EXAMINATORIUM IPR/IZVR/CISG PROF. DR. HELGE GROßERICHTER / SUSANNE ZWIRLEIN Internationales Familienrecht III: Unterhalt Lösungsskizze A. Rechtslage aus Sicht eines deutschen Gerichts I. Qualifikation: Unterhaltsstatut II. Anknüpfung 1. Anwendbarkeit EuUntVO EuUntVO vorrangig zu prüfen: Zeitliche Anwendbarkeit (+) für alle ab dem 18.6.2011 eingeleiteten Verfahren (Art. 75 I, 76); Sachliche Anwendbarkeit gem. Art. 1 (+) Räumlich-persönliche Anwendbarkeit: Trotz Fehlens expliziter Einschränkung nach h.M. in Deutschland internationaler Sachverhalt erforderlich (vgl. Erwägungsgrund 45: „in grenzüberschreitenden Situationen“). Hier unproblematisch (+) Hinweis: Regelmäßig wird dies im Zusammenhang mit der Regelung der int. Zuständigkeit erörtert (vgl. Gruber IPRax 2010, 128, 133; Rauscher/-Andrae, EuUntVO, 4. Aufl. 2015, Art. 3 Rz. 15 ff.), muss aber wohl auch für die anderen Kapitel gelten. Nur hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit werden allerdings teilweise auseinanderfallende gewöhnliche Aufenthalte gefordert (so Rauscher/-Andrae, a.a.O. Rz. 19 f.; wohl auch Gruber a.a.O.). 2. Anwendbares Recht Art. 15 EuUntVO verweist auf das Haager Protokoll über das auf Unterhalt spflichten anzuwendende Recht (J/H Nr. 42), welches das „alte“ Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht und den darauf beruhenden ehemaligen Art. 18 EGBGB ersetzt hat. Hier Anwendbarkeit aufgrund Weisung des EU-Rechts, daher keine eigene Anwendungsprüfung. Danach vorbehaltlich hier nicht ersichtlicher Rechtswahl Art. 3 I: grundsätzlich Anknüpfung am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten, dieser liegt in Spanien. Allerdings soll beim Kindesunterhalt nach Art. 4 I lit a, 4 III 1 vorrangig die lex fori gelten, wenn – wie in der hier zu unterstellenden Hypothese – der Unterhaltsberechtigte das Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verpflichteten anruft. PROF. DR. HELGE GROßERICHTER / SUSANNE ZWIRLEIN EXAMINATORIUM IPR/IZVR/CISG EXAMINATORIUM IPR/IZVR/CISG SEITE 2 VON 6 Kann der Berechtigte nach diesem Recht keinen Unterhalt erhalten, gilt j edoch nach Art. 4 III 2 wiederum das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts , also spanisches Recht. Weitere Ersatzrechte (Art. 4 II und IV) kommen nicht in Betracht. Bei den Normen des HUntProt handelt es sich insgesamt um Sachnormverweisungen (Art. 12), so dass eine Rückverweisung bezüglich der Verweisung auf Spanien nicht zu prüfen ist. 3. Sachrecht I: Deutsches Recht Ein Unterhaltsanspruch nach dem primär anwendbaren deutschen Recht gem. § 1601 BGB setzt die Vaterschaft des Victor gegenüber Sanchez voraus. a) Die Vaterschaft ist eine Vorfrage, für deren Anknüpfung bzw. Beantwo rtung das HUntProt keine Vorgaben enthält (vgl. Art. 1 Abs. 2; P alandt/Thorn, 74. Aufl. 2015, HUntProt Rz. 9). Es kämen daher selbständige wie unselbständige Anknüpfung in Betracht, beides führt jedoch bei deutsche lex causae zum gleichen Ergebnis (deutsche Kollisionsnormen). Anzuknüpfen ist demnach nach Art. 19 EGBGB. Dieser enthält alternative Anknüpfungen, um möglichst eine Abstammung zu etablieren: Nach der Anknüpfung des Art. 19 I 1 EGBGB an den gewöhnlicher Aufenthalt wird auf spanisches Recht verwiesen. Ein Renvoi findet nicht statt: Das in Art. 19 verankerte Günstigkeitsprinzip lässt einen Renvoi wohl allenfalls dann zu, wenn dieser Begründung der Abstammung führt. Dies muss aber nicht geklärt werden, weil das spanische IPR die Verweisung jedenfalls annimmt. Nach spanischem Sachrecht ist José durch die Anerkennung Vater geworden, da die vorrangige Vermutung zugunsten des Ehemanns der Mutter bei Getrenntleben nicht eingreift. Nach der Anknüpfung von Art. 19 I 2 EGBGB wird auf die Staatsangehörigkeit des Vaters abgestellt. Dieser ist Deutscher. Damit ist deutsches Recht anwendbar; die Frage des Renvoi stell t sich nicht. Nach deutschem Recht ist der Ehemann ab Geburt der Vater, § 1592 Nr. 1 BGB. Nach der Anknüpfung des Art. 19 I 3 EGBGB wird auf das Recht abgestellt, das für die allgemeinen Ehewirkungen im Zeitpunkt der G eburt einschlägig ist. Vorfrage auf kollisionsrechtlicher Ebene, muss nicht geklärt werden, weil kein Anhaltspunkt für unwirksame Ehe. Gemäß Art. 14 I Nr. 2 EGBGB (die Ehepartner hatten zuletzt – zum Zeitpunkt der Geburt – ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, V wohnt noch dort) ist deutsches Recht einschlägig. EXAMINATORIUM IPR/IZVR/CISG SEITE 3 VON 6 Die Frage nach dem Renvoi stellt sich nicht. Nach deutschem Recht ist Victor der Vater, vgl. oben. Damit stellt sich die Frage, wie bei mehreren nach Art. 19 berufenen Rechten zu verfahren ist. Einigkeit besteht darin, dass das Günstigkeitsprinzip zugunsten des Kindes gelten soll, umstritten ist aber dessen konkrete Bestimmung: Stellt man auf den „wahrscheinlicheren“ Vater ab, wäre wohl José der Vater. Allerdings scheint das Kriterium der Wahrscheinlichkeit nicht gerade trennscharf. Das BayObLG hat auf den „sicheren“ Vater abgestellt (wohl h.M.): Dies ist regelmäßig der zuerst Vater gewordene (Prioritätsprinzip). Damit ist Victor der Vater, da diese Vaterschaft zuerst eingetreten ist. Die Vaterschaft ist schon mit Geburt entstanden. Die Anerkennung durch José folgte danach erst später. Diese Lösung hat den Vorteil leichter bestimmbar zu sein und lässt das Kind möglichst kurze Zeit vaterlos. Es geht nicht um einen guten oder schlechten Vater, sondern darum überhaupt einen Vater zu haben. Die Durchsetzung eines biologisch richtigen Vaters oder der Vorrang der rechtlichen Familie ist dann eine Frage des materiellen Rechts. Hier trifft das Kollisionsrecht keine Vorentscheidung. Denkbar ist es, eine Wahl durch das Kind vorzuse hen. Fraglich ist, wer diese dann vornehmen sollte, solange das Kind nicht selbst wä hlen kann und wann dies erfolgen kann. Diese Lösung ist für eine St atusfrage zu unsicher. Man könnte in der Abstufung der S.1-3 eine Art Kegel’sche Leiter erblicken (nach dem Wortlaut eher schwer vertretbar). Danach ginge der spanische Vater nach S. 1 vor. Geht man von der vom BayObLG vertretenen Variante aus (was aus anwaltlicher Perspektive geboten wäre), würde V Unterhalt schulden . b) Beseitigung der Vaterschaft durch Anfechtung? Geht man davon aus, dass sich die Vaterschaft nach deutschem Recht durchsetzt, wäre nach der Beseitigung der Vaterschaft durch Anfechtung zu fragen: Die Anfechtung der Vaterschaft unterliegt nach Art. 20 EGBGB deutschem Recht, da es um die Beseitigung der nach deutschem Recht begründeten Vaterschaft geht. Die Frage eines Renvoi stellt sich bei deu tschem Recht nicht. Zudem geht es ersichtlich um einen Sachrechtsgleichklang zwischen Begründung und Anfechtung, sodass ein Renvoi auch dem Sinn der Verweisung widerspräche. Nach deutschem Sach- EXAMINATORIUM IPR/IZVR/CISG SEITE 4 VON 6 recht scheidet eine Anfechtung aus, da sie verfristet ist (§ 1600 b I BGB). c) Zwischenergebnis: Nach der vom BayObLG vertretenen Ansicht würde V Unterhalt schulden. Da die Frage aber umstritten ist, ist jedoch weit er zu prüfen, ob das spanische Sachrecht (für den Fall, dass sich das konkrete Gericht einer der anderen dargestellten Meinungen anschließt) einen Unterhaltsanspruch bejahen würde (Art. 4 III 2 HUntProt): 4. Sachrecht II: Spanisches Recht Nach spanischem Unterhaltsrecht kommt ein Unterhaltsanspruch in Frage, wenn Victor der Vater von Sanchez ist, vgl. Art. 143 Nr. 2 CC. Damit stellt sich die Vorfrage nach der Abstammung (Vorfrage auf sachrechtlicher Ebene oder i.e.S.). Die Vorfrage kann selb- oder unselbständig angeknüpft werden: a) unselbständige Anknüpfung Bei unselbständiger Anknüpfung nach dem Kollisionsrecht der lex causae (spanisches IPR) wird an die Staatsangehörigkeit des Kindes angeknüpft. Damit ist spanisches Recht berufen (die Frage des Renvoi stellt sich damit nicht und muss nicht entschieden werden; Kenntnisse zum spanischen Recht sind nicht nötig). Nach spanischem Abstammungsrecht gilt: Es besteht keine Vermutung der Vaterschaft des Ehemanns, da die Eheleute getrennt leben. José ist Vater, da er die Vaterschaft nach den Anforderungen des spanischen Rechts anerkannt hat. Damit besteht nach spanischem Recht kein Unterhaltsanspruch von Sa nchez gegen Victor. b) selbständige Anknüpfung Bei selbständiger Anknüpfung besteht nach der Rechtsprechung des BayObLG ein Unterhaltsanspruch, nach anderen Ansichten nicht, s.o. c) Entscheidung über die selb- oder unselbständige Anknüpfung Für eine unselbständige Anknüpfung kann der staatsvertragliche Chara kter der Norm herangezogen werden. Zwar zwingt weder die EuUntVO nach das HUntProt zu dieser Auslegung, weil entsprechende Vorgaben nicht ersichtlich sind (s.o.). Allerdings wiegt bei Staatsverträgen der internationale Entscheidungseinklang allgemein stärker als bei nationalen Kollisionsnormen (so Palandt/Thorn, a.a.O., HUntProt Rz. 9 m. Nachw. zur Gegenansicht); vgl. auch Art. 20 HUntProt. EXAMINATORIUM IPR/IZVR/CISG SEITE 5 VON 6 Die übliche Lösung der herrschenden Meinung wäre es hingegen, selbständig anzuknüpfen. Als Argumente dafür kann die Einhaltung eines internen Entscheidungseinklangs angeführt werden. Zusät zlich könnte man anführen, dass gerade bei Statusangelegenheiten der interne Entscheidungseinklang wichtig sei. Im sachrechtlichen Ergebnis kann die Frage hier allerdings offen bleiben: Entweder das Gericht knüpft unselbständig an, so dass die Abstammung aufgrund spanischer Kollisionsnormen dem spanischen Recht unterliegt. Wenn das Gericht selbständig anknüpft und Art. 19 EGBGB anwendet, müsste es sich in der hier geprüften Variante konsequenterweise dafür entscheiden, spanischem Recht den Vorzug zu geben (denn wenn das Gericht bei Art. 19 EGBGB der h.M. folgt, gibt es bereits nach deutschem Recht Unterhalt und es kommt gar nicht mehr zur Prüfung spanischen Unterhaltsrechts nach Art. 4 III 2 HUntProt, s.o. Zwischenergebnis 3. c). In diesem (unwahrscheinlichen) Fall würde ein deutsches Gericht aufgrund einer abweichenden Auffassung zu Art. 19 EGBGB also zur Ve rneinung eines Unterhaltsanspruchs kommen. III. Ergebnis Es besteht jedenfalls eine große Wahrscheinlichkeit, dass V vor deutschen Gerichten zu Unterhalt verurteilt wird. B. Rechtslage aus Sicht eines spanischen Gerichts Die EuUntVO gilt auch in Spanien, Anwendbarkeitsprüfung wie oben. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts verbleibt es hier bei der Grundregel des Art. 3 HUntProt (spanisches Recht), da die speziellen Fälle des Art. 4 bei einer Klage in Spanien nicht eingreifen (Abs. 3) bzw. ebenfalls zum spanischen Recht führen (Abs. 2) bzw. die Voraussetzungen nicht vorliegen (Abs. 4, keine gemeinsame StA von Berechtigtem und Verpflichtetem). Hinsichtlich der Subsumtion kann zunächst auf die Lösung oben A. II. 4. verwiesen werden. Die Frage, ob die Vorfrage nach der Vaterschaft selbständig oder u nselbständig anzuknüpfen ist, spielt keine Rolle, da lex causae und lex fori span isches Recht sind. Es bleibt daher bei dem Ergebnis, dass Sanchez keinen Anspruch gegen Victor hat. C. Internationale Zuständigkeit I. Für eine Klage des Sanchez gegen Victor Vorrangig Europarecht zu prüfen, dort wiederum vorrangig EuUntVO (s.o.). Danach (Art. 3 lit a und b) Wahl zwischen Klage in Deu tschland und in Spanien. EXAMINATORIUM IPR/IZVR/CISG SEITE 6 VON 6 II. Für eine Klage des Sanchez gegen Victor Es käme eine negative Feststellungsklage in Betracht. Sie kann ebenfalls auf Art. 3 lit a und b EuUntVO gestützt werden, so dass sowohl Deutschland wie Spanien als Gerichtsstand in Betracht kommen. Zwar kann man Zweifel anmelden, ob sich derjenige, der eine Unterhaltspflicht leugnet, auf die zugunsten des Unterhaltsberechtigten eingeräumte Wahlmöglichkeit berufen kann, angesichts der allgemeinen Formulierung ist aber wohl eine Beschränkung auf den Unterhaltsberechtigten nicht gewollt (vgl. Rauscher/Andrae, a.a.O., Art. 3 EuUntVO Rz. 1; ferner vom EUGH kürzlich für Art. 5 Nr. 3 EuGVO in diesem Sinne entschieden, vgl. Urteil vom 25.10.2012, C-133/11, NJW 2013, 287). Eine Klage in Spanien muss V ohnehin möglich sein. Victor wäre damit zur negativen Feststellungsklage in Spanien zu raten, da er hier das Ergebnis bekommen wird, nicht Unterhalt zu schulden. Maria wäre zu einer Klage vor deutschen Gerichten zu raten, vor denen das wahrscheinliche Ergebnis eine Verurteilung des V zum Unterhalt ist.
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