollektivschuld und Rechtfertigungstheorien. Auch
für diese Botschaft danke ich.
Unsere eigene Geschichte mahnt. Sie
zeigt eindringlich, wie wichtig es ist, Menschenrechte zu achten, Krieg und Gewalt
zu verhindern, und Vertreibungen – gestern wie heute – weltweit zu ächten!
Henning Schacht (1); BMI (1)
DOD 03/2015
Politik
21
„Mir ist es wichtig, dieses
Thema wachzuhalten“
Mit Innenminister de Mazière und Bundesbeauftragtem Koschyk im Gespräch
Herr Minister de Maizière, Herr Bundesbeauftragter, mit dem Beschluss
des Bundeskabinetts vom 27. August
2014, ab 2015 immer am 20. Juni der
Opfer von Flucht und Vertreibung zu
gedenken, hat die Bundesregierung
eine Initiative des Bundesrates in die
Tat umgesetzt, für die der BdV lange
geworben hat. Sie haben sie gleich am
Beginn dieser Legislaturperiode mit
in den gemeinsamen Koalitionsvertrag aufgenommen. Wie kam es dazu?
Minister: Dieses Anliegen steht schon
seit längerer Zeit auf der politischen
Agenda. Der Bundesrat hat die Bundesregierung bereits im Jahr 2003 in einer
Entschließung zur Einrichtung eines
Gedenktags für die Opfer von Flucht
und Vertreibung aufgefordert. Im Jahr
2013 hat sich der Bundestag dann auf
Betreiben der Union für einen solchen
Gedenktag ausgesprochen. Vor diesem
Hintergrund ist es gelungen, in Umsetzung des Koalitionsvertrags einen entsprechenden Beschluss des Bundeskabinetts herbeizuführen. Mit dem Beschluss
der Bundesregierung, den Gedenktag für
die Opfer von Flucht und Vertreibung
am 20. Juni, also am Weltflüchtlingstag,
zu begehen, wollen wir Brücken bauen
und einen Beitrag zur Versöhnung leisten.
Bundesbeauftragter: Mit der Wahl des
20. Juni, der ja zugleich schon der Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen ist,
wird die besondere Bedeutung der Einführung des Gedenktages für die deutschen Opfer von Flucht, Vertreibung
und Deportation keineswegs relativiert.
Wir erhalten aus den Reihen der
Vertriebenenverbände viel Zustimmung,
u.a. mit dem Argument, dass sich gerade
durch die Wahl des 20. Juni der Hypothese einer Kollektivschuld der Deutschen, die so tragisch ihre Heimat verloren, von vorneherein entgegengestellt wird.
Am 11. Juni 2015 traf sich BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB (2.v.l.) zu einem Meinungsaustausch mit Minister Dr. Thomas de Maizière MdB (2.v.r.) im Bundesministerium
des Innern. Ebenfalls anwesend waren der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minder­heiten Hartmut Koschyk MdB (ganz l.) sowie BdV-Generalsekretär Klaus Schuck (ganz r.). Schwerpunktthema des Meinungsaustausches war der
Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung, der am 20. Juni 2015 zum ersten Mal
begangen werden sollte. Dr. Fabritius lag daran zu verdeutlichen, dass bei diesem Gedenktag
im Wesentlichen des Schicksals der deutschen Heimatvertriebenen gedacht werde. Es müsse darum gehen, dass durch diesen Gedenktag die dramatische Vertreibung von fast 15
Mil­
lionen Deutschen aus ihrer Heimat einen festen Platz im histo­
rischen Gedächtnis
Deutschlands erhalten werde. „Die Vertreibung der deutschen Zivilbevölkerung war genauso ein Verbrechen, wie es alle ethnischen Säuberungen auf der ganzen Welt bis heute sind“,
so Fabritius.
Otto Schily hat am 29. Mai 1999 im
Berliner Dom gesagt, „Die politische
Linke hat in der Vergangenheit zeitweise über die Vertreibungsverbrechen, über das millionenfache Leid,
das den Vertriebenen zugefügt wurde,
hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus Ängstlichkeit vor dem
Vorwurf, als Revanchist gescholten zu
werden.“ Beobachten Sie eine dauer-
hafte Wiederzuwendung des gesamten demokratischen Spektrums zur
gesamten Opfergruppe?
Bundesbeauftragter: Ich nehme bei
meinen vielen Besuchen sowohl bei den
deutschen Heimatvertriebenen als auch
bei den in der Heimat verbliebenen
Deutschen im östlichen Europa eine
zunehmende Sensibilisierung in allen
22
demokratischen Parteien in Deutschland
wahr. Das kann man z.B. festmachen an
zahlreichen Schirmherrschaften und
Grußworten für Veranstaltungen von
Vertriebenenverbänden oder auch an
persönlichen Bekenntnissen zur eigenen
Familiengeschichte.
Minister: Das Thema ist in der Tat sehr
stark präsent. Zum einen haben die
Flüchtlingskatastrophen insbesondere
im Mittelmeer den Fokus insgesamt
stark auf Flucht und Vertreibung gelenkt.
Zum anderen beobachte ich in letzter
Zeit über Parteigrenzen hinweg eine
Entspannung in Bezug auf den Umgang
mit dem speziellen Komplex der Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte der
Deutschen. Mir ist es wichtig, dieses
Thema wachzuhalten und zu betonen,
dass es dabei nicht um Revanchismus
oder um das Ausspielen verschiedener
Schicksale gegeneinander geht. Die alten
Schlachten voller Vorurteile sind vorbei.
Das ist gut.
Am „Gedenktag für die Opfer von
Flucht und Vertreibung“ wird künftig
der weltweiten Opfer von Flucht und
Vertreibung und „insbesondere der
deutschen Vertriebenen“ gedacht.
Wird hier eine Grundlinie der Bundesregierung deutlich?
Minister: Angesichts der täglichen Meldungen im Zusammenhang mit dem
Thema Flucht und Vertreibung wollen
wir das Gedenken an die deutsche Vertreibungsgeschichte mit einem Blick auf
aktuelle Geschehnisse verbinden. Wenngleich die Situation der heutigen Flüchtlinge nicht vergleichbar mit derjenigen
der Vertriebenen nach 1945 ist, liegen
die Schicksale und das persönliche Erleben der Betroffenen gar nicht so weit
auseinander: Der Verlust der Heimat,
des gewohnten sozialen Umfeldes, der
Kultur und die Schwierigkeiten des Neubeginns werden hier wie dort empfunden. Das auch vom BdV vertretene
Anliegen, dass die Erinnerung an das
Schicksal der deutschen Flüchtlinge und
Vertriebenen als Mahnung dienen möge,
dass sich solche Geschehnisse nicht wiederholen dürfen, wird hier konkret.
Gleichzeitig kann die große Aufbau- und
Integrationsleistung der deutschen Heimatvertriebenen auch Vorbild für die
heute in Deutschland anerkannten
Flüchtlinge sein, sich aktiv in die weitere
Politik
Entwicklung unseres Landes einzubringen. So war es nach Ansicht der Bundesregierung ein logischer Schritt, einen
Gedenktag an diesem 20. Juni einzurichten – nicht zuletzt, weil auch der am
gleichen Tage stattfindende, von den
Vereinten Nationen eingerichtete Weltflüchtlingstag ein Gedenktag für alle
Flüchtlinge weltweit ist.
Bundesbeauftragter: Das ist tatsächlich eine Grundlinie der Bundesregierung. In einer Rede im Sommer 2014
hat auch Bundeskanzlerin Merkel die
Zukunftsdimension des Gedenktages
unterstrichen: „Ich bin sicher, dieser
Gedenktag wird dazu beitragen, Schicksal und Kultur der deutschen Heimatvertriebenen vielen Deutschen in Erinnerung zu rufen, denen dieses Thema
nicht oder nicht mehr bekannt ist.“
Der Bundesbeauftragte Hartmut Koschyk
MdB (l.) und Innenminister Thomas de
Mazière MdB.
Der vormalige Bundespräsident,
Christian Wulff, hat vor Jahren die
letzten Wolfskinder, jene deutschen
Kriegswaisen, die in den Wäldern
Ostpreußens und des Baltikums überlebten, zu sich ins Schloss Bellevue
eingeladen. Es erscheint heute von
tiefgreifender Bedeutung, dass Bundespräsident Joachim Gauck nun
auch bei dieser Gedenkveranstaltung
der Bundesregierung sprechen wird.
War es schwierig, das Staatsoberhaupt
für die Veranstaltung zu gewinnen?
Minister: Nein, im Gegenteil. Der Herr
Bundespräsident war gerne bereit, bei
der Veranstaltung eine Rede zu halten,
und hat das umgehend zugesagt.
Es sprechen der Bundespräsident, Dr.
h.c. Joachim Gauck, Frau Asma Abubaker Ali, ein Flüchtling aus Nordafrika, Frau Dr. Edith Kiesewetter-Giese,
eine Vertriebene aus dem Sudeten-
DOD 03/2015
land, und Dr. Bernd Fabritius, der Präsident des Bundes der Vertriebenen.
Eine hochrangige und weit gespannte
Rednerliste, man darf vermuten, dass
dies sehr bewusst so symbolhaft ausgewählt wurde?
Minister: Ja, wir wollen mit dieser Auswahl die Bedeutung und Würde des
Gedenkens hervorheben und den weiten thematischen Bogen dieses Gedenktages füllen.
Bundesbeauftragter: Neben den eindrucksvollen Zeugnissen, welche Frau
Abubaker Ali und Frau Dr. KiesewetterGiese beitragen werden, kommen in der
aktiven Teilnahme des Herrn Bundespräsidenten und des Präsidenten des BdV
zwei weitere wichtige Aspekte zum Ausdruck: die Bedeutung des Themas Flucht
und Vertreibung in der Bundesrepublik
Deutschland sowie die Stellung des Bundes der Vertriebenen als die zentrale Vertretung der deutschen Heimatvertriebenen in Politik und Gesellschaft.
Inwiefern sind unsere europäischen
Nachbarn, die gemeinsam Frieden
und Freiheit wahren, bei der Planung
und Durchführung dieses Tages eingebunden?
Minister: Dies ist uns ein großes Anliegen. Bereits vor der Beschlussfassung zur
Einführung des Gedenktages haben wir
Vertreter der Regierungen der Republik
Polen und der Tschechischen Republik
eingebunden. Zur Gedenkstunde sind
neben dem diplomatischen Corps auch
offizielle Vertreter und engagierte Bürger
aus Nachbarstaaten mit eigener Vertreibungs- oder Vertriebenengeschichte geladen.
Bundesbeauftragter: Insgesamt ist in
den letzten Jahren ein zunehmendes
Bewusstsein hinsichtlich der Vertreibungsgeschichte bei unseren Nachbarn
deutlich wahrnehmbar geworden. In
Ungarn hat das Parlament 2012 einstimmig einen Gedenktag zur Erinnerung an
die Deportation und Vertreibung der
Ungarndeutschen proklamiert. Rumänien zahlt Deportationsopfern eine Entschädigungsrente. Besonders eindrucksvoll war die jüngste „Deklaration der
Versöhnung und gemeinsamen Zukunft“
des Stadtrats von Brünn, mit der er sich
für die Opfer beim berüchtigten „BrünKoschyk (1); LV (1)
DOD 03/2015
ner Todesmarsch“ vom Mai und Juni
1945 entschuldigt hat. Die Aufnahme
dieser Versöhnungsbotschaft bei den
Sudetendeutschen war sehr bewegend
und mit keinerlei Forderungen verbunden. Nicht zuletzt wurde das gegenseitige Vertrauen gestärkt. Hier ist ein Prozess in Gang gekommen, der nach meiner Einschätzung künftig an Dynamik
noch zunehmen wird.
Haben Sie ein ganz persönliches
Anliegen, das Sie den Lesern des
DOD mit auf den Weg geben wollen?
Bundesbeauftragter: Die deutschen
Heimatvertriebenen haben einerseits
über Jahrzehnte hinweg bis heute
beharrlich und unermüdlich für das
Recht auf die angestammte Heimat
gestritten, andererseits von Beginn an
Gewaltverzicht und den Wunsch nach
echter Versöhnung und Verständigung
mit den neuen Bewohnern ihrer Heimatgebiete ausgesprochen, wie es in der
Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 eindrucksvoll
niedergelegt ist. Damit haben sie maßgeblich dazu beigetragen, dass Vertreibungen und Umsiedlungen gegen den
Willen der Betroffenen heute in Europa
allgemein geächtet sind. Das ist ein bis
heute noch unzureichend bekannter
Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Frieden und zur Versöhnung in
Europa. Immer wieder aufbrechende
ethnische Konflikte in Europa sowie die
Instrumentalisierung von Minderheitenfragen durch Nachbarstaaten wie derzeit
in der Ukraine zeigen, dass dieser Weg
noch nicht zu Ende gegangen ist. Auch
hierfür halte ich die weitere Mitarbeit
der deutschen Heimatvertriebenen für
unverzichtbar.
Minister: Mein Dank und meine Hochachtung gelten der großen Integrationsund Aufbauleistung der Vertriebenen
und ihrer Nachfahren. Ihre Bemühungen, die Erinnerung an dieses dunkle
Kapitel deutscher Geschichte wachzuhalten und Lehren daraus zu ziehen,
sind nicht nur für die Aufarbeitung, sondern auch für die heutigen Überlegungen zum Umgang mit den Herausforderungen von Flucht und Vertreibung
überall auf der Welt besonders wertvoll.
Das Gespräch für den dod führte Dr.
Gunnar Digutsch.
Politik
23
Prof. Dr.Winfrid Halder neuer
Direktor der „SFVV“
Halder vor großen Herausforderungen
Berlin. (dod) In seiner Sitzung am
29.06. hat der Stiftungsrat der „Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Prof.
Dr. Winfrid Halder in der Nachfolge von
Prof. Dr. Manfred Kittel zum Stiftungsdirektor gewählt. Hierzu erklärt BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB:
Die gestrige Wahl des bisherigen
Direktors der „Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus-Deutsch-osteuropäisches
Forum“ in Düsseldorf Prof. Dr. Winfrid
Halder zum neuen Direktor der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ begrüße ich ausdrücklich. Mit der
deutlichen Entscheidung des Stiftungsrates, in dem der BdV mit sechs Mitgliedern vertreten ist, findet die Suche nach
einem Nachfolger für Gründungsdirektor Prof. Dr. Manfred Kittel einen guten
Abschluss.
Im Bewerbungsverfahren waren am
Ende zwei Kandidaten von gleichermaßen hoher wissenschaftlicher Reputation
in die engere Auswahl gekommen.
Überzeugen konnte letztlich Professor
Halder aufgrund seiner langjährigen Praxis als Leiter einer Einrichtung, die sich
der Pflege und der Weiterentwicklung
des Kulturerbes der Deutschen aus den
historischen deutschen Ostgebieten und
den deutschen Siedlungsgebiete in Ostund Südosteuropa verschrieben hat.
Die Entwicklung der Bundesstiftung
bleibt damit auf einem guten Weg. Es ist
nun Professor Halders vorrangige Aufgabe, das geltende Stiftungskonzept umzusetzen, wofür der BdV sich stets nachdrücklich eingesetzt hat. Dabei bauen
wir auf eine gute Zusammenarbeit.
Darüber hinaus liegen große Herausforderungen vor ihm. So müssen die
Bauarbeiten am Berliner Deutschlandhaus fristgemäß fertiggestellt und die
geplante Dauerausstellung möglichst
bald eröffnet werden. 70 Jahre nach
Flucht und Vertreibung erwarten die
deutschen Heimatvertriebenen und
Flüchtlinge, dass die historische Aufarbeitung ihres schweren Schicksals endlich auch sichtbar wird.
Zukunftswerkstatt für die
deutsche Minderheit
9. Fachseminar für Nachwuchskräfte der Minderheit
Oberplan. (dod) Zum neunten Mal
fand im „Adalbert-Stifter-Zentrum“ in
Oberplan im Böhmerwald (Südböhmen)
das vom Adalbert-Stifter-Zentrum und
der „Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien“ gemeinsam ausgerichtete jährliche
Fachseminar für die Führungskräfte der
deutschen Minderheit und deren Nachwuchskräfte statt. Zum Auftakt referierte
Steffen Hörtler, Geschäftsführer der „Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk“, über „Die Entwicklung der
politischen Beziehungen zwischen Bayern und der Tschechischen Republik
und mögliche Auswirkungen und Chancen für die deutsche Minderheit“. Der
Samstagvormittag war zwei wissensvermittelnden Referaten gewidmet: Dr.
Peter Becher, Geschäftsführer des Münchener „Adalbert Stifter Vereins“, sprach
über „Adalbert Stifters Kinderjahre in
Oberplan“, und die Heimatpflegerin der
Sudetendeutschen Dr. Zuzana Finger
ging der Frage nach „Böhmische Küche
– erfunden oder wahr?“
Ein weiterer Tag stand im Zeichen von
Arbeitsgruppen unter dem Motto
„Zukunftswerkstatt für die deutsche Minderheit“. Dabei wurden unter der Leitung
von Mgr. Martin Dzingel, dem Präsidenten der „Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien“, von jeder Arbeitsgruppe Überlegungen und Thesen für die Gestaltung der
weiteren Arbeit in den einzelnen Verbänden und Begegnungszentren erarbeit, formuliert, vorgetragen und diskutiert.
24
Politik
DOD 03/2015
Erfolgreicher Tag der
Vertriebenen
Bouffier: „Die Arbeit der Vertriebenen wird geschätzt und unterstützt“
In Hofgeismar startete der traditionelle Tag der Vertriebenen auf dem
Hessentag mit der öffentlichen
Sprechstunde der Landesbeauftragten der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und
Spätaussiedler, Margarete ZieglerRaschdorf. Im Anschluss fand unter
Teilnahme von Staatsminister Stefan Grüttner eine öffentliche Sitzung des Landesbeirates für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen statt, bei der vor
dem Hintergrund gestiegener
Zugangszahlen die Eingliederung
von Spätaussiedlern im Vordergrund stand.
öhepunkt des Tages war der traditiH
onelle Brauchtumsnachmittag des
Bundes der Vertriebenen (BdV), zu dem
der Vorsitzende Siegbert Ortmann den
Hessischen Ministerpräsidenten Volker
Bouffier mit seiner Gattin Ursula, Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke, den
Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner, die Landesbeauftragte der
Hessischen Landesregierung Margarete
Ziegler-Raschdorf sowie die Landtagsabgeordnete Brigitte Hofmeyer, Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Hofgeismar
und zahlreiche Besucherinnen und
Besucher aus ganz Hessen willkommen
hieß.
Flüchtlingsaufnahme
bleibt aktuell
In seiner Festrede sprach Ministerpräsident Volker Bouffier den Vertriebenen
seinen Dank dafür aus, dass sie Hessen
mit aufgebaut und zu dem gemacht hätten, was es heute darstellt, nämlich ein
weltoffenes, wirtschaftsstarkes Bundesland. Er nahm Bezug auf die Worte von
Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter
Steinmeier, der gesagt habe, die Welt
Musikalisch gestaltet wurde der Brauchtumsnachmittag von den Dörnberg-Musikanten.
Der Frauenchor und die Kindergruppe der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland
aus Rotenburg sangen und spielten bekannte deutsche Volkslieder.
scheine derzeit „irgendwie aus den
Fugen“. Die Ereignisse zeigten, dass es
auch heute wieder eine Notwendigkeit
gebe, Menschen Zuflucht und neue Heimat zu bieten. 50 Millionen Menschen
seien weltweit auf der Flucht, weil es
um uns herum zahlreiche ungeordnete
und unbefriedete Regionen gebe, die zu
Brandherden geworden seien. So bleibe
die Aufnahme von Flüchtlingen ganz
aktuell und weiterhin eine Notwendigkeit und unser Bemühen, da die Zahlen
weiter steigen.
„Die Heimatvertriebenen verstehen
besser als andere, was es bedeutet, vertrieben zu werden und die Heimat zu
verlieren“, sagte der Ministerpräsident.
Der große Verband des BdV habe verdienstvoll gewirkt, als in den 90er Jahren
eine ganz große Anzahl Spätaussiedler
kam. Bei der Eingliederung dieser Menschen, die teils drei Mal ihre Heimat verloren hatten, hätten der BdV und die
Organisationen der Landsmannschaften
der Deutschen aus Russland und der
Wolgadeutschen viel geleistet.
Der Ministerpräsident richtete seinen
Dank an die genannten Verbände, die
eher als alle anderen als Brückenbauer
wirken könnten und betonte: „Hessen
ist mit seiner Vertriebenenpolitik im
Bundesvergleich einmalig und hat keinen Nachholbedarf. Die Arbeit der Vertriebenen wird geschätzt und unterstützt“. Für die Verbände der Vertriebenen und der Spätaussiedler gebe es feste
Partner in der Landesregierung wie den
Minister für Soziales und Integration
und die Landesbeauftragte. Beiden spreche er seinen besonderen Dank für ihre
Arbeit aus.
Stolz auf die Charta
Im 70. Jahr nach Ende des Zweiten
Weltkrieges mit 60 Millionen Toten, der
den moralischen Tiefpunkt in der
Geschichte unseres Landes darstelle,
erinnerte Bouffier an die besondere Verantwortung die daraus erwachse. Die
Antwort darauf, damit so etwas nie wieder passieren könne, sei das vereinte
Europa. Dieser gewaltige Auftrag bedeute: „Europa darf nie mit kleiner Münze
daherkommen!“ Europa biete die Chan-
Hessisches Ministerium für Soziales und Integration (1); Sabine Gorenflo (1)
DOD 03/2015
ce, unterschiedliche Interessen ohne
Krieg auszugleichen. Die Vertriebenen
könnten stolz sein auf die Erklärung, die
sie in ihrer Charta der deutschen Heimatvertriebenen im Jahr 1950 – fünf
Jahre nach dem Krieg – abgegeben
haben, nämlich den Verzicht auf Rache
und Vergeltung und den Willen, ein
gemeinsames Europa zu schaffen: „Da
war kein rührseliger Blick nach hinten,
sondern da war ein entschlossener Blick
nach vorne!“ Der Ministerpräsident lobte in diesem Zusammenhang die gute
Idee des BdV-Landesvorsitzenden, künftig darüber nachzudenken, auch volksdeutsche Gruppen aus Ungarn und Russland und anderen Herkunftsgebieten
zum Brauchtumsnachmittag beim Hessentag einzuladen, um eine unmittelbare
Begegnung der Menschen zu ermöglichen.
In seiner Festrede ging der Ministerpräsident schließlich auf die beiden
25-jährigen Patenschaften des Landes
Hessen über die Landsmannschaft
Weichsel-Warthe und die Deutsch-Baltische-Gesellschaft sowie die 30-jährige
Patenschaft über die Wolgadeutschen in
diesem Jahr ein. Alle drei Jubiläen wolle
die Hessische Landesregierung beim 2.
Hessischen Gedenktag und Tag der Heimat am 13. September 2015 im Biebricher Schloss in besonderer Weise würdigen.
Nach der Festansprache des Ministerpräsidenten leitete Minister Stefan Grüttner zur dritten Verleihung des Landespreises „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“, der mit 7.500 € dotiert ist, – siehe
den Artikel auf Seite 25 dieses Deutschen Ostdienstes – über.
Musikalisch gestaltet wurde der
Brauchtumsnachmittag von den Dörnberg-Musikanten. Der Frauenchor und
die Kindergruppe der Landsmannschaft
der Deutschen aus Russland aus Rotenburg sangen und spielten bekannte deutsche Volkslieder. Die BdV-Musikgruppe
Biebesheim-Dornheim erfreute die Besucher mit Liedern aus dem Egerland, die
Tanzgruppe der Siebenbürger Sachsen
aus Kassel führte alte Volkstänze vor. Der
Männerchor 1862 e.V. Hofgeismar
brachte weitere Lieder zu Gehör und
begleitete das mit den Anwesenden
gesungene Volkslied „Kein schöner
Land“. Mit der gemeinsam gesungenen
Deutschen Nationalhymne klang der
gelungene Nachmittag aus.
(PM)
Politik
25
3.Verleihung Landespreis „Flucht,
Vertreibung, Eingliederung“
Ministerpräsident Bouffier übergibt Preise
Hofgeismar. (dod) Im Rahmen des
traditionellen Tages der Vertriebenen auf
dem Hessentag wurde von Ministerpräsident Volker Bouffier in Hofgeismar
zum dritten Mal der Hessische Landespreis „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“ vergeben.
„Fast ein Drittel aller in Hessen lebenden Bürgerinnen und Bürger hat Flucht
und Vertreibung selbst erlebt, ist durch
das Schicksal der nächsten Angehörigen
betroffen oder wohnt hier als Spätaussiedler. Die Hessische Landesregierung
ist sich der Verantwortung bewusst, die
daraus erwächst. Auch mit dem heute
verliehenen Preis halten wir die Erinnerung wach“, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier.
In seiner Einführung zur Preisverleihung sprach der Minister für Soziales
und Integration Stefan Grüttner über die
Entstehung des Preises und die Entscheidung der Jury in diesem Jahr.
Minister Grüttner führte aus, dass die
Jury sich auch in diesem Jahr die Ent-
scheidung nicht leicht gemacht, letztlich
aber unter 24 Bewerbungen die Auswahl der Preisträger einstimmig getroffen habe. Eingesandt worden seien Sachbücher, Zeitungen, Biographien, Erlebnisberichte, Schularbeiten und VideoAufzeichnungen.
In ihrer Laudatio gab die Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung
für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler-Raschdorf die
Gewinner des Preises bekannt: „Der
Hauptpreis in Höhe von 4.500 Euro geht
im Jahr 2015 an das Weilburger Forum
für die Videodokumentation „Gegen das
Vergessen: Flucht–Vertreibung–Aussöhnung“. Die weiteren Preisträger sind die
Adam-von-Trott-Schule in Sontra für den
Projekttag „Geschichte und Integration
der Deutschen aus Russland“ und der
Schüler dieser Schule, Marcel Isinger für
seine schulische Jahresarbeit „Erzählte
Traditionen der Russlanddeutschen“.
Diese beiden Preisträger erhalten jeweils
ein Preisgeld von 1.500 Euro.“
Nach der Preisverleihung (v. l.): BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann, Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf, Pädagogischer Leiter der Adam-von-Trott-Schule Ludger Arnold, Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner, Preisträger Marcel Isinger, für „Preisträgerin Schule“ die Schulleiterin der Adam-von-Trott-Schule Sontra Susanne Herrmann-Borchert, Hauptpreisträger Weilburger Forum e.V.: Werner Röhrig (Drehbuch
und Text), Ralph Gorenflo (Kamera, Schnitt, Herstellung), Edeltraud Göpel (Künstlerin),
Hessischer Ministerpräsident Volker Bouffier.
26
Kultur
DOD 03/2015
Menschenrechte
ohne Grenzen
66. Sudetendeutscher Tag in Augsburg
Mehr junge Teilnehmer und viele,
die zum ersten Mal kamen, mehr
Besucher aus der Tschechischen
Republik als jemals zuvor und mehr
Aussteller prägten den 66. Sudetendeutschen Tag zu Pfingsten in
Augsburg. 70 Jahre nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs und dem
Beginn der Vertreibung der Deutschen aus Böhmen, Mähren und
Sudetenschlesien entfaltete das
traditionelle Pfingsttreffen der
Sudetendeutschen eine unerwartete Anziehungskraft.
ür besonderes Aufsehen sorgte eine
F
überraschende Videobotschaft des
Stellvertretenden Ministerpräsidenten,
Wissenschaftsministers und Vorsitzenden der christdemokratischen Partei
KDU-ČSL der Tschechischen Republik
Pavel Bělobrádek bei der Hauptkundgebung des Sudetendeutschen Tages am
Pfingstsonntag. Er unterstrich die Wahrheit als befreienden Wert und fügte hinzu: „Zu den grundlegenden christlichen
Elementen, zu den Werten, gehört die
Vergebung. Diese ist niemals möglich,
ohne dass man die eigene Schuld
bekennt.“
Besonders zu Herzen ging den sudetendeutschen Heimatvertriebenen ein
Grußwort der Tschechischen Bischofskonferenz, das Bischofsvikar Vojtěch
Eliáš im Rahmen des eindrucksvollen
Pfingstgottesdienstes überbrachte. Recht
und Unrecht, Menschlichkeit und
Unmenschlichkeit müssten beim Namen
genannt werden, hieß es da. „Wir Menschen mit tschechischer Sprache und
auch mit katholischem Glauben, die in
Tschechien leben, müssen sagen, dass
Sie, die vertrieben wurden, uns noch
immer fehlen, dass auch wir Opfer der
seinerzeitigen Entscheidungen sind, dass
Sie, die Katholiken, die vertrieben wurden, uns noch immer fehlen!“
Der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Hauptkundgebung des 66. Sudetendeutschen Tages in Augsburg.
Dass die Stadt Brünn (heute: Brno) für
den sogenannten „Brünner Todesmarsch“, bei dem Ende Mai 1945 etwa
20.000 deutsche Bewohner der Stadt
unter entsetzlichen Leiden nach Niederösterreich getrieben wurden und Tausende zu Tode kamen, um Vergebung
und Versöhnung gebeten hat, wurde
dankbar vom Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und dem Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe
Bernd Posselt hervorgehoben. Als besonders bemerkenswert bezeichnete es Posselt, dass die Stadt Brünn die Anwendung des Prinzips der Kollektivschuld als
Ursache für die Vertreibung benannt
habe. „Man hat Unschuldige vertrieben,
nur weil sie deutscher Muttersprache
waren. Diese Klarheit ist beeindruckend
an der Erklärung der Brünner.“ Anhand
der Geschichte seiner eigenen Familie
stellte Posselt fest: „Die Vertreibung war
kein Kollateralschaden des Zweiten
Weltkriegs, sie war ein eiskalt geplantes
Nachkriegsverbrechen.“ Das heiße aber
nicht, „dass wir die Kausalität leugnen“.
Die überwältigende Mehrheit der Erlebnisgeneration habe sehr früh nach der
Vertreibung den Kurs eines „Nie wieder“ eingeschlagen, den die Nachgeborenen heute fortsetzen. Und Posselt fügte hinzu: „Auch Angehörige unserer
Volksgruppe haben schwere Schuld auf
sich geladen in der Zeit des Nationalsozialismus. Wir stehen zu unserer Verantwortung für die Aufarbeitung dieser
Schuld, denn jeder muss zunächst vor
seiner eigenen Türe kehren.“
Wie dieses in der Grundsatzerklärung
der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Ende Februar 2015 neu verankerte Eingeständnis einer Mitverantwortung
erwähnte Posselt in seiner Ansprache bei
der Hauptkundgebung auch die Satzungsänderung, die bei einigen Mitgliedern Unmut und Widerstand hervorgerufen hatte. Statt der Forderung, die
„Wiedergewinnung“
der
Heimat
„durchzusetzen“, wie es in der bislang
gültigen Satzung formuliert war, soll die
„Wiederbelebung“ der Heimat das Ziel
sein. „Eine Wiedergewinnung im Sinne
Flögel (1); Schuster (1)
DOD 03/2015
von Grenzänderung, kollektiver Rücksiedlung oder dergleichen hält kein vernünftiger Mensch für möglich oder wünschenswert. Aber eine Wiederbelebung
der Heimat in Partnerschaft mit den
Menschen, die dort leben, ob es Tschechen oder in der Heimat verbliebene
Deutsche sind, das ist, was wir seit Jahrzehnten tun.“
Der Bayerische Ministerpräsident
Horst Seehofer bezeichnete die Ansprache des Sprechers der Sudetendeutschen
Volksgruppe als „eine historische Rede“
und würdigte die Anwesenheit so vieler
Vertreter der hohen Geistlichkeit, der
Regierung sowie des Parlaments aus der
Tschechischen Republik und das Miteinander beim Sudetendeutschen Tag als
„eine historische Dimension“. Er nannte
die Vertreibung der Sudetendeutschen
eines der größten Verbrechen des 20.
Jahrhunderts, erinnerte aber auch an
ihre segensreiche Eingliederung in Bayern. Bayern sei ein Integrationsland.
Aber „wer zu uns kommt heute, muss
mit uns leben wollen und nicht neben
oder gegen uns“, betonte Seehofer. „Wir
Kultur
te für Aussiedlerfragen und nationale
Minderheiten Harmut Koschyk MdB.
Mit dem in diesem Jahr erstmals am 20.
Juni in Berlin stattfindenden nationalen
Gedenktag für die Opfer von Flucht und
Vertreibung, der an den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen anknüpft,
werde auch an das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen erinnert. Er
dankte den Sudetendeutschen für ihre
Brückenfunktion im Dienste der Völkerverständigung. Nicht zuletzt die Änderung der Satzung sowie die heimatpolitische Grundsatzerklärung der Sudetendeutschen Landsmannschaft bekräftigten deren Willen zur Mitgestaltung der
deutsch-tschechischen Beziehungen.
Der Europäische Karls-Preis, die höchste Auszeichnung der Sudetendeutschen
Landsmannschaft, wurde in diesem Jahr
an Valentin Inzko, Hoher Repräsentant
für Bosnien und Herzegowina, verliehen. Der Diplomat, ein österreichischer
Slowene aus Kärnten, lenkt seit sechs
Jahren als Beauftragter der Vereinten
Nationen die Geschicke dieses Balkanstaats. Der Sprecher der Sudetendeut-
Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina Valentin Inzko (l.) wird vom Sprecher
der Sudetendeutschen Volksgruppe Bernd Posselt mit dem Europäischen Karls-Preis der
Sudetendeutschen Landsmannschaft ausgezeichnet.
helfen Menschen, die auf der Flucht
sind. Das ist für uns ein Gebot der Menschenwürde, der Humanität und für uns
alle eine Selbstverständlichkeit“, stellte
der Bayerische Ministerpräsident fest.
Die Grüße der Bundesregierung an die
Teilnehmer des 66. Sudetendeutschen
Tages überbrachte der Bundesbeauftrag-
schen Volksgruppe Bernd Posselt ehrte
Valentin Inzko als verdienten Volksgruppenvertreter, der nicht nur dazu beigetragen habe, den sogenannten Kärntner
Ortstafelstreit zu lösen, sondern auch im
Dienste der Vereinten Nationen in Asien
– von der Mongolei bis nach Sri Lanka
– unzählige Konflikte moderiert und ein-
27
geebnet habe. Der Preisträger bedankte
sich mit dem bescheidenen Geständnis,
er empfinde „Demut, aufrichtige Freude,
zu allererst aber Unglauben, wenn (er)
an die bisherigen Preisträger denke“.
Im Rahmen eines erstmals veranstalteten Internationalen Menschenrechtskongresses vor dem Beginn des Sudetendeutschen Tages, an dem sich Vertreter
der Jesiden im Irak, der Armenier in der
Türkei, der Krimtataren in der Ukraine,
des Südtiroler Volksgruppen-Instituts
und anderer religiöser oder ethnischer
Minderheiten beteiligten, wurde Prof.
Dr. Manfred Kittel mit dem Menschenrechtspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft ausgezeichnet. Als Historiker und als Gründungsdirektor der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ von 2009 bis 2014 habe sich Kittel immer für die europäische Einigung,
gegen Nationalismus, für Menschenrechte und mit hohem wissenschaftlichen Ethos für das Thema Vertreibung
engagiert. In einer Vortragsveranstaltung
im Rahmen des Sudetendeutschen Tages
referierte Kittel über Parallelen und
Unterschiede von Vertreibung und Integration nach 1945 und heute. Während
die Empathie, die Hilfe und der Schutz
für Flüchtlinge überall und jederzeit
gewährleistet waren und sind, seien die
Fluchtgründe und die Voraussetzungen
für die Integration damals und heute
sehr unterschiedlich, so das Fazit von
Manfred Kittel.
Einen frischen Akzent setzte der junge
Obmann der Landesgruppe Bayern und
Stellvertretende Bundesvorsitzende der
Sudetendeutschen
Landsmannschaft
Steffen Hörtler. Er erinnerte nicht nur
daran, was die Vorfahren bei der Vertreibung vor 70 Jahren erleiden mussten,
weil die Menschen- und Volksgruppenrechte missachtet wurden. Verletzt und
verbittert habe viele Heimatvertriebene
aber vor allem, dass sie und ihr Schicksal
jahrzehntelang ignoriert wurden. Diese
Einstellung habe sich erst in den 90erJahren geändert, als die Flüchtlinge aus
dem früheren Jugoslawien zu uns
kamen. Und im Hinblick auf den
Reformprozess in der Sudetendeutschen
Landsmannschaft unterstrich Hörtler,
dass diese Entwicklung entscheidend
sowohl für das Fortbestehen der sudetendeutschen Volksgruppe als auch für
den weiteren beharrlichen Einsatz für
deren politischen Ziele sei. Ute Flögel
28
Kultur
DOD 03/2015
Heimattag der gelebten
Identität
65. Pfingsttreffen der Siebenbürger Sachsen von der Jugend geprägt
Der 65. Heimattag der Siebenbürger Sachsen fand vom 22. bis 25.
Mai unter dem Motto „Identität
lohnt sich“ in Dinkelsbühl statt.
Rund 26.000 Besucher nahmen
daran teil, so viele wie noch nie seit
dem ersten Pfingsttreffen 1951.
Rekordzahlen wurden auch beim
Festumzug verzeichnet: 108 Gruppen mit weit über dreitausend siebenbürgisch-sächsischen Trachtenträgern. Wie der Bundesvorsitzende
und BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB, Bayerns Landtagspräsidentin Dr. Barbara Stamm, der
Forumsvorsitzende Dr. Paul Jürgen
Porr und andere Redner feststellten, sei die siebenbürgisch-sächsische Identität Voraussetzung für
eine sich voll entfaltende Persönlichkeit. Es war ein Heimattag der
gelebten Identität und der Jugend,
die voller Stolz und mit Leichtigkeit
mitmachte.
er Heimattag stand im Zeichen des
D
Erinnerns an die Russlanddeportation vor 70 Jahren sowie der 30-jährigen
Partnerschaft zwischen Dinkelsbühl und
dem Verband der Siebenbürger Sachsen.
In einer Gedenkveranstaltung am 23.
Mai erinnerte Peter Leber, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, an die rund 120.000
Deutschen aus Südosteuropa, die im
Januar 1945 zur Zwangsarbeit in die
Sowjetunion deportiert worden waren.
Aus Siebenbürgen, dem Banat und anderen Teilen Rumäniens waren es über
70.000 Deutsche, von denen fast
15.000 ihr Leben lassen mussten. Die
Reihen der Zeitzeugen hätten sich
immer weiter gelichtet, es gelte, das Vermächtnis der ehemaligen Deportierten
anzunehmen, betonte Leber.
Für eine Weiterentwicklung der Kultur und sozialen Identität sprach sich der
Weit über 3000 Trachtenträger nahmen am Festumzug teil, darunter 13 Brautpaare, hier
jenes von der Heimatortsgruppe Rode aus dem Zwischenkokelgebiet.
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius am
24. Mai in seiner Festansprache aus. Er
bekundete seine Freude über die sehr
vielen jungen Menschen, die am farbenprächtigen Festumzug teilgenommen
haben. Identität lohne sich für die
Gemeinschaft und für jeden Einzelnen,
„weil jeder von uns tief in seinem Herzen einen siebenbürgischen Schatz
trägt“. Fabritius zeigte sich dankbar für
die vielen Mitstreiter und Fürsprecher,
die die Siebenbürger Sachsen in der
Gesellschaft finden, stellte aber auch
eine Reihe von Forderungen an Deutschland und Rumänien, um die Kultur zu
fördern, Zwangsarbeiter zu entschädigen
oder enteignetes Vermögen zurückzugeben.
Barbara Stamm, Präsidentin des Bayerischen Landtags, würdigte in ihrer Festrede den Beitrag des landsmannschaftlichen Verbandes zum Erhalt und zur
Weitergabe der siebenbürgisch-sächsischen Kultur an die junge Generation. Es
sei Aufgabe der Politik, diese deutsche
Kultur zu unterstützen: „Bayern war, ist
und bleibt der verlässliche Partner der
Siebenbürger Sachsen.“ Die CSU-Politikerin zeigte sich zuversichtlich, dass
Klaus Johannis seinen Gestaltungsspielraum als Präsident Rumäniens weiterhin
bestmöglich nutzen und noch sehr viel
Positives für sein Land bewirken werde.
Wie sich die Identität der Siebenbürger Sachsen im Laufe der Jahrhunderte
gewandelt hat und doch im Wesen
erhalten geblieben ist, zeigte Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, auf. Überall in der Welt, ob in Siebenbürgen oder in anderen Ländern lebend,
hätten sich die Siebenbürger Sachsen
vielfach behauptet, integriert, ohne auf
ihre Identität zu verzichten. Herausragendes Beispiel sei Klaus Johannis.
Dr. Christoph Hammer, Oberbürgermeister der Stadt Dinkelsbühl, erinnerte
bei der Eröffnung des Heimattages am
Pfingstsamstag an die Partnerschaft zwischen der Stadt Dinkelsbühl und der
Schuster (1); Bruss (1); Buchner (1)
DOD 03/2015
Landsmannschaft, die am 25. Mai 1985
vereinbart worden war, um „die gewachsenen Beziehungen zu festigen und zu
fördern“. Das Ziel sei allen bestens gelungen.
„Patenminister“ Thorsten Klute,
Staatssekretär für Integration im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales
des Landes Nordrhein-Westfalen, würdigte den Geist der Versöhnung, der den
Heimattag trage und der sich täglich in
der Arbeit der Siebenbürger Sachsen zeige. Seitens des Landes Nordrhein-Westfalen, das 1957 die Patenschaft für die
Landsmannschaft der Siebenbürger
Sachsen übernommen hatte, sicherte
der SPD-Politiker zu: „Wir möchten gerne Ihre Partner bleiben und sein.“
Der Präsident des Hessischen Landtags, Norbert Kartmann, betonte, dass
die Siebenbürger Sachsen als ein Teil der
Heimatvertriebenen mit der Charta der
Heimatvertriebenen von 1952 ein
Bekenntnis zum Frieden in Europa abgelegt hätten, und das kurz nach ihrer
Befreiung. Das sei eine großartige Leistung, die den Friedensnobelpreis verdient habe, sagte der CDU-Politiker.
Grüße von Rumäniens Staatspräsident
Klaus Johannis übermittelte dessen Berater für Kultur, Sergiu Nistor. Er würdigte
die siebenbürgisch-sächsische Zivilisation als Vorbild für Europa und „originelles Paradigma der Wahrnehmung des
Kulturerbes als Ursprungs- und Entwicklungsmodell“. Das multikulturelle Erbe
Siebenbürgens bezeichnete Präsidialberater Sergiu Nistor als großen Segen für
Rumänien und einen Schatz, der beim
Kultur
29
Festredner und Ehrengäste auf dem Weg zur Tribüne, erste Reihe, von links: Dr. Peter Boehm,
Vizeaußenminister Kanadas, BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius, Bayerns Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Forumsvorsitzender Dr. Paul Jürgen Porr und Dinkelsbühls Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer.
Heimattag in Dinkelsbühl „in seiner ganzen Lebendigkeit zum Ausdruck
gebracht“ werde.
Dr. Peter Boehm, Staatssekretär im
kanadischen Außenministerium, Vizeaußenminister Kanadas, übermittelte ein
Grußwort seitens der Landsmannschaft
der Siebenbürger Sachsen in Kanada. Er
stellte erfreut fest: „Wir vom siebenbürgisch-sächsischen Stamm sind doch
wirklich überall zu finden, wir leben und
arbeiten in Dinkelsbühl, in Ottawa, im
Hessischen Landtag, in Cleveland, Drabenderhöhe, auf der Rockbühne oder
auch im Präsidentenpalast in Bukarest.
Die Jugend begeisterte das Publikum beim Heimattag in Dinkelsbühl, wie bei der Volkstanzveranstaltung vor der Schranne am Pfingstsonntag.
Für uns zahlt es sich aus, eine eigene
Identität zu haben!“
Werner Hans Lauk, Botschafter der
Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, verwies auf eine Initiative des Deutschen Bundestages, die die Situation der
Lehrkräfte im deutschsprachigen Schulwesen Rumäniens verbessern soll, und
rief die Siebenbürger Sachsen auf, sich
als Lehrkräfte in Rumänien zu engagieren.
Zum niveauvollen Programm des Heimattages gehörten u.a. Ausstellungen,
Konzerte, Tanzveranstaltungen, die
Podiumsdiskussion zum Thema „Repräsentation und Interessenvertretung“ und
– als kultureller Höhepunkt – die Preisverleihungen am Pfingstsonntag in der
St.-Pauls-Kirche. Der SiebenbürgischSächsische Kulturpreis 2015 ging an den
Musiker Peter Maffay (in Abwesenheit)
und den Theologen, Kulturhistoriker
und Politiker Prof. Dr. Dres. h.c. Paul
Philippi. Mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen ­Jugendpreis wurde der Deutschsprachige Studentenverein Gutenberg
Klausenburg ausgezeichnet.
Die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend
in Deutschland gestaltete in bewährter
Weise die Volkstanzveranstaltung „Aus
Tradition und Liebe zum Tanz“, präsentierte den Nachwuchs in der Schranne
und zeichnete verantwortlich für die
Sportturniere, beste Partystimmung im
Festzelt und vieles mehr.
Siegbert Bruss
30
Kultur
DOD 03/2015
Flucht,Vertreibung,
Deportation
Symposium des Zentrum gegen Vertreibungen und der KAS
Als Vorstandsmitglied der KonradAdenauer-Stiftung (KAS) begrüßte
der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion im Deutschen Bundestag
Volker Kauder MdB am 9. Juni 2015
in Berlin ein zahlreiches und interessiertes Publikum zu dem
gemeinsam von der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV)
und der KAS organisierten Symposium „Flucht, Vertreibung, Deportation – Das Schicksal der Deutschen
im Osten nach dem Ende das Zweiten Weltkrieges“. Unter den Besuchern waren viele Zeitzeugen.
seinen Eröffnungsworten rief KauItennderErinnerung
zu einer ehrlichen und ungeteilan die Vertreibungen am
Ende des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieges auf. Heute
könne man unbefangener darüber sprechen, dass auch Millionen Deutsche
Opfer von Menschenrechtsverletzungen
geworden seien. „Menschenrechte sind
nicht teilbar!“, erklärte Kauder und
machte deutlich, dass dies auch vor dem
Hintergrund der heutigen Situation von
Flucht und Vertreibung gelte.
Die ZgV-Vorsitzende Erika Steinbach
MdB betonte in ihrer Ansprache, gerade
wegen des Schicksals der Deutschen im
Osten müsse das Ende des Zweiten
Weltkrieges vor 70 Jahren richtig eingeordnet werden: „Der 8. Mai 1945, dessen landauf und landab gedacht wurde
– und mit Recht gedacht wurde –, ist
eines der Schlüsseldaten der Geschichte
des 20. Jahrhunderts. An diesem Tage
endete die Schreckensherrschaft der
Nationalsozialisten über Deutschland,
über weite Teile Europas, und es endete
der fürchterlichste Krieg, den die Welt
bis dahin durchlitten hatte. Und dennoch ist der fast euphorische und knappe
Satz ‚Tag der Befreiung‘ ein Ausblenden
der millionenfachen Menschenrechts-
Schlussrede des BdV-Präsidenten (Bühne v.l.n.r.): Dr. Bernd Fabritius MdB, Prof. Dr. Dr. h.c.
Horst Möller, Milan Horáček, Sven Felix Kellerhoff, Freya Klier und Erzbischof Dr. Robert
Zollitsch.
verletzungen auch nach diesem Tag.“
Mit Hilfe vieler ausländischer Stimmen
aus Literatur und Wissenschaft, darunter
etwa Lew Kopelew und Norman Naimark, zeigte Steinbach, dass für viele
Menschen – Flüchtlinge, Vertriebene,
Zwangsarbeiter, aber auch die Bewohner
der ehemaligen SBZ/DDR und vieler
Länder Osteuropas – mit dem 8. Mai
1945 und der anbrechenden kommunistischen Diktatur neues Leid begann. Für
all jene müsse doch die Reduzierung dieses Tages auf einen „Tag der Befreiung“
wie ein Hohn wirken, so Steinbach.
Auch daher gehe es dem ZgV darum, an
die Ereignisse danach – an Flucht, Vertreibung und Deportation – als Teil der
gesamtdeutschen Geschichte zu erinnern.
Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Möller, ehemaliger Direktor des Institutes für Zeitgeschichte (IfZ) und BdV-Ehrenplakettenträger des Jahres 2013, nahm Erika
Steinbachs Argumentation auf und sagte, dass das seit der Formulierung von
Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 immer prominenter gewordene Schlagwort „Tag der Befreiung“ im
Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte nur eingeschränkt Geltung besitze.
Zwar sei überall Erleichterung darüber
spürbar gewesen, dass der furchtbare
Krieg zu Ende sei, aber gerade im Hinblick auf die „Befreiung“ unterscheide
sich die konkrete „Erfahrung der damals
Lebenden fundamental von derjenigen
heutiger Generationen.“
Aus einem faktenreichen und historisch fundierten Vortrag über viele
Aspekte von Flucht, Vertreibung und
Deportation während und nach dem
Zweiten Weltkrieg, in dem er Täter und
Opfer auf allen Seiten klar benannte, leitete Professor Möller am Ende Schlussfolgerungen ab, aus denen die Bedeutung der Vertreibung der Deutschen als
„insgesamt geplanter und vorsätzlicher
Vorgang, der gegen das Völkerrecht verstieß“, deutlich wurde. Daher sei es notwendig, die deutsche Erinnerungskultur
BdV-Archiv (2)
DOD 03/2015
aus ihrer Einseitigkeit zu lösen, um auch
den eigenen Opfern darin Raum zu
geben. Dies bedeute keinesfalls eine
Relativierung der singulären deutschen
Verbrechen, etwa an den europäischen
Juden.
Professor Möllers Ausführungen folgend, benutzte Welt-Redakteur Sven
Felix Kellerhoff ein Selbstzitat, um auf
die anschließende, von ihm moderierte
Podiumsdiskussion
hinzuführen:
„Glaubwürdig der Opfer anderer Völker
gedenken kann nur, wer auch an die
unschuldigen Opfer des eigenen Volkes
erinnert“, habe er schon im Jahr 2000
über die Vertreibung der Deutschen
geschrieben. Kellerhoff bat die Podiumsgäste um eine Stellungnahme zu dieser
These.
Der emeritierte Freiburger Erzbischof
Dr. Robert Zollitsch konnte hierzu aus
seiner eigenen Familiengeschichte antworten: Geboren 1938 im jugoslawischen Filipowa – in der Batschka – und
einer der dortigen donauschwäbischen
Familie entstammend, habe er 1944 miterleben müssen, wie 212 deutschstämmige Einwohner von der sogenannten
Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee
ermordet worden seien – darunter sein
zehn Jahre älterer Bruder. Er selbst sei
mit seiner Großmutter und drei Cousinen 1945 in Titos größtes Vernichtungslager im damaligen Gakowa gebracht
worden, von wo dann die Flucht nach
Deutschland gelungen sei. Erst 60 Jahre
später habe Zollitsch seinen Heimatort
wiedergesehen, sei aber wie viele andere
als „Brückenbauer“ gekommen, der
zwar auch über seine Erlebnisse gesprochen habe, nicht jedoch, um mit den
heutigen Bewohnern „abzurechnen“.
Über diese Brücken der Verständigung
seien die europäische Integration des
heutigen Serbien und später auch die
heilsame Aufarbeitung der damaligen
Verbrechen vorangekommen.
Thematisierung des Erlebten
Wie wichtig Erinnerung, Begegnung
und Thematisierung des Erlebten gerade
für die traumatisierten Opfer ist, betonte
auch die Autorin, Regisseurin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Freya
Klier. Mit ihrem Dokumentarfilm und
späteren Buchprojekt „Verschleppt bis
ans Ende der Welt“ habe sie schon 1993
ein Tabu gebrochen, indem sie mit zehn
Kultur
Die Vorsitzende der Stiftung Zentrum gegen
Vertreibungen Erika Steinbach MdB.
deutschen Frauen, die das Glück hatten,
aus der sowjetischen Zwangsarbeit nach
Deutschland zurückzukehren, nach
Russland gereist sei. Am Ort ihres größten Leids und im Gespräch mit den dort
lebenden Russen hätten einige der Frauen erstmals offen über ihr Schicksal sprechen können. Für viele habe dies das
Ende jahrzehntelanger Albträume
bedeutet. Ähnliches habe Klier auch im
Hinblick auf die vertriebenen Kinder
erlebt, deren Erinnerungen sie ihr zuletzt
erschienenes Buch „Wir letzten Kinder
Ostpreußens“ gewidmet habe.
Milan Horáček, der kurz nach dem
Krieg in der damaligen Tschechoslowakei geboren wurde, im Zuge der Ereignisse des Prager Frühlings 1968 in die
Bundesrepublik Deutschland floh, später
Gründungsmitglied der Grünen, Bundestags- sowie Europaabgeordneter war
und seit 2014 BdV-Präsidialmitglied ist,
ging nochmals auf die auch von Erika
Steinbach thematisierte kommunistische
Diktatur über halb Europa ein. Im Hinblick auf die Tschechische Republik könne man aufgrund der Ereignisse von
1918, 1938 und 1968 von der Traumatisierung eines ganzen Landes sprechen,
erklärte er. Horáček selbst habe erlebt,
wie sein Heimatland „über Nacht von
5.000 Panzern und 500.000 sowjetischen Soldaten besetzt wurde.“ Auch
dadurch komme die Auseinandersetzung mit eigener Schuld in der Tschechischen Republik nur langsam voran.
Umso wichtiger sei das volksdiplomati-
31
sche Engagement der Sudetendeutschen
für die deutsch-tschechische Verständigung. Wenn der Stadtrat von Brünn
zuletzt für den Brünner Todesmarsch
um Vergebung gebeten habe, sei dies das
Resultat einer Entwicklung mindestens
über die letzten 15 Jahre.
Für ein angemessenes Gedenken an
erlittenes Unrecht sei eine genaue historische Aufarbeitung unbedingt notwendig, verdeutlichte Professor Möller, der
auch Podiumsteilnehmer war. Hierfür
seien Zeitzeugenberichte unersetzbare
Dokumente, die jedoch immer durch
wissenschaftliche Forschung ergänzt
werden müssten, erklärte er. Dies zeige
schon das aus den Stellungnahmen deutlich gewordene Phänomen, dass viele
Menschen lange Zeit nicht in der Lage
seien, über ihre Erlebnisse zu sprechen.
In einem eindringlichen Schlusswort
mahnte BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius MdB, dass eben jene vielen, zum Teil
auch im Symposium zu Tage getretenen
Einzelschicksale von Flucht, Vertreibung
und Deportation nicht in Vergessenheit
geraten dürften. Auch sein Großvater sei
als Siebenbürger Sachse und Soldat der
rumänischen Armee nach Russland zur
Zwangsarbeit deportiert worden. Dies
habe das Familienleben nachhaltig
geprägt.
Achtung vor den Opfern
„Warum nur tut sich die deutsche
Gesellschaft bis heute so schwer damit,
historische Wahrheit als solche zu
benennen?“, fragte der BdV-Präsident
und versicherte, dass es nicht darum
gehe, das eine Leid am anderen zu messen oder gar zu relativieren. Zwar gebe
es in Deutschland bereits Erinnerungsorte, Museen und Mahnmäler für Flucht
und Vertreibung wie etwa die „Ewige
Flamme“ am Berliner Theodor-HeussPlatz, doch sei es „sowohl zur Mahnung
an kommende Generationen als auch
aus Achtung vor den Opfern notwendig,
über kurz oder lang einen unumstrittenen, angemessenen und würdigen Rahmen für diesen Teil unserer Kollektiverinnerung zu definieren.“
„Das Vergangene zeigt heute mehr
denn je, wie wichtig es ist, Krieg und
Gewalt zu verhindern, Menschenrechte
zu achten – gestern wie heute“, schloss
Fabritius.
Marc-P. Halatsch
32
Kultur
DOD 03/2015
Die ehemalige preußische
Rheinprovinz
Auftaktveranstaltung zum „Preußensommer im Siebengebirge“ in Haus Schlesien
Fakt ist, dass vor 200 Jahren das
Rheinland beim Wiener Kongress
Preußen zugesprochen wurde.
Damit begann eine intensive politische, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Beziehung zwischen der
Rheinprovinz und dem preußischen
Kernland. In Anlehnung an dieses
historische Ereignis fanden und finden im Preußenjahr 2015 insgesamt rund 450 Veranstaltungen
unter dem Motto „Danke Berlin –
200 Jahre Preußen am Rhein“ statt.
Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft der Ministerpräsidentinnen der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, Hannelore
Kraft und Malu Dreyer.
as vom Ministerium für Familie,
D
Kinder, Jugend, Kultur und Sport
des Landes Nordrhein-Westfalen sowie
vom Landschaftsverband Rheinland und
der NRW-Stiftung geförderte Projekt
bezieht sich auf eine historische Beziehung mit Folgen. Der Rheinische Verein
für Denkmalpflege und Landschaftsschutz stellte gemeinsam mit Kooperationspartnern ein umfangreiches Programm zusammen, das im gesamten
Gebiet der ehemaligen preußischen
Rheinprovinz und auch in Berlin an die
200-jährige Beziehung zwischen Preußen und Rheinländern erinnert. Das große Finale wird am 18. Oktober im Rahmen eines Bürgerfestes auf der Preußenfestung Ehrenbreitstein in Koblenz stattfinden. Ziel des Projektes ist, das weitgehend negative Bild zu durchbrechen, das
in der Region von der Preußen-Herrschaft festzustellen ist.
Tagung mit Daten und Fakten
Haus Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott hat Ende Mai – als Initiator
und Gastgeber – gemeinsam mit Kulturpartnern aus der Region eine Tagung
zum „Preußensommer im Siebengebirge“ bestritten. Unter dem Titel „Das
Rheinland – Preußens unbequeme Provinz“ beteiligten sich u.a. das Siebengebirgsmuseum Königswinter, der Verschönerungsverein Siebengebirge, die Stiftung Konrad-Adenauer-Haus, das Brückenhofmuseum, die Volkshochschule
Siebengebirge und Haus Schlesien an
der Veranstaltung. Die rund 60 Teilnehmer wohnten nicht nur einem interessanten Vortragsprogramm bei, sondern
sie besuchten auch eine thematische
Ausstellung im Siebengebirgsmuseum
Königswinter, sie unternahmen eine
Wanderung auf preußischen Spuren im
Siebengebirge und lauschten dem Großen Zapfenstreich im Hof von Haus
Schlesien.
Dr. Albrecht Tyrell, Vizepräsident des
Vereins Haus Schlesien e.V., und Nicola
Remig, Leiterin des Dokumentationsund Informationszentrums für schlesische Landeskunde, führten in das zweitägige Tagungsprogramm ein und hoben
die Gemeinsamkeiten zwischen dem
Rheinland und Schlesien in Bezug auf
das Thema „Preußen“ hervor. Während
Schlesien seit Mitte des 18. Jahrhunderts
preußische Provinz war, wurde das
Rheinland erst 1815 nach dem Wiener
Kongress und der Neuordnung Europas
Preußen zugeschlagen. Beide Regionen
haben die Zugehörigkeit nicht freiwillig
gewählt. Die engen Verflechtungen führten auch zu einer erkennbaren Abwanderung aus Schlesien in Richtung Rheinland.
Die Historikerin Dr. Inge Steinsträßer
beschrieb in ihrem Referat unter dem
Titel „Das Rheinland – Preußens ungeliebte Provinz“ mit Daten und Fakten
die Situation, die die Preußen im Rheinland vorfanden und sie zeigte auch die
wichtigsten Entwicklungsetappen auf:
„Als der Wiener Kongress 1815 die
Preußische Provinzen im Rheinland.
Grenzen in Europa neu ordnete, wurden Rheinland und Westfalen Teil der
preußischen Monarchie. Weder entsprach dies dem Wunsch der preußischen Regierung, noch war die Bevölkerung dazu befragt worden. Wahrscheinlich hätte sie dies sogar mehrheitlich
abgelehnt. … Ohne die beiden neuen
Provinzen Rheinland und Westfalen hätte Preußen nicht zur stärksten Wirtschaftsmacht in Mitteleuropa aufsteigen
können.“
Dr. Steinsträßer schlussfolgerte: „Gerade im Rheinland lässt sich der Übergang
vom ‚weichen‘ zum ‚harten‘ Stil in der
Integrationspolitik feststellen. Dies
brachte die von Anfang an vorhandenen
Vorbehalte gegen Preußen verstärkt zum
Ausdruck.“
Über die ambivalente Rolle, die Preußen im Leben Konrad Adenauers spielte,
sprach Dr. Holger Löttel von der Stiftung
Bundeskanzler-Adenauer-Haus. In seinem Vortrag „Konrad Adenauer – ein
Göllner (2)
DOD 03/2015
Kultur
33
Preuße wider Willen?“ betonte Dr. Löttel abschließend: „Unter dem Eindruck
von Diktatur und Krieg wandelte sich
Adenauer, der alte Mann, jedoch zu
einem Preußenkritiker, wobei seine Kritik am preußischen Staatsgedanken auch
als Chiffre für seine Menschenskepsis
insgesamt verstanden werden kann.“
Preußische Spuren im
Rheinland
Silke Findeisen vom Haus Schlesien
stellte in ihrem Vortrag „Auf Preußen
gebaut. Schlesische Architekten im
Rheinland“ Spuren des Wirkens bekannter Baumeister im Rheinland des 19.
Jahrhunderts vor. Erwähnung fand u.a.
der Oberschlesier Ernst Friedrich Zwirner, der die Fertigstellung des Kölner
Domes vorantrieb und markante Gebäude wie die Appolinariskirche in Remagen
und Schloss Arenfels am Rhein schuf.
Klaus Breuer vom Verschönerungsverein
für das Siebengebirge (VVS) hob „Die
Bedeutung Preußens für die Rettung des
Siebengebirges durch den VVS“ hervor.
Gerhard Fieberg vom Brückenhofmuseum zeigte in seinem Beitrag „Preußen
und der rheinische Karneval“ Aspekte
der Auseinandersetzungen zwischen
Preußen und Rheinländern auf.
Elmar Scheuren, der Leiter des Siebengebirgsmuseums Königswinter, präsen-
„Das Rheinland – Preußens unbequeme Provinz“ war die Tagung im Haus Schlesien überschrieben.
tierte Schwerpunkte der im Rahmen des
Projektes „Danke Berlin“ eröffneten
Ausstellung „Preußenadler über dem
Rhein. Eine Spurensuche rund um den
Drachenfels“. Mehr als 20 Denkmäler,
öffentliche und private Bauten sowie
markante Schauplätze veranschaulichen
das preußische Streben nach Präsenz im
Rheinland. Wer sein Wissen rund um
die Ausstellung „Preußenadler über dem
Rhein“ vertiefen möchte, findet im reich
illustrierten Begleitbuch detaillierte Informationen. Auch weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Siebengebirgsmuseums boten thematische Vorträge
im Rahmen des Preußen-Seminars. Dr.
Irene Haberland widmete ihren Vortrag
dem Thema „Preußische Burgen am
Rhein“, Sandra Laute sprach über „Protestanten am Fuß des Drachenfels“ und
Dr. Elmar Heinen erläuterte Aspekte der
„Rechtsprechung im preußischen Rheinland.“
Ein Höhepunkt des Programms war
für viele Beteiligte der Große Zapfenstreich. Das Zeremoniell wurde vom
Musikzug Bergklänge Heisterbacherrott,
vom Spielmannszug TV Eiche Bad Honnef 1912 e.V. und von der Ehrengarde
der Stadt Bonn bestritten. DG
Brachert-Museum wurde modernisiert
Nach Fassade auch die Ausstellung im Inneren des Hauses neu konzipiert worden
Georgenswalde/Ostpr. (dod) Vor
125 Jahren wurde der berühmte Bildhauer Hermann Brachert geboren.
Bekannt wurde er durch seine Arbeiten,
mit denen viele Häuser in Königsberg
und anderen ostpreußischen Städten
ausgeschmückt worden waren. In Rauschen sind seine Skulpturen „Wasserträgerin“ und „Nymphe“ zu bewundern.
Im Königsberger Gebiet gibt es in
Georgenswalde/Otradnoje ein Hermann-Brachert-Museum in der Nähe
von Rauschen. Es ist im ehemaligen
Landhaus der Familie Brachert untergebracht, das im Jahr 1931 gebaut wurde.
Zwischen 1992 und 1993 hat man das
Haus zum Museum umgebaut, das
1993 eröffnet wurde. Das kleine Haus
mit einer Gesamtfläche von 140 Quadratmetern steht auf einem überschaubaren, 350 Quadratmeter kleinen Grundstück.
Seit seiner Gründung war das Museumsgebäude nicht mehr renoviert worden, erst mit dem verbesserten Status
war es möglich, das Museum einer
umfassenden Erneuerung zu unterziehen. Zunächst wurde die Fassade renoviert, danach folgten die Räume im Inneren. Die Exponate in den Ausstellungsräumen wurden neu arrangiert.
Die Museumsleitung arbeitet derzeit
an einem Konzept zur weiteren Entwicklung der Einrichtung. Dazu soll
auch das Museumsgelände in einen verbesserten Zustand gebracht und die
Exponate im Freien neu angeordnet
werden. Und, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, ist es äußerst wichtig,
die kulturelle Einrichtung bei Touristen,
aber auch den Bewohnern des
Königsberger Gebiets, bekannt zu
machen.
Bisher war es nicht einfach, das Museum zu finden, da Hinweisschilder fehlten. Wer das Museum besuchen wollte,
musste sich dorthin durchfragen. Doch
selbst viele Bewohner in Georgenswalde
wussten nichts von der Existenz des
Museums. Bleibt zu hoffen, dass das
Haus bald einen größeren Besucherandrang auch von Bewohnern des Ortes
erwarten darf.
Jurij Tschernyschew
34
Nachrichten
DOD 03/2015
„Zwischen Hurrapatriotismus
und Friedenssehnsucht“
Schlesisches Museum zu Görlitz zeigt Krieg aus der Sicht von Künstlern
Görlitz. (dod) Die neue
Sonderausstellung im Schlesischen Museum zu Görlitz
(SMG) trägt den Titel „Kunst
zur Kriegszeit 1914-1918.
Künstler aus Schlesien zwischen Hurrapatriotismus und
Friedenssehnsucht“.
Die
gezeigten Kunstwerke berichten anschaulich sowohl von
der anfänglichen Kriegsbegeisterung der Menschen,
wie auch von ihren Ängsten
und schrecklichen Erfahrungen, die ab 1916 zum Ruf
nach Frieden führten.
Gezeigt werden rund 200
Exponate von Künstlern, die
in Schlesien tätig waren oder
auf andere Weise mit Schlesien in Verbindung standen.
Bei einem Rundgang durch
die Schau wird deutlich, dass
zu den schlesischen Künst-
lern im Ersten Weltkrieg nicht
nur bekannte Namen wie
Ludwig Meidner, Willy Jaeckel und Willibald Krain gehören, die mit ihren Antikriegsmappen schon zur Kriegszeit
überregional auf sich aufmerksam machten, sondern
ebenso der in Bres-lau tätige
Akademieprofessor
Max
Wislicenus (1861-1957) oder
der jüdische Nachwuchskünstler Heinrich Tischler
(1892-1938). Ab 1915 entwarfen Wislicenus und Tischler mehrere Bilderfolgen, die
im
Mittelpunkt
der
Sonderausstellung
stehen.
Hinzu kommen Beiträge von
insgesamt 26 Künstlern, die
ihre Eindrücke zur Kriegspropaganda und zum Kriegserlebnis kreativ verarbeitet
haben. Das Görlitzer Museum griff in diesem Jahr aufgrund einer Schenkung von
12 Gemälden durch den Förderverein des Museums und
von privater Seite die Kriegsthematik mit Beiträgen aus
INFO
Von November 2015 bis Juni 2016 ist im Schlesischen
Museum zu Görlitz eine neue Ausstellung geplant, für die
Erinnerungsstücke und Erzählungen von Bürgern aus
Görlitz und Zgorzelec aus den Jahren 1945 bis 1948
gesucht werden. Mit Informationen, Berichten und Gegenständen von Privatpersonen und Institutionen möchte das
Haus eine Ausstellung und eine Internetpräsentation entstehen lassen, in der die Erinnerungen an die Nachkriegszeit in Görlitz-Zgorzelec und Umgebung gebührende
Erwähnung finden.
Kontakt: Schlesisches Museum Görlitz, Dr. Martina
Pietsch, Tel. 03581 / 8791-132, Untermarkt 4, 02826
Görlitz, E-Mail: [email protected],
www.schlesisches-museum.de
Max Wislicenus: Friedhof von Inowłódz, Ostfront, um 1915.
Schlesien erneut auf. Die
Werke sind Teil einer umfangreichen Dokumentation von
Max Wislicenus über den
Kriegsschauplatz RussischPolen. Der Maler war bei
Kriegsausbruch 53 Jahre alt
und wurde in der schlesischen Metropole für seine
Malerei und dekorativen Textilkunstentwürfe
im
Geschmack des Historismus
und Jugendstil geschätzt.
Bereits 1915 präsentierte
Wislicenus auf einer Breslauer Ausstellung seine ersten
Bilder. Der Blick des Malers
galt vor allem denen, die der
Krieg zu Flüchtlingen, Bettlern
und
Obdachlosen
gemacht hatte. Seine Bilder
sind damit ein wichtiger Beitrag zum deutschen Blick auf
Polen.
Der 22-jährige Heinrich
Tischler wiederum, der bei
Kriegsausbruch an der Breslauer Akademie Architektur
und Malerei studierte und
den gesamten Krieg über im
Einsatz war, entwarf mehrere
Mappenwerke zum Kriegsge-
schehen. Eine Mappe zeigt
Szenen des Krieges, aus
denen hervorgeht, wie sehr
sich der junge Künstler bereits 1915 als machtlose anonyme Spielfigur inmitten der
gigantischen Kriegsmaschinerie erlebte. Es folgten die
Mappenwerke „Gebete“ und
„Menschen“,
die
den
Wunsch nach Frieden und
Halt in einer auseinanderbrechenden Welt veranschaulichen.
Die Ausstellung im SMG ist
bis zum 31. Oktober 2015 zu
besichtigen. Ein reich bebilderter Begleitband enthält
Texte in deutscher und polnischer Sprache. Ausstellung
und Katalog wurden durch
die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und durch das Sächsische
Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst sowie durch
eine Projektförderung seitens
des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
D.G.
Göllner (2)
Nachrichten
DOD 03/2015
35
Aktualisierung, Modernisierung,
Erweiterung
Veranstaltungshinweise aus den Museen und Institutionen
Umgestaltung
Das Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm versteht
sich als Vermittlungsinstanz
zwischen wissenschaftlichem
Anspruch, dem Erfahrungsschatz der Erlebnisgeneration
und den Bedürfnissen des
Publikums. Das im Jahr 2000
eröffnete Haus ist eine kulturelle Bildungseinrichtung, die
ihre Inhalte auf eine populäre
und unterhaltende Art und
Weise vermitteln will. Es
wendet sich gerade auch an
diejenigen, die bisher keine
oder nur wenige Kenntnisse
über die Donauregion und
die Donauschwaben haben.
Am 22. Juni 2015 beschloss
der Stiftungsrat ein Eckpunk-
tepapier, nach dem die permanente Ausstellung aktualisiert und zusätzlich ein neuer
Rundgang zur Kulturgeschichte der Donau entstehen soll. Der Vorsitzende des
Stiftungsrats, Innenminister
Reinhold Gall MdL, erklärte,
er halte es für richtig, dass
man mit einem weiteren
Rundgang den Donauraum
insgesamt im Museum stärker in den Fokus rücken
wird. Dabei müsse auch an
neue Formen der kulturellen
Bildung und deren Vermittlung gedacht werden.
Die Vorstandsvorsitzende,
Bürgermeisterin Iris Mann,
sieht in einer Überarbeitung
vor allem die Chance, das
Haus mit neuen Themen für
weitere Zielgruppen noch
attraktiver zu machen. So soll
auch die Geschichte der
Donauschifffahrt
stärker
berücksichtigt
werden.
Schließlich waren es die
Ulmer Schiffleute, die die
Auswanderer vor 300 Jahren
auf ihren Ulmer Schachteln
bis nach Ungarn transportierten.
Herzstück des Museum ist
und bleibt die Darstellung der
donauschwäbischen
Geschichte von der Auswanderung im 18. Jahrhundert
bis in die Gegenwart. Durch
die Umgestaltung soll ein
neuer Parallelrundgang zu
den großen Themenräumen
entstehen, der das Leitthema
„Donau“
facettenhaft
beleuchten wird. Zusätzlich
soll das Museum aktuelle länderkundliche und touristische Aspekte verstärkt aufgreifen und diese mit Exponaten aus der Sammlung des
Hauses veranschaulichen.
Nach dem grundsätzlichen
Beschluss des Stiftungsrates
wird das Team um Direktor
Christian Glass zusammen
mit dem wissenschaftlichen
Beirat eine Detailkonzeption
erarbeiten, so dass sich das
Museum zum 20-jährigen
Jubiläum im Jahr 2020 mit
der aktualisierten und modifizierten Dauerausstellung präsentieren kann.
Erweiterung
Das Ostpreußische Landesmuseum von Lüneburg vermeldet, dass – während die
Ausstellungen wegen der
Umbau- und Anbaumaßnah-
Sonderausstellung im Haus Schlesien: „Der Weg ins Ungewisse –
Vertreibung aus und nach Schlesien 1945-1947“.
men noch für mehrere Monate geschlossen sind – die Verwaltung bereits in die Obergeschosse eines neu hergerichteten, 500 Jahre alten
Baudenkmals,
dem
so
genannte Scharffschen Haus,
umgezogen ist. Ab sofort
befindet sich der Eingang
direkt
in
der historischen Altstadt Lüneburgs. Auch
das Erdgeschoss wird sich demnächst
mit Leben füllen, voraussichtlich noch im Juli soll das
Museumscafé eröffnen.
Bis das Museum seine Ausstellungsräume wieder eröffnet, werden noch einige
Monate vergehen. Der Neubau im Innenhof, der zukünftig als zentrales Eingangsgebäude dienen wird, geht
zügig voran. Parallel erfolgen
vorbereitende Maßnahmen
für die 2.000 Quadratmeter
große
Dauerausstellung
sowie die „Deutschbaltische
Abteilung“ als wesentlicher,
völlig neuer Aufgabenbereich. Mit einem modernen
Vortragssaal, schöneren und
größeren Räumen für Sonderausstellungen und Museumspädagogik sowie vielen Überraschungen wird das Museum zukünftig noch attraktiver für Besucher jeden Alters
sein.
Die neue Adresse lautet: Heiligengeiststraße 38, 21335
Lüneburg.
Integration und
Ferienexpress
Um das Thema der Integration der Vertriebenen in
Deutschland geht es in der
bis zum 20. September geöffneten
Sonderausstellung
„Angekommen“ im DZM
36
Ulm. Die von der Stiftung
Zentrum gegen Vertreibungen ausgerichtete und vom
Bund der Vertriebenen präsentierte Schau erinnert an
Aspekte des langen und
schwierigen Weges der Heimatvertriebenen bis hin zum
„Integrationswunder“. Das
DZM ergänzt die Wanderausstellung um Exponate aus der
eigenen Sammlung, die sich
u.a. auf donauschwäbische
Erfahrungen vom Ankom-
men in Ulm und Umgebung,
aber auch auf die Entstehung
donauschwäbischer Hilfsorganisationen und politischer
Interessensvertretungen
beziehen. Zur Eröffnungsveranstaltung vgl. S. 42 dieses
Hefts.
Das DZM lädt am 18 Juli in
Ulm und Neu-Ulm lebende
Flüchtlinge, ihre Betreuer
und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer zu einem Begegnungstag unter dem Motto
„Ankommen in Ulm. Flüchtlinge damals – Flüchtlinge
heute“ ein.
Vom 31. Juli bis zum 15.
August bieten Ulmer und
Neu-Ulmer Kultureinrichtungen Kindern zwischen 8 und
12 Jahren ein interessantes
und spannendes Programm
mit dem Titel „Ferienexpress“ an. Das DZM Ulm
beteiligt sich am Projekt mit
der Veranstaltung vom 12.
August, die Erlebnisse unter
dem Motto „Vom Schwarzwald bis zum Schwarzen
Meer“ verspricht.
Kurische Nehrung
und Surminski
Trotz der Umbauarbeiten bietet das Ostpreußische Landesmuseum dem Publikum auch
weiterhin interessante Programme an, die im kleineren
Umfang und in Räumlichkeiten von Kooperationspart-
Nachrichten
nern bzw. bei anderen Kulturinstitutionen stattfinden.
Bis zum 18. Juli 2015 ist im
Lötzener Heimatmuseum in
Neumünster die Sonderausstellung „Zwei Teile – ein
Ganzes. Die Kurische Nehrung mit Maleraugen gesehen“ geöffnet. Ausgestellt
sind die Ergebnisse einer Malreise mit der Lüneburger
Künstlerin Gudrun Jakubeit
im Juli 2014 auf die Kurische
Nehrung.
Im Muzeum Kultury Ludowej in Węgorzewo/Angerburg (Polen) ist bis zum 28.
August 2015 eine Ausstellung zu sehen, die das Ostpreußische Landesmuseum
im vergangenen Jahr dem 80.
Geburtstag von Arno Surminski gewidmet hat. Die Wanderausstellung, die
das
Ostpreußische
Landesmuseum in
Zusammenarbeit mit dem
Kulturreferat für Ostpreußen
erstellt hat, schafft unter dem
Titel „Erinnertes Leben –
Gelebte Erinnerung“ einen
umfangreichen
Überblick
über das Leben und Werk des
gebürtigen ostpreußischen
Literaten.
Bis zum 2. August 2015 ist
im Museum Stadt Königsberg
in Duisburg die in Lüneburg
erarbeitete Ausstellung „Alles
brannte! – Jüdisches Leben
und seine Zerstörung in den
preußischen Provinzen Hannover und Ostpreußen“ zu
sehen. Die Präsentation
ermöglicht auf Grundlage
zahlreicher bisher unveröffentlichter Dokumente erstmals einen vergleichenden
Einblick in die jüdische
Geschichte zweier deutscher
Regionen. Beide Provinzen
waren annähernd gleich
groß, hatten kulturell und historisch bedeutende Hauptstädte: Hannover und Königsberg. Gezeigt werden die
Situation der jüdischen
Gemeinden bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten und ihre Verfolgung
durch das neue Regime, die
Pogromnacht am 9. November 1938 und die Auslöschung bis 1945. Die Ausstellung „Alles brannte!“ ist ein
gemeinsames Projekt der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und des
Ostpreußischen Landesmuseums Lüneburg in Zusammenarbeit mit dem Nordost-Institut/IKGN e. V. (Lüneburg).
Noch bis 16. August 2015 ist
ebenfalls im Duisburger
Museum Stadt Königsberg
eine Ausstellung über die
Künstlerkolonie Nidden auf
der Kurischen Nehrung
„Zwischen Haff und Meer“
zu besichtigen. Ein wichtiger
Teil der Arbeit des Museums
Stadt Königsberg besteht in
der Präsentation der kulturellen Leistungen der einstigen
Hauptstadt der Provinz Ostpreußen, gerade auch in den
weit überregional wirksamen
Aspekten. Hierzu zählt nicht
zuletzt die Künstlerkolonie
Nidden, die einzigartig in den
historischen deutschen Ostgebieten war und in einem
engen Verhältnis zu dem Wirken der Königsberger Kunstakademie stand.
Böhmen im Fokus
Im Sudetendeutschen Haus
München wird am 11.
August die neue Ausstellung
„Zerstörte jüdische Denkmäler in Nordböhmen 19381989“ eröffnet. Die deutschtschechische Schau der
Gesellschaft zur Erneuerung
von Denkmälern der Region
von Úštěk/Auscha knüpft an
die Präsentation „Vernichtete
Kirchen in Nordböhmen
1945-1989“ an, die im Jahre
2012 im Sudetendeutschen
Haus gezeigt wurde. Die
durch die Sudetendeutsche
Stiftung geförderte Ausstellung ist in München bis zum
DOD 03/2015
25. September 2015 zu
besichtigen.
Dr. Zuzana Finger, die Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, lädt vom 30.
August bis zum 2. September
2015 zu einer Informationsreise nach Pilsen und ins
westböhmische Umland ein.
Ein wichtiger Aspekt der Reise ist die Begegnung mit
M e n schen,
die auch
heute
noch die
Spuren
der jahrhundertelangen deutschen Kulturgeschichte pflegen. Hinzu kommt, dass Pilsen als europäische Kulturhauptstadt 2015 eine besonders attraktives Reiseziel ist.
Am Besichtigungsprogramm
stehen u.a. Kloster Kladrau,
Loreto in Haid, Kirchen in
Bischofteinitz, Reithalle in
Heiligen, der untergegangene
Ort Wischkowitz und Museen in Pilsen.
Internationaler Glaskunstpreis
Die Ausstellung zum 8. Internationalen Glaskunstpreis der
Stadt Rheinbach ist bis zum
26. September 2015 im Glaspavillon/Hans-Schmitz-Haus
zu sehen. In diesem Jahr nahmen Schülerinnen und Schüler aus insgesamt
neun Glasfachschulen
aus dem Inund Ausland teil.
Schirmherrin des Wettbewerbs ist die Beauftragte der
Bundesregierung für Kultur
und Medien, Prof. Monika
Grütters MdB. Die Fachjury
hat die drei Gewinner bereits
gekürt, die Preisverleihung
findet in feierlichem Rahmen
am 26. September statt. Bis
zum 1. September haben
DOD 03/2015
Besucher die Möglichkeit, für
den Publikumspreis „Alexandra Bruns“ abzustimmen.
Gedenkjahr 2015
Mit der Ausstellung „Mitgenommen – Heimat in Dingen“ erinnert das Haus des
Deutschen Ostens München
an 70 Jahre seit dem Kriegsende und
dem Beginn
von Flucht,
Vertreibung
und Deportation der
Deutschen
aus
dem
östlichen Europa. Im Fokus
der Präsentation stehen
Gegenstände, die im Flucht-,
Vertreibungs- oder Aussiedlungsgepäck mitgenommen
wurden und mit denen sich
für ihre Besitzer bis heute
eine ganz besondere Erinnerung verbindet. Ob es nun
der Teddybär aus dem Rucksack eines kleinen Brünner
Mädchens, der Blechteller
aus dem Lager in Ungarn, die
Truhe aus Karlsbad mit dem
doppelten Boden oder die
Schlüssel von „Zuhause“ in
Oberschlesien sind – diese
und viele andere Gegenstände der Ausstellung erinnern
an die alte Heimat, an Flucht,
Vertreibung,
Deportation.
Die Ausstellung erzählt bei-
spielhaft von Schicksalen,
wie sie auch heute noch von
Krieg, Gewalt und Verfolgung
bedrohte Menschen auf der
ganzen Welt erleben müssen.
Ein im Volk-Verlag erschienener Begleitband liegt vor. Die
Ausstellung ist bis zum 9.
Oktober zu besichtigen. Führungen, Zeitzeugengespräche
Nachrichten
und thematische Vorträge
ergänzen die Präsentation.
70 Jahre nach Kriegsende ist
es an der Zeit, gemeinsam an
den Teil der deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte
zu erinnern und Flucht,
Zwangsumsiedlung und Heimatverlust aus der Perspektive beider Nationen darzustellen. Das hat sich das Museumsteam vom Dokumentations- und Informationszentrum für schlesische Landeskunde Haus Schlesien in
Königswinter-Heisterbacherrott vorgenommen und eine
Ausstellung in Kooperation
mit dem Muzeum Archeologiczno-Historyczne in Glogau
und dem Museum in Neisse
erarbeitet. Ziel der bis zum
24. Januar 2016 geöffneten
Sonderausstellung „Der Weg
ins Ungewisse – Vertreibung
aus und nach Schlesien 19451947“ ist es, durch die Darstellung des Schicksals der
vertriebenen Schlesier und
der in Schlesien angesiedelten Polen dazu anzuregen,
sich näher mit der Geschichte des Nachbarn zu befassen,
seine Sichtweise und Erinnerung kennenzulernen und zu
versuchen, sie zu verstehen.
Hirschberger Spitzen
und Bunzlauer
Bis zum 16. Juli 2015 präsentiert das Schlesische Museum
zu Görlitz im Nordhof
„Hirschberger Spitzen aus
den 1920er/30er Jahren“.
Dank der großzügigen Unterstützung von Familie Dr.
Hans-Joachim Vits hat das
SMG eine umfangreiche
Sammlung Hirschberger Spitzen erhalten. Nach der Übergabe an den Museumsdirektor Dr. Markus Bauer wird
eine Auswahl dieser feinen
Textilien für kurze Zeit der
Öffentlichkeit gezeigt. Es sind
Spitzen aus den 1920er und
1930er Jahren zu sehen, die
in den Hirschberger „Schulen
37
Königin Victoria – The Lafayette Collection of Photographs, Photographic Studio Archive, Victoria & Albert Museum, London.
für künstlerische Nadelarbeiten“ bzw. in den „Spitzenschulen der Fürstin von
Pless“ angefertigt wurden.
Während des traditionellen
Schlesischen Tippelmarktes
am 18. und 19. Juli können
Besucher das SMG zum
ermäßigten
Eintrittspreis
besichtigen. Bis zum 28.
August ist im Nordhof „Keramik Bunzlauer Art von 1900
bis 1945“ zu sehen. Das
Schlesische Museum zu
Görlitz erhielt vor kurzem
gemeinsam mit dem Muzeum Ceramiki w Bolesławcu
(Keramikmuseum Bunzlau)
eine Schenkung von rund
800 Keramiken des Sammlerpaares Kühn. In über 50 Jahren hatten Hans-Martin Kühn
und seine Frau eine beachtliche Sammlung handwerklicher Keramik aus dem Bezirk
Bunzlau und der Oberlausitz
zusammengetragen.
Fotografien vom
Kostümball
Am 26. Juli 2015 eröffnet das
Oberschlesische
Landesmuseum in Ratingen-Hösel
die neue Sonderausstellung
„Von Kleopatra bis Nelson.
Kostümball zu Ehren des Diamantenen Thronjubiläums
Königin Victorias“. Im Mittelpunkt stehen Fotografien aus
dem Victoria & Albert Museum London. Mit solchen sel-
tenen Schätzen europäischer
Fotokunst setzt die Sonderschau die erfolgreiche institutionelle Zusammenarbeit mit
dem Schlossmuseum Pless/
Pszczyna (MZP) fort. Die Präsentation ist in Ratingen bis
zum 18. Oktober 2015 zu
besichtigen.
Dieter Göllner
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Nachrichten
DOD 03/2015
Patenschaft des Landes Hessen
Ausdruck gelebter Solidarität
Staatssekretär Dr. W. Dippel Festredner beim 25-jährigen Patenschaftsjubiläum
Langenselbold. (dod) Die
dreitägige Bundeskulturtagung der Landsmannschaft
Weichsel-Warthe (LWW) in
Langenselbold stand in diesem Jahr unter dem Leitwort
„25 Jahre Patenschaft des
Landes Hessen über die
Landsmannschaft WeichselWarthe“. Bundessprecher Dr.
Martin
Sprungala
gab
vor
rund
50
Te i l n e h merinnen
und Teilnehmern
seiner Freude darüber Ausdruck, als
Festredner zum PatenschaftsJubiläum den Hessischen
Staatssekretär für Soziales
und Integration Herrn Dr.
Wolfgang Dippel ebenso wie
die Landesbeauftragte der
Hessischen Landesregierung
für Heimatvertriebene und
Spätaussiedler
Margarete
Ziegler-Raschdorf begrüßen
zu können.
Staatssekretär Dr. Dippel
überbrachte die besten Grüße und Glückwünsche der
Landesregierung und versprach dem Bundesverband
die weitere ideelle und materielle Unterstützung: „Die
seit 25 Jahren gepflegte
Patenschaft über die Landsmannschaft Weichsel-Warthe
sind wie auch die beiden weiteren Patenschaften des Landes Hessen zu einzelnen
Vertriebenenverbänden und
Landsmannschaften
Ausdruck der gelebten Solidarität
mit den Flüchtlingen und
Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten“. In seiner Festansprache
erinnerte der Staatssekretär
daran, dass erst nach 40 Jahren ihres Bestehens die LWW
mit dem Land Hessen einen
Paten gefunden habe. Es
habe mehrerer Anläufe
bedurft, ehe am 11. Mai
1990 vom damaligen Ministerpräsidenten Walter Wallmann im Biebricher Schloss
feierlich die Patenschaft
begründet wurde. Damit
erfuhr die LWW eine starke
Unterstützung, verlegte ihre
Bundesgeschäftsstelle
von
Hannover nach Wiesbaden
und veranstaltet seither auch
ihre Bundeskulturtagungen
in Hessen.
„Die Patenschaft unseres
Landes ist ein Garant der Verantwortlichkeit für die Landsmannschaft. Wir stehen zu
dieser Patenschaft und wollen sie auch künftig mit
Leben erfüllen“ versicherte
Staatssekretär Dr. Dippel zum
Ende seiner Festrede.
Auch die Landesbeauftragte
der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene
Bei der Verleihung des Wappentellers der LWW (v.l.n.r.): Bundessprecher der LWW Dr. Martin Sprungala, Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf, stellv. Bundessprecherin Dr. Ursula Mechler, stellv. Bundessprecher Götz Urban.
und Spätaussiedler Margarete
Ziegler-Raschdorf überbrachte Im Laufe der Veranstaltung
ihre herzlichsten Grüße und
drückte ihre Verbundenheit
zur LWW aus. Sie erinnerte
an die regelmäßige ideelle
und materielle Unterstützung, die die LWW durch das
Land Hessen erfahre, weil
man die Arbeit der LWW für
wertvoll und wichtig erachte.
„Die hervorragende und
intensive Arbeit der LWW ist
vorbildlich. Ich freue mich
über das in den Jahrzehnten
gewachsene Vertrauen und
danke für die verlässliche
Zusammenarbeit“, betonte
sie. Das Land Hessen stehe
an der Seite der Heimatvertriebenen. Dies werde durch
den gerade auf dem Hessentag in Hofgeismar zum dritten Mal vergebenen Landespreis „Flucht, Vertreibung,
Eingliederung“ ebenso sichtbar wie mit dem jährlichen
Neujahrsgespräch des Ministerpräsidenten Volker Bouffier in der Staatskanzlei. Ein
wichtiges Bekenntnis zum
bitteren Schicksal der Heimatvertriebenen sei der neue
„Hessische Gedenktag für die
Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation“. Er
sei neben dem in diesem Jahr
erstmals begangenen Bundesgedenktag am 20. Juni, dem
Weltflüchtlingstag, ein besonderes Zeichen der Erinnerung, der Verbundenheit und
Solidarität.
Leitwort 2015
Vertreibungen sind Unrecht – gestern wie heute
Wilhelm Tappert, LWW (1); Henning Schacht (1)
DOD 03/2015
Nachrichten
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Leiterin der Berliner BdV-Frauengruppe
sprach als Zeitzeugin beim Gedenken
Wir gratulieren Dr. Edith Kiesewetter-Giese zum 80. Geburtstag
eim ersten nationalen
B
Gedenktag für Flucht
und Vertreibung im Schlüter-
hof im Deutschen Historischen Museum am 20. Juni
trat Dr. Kiesewetter-Giese als
Rednerin neben dem Innenminister, Dr. Thomas de Maizière MdB, Bundespräsident
Joachim Gauck und dem
BdV-Präsidenten Dr. Bernd
Fabritius MdB, sowie einer
heutigen Flüchtlingsfrau als
Rednerin auf. Sie hat uns
würdig vertreten und verdeutlicht, wie wichtig es ist,
über die Opfer von Flucht
und Vertreibung zu reden,
um ihnen ihre Würde
zurückzugeben.
Der Frauenverband im BdV
e. V. und besonders die Berlinerinnen danken unserer
aktiven, sozial und bildungspolitisch tätigen Jubilarin für
ihren langjährigen ehrenamtlichen Einsatz.
Zu ihrem 80. Geburtstag
wünschen wir ihr Gesundheit, weiterhin viel Energie
und Freude beim Gestalten
des Miteinanders und vor
allem Zufriedenheit über ein
erfülltes Leben!
Edith Anna Auguste Beier
wurde am 13. Juni 1935 in
Neutitschein geboren. Ihre
Eltern Gustav und Karoline
Beier waren Pächter der
Gaststätte im dortigen „Hotel
am Hirsch“ am Stadtplatz.
Die unbeschwerten Kindheitstage wurden bald durch
den Krieg überschattet und
dann jäh durch die Vertreibung beendet. In der „PirnaNacht“ am 5. Juli 1945 wurden fast 6.000 Neutitscheiner
aus ihren Häusern getrieben,
in offene Kohlewaggons verfrachtet, nach einer mehrtägigen Fahrt entlang der deutschen Grenze in TetschenBodenbach ausgeladen und
bis nach Pirna getrieben.
Nachdem der Familie der
Weg in den Westen verwehrt
blieb, fand sie auf einem Bauernhof in der Altmark eine
Lebensmöglichkeit.
Edith
war eine fleißige, ehrgeizige
Schülerin. Nach dem Abitur
studierte sie Landwirtschaft
erarbeitete sich einen ausgezeichneten Abschluss in dieser Männerdomäne und wurde im Wissenschaftsbetrieb
des Landwirtschaftsministeriums tätig.
Nach der Wende stellte sie
mit Bedauern fest, dass das
Wissen und die Lebenserfahrungen der Menschen aus
dem Osten in Frage gestellt
wurden. Das empörte sie,
aber sie verbitterte nicht darüber, sondern sie wurde zur
Buchautorin.
In
ihren
Büchern schildert sie, wie es
den Bürgern der ehemaligen
DDR durch Fleiß und Einfallsreichtum gelang, das
Leben lebenswerter zu gestalten und sich an den Annehmlichkeiten zu freuen, die greifbar waren; sei es die Reise in
ein befreundetes Ostblockland oder Karten für eine Veranstaltung im FriedrichstadtPalast Berlin. Von Unzulänglichkeiten wie Knappheit und
geringer
Auswahl
von
Lebensmitteln oder dem Fehlen von alltäglichen Gebrauchsgütern und Baumaterialien ließen sich die Menschen nicht entmutigen. Sie
improvisierten,
tauschten
Dr. Edith Kiesewetter-Giese am
Rednerpult im Berliner Zeughaus, wo sie als Zeitzeugin bei
der ersten Gedenkstunde an die
Opfer von Flucht und Vertreibung spricht.
und organisierten, was das
Zeug hielt, bis sie ihr Ziel
erreichten.
Das Reisen empfand Dr.
Kiesewetter als eine Gunst im
Sinne von Eichendorff:
„Wem Gott will rechte Gunst
erweisen, den schickt er in
die weite Welt. Dem will er
seine Wunder weisen, in
Berg und Tal und Strom und
Feld.“ Es war ihr wichtig,
fremde Menschen und Sitten
unvoreingenommen anzunehmen und diese Einstellung auch an ihre Tochter
weiterzugeben.
Als Leiterin der Berliner
Frauengruppe im BdV organisiert Dr. Kiesewetter-Giese
die monatlichen Treffen der
Berliner Frauen, zu denen sie
interessante Gastdozenten
einlädt. Im Mai referierte Dr.
Tessa Hoffmann über den
Genozid an den Armeniern
im Osmanischen Reich. Im
Monat davor besuchten die
Berliner Frauen den CDUBundestagsabgeordneten
Klaus Brähmig. Als Mitglied
der Zeitzeugenbörse fühlt
sich Kiesewetter auch für die
Lebenslage „ihrer Berliner
Frauen“ verantwortlich. In
ihrem aktuellen Brief an den
BdV-Präsidenten Dr. Fabritius
in seiner Eigenschaft als Mitglied des Ausschusses für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe fordert Dr. Kiesewetter-Giese die Entschädigung der ehemaligen deutschen Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter durch
die Aufstockung der Mittel
der Heimkehrerstiftung.
Alles was im Kuhländchen
und in ihrem Heimatstädtchen Neutitschein passiert,
verfolgt unsere Jubilarin mit
Interesse und unterhält als
Brückenbauerin rege Beziehungen zu den Menschen
von hüben und drüben. Die
Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit hält sie jedoch
nicht davon ab, sich Gedanken über unseren Umgang
mit den Flüchtlingen hier
und heute zu machen. Politiker, die sich für „Frau Kiesewetters Liste“ Zeit nehmen
würden im Internet, könnten
da Anregungen für die Politikgestaltung finden. Im Sinne eines achtsamen Miteinanders moderierte sie am 21.
Juni die intergenerationale
Veranstaltung „Willkommen
in Oranienburg“ des BdVKreisverbandes Oberhavel in
Oranienburg. Maria Werthan
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Nachrichten
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Die Oder in Bildern
Ausstellung zu Schlesiens „Lebensader“ im Oberschlesischen Landesmuseum
Ratingen. (dod) Das Thema des Ausbaus von Schlesiens „Lebensader“, der Oder,
ist für das Oberschlesische
Landesmuseum in RatingenHösel nicht neu. Bis zum 19.
Juli
ist
erneut eine
Sonderschau zu
besichtigen,
die
der
„Bändigung
der Oder –
Vom natürlichen Flusslauf
zur regulierten Wasserstraße“
gewidmet wird. Die aktuelle
Dokumentation geht bis ins
18. Jahrhundert zurück, als
es unter Friedrich II. umfangreiche Umbauten rund um
den Fluss gab.
So etwa wurde die Oder
durch verschiedene Maßnahmen um nahezu ein Viertel
ihrer
gesamten
Länge
gekürzt. In der Ausstellung
wird auch der von 1792 bis
1812 entstandene Klodnitzkanal zwischen Gleiwitz und
Cosel erwähnt, der die Verbindung der Oder mit dem
oberschlesischen Industrierevier schuf.
Der
Kern
der
Sonderausstellung sind historische Fotografien, die das
„Museum des Oppelner
Schlesien“ (Muzeum Śląska
Opolskiego) unter dem Titel
„Bändigung“ zeigte. Ergänzt
wurde die Präsentation mit
Ansichten aus der Sammlung
des Architekturmuseums der
Technischen Universität in
Berlin, das bei der Ausstellung mitwirkte. Diese Bilder
entstanden während der
Regulierungsarbeiten
der
oberen Oder zwischen Cosel
und der Neiße-Mündung in
den Jahren zwischen 1892
und 1893. Dokumentiert
werden fast alle in dieser Zeit
errichteten Staustufen. Das
Ratinger Gastgeberhaus vervollständigte die Schau durch
Exponate aus dem Museum
der Deutschen Binnenschifffahrt in Duisburg sowie durch
Objekte aus eigenen Beständen.
Der systematische Ausbau
des Odergebietes wurde
1819 mit dem Protokoll von
Oderberg initiiert, in dem
erstmals ein umfassender
Stromregulierungsplan
Das Landesmuseum vervollständigte die Schau durch Exponate aus
dem Museum der Deutschen Binnenschifffahrt in Duisburg.
Ergänzt wurde die Präsentation mit Ansichten aus der Sammlung
des Architekturmuseums der Technischen Universität in Berlin, das
bei der Ausstellung mitwirkte.
beschlossen wurde. 1861
wurde in Breslau der OderVerein gegründet, der die
Idee des Fluss-Umbaus zu
einem Verkehrsweg voranbrachte. Im Jahr 1874 erfolgte die Gründung der Oderstrombauverwaltung, die den
planmäßigen Ausbau des
Flusses zum Großschifffahrtsweg weiter unterstützte. Von
1880 bis 1886 befand sich
die größte Baustelle an der
Oder in Oppeln. In der Zeit,
in der die Arbeiten liefen,
wurde die Schifffahrt über
den so genannten Winauer
Oder-Arm umgelenkt, während der rechte Arm als
Hafen diente.
Das Modernisierungsprojekt,
mit dem Preußen im 18. Jahrhundert begonnen hatte,
dauerte bis ins 20. Jahrhundert an. Zwischen Cosel,
dem zweitgrößten Binnenhafen des Deutschen Reichs,
und Breslau wurden 26 Staustufen gebaut.
Übrigens: Der deutlich ansteigende Schiffsverkehr Ende
des 19. Jahrhunderts bedingte den wachsenden Bedarf
nach einer leistungsfähigen
Schiffswerft an der Oder. Caesar Wollheim veranlasste im
Jahr 1897 den Bau der Caesar Wollheimschen Werft in
Breslau.
Die Ausstellung informiert
zum einen über die Oderkanalisierung, zum anderen allgemein über die Oder als
Wasserstraße, den Handel im
Mittelalter, über Hochwasserkatastrophen und Hochwasserschutz bis hin zur Oder in
der Literatur und als Kulturlandschaft mit vielen Freizeitmöglichkeiten.
Nicht zuletzt gibt es Hinweise zu den Eingriffen durch
Menschenhand, die den
Flusslauf insofern veränderten, als es in den Jahren
1903, 1997 und 2010 zu
verschärften Hochwassersituationen kam.
Zur Ausstellung ist ein 80-seitiger illustrierter Katalog
erschienen.
D.G.
OSLM (2); BdV-Archiv (1); Hesssiches Sozialministerium (1)
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Willibald J.C. Piesch
wiedergewählt
Hamburg. (dod) Am 1.
Juni 2015 im „Haus der Heimat“ am Michel waren sich
bereits in der vorangegangenen Sitzung die angeschlossenen Landsmannschaften und
Verbände einig, dass der alte
auch der neue Vorstand bleiben sollte.
In seiner Begrüßung dankte
Willibald
Piesch allen
Verbänden für
die vorbildliche heimatpolitische, sozial- und kulturpolitische Mitarbeit in einer
wechselnden und oft unberechenbaren Verbandspolitik
der Hansestadt Hamburg. Er
betonte, dass die bisherige
Öffentlichkeitsarbeit
nicht
nur vom Senat, der Hamburgischen Bürgerschaft und den
Bürgern, sondern auch von
den hanseatischen Mitbürgern nicht nur weiter beachtet, sondern voll unterstützt
werde. Dabei wies er auf die
gut besuchten Veranstaltungen im „Haus der Heimat“
und in den Stadtteilen hin.
Dass die Verbandsarbeit aller
unterschiedlich organisierten
Vereine mit ihrer vielfältigen
Kulturgeschichte der Mittelund Ostdeutschen sowie der
Siedlungsdeutschen aus Südost-Europa die hanseatischnorddeutsche Kulturszene
um Aspekte bereichert hätten, wäre ab 1945 nie erwartet worden.
Im Verlauf der satzungsnotwendigen Regularien war der
Vorschlag von Piesch, Dr.
Franz Buchmann, Obmann
und
Bundesvorstandsmitglied der sudetendeutschen
Landsmannschaft, als Wahlleiter vorzuschlagen, ein
Glücksgriff.
Einstimmig
gewählt, leitete dieser souve-
rän den weiteren Verlauf.
Dem von allen Delegierten
neugewählten Geschäftsführenden Landesvorstand, Soziales und Politik, Willibald J.C.
Piesch, Peter Voß, gleichzeitig gewählter Kulturreferent,
sowie Hartmut Klingbeutel
(Landesvorsitzender der LM
Ostpreußen), sowie den wiedergewählten Dr. Otto Horst
(LM der Deutschen aus Rußland), Helga Brenker, Landesfrauenreferentin (Landesvorsitzende der Hamburger
Pommerschen LM), Georg
Galauner, Schriftführer (LM
der Donauschwaben), Torsten Freygang, Medien-PCReferent (Hamburger LM der
Pommern), als Landesrechnungsprüfer Johanna Kalläwe
(LM Berlin-Mark Brandenburg),
Heinz
Silkenath
(Freunde Pommerns Hamburg) und Irmgard Laue (LM
Westpreußen) wurde ge-
Willibald J.C. Piesch.
dankt. Der Geschäftsleitung
und Kassenführung, Lilia Heffel, dankten alle für die seit
Jahrzehnten vorbildliche Leistung, ebenso wie der neuen
Migranten-/Aussiedlerbetreuerin Valentina Weidner.
In seinem Schlusswort dankte Piesch für das Vertrauen
und wies auf neue Aktivitäten hin.
Alfred Herold (von 1981 bis 2015 Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft), und Margarete Ziegler-Raschdorf, Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler.
Dank des Landes Hessen
an Alfred Herold
Wiesbaden. (dod) Die Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für
Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete ZieglerRaschdorf, würdigte auf der
Landesversammlung
der
Sudetendeutschen
Landsmannschaft Landesgruppe
Hessen e. V. am 18. April
2015 das Engagement des
Verbandes und insbesondere
dasjenige des langjährigen
Vorsitzenden, Alfred Herold.
Margarete Ziegler-Raschdorf unterstrich, dass es mit
Blick auf die Vertreibungen
ab dem Winter 1945 wichtig
sei, nicht zu verdrängen, sondern das schwere Schicksal
der Vertriebenen in Würde
zu tragen und aktuelle Ereignisse, die einen vergleichbaren Hintergrund haben, kritisch zu begleiten. „Wissen
um die Vergangenheit schärft
das Bewusstsein für die
Gegenwart“, so die Landesbeauftragte. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft
handele in dieser Geisteshaltung. Sie sei ein wichtiger
Partner der Hessischen Landesregierung und engagiere
sich vorbildlich, indem sie
ihre Landsleute wirtschaftlich
und sozial betreue, das kulturelle Erbe bewahre und fördere und partnerschaftliche
Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen pflege,
führte die Landesbeauftragte
aus. Besonders dankte Margarete Ziegler-Raschdorf dem
langjährigen Landesobmann
Alfred Herold, der bei der
diesjährigen Vorstandswahl
nicht mehr kandidierte. „Sie
haben der Sudetendeutschen
Landsmannschaft in Hessen
34 Jahre lang ein Gesicht und
eine Stimme gegeben. Sie
haben viel bewegt und sich,
wenn es sein musste, gegenüber den jeweilig politisch
Verantwortlichen auch kritisch geäußert“, lobte die
Landesbeauftragte. Sie dankte Alfred Herold im Namen
der Hessischen Landesregierung aus ganzem Herzen für
seinen nicht selbstverständlichen
jahrzehntelangen
ehren-amtlichen Einsatz.
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) ist die größte
Organisation unter den hessischen Verbänden der Heimatvertriebenen.
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Nachrichten
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Aus Trümmern und Elend zum
Wirtschaftswunder
Geschichte macht weise für immer, aber nicht klug für ein anderes Mal
Ulm. (dod) „Angekommen“ heißt die neue
Sonderausstellung des Zentrum gegen Vertreibungen im
Ulmer „Donauschwäbischen
Zentralmuseum“ (DZM). Sie
thematisiert die schwierige,
aber im Ergebnis weitestgehend
erfolgreiche
Integration
von rund
15 Millionen Deutschen, die
innerhalb
weniger Jahre nach dem
Zweiten Weltkrieg aus ihrer
Heimat im Osten Europas
sowie den östlichen Teilen
des Deutschen Reichs ins zerstörte West- und Mitteldeutschland geströmt waren.
Die Eingliederung so vieler
seelisch und körperlich
erschöpfter Menschen, die
zudem völlig mittellos waren,
hätte schon ein intaktes
Staatswesen vor kaum lösbare Probleme gestellt. Sie
schien in den ersten Jahren
schlicht unmöglich. Neben
Hunger und Elend herrschte
Mangel an Wohnraum, die
Not der Vertriebenen äußerte
sich nur deshalb nicht in
Tumulten, weil sie zunächst
in eine aus Hoffnungslosigkeit geborene Apathie versanken. Aber sie hegten keine
Rachegedanken,
sondern
zeigten immer wieder ihren
Willen zu einem neuen Miteinander mit den Staaten und
Menschen, die sie vertrieben
hatten. Statt sich abzukapseln, stellten sie sich den
gewaltigen Herausforderungen, bauten sich eine neue
Existenz auf, engagierten sich
sozial und politisch, veränderten und prägten ihr neues
Gemeinwesen, bereicherten
die Aufnahmegesellschaft mit
ihrem technischen, handwerklichen oder akademischen Wissen, mit ihrer interkulturellen Kompetenz, ihrer
Mehrsprachigkeit,
auch
wenn sie nicht selten auf
Ablehnung stießen und lange
zwischen die Mahlsteine der
politischen Auseinandersetzungen gerieten. Was anfangs
unmöglich erschien, gelang
zum Erstaunen vieler und
gehört rückblickend zu den
größten Leistungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Am 21. Mai um 19 Uhr, fand
die Eröffnung der Ausstellung
statt. Christian Glass, der
Direktor des Donauschwäbischen Zentralmuseums, freute sich, rund hundert Besucher begrüßen zu können.
Prof. Dr. Manfred Kittel vom
Deutschen
Historischen
Museum Berlin führte in das
Thema ein, indem er zwischen der vergleichsweise
unspektakulären physischen
Ankunft der deutschen Ostvertriebenen in den Trümmern der Besatzungszonen
und dem vielschichtigen Prozess ihrer mentalen Neubeheimatung unterschied.
Zum Geschehen der Integration lasse sich gar nicht sprechen, ohne die aktuelle
Flüchtlingsproblematik mit
zu bedenken. Fundamentale
Differenzen zeigte Kittel beim
Vergleich zwischen beiden
Vorgängen auf, verwahrte
sich aber gegen Missdeutung,
indem er vorausschickte, dass
der christliche Abendländer
nicht gleichgültig zusehen
könne, wie Menschen im
Mittelmeer ertrinken. Im
Unterschied zu den deutschen Heimatvertriebenen,
bei denen bloß andere Dialekte oder Konfessionen eingegliedert werden mussten,
handle es sich heute allerdings um andere Sprachen
und Religionen, um nicht nur
geografisch, sondern auch
kulturell und mental viel weiter entfernte Regionen als
jene Deutschen aus Schlesien
oder dem Banat etwa. Während sich Deutschland in den
Jahren nach dem Zweiten
Weltkrieg in einer Ausnahmesituation befunden habe,
in der die Flüchtlinge dringend gebraucht wurden,
Lücken in der Bevölkerungspyramide schlossen, wichtige
berufliche
Qualifikationen
mitbrachten, auf eine prinzipielle Solidarbereitschaft stießen und unausweichlich
gemeinsam mit der einheimischen Bevölkerung Neuaufbau und Wirtschaftswunder
vollbrachten, erfolge dagegen
die heutige Einwanderung in
eine saturierte Wohlstandsgesellschaft, die keine politische, bestenfalls eine moralische Verantwortung übernehme. Wenn man sich die
trotz aller günstigen Umstände dennoch beträchtlichen
Integrationshürden
von
damals vergegenwärtige, lasse das eine Ahnung davon
gewinnen, welche Herausforderung die heutige Situation
bei ungleich schwierigeren
Konditionen in sich birgt.
Vollends auf ideologisch ver-
Prof. Dr. Manfred Kittel beim
Vortrag.
mintes Terrain begab sich der
Historiker mit der These, dass
Flüchtlingspolitik sowohl verantwortungs- wie auch gesinnungsethisch diskutiert werden könne – „mit höchst
unterschiedlichen Ergebnissen in bezug auf die für möglich erachteten Aufnahmekapazitäten“. Beachtenswert
ist, was Kittel resümierend
und als Denkanstoß in den
Raum stellte: Die Integrationsherausforderung sei gegenwärtig bei insgesamt acht Millionen Menschen in Deutschland
„mit ausschließlich ausländischem Pass“ von ganz anderer
und größerer Art als nach der
Epochenschwelle des Kriegsendes. Durch vordergründige
Analogien solle man die
Geschichte nicht überstrapazieren, ihre Lehren würden
zwar nach Jakob Burckhardt
weise für immer machen, aber
nicht unbedingt klug für ein
anderes Mal.
Zu sehen ist die Ausstellung
noch bis 20. September
2015. Stefan P. Teppert
Teppert (1); Privat (2); BdV-Archiv (1)
DOD 03/2015
Nachrichten
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PERSONALIEN
Editha Lorberg MdL ist neue BdV-Landesvorsitzende
in Niedersachsen
Editha Lorberg MdL ist neue Landesvorsitzende des BdV-Landesverbandes Niedersachsen. Lorberg wurde
am 13. Juni von der Delegiertenversammlung des niedersächsischen Landesverbands des BdV einstimmig zur
neuen Vorsitzenden gewählt. Die
CDU-Politikerin ist am 10. Dezember
1963 in Seesen geboren, verheiratet,
und hat 3 Kinder. Von 2002 bis zur Wahl in den Landtag
2003 war sie Kundenberaterin im Service der Sparkasse
Hannover. Seit Februar 2015 ist sie stellvertretenden Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion. Außerdem ist sie Aussiedlerbeauftragte der CDU-Landtagsfraktion.
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius gratulierte Editha Lorberg mit den folgenden Worten: „Herzlich möchte ich Ihnen
zu Ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden des Bundes der Vertriebenen in Niedersachsen gratulieren und Ihnen für die
neue Aufgabe viel Kraft und Erfolg wünschen. Als Landesbeauftragte der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag setzen Sie sich seit zwölf Jahren erfolgreich für die
Belange der Aussiedler und Spätaussiedler ein und haben
auch dadurch ein gutes Verständnis für die Anliegen der
Vertriebenen und Flüchtlinge erworben. Es ist gut, dass die
Verbandsinteressen der vom BdV vertretenen Gruppen mit
Ihrer Amtsübernahme in Niedersachsen auch zukünftig
gewahrt bleiben.“
BdV-Präsident Fabritius MdB
feiert 50. Geburtstag
Der Präsident des Bundes der Vertriebenen Dr. Bernd Fabritius MdB hat seinen
50. Geburtstag gefeiert. Die BdV-Bundesversammlung gratulierte und überraschte ihn mit einem Weinkorb.
Der Beauftragte der Bundesregierung für
Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Hartmut Koschyk MdB gratulierte
mit den folgenden Worten: „Durch sein
beispielhaftes Engagement als Mitglied
des Deutschen Bundestages, als Vorsitzender des Unterausschusses für Auswärtige Kultur und Bildungspolitik, als
Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, als Mitglied des
Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe,
aber auch als erster stellvertretender Vorsitzender der
Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutsche Minderheiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, als stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Rumänische Parlamentariergruppe, als Mitglied der Deutsch-Kanadischen Parlamentariergruppe und der Parlamentariergruppe USA und
als Mitglied der Interparlamentarischen Union hat sich Dr.
Fabritius große Verdienste um unser Land erworben, was
größten Dank und höchste Anerkennung verdient. Persön-
lich habe ich ihm für eine stets vertrauensvolle und menschlich angenehme Zusammenarbeit zu danken. Als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale
Minderheiten und früherer Generalsekretär des Bundes der
Vertriebenen danke ich ihm ganz besonders für seinen Einsatz als Präsident des Bundes der Vertriebenen, als Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in
Deutschland, als Präsident der Föderation der Siebenbürger Sachsen in aller Welt, als Mitglied im Sudetendeutschen
Rat e.V. sowie als stellvertretender Landesvorsitzender der
Union der Vertriebenen und Aussiedler und als Mitglied im
Bundesvorstand der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung
der CDU/CSU.“
Hohe Ehrung durch die Landsmannschaft der Donauschwaben für Prof. Dr. Georg Wildmann
Die Landsmannschaft der Donauschwaben – Landesverband Bayern e. V. hat in
einer Feierstunde im Haus der
Donauschwaben am 13. Juni 2015 in
Anwesenheit zahlreicher donauschwäbischer Landsleute und Weggefährten
Prof. Dr. Georg Wildmann für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte
der Donauschwaben mit der Verdienstmedaille in Gold ausgezeichnet. In seiner Laudatio stellte der Landesvorsitzende
der Donauschwaben, Hermann Schuster, u. a. fest: „Es gibt
wohl keinen anderen Landsmann, der sich in so qualifizierter und sorgfältiger Weise der Geschichte seines Heimatortes wie aber auch besonders der Gesamtgeschichte der
Donauschwaben angenommen hat, wie dies unser hochgeschätzter Landsmann Prof. Dr. Georg Wildmann getan
hat!“
Zu seiner Persönlichkeit und zu seinem wissenschaftlichen
Wirken führte der Landesvorsitzende weiter aus: „Prof. Dr.
Georg Wildmann ist im Jahr 1929 in Filipowa in der
Batschka (im heutigen Serbien) geboren. Nach Lagerinternierung und Flucht über Ungarn setzte er zunächst in Österreich seine schulische Weiterentwicklung fort und studierte
in Linz und Rom Theologie und Philosophie mit Promotion
Dr. theol. Ab dem Jahr 1959 war er Lehrer für Philosophie
und Religion, von 1970 bis 1974 Professor für Philosophie
an der phil.-theol. Hochschule Linz. In seiner wissenschaftlichen Tätigkeit widmete er sich besonders der donauschwäbischen Geschichtsschreibung: So war er Mitverfasser der
achtbändigen Reihe „Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde“, Wien 1978-1994, seit 1980 Mitarbeiter
der Donauschwäbischen Kulturstiftung München, dort Mitverfasser der Bände 1-3 des „Leidensweges der Deutschen
im kommunistischen Jugoslawien“, München 1991 – 1995,
Hauptautor der Dokumentation „Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948 – Stationen eines Völkermordes“, Erstauflage München 1998, und nicht zuletzt ist
er Hauptverantwortlicher für die Herausgabe der Geschichte der Donauschwaben.“
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Nachrichten
DOD 03/2015
Bayern-SPD verknüpft Vertriebene und heutige Flüchtlinge
Seliger-Gemeinde würdigt Sudetendeutsche Landsmannschaft und Ehrenamt
München. (dod) Die bayerische SPD-Landtagsfraktion
verknüpft die Erinnerung an
die Vertreibung von Millionen Menschen aus ehemals
deutschen Gebieten in Osteuropa mit der Mahnung, den
heutigen Kriegs- und Terrorflüchtlingen
beizustehen. Der
vertriebenenpolitische Sprecher und
Parlamentar i s c h e
Geschäftsführer der SPD-Fraktion,
Volkmar Halbleib sagte beim
jährlichen Vertriebenenempfang der Fraktion am Sonntag
im Bayerischen Landtag:
„Flucht und Vertreibung sind
kein historisch abgeschlossenes Phänomen, von dem
man nur in Geschichtsbüchern lesen kann. Sie gehören zu den drängendsten und
bedrückendsten Herausforderungen unserer Zeit. Wohl
niemand kann besser nachvollziehen, was Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder dem
Irak heute durchmachen, als
Menschen die selbst vertrieben wurden und in Bayern
eine neue Heimat gefunden
haben.“ Halbleib sagte, er sei
dankbar, dass sie mithelfen,
den heutigen Flüchtlingen
und Asylbewerbern eine
menschenwürdige Aufnahme in Deutschland zu bereiten.
Die SPD-Fraktion zeichnete
Heimatvertriebene, die sich
aktuell als Flüchtlingshelfer
engagieren, als „Brückenbau-
er“ aus. Eduard Neuberger,
ein Russlanddeutscher aus
Straubing, der sich ehrenamtlich als Betreuer für Asylbewerber und andere Migranten engagiert, und Peter Paul
Polierer aus Landshut, Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Jugend, nahmen
die Auszeichnungen entgegen. Der Jugendverband hilft
Menschen aus heutigen
Fluchtgebieten, hier eine
neue Heimat zu finden.
Außerdem würdigte die Fraktion als „Brückenbauer“ die
Banater Jugend- und Trachtengruppen unter der Leitung
von Harald Schlapansky. Laudatorin Christa Naaß sagte,
die Organisation übernehme
wichtige Aufgaben für den
Erhalt und die Pflege von
Banater Traditionen und
Brauchtum. Die Jugendli-
Volkmar Halbleib (SPD) und
Bernd Posselt (CSU).
chen engagierten sich aber
auch für die Völkerverständigung, zum Beispiel durch
Hilfsaktionen.
Im Rahmen der Veranstaltung würdigte die SeligerGemeinde zudem die Sudetendeutsche
Landsmannschaft für ihren Reformkurs.
Der
Bundesvorsitzende
Bernd Posselt nahm die
Ehrung entgegen. In der Lau-
Der vertriebenenpolitische Sprecher Volkmar Halbleib sagte beim
jährlichen Vertriebenenempfang der Fraktion im Bayerischen
Landtag: „Flucht und Vertreibung sind kein historisch abgeschlossenes Phänomen, von dem man nur in Geschichtsbüchern lesen
kann.“
datio sagte der Ko-Vorsitzende der Seliger-Gemeinde und
Vizepräsident des Bundes der
Vertriebenen, Albrecht Schläger, unter Posselts Führung
seien von der Sudetendeutschen Landsmannschaft viele
jahrelange Forderungen der
Seliger-Gemeinde zum Ausgleich zwischen Deutschen
und Tschechen übernommen
worden.
Der CSU-Politiker Posselt
dankte der sozialdemokratischen Seliger-Gemeinde für
die Ehrung und appellierte an
die Politik, weiter über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Er warb für
gemeinsame Anstrengungen
für eine gute und friedliche
Nachbarschaft. Posselt betonte in Anwesenheit des Generalkonsuls der Tschechischen
Republik, Milan Coupek,
eine kollektive Rückkehr der
Vertriebenen oder eine gleichwertige
Entschädigung
wären völlig absurd und
unrealistisch. Den WenzelJaksch-Gedächtnispreis der
Seliger-Gemeinde erhielt in
diesem Jahr Hanna Zakhari,
die Vorsitzende des Deutschen Kulturverbands Region
Brünn. Laudator Dr. Helmut
Eikam, Ko-Vors. der SeligerGemeinde, lobte den persönlichen Einsatz von Zakhari
für die deutsche Minderheit
in Tschechien. Zakhari zeigte
sich tief bewegt. Sie sagte, sie
nehme den Preis im Namen
der deutschen Minderheit
entgegen, die sich für den
Erhalt der kulturellen Tradition einsetze.
Der Präsident des Bundes der
Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, dankte der Bayern
SPD-Landtagsfraktion für ihr
jahrelanges und nachhaltiges
Engagement für die Themen
der Vertriebenen. Er wünschte sich, dass sich andere Bundesländer ein Beispiel daran
nähmen.
Den musikalischen Rahmen
der Veranstaltung lieferten
die Original Banater Dorfmusikanten unter Leitung von
Helmut Baumgärtner.
Bayern SPD-Landtagsfraktion (2)
Aus den Verbänden
DOD 03/2015
45
Termine der
Mitgliedsverbände
Alle dem Bundesverband gemeldeten Termine für die kommenden Monate
Juli
Fr.-So. So. 17.-19.07.
26.07.
LM der Banater Schwaben, Bundesweites Jugendzeltlager
LM Schlesien, Mutter-Anna-Wallfahrt der Schlesier
Wörnitz
Velbert-Neviges
August
Sa.-Sa. 01.-08.08.
Bund der Heimatvertriebenen LV Thüringen, Kinderfreizeit
Suhl
So.
02.08.
LM der Banater Schwaben, Deutsche Wallfahrt
Maria Radna
Mo.-Do. 03.-06.08.
BdV LV Hessen, Kulturelle Sommertage
Wiesbaden
Mi.05.08.BdV LV Baden-Württemberg, ChartafeierStuttgart
Do.-Mo. 20.-24.08.
Pommersche Landsmannschaft, Kulturtagung des Pommerschen Kreis- und Städtetages
Sa. 29.08.
BdV Bundesverband, Auftaktveranstaltung zum Tag der Heimat
Berlin
Sa. 29.08.BdV Bundesverband, KranzniederlegungBerlin
September
Fr.-So. 04.-06.09.
Bund der Danziger, Tag der Danziger
Danzig
Königswinter
Fr.-So. 11.-13.09.
Frauenverband im BdV, Herbsttagung
So.
13.09.
BdV LV Hessen, Zentraler Tag der Heimat
Wiesbaden
Sa.
19.09.
BdV LV Niedersachsen, Zentraler Tag der Heimat
Hannover
Sa.
19.09.
Bund der Heimatvertriebenen Landesverband Thüringen
Tag der Landsmannschaften und Tag der Heimat
Arnstadt
Sa.
19.09.
BdV LV Bayern, BdV-Landesversammlung mit Neuwahlen und
zentraler Tag der HeimatTraunreut
So.
20.09.
BdV LV Baden-Württemberg, Tag der Heimat
Stuttgart
Fr.-So. 25.-27.09.
LM Westpreußen, Westpreußen-KongressWarendorf
Fr.-So. 25.-27.09.
LM Ostpreußen, Geschichtsseminar
Bad Pyrmont
Sa.-So. 25.-26.09.
BdV LV Baden-Württemberg, Landeskulturtagung des BdV
und der Sudetendeutschen LMStuttgart
So.
26.09.
Berliner LV der Vertriebenen, Kulturtag der Landsmannschaften
Berlin
Leitwort 2015
Vertreibungen sind Unrecht – gestern wie heute
46
Ausstellung in
Stuttgart
Stuttgart. (dod) Vom 15.
Juni bis zum 16. Juli 2015
wird im großen Atrium des
Innenministeriums die Ausstellung „Die Sudetendeutschen Sozialdemokraten –
Von der DSAP zur SeligerGemeinde“ gezeigt. Bei der
Ausstellungseröffnung
am
Montag, 15. Juni 2015, sagte
Innenminister Reinhold Gall:
„Die Ausstellung erinnert an
die Entstehungsgeschichte
der DSAP und an drei wichtige Persönlichkeiten, die diese
Geschichte geprägt haben:
Josef Seliger, Ludwig Czech
und Wenzel Jaksch.“ Sie
beleuchte auch einen besonderen Aspekt der Verfolgung
durch das nationalsozialistische Unrechtssystem. Diese
Verfolgung sei Teil der
Geschichte der sozialdemokratischen Bewegung, insbesondere auch der Geschichte
der sudetendeutschen Sozialdemokraten.
1951 sei mit der Gründung
der
„Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten“ die SeligerGemeinde
entstanden,
benannt nach Josef Seliger,
dem ersten Vorsitzenden der
DSAP (Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in
der Tschechoslowakei). Ein
Jahr später sei das SeligerArchiv in Stuttgart eingerichtet worden. „Durch das
Archiv ist vieles aus der
Geschichte der sudetendeutschen
Sozialdemokraten
erhalten geblieben und auch
in diese Ausstellung eingeflossen“, betonte Gall.
Stabwechsel im
Oppelner Schlesien
Oppeln. (dod) Nachdem
der seit 2007 amtierende Vorsitzende der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien,
Norbert Rasch, bei den Wah-
Nachrichten
len im Mai 2015 nicht erneut
angetreten war, haben die
Delegierten Rafał Bartek zu
dessen Nachfolger gewählt.
Norbert Rasch begründete
seinen Verzicht mit der gestiegenen Bedeutung der Fraktion der Deutschen Minderheit im Regionalparlament
der Woiwodschaft Oppeln,
dem Sejmik, und damit verbunden mit seiner Inanspruchnahme als Fraktionsvorsitzender. Rasch bleibt
dem Verband der Deutschen
Sozial-Kulturellen
Gesellschaften in Polen jedoch auch
weiterhin als Mitglied des
Gesamtvorstandes sowie als
Mitglied des Vorstandes der
Oppelner SKGD erhalten.
Der neue Vorsitzende Rafał
Bartek ist 37 Jahre alt und hat
sich bisher als Geschäftsführer des Hauses für DeutschPolnische Zusammenarbeit in
Gleiwitz sowie als Ko-Vorsitzender der Gemeinsamen
Kommission der polnischen
Regierung und der nationalen
Minderheiten in Polen den
Ruf als kompetenter Sachwalter der Anliegen der deutschen Minderheit in Polen
erworben. In seiner Bewerbungsrede kündigte er die
Jugendarbeit
als
einen
Schwerpunkt seiner künftigen Amtsführung an, wofür
er auch die Neuen Medien
noch stärker als zuvor einsetzen wolle.
Preis für Prof. Dr.
Manfred Kittel
Augsburg. (dod) Prof. Dr.
Manfred Kittel, Historiker
und Gründungsdirektor der
Stiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung, wurde mit dem
renommierten Menschenrechtspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft ausgezeichnet.
Hierzu gratulierte ihm der
Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen
und nationale Minderheiten,
Hartmut Koschyk, mit nach-
folgenden Worten: „Durch
die Verleihung dieses Preises
treten Sie in einen eindrucksvollen Kreis ehrwürdiger bisheriger Preisträger wie Emily
Schindler, Alfred de Zayas
und David Vondráček. Ein
wesentliches Charakteristikum dieser Auszeichnung ist,
dass sie nicht in einem strikten jährlichen oder zweijährigen Turnus verliehen wird,
sondern nur dann, wenn es
einen angemessenen Anlass
gibt. ...
Der Menschenrechtspreis der
Sudetendeutschen
Landsmannschaft wurde an Sie
explizit wegen Ihrer „Verdienste um die wissenschaftliche Aufarbeitung der menschenrechtswidrigen Vertreibungen in Europa“ verliehen.
Sie haben sich bereits sehr
früh in Ihrer politischen und
vor allem wissenschaftlichen
Laufbahn
verschiedenen
Aspekten der jüngeren deutschen Geschichte gewidmet.
...
Dabei haben Sie auch
schmerzlich erfahren müssen, dass gerade der Bezug
auf die von Gott verliehenen
und deshalb unveräußerlichen Menschenrechte zum
Teil heftigste Abwehrreaktionen auslösen kann. Sie haben
sich immer mutig dieser Auseinandersetzung gestellt und
dabei keine Bereiche ausgespart. So haben Sie mit Ihrem
bemerkenswerten und wirkungsmächtigen Buch „Vertreibung der Vertriebenen“
auf die Verdrängung des
Schicksals der deutschen Heimatvertriebenen in der
Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen.
Ihre Leistungen als Gründungsdirektor der Stiftung
Flucht, Vertreibung, Versöhnung werden ganz gewiss
Bestand haben und von einer
späteren, unvoreingenommenen Generation von Historikern eine angemessene Würdigung erfahren.“
DOD 03/2015
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