Eröffnung der Ausstellung

Eröffnung der Ausstellung
„ANGEKOMMEN – Die Integration der Vertriebenen in Deutschland“
am 27. Mai 2015
im Landtag von Sachsen-Anhalt
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Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist bereits so etwas wie eine Tradition, dass der Landtag begrenzte, öffentlich
zugängliche Ausstellungen zur Verfügung stellt.
So zeigen gesellschaftlich relevante Gruppen oder wissenschaftliche Einrichtungen oder Stiftungen oder Künstlerinnen und Künstler die Ergebnisse ihrer Arbeiten und ihre Haltung zu Themen aus Geschichte, Gegenwart und Zukunft.
Dass die in einem Landtagsgebäude gezeigten Expositionen durch ausgeprägte
Vielfalt gekennzeichnet sind und angesichts der politischen Heterogenität dieses
Verfassungsorgans Landtag liegt auf der Hand.
Verehrte Anwende,
Heute wendet sich der Landtag als Gastgeber einer Ausstellung einem wichtigen
Gegenstand deutscher und europäischer Geschichte zu, der nach meiner Überzeugung vor allem auch unübersehbar Bezüge zur aktuellen deutschen und europäischen Politik hat.
Der Präsident des Landtages, Herr Detlef Gürth, hat mich darum gebeten, heute
in seiner Vertretung die Ausstellung
„Angekommen – Die Integration der Vertriebenen in Deutschland“
der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ zu eröffnen.
So wie das Zentrum gegen Vertreibungen mit dieser Ausstellung seine Trilogie
„Heimatweh“ abschließt, so schließt auch der Landtag die Präsentation dieser
drei Ausstellungsteile ab, denn auch die beiden anderen Teile der Trilogie –
„Die Gerufenen – Deutsches Leben in Mittel- und Osteuropa“ und „Erzwungene
Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“ – sind in den
Jahren 2010 und 2012 bereits im Landtagsgebäude gezeigt worden.
Sehr verehrte Damen und Herren,
Wie Sie vielleicht wissen, gedenkt die Bundesrepublik Deutschland auf der
Grundlage eines entsprechenden Beschlusses auf Bundesebene ab dem Jahr
2015 immer am 20. Juni der Opfer von Flucht und Vertreibung.
Dieser Entscheidung, längere politische sehr kontroverse Vorgeschichte, auf die
ich jetzt nicht näher eingehen werde.
So sehr ich persönlich nicht unbedingt davon überzeugt bin, dass es dieses weiteren nationalen Gedenktages bedurft hätte, weil ich viel davon halte, die Vertreibung der Deutschen vor und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in ihren historischen Kontext zu stellen, was sehr gut am 8. Mai oder am 27. Januar
möglich ist und auch geschieht, so sehr begrüße ich es doch, dass mit der Wahl
des 20. Juni als Datum des Gedenktages am Weltflüchtlingstag der Vereinten
Nationen angeknüpft wird.
Um nicht missverstanden zu werden: Nicht nur, weil es auch in meiner Familie
die Erfahrungen von Flucht, Überleben und Sterben auf dem Treck aus Pommern sowie Ankommen und Heimischwerden in einer neuen Heimat, der Altmark gibt, empfinde ich tiefes Mitgefühl für jedes individuelle Opfer und das
Leid aller Menschen, die davon betroffen waren.
Und ich habe großen Respekt davor, welche Überlebensleistung all diese Menschen auf der Flucht und welche immense Anpassungs- und Integrationsleistung
dann in ihrer neuen Heimat in Ost oder West erbracht worden ist, um vor allem
den Kindern und Kindeskindern eine Zukunft zu sichern.
Vor allem von dieser Leistung, die durch die geflüchteten oder vertriebenen Eltern und Großeltern, Onkel und Tanten oder anderen Verwandten erbracht worden ist, erzählt diese Ausstellung aber es werden auch Tafeln gezeigt, die ganzsicher zum Disput anregen.
Ich möchte aber noch einmal zum historischen Kontext zurückkehren, von dem
ich sprach. Der kürzlich verstorbene ehemalige Bundespräsident Richard von
Weizsäcker hat am 8. Mai 1985 für die „alte“ Bundesrepublik die Rede zum Ende des zweiten Weltkrieges gehalten, die auch in der DDR beachtet worden ist.
Zu unserem Thema heute sagte von Weizsäcker aus Anlass des 8. Mai 1945:
„Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren
Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht,
Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang
und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Kriege führte. Wir dürfen
den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.“
Und weiter:
„Der erzwungenen Wanderschaft von Millionen Deutschen nach Westen
folgten Millionen Polen und ihnen wiederum Millionen Russen. Es sind
alles Menschen, die nicht gefragt wurden. Menschen, die Unrecht erlitten
haben. Menschen, die wehrlose Objekte der politischen Ereignisse wurden und denen keine Aufrechnung von Unrecht und keine Konfrontation
von Ansprüchen wiedergutmachen kann, was ihnen angetan worden ist.
Gewaltverzicht heute heißt, den Menschen dort, wo sie das Schicksal nach
dem 8. Mai hingetrieben hat und wo sie nun seit Jahrzehnten leben, eine
dauerhafte, politisch unangefochtene Sicherheit für ihre Zukunft zu geben.
Es heißt, den widerstreitenden Rechtsansprüchen das Verständigungsgebot überzuordnen.“
Aus der „alten“ Bundesrepublik betrachtet, war diese Rede mutig, weil sie sich
gegen die bei vielen Westdeutschen verbreitete Verdrängung des Zusammenhangs zwischen den durch Deutsche verübten Verbrechen und den Vertreibungen stellte und auch das Vertreibungsschicksal von Polen und Russen in den
Blick rückte.
Für mich in der DDR geborene, aufgewachsene und sozialisierte Frau war das
Thema dagegen dadurch geprägt, dass das Flucht- und Vertreibungsschicksal
der Deutschen eher bagatellisiert oder auch manchmal als gerechte Strafe für
durch Deutsche begangene Verbrechen aufgefasst oder als unausweichlich dargestellt worden ist.
Der Begriff der Vertreibung war so etwas wie ein Tabuwort für uns DDRBürger. Auch über konkrete Erlebnisse auf der Flucht durfte öffentlich nicht gesprochen werden – und es wurde auch in den Familien nicht oft darüber gesprochen.
Es brauchte erst die Enttabuisierung des Themas und das Ende von Erinnerungsverboten, um offener damit umgehen zu können.
Sehr verehrte Anwesende,
ich bitte um Verständnis, wenn ich zum Ausstellungsgegenstand – der Integration der Vertriebenen in Deutschland – hier konkret nur wenig sage, hat doch so
jeder seine ganz persönlichen, manchmal auch widerstreitenden Einschätzungen.
Erwähnen möchte ich jedoch, dass mich der Ausstellungsgegenstand natürlich
veranlasst hat, mich mit der Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen in
der sowjetischen Besetzungszone sowie in der DDR zu befassen.
Als instruktiv empfand ich dabei die Publikationen von Michael Schwarz, der z.
B. in 2008 in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte unter dem Thema „Vertriebene im doppelten Deutschland – Integrations- und Flüchtlingspolitik in der
DDR und in der Bundesrepublik“ einen an Details sehr reichen Aufsatz veröffentlich hatte.
Unabhängig davon, wie man die Integrationspolitiken in beiden Deutschländern
– oder im doppelten Deutschland, wie es Schwarz nennt – politisch und fachlich
beurteilt: Es ist einer sehr großen Anzahl von Menschen eine neue Heimat gegeben worden.
Auf dem Gebiet des damaligen Sachsen-Anhalt handelte es sich mit 880.000
Menschen immerhin um 21,3 Prozent der Landesbevölkerung, in Mecklenburg
waren es gar 41,7 Prozent der Bevölkerung, die als Neubürger einzustufen sind.
Die konkreten Zahlen aus den anderen Ländern entnehmen Sie bitte der Schautafel.
Doch, was sagt uns das für heute und morgen? Das Gelingen dieser Integrationsleistung damals hatte einige zentrale Voraussetzungen.
Ich nenne hier nur zwei:
- die Bereitschaft der Aufnehmenden zur Aufnahme in ihrer Nachbarschaft,
zu Verzicht und zum Teilen
sowie
- die Bereitschaft des Staates, sich entschlossen für Aufnahme und Integration zu engagieren.
Nach Angaben UN sind derzeit etwa 51,2 Millionen Menschen weltweit auf der
Flucht.
Gerade Europa als durch die Aufklärung geprägter und wirtschaftlich wohlhabender Kontinent steht vor einer großen humanitären Verantwortung, Menschen
zu helfen und – sei es auf Dauer oder für kurze Zeit – als Opfer von Bürgerkriegen oder anderen humanitären Katastrophen Zuflucht und Schutz zu gewähren.
Ich teile die Einschätzung, die durch den Beschluss der 12. Synode der evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer ersten Tagung am 2. Mai 2015 vertreten
worden ist: Wir brauchen eine Asylpolitik, die Würde, Leib und Leben der
Flüchtlinge schützt und dem Anspruch einer europäischen Wertegemeinschaft
gerecht wird.
Die ganz sicher weder im Einzelnen noch gesellschaftlich konfliktfreie, dennoch
aber doch im Wesentlichen geglückte Integration von Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, über die diese Ausstellung
berichtet, sollte uns anspornen, im Heute mehr zu wollen und mehr zu tun, als
wir bereits machen, uns als Menschen ohne Not für Menschen in Not zu öffnen
und den Staat auch zu mehr anzuspornen, um Menschen auf der Flucht zu helfen.
Ich danke Ihnen. Die Ausstellung ist eröffnet.