Was hat Priorität? Windräder oder Speicher? Dipl.-Ing. Gerhard Artinger, VDI www.gegenwind-bargteheide.de Mitglied bei www.vernunftkraft.de In einem Redebeitrag auf NDR Info am 27.04.2015 wurde behauptet, die Windräder, die vor der Küste aufgestellt werden, könnten demnächst die Grundlast decken. In der NDR Info Redezeit vom 28.04.2015 wurde das Thema Windkraft kontrovers diskutiert [1]. Dies hat mich zur nachfolgenden Stellungnahme angeregt. Wir gehen hier der Frage nach, können Offshore-Windräder wirklich die Grundlast unseres Stromverbrauchs decken? Nebenstehend (Bild 1) ist die Stromeinspeisung von Windrädern in der Nordsee dargestellt. Betrachtet man den Verlauf der Windenergieleistung über etwas mehr als zwei Wochen, könnte man tatsächlich annehmen, dass ein gewisser Sockel entsteht. Bild 1: Leistung von Offshore-Windparks über gut zwei Wochen Betrachtet man aber das ganze Bild über zwei Monate, ist eindeutig erkennbar, dass tage- bis wochenweise Lücken auftreten (Bild 2). Dies ändert sich auch nicht, wenn mehr Windräder gebaut werden, da die Wetterund Windverhältnisse in einem Bereich, der die Nordund Ostsee sowie den ganzen deutschen und den angrenzenden Bereich umfasst, ähnlich sind. Wenn also im Norden kein Wind weht, bläst er auch südlich, westlich oder ostwärts davon nicht. In der nachfolgenden Grafik (Bild 2) ist zu sehen, dass die offshore aufgestellten Windräder mit einer installierten Leistung von 1.600 Megawatt (MW) in der Spitze nur auf eine tatsächlich eingespeiste Leistung von 400 bis 600 MW kommen. Bei wenig Wind sinkt die Leistung auf nahe Null ab. Errichtet man noch mehr Windräder, z.B. zehn Mal so viele, so vervielfacht sich natürlich die installierte Leistung und es vervielfacht sich die maximal eingespeiste Leistung. Eine Zahl nahe Null bleibt aber eine Zahl nahe Null, auch wenn man sie mit zehn multipliziert. Durch mehr Windräder verstärken sich die Unterschiede zwischen Spitze und Tal. Ein Ausgleich zwischen viel Wind und wenig Wind findet nicht statt, die Grundleistung bleibt nahe Null. G. Artinger; Windenergie und Speicher 2015-05-05.doc; Seite 1 Bild 2: Leistung Offshore über zwei Monate Was muss man also tun, um die Lücken bei wenig Wind auszugleichen? Die Energie, die zu Spitzenzeiten erzeugt wird, muss gespeichert werden. Dazu sind beim gegenwärtigen Stand der Technik nur Pumpspeicherkraftwerke geeignet. Batteriespeicher und Elektrolyse (power to gas) sind im Moment noch nicht so weit entwickelt, dass sie im großtechnischen Maßstab einen Beitrag leisten könnten. Das Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht östlich von Hamburg ist vielen bekannt. Es besitzt eine Leistung von 120 MW, die bei gefülltem Becken für etwa 5 Stunden abgerufen werden kann. Das entspricht einem Energieinhalt von rund 600 Megawattstunden (MWh). Da die Windräder in oben dargestellten Windparks zu Spitzenzeiten eine Leistung von 400 MW und zeitweise etwas mehr bereitstellen, könnte man also z.B. 100 MW dafür benutzen, den Speicher zu füllen. Rund 300 MW blieben dann für die Verbraucher zur Deckung des augenblicklichen Verbrauchs übrig. Zum Vergleich: Das Gemeinschaftskraftwerk Kiel, das Ende 2018 stillgelegt werden soll, besitzt eine elektrische Leistung von 323 MW netto [2]. Es sieht also so aus, als ob man mit Windrädern auf See, mit einer installierten Leistung von 1.600 MW das Gemeinschaftskraftwerk Kiel ersetzen könnte und es bleibt sogar noch etwas übrig, um einen Speicher für Strom zu füllen. Mit 100 MW elektrischer Leistung aus Windkraft wäre der Speicher in Geesthacht in 6 Stunden gefüllt, wenn man vereinfacht die Verluste vernachlässigt. Da die Windkraftanlagen tatsächlich für mehrere Stunden 100 MW Leistung zur Verfügung stellen, ist das Füllen des Speichers also kein Problem, auch nicht, wenn es statt 6 vielleicht mal 10 Stunden dauern sollte. Wenn der Wind dann nicht bläst, ist die Grundlast aus dem Speicher zu decken. 120 MW könnten aus dem Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht kommen, mehr kann es nicht leisten, die restlichen 180 MW kommen dann von einem anderen Pumpspeicherkraftwerk. Bei einer Grundlast von 300 MW reicht die gespeicherte Energie von 600 MWh zwei Stunden. Da die Flaute auch mehrere Tage anhalten kann, und wir nach den zwei Stunden auch weiterhin für Industrie, U-Bahn und Haushalt Strom brauchen, müssen wir die fehlende Leistung G. Artinger; Windenergie und Speicher 2015-05-05.doc; Seite 2 wo anders herholen. Konventionelle Erzeugung wollen wir nicht, Lieferungen von Atomstrom aus dem Ausland auch nicht. Wir müssen also die Anzahl der Speicher erhöhen. Wie viele Speicher bräuchte man, um eine Grundlast von 300 MW, vergleichbar dem Kraftwerk in Kiel, einen Tag lang abzudecken? Für einen Tag ist eine Energiemenge von 300 MW x 24 Stunden = 7.200 Megawattstunden zu speichern. Wir bräuchten also etwa 12 Pumpspeicherkraftwerke mit einem vergleichbaren Energiespeicher wie Geesthacht. Nun gibt es durchaus Flauten, die länger als einen Tag dauern, drei oder fünf Tage sind durchaus häufig. Man benötigte dann 36 bzw. 60 solcher Speicherkraftwerke. In Deutschland gibt es insgesamt etwas über 20 Pumpspeicherkraftwerke. Diese sind zum Teil größer und leistungsfähiger, müssten dann aber auch die Grundlast für ganz Deutschland abdecken. Noch eine Zahl zum Vergleich: Im Jahr 2013 musste man in Schleswig-Holstein 239.000 Megawattstunden abregeln. Der regenerative Strom konnte nicht ins Netz eingespeist werden, weil er nicht unterzubringen war. Damit hätte man das Speicherbecken in Geesthacht fast 400 Mal füllen können. Was an dem kleinen Beispiel deutlich wird, kann auf ganz Deutschland übertragen werden. Die in ganz Deutschland installierte Leistung von Solar- und Windkraftanlagen kann im nachfolgenden Bild gut abgelesen werden. 80.000 Megawatt sind inzwischen installiert (hellblaue Fläche). Bild 3: Installierte und tatsächliche Leistung der Solar- und Windkraftanlagen in Deutschland In Deutschland ist also rechnerisch bereits mehr Leistung aus Windkraft- und Solaranlagen installiert, als wir als Verbraucher und Industrie abfordern (siehe übliche Lastschwankung). Da die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, wird diese installierte Leistung nur zu einem kleinen Teil tatsächlich zur Verfügung gestellt. Die tatsächliche Leistung von Windkraft- und Solaranlagen ist in dunkelbau und gelb dargestellt. Detaillierte Analysen dazu finden Sie in [5; 6; 25; 26]. In Bild 3 ist die Leistung über drei Jahre zusammenhängend aufgetragen, daher sind die Lücken von einigen Tagen oder Wochen nicht mehr so deutlich sichtbar, aber im Wechsel zwischen Spitze und Tal doch deutlich erkennbar. G. Artinger; Windenergie und Speicher 2015-05-05.doc; Seite 3 Wenn man also für eine kleine Grundlast von 300 MW schon zehn bis sechzig Pumpspeicherkraftwerke braucht, wie viele braucht man dann für ganz Deutschland? Diese Frage ist z.B. an der RWTH Aachen untersucht worden [4]. Danach müsste zügig die Kapazität der Pumpspeicherkraftwerke verdoppelt und anschließend weiter ausgebaut werden. Sehr anschaulich stellt auch Herr Prof. Sinn in diversen Vorträgen den Bedarf dar [7; 8]. Dort wird je nach Randbedingung ein Bedarf von mehreren hundert bis über tausend genannt. Zusammenfassend aus allen Untersuchungen kann man Folgendes ableiten: Eine Energiewende wollen wir einleiten. Aber statt weiter die Windkraft auszubauen, ist es jetzt notwendig, die Anstrengungen auf die Speichertechnologie zu richten. Wind- und Solaranlagen sind nicht in der Lage, auch nur einen kleinen Teil der Grundlast abzudecken. Was man wirkungsvoll für den Klimaschutz tun kann, wird u. a. in [14 und 27, Kap. 7] aufgezeigt. Auf die übrigen Diskussionspunkte wie Natur, Schall, CO2-Einsparung, Flächenverbrauch, Kosten usw. wird in diesem Beitrag nicht eingegangen. Siehe dazu die Hinweise ab [24; 27 und folgende]. Literaturhinweise Für interessierte Leser und Leserinnen einige Literaturhinweise und Verweise ins Internet. [1] NDR Info, 27.04.2015 08:00 bis 09:00 Uhr NDR Info, 28.04.2015, Redezeit 21:05 Uhr https://www.ndr.de/info/Streitueber-die-W indenergie,audio241506.html [2] Daten Gemeinschaftskraftwerk Kiel http://www.gkk-kiel.de/?p=770 und http://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinschaftskraftwerk_Kiel [3] Daten zu Wasserkraft http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Wasserkraftwerken_in_Deutschland [4] K. Krüger, N. Rotering; Energiewende erfolgreich gestalten durch Pumpspeicherausbau, VGB PowerTech 9/2014 [5] Detlev Ahlborn; Korrelation der Einspeisung aus Windkraftanlagen macht Grundlastfähigkeit in Deutschland unmöglich http://www.vernunftkraft.de/windkraft-versus-wuerfeln/ [6] Detlev Ahlborn; Statistik und Verfügbarkeit von Wind- und Solarenergie in Deutschland http://www.vernunftkraft.de/statistik/ Kann uns Europa retten? Ausgleich der Windkraft – Einspeisung im großen Maßstab http://www.vernunftkraft.de/kann-uns-europa-retten/ http://www.vernunftkraft.de/windinstitut-weht-wahrheit-weg/ G. Artinger; Windenergie und Speicher 2015-05-05.doc; Seite 4 [7] weitere Infos und Vorträge (z.B. Prof. Sinn) zum Thema Energiewende unter http://mediathek.cesifo-group.de und http://mediathek.cesifo-group.de/iptv/player/macros/cesifo/mediathek [8] Hans-Werner Sinn; Das grüne Paradoxon, Econ Verlag Berlin [9] Alexander Wendt; Der grüne Blackout, Warum die Energiewende nicht funktionieren kann [10] Norbert Patzner; Mehr Energie wagen, Ein Plädoyer für eine erfolgreiche Energiewende [11] Dirk Maxeiner, Michael Miersch; Alles grün und gut? Eine Bilanz des ökologischen Denkens [12] Prof. Joachim Weimann zu Gast bei Ingo Kahle, rbb 14.02.2015 Warum trotz Milliarden für den Klimaschutz kein Kohlendioxid eingespart wird. http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/zwoelfzweiundzwanzig/201504/218419.html [13] Joachim Weimann; Die Klimapolitik-Katastrophe, Deutschland im Dunkel der Energiesparlampe [14] EEG, Jahresgutachten 2014 der Expertenkommission Forschung und Innovation; übergeben an die deutsche Bundesregierung am 26. Februar 2014 http://www.e-fi.de/gutachten.html [15] Lastgangkurven www.pv-fakten.de und BWK 66 (2014)Nr. 1/2 [16] Ernst Welfonder; Opportunities for dual energy supply after 2020 even during calm wind conditions and minimal solar radiation; VGB PowerTech 4/2014, S.36-44 [17] Ralf Gilgen; Wege eines Stromerzeugers im Umgang mit der Energiewende; VGB PowerTech 1 / 2, 2014 S.38-41 [18] Karl Linnenfelser und Rolf Schuster; Kontrolle des energiewirtschaftlichen Nutzens der Solar- und Windenergie zur Versorgung Deutschlands mit elektrischer Energie am Beispiel Juli 2013, (im August 2013) [19] Karl Linnenfelser; Lastganglinien als Erfolgskontrolle der Energiewende mit Windenergie- und Fotovoltaik-Anlagen; BWK Bd.66 (2014) Nr1/2 [20] Bundesnetzagentur; Bundeskartellamt; Monitoringbericht 2013 Monitoringbericht gemäß § 63 Abs. 3 i. V. m. § 35 EnWG und § 48 Abs. 3 i. V. m. § 53 Abs. 3 GWB Stand: Dezember 2013 [21] Deutscher Bundestag, Drucksache 18/798, Daten zur Abregelung; 13.03.2014; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/007/1800798.pdf [22] Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, Abregelung von Strom aus Erneuerbaren Energien und daraus resultierende Entschädigungsansprüche in den Jahren 2010 bis 2013; Kiel, 12.09.2014; http://www.schleswigholstein.de/Energie/DE/Energiewende/Kosten_Energiewende/einspeisemanagement_faq_pdf blob=publicationFile.pdf [23] European Commission; The EU Emissions Trading System (EU ETS), ISBN 978-92-79-329623; Oktober 2013 [24] weitere Infos auch unter http://www.vernunftkraft.de/ [25] Diskrepanz zwischen installierter Leistung und tatsächlicher Leistung http://www.vernunftkraft.de/85-prozent-fehlzeit-windkraftanlagen-sind-faulpelze/ G. Artinger; Windenergie und Speicher 2015-05-05.doc; Seite 5 [26] Diverse Aspekte der Windenergie http://www.vernunftkraft.de/fuchs-sieht-bandwurm/ [27] Das Zusammenspiel Emissionshandel, EEG, Stromerzeugung und CO2-Einsparung http://www.vernunftkraft.de/de/wp-content/uploads/2014/09/Vortrag-Gerhard-Artinger.pdf Einige Hinweise zum hier nicht behandelten Thema „Schallemissionen von Windrädern“ [28] Ärzteforum Emissionsschutz Unabhängiger Arbeitskreis Erneuerbare Energien - Bad Orb Gefährdung der Gesundheit durch Windkraftanlagen (WKA), Okt. 2013 [29] Ärzte für Immissionsschutz, http://www.aefis.de/ [30] Studiensammlung zum Thema Infraschall und tieffrequenter Lärm http://www.windwahn.de/index.php/wissen/hintergrundwissen/studien-sammlung-zum-themainfraschall-und-tieffrequenter-laerm [31] Detlef Krahé, Dirk Schreckenberg, Fabian Ebner, Christian Eulitz, Ulrich Möhler; Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall, Entwicklung von Untersuchungsdesigns für die Ermittlung der Auswirkungen von Infraschall auf den Menschen durch unterschiedliche Quellen, UBA Texte 40/2014, http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/machbarkeitsstudie-zu-wirkungen-von-Infraschall [32] Vorträge zu Schallemissionen von Windkraftanlagen Dr. med Johannes Mayer Dr. med. Holger Repp [33] https://www.youtube.com/watch?v=V5ZkfXbXmzo https://www.youtube.com/watch?v=YsqeM0913Ws Kugler K, Wiegrebe L, Grothe B, Kössl M, Gürkov R, Krause E, Drexl M.; Low-frequency sound affects active micromechanics in the human inner ear, 18. August 2014 http://rsos.royalsocietypublishing.org/ [34] Claire Paller; Exploring the Association between Proximity to Industrial Wind Turbines and SelfReported Health Outcomes in Ontario, Canada, Master thesis, University of Waterloo, Ontario, Canada, 2014 [35] THE RESULTS OF AN ACOUSTIC TESTING PROGRAM CAPE BRIDGEWATER WIND FARM 44.5100.R7:MSC; Prepared for: Energy Pacific (Vic) Pty Ltd, Level 11, 474 Flinders Street, MELBOURNE VIC 3000, Date: 26th Nov, 2014 http://www.pacifichydro.com.au/files/2015/01/Cape-Bridgewater-Acoustic-Report.pdf oder https://www.wind-watch.org/documents/results-of-an-acoustic-testing-program-cape-bridgewater-wind-farm/ [36] Michael Bahtiarian, Allan Beaudry; Infrasound Measurements of Falmouth Wind Turbines Wind #1 and Wind #2, February 27, 2015, Prepared by: NOISE CONTROL ENGINEERING, LLC 799 Middlesex Turnpike, Billerica, MA 01821 [38] M.A.Swinbanks; MAS Research Ltd, 8 Pentlands Court, Cambridge CB4 1JN, Direct Experience of Low Frequency Noise and Infrasound within a Windfarm Community. 6th International Meeting on Wind Turbine Noise, Glasgow 20-23 April 2015 G. Artinger; Windenergie und Speicher 2015-05-05.doc; Seite 6
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