Art 22 ErbVO

IPR-Vorlesung
Einheiten 6 + 7
Die neue EU-ErbVO
Brigitta Lurger
Einleitung - Anwendungsbereich
Praktische Bedeutung der neuen Verordnung
große und zunehmende Zahl grenzüberschreitender Erbfälle
zunehmende Migration:
Staatsbürgerschaft anders als
gewöhnlicher Aufenthalt
zunehmender Reichtum:
Erblasser besitzt Vermögen in
mehreren [Mitglied]Staaten
• 5 bis 10% aller Erbfälle in der EU sind grenzüberschreitend
• das sind ca 250.000 bis 500.000 Erbfälle pro Jahr und 12
Millionen Testamente
• Kennzeichen: Nachlasswert liegt häufig deutlich über dem
Durchschnitt, angeblich insgesamt ca 150 Milliarden Euro
EU-Erbrechts-Verordnung Nr 650/2012
des Parlaments und des Rates vom 4.7.2012
über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und
Vollstreckung öffentlicher Ur-kunden in Erbsachen sowie zur
Einführung eines Euro-päischen Nachlasszeugnisses
(Abl 2012 L 201/107 sowie Berichtigungen)
DurchführungsVO: Nr 1329/2014, Abl 2014 L 359/30
ist am 17.8.2015 in Geltung getreten
GB, Irland, Dänemark nehmen nicht teil –
sie sind daher KEINE „Mitgliedstaaten“ im
Sinne der ErbVO !!!
ErbRÄG 2015
Bundesgesetz BGBl 2015 I/87, mit dem das
ABGB, das AnerbenG, das AußerstreitG, das
GerichtsGebG, das GerichtsKommG, das
GerichtsKommTarifG, das GrundBG, das IPRG, die
JN, das Kärntner ErbhöfeG, die NotO etc geändert
werden
In-Kraft-Treten:
im materiell-rechtlichen Teil mit 1.1.2017
im IPR-IZVR-Teil mit 17.8.2015
Internationaler Privatrechtsfalls vor Gericht
1
Internationale Zuständigkeit eines
österr. Gerichts ?
2
Materielles Einheitsrecht
anwendbar (zB CISG) ?
3
4
JA
Internationales Privatrecht
bestimmt anzuwendendes
staatliches Recht
Anerkennung und Vollstreckung im Ausland möglich ?
JA
NEIN
URTEIL
Aufbau der ErbVO
Kap I (Art 1-3)
Anwendungsbereich und Definitionen
Kap II (Art 4-19)
Internationale Zuständigkeit (IZ)
Kap III (Art 20-38) anzuwendendes Recht (IPR)
Kap IV (Art 39-58) Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen
Kap V (Art 59-61)
öffentliche Urkunden und gerichtliche
Vergleiche
Kap VI (Art 62-73) Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ)
Kap VII (Art 74-84) Schlussbestimmungen
Zentrale Anknüpfung = gewöhnlicher Aufenthalt
Anknüpfungspunkt nach IPRG aF:
Staatsbürgerschaft (§ 9 iVm § 28 IPRG aF)
Staatsbürgerschaft
Interesse der Person (Erblasser/in) am Erhalt
ihrer kulturellen und politischen
Zugehörigkeit zum Herkunftsstaat
Interesse der Person (Erblasser/in) an der
Gewöhnlicher
Integration in die (rechts)kulturelle
Aufenthalt
Umgebung ihres Aufenthaltsstaates
Wesentliche Neuerungen im Überblick
primäre Anknüpfung an den gewöhnlichen
Aufenthalt im IPR und im IZVR
Rechtswahlmöglichkeit in Art 22 ErbVO:
Staatsangehörigkeit
Gleichlauf zwischen Forum und anzuwendendem
Recht
a. Art 4 + Art 21 Abs 1 ErbVO: gewöhnlicher Aufenthalt
b. Art 22 + Art 5-9 ErbVO: Rechtswahl
Sachlicher Anwendungsbereich
Qualifikationsfrage:
Was ist „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ ?
– Art 23 ErbVO: Reichweite des Erbstatuts im IPR
•
•
•
•
•
•
Ehegüterrecht (Art 1 Abs 2 lit d ErbVO)
Schuldrechtliche Übertragung (lit g)
Unterhaltsansprüche (lit e)
Gesellschaftsrecht (lit h + i)
Sachenrecht und Liegenschaften (lit k + l)
Steuer- und Zollsachen (Art 1 Abs 1)
Sachlicher Anwendungsbereich
Qualifikationsfrage:
Materielles Erbrecht oder Erb-Verfahrensrecht ?
Art 23 (2) lit e + g: Erwerb der Nachlassgegenstände
Haftung für Nachlassverbindlichkeiten
Was sind „Einantwortung“, „Erbschein“, „Inventarerrichtung“,
„Erbantrittserklärungen“ ???
Materielles Erbrecht
ausländ. Erbstatut ErbVO
Verfahrensrecht
inländisches Recht nach
der lex fori
Sachlicher Anwendungsbereich
Beispiel: Erwerb von österr Liegenschaften 1
Materielles Erbrecht
Art 22 ErbVO: deutsches
Recht – ispo jure-Erwerb im
Todeszeitpunkt
Verfahrensrecht
inländisches Recht nach
der lex fori (Österreich)
Eine Einantwortung nach österr Recht findet nicht statt, weil
diese als materielles Recht betrachtet wird. Erwerb nach
deutschem Recht, Grundbuchseintragung deklarativ;
„Beendigung“ des Verfahrens
Sachlicher Anwendungsbereich
Beispiel: Erwerb von österr Liegenschaften 2
Materielles Erbrecht
Art 22 ErbVO: österr
Recht – Erwerb durch
Einantwortung
Verfahrensrecht
deutsches Recht nach
der lex fori (Verfahren in
Deutschland)
Frage auch schon bisher umstritten: Einantwortung ist doch
nicht reines materielles Recht – wie kann das deutsche
Gericht einantworten? Durch Erbscheinerteilung?
Sachlicher Anwendungsbereich
Für die Eintragung von dinglichen Rechten an
österreichischen Liegenschaften, die Teil eines
Nachlasses waren, ist also weder ein
Verlassenschaftsverfahren in Österreich
erforderlich, noch eine Einantwortung (sofern
das Erbstatut nicht österreichisch war), noch
kommt der Einverleibung ins Grundbuch
konstitutive Wirkung zu (wenn dies vom
ausländischen Erbstatut nicht vorgesehen ist).
Internationale Zuständigkeit
Gewöhnlicher Aufenthalt
 keine Definition in der ErbVO
autonome Auslegung durch den EuGH bzw
nationale Gerichte
Einheitlichkeit der Auslegung mit den autonomen
Begriffen der übrigen EU-VO (IPR/IZVR) fraglich
 Verschiedene Traditionen in den Mitgliedstaaten
 kann Anlass zu Streit und Rechtsunsicherheit bieten
 Problem insbesondere für „mobile“ Personen:
Überraschung zB für EU-Beamte? Für ZugvogelRentner? Für Grenz-Pendler?
Gewöhnlicher Aufenthalt
ErwG 23 + 24
= „eine besonders enge und feste Bindung zu dem
betreffenden Staat“;
Aufenthalt bloß aus „beruflichen und wirtschaftlichen
Gründen“ kann unzureichend sein, wenn enge und feste
private/familiäre Bindung zum Herkunftsstaat bestehen
bleibt
Internationale Zuständigkeit nach der ErbVO
Art 4
die Gerichte des Mitgliedsstaats des letzten
gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers sind
international zuständig (Erw 23, 24)
•
für den gesamten Nachlass – beweglich, unbeweglich, im
In- oder Ausland belegen
•
für streitige und außerstreitige Entscheidungen
•
keine Gerichtsstandswahl durch Erblasser möglich
Internationale Zuständigkeit nach der ErbVO
Art 5: Gerichtsstandsvereinbarung durch die
„betroffenen Parteien“
•
wenn der Erblasser nach Art 22 ErbVO das Recht seiner
Staatsangehörigkeit gewählt hat
•
dieses ist das Recht eines Mitgliedstaates
•
Wer sind „betroffene Parteien“ – Erw 28 – Gläubiger nicht erfasst
•
Übergangene Parteien stimmen nicht zu: Art 9 Möglichkeit der
Zuständigkeit durch rügelose Einlassung, sonst unzuständig
•
schriftliche Vereinbarung zwischen den „betroffenen Parteien“
•
der Schriftform gleichgestellt sind „elektronische Übermittlungen, die
eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen“.
Internationale Zuständigkeit nach der ErbVO
Art 6: „Forum non conveniens“
• wenn der Erblasser nach Art 22 ErbVO das Recht
seiner Staatsangehörigkeit gewählt hat
• dieses ist das Recht eines Mitgliedstaates
• Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art 4
kann sich auf Antrag für unzuständig erklären, wenn
die Gerichte des Staates der Staatsangehörigkeit
seiner Auffassung nach „in der Erbsache besser
entscheiden können“
Internationale Zuständigkeit nach der ErbVO
Art 10: subsidiäre Zuständigkeit
• wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in
einem Drittstaat hat
• Gerichte eines Mitgliedstaats mit Nachlassvermögen
sind international zuständig
• Abs 1: für das gesamte Vermögen: wenn Erblasser
Staatsangehörigkeit dieses Staates hatte oder früherer
gewöhnlicher Aufenthalt dort (vor weniger als 5 J)
• Abs 2: andernfalls nur für das in diesem Mitgliedstaat
belegene Nachlassvermögen im Mitgliedstaat
Anzuwendendes Recht = IPR
Anzuwendendes Recht im Überblick
Art 21 Abs 1 ErbVO gewöhnlicher Aufenthalt (= Erw 23 + 24)
Ausweichklausel Art 21 Abs 2 ErbVO (Erw 25):
ausnahmsweise offensichtlich engere Verbindung zu einem
anderen Staat (ev früherer langer gewA + Staatsbürgerschaft)
– ENG AUSZULEGEN !!!
Art 22 ErbVO: Rechtswahl des Rechts der Staatsangehörigkeit
im Zeitpunkt der Wahl oder im Zeitpunkt des Todes
Ausweichklausel Art 21 Abs 2 ErbVO
ausnahmsweise offensichtlich engere Verbindung zu
einem anderen Staat
= Staatsbürgerschaft oder früherer dauerhafter gewöhnlicher Aufenthalt
Problem: der gewöhnliche Aufenthalt ist immer
bestimmbar, er zeigt den sozialen und familiären
Lebensmittelpunkt an [ErwG 25: keine Umgehung von
Schwierigkeiten in Bestimmung über Art 21(2)]
– kein Raum für engere Verbindung?
Beispiele: ganz kurz zurück liegender Umzug; an Form
gescheiterte Wahl des Staatsangehörigkeitsrechts
Rechtswahl nach Art 22 ErbVO
Wahl des Rechts der
Staatsangehörigkeit durch die Erblasserin
 im Zeitpunkt der Wahl oder
 im Zeitpunkt des Todes
bei Mehrfachstaatsbürgerschaft: eine der
Staatsbürgerschaften nach freier Wahl
(Art 22 Abs 1 Satz 2 ErbVO)
Wirksamkeit der Rechtswahl
Art 22 Abs 2 – Formgültigkeit
Ausdrücklich + Form der Verfügung von Todes wegen
( = Art 27 ErbVO bzw Haager TestForm-Ük)
Art 22 Abs 3 - materielle Wirksamkeit
nach dem gewählten Recht zu beurteilen (Zirkel)
Art 22 Abs 4 - Änderung und Widerruf
Form von Änderung und Widerruf = Form einer Verfügung
von Todes wegen
Art 83 ErbVO: Verfügungen vor dem 17.8.2015
Rechtswahl (Abs 2): Wirksamkeit wenn wirksam nach
•Voraussetzungen des Kap III ErbVO oder
•IPR des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts (Errichtung)
•IPR des Staats der Staatsangehörigkeit (Errichtung)
Verfügung von Todes wegen (Abs 3): Zulässigkeit,
formelle und materielle Wirksamkeit wenn zuläss +
wirksam nach
•Kap III ErbVO oder
•IPR des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts (Errichtung)
•IPR des Staats der Staatsangehörigkeit (Errichtung)
Verfügung nach einem Recht errichtet (Abs 4): Erbstatut
ist dieses Recht, weil es als gewählt gilt
Gleichlauf von Forum und IPR
Art 22 - Staatsbürgerschaft ----- Art 5-9 ErbVO:
Parteien oder Gerichte können den durchbrochenen
Gleichlauf wieder herstellen
Art 21 Abs 1 – zB Staatsbürgerschaft iVm früherem
gewöhnlicher Aufenthalt
Bestimmungen für Gleichlauf fehlen !!!
Analogie zu den Art 5-9 ErbVO zu empfehlen
Vorfragen – Art 1 (2) a ErbVO
= präjudizielle Rechtsfragen = Rechtsfragen, die
einer eigenen Anknüpfung im IPR bzw einer eigenen
gerichtlichen Entscheidung zugänglich sind
 Erstfrage: bereits in inländischer Kollisionsnorm
 Vorfrage ieS: taucht erst im ausländischen Recht auf
in der ErbVO sind Vorfragen ieS relevant
Familienrechtlicher Status – zB registrierter Partner,
Ehegatte, wirksame Scheidung, Kindschaft
(insbesondere bei Leimutterschaft)
Vorfragen – Art 1 (2) a ErbVO
VORRANG: Verfahrensrechtliche Anerkennung
ausländischer (inländischer) Entscheidungen
FALLS NICHT: Selbständige Anknüpfung nach
IPR der lex fori
bei Verfahren in Österreich:
Ehe (§§ 16, 17 IPRG), Scheidung (VO Rom III)
registrierte Partnerschaft (§ 27a IPRG), Auflösung
(§ 27d IPRG)
Elternschaft/Kindschaft: §§ 21, 25, 26 IPRG
Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit von
Verfügungen von Todes wegen
Art 24 ErbVO
Erbstatut nach der VO, wenn die Person zum Zeitpunkt
der Errichtung der Verfügung verstorben wäre
das Recht des Art 22 (Staatsangehörigkeit) kann für die
Frage der Zulässigkeit und Wirksamkeit des Testaments
gewählt werden
Änderung und Widerruf unterliegen Erbstatut im Zeitpunkt der Erklärung oder dem gewählten Recht (Art 22)
Ist gemeinschaftliches Testament eine (doppelte)
„Verfügung von Todes wegen“ oder ein „Erbvertrag“ im
Sinne der ErbVO ??? (Art 24 oder 25 ErbVO?)
Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit von
Erbverträgen
Art 25 ErbVO
wenn nur der Nachlass einer Person betroffen: Erbstatut
im Zeitpunkt des Abschlusses
wenn Nachlass mehrerer Personen betroffen:
– Zulässigkeit muss kumulativ nach beiden Erbstatuten
gegeben sein im Zeitpunkt des Abschlusses
– Materielle Wirksamkeit muss nach dem Erbstatut
gegeben sein, zu dem die „engste Verbindung“ besteht
Es kann das Recht gewählt werden, das einer der
potentiellen Erblasser nach Art 22 wählen könnte
Form der schriftlichen Verfügung von Todes wegen
bzw des Erbvertrags
Art 27 ErbVO für Erbverträge und Erbverzichtsverträge
Art 75: Für testamentarische Verfügungen gilt weiterhin das
Haager TestForm-Ük 1961, das aber sehr ähnlich ist.
Alternativanknüpfung a) bis e) mit Favorprinzip
•
•
•
•
•
☼
Errichtungsort
Staatsangehörigkeit im Errichtungs- oder Todeszeitpunkt
Wohnsitz☼ im Errichtungs- oder Todeszeitpunkt
gewöhnlicher Aufenthalt im Errichtungs- oder TodesZP
Lageort des unbeweglichen Vermögens in Bezug auf dieses
„Wohnsitz“ ist vom jeweiligen nationalen Recht zu definieren,
kein autonomer Begriff wie gewA
Durchbrechungen der Generalanknüpfung im IPR
 Sonderrechtsnachfolgen (Wohnungseigentum überhaupt
ausgenommen [Art 1 lit g „Miteigentum mit
Anwachsungsrecht des Überlebenden“], bäuerliches
Höferecht Art 30): Lageort der Immobilie
 Besondere Erwerbsarten nach Sachenrecht (insbes
Registrierung von Immobilien): Art 1 (2) lit l Voraussetzungen und Wirkungen: Lageort der Immobilie
 Enge Verbindung mit Verfahrensrecht: Nachlassverwalter
– personal respresentative in Art 29 ErbVO): Lex fori
ABER - Art 23 lit e + g ErbVO: Erwerb und Haftung nach
ausländischem Erbstatut, auch wenn österr Verfahren !
(anders noch in § 28 Abs 2 österr IPRG)
Art 33 ErbVO: Erbenloser Nachlass
Zwei Systeme
 System 1 = Fiskuserbrecht bei eigenem Erbstatut gesamtes Vermögen wo auch
immer gelegen (folgt dem Erbstatut weil Privatrecht)
 System 2 = Aneignungsrecht
öffentliches Recht: Territorialitätsprinzip
Erbstatut = System-1-Staat muss gem Art 33 ErbVO
das Aneignungsrecht (System 2) des Lageortstaats von
(aus der Sicht des Erbstatuts) ausländischem Vermögen
zulassen.
Art 33 ErbVO: Erbenloser Nachlass
Lücke für Vermögen in Staat B
 A = Erbstatut = System-2-Staat
Aneignung nur von Vermögen in diesem Staat
 B = Vermögen in anderem Staat = System-1-Staat
wird weder von Erbstatut-Staat A noch von Lageortstaat
B beansprucht – „Normmangel“
Lösung:
o Entweder Staat A erweitert sein Aneignungsrecht auf
ausländisches Vermögen in Staat B oder
o Staat B normiert für diesen Fall ein Aneignungsrecht
Art 33 ErbVO: Erbenloser Nachlass
§ 750 ABGB nF (ErbRÄG-E 2015) =
„Aneignung durch den Bund“
Chamäleon zwischen System 1 und System 2
 Satz 1: österreichisches Erbstatut - System 1
Aneignung von Vermögen in Österreich und Vermögen
im Ausland – Grenze Art 33 ErbVO für System-2-Staat
Füllt die Lücke, wenn Lageort-Staat als System-1-Staat
keinen Anspruch auf Vermögen in seinem Territorium
stellt
 Satz 2: ausländisches Erbstatut – System 2
Aneignung nur von Vermögen in Österreich
Rück- und Weiterverweisungen
Art 34 ErbVO
nur zu beachten, wenn auf das Recht eines Drittstaats
verwiesen wird (zB gewA in Drittstaat) und
– wenn IPR des Drittstaats auf Recht eines Mitgliedstaats
verweist oder
– wenn IPR des Drittstaats auf anderen Drittstaat verweist,
welcher die Verweisung annimmt.
Unbeachtlich sind Rück- und Weiterverweisungen bei
Art 21 Abs 2 (Ausweichklausel), Art 22 (Rechtswahl),
Art 27 (Formgültigkeit von Testamenten), Art 28 lit b
(Form von Annahme/Ausschlagung), Art 30 (Höferecht)
Öffentliche Ordnung (ordre public)
Art 35 ErbVO
Wenn
ausländisches Recht eines Mitgliedstaats oder
ausländisches Recht eines Drittstaats nach ErbVO
anzuwenden ist,
ist dieses unanwendbar, wenn es mit der öffentlichen
Ordnung (ordre public) der lex fori offensichtlich
unvereinbar ist.
Besondere Regeln für Pflichtteilsentzug sind entfallen.
Dennoch: Ortswechsel/Rechtswahl, nach dem/der
Pflichtteile entfallen, ist nicht per se ordre public widrig.
(Erw 26: fraude à la loi)
Beispiel 1: Lisa
Die Österreicherin Lisa verstirbt.
Ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt lag in:
Österreich
Niederlande
Norwegen
 Welche Gerichte sind international zuständig für welche
Teile des Nachlasses?
 Welches materielle Erbrecht kommt jeweils zur
Anwendung?
Beispiel 1: Lisa
Ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt lag in:
Österreich
 Art 4 ErbVO: Internationale Zuständigkeit in Österreich für
das gesamte Vermögen, dh auch für Vermögen, das in
anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten belegen ist
 Art 21 ErbVO: Österreichisches Erbrecht, eine Rechtswahl
ist nicht möglich, auch für Liegenschaften im Ausland gilt
österreichisches Erbrecht
Beispiel 1: Lisa
Ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt lag in den:
Niederlanden
 Art 4 ErbVO: Internationale Zuständigkeit der Gerichte in den
Niederlanden für das gesamte Vermögen, dh auch für Vermögen,
das in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten belegen ist
 niederländisches Erbrecht gem Art 21 Abs 1 ErbVO
 österreichisches Erbrecht kann gewählt werden Art 22 ErbVO
 Art 5-9 ErbVO: bei Rechtswahl ist auch die österreichische
Zuständigkeit möglich
Beispiel 1: Lisa
Ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt lag in:
Norwegen
 Art 10 Abs 1 lit a ErbVO: Subsidiäre internationale
Zuständigkeit der Gerichte in Österreich für das gesamte
Vermögen, dh auch für Vermögen, das in anderen
Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten belegen ist
 norwegisches Erbrecht gem Art 21 Abs 1 ErbVO
 österreichisches Erbrecht kann gem Art 22 ErbVO gewählt
werden (nur vom Erblasser zu seinen Lebzeiten
 österreichisches Erbrecht gem Art 21 Abs 2 ErbVO
(Ausweichklausel) NEIN: nur in Sonderfällen möglich
Beispiel 2: Inga
Inga hatte ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.
Sie besaß die folgende Staatsbürgerschaft
Niederlande
Norwegen
 Welche Gerichte sind international zuständig für welche
Teile des Nachlasses?
 Welches materielle Erbrecht kommt jeweils zur
Anwendung?
Beispiel 2: Inga
Inga hatte ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.
Sie besaß die folgende Staatsbürgerschaft
Niederlande
 Art 4 ErbVO: Internationale Zuständigkeit der österreichischen
Gerichte für das gesamte Vermögen
 Art 21 Abs 1 ErbVO: österreichisches Erbrecht kommt zur
Anwendung
 Art 22 ErbVO: die Wahl niederländischen Erbrechts ist möglich
 Art 5-9 ErbVO: die niederländischen Gerichte können zuständig
gemacht werden
Beispiel 2: Inga
Inga hatte ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich.
Sie besaß die folgende Staatsbürgerschaft
Norwegen
 Art 4 ErbVO: Internationale Zuständigkeit der österreichischen
Gerichte für das gesamte Vermögen
 Art 21 Abs 1 ErbVO: österreichisches Erbrecht kommt zur
Anwendung
 Art 22 ErbVO: die Wahl norwegischen Erbrechts ist möglich
 die österreichischen Gerichten bleiben aber jedenfalls zuständig,
die Art 5-9 ErbVO beziehen sich nur auf Mitgliedstaaten
Europäisches Nachlasszeugnis = ENZ
Berechtigungsnachweis und Rechtsdurchsetzung im
Ausland
Voraussetzung: Ursprungsstaat und Empfangsstaat sind EU-Mitgliedstaaten (ErbVO)
 Anerkennung (Annahme) und Vollstreckung
ausländischer Nachweise (Entscheidungen,
öffentliche Urkunden, gerichtl Vergleiche) =
Kap IV, Kap V
 Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) zusätzlich
zu nationalen Verfahren = Kap VI
Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ)
ist rein deklarativ nicht konstitutiv, nicht verpflichtend
Erw 71: kein vollstreckbarer Titel als solches
zusätzlich: tritt zu nationalem Verfahren und nationalem
Erbausweis hinzu
Zweck: Ausweis der Berechtigung der Erben, Legatare,
Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter an einzelnen
Nachlassgegenständen, die sich in einem ausländischem
Mitgliedstaat befinden
Verfahren der Erstellung wird von Mitgliedstaaten geregelt,
zusätzlich zu den Art 66 ff ErbVO
Antragsberechtigt sind Erben, Legatare, Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter (Art 63 (1) iVm 65 (1))
Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ)
Zuständigkeit Art 64: dieselbe Stelle wie für innerstaatliches
Abhandlungsverfahren = Ö: Notar/innen
Inhalte
Art 68: ausstellende Stelle, Aktenzeichen,
Gründe für Zuständigkeit, Datum, Angaben zu
Antragsteller, Erblasser, Berechtigten, Ehevertrag, ehelicher
Güterstand, anzuwendendes Recht, Grundlage – Gesetz oder
Verfügung, Annahme/Ausschlagung, Erbteile, Verzeichnis der
Rechte oder Vermögenswerte, die übergehen, Befugnisse
Testvollstr/NachlassVw, keine Vorschrift über Vorlage
beglaubigter Kopien von Testament etc.
Art 70: Original bei ausstell Behörde, beglaubigte Abschriften
an Personen mit berechtigtem Interesse, Gültigkeit: 6 Monate
Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ)
Wirkungen des ENZ – Art 69 ErbVO
Legitimationswirkung gem Art 63, Art 69 Abs 1 + 5, Erw 69
gegenüber allen staatlichen Stellen sowie
gegenüber Privaten (zB Nachlasschuldner) inklusive
Grundlage für Eintragung in einschlägige Register
Beweiswirkung gem Art 69 Abs 2
widerlegbare Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit – dass
die Rechte der Erben, Legatare, Vollstrecker usw so bestehen
gutgläubige befreiende Leistung gem Art 69 Abs 3
gutgläubiger Erwerb gem Art 69 Abs 3 (siehe Erw 71!)
Wissen und grobe Fahrlässigkeit schaden der Gutgläubigkeit;
nationale Vorschriften (zB § 824 ABGB) gelten weiter
Fall estnisches Nachlasszeugnis
Ferdinand
•
•
•
•
•
•
österreichischer Staatsbürger
gewöhnlicher Aufenthalt: in Graz oder in Estland?
Todeszeitpunkt: 10.09.2015
Letztwillige Verfügung: von G gefälscht (Estland)
Nahe Angehörige: Witwe und Kinder in Graz
Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ): ausgestellt von
estnischem Notar
Welche Gerichte sind international zuständig?
Welches Recht kommt zur Anwendung?
Welche Wirkung hat des ENZ in Österreich?