Das Freihandelsabkommen wäre quasi ein - Heribert

„Das Freihandelsabkommen wäre
quasi ein Konjunkturprogramm für
die deutsche Wirtschaft.“
Prof. Dr. Heribert Hirte, MdB, Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg
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Im Dialog mit der Politik
„TTIP – vor allem der
Verbraucher profitiert“
Das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen
TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership)
zwischen Europa und den USA steht im Kreuzfeuer
der Kritik. Nutzt es Unternehmen und Verbrauchern
– oder droht am Ende sogar Schaden? Ausgewiesener
Experte zum Thema ist Heribert Hirte, Professor für
Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg und
dort Geschäftsführender Direktor des Seminars für
Handels-, Schifffahrts- und Wirtschaftsrecht. Der Kölner
CDU-Bundestagsabgeordnete ist im Europaausschuss
Berichterstatter für die Transatlantischen Beziehungen und Handelsbeziehungen der Europäischen Union.
Herr Professor Hirte, Sie sind – neben allem anderen –
stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung. Was denken Ihre amerikanischen Kollegen und die Unternehmer dort über TTIP?
Es herrscht im Grundsatz eine große Aufgeschlossenheit für den freien Handel und für freie Märkte. Amerika insgesamt ist aufgeschlossener gegenüber liberalen
Ideen als Kontinentaleuropa. Man ist auch offener für
Veränderungen.
Der Bundeswirtschaftsminister wirbt gerade auch bei
deutschen Mittelständlern stark für das Abkommen.
Zu Recht?
Absolut. Auch Deutschland ist eine Nation, die durch
Handel und Warenaustausch groß geworden ist. Das
ist die Basis unseres Erfolgs. Aber gerade für unseren
exportstarken Mittelstand ist der Handel mit den
Vereinigten Staaten bislang oft mit unver­hält­nismäßig
ho­h­em technischem und büro­kratischem Aufwand
verbunden.
Wenn Sie Familienunternehmer in Ihrem Wahlkreis
treffen, in Köln, aber auch in den umliegenden Regionen
wie dem Bergischen Land, wie bewerten diese TTIP?
Die Unternehmer sind im Wesentlichen positiv einge­
stellt. Aber es gibt dennoch viel Unkenntnis und
Un­sicherheit in Bezug auf das Transatlantische Handelsabkommen. Das hängt auch da­mit zusammen, dass die
Empörungsindustrie einige der Kritikpunkte am Abkommen professionell nach oben gefahren hat. Zum
Teil entbehrt diese Kritik aber jeder Grundlage und ist
schlichtweg falsch.
Die bergische Wirtschaft ist eine Hochburg des indus­
triellen Mittelstands – mit zahlreichen international ausgerichteten Hidden Champions, das Verarbeitende Gewerbe ist wichtigster Arbeitgeber. Was wären konkrete
Vorteile des Abkommens für Firmen und Beschäftigte?
TTIP bietet eine Verbreiterung des Absatzmarktes, eine
Vergrößerung über Europa hinaus nach Amerika, zu im
Wesentlichen gleichen Bedingungen. Das ist ein riesiger
Vorteil. Gerade europäische und deutsche Produkte werden in den USA sehr geschätzt. TTIP sorgt mit gemeinsamen Standards dafür, dass es nicht mehr nötig ist,
Produkte speziell auf den US-Markt abzustimmen – was
gerade kleinere Firmen überfordern kann. Auch Zollfragen werden vereinfacht.
Was können Sie denjenigen entgegnen, die befürchten,
dass hiesige Qualitätsstandards unterwandert werden?
Es kann durchaus sein, dass auch preiswerte Produkte
nach Deutschland kommen. Aber wer profitiert? Vor
allem der Verbraucher. Denn es wird billiger für ihn. Nur
haben diejenigen, die wenig verdienen und deshalb deutlich von TTIP profitieren könnten, die schlechteste Lobby.
Laut geschrien wird von denen, die sich hohe Standards
leisten können. Und wer glaubt, dass die hohen Standards durch gegenseitige Anerkennung verloren gehen,
irrt. Denn unsere Standards gelten weiter – auf beiden
Seiten des Atlantiks. Aber es wird punktuell geprüft werden können, wo unsere Standards den amerikanischen
gleichwertig sind und umgekehrt. Im Übrigen gilt: Hohe
europäische Qualität wird in den USA geschätzt.
Droht ein von manchen Kommentatoren prognosti­
ziertes Abwandern der europäischen Industrie – wegen
niedriger Sozialstandards und Energiepreise in den USA?
Das sehe ich nicht. Es hat auch nichts mit dem Abkommen zu tun. Wer andere Sozialstandards und Energiepreise will, der kann das auch in Europa finden. Insofern
ändert sich daran nichts. Wem so etwas wichtig ist, der
geht nicht zum Produzieren in die USA, sondern in andere
Länder – etwa nach Osteuropa.
Wenn die Vorteile von TTIP überwiegen – werden sie von
der Regierung ausreichend vermittelt?
Definitiv nicht. Die Regierung hätte stärker werben
müssen. Gerade Wirtschaftspolitiker hätten öfter nach
V EREINIGUNG B ERGISCHER U NTERNEHMERvERbÄNDE
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draußen gehen und ein klares Wort sprechen sollen. Ich
habe in den vergangenen Wochen deutschlandweit in diversen Diskussionsrunden zum Thema TTIP versucht, Aufklärung zu leisten. Aber auch die Wirtschaft muss mehr
tun. Sie erwartet von der Politik, dass sie die Märkte öffnet.
Angesichts der Angriffe von Attac oder ähnlichen Organisationen auf TTIP hätte ich erwartet, dass auch die Wirtschaft mit derselben Verve dagegenhält und für offene
Märkte eintritt.
Skepsis rufen die Verhandlungen an sich hervor. Viele haben das Gefühl, dass die EU-Kommission hinter verschlossenen Türen agiert. Verstößt TTIP gegen Prinzipien der
Demokratie?
Nein. Grundsätzlich nicht. Wir können nur Verhandlungen
führen, wenn wir nicht vorher sagen, in welche Richtung
sie gehen. Die Positionen müssen im internen Kreis ausgelotet werden. Mit Transparenz hätte die EU ihre Verhandlungsposition geschwächt, zudem schützen wir durch die
Intransparenz das Allgemeinwohl vor Partikularinteressen.
Ein weiterer Knackpunkt: Schiedsgerichte. Vor ihnen sollen Unternehmen gegen Staaten klagen können, wenn
infolge politischer Entscheidungen – etwa neuer Umweltauflagen – die Geschäfte erheblich schwieriger und Investitionen zunichtegemacht werden. Geht es nicht zu weit,
wenn sich demokratische Staaten Richtern außerhalb ihres
Justiz­systems unterwerfen sollen?
Wir als Union und ich persönlich sind der Meinung, dass
es ein klares Bekenntnis zur Rechtssicherheit gegenüber
denen geben muss, die Investitionen getätigt haben. Zur
Rechtssicherheit gehört aber auch, dass bei einer Vertragsverletzung durch den Staat dieser auch einen Prozess
verliert. Das kann übrigens auch vor einem nationalstaatlichen Gericht passieren. Schiedsgerichte sind schon lange
Bestandteil von Freihandelsabkommen – also nicht etwa
eine neue Entwicklung bei TTIP. Verfahren vor Schiedsgerichten laufen auch grundsätzlich nach einem festgelegten, rechtsstaatlichen Verfahren ab – und bieten die
nötige Unabhängigkeit von beiden betroffenen Staaten.
Dies schließt aber Detailverbesserungen nicht aus: So
sollte zum Beispiel der Deutsche Bundestag bzw. das Europäische Parlament in die Nominierung und Bestellung
der Richter einbezogen werden. Ich möchte aber noch mal
darauf hinweisen, dass echte Streitfälle bei Frei­handels­
abkom­men sehr selten vorkommen.
Sie rechnen jedenfalls damit, dass Wachstum und
Beschäftigung durch TTIP angekurbelt werden?
Das ist ganz sicher, TTIP würde den weltweit größten
Freihandelsraum entstehen lassen. Das wäre quasi ein
Konjunkturprogramm für die deutsche Wirtschaft und
damit auch für den Mittelstand. Aber genauso wichtig:
Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass wir unsere
Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten auf festere
Füße stellen, vor dem Hintergrund der gesamtpolitischen
Lage weltweit. Gerade in unsicheren Zeiten gilt es, Partnerschaften zu stärken. Finden Europa und die USA nicht
zusammen, könnten uns morgen andere Partner dominieren – eine wenig verlockende Alternative.
Wachstumsmotor TTIP
Mehr Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantiks – so
lautet das Versprechen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). Seit Juli
2013 wird über das Freihandelsabkommen zwischen
der EU und den USA verhandelt. Allerdings ist TTIP
umstritten. Befürworter erwarten starke positive Effekte für Wachstum und Jobs, Gegner warnen, dass
Schutzstandards für Verbraucher und Umwelt sinken könnten. Zudem sehen sie die gesetzgeberische
Souveränität gefährdet. Zu den Fakten:
■ Studien belegen die Vorteile des Abkommens gerade für die exportorientierte deutsche Wirtschaft.
TTIP zielt darauf, Zölle abzuschaffen. Ebenfalls vorgesehen sind harmonisierte Produktstandards und
der Wegfall bürokratischer Hürden – Maßnahmen,
von denen besonders Mittelständler profitieren würden, weil der Aufwand für den Zugang zum US-Markt
sinkt. Das Centre for Economic Policy Research (CEPR)
veranschlagt beim jährlichen Bruttoinlandsprodukt
zehn Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens ein
Plus von 119 Milliarden Euro alleine für die europä­
ischen Länder. CEPR erwartet, dass das Jahreseinkommen einer vierköpfigen Familie in diesem Zeitraum
im Schnitt um 545 Euro steigt.
■ Auch die Zahl der Arbeitsplätze soll dank TTIP zunehmen – in Deutschland nach optimistischen Schätzungen um bis zu 110.000.
■ Spezielle Verträge sollen ausländische Investoren vor politischen Risiken schützen. Gleichzeitig
wollen die Verhandlungspartner ungerechtfertigte
Milliar­denklagen verhindern, die etwa durch unklare
Rechtsbegriffe drohen könnten. Dass Umwelt- oder
Verbraucherschutzstandards auf dieser oder jener
Seite des Atlantiks sinken, wurde in den TTIP-Verhandlungen ausgeschlossen.